Deutscher Bundestag Drucksache 17/12115

17. Wahlperiode 16. 01. 2013

Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort von Staatsminister Bernd Neumann ...... 11

1 Einleitung ...... 13

Die Notwendigkeit der Aufarbeitung der SED-Diktatur ...... 13

Zuständigkeiten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur ...... 14 Bundesregierung ...... 14 Länder ...... 14

2 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung ...... 14

Die Friedliche Revolution in der DDR 1989 und die Wiedervereinigung  Deutschlands 1990 ...... 15

Der Umgang mit den -Akten ...... 16

Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer ...... 16

Die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag – die Enquête- Kommissionen zur SED-Diktatur ...... 17

Die Gedenkstättenkonzeptionen des Bundes und ihre  Fortschreibung 2008 ...... 17

Freiheit und Einheit – das Jubiläum von Friedlicher Revolution und  Wiedervereinigung 2009/2010 ...... 19

3 Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer ...... 19

Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz ...... 19

Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz ...... 20

Zugeleitet mit Schreiben des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom 9. Januar 2013. Drucksache 17/12115 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz ...... 20

Die Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz . . . . 20

Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ . . . . 21

4 Opferverbände ...... 21

Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewalt- herrschaft e.V...... 21

Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V...... 22

5 Beratung ...... 23

Bundesweite Beratungsangebote für die Opfer des SED-Unrechts . . . . 23

Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige DDR-Heimkinder ...... 23

Beispielhafte Beratungsangebote der Länder für die Opfer  des SED-Unrechts ...... 24 ...... 24 Brandenburg ...... 24 Hessen ...... 24 Mecklenburg-Vorpommern ...... 25 Niedersachsen ...... 25 Sachsen ...... 25 Sachsen-Anhalt ...... 25 Thüringen ...... 25 Thüringer Beratungsinitiative ...... 25

6 Offene Vermögensfragen und Restitutionen in den neuen  Ländern ...... 26

7 Strafrechtliche Aufarbeitung ...... 26

8 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung ...... 27

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ...... 27 Entstehung und Struktur der Bundesstiftung Aufarbeitung ...... 28 Die Arbeit der Stiftung ...... 28

Die Bundeszentrale für politische Bildung ...... 31 Die Arbeit der BpB seit 1989 ...... 31 Die Angebote der BpB zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ...... 32

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ...... 32 Die Struktur der Behörde ...... 33 Die Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ...... 33 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12115

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Die Verwendung der Unterlagen ...... 34 Politische Bildung beim BStU ...... 38 Informations- und Dokumentationszentren ...... 39

Die Landeszentralen für politische Bildung ...... 40

Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen DDR ...... 41 Beratung ...... 41 Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit ...... 41 Forschung ...... 42

Programme und Projekte zur Politischen Jugendbildung ...... 42 Exemplarische Veranstaltungen und Projekte ...... 42 Für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus ...... 43

DDR-Geschichte im Schulunterricht ...... 43

Das Koordinierende Zeitzeugenbüro ...... 44

9 Wissenschaftliche Aufarbeitung ...... 45

Das Institut für Zeitgeschichte, München und Berlin ...... 45

Der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin . . . . 46 Das Forschungsprojekt „Opfer des DDR-Grenzregimes an der inner- deutschen Grenze“ ...... 47

Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.  an der Technischen Universität Dresden ...... 47

Das Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam ...... 48

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ...... 49

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Potsdam ...... 50

Die Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren  Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen  („Deutsch-russische Geschichtskommission“) ...... 50

Die Editionsgruppe Dokumente zur Deutschlandpolitik  im Bundesarchiv ...... 51

10 Gedenkstätten und Erinnerungsorte ...... 51

Teilung und Grenze ...... 51 Das Grenzmuseum Schifflersgrund, Asbach/Sickenberg ...... 51 Der historische Ort ...... 51 Entstehung und Entwicklung ...... 52 Ausstellung ...... 52 Bildungsarbeit ...... 52 Drucksache 17/12115 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Die Stiftung Berliner Mauer ...... 52 Die Gedenkstätte Berliner Mauer ...... 52 Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ...... 54 Ausstellungen ...... 55 Forschung ...... 55 Veranstaltungen ...... 56 Zeitzeugenarbeit ...... 56 Bildungsarbeit ...... 57 Öffentlichkeitsarbeit ...... 57 Der „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) und die ehemalige Grenzübergangsstelle Drewitz ...... 57 Die Gedenkstätte Point Alpha, Geisa ...... 57 Der historische Ort ...... 57 Entstehung und Entwicklung ...... 58 Ausstellung ...... 58 Forschung ...... 58 Bildungsarbeit ...... 58 Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn ...... 58 Der historische Ort ...... 58 Entstehung und Entwicklung ...... 58 Ausstellung ...... 59 Besucherzahlen ...... 60 Das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth ...... 60 Der historische Ort ...... 60 Entstehung und Entwicklung ...... 60 Ausstellung ...... 61 Sammlung ...... 61 Bildungsarbeit ...... 61 Besucherzahlen ...... 61 Das Grenzlandmuseum Eichsfeld e.V., Teistungen ...... 61 Der historische Ort ...... 61 Entstehung und Entwicklung ...... 62 Ausstellung ...... 62 Bildungsarbeit ...... 62

Überwachung und Verfolgung ...... 63 Vorbemerkung zu den sowjetischen Speziallagern ...... 63 Die Gedenkstätte Bautzen ...... 63 Der historische Ort ...... 63 Entstehung und Entwicklung ...... 64 Ausstellung ...... 64 Sammlung ...... 65 Forschung ...... 65 Bildungsarbeit ...... 65 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12115

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Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ...... 66 Der historische Ort ...... 66 Entstehung und Entwicklung ...... 66 Ausstellung ...... 66 Sammlung ...... 67 Forschung ...... 67 Veranstaltungen ...... 67 Zeitzeugenarbeit ...... 68 Bildungsarbeit ...... 68 Besucherzahlen ...... 69 Das STASI MUSEUM in Haus 1/Normannenstraße, Berlin ...... 69 Der historische Ort ...... 69 Entstehung und Entwicklung ...... 69 Ausstellung ...... 70 Die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg an der Havel ...... 70 Der historische Ort ...... 70 Entstehung und Entwicklung ...... 70 Die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus ...... 70 Der historische Ort ...... 70 Entstehung und Entwicklung ...... 70 Die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden ...... 71 Der historische Ort ...... 71 Entstehung und Entwicklung ...... 71 Ausstellung ...... 71 Sammlung ...... 72 Forschung ...... 72 Die Gedenkstätte Münchner Platz, Dresden ...... 72 Der historische Ort ...... 72 Entstehung und Entwicklung ...... 72 Ausstellung ...... 72 Sammlung ...... 73 Bildungsarbeit ...... 73 Die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt ...... 73 Der historische Ort ...... 73 Entstehung und Entwicklung ...... 73 Die Gedenk- und Dokumentationsstätte „Opfer politischer  Gewaltherrschaft 1933 bis 1989“, Frankfurt an der Oder ...... 74 Der historische Ort ...... 74 Entstehung und Entwicklung ...... 74 Die Gedenkstätte Ketschendorf − Sowjetisches Speziallager Nr. 5,  Fürstenwalde ...... 74 Der historische Ort ...... 74 Entstehung und Entwicklung ...... 74 Drucksache 17/12115 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Die Gedenk- und Begegnungsstätte im Torhaus, Gera ...... 74 Der historische Ort ...... 74 Entstehung und Entwicklung ...... 74 Die Gedenkstätte ROTER OCHSE, Halle (Saale) ...... 75 Der historische Ort ...... 75 Entstehung und Entwicklung ...... 75 Ausstellung ...... 75 Sammlung ...... 75 Das Frauengefängnis Hoheneck ...... 75 Der historische Ort ...... 75 Entstehung und Entwicklung ...... 76 Ausstellung ...... 76 Zeitzeugenarbeit ...... 76 Die Dokumentationsstätte in Jamlitz/Lieberose − Sowjetisches  Speziallager Nr. 6 ...... 76 Der historische Ort ...... 76 Entstehung und Entwicklung ...... 76 Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum  im Stasi-Bunker, Leipzig ...... 77 Die historischen Orte ...... 77 Entstehung und Entwicklung ...... 77 Ausstellung ...... 78 Sammlung ...... 78 Forschung ...... 78 Veranstaltungen ...... 78 Bildungsarbeit ...... 78 Die Gedenkstätte Moritzplatz, Magdeburg ...... 79 Der historische Ort ...... 79 Entstehung und Entwicklung ...... 79 Ausstellung ...... 79 Zeitzeugenarbeit ...... 79 Bildungsarbeit ...... 80 Die Gedenkstätte Mühlberg − Sowjetisches Speziallager Nr. 1 ...... 80 Der historische Ort ...... 80 Entstehung und Entwicklung ...... 80 Die Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen − Sowjetisches Spezial- lager Nr. 9, Neubrandenburg ...... 80 Der historische Ort ...... 80 Entstehung und Entwicklung ...... 80 Bildungsarbeit ...... 81 Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen − Sowjetisches  Speziallager Nr. 7/Nr. 1, Oranienburg ...... 81 Der historische Ort ...... 81 Entstehung und Entwicklung ...... 81 Ausstellung ...... 81 Bildungsarbeit ...... 82 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12115

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Die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße, Potsdam . . . 82 Der historische Ort ...... 82 Entstehung und Entwicklung ...... 82 Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer politscher Gewalt  im 20. Jahrhundert, Potsdam ...... 83 Der historische Ort ...... 83 Entstehung und Entwicklung ...... 83 Ausstellung ...... 83 Die Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock ...... 83 Der historische Ort ...... 83 Entstehung und Entwicklung ...... 84 Ausstellung ...... 84 Das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern  für die Opfer der Diktaturen in Deutschland, Schwerin ...... 84 Der historische Ort ...... 84 Entstehung und Entwicklung ...... 84 Das Dokumentations- und Informationszentrum Torgau ...... 84 Der historische Ort ...... 84 Entstehung und Entwicklung ...... 84 Ausstellung ...... 85 Sammlung ...... 85 Bildungsarbeit ...... 85 Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau ...... 85 Der historische Ort ...... 85 Entstehung und Entwicklung ...... 85 Ausstellung ...... 86 Sammlung ...... 87 Zeitzeugenarbeit ...... 87 Bildungsarbeit ...... 87 Die Gedenkstätte Buchenwald − Sowjetisches Speziallager Nr. 2,  Weimar ...... 87 Der historische Ort ...... 87 Entstehung und Entwicklung ...... 88 Forschung ...... 88 Ausstellung ...... 89 Bildungsarbeit ...... 89

11 Museen ...... 89

Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . . . 89 Die Dauerausstellung in Bonn ...... 89 Die Dauerausstellung in Leipzig ...... 90 Der „Tränenpalast“, Berlin ...... 90 Die geplante Dauerausstellung in der Kulturbrauerei, Berlin ...... 90 Drucksache 17/12115 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Das Internetportal „Orte der Repression in SBZ und DDR“ ...... 91 Wechselausstellungen ...... 91

Die Stiftung Deutsches Historisches Museum ...... 91 Sonderausstellungen ...... 91 Begleitprogramme zu Sonderausstellungen ...... 92 Ständige Ausstellung ...... 93

Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr, Dresden ...... 93 Dauerausstellung ...... 93 Wechselausstellungen ...... 93 Flugplatz Berlin-Gatow ...... 94

Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst ...... 94

Die Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen  Geschichte, Rastatt ...... 94 Ausstellung ...... 94 Bildungsarbeit ...... 95

Das Kunstarchiv Beeskow: Die Geschichte der Auftragskunst  in der DDR ...... 95

Die DDR Museum Berlin GmbH ...... 95

Das Mauermuseum – Museum Haus am ,  Berlin ...... 96

Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e.V.  in Eisenhüttenstadt ...... 96

Gegen das Vergessen e.V. – Sammlung zur Geschichte der DDR,  Pforzheim ...... 97

12 Archive ...... 97

Das Bundesarchiv und die Stiftung Archiv der Parteien und Massen- organisationen der DDR im Bundesarchiv ...... 97

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ...... 99 Die Archive des BStU ...... 99

Die Dokumentationsstelle Widerstands- und Repressionsgeschichte  in der NS-Zeit und der SBZ/DDR – Dokumentationsstelle Dresden . . . 101 Entstehung und Entwicklung ...... 101

Die Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., Archiv der DDR- Opposition ...... 102 Archive ...... 102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/12115

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Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“,  Jena ...... 103

Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V...... 103

Das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivil- courage e.V. – Archiv der Bürgerbewegung Südwestsachsens ...... 104 Bildungsarbeit ...... 104

13 Denkmäler und Mahnmale ...... 105

Das Denkmal in der Gedenkstätte Berliner Mauer ...... 105

Das Freiheitsdenkmal in Plauen ...... 105

Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin ...... 105

Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig ...... 106

Stelen ...... 107 Die Erinnerungs- und Informationsstelen zur Friedlichen Revolution  von 1989/90, Berlin ...... 107 Die Erinnerungsstelen für Mauertote am Berliner Außenring ...... 107 Die „Weißen Kreuze“, Berlin ...... 107 Die Orte der Friedlichen Revolution, Leipzig ...... 107 Die Stelen zur Erinnerung an das Grenzregime, Potsdam ...... 107

14 Bilanz ...... 108

15 Anhang ...... 110

Bestände des Bundesarchives und der SAPMO zur DDR ...... 110 Einschlägige Bestände der SAPMO ...... 110 Einschlägige Bestände der Abteilung DDR ...... 110 Einschlägige Bestände in der Abteilung Militärarchiv ...... 112 Einschlägige Unterlagen in den Beständen der Abteilung B ...... 112

16 Abkürzungsverzeichnis ...... 114

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/12115

Vorwort von Staatsminister Bernd Neumann Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR ist auch über 20 Jahre nach der Wiedergewinnung der Deutschen Einheit eine für Staat und Gesellschaft notwendige Aufgabe. Einen Schlussstrich unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht geben. Dies sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch den Menschen, die die Friedliche Revolution erst möglich machten, den Politikern, die die Wiedervereinigung durchgesetzt haben, und vor allem unseren Werten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schuldig. Das Bewusstsein für diese Werte wird durch die Vermittlung von Kenntnissen über die Diktatur der SED, ihre Herrschafts- und Unterdrückungsmethoden und über das Leben im Überwachungsstaat gestärkt. Die Koalitionspartner CDU/CSU und FDP haben sich daher für die 17. Wahlperiode vorgenommen, in einem Bericht der Bundesregierung die Leistungen der letzten Jahre im Bereich der Aufarbeitung der SED-Diktatur umfassend zu dokumentieren, Bilanz zu ziehen und Perspektiven für die weitere Entwicklung darzustellen. Die Beiträge der thematisch betroffenen Ressorts der Bundesregierung (BMI, BMJ, BMAS, BMFSFJ, BMBF, BMVg), der 16 Länder, von Aufarbeitungseinrichtungen und Gedenkstätten sowie der Opferverbände dienten hierfür mit als Grundlage. Akti- vitäten auf allen staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen können so nachvollzieh- bar dargestellt werden. Als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien habe ich dieses Vorha- ben gerne wahrgenommen. Zentrale Einrichtungen des Bundes für die Aufarbeitung der SED-Diktatur gehören zu meinem Geschäftsbereich wie die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, das Haus der Geschichte der Bundes- republik Deutschland, das Deutsche Historische Museum sowie das Bundesarchiv. Hinzu kommt die Förderung national bedeutsamer Gedenkstätten, etwa in Berlin- Hohenschönhausen oder in Bautzen. Durch diese sinnvolle Bündelung konnte die Aufarbeitung in den vergangenen Jahren erheblich verstärkt und intensiviert werden, da Synergien zwischen den Einrichtungen so noch besser genutzt werden. Eine wesentliche Grundlage dafür bildet die 2008 von mir vorgelegte, vom Bundes- kabinett beschlossene und vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit bestätigte Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Alle dort vorgestellten Projekte wurden erfolgreich umgesetzt oder befinden sich in der Schlussphase ihrer Realisierung. Sie umfassen eine Vielzahl von Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzten, um interessierte Bürgerinnen und Bürger und insbesondere junge Menschen über die SED-Diktatur und ihre Folgen aufzuklären, bereits vorhandene Kenntnisse zu vertiefen und in diesem Zusammenhang Widerstand und Opposition in der DDR besonders zu würdigen. So wurden die Gedenkstätte Berliner Mauer und die Erinnerungsstätte Marienfelde, vereint in der Stiftung Berliner Mauer, in die dauerhafte, institutionelle Förderung durch den Bund aufgenommen. An der Bernauer Straße öffnete 2009 das Besucher- zentrum seine Pforten, 2010 konnte der erste Abschnitt der Open-Air-Ausstellung auf dem ehemaligen Mauerstreifen folgen. 2011 wurde dann der zentrale Kernbe- reich in einer großen Gedenkveranstaltung anlässlich des 50. Jahrestages des Mauer- baus am 13. August der Öffentlichkeit übergeben. Auch die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn erhält als national bedeutsame Gedenkstätte für die Teilung Deutschlands nunmehr eine institutionelle Förderung des Bundes. In Berlin eröffnete die Bundeskanzlerin im September 2011 die Dauerausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zum Alltag der deut- schen Teilung im „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße. Im Januar 2012 konnte Haus 1/ Normannenstraße, die ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-, nach Sanierung und denkmalgerechter In- standsetzung der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Bereits im August 2011 hatten Sanierung und Umbau der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschön- hausen begonnen. Zugleich erhält die Gedenkstätte im zentralen Untersuchungsge- fängnis der Staatssicherheit eine Dauerausstellung, die die sachkundige Führung durch die ehemaligen Zellentrakte ergänzt. In der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg Drucksache 17/12115 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode bereitet das Haus der Geschichte eine Ausstellung zur Geschichte des Alltags in der SED-Diktatur vor, die 2013 eröffnet wird. Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption greift auch wissenschaftliche For- schungsvorhaben auf. So finanzierte BKM das Projekt „Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 bis 1989“, das erstmals wissenschaftlich fundiert Zahl, Identität und Schicksal der Todesopfer an der Berliner Mauer ermittelte. In diesem Jahr schließt sich ein Projekt zur Erforschung des Schicksals der Opfer des DDR-Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze an. Das Projekt soll nicht nur Klarheit über die Zahl der Opfer bringen, sondern den Toten Namen und Gesicht und damit ihre Würde wiedergeben. Die mit den Wettbewerbsverfahren konkretisierte Errichtung von zwei Freiheits- und Einheitsdenkmalen in Berlin und Leipzig, die an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedervereinigung im darauf folgenden Jahr erinnern, wird die Ini- tiativen zur Aufarbeitung um die positiven Ereignisse unserer jüngsten deutschen Geschichte ergänzen. Über die Umsetzung der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption hinaus ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von weiteren Vorhaben zur Aufarbeitung der vierzigjährigen Geschichte von Unrecht und Unterdrückung in der DDR entstanden. Beispielhaft erwähnt sei hier nur das Koordinierende Zeitzeugenbüro, bei dem die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner Mauer erfolgreich zusammenarbeiten. Finanziert durch BKM ist damit eine bundesweite Vermittlung von Zeitzeugen an Schulen und andere Bildungseinrichtun- gen sichergestellt. Der vorliegende Bericht zeigt, was in den letzten 20 Jahren bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur geleistet wurde. Die Fülle der Maßnahmen ist so eindrucksvoll wie die Besucherzahl einzelner Gedenkstätten. Erschreckend bleiben gleichwohl die Be- funde zum historischen Wissen von Jugendlichen, wie ein von mir und mehreren Ländern finanziertes Forschungsprojekt der FU Berlin vor kurzem erneut zeigte. Da- nach verfügt eine Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler aus fünf Bundes- ländern über nur sehr geringe zeitgeschichtliche Kenntnisse. In der Konsequenz kann es nicht überraschen, dass viele Jugendliche auch die Trennlinien zwischen De- mokratie und Diktatur nicht erkennen. Dieses alarmierende Ergebnis muss alle Ver- antwortlichen in Deutschland wachrütteln, die Anstrengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – insbesondere in den Schulen – noch weiter zu verstärken. Allen, die am Entstehen dieses Berichts mitgewirkt haben, möchte ich sehr herzlich danken.

Bernd Neumann, MdB Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13 – Drucksache 17/12115

1 Einleitung sich teilweise hinsichtlich ihres Umfangs und der Ge- wichtung einzelner Aspekte. Hieraus ergaben sich auch Die konsequente und differenzierte Aufarbeitung der Unterschiede im textlichen Umfang der nachfolgenden Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Darstellungen. Die Beiträge wurden von BKM zu einem (SED) in der Deutschen Demokratischen Republik konsistenten Ganzen zusammengefügt und um die zentra- (DDR) ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. len Einleitungskapitel und die Schlussbilanz ergänzt. Sie berücksichtigt dabei auch die vorangegangene kom- munistische Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die Notwendigkeit der Aufarbeitung  der SED-Diktatur In ihrem Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode haben die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP fest- Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert wurde gelegt, die bisherigen Anstrengungen zur Aufarbeitung nachhaltig durch die Terrorherrschaft des Nationalsozia- der SED-Diktatur noch zu verstärken. Ein Instrument lismus geprägt, dessen Menschheitsverbrechen und Ver- hierzu, das auf den Koalitionsvertrag1 zurückgeht, ist der nichtungskriege Millionen Opfer forderten. Dem Sieg der vorliegende Bericht der Bundesregierung zum Stand der Alliierten im Zweiten Weltkrieg folgte keine stabile Frie- Aufarbeitung der SED-Diktatur unter Federführung des densordnung, sondern der Ost-West-Konflikt („Kalter Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Krieg“), der für mehr als vier Jahrzehnte Deutschland und (BKM). Der Bundesrat hat der Bundesregierung mit sei- Europa teilte. Während im Westen Deutschlands nach nem Beschluss vom 15. Oktober 2010 (Bundesratsdruck- 1945 der Aufbau einer rechtsstaatlichen Demokratie sache 613/10) empfohlen, die Länder in die Erstellung gelang, wurde in der SBZ und später in der DDR eine des Berichts einzubeziehen. Dieser Empfehlung ist die kommunistische Diktatur etabliert, die erst 1989/90 über- Bundesregierung gefolgt, um gemeinsam mit den Län- wunden werden konnte. Es ist unverzichtbar, den Unter- dern eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme der schieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur umfänglichen Aufarbeitungsaktivitäten in den vergange- Rechnung zu tragen. Jede Erinnerung an die Diktaturver- nen zwei Jahrzehnten vorlegen zu können. gangenheit in Deutschland hat davon auszugehen, dass weder die nationalsozialistischen Verbrechen relativiert Ziel des vorliegenden Berichts ist es, über 20 Jahre nach werden dürfen noch das von der SED-Diktatur verübte Vollendung der Deutschen Einheit den Stand der Aufar- Unrecht bagatellisiert werden darf. beitung der SED-Diktatur zu dokumentieren. Einer Über- sicht über die wichtigsten Grundlagen und Entwicklungs- Fundament der Erinnerung sind die historischen Fakten schritte der Aufarbeitung schließt sich die Darstellung der und ihre wissenschaftliche Erforschung. Auf ihm ruht die Aspekte des Themas an, die die Opfer des SED-Unrechts Pflege der Erinnerungskultur, die sich in der Förderung unmittelbar betreffen: Möglichkeiten zur Rehabilitierung, von Aufarbeitung und dem Gedenken ausdrückt. Die Entschädigung und Beratung. Es folgt ein Überblick über Aufarbeitung soll die Öffentlichkeit über Ursachen und die strafrechtlichen Aspekte der Aufarbeitung und ihren Folgen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und gegenwärtigen Stand. Breiten Raum finden dann die un- der SED-Diktatur aufklären, um dadurch den antitotalitä- terschiedlichen Institutionen, Einrichtungen, Gedenkstät- ren Konsens in der Gesellschaft zu festigen und das Be- ten und Erinnerungsorte mit ihren vielschichtigen Aktivi- wusstsein für den Wert der freiheitlichen Demokratie so- täten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in wie der Menschenrechte zu stärken. Das Gedenken soll Deutschland. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann da- die Opfer vor allem am Ort ihrer Leiden in angemessener bei nicht erhoben werden, sind doch die Aufarbeitungsin- Weise würdigen und Wissen über die historischen Zusam- itiativen auf den verschiedenen staatlichen Ebenen und menhänge vermitteln. besonders im Bereich des bürgerschaftlichen Engage- ments zu facettenreich und vielfältig. Die aufgeführten Die kommunistische Diktatur in der SBZ und der DDR Träger der Aufarbeitung reichen von den Opferverbänden zählt zum historischen Erbe des wiedervereinten Deutsch- und einer in ihrer Art einzigartigen Einrichtung wie der lands. Dieser Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte Stasi-Unterlagen-Behörde BStU über die von Bund und muss konsequent aufgearbeitet werden. Jeder Generation Ländern geförderten Gedenkstätten sowie diversen Mu- müssen die Lehren aus diesen Kapiteln unserer Ge- seen bis hin zu staatlichen Archiven und solchen, die von schichte immer wieder neu vermittelt werden. Durch den Vereinen betrieben werden. Einschlägige wissenschaftli- wachsenden zeitlichen Abstand zur friedlichen Überwin- che Einrichtungen, die sich mit der Erforschung der Ge- dung der deutschen Teilung entwickeln sich zwei Tenden- schichte der SBZ und der DDR befassen, reihen sich ein. zen in der Wahrnehmung der DDR, die besorgniserregend sind: die Verharmlosung, mitunter sogar Verklärung des Der Bericht beruht auf den Beiträgen der thematisch be- Lebens unter der SED-Diktatur und das ausgeprägte troffenen Ressorts der Bundesregierung (BMI, BMJ, Nichtwissen insbesondere junger Menschen über die BMAS, BMFSFJ, BMBF, BMVg), der 16 Länder, von DDR und die dort herrschenden Verhältnisse. Dies wurde Aufarbeitungseinrichtungen und Gedenkstätten sowie der insbesondere durch die 2008 veröffentliche Studie von Opferverbände. Die gelieferten Beiträge unterschieden Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder über das DDR-Bild von Schülern im Ost-West-Vergleich nachge- 1 „WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT.“ Koalitionsvertrag wiesen und vor kurzem in einer breiter angelegten Folge- zwischen CDU, CSU und FDP; 17. Legislaturperiode; S. 95. untersuchung der beiden Autoren noch einmal bestätigt. Drucksache 17/12115 – 14 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Dieser Trend schwächt die zentrale Bedeutung der Werte, des beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) und dem für die die Menschen in der DDR im Herbst 1989 mutig Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). und friedlich demonstrierten: Freiheit, Demokratie und die Achtung der Menschenrechte. Darüber hinaus zeigen Für Einrichtungen zur wissenschaftlichen Erforschung die bis in die Gegenwart reichenden Fälle von Enttarnun- der SBZ und der DDR, die vom Bund gefördert werden, ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung gen ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssi- (BMBF) zuständig. Für den Bereich der Militärge- cherheit (MfS, umgangssprachlich auch Stasi), dass die schichte liegt hier die Zuständigkeit beim Bundesministe- Herrschaft der SED und ihres Machtapparates bis heute rium der Verteidigung (BMVg) mit seinen nachgeordne- nachwirkt und ihre Aufarbeitung bei weitem noch nicht ten Dienststellen Militärgeschichtliches Forschungsamt abgeschlossen ist. Einen Schlussstrich unter die Aus- (MGFA) und Militärhistorisches Museum der Bundes- einandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in wehr (MHM). Deutschland wird es auch über 20 Jahre nach dem Ende der DDR nicht geben. Sie bleibt weiter eine gemeinsame Im BMI ist der Beauftragte der Bundesregierung für die gesamtdeutsche Aufgabe und ist ein wesentlicher Beitrag Neuen Bundesländer angesiedelt. Neben wirtschaftlichen zur Gestaltung der inneren Einheit unseres Landes. Aspekten des Aufbaus Ost spielen auch Fragen des ge- sellschaftlichen Zusammenhalts in seinem Aufgaben- Zuständigkeiten für die Aufarbeitung  spektrum eine große Rolle. Mit Blick auf die Stärkung der SED-Diktatur der Demokratie sieht der Beauftragte in der weiteren Auf- arbeitung des SED-Unrechts einen wesentlichen Schwer- Bundesregierung punkt seiner Tätigkeit. Das beinhaltet sowohl eine ver- tiefte historische Analyse als auch die Würdigung, Innerhalb der Bundesregierung liegt die zentrale Zustän- Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der SED- digkeit für die Aufarbeitung der SED-Diktatur bei BKM. Diktatur. Praktische Beispiele dafür sind u. a. die Rege- In seinen Geschäftsbereich wechselten 2005 konsequen- lungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (be- terweise die beiden bis dahin beim Bundesministerium sondere Zuwendung für Haftopfer) und der Fonds „Heim- des Innern (BMI) ressortierenden Aufarbeitungseinrich- erziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“. tungen des Bundes: Der Bundesbeauftragte für die Unter- lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Länder (BStU) und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Bundesstiftung Aufarbeitung). Auch die Wichtige Aufgaben für die Aufarbeitung von fast 45 Jah- Stiftungen Haus der Geschichte der Bundesrepublik ren kommunistischer Diktatur in SBZ und DDR nehmen Deutschland und Deutsches Historisches Museum gehö- die Länder wahr. Bei ihnen liegt die Zuständigkeit für den ren ebenso wie das Bundesarchiv zum BKM-Geschäfts- Schulunterricht und die universitäre Forschung sowie für bereich. Hinzu kommt die bei BKM angesiedelte Förde- die Durchführung der Rehabilitierungsgesetze, des Ver- rung national bedeutsamer Gedenkstätten. Damit konnten mögensrechts und der strafrechtlichen Aufarbeitung. auf der Ebene des Bundes die Zuständigkeiten für die Auch die Gedenkstättenförderung ist nach der Kompe- Aufarbeitung des SED-Unrechts, für thematisch betrof- tenzverteilung des Grundgesetzes in erster Linie eine An- fene Gedenkstätten, Museen und Archive unter einem gelegenheit der Länder. Des Weiteren unterhalten die Dach vereint werden. Länder für die Aufarbeitung wichtige Einrichtungen wie die Landeszentralen für politische Bildung. Den neuen 2008 hat BKM die Fortschreibung der aus den Jahren Ländern und dem Land Berlin, die auch die Behörden der 1993 und 1999 stammenden Gedenkstättenkonzeptionen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher- des Bundes vorgelegt. Sie bildet die erweiterte Grundlage heitsdienstes der ehemaligen DDR unterhalten (Branden- für die Aufarbeitungsanstrengungen des Bundes. Entspre- burg: Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der chend dieser Zuständigkeit lag die Federführung bei der kommunistischen Diktatur), kommt hier naturgemäß eine Erstellung des vorliegenden Berichts bei BKM. besondere Rolle zu. Aber auch die westlichen Länder tra- gen erheblich zu den Anstrengungen zur Überwindung Für die politische Bildungsarbeit auf Ebene des Bundes der Folgen der SED-Diktatur bei. So unterhalten etwa liegt die Zuständigkeit schwerpunktmäßig beim BMI. Hessen und Niedersachsen eigene Beratungsangebote für Dementsprechend gehört die Bundeszentrale für politi- die Opfer kommunistischen Unrechts. sche Bildung (BpB) zu dessen Geschäftsbereich. Diese Zuständigkeit umfasst auch die Themen Extremismusprä- 2 Grundlagen und Entwicklung  vention und Förderung demokratischer Teilhabe. Für die der Aufarbeitung politische Jugendbildung im Besonderen ist das Bundes- ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die wich- (BMFSFJ) zuständig. tigsten seit der Friedlichen Revolution 1989/90 unter- nommenen Initiativen und Maßnahmen, die die Grundla- Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur beinhaltet gen zur Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts, zur auch die Rehabilitierung und Entschädigung von Men- Würdigung, Rehabilitierung und Entschädigung seiner schen, die in der SBZ und der DDR Verfolgung ausgesetzt Opfer sowie zur Erforschung der Geschichte der SBZ und waren. Die Zuständigkeiten hierfür liegen seitens des Bun- der DDR bilden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 15 – Drucksache 17/12115

Die Friedliche Revolution in der DDR 1989 und che Protest in konkrete Politik umgesetzt. Auch der Ver- die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 such der SED, ihr Herrschaftsinstrument MfS als „Amt für nationale Sicherheit“ (AfNS) zu erhalten, konnte vom Im Herbst 1989 geriet die Diktatur der SED in der DDR Zentralen Runden Tisch verhindert werden. Hier erzwan- durch den doppelten Druck von Ausreise und vor allem gen die Vertreter der Oppositionsgruppen am 15. Januar Bürgerprotesten ins Wanken, um schließlich durch die 1990 die Auflösung des AfNS. Das MfS hatte bereits Friedliche Revolution überwunden zu werden. Das Stre- Ende November 1989 begonnen, seine umfangreichen ben nach freier Selbstbestimmung hatte sich durchge- Akten über die Menschen in der DDR zu vernichten. Die setzt. Die kommunistische Diktatur hinterließ eine Opposition verhinderte die völlige Vernichtung der Akten ruinöse Bilanz: Mehr als 250 000 Menschen wurden zwi- durch die Besetzung fast aller Bezirks- und Kreisdienst- schen 1945 und 1989 in der SBZ und der DDR aus politi- stellen des MfS in den ersten Tagen des Dezembers. Nur schen Gründen verhaftet. Mehr als 3 Millionen Men- in der Zentrale in der Berliner Normannenstraße gingen schen flohen bis zum 13. August 1961 in den westlichen Überwachungsarbeit und Aktenvernichtung zunächst Teil Deutschlands. Bis zu ihrem Fall am 9. November weiter. Am Tag des Beschlusses zur Auflösung des MfS/ 1989 kostete die Berliner Mauer 136 Menschen das Le- AfNS, dem 15. Januar 1990, stürmten dann tausende De- ben. monstranten die Geheimdienstzentrale in Berlin-Lichten- Zum Erhalt ihrer Herrschaft hatte die SED-Diktatur einen berg und verhinderten so die weitere Vernichtung der Ge- gewaltigen Sicherheitsapparat aufgebaut, an dessen heimdienstakten. Spitze das Ministerium für Staatssicherheit stand. Aber Im Jahr 1990 überstürzten sich die Entwicklungen. In den selbst dieser Apparat sah sich nicht in der Lage, den Sturz Städten der DDR demonstrierten die Menschen weiter für der SED-Herrschaft im Herbst 1989 zu verhindern. Auch demokratische Veränderungen. Dabei wurde die Forde- wirtschaftlich stand die DDR 1989 am Ende und ver- rung nach einer Wiedervereinigung immer lauter. Das mochte den Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr zu Tempo und die Dynamik der Ereignisse machten schnell genügen. anfängliche Vorstellungen eines über längere Zeit ge- 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und Polen, 1968 in der streckten, etappenweisen Vorgehens oder auch einer von Tschechoslowakei, 1980 erneut in Polen – immer wieder manchen erhofften dauerhaften Zweistaaten-Lösung ob- hatten die Menschen gegen die kommunistischen Dikta- solet. Den Wahlkampf für die ersten freien Volkskammer- turen aufbegehrt. Seit Ende der 1970er Jahre hatte sich wahlen in der DDR am 18. März 1990 sollte diese Stim- auch in der DDR eine neue Bürgerrechtsbewegung for- mung maßgeblich beeinflussen. Der Wahlsieg der Allianz miert. Unter Führung von Michail Gorbatschow, seit für Deutschland, ein Wahlkampfbündnis aus der CDU 1985 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der (Ost), der Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem De- Sowjetunion, setzte sich in Moskau die Einsicht durch, mokratischen Aufbruch (DA), war gleichbedeutend mit dass ein Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, dem Ende der DDR, setzten sich doch die Kräfte durch, das wesentlich auf Zwang beruht, auf Dauer nicht stabil die sich eindeutig für eine Wiedervereinigung Deutsch- und produktiv sein kann. lands ausgesprochen hatten. Die neue Koalitionsregie- rung der DDR aus CDU (Ost), SPD (Ost), DSU, DA und Die ersten Löcher im Eisernen Vorhang – zunächst in Un- dem Bund Freier Demokraten begann, gemeinsam mit garn – sowie die Fälschung der Ergebnisse der Kommu- der Bundesregierung auf das Ziel der staatlichen Einheit nalwahl vom 7. Mai 1989 lösten in der DDR eine Doppel- hinzuarbeiten. bewegung von Ausreise und Protest im Innern aus. Sie steigerte sich im Herbst zu Massendemonstrationen mit Angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Pro- einem ersten Höhepunkt am 9. Oktober in Leipzig, als bleme der DDR und eines weiter ungebremsten Übersied- über 70 000 Menschen friedlich demonstrierten, ohne lerstroms hatte die Bundesrepublik der DDR bereits im dass die Sicherheitsorgane einschritten. Dem Fall der Februar 1990 eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozial- Mauer in Berlin am 9. November 1989 sollten bald der union in Aussicht gestellt. Die neue Regierung der DDR Sturz der SED-Diktatur und der Ruf nach Wiedervereini- unter Lothar de Maizière legte nun zusammen mit der gung folgen. Die Demonstranten, die zunächst skandiert Bundesregierung den Zeitplan fest. Am 18. Mai 1990 hatten „Wir sind das Volk“, riefen nun „Wir sind ein wurde in Bonn der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirt- Vol k“. schafts- und Sozialunion unterzeichnet, die am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl nahm diesen Ruf auf. Mit dem „Zehn-Punkte-Programm“ Unmittelbar im Anschluss wurden am 6. Juli 1990 die in- vom 28. November 1989 ergriff der Bundeskanzler die nerdeutschen Verhandlungen über einen Einigungsvertrag Initiative und setzte die Deutsche Einheit auf die natio- aufgenommen. Die frei gewählte Volkskammer stimmte nale und internationale politische Tagesordnung. Die ihm und damit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbe- SED versuchte unterdessen, ihre Herrschaft durch Wech- reich des Grundgesetzes in der Nacht zum 23. August sel an der Staats- und Parteispitze – von Erich Honecker 1990 nach einer turbulenten Sitzung mit der nötigen über Egon Krenz zu Hans Modrow – in die neue Zeit zu Zweidrittelmehrheit zu. So konnte der Einigungsvertrag retten. Doch der friedliche Umbruch in der DDR ging am 31. August 1990 in Berlin unterzeichnet werden. Am schließlich über die Partei hinweg. An den überall im 20./21. September 1990 folgte die Ratifizierung durch Land entstandenen „Runden Tischen“ wurde der friedli- den Deutschen Bundestag bzw. die Volkskammer. Drucksache 17/12115 – 16 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zeitgleich zu den Verhandlungen zwischen den beiden Volkskammergesetzes zu berücksichtigen seien. Bis zu deutschen Staaten mussten auch international die Voraus- diesem Zeitpunkt wurden die MfS-Unterlagen der Ver- setzungen für die deutsche Wiedervereinigung geschaffen wahrung durch einen Sonderbeauftragten unterstellt. werden. Dass dies der Bundesregierung tatsächlich ge- Am 28. September 1990 wählte die Volkskammer den Ab- lang, ging vor allem auf die Unterstützung durch den geordneten Joachim Gauck zum „Sonderbeauftragten für amerikanischen Präsidenten George Bush sowie eine Än- die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“. Die Bundes- derung der Haltung Moskaus zurück. Lange bestand die regierung sicherte die Akzeptanz der Zuständigkeit Gaucks sowjetische Führung auf einen Austritt des vereinigten über den 3. Oktober hinaus zu. Folgerichtig wurde Gauck Deutschlands aus der NATO (North Atlantic Treaty Orga- von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bun- nization). Diese Position überschattete zunächst die deskanzler Kohl am 3. Oktober 1990 in seiner Funktion Zwei-plus-Vier-Gespräche zwischen den beiden deut- bestätigt. schen Staaten und den vier Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkriegs, die den außenpolitischen Rahmen Das Amt des „Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Einheit schaffen sollten. Der Durchbruch gelang für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen der deutschen Seite Juli 1990 bei einem Treffen von Staatssicherheitsdienstes“ erteilte Auskünfte zur Wieder- Bundeskanzler Kohl mit Präsident Gorbatschow im Kau- gutmachung und Rehabilitierung, für die Überprüfung kasus. Dabei sicherte der sowjetische Präsident dem von Abgeordneten und Beschäftigten der öffentlichen vereinigten Deutschland nicht nur die sofortige volle Sou- Verwaltung sowie zur Verfolgung von Straftaten auf Ba- veränität zu, sondern gab überraschend auch seine Ein- sis einer vorläufigen Benutzerordnung. wände gegen eine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft Am 14. November 1991 verabschiedete der Deutsche auf. Nach dem erfolgreichen deutsch-sowjetischen Gipfel Bundestag das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG), das am im Kaukasus nahm der Vereinigungsprozess weiter an 29. Dezember 1991 in Kraft trat. Das Parlament schuf da- Fahrt auf. Am 20. September 1990 wurde in Moskau der mit den rechtlichen Rahmen für den weiteren Umgang Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet, der den Weg für mit den Unterlagen des MfS. Mit dem StUG war der Weg die Deutsche Einheit und die volle Souveränität des wie- für die Errichtung der Behörde des „Bundesbeauftragten dervereinigten Deutschlands frei machte. Mit dem In- für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- krafttreten des Einigungsvertrags am 3. Oktober 1990 maligen Deutschen Demokratischen Republik“ frei. Das war die Einheit Deutschlands nach Jahrzehnten der Tei- StUG wurde seit 1991 im Zuge seiner Weiterentwicklung lung wiederhergestellt. insgesamt achtmal novelliert, zuletzt 2011. Der Umgang mit den Stasi-Akten Insgesamt gingen seit 1991 rund 6,7 Millionen Ersuchen und Anträge beim BStU ein, darunter 2,83 Millionen An- In den Monaten nach der Besetzung der MfS-Dienststel- träge von Bürgern auf Auskunft, Akteneinsicht und He- len entstand eine kontroverse Diskussion, wie mit den rausgabe (vgl. S. 34f.). von der Stasi unrechtmäßig erhobenen Daten umzugehen sei. Bürgerrechtler setzten sich dafür ein, die Unterlagen Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des MfS für Strafverfolgung, Rehabilitierung und Aufar- beitung zugänglich zu machen. Jeder Bürger sollte Zu- Während der Friedlichen Revolution in der DDR und des gang zu „seiner Akte“ erhalten. Die am 18. März 1990 in anschließenden Wiedervereinigungsprozesses wurde die der einzigen freien Volkskammerwahl neugewählte Re- Notwendigkeit offenbar, Unrechtsakte der SED-Diktatur gierung der DDR plante die Akten zunächst unter Ver- aufzuheben und den Opfern Hilfe und Versorgung zu- schluss zu halten und teilweise zu vernichten, um innen- kommen zu lassen. Die Aufhebung von Gerichtsurteilen politische Konflikte zu vermeiden. Am 24. August 1990 war in der DDR jedoch nur auf dem Wege der Kassation sprachen sich die Abgeordneten der Volkskammer hinge- durch das Oberste Gericht der DDR möglich. Dies än- gen nahezu einstimmig dafür aus, die MfS-Unterlagen derte sich, als die Volkskammer am 6. September 1990 unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes zu öffnen, ein Rehabilitierungsgesetz verabschiedete, das die straf- und verabschiedeten das „Gesetz zur Sicherung und Nut- rechtliche, verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabi- zung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/ litierung regelte. Eine praktische Bedeutung erlangte das AfNS“. Gesetz vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 allerdings nicht mehr. Das Thema fand In den Verhandlungen zum Einigungsvertrag zwischen aber Eingang in den Einigungsvertrag, dessen Artikel 17 der DDR und der Bundesrepublik einigte man sich zu- vorsah, dass alle Personen rehabilitiert werden konnten, nächst darauf, die Akten in das Bundesarchiv zu überfüh- die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungs- ren. Dort wären sie allerdings wegen der archivrechtli- maßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungs- chen Schutzfristen zunächst nicht zugänglich gewesen. widrigen gerichtlichen Entscheidung geworden waren. Öffentliche Proteste und eine erneute Besetzung der ehe- maligen MfS-Zentrale im September 1990 führten dazu, Den ersten Schritt zur Umsetzung dieses Artikels des Eini- dass die Öffnung der Stasi-Unterlagen in der Durchfüh- gungsvertrags stellte das am 4. November 1992 in Kraft ge- rungsvereinbarung zum Einigungsvertrag zwischen der tretene Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) Bundesrepublik und der DDR vom 18. September 1990 als Teil des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes verankert wurde. Die Vereinbarung sah vor, dass bei einer dar. Es ermöglicht die Aufhebung rechtsstaatswidriger zukünftigen gesetzlichen Regelung die Grundsätze des Entscheidungen deutscher Gerichte in der DDR und zu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17 – Drucksache 17/12115 vor in der SBZ über Freiheitsentziehung und damit die sich aber bereits bei der Benennung der Aufgaben. SPD, Rehabilitierung der Betroffenen durch Gerichtsbeschluss. CDU/CSU und FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen dran- gen in eigenen Anträgen darauf, die „Unterdrückung in Am 1. Juli 1994 traten dann das Verwaltungsrechtliche der DDR“ und die „SED-Diktatur“ politisch aufzuarbei- Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) und das Berufliche ten. In der Nachfolgepartei der SED, der PDS (Partei des Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) als Zweites SED-Un- Demokratischen Sozialismus), erhoben sich hingegen rechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Das Verwaltungsrecht- liche Rehabilitierungsgesetz ermöglicht die Aufhebung Stimmen, die sich gegen eine pauschale Vorverurteilung elementar rechtsstaatswidriger Verwaltungsakte der DDR- der DDR wehrten. Nach längeren Beratungen konnte eine Organe oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit Einigung herbeigeführt werden und die Kommission am dieser Maßnahmen. Das Berufliche Rehabilitierungsge- 20. Mai 1992 ihre Arbeit aufnehmen. Mit ihren 43 Mit- setz knüpft an das Strafrechtliche und das Verwaltungs- gliedern war die Enquête-Kommission die bislang größte rechtliche Rehabilitierungsgesetz mit der Zielsetzung an, in der deutschen Geschichte. Auch ihr Ziel beinhaltete ein noch heute spürbare Auswirkungen verfolgungsbedingter Novum: Zum ersten Mal beschäftigte sich eine Kommis- Eingriffe in den Beruf oder die Ausbildung auszugleichen sion des Deutschen Bundestags mit einem zeithistori- – insbesondere zum Ausgleich von Nachteilen in der schen Thema und seinen Auswirkungen auf die Gegen- Rentenversorgung verfolgter Personen. wart. Am 29. August 2007 wurde die besondere Zuwendung Nach zwei Jahren intensiver Arbeit legte die Kommission für Haftopfer, die sogenannte SED-Opferrente, gemäß am 31. Mai 1994 ihren ersten, sehr umfangreichen Be- § 17a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes als richt vor (Bundestagsdrucksache 12/7820), der am Drittes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- 17. Juni 1994 im Plenum des Bundestags beraten wurde. cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in Die Aufgabe der Kommission, dem Parlament Hand- der ehemaligen DDR eingeführt. Wirtschaftlich bedürf- lungsanweisungen zu geben, wurde allerdings als nicht tige Haftopfer erhalten damit eine regelmäßige monatli- erfüllt angesehen. Aufgrund der Komplexität des Themas che Zuwendung. und seiner allgemeinen Bedeutung stimmte der Bundes- tag schließlich für die Einrichtung der Enquête-Kommis- Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeut- sion „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Pro- schen Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerzie- zess der deutschen Einheit“, die die Arbeit der ersten hung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ mit einem Kommission in der 13. Legislaturperiode von 1995 bis Volumen von insgesamt 40 Mio. Euro. Daraus stehen 1998 fortsetzte. Ihre zentrale Empfehlung an die Politik ehemaligen DDR-Heimkindern, die in den Jahren 1949 lautete schließlich in einem am 8. Oktober 1997 vorge- bis 1990 in einem Heim der Jugendhilfe oder einem Dau- stellten Bericht (Bundestagsdrucksache 13/11000), eine erheim für Säuglinge und Kleinkinder untergebracht wa- bundeseigene Stiftung zu gründen, die langfristig die ren und denen Unrecht und Leid zugefügt wurde, Hilfen Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen und Unterstützungsleistungen bei heute noch vorhande- der SED-Diktatur fördern sollte. Ergebnis war die Bun- nen Folgeschäden und/oder bei Minderung von Renten- desstiftung zur Aufarbeitung der SED-Dik ansprüchen zur Verfügung. tatur, die am 2. April 1998 per Gesetz errichtet wurde. Dem Errich- Eine detaillierte Darstellung der gesetzlichen Grundlagen tungsgesetz stimmte eine große Mehrheit des Bundestags zu Rehabilitierung und Entschädigung findet sich in den zu. Bereits im November 1998 nahm die „Bundesstiftung Kapiteln 3 und 5. Aufarbeitung“ ihre Arbeit auf (vgl. S. 27f.).

Die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag –  Die Gedenkstättenkonzeptionen des Bundes die Enquête-Kommissionen zur SED-Diktatur und ihre Fortschreibung 2008 Mit seinem Beschluss vom 12. März 1992, eine Enquête- Kommission „Zur Aufarbeitung von Geschichte und Fol- Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine besondere gen der SED-Diktatur in Deutschland“ einzusetzen, re- Verantwortung für die Opfer der nationalsozialistischen agierte der Deutsche Bundestag auf hitzige öffentliche Gewaltherrschaft und für die Folgen des Zweiten Welt- Debatten nach der deutschen Wiedervereinigung: Seit In- krieges. Seit der Wiederherstellung der Deutschen Einheit krafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes am 29. Dezem- ist es zudem ihre Aufgabe, die Erinnerung an das Leid der ber 1991 hielt die Öffnung der Stasi-Akten Politik und Opfer der kommunistischen Diktatur wachzuhalten. Öffentlichkeit in Atem. Spekulationen über mutmaßliche Nach der Wiedervereinigung bekannten sich der Deut- Stasi-Mitarbeiter dominierten die Schlagzeilen, da auch sche Bundestag und die Bundesregierung zu der gesamt- immer wieder Politiker oder Prominente als inoffizielle staatlichen Verantwortung des Bundes zugunsten der Ge- Mitarbeiter (IM) des MfS enttarnt wurden – ob tatsäch- denkstätten in den neuen Ländern und in Berlin. Die lich oder vermeintlich, blieb oft nur den Gerichten zu klä- hierauf gründende „Gesamtkonzeption zur Beteiligung ren. des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Der politische Handlungsbedarf war also groß: Geschlos- Deutschland“ nahm ab 1993 insgesamt elf national be- sen stimmte der Bundestag für die Einrichtung einer deutsame Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Ter- Enquête-Kommission, die sich dem belastenden Erbe der rorherrschaft und die SED-Diktatur – zunächst auf zehn SED-Diktatur widmen sollte. Schwierigkeiten ergaben Jahre befristet – in die institutionelle Förderung auf. Drucksache 17/12115 – 18 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im Jahr 1999 systematisierte die Bundesregierung ihre Un- den derzeit die folgenden Einrichtungen mit thematischem terstützung für Gedenkstätten auf der Grundlage der Ge- Bezug zur kommunistischen Diktatur auf Beschluss des samtkonzeption von 1993 und unter Berücksichtigung der Deutschen Bundestages durch BKM gefördert: Empfehlungen der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen – Gedenkstätte Bautzen (Stiftung Sächsische Gedenk- Einheit“ des Deutschen Bundestags in der „Konzeption der stätten) künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes“ (Bundes- – Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen tagsdrucksache 14/1569). Die Befristung der institutio- nellen Förderung entfiel. Unterstrichen wurde, dass die – Stiftung Berliner Mauer (Gedenkstätte Berliner Mauer Gedenkstätten im gesellschaftlichen Kontext neben der und Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marien- Funktion als Gedenkorte eine herausragende Bedeutung felde) als Lernorte besitzen. Breit gefächerte pädagogische An- – Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau- gebote sind daher unerlässlich, um den Besuchern Infor- Dora (sowjetisches Speziallager) mationen zu den mit den Gedenkorten verbundenen histo- rischen Ereignissen zu vermitteln. – Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) Der Koalitionsvertrag für die 16. Wahlperiode des Deut- schen Bundestags vom 11. November 2005 sah eine Fort- – Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn (Stiftung schreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Gedenkstätten Sachsen-Anhalt) unter „angemessener Berücksichtigung der beiden Dikta- – Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth turen in Deutschland“ vor. Das Ergebnis ist die von BKM unter dem Titel „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei- – Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikow- tung verstärken, Gedenken vertiefen“ vorgelegte Fort- straße Potsdam schreibung der Gedenkstättenkonzeption (Bundestags- – Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Stiftung drucksache 16/9875), die 2008 vom Bundeskabinett Brandenburgische Gedenkstätten) (sowjetisches Spe- beschlossen und vom Deutschen Bundestag mit großer ziallager) Mehrheit gebilligt wurde. – Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Die Fortschreibung der Konzeption basiert auf den Eck- Torgau (Stiftung Sächsische Gedenkstätten). punkten und Grundsätzen der Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999. Des Weiteren fanden die Ergeb- Die institutionelle Förderung von Gedenkstätten wird nisse der Anhörung zur Gedenkstättenkonzeption vor durch Projektförderungen des BKM ergänzt, die klar de- dem Kulturausschuss des Deutschen Bundestages im Fe- finierten und zeitlich begrenzten Arbeitsvorhaben dienen. bruar 2005 Berücksichtigung. Einbezogen wurden auch Voraussetzung ist auch hier eine angemessene Beteili- Überlegungen der in der 15. Legislaturperiode von der gung des Sitzlandes der jeweiligen Gedenkstätte. Ein Ex- Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission zur pertengremium spricht gegenüber BKM Empfehlungen Schaffung eines „Geschichtsverbunds zur Aufarbeitung über die Förderwürdigkeit der beantragten Projekte aus. der SED-Diktatur“. Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption thema- Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption sieht tisiert darüber hinaus eine Fülle herausragender Maßnah- vor, auch die Zusammenarbeit aller Einrichtungen zur men, deren Umsetzung seit 2008 bereits abgeschlossen Geschichte der SBZ und der DDR verstärkt zu fördern. werden konnte: Dabei wird den einzelnen Institutionen die für ihre Arbeit – „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin: notwendige Freiheit gelassen, bewährte Strukturen wer- Hier zeigt die Stiftung Haus der Geschichte der Bun- den gestärkt, neue Wege der Zusammenarbeit beschritten desrepublik Deutschland seit September 2011 unter und Kooperationsprojekte ermöglicht. So hat BKM etwa dem Titel „GrenzErfahrungen“ eine Dauerausstellung das Internet-Kooperationsprojekt „Orte der Repression in zum Alltag der deutschen Teilung. SBZ und DDR“ angestoßen und finanziert, an dem unter Federführung der Stiftung Haus der Geschichte der Bun- – Stiftung Berliner Mauer: Am 20. Jahrestag des Mauer- desrepublik Deutschland mehr als 40 Gedenkstätten be- falls am 11. November 2009 konnte das Besucherzen- teiligt waren (vgl. S. 91). trum in der Bernauer Straße eröffnet werden. Die Open-Air-Ausstellung auf dem ehemaligen Mauer- Eine vertiefte Zusammenarbeit bietet allen Einrichtungen streifen mit dem „Fenster des Gedenkens“ ist seit dem die Chance, Herausforderungen gemeinsam zu meistern. 21. Mai 2010 für die Öffentlichkeit freigegeben. Am Der Kooperationsgedanke bildet deshalb seit 2008 ein ei- 13. August 2011 folgte im Rahmen der zentralen Ge- genes Kriterium für die Förderwürdigkeit von Projekten denkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Baus der von Gedenkstätten und Erinnerungsorten. Berliner Mauer die Einweihung des zweiten Ab- schnitts des Gedenkareals. Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption legt die verstärkte Aufarbeitung der SED-Diktatur unter besonde- – Haus 1/Normannenstraße: Hier befand sich bis 1989 rer Würdigung von Widerstand und Opposition fest. So die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. wurden weitere national bedeutsame Gedenkstätten in die Das marode Gebäude wurde 2010/11 mit Mitteln des Förderung durch BKM aufgenommen. Institutionell wer- Konjunkturprogramms II der Bundesregierung denk- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 19 – Drucksache 17/12115

malgerecht instandgesetzt und grundsaniert. Seit Ja- formierte. Das Deutsche Historische Museum zeigte die nuar 2012 ist dort das STASI MUSEUM der Antistali- Sonderausstellung „1990 – Der Weg zur Einheit“ (Juni nistischen Aktion (ASTAK) und des BStU für die 2010 bis Januar 2011). In der Erinnerungsstätte des Bun- Öffentlichkeit zugänglich. desarchivs für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt konnte die Dauerausstellung um ei- – Forschungsprojekt „Die Todesopfer an der Berliner nen Schwerpunkt zu den Freiheitsbewegungen in der Mauer 1961 bis 1989“: Die Gedenkstätte Berliner DDR erweitert werden (November 2009). Mauer und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam haben in einem gemeinsamen Projekt die ge- Der damalige Bundespräsident Horst Köhler erinnerte am naue Zahl, Identität und das Schicksal der Todesopfer, 9. Oktober 2009 in Leipzig im Rahmen eines Festakts an die das DDR-Grenzregime zwischen 1961 und 1989 die entscheidende Demonstration in der Stadt 20 Jahre an der Mauer in und um Berlin forderte, ermittelt und zuvor. Die Bundesregierung und die anderen Verfas- in einer Publikation dargestellt. sungsorgane begingen die Jubiläen mit Festakten am – Stelenprojekte in Berlin und Leipzig: In beiden Städ- 9. November 2009 – zusammen mit dem Land Berlin – ten wurden an Orten, die für die Friedliche Revolution am Brandenburger Tor und am 3. Oktober 2010 am Tag 1989/90 Bedeutung erlangten – insbesondere in Hin- der Deutschen Einheit in Bremen. Anlässlich des 20. Jah- blick auf Opposition und Widerstand –, entsprechende restags der Unterzeichnung des Einigungsvertrags hatten Informationstafeln errichtet. zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Beauf- Die genannten Projekte werden im Bericht in den jeweili- tragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, gen Kapiteln bzw. unter der mit der Umsetzung betrauten Staatsminister Bernd Neumann, am 31. August 2010 am Einrichtung ausführlich behandelt. Dies gilt auch für fol- historischen Ort der Unterzeichnung im Berliner Kron- gende Vorhaben, die gegenwärtig umgesetzt werden: prinzenpalais eine Gedenktafel enthüllt. – Umbau und Sanierung der Gedenkstätte Berlin-Ho- Die Jubiläen von Friedlicher Revolution und Wiederver- henschönhausen sowie Einrichtung einer Daueraus- einigung führten durch die vielseitigen Veranstaltungen stellung und eine breite mediale Begleitung zu einem gesteigerten – Einrichtung einer Dauerausstellung zur Geschichte Interesse an den Ereignissen von 1989/90 und an der Ge- des Alltags in der SED-Diktatur durch die Stiftung schichte der DDR allgemein. Sie wirkten damit im Sinne Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Aufarbeitung des SED-Unrechts, da die Beschäfti- in der Kulturbrauerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer gung mit diesen Themen das Wissen der Bürgerinnen und Berg Bürger über die DDR und ihren Diktaturcharakter ver- breiterte und vertiefte. – Errichtung der Denkmäler für Freiheit und Einheit in Berlin und Leipzig. 3 Rehabilitierung und Entschädigung  Nach dem erfolgreichen Vorbild der Fortschreibung der der Opfer Gedenkstättenkonzeption des Bundes haben auch Bran- denburg und Thüringen in Grundsatzpapieren zur Erinne- Die Rehabilitierungsgesetze sollen die Opfer der SED- rungskultur Leitlinien zum Umgang u. a. mit dem Erbe Diktatur würdigen, rehabilitieren und entschädigen. Dazu der SED-Diktatur festgelegt. hat der Gesetzgeber auf der Grundlage von Artikel 17 des Einigungsvertrages das Strafrechtliche, das Verwaltungs- rechtliche und das Berufliche Rehabilitierungsgesetz ge- Freiheit und Einheit – das Jubiläum von schaffen. Die Gesetze stellen sicher, dass alle Personen Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch mo- 2009/2010 tivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder einer sonstigen In den Jahren 2009 und 2010 feierte die Bundesrepublik rechtsstaats- und verfassungswidrigen Entscheidung in Deutschland die 20. Jahrestage des Mauerfalls und der der DDR bzw. zuvor in der SBZ waren. Die Betroffenen Deutschen Einheit. Anlässlich dieses Jubiläums fand mit haben dadurch die Möglichkeit erhalten, sich vom Makel finanzieller Unterstützung der Bundesregierung und unter persönlicher Diffamierung zu befreien. Der Gesetzgeber maßgeblicher Beteiligung der Einrichtungen des Bundes hat die Rehabilitierungsgesetze mit angemessenen Ent- eine Vielzahl von Veranstaltungen statt, die die histori- schädigungsregelungen verbunden. Die Rehabilitierungs- schen Ereignisse 1989 und 1990 würdigten. Sie reichten gesetze sind damit ein wichtiger Baustein bei der rechts- von Ausstellungen wie beispielsweise der von BKM ge- staatlichen Aufarbeitung des von der SED-Diktatur förderten großen Open-Air-Präsentation der Robert-Ha- begangenen Unrechts. vemann-Gesellschaft über die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung auf dem Berliner Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (Mai 2009 bis Oktober 2010) über das vom BMI und al- len Ländern finanzierte Zeitzeugenportal der Bundesstif- Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vom 29. Okto- tung Aufarbeitung bis hin zur „Deutschlandtour“ des ber 1992 ermöglicht die Aufhebung rechtsstaatswidriger Bundespresseamtes, die als mobile Ausstellung im Entscheidungen von deutschen Gerichten in der DDR Sommer 2010 bis zum Tag der Deutschen Einheit an bzw. zuvor in der SBZ über Freiheitsentziehung und da- 50 Orten im ganzen Land über die Wiedervereinigung in- mit die Rehabilitierung der Betroffenen durch Gerichts- Drucksache 17/12115 – 20 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode beschluss. Die strafrechtliche Rehabilitierung begründet Rechnung zu tragen. So wurde die rehabilitierungsrechtli- Ansprüche auf soziale Ausgleichsleistungen wie bei- che Situation der Betroffenen in der 14. und 15. Legisla- spielsweise die Kapitalentschädigung für rechtsstaatswid- turperiode zum Teil erheblich verbessert; Bund und Län- rige Haftzeiten in Höhe von 306,78 Euro je Haftmonat der haben die entsprechenden Mittel aufgestockt. Das und Versorgungsleistungen bei haftbedingten Gesund- Dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- heitsschäden. Wirtschaftlich Bedürftige erhalten Unter- cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in stützungsleistungen oder – seit 2007 – eine besondere Zu- der ehemaligen DDR hat in der 16. Legislaturperiode die wendung für Haftopfer in Höhe von monatlich 250 Euro, besondere Zuwendung für Haftopfer eingeführt, die soge- wenn sie in der DDR eine mit wesentlichen Grundsätzen nannte SED-Opferrente (siehe S. 19). einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unverein- bare Freiheitsentziehung von mindestens 180 Tagen er- Weitere Verbesserungen brachte das in der laufenden Le- litten haben, die sogenannte SED-Opferrente. Diese gislaturperiode in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Ver- Leistungen stehen auch Verfolgten zu, die bereits vor In- besserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für krafttreten des StrRehaG als politische Häftlinge der Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen SED-Diktatur nach dem Häftlingshilfegesetz anerkannt DDR. Im Bereich der besonderen Zuwendung für Haft- worden sind. Die strafrechtliche Rehabilitierung ist zu- opfer ist jetzt u. a. ein Kinderfreibetrag vorgesehen; zu- dem Voraussetzung für die Rückgabe von Vermögens- sätzlich bleibt das Kindergeld anrechnungsfrei. Weiterhin werten, die im Zusammenhang mit der aufgehobenen gilt die Härtefallregelung des StrRehaG jetzt auch für die Entscheidung eingezogen worden sind, oder für eine ent- besondere Zuwendung. Zudem wurde ausdrücklich klar- sprechende Entschädigung. gestellt, dass das StrRehaG auch auf Personen Anwen- dung findet, die zum Zwecke der politischen Verfolgung oder aus sonstigen sachfremden Gründen in Kinderhei- Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungs- men oder Jugendwerkhöfen der DDR untergebracht wa- gesetz ren. Darüber hinaus hat das Gesetz verschiedene Verfah- Gegenstand des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie- rensverbesserungen gebracht und die Antragsfristen in rungsgesetzes vom 23. Juni 1994 ist die Aufhebung ele- allen drei Rehabilitierungsgesetzen letztmalig bis zum mentar rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen der 31. Dezember 2019 verlängert. Die besondere Zuwen- DDR-Organe oder die Feststellung der Rechtsstaatswid- dung für Haftopfer kann jedoch nach wie vor unbefristet rigkeit dieser Akte. Bis heute fortwirkende Folgen wer- beantragt werden. den durch soziale Ausgleichsmaßnahmen gemildert, Nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz soweit die Verwaltungsmaßnahmen zu einer gesundheitli- sind seit Inkrafttreten 10 400 positive Bescheide ergan- chen Schädigung, zu einem Eingriff in die Vermögens- gen; Anträge nach dem Beruflichen Rehabilitierungsge- werte oder in den Beruf geführt haben. Die Betroffenen setz wurden seit Inkrafttreten in 67 398 Fällen positiv be- können dann ggf. Ansprüche nach dem Bundesversor- schieden (Stand jeweils 31. Dezember 2011). gungsgesetz (Beschädigtenversorgung), nach dem Ver- mögensgesetz (Rückübertragung oder Entschädigung) Am 31. Dezember 2011 bezogen 47 434 Personen die be- bzw. dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz geltend ma- sondere Zuwendung für Haftopfer. Seit Inkrafttreten des chen. StrRehaG haben Bund und Länder bis zu diesem Stichtag rund 1,2 Mrd. Euro für die Zahlung von Kapitalentschädi- gung und besonderer Zuwendung für Haftopfer aufge- Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz wendet. Ein signifikanter Rückgang der Antragszahlen Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 auf strafrechtliche Rehabilitierung ist bislang nicht fest- hat das Ziel, noch heute spürbare Auswirkungen verfol- zustellen: Zwischen 2002 und 2011 (einschließlich) ha- gungsbedingter Eingriffe in den Beruf oder die Ausbil- ben 38 477 Betroffene die gerichtliche Rehabilitierung dung auszugleichen. Es knüpft an das Strafrechtliche und beantragt. das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz an. Für die Durchführung der Rehabilitierungsgesetze haben Kernstück des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes ist Bund und Länder in den Haushaltsjahren 1993 bis ein- der Ausgleich von Nachteilen in der Rente. Darüber hi- schließlich 2011 insgesamt rund 1,4 Mrd. Euro zur Verfü- naus sieht das BerRehaG in § 8 Ausgleichsleistungen für gung gestellt. Verfolgte vor, die in ihrer wirtschaftlichen Lage beson- ders beeinträchtigt sind. Die Beschädigtenversorgung nach dem Die Aus- und Durchführung dieser drei Rehabilitierungs- Bundesversorgungsgesetz gesetze obliegt den Ländern. Zum Vollzug der Gesetze wurden in den neuen Ländern Rehabilitierungsbehörden Betroffene nach dem Strafrechtlichen und dem Verwal- eingerichtet, die über Anträge auf berufliche und verwal- tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die infolge der tungsrechtliche Rehabilitierung entscheiden. Die straf- Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung er- rechtliche Rehabilitierung obliegt den Gerichten. litten haben, sowie deren Hinterbliebene können wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Die Bundesregierung ist darauf bedacht, das System der Schädigung Versorgungsleistungen in entsprechender Rehabilitierung und Entschädigung von SED-Unrecht Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) er- laufend zu überprüfen und offenbarem Regelungsbedarf halten. Das BVG wurde ursprünglich für die Kriegsopfer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 21 – Drucksache 17/12115 und deren Hinterbliebene geschaffen, sein Leistungsspek- viele Säuglinge, Kinder und Jugendliche in den Heimen trum wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten auf weitere zum Alltag. Noch heute leiden sie an den Konsequenzen. Personenkreise übertragen, z. B. auf Wehr- und Zivil- Vor allem in den Spezialheimen und Jugendwerkhöfen dienstopfer und Opfer von Gewalttaten. der Jugendhilfe wurden Menschenrechte massiv verletzt. Die Beschreibungen der Betroffenen reichen von fehlen- Kennzeichnend für dieses Leistungssystem ist, dass sich der menschlicher Zuwendung über mangelnde schulische die Versorgung nach Umfang und Schwere der Schädi- und berufliche Bildungsangebote, unsachgemäßen Ar- gungsfolgen und dem jeweiligen Bedarf aus mehreren beitseinsatz bis hin zu drastischen Strafen, die sich auch Einzelleistungen zusammensetzt und so in schweren gegen elementarste Bedürfnisse der Kinder und Jugendli- Schadensfällen zu beachtlichen Leistungen kumulieren chen richteten. Typisch für die Heimerziehung in der kann, die im Prinzip einem vollen Ausgleich des gesund- DDR war eine an den Strafvollzug erinnernde Organisa- heitlichen Schadens gleichkommen. Die Rentenleistun- tion in vielen Einrichtungen. Der ausgeübte Zwang und gen an Geschädigte und Hinterbliebene werden ohne Be- die Gewalt stützten sich in starkem Maße auf den politi- rücksichtigung des Einkommens gezahlt, während die schen Auftrag einer „Umerziehung“ im Kollektiv zu „all- Höhe anderer Leistungen vom Einkommen des Berech- seitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“. Die tigten abhängig ist. Erlebnisse in den Heimen führten bei vielen Betroffenen In den Vordergrund der Leistungen hat das Gesetz die zu massiven Beeinträchtigungen der Lebenschancen und Heilbehandlung wegen der Folgen der gesundheitlichen Entwicklungspotenziale, die zusammen mit den Heimer- Schädigung einschließlich der medizinischen Rehabilita- lebnissen bis heute traumatisch nachwirken. tion gestellt. Die Heilbehandlung soll die Gesundheitsstö- rung beseitigen oder bessern, ihre Zunahme verhüten, Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeut- körperliche Beschwerden beheben und die Folgen der schen Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerzie- Schädigung erleichtern. Sie wird daher – ihrem Zweck hung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ mit einem entsprechend – auch bei nur vorübergehenden Gesund- Volumen von insgesamt 40 Mio. Euro. Daraus stehen heitsstörungen erbracht. Ein Anspruch auf Rentenleistun- ehemaligen DDR-Heimkindern, die in den Jahren 1949 gen liegt vor, wenn die Gesundheitsstörung mindestens bis 1990 in einem Heim der Jugendhilfe oder einem Dau- sechs Monate andauert und der Grad der Schädigungsfol- erheim für Säuglinge und Kleinkinder untergebracht wa- gen beim Geschädigten im Durchschnitt in dieser Zeit ren und denen Unrecht und Leid zugefügt wurde, Hilfen mindestens 25 beträgt. Sind Maßnahmen zur medizini- und Unterstützungsleistungen bei heute noch vorhande- schen oder beruflichen Rehabilitation erfolgversprechend nen Folgeschäden und/oder bei Minderung von Renten- und zumutbar, so kommt die Zahlung von Renten, die für ansprüchen zur Verfügung. Der Bund und die ostdeut- den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, wie z. B. Aus- schen Länder haben damit auf Grundlage ihres o. g. gleichsrente und Berufsschadensausgleich, erst nach Ab- Berichtes Hilfsangebote entwickelt, die sich an den Vor- schluss dieser Maßnahmen in Betracht. schlägen des „Runden Tisches Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ für ehemalige Heimkinder in West- Das BVG nimmt den Geschädigten die Mehraufwendun- deutschland orientieren. Die Möglichkeit einer Rehabili- gen ab, die diese durch die gesundheitlichen Folgen der tierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz Schädigung haben, und sichert ihnen und den Hinterblie- bleibt davon unberührt. benen, wenn der Ersatz des Schadens nicht ausreicht, ei- nen angemessenen Lebensunterhalt. Informationen zu konkreten Hilfsangeboten, zum Verfah- ren für die Vereinbarung von Leistungen und die Kontakt- Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren daten der regionalen Anlauf- und Beratungsstellen in den 1949 bis 1990“ Ländern, an die Betroffene sich wenden können, stehen auf der Website www.fonds-heimerziehung.de zur Verfü- Die Jugendminister und Jugendministerinnen der ostdeut- gung. schen Bundesländer und der Deutsche Bundestag haben im Mai bzw. Juli 2011 Beschlüsse zur Würdigung und Anerkennung des Leids ehemaliger Heimkinder aus der 4 Opferverbände DDR gefasst. Als ersten Schritt zur Umsetzung dieser Die Union der Opferverbände Kommunistischer politischen Vorgaben haben die Bundesministerin für Fa- Gewaltherrschaft e.V. milie, Senioren, Frauen und Jugend, der Beauftragte der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Neuen In der Union der Opferverbände Kommunistischer Ge- Bundesländer und die Jugendministerinnen und Jugend- waltherrschaft e.V. (UOKG), 1992 gegründet, sind mehr minister der ostdeutschen Bundesländer unter Beteiligung als 30 Verbände aus der gesamten Bundesrepublik organi- der Betroffenen im März 2012 den Bericht „Aufarbeitung siert, deren gemeinsames Ziel darin besteht, an das Leid der Heimerziehung in der DDR“ vorgelegt. Er basiert auf der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu erin- drei vom Beauftragten der Bundesregierung für die nern. Zweck des Vereins ist als Dachverband die Förde- Neuen Bundesländer initiierten Expertisen (Rechtsfragen, rung, Koordinierung und Unterstützung der ihm ange- Erziehungsvorstellungen, Traumatisierungen). Als Ge- schlossenen Opferorganisationen. Weiter sieht die UOKG samtergebnis wird im Bericht festgehalten, dass die ihre Aufgabe in der Klärung des Schicksals Verschlepp- Heimerziehung in der DDR insgesamt kein Unrechtssys- ter, in der Aufklärung und Aufarbeitung kommunistischer tem darstellt. Dennoch gehörten Zwang und Gewalt für Verbrechen, in der Beratung und Unterstützung der Opfer Drucksache 17/12115 – 22 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode sowie in der Vertretung ihrer Forderungen bei Parlamen- – Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V. ten und Regierungen. – Initiativgruppe NKWD-Lager TOST/Oberschlesien Dies betrifft etwa die besondere Zuwendung für Haft- 1945 opfer (SED-Opferrente), bei der die Stichtagregelung von – Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge 180 Tagen und die Koppelung an wirtschaftliche Bedürf- e.V. (IEDF) tigkeit (siehe oben S. 30) bemängelt werden. Die Opfer- rente solle, so die Auffassung der UOKG, zu einer „Eh- – Interessengemeinschaft zur Aufarbeitung der SED- renpension“ umgestaltet werden, die nicht nur jedem Diktatur und ihrer Folgen früheren politischen Häftling zugutekommen soll, son- dern allen, die unter politischer Verfolgung in der DDR – Interessengemeinschaft Zwangsausgesiedelter Sach- gelitten haben. Diese sei besonders deshalb notwendig, da sen-Anhalt e.V. die Träger und Funktionäre der SED-Diktatur vom Bun- – Internationale Gesellschaft für Menschenrechte e.V. desverfassungsgericht ihre Systemrenten zugesprochen (IGFM) bekommen hätten. Im Interesse der sozialen Gerechtig- keit sei deshalb ein entsprechender Ausgleich für die Op- – Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion fer herzustellen. Darüber hinaus plädiert die UOKG für – Menschenrechtszentrum Cottbus die Einführung einer Beweislastumkehr bei der Anerken- nung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. – OvZ-DDR e.V. Hilfe für Opfer von DDR-Zwangs- adoptionen Die UOKG setzt sich dafür ein, dass an einem zentralen Platz in Berlin ein Mahnmal zum Gedenken an alle Opfer – Pro Universitätskirche e.V., Leipzig der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland – SED-Opferhilfe e.V. errichtet wird. BKM unterstützt die vertiefte wissen- schaftliche und gesellschaftliche Diskussion über ein sol- – Stasiopfer-Selbsthilfe e.V. ches zentrales Mahnmal projektbezogen. – Verband ehemaliger Rostocker Studenten (VERS) Die UOKG hat ihren Sitz im Gebäude Haus 1 des ehema- – Verband politisch Verfolgter des Kommunismus e.V. ligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Ber- (VPVDK) lin-Lichtenberg. Gemeinsam mit dem BSV-Förderverein für Beratungen e.V. gibt sie, gefördert durch die Bundes- – VOK Deutschland e.V. – Vereinigung der Opfer des stiftung Aufarbeitung, die Informationszeitschrift „der Kommunismus stacheldraht“ heraus. – Ehemalige politische Häftlinge in der CDU Mitglieder und Assoziierte der UOKG: – Ehemalige politische Häftlinge in der SPD – Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. – Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 bis 1950 e.V. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. (VOS) wurde am 9. Februar 1950 von den aus sowjetischem Ge- – Bellevue-Gruppe e.V. wahrsam zurückgekehrten Kriegsgefangenen, Internier- – Bund der Vertriebenen e.V. ten und in der SBZ und der DDR zu Haftstrafen Verurteil- ten in Berlin gegründet. Aus dieser Zeit stammt der Name – Bürgerkomitee Sachsen-Anhalt e.V. des Vereins, dem später die Bezeichnung „Gemeinschaft – Cottbuser Häftlingsgemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge“ vorangestellt wurde. Die VOS war bis zum Untergang der DDR Zielobjekt der – DDR-Museum in Pforzheim Ausspionierung und versuchten Unterwanderung durch – Doping-Opfer-Hilfe e.V. die Staatssicherheitsorgane der DDR. – Fördergemeinschaft Recht & Eigentum e.V. Öffentlichkeitsarbeit sowie Betreuung und Beratung der Mitglieder stellen neben den Aktivitäten zur Durchset- – Forum zur Aufklärung und Erneuerung e.V. zung von Forderungen nach Wiedergutmachung von – Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen Schäden aus politischer Verfolgung die Schwerpunkte der Tätigkeit der VOS dar. Die VOS ist in den einzelnen Län- – Freiheit e.V. Erfurt dern in Landes- und Bezirksgruppen vertreten, deren Ge- – Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus schäftsstellen Beratung für Opfer der SED-Diktatur Berlin anbieten. Die Vereinigung gibt das Mitteilungsblatt „Frei- heitsglocke“ heraus und verfügt über ein umfangreiches – Initiative verfolgter Schüler und Studenten (Berlin) Archiv, das ihr jahrzehntelanges Wirken sowie besondere Opferschicksale dokumentiert. – Initiativgruppe „Lager X Berlin-Hohenschönhausen“ Die langjährig in Bonn ansässige Bundesgeschäftsstelle – Initiativgruppe Internierungslager Jamlitz e.V. der VOS ist im Juli 1998 wieder an den Gründungsort – Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf e.V. nach Berlin zurückgezogen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23 – Drucksache 17/12115

5Beratung tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ergänzt. Bundesweite Beratungsangebote für die Opfer des SED-Unrechts Drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit psychothera- peutischen, sozialpädagogischen und psychologischen In der gesamten Bundesrepublik bestehen Beratungsan- Qualifikationen bieten in der Beratungsstelle psycho- gebote, die zumeist ehrenamtlich von Initiativen, Verei- soziale Begleitung und psychotherapeutische Hilfen im nen und Verbänden auf der lokalen Ebene getragen wer- Umgang mit den anhaltenden Folgen politischer Trauma- den. Eine Zusammenstellung bietet die Publikation tisierung an. Das Angebot ist niedrigschwellig und kos- „Übersicht über Beratungsangebote für Opfer politischer tenfrei, d. h., es ist keine Überweisung durch einen Arzt Verfolgung in der SBZ/DDR“ der Bundesstiftung Aufar- oder Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfor- beitung. Die Broschüre bietet einen Überblick über Bera- derlich. tungs- und Hilfsangebote in allen 16 Ländern und führt insgesamt 112 Vereine und Institutionen auf, die für Be- Das Angebot der Beratungsstelle umfasst die Unterstüt- troffene zur Verfügung stehen. Mit der fünften Auflage zung in entschädigungs- bzw. versorgungsrechtlichen Fra- 2010 wurden bisher insgesamt über 20 000 Exemplare gen, psychotherapeutische Hilfen bei Folgeerkrankungen dieses Hilfsmittels gedruckt und von Ratsuchenden sowie nach politischer Haft und Zersetzungsmaßnahmen, die Be- Ämtern und Vereinen genutzt. ratung von Angehörigen, die Initiierung von Selbsthilfe- gruppen und die Anleitung von Gruppen zur Verarbeitung In Berlin besteht darüber hinaus die aus privater Initiative von traumatischen Erlebnissen. Die Beratungsarbeit wird gegründete Beratungsstelle Gegenwind, die als einzige durch wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentli- Einrichtung der Opferberatung bundesweit tätig ist. Die chungen fundiert. Des Weiteren unterstützt die Bera- Beratungsstelle Gegenwind für politisch Traumatisierte tungsstelle Einrichtungen zur Beratung ehemals politisch der SED-Diktatur wurde 1998 nach einer fünfjährigen Verfolgter mit Weiterbildungsangeboten und Supervision. Projekt- und Aufbauphase für Menschen eröffnet, die un- Gutachten zum medizinisch-psychologischen Nachweis ter der Herrschaft der SED politischer Verfolgung, Inhaf- von haftbedingten Gesundheitsschäden werden auf An- tierung und psychischer Zersetzung ausgesetzt waren. frage von Versorgungsämtern oder Sozialgerichten er- Die Bestrebungen zur Gründung einer eigenständigen Be- stellt. Die Angebote vor Ort werden größtenteils von ratungsstelle entwickelten sich aus der Arbeit einer Kon- Berlinern und Brandenburgern genutzt. Telefonische Be- takt- und Beratungsstelle in Berlin-Moabit, dem damali- ratungen, Email- und Briefanfragen erfolgen bundes- gen „Treffpunkt Walzstraße“, der 1979 gegründet wurde. weit.3 Der Treffpunkt wurde über die Jahre zu einem Anlauf- punkt für Menschen aus der DDR, die mit den psychi- Gegenwind schätzt anhand der Anfragen in der Bera- schen und sozialen Belastungen ihrer Verfolgungserfah- tungsstelle das bundesweite Beratungs- und Betreuungs- rung zu kämpfen hatten. angebot als bislang unzureichend ein. Spezialisierte psy- chosoziale und psychotherapeutische Angebote fehlten Gegenwind ist bundesweit die einzige psychosoziale Ein- demnach in der Fläche. richtung speziell für politisch Traumatisierte der DDR. Seit Bestehen des Beratungsangebots kam es bundesweit Weiter verhindere der politische Verfolgungskontext der zu ca. 10 000 Beratungskontakten. Insgesamt schätzt ein traumatischen Erfahrungen in der Regel, dass die Betrof- Expertengutachten im Auftrag der Konferenz der Landes- fenen in die psychiatrisch-psychotherapeutische Regel- beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- versorgung integriert werden könnten, so die Beratungs- dienstes der ehemaligen DDR die Anzahl der durch poli- stelle. tische Repression in der DDR latent oder manifest psychisch beeinträchtigten bzw. gestörten Personen auf Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige wenigstens 300 000.2 DDR-Heimkinder Die psychosoziale Beratungsarbeit von Gegenwind sah Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeutschen sich nach einer Anschubfinanzierung und weiteren Teilfi- Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerziehung in der nanzierung durch den Berliner Landesbeauftragten, den DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ (vgl. S. 21). Für die Berliner Senat und die Bundesstiftung Aufarbeitung über Information und Betreuung Betroffener sowie die viele Jahre einer unsicheren Projektförderung und wie- Vereinbarung von konkreten Hilfen und Unterstützungs- derholter Schließungsgefahr ausgesetzt. Nach 17 Jahren leistungen sind in den ostdeutschen Ländern regionale psychosozialer Arbeit erfolgte 2010 die Zusage einer fi- Anlauf- und Beratungsstellen eingerichtet worden. Die nanziellen Grundsicherung für einen Zeitraum von sieben Vereinbarungen werden in einem gemeinsamen Bera- Jahren. Aus Mitteln des Mauergrundstückfonds werden rund 80 000 Euro jährlich durch den Berliner Senat be- 3 Circa die Hälfte der Anfragen an die Berliner Beratungsstelle Gegen- reitgestellt und durch Mittel des Berliner Landesbeauf- wind erfolgt gegenwärtig aus dem gesamten Bundesgebiet. Insbeson- dere die Gruppe der Ratsuchenden aus den alten Ländern nimmt in jüngster Zeit deutlich zu und äußert umfassende psychosoziale Bera- 2 Freyberger, Harald J.; Frommer, Jörg; Maercker, Andres; Steil, tungsanliegen – von grundlegenden Rehabilitierungsfragen bis hin zu Regina: Gesundheitliche Folgen politischer Haft in der DDR. Dres- psychotherapeutischem Versorgungsbedarf aufgrund jahrelang ver- den: Konferenz der Landesbeauftragten für die Unterlagen des schleppter chronifizierter Traumafolgen mit häufig krisenhaften Zu- Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 2003. spitzungen. Drucksache 17/12115 – 24 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode tungsgespräch getroffen. Die Kontaktdaten der regionalen Stand gehalten wird. Pressemitteilungen informieren über Anlauf- und Beratungsstellen in den Ländern, an die Be- Gesetzesänderungen. troffene sich wenden können, stehen auf der Website www.fonds-heimerziehung.de zur Verfügung. Eine Beratung für die Opfer der SED-Diktatur wird über die Rehabilitierungsbehörde hinaus durch verschiedene Behörden bzw. Institutionen angeboten: Die mit Rehabili- Beispielhafte Beratungsangebote der Länder  tierungsangelegenheiten betrauten Mitarbeiter im Minis- für die Opfer des SED-Unrechts terium des Innern beraten sowohl in laufenden Rehabili- tierungsverfahren als auch insbesondere im Vorfeld, um Da die Aus- und Durchführung der Rehabilitierungsge- den Betroffenen bei der Antragstellung zu helfen. Zur setze den Ländern obliegt, wurden zum Vollzug der Ge- Aufarbeitung des persönlichen Schicksals der von der setze in den neuen Ländern Rehabilitierungsbehörden SED-Diktatur Verfolgten arbeitet das Ministerium des In- eingerichtet. Damit verbunden sind auch Beratungsange- nern auf der Grundlage einer Vereinbarung vom 2. Fe- bote für Opfer der SED-Diktatur. Diese bestehen für die bruar 2001 erfolgreich mit dem Berliner Landesbeauf- Bereiche der Rehabilitierung und der Einsicht in die Un- tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes terlagen des MfS als auch für psychosoziale und medizi- der ehemaligen DDR zusammen. Außerdem hat die Lan- nische Beratung. Über die neuen Länder hinaus existieren desregierung im Jahr 2010 dem hohen Bedarf an Bera- Beratungsangebote auch in Hessen und Niedersachsen. tung auf Seiten der Opfer der SED-Herrschaft Rechnung Der Bund beteiligt sich über die Bundesstiftung Aufarbei- getragen, indem sie das Amt der Landesbeauftragten zur tung an der Finanzierung unterschiedlicher Beratungs- Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur angebote. So hat die Bundesstiftung seit 1998 etwa 2 Mio. (LAkD) beim Präsidenten des Landtages Brandenburg Euro für die Unterstützung von Beratungstätigkeit, insbe- eingerichtet hat. sondere auch bei den Landesbeauftragten für die Stasi- Unterlagen, zur Verfügung gestellt. Hessen

Berlin Die Beratung und Durchführung im Rahmen der SED- Unrechtsbereinigungsgesetze, soweit es die Gewährung In Berlin bietet der Landesbeauftragte für die Unterlagen von Leistungen betrifft, obliegt in Hessen den Entschädi- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Bera- gungsbehörden bei den drei Regierungspräsidenten und, tungsangebote für Bürgerinnen und Bürger an, und zwar soweit gesundheitliche Schädigungen eingetreten sind, zur Antragstellung auf Auskunft, Einsicht und Heraus- den sechs Hessischen Ämtern für Versorgung und Sozia- gabe von Stasi-Akten nach dem Stasi-Unterlagengesetz, les. zur Rehabilitierung und Entschädigung nach den SED- In Ausführung eines Beschlusses des Hessischen Landta- Unrechtsbereinigungsgesetzen, zur Rente, zur Behand- ges vom April 2010, der das Ziel verfolgt, die Beratung lung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden und zu von Opfern der SED-Diktatur in Hessen weiter zu verbes- den Archiven, in denen sich wichtige Unterlagen aus der sern, hat die Landesregierung eine Reihe von Maßnah- Zeit der DDR befinden. Behörden werden zu Fragen der men ergriffen bzw. umgesetzt. So werden u. a. von der Bewertung einer Tätigkeit für das MfS in der Einzelfall- Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung regel- prüfung und zur einschlägigen Rechtsprechung beraten. mäßig Fortbildungen unter Einbeziehung von Betroffe- nen und Experten angeboten, die Landesbedienstete in Brandenburg der Beratung von SED-Opfern noch stärker für ihre Auf- gabe sensibilisieren sollen. Die Mitarbeiter der Rehabilitierungsbehörde in Branden- burg haben bereits mit Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jahre Seit Januar 2010 steht auf der Internetseite des Hessi- 1994 einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Beratung von schen Sozialministeriums ein Informationsangebot zur politisch Verfolgten gesehen. Gerade in der Anfangszeit SED-Opferentschädigung zur Verfügung. Hier wird zum der Behörde war die Nachfrage nach Beratung durch die einen auf die nach den Rehabilitierungsgesetzen mögli- Betroffenen sehr hoch, denn viele Erlebnisse waren noch chen Leistungen hingewiesen, zum anderen werden Zu- sehr frisch und nicht aufgearbeitet. Besonders nach einer ständigkeiten und Kontakte benannt. Die entsprechenden möglichen Wiedergutmachung der erlittenen Verfolgungs- Informationen der Hessischen Landeszentrale für Politi- sche Bildung sind verlinkt. Das Regierungspräsidium schäden wurde gefragt. Gleichzeitig war es erforderlich, Gießen hat eine Facharztstelle Neurologie/Psychologie sich in die neue Rechtsmaterie der Rehabilitierungsge- eingerichtet, die sich schwerpunktmäßig um die Begut- setze und auch in angrenzende Rechtsgebiete wie z. B. achtung von Folgeschäden durch die SED-Diktatur und das allgemeine Sozialrecht, das Rentenrecht, das Straf- das entsprechende Qualitätsmanagement kümmert. rechtliche Rehabilitierungsgesetz, das Häftlingshilfege- setz und das Recht offener Vermögensfragen einzuarbei- Auch das Schwerpunktprojekt „Politisch-historische Auf- ten, um die Antragsteller umfassend beraten zu können. arbeitung der SED-Diktatur“ bei der Landeszentrale für Zur Unterstützung der genannten Beratungen hat die Be- Politische Bildung versteht sich als Anlaufstelle für SED- hörde schon im ersten Jahr ihres Bestehens eine Informa- Opfer in Hessen und schafft ihnen damit eine Möglich- tionsbroschüre herausgegeben, die immer auf aktuellem keit, mit ihren Fragen und Nöten Gehör zu finden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25 – Drucksache 17/12115

Mecklenburg-Vorpommern oder zwei Berater des Caritasverbandes für das Bistum Magdeburg e.V. übernommen, unterstützt von bis zu zwei Die Geschäftsstelle der Landesbeauftragten Mecklenburg- Mitarbeitern des Bundesbeauftragten für die Unterlagen Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiens- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR aus tes der ehemaligen DDR in Schwerin steht Bürgern bei den Außenstellen Halle oder Magdeburg. Anträge auf Fragen zur Akteneinsicht, zu möglichen Rehabilitie- strafrechtliche Rehabilitierung, berufliche Rehabilitie- rungsverfahren, zur sogenannten SED-Opferrente oder rung und Anträge an die Stiftung für ehemalige politische auch bei allgemeinem Gesprächsbedarf zum Thema Häftlinge in Bonn erforderten einen erheblichen Bera- DDR-Vergangenheit und Staatssicherheit zur Verfügung. tungsbedarf. Fast alle beratenen Personen stellten einen Fester Bestandteil ihres Beratungsangebotes sind die Antrag auf Einsicht in „ihre“ Stasi-Akte. monatlichen Beratungstage in Rostock sowie externe Be- ratungstage. Eine Übersicht über Beratungstage im lau- In mehreren Fällen wurde eine weiterführende psychoso- fenden Jahr findet sich auf der Homepage der Geschäfts- ziale Beratung gewünscht. Dieses zusätzliche Angebot stelle. – ermöglicht durch den Einsatz der Berater der Caritas auch über die Beratungstage hinaus – konnte im Jahr Niedersachsen 2010 erstmals in dieser Form der „Niederschwelligen Langzeitberatung“ angeboten werden. Sie wurde stark Auch das Land Niedersachsen sieht in der Aufarbeitung nachgesucht. des SED-Unrechts und der Anerkennung seiner Opfer ein herausragendes politisches Anliegen. Im Niedersächsi- In Zusammenarbeit mit der Behörde des Landesbeauf- schen Ministerium für Inneres und Sport wurde deshalb tragten für die Stasi-Unterlagen bietet die Universitätskli- eine eigene Beratungsstelle für Opfer der SED-Diktatur nik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in eingerichtet. Die Beratungsstelle ist Anlaufstelle für die Magdeburg eine psychosoziale Beratung für SED-Ver- zahlreichen Opfer der SED-Diktatur, die hier leben. folgte an. Um im Flächenland Niedersachsen möglichst viele be- troffene Personen zu erreichen, werden regelmäßig Bera- Thüringen tungstage in verschiedenen Städten durchgeführt. Die Be- ratungen finden in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Um die Beratung der Betroffenen von SED-Unrecht zu Sachsen-Anhalt statt; auch Vertreter der in Niedersachsen gewährleisten, bildet die Förderung der Opferverbände organisierten Opferverbände bzw. des Niedersächsischen und der Beratungsinitiative (siehe unten) durch die Lan- Netzwerks für SED- und Stasiopfer als Betroffene neh- desregierung eine wichtige Grundlage. Entsprechend der men an diesen Beratungen teil, um mit ihrer Fachkompe- Richtlinie zur Gewährung von Zuschüssen für Angebote tenz die Veranstaltungen zu unterstützen. zur Beratung, Betreuung und Aufarbeitung von SED-Un- recht vom 9. Juli 2012 bezieht sich die Förderung bei den Das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend Verbänden auf Sachausgaben der bestehenden Beratungs- und Familie, zuständig für die Anerkennung von Gesund- stellen sowie Projekte und Betreuungsmaßnahmen. Da- heitsstörungen nach den SED-Unrechtsbereinigungsge- rüber hinaus werden bei der Beratungsinitiative Sach- setzen und dem Häftlingshilfegesetz, ist bei den Bera- und Personalausgaben gefördert. tungstagen in der Fläche ebenfalls vertreten. Bei der Entscheidung über die Anerkennung von Gesundheitsstö- Insgesamt wurden bisher für die Förderung der Opferver- rungen stellt die niedersächsische Landessozialverwal- bände und der Beratungsinitiative Landesmittel in Höhe tung einen hohen Qualitätsanspruch an die ärztlichen von über 1,2 Mio. Euro verausgabt. Gutachterinnen und Gutachter und beauftragt ausschließ- lich Medizinerinnen und Mediziner, die mit den Proble- Thüringer Beratungsinitiative men der Haftumstände in der DDR vertraut sind. Das Thüringer Sozialministerium und der Landesbeauf- Sachsen tragte des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hatten In Sachsen bestehen Beratungsangebote durch den Lan- 2002 die Beratungsinitiative gestartet, um SED-Opfer desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- nach den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen zu be- dienstes der ehemaligen DDR zu Fragen der Rehabilitie- treuen. Die Beratungsinitiative ist beim Caritasverband rung von SED-Unrecht. Beratungsgespräche finden in für das Bistum Erfurt e.V. und beim Bürgerkomitee ange- Dresden und an wechselnden Orten statt, eine Übersicht siedelt und wird vom Thüringer Sozialministerium und ist auf der Homepage des Landesbeauftragten zu finden. der Bundesstiftung Aufarbeitung finanziert. Letztere übernimmt seit dem Jahr 2002 eine Kofinanzierung in Sachsen-Anhalt Höhe von jährlich 25 000 Euro. Der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staats- In der Arbeit der Beratungsinitiative insgesamt verlagert sicherheitsdienstes der ehemaligen DDR führt Beratungs- sich zunehmend der Schwerpunkt. Es werden vorrangig tage an verschiedenen Orten in Sachen-Anhalt durch. Die nicht nur die Antragsverfahren zu den Rehabilitierungs- Beratungsgespräche werden durch einen oder zwei Bera- gesetzen, sondern zunehmend auch soziale Beratung und ter aus der Behörde des Landesbeauftragten und einen Betreuung bis hin zu Informationen zu Therapieangebo- Drucksache 17/12115 – 26 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode ten nachgefragt. Unter diesem Fokus muss auch die Wei- Besatzungsenteignungen und die Enteignungen nach terentwicklung der Beratungsinitiative betrachtet werden. Gründung der DDR. Die Durchführung des Vermögensrechts ist Sache der 6 Offene Vermögensfragen und Restitutionen Länder. Auf der Grundlage des Gesetzes hatten die Län- in den neuen Ländern der Ämter und Landesämter zur Regelung offener Vermö- gensfragen zu errichten, die sowohl über die Rückgabe Die politischen Veränderungen während der Friedlichen als auch darüber, in welcher Höhe eine Entschädigung zu Revolution in der DDR 1989/90 waren mit dem Bedürf- erfolgen hat, entscheiden. Zur Entlastung dieser Behör- nis verbunden, materielles Unrecht wieder gutzumachen, den wurde ab dem Jahr 2004 die Zuständigkeit für Ent- das während der NS-Terrorherrschaft, der Besatzungszeit scheidungen über die Rückgabe und Entschädigung von und der SED-Diktatur verursacht worden war. Noch die Vermögensgegenständen, die in der Zeit der NS-Terror- Volkskammer der DDR erarbeitete das Gesetz, das die herrschaft entzogen worden waren, dem heutigen Bun- Wiedergutmachung von Vermögensschäden regelt: Das desamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermö- (BADV) übertragen. gensgesetz – VermG –). Es trat mit dem Einigungsvertrag in Kraft. Zentraler Gedanke dieses Gesetzes ist die Wie- Von den Anträgen auf Rückgabe waren – ohne die Anträge dergutmachung von grob rechtsstaatswidrigen Unrechts- von NS-Verfolgten – über 2,2 Millionen Flurstücke erfasst. maßnahmen (§ 1 Absatz 1 bis 4 VermG). Eine vollstän- Zum 31. Dezember 2011 waren insgesamt 99,4 Prozent der dige Rückabwicklung der sozialistischen Wirtschafts- Rückübertragungsanträge entschieden. Im Entschädi- und Gesellschaftsordnung war mit diesem Gesetz aber gungsbereich sind von den über 557 000 Ansprüchen auf nicht vorgesehen. Neben der Wiedergutmachung von Entschädigung oder Ausgleichsleistung über 517 000 er- DDR-Unrecht ist dort auch eine entsprechende Wieder- ledigt; dies entspricht einer Erledigungsquote von 93 Pro- gutmachung von Vermögensunrecht aus der Zeit der NS- zent. Terrorherrschaft auf dem Gebiet der DDR vorgesehen Ansprüche auf Rückgabe und Entschädigung wegen Ver- (§ 1 Absatz 6 VermG). Dies erwies sich als erforderlich, mögenseingriffen in der Zeit der NS-Terrorherrschaft be- weil eine effektive Wiedergutmachung von materiellem treffen fast 224 000 Vermögenswerte. Die Erledigungs- NS-Unrecht in der DDR nie erfolgt war. quote beträgt in diesem Bereich bislang 63 Prozent. Diese Um den Grundstücksverkehr in den neuen Ländern nicht Verfahren haben sich als rechtlich und tatsächlich sehr auf unabsehbare Zeit damit zu belasten, dass an Vermö- kompliziert erwiesen. Hinzu kommt, dass die Ansprüche gensgegenständen Rückgabeansprüche geltend gemacht auf Rückübertragung von Unternehmen zunächst der werden können und um möglichst bald Rechtsfrieden ein- Konkretisierung bedürfen, wobei festzustellen ist, welche Vermögenswerte im Einzelnen von einem Antrag erfasst kehren zu lassen, wurde für die Anmeldung von Rückga- sind. Mitunter verbirgt sich beispielweise hinter einem beansprüchen eine Schlussfrist gesetzt: Anträge mussten Antrag auf Rückgabe eines in der Zeit von 1933 bis 1945 bis zum 31. Dezember 1992 (für bewegliche Sachen: bis entzogenen Unternehmens, dass dieser sich heute auf zum 30. Juni 1993) eingereicht werden. Begleitend be- hunderte von ehemaligen Unternehmensgrundstücken be- schloss der Deutsche Bundestag Rechtsvorschriften, die zieht. dringend erforderliche Investitionen auch auf Grundstü- cken ermöglichten, die von Rückgabeansprüchen betrof- Aus dem Entschädigungsfonds wurden bis zum Ende des fen waren. Jahres 2011 insgesamt 1,927 Mrd. Euro als Entschädi- gung für nicht zurückgegebene Vermögenswerte an NS- Die Wiedergutmachung erfolgt vorrangig dadurch, dass Verfolgte und 1,560 Mrd. Euro an Entschädigungs- und der entzogene Vermögenswert dem Geschädigten oder Ausgleichsleistungen für die Enteignungen nach 1945 ge- seinem Rechtsnachfolger zurückgegeben wird. Soweit leistet. das aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, hat der Berechtigte Anspruch auf Zahlung ei- 7 Strafrechtliche Aufarbeitung ner Entschädigung. Eine Besonderheit gilt für Vermö- genswerte, deren Entzug in der Zeit zwischen 1945 und Die strafrechtliche Aufarbeitung, d. h. die Bestrafung der 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitli- Verantwortlichen, stellt neben der Rehabilitierung und cher Grundlage erfolgte. Für diese Fälle gilt das Vermö- Entschädigung der SED-Opfer und neben dem Themen- gensgesetz nicht, die Betroffenen haben Anspruch auf feld „Restitutionen und offene Vermögensfragen“ die Zahlung einer Entschädigung (Ausgleichsleistung nach dritte Komponente der rechtlichen Aufarbeitung der dem Ausgleichsleistungsgesetz). Mit der Entscheidung SED-Diktatur dar. Für die strafrechtliche Bewältigung der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für des SED-Unrechts, der sogenannten Regierungskrimina- Menschenrechte vom 30. März 2005 zu den Bodenre- lität, sind in erster Linie die Strafverfolgungsbehörden form- und Industrieenteignungen wurde in diesem Be- und die Gerichte der Länder zuständig. Sie stehen dabei reich endgültig Rechtsklarheit hergestellt. Der Gerichts- vor der schwierigen Aufgabe, ein in 40 Jahren entstande- hof hat die bestehende Rechtslage, wonach diese nes staatliches Unrecht mit den Mitteln des Rechts aufzu- Enteignungen im Regelfall nicht rückgängig gemacht arbeiten. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere da- werden, ebenso wenig beanstandet wie die Bestimmun- raus, dass das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland gen über die Höhe der Entschädigungsleistungen für die auf die Bewältigung staatlichen Unrechts in der DDR Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 27 – Drucksache 17/12115 nicht zugeschnitten war und ist: Im Rechtsstaat sanktio- – Mecklenburg-Vorpommern: niert das Strafrecht individuelle Verstöße des Einzelnen 60 Anklagen, 27 Beschuldigte wurden verurteilt. gegen die Rechtsordnung, während sich die Verantwor- tung für staatliches Unrecht in der DDR häufig auf viele – Sachsen: behördliche Stufen erstreckt. Nachträglich ein neues 279 Ermittlungsverfahren (mit Anklageerhebung oder „passendes“ Strafrecht für die Regierungskriminalität zu Antrag auf Erlass eines Strafbefehls) gegen 306 Be- schaffen, hätte gegen die engen verfassungsrechtlichen schuldigte, davon 13 Verfahren gegen 28 Beschuldigte Grenzen, denen das Strafrecht unterliegt, verstoßen. Denn wegen Wahlfälschung (28 Verurteilungen), 136 Verfah- nach Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes darf sich ren gegen 126 Beschuldigte wegen Rechtsbeugung das Strafrecht keine rückwirkende Geltung beimessen (90 Verurteilungen), 59 Verfahren gegen 65 Beschul- und nur das ahnden, was bereits bei Tatbegehung durch digte wegen Körperverletzung – ohne Doping – (33 Ver- das Gesetz mit Strafe bedroht ist. Dieses Justizgrundrecht urteilungen), neun Verfahren wegen Doping (neun Be- ist unter anderem Ausprägung verschiedener, durch die schuldigte, sechs Verurteilungen), sieben Verfahren Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Absatz 3 des Grundge- gegen zehn Beschuldigte wegen Urkundsdelikten (drei setzes besonders geschützter Garantien (Menschenwürde, Verurteilungen), zwei Verfahren wegen politischer Rechtsstaatlichkeit) und Einschränkungen daher nur be- Verdächtigung (zwei Beschuldigte, eine Verurteilung), dingt zugänglich. Gleichwohl steht das Strafrecht den Ta- 41 Verfahren gegen 50 Beschuldigte wegen „MfS-De- ten der Verantwortlichen eines Unrechtsstaates keines- likten“ (14 Verurteilungen), drei Verfahren gegen fünf wegs hilflos gegenüber. Es sind nur realistisch die Beschuldigte wegen Untreue (vier Verurteilungen) Grenzen zu sehen, die einer rechtsstaatlichen Justiz bei und neun Verfahren gegen elf Beschuldigte wegen Tö- der Bewältigung ihrer Aufgaben gesteckt sind. tungsdelikten (sechs Verurteilungen). Das Strafrecht konnte nach diesen rechtsstaatlichen – Sachsen-Anhalt: Grundsätzen nicht das System als Ganzes aburteilen, son- 79 Anklagen, davon 37 Anklagen wegen Tötungsde- dern musste die Zusammenhänge aufklären, in denen ein- likten an der innerdeutschen Grenze und sechs Ankla- zelne Menschen innerhalb des Systems für gravierendes gen wegen Körperverletzungen im DDR-Strafvollzug. Unrecht individuell verantwortlich waren. Die Justiz hat sich dabei vorrangig auf schwere Menschrechtsverletzun- – Thüringen: gen insbesondere an der innerdeutschen Grenze konzen- 103 Anklagen, 92 Angeklagte sind verurteilt worden. triert. Die Strafverfahren haben die Individualität von Tä- tern und Opfern öffentlich wahrnehmbar gemacht. Die Heute lässt sich feststellen, dass die strafrechtliche Aufar- Schuldigen sind benannt und bis auf wenige Ausnahmen beitung des DDR-Unrechts in der öffentlichen Diskussion nach dem Maßstab ihrer individuellen Schuld bestraft kaum noch eine wahrnehmbare Rolle spielt. Das hat auch worden, ganz gleich an welcher Stelle der Hierarchie sie mit dem inzwischen bewältigten Arbeitspensum zu tun. gestanden haben. Die Strafverfahren haben außerdem Die Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin, die deutlich gemacht, dass für begangenes Unrecht nicht ab- für alle Ermittlungen zur Regierungs- und Vereinigungs- strakte Systeme und Apparate, sondern Menschen verant- kriminalität zuständig war, hat 1999 ihre Arbeit beendet. wortlich waren und dass es auch für die Mächtigen keinen Die strafrechtliche Auseinandersetzung ist weitgehend straffreien Raum gibt. abgeschlossen. Prozesse, die für eine größere Öffentlich- keit von Interesse wären, finden nicht mehr statt. Außer- Die Strafverfahren zur Aufarbeitung von in der SBZ bzw. dem ist zu beachten, dass im Regelfall bei den in Rede in der DDR staatlich begangenem Unrecht haben nach ei- stehenden Delikten – mit Ausnahme besonders schwerer ner Mitteilung der betroffenen Länder – bei verschieden- Delikte – inzwischen die absolute Verjährung eingetreten artiger Erfassung und Einordnung – im Wesentlichen fol- und eine Strafverfolgung daher ausgeschlossen ist. gende Ergebnisse erbracht: 8 Gesellschaftliche Aufarbeitung und –Berlin: politische Bildung 335 Anklagen, davon 111 Anklagen wegen Gewaltta- Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung  ten an der Grenze (verurteilt wurden 119 Personen), der SED-Diktatur 159 Anklagen wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Totschlag oder Freiheitsberaubung (verurteilt wurden Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 53 Personen) und 194 Anklagen wegen vereinigungsbe- fördert seit 1998 die umfassende, kontinuierliche und plu- dingter Wirtschaftsdelikte (verurteilt wurden 163 Perso- ralistische Auseinandersetzung mit den Ursachen, der nen). Geschichte und den Folgen der kommunistischen Dikta- tur sowie der deutschen und europäischen Teilung. Mit – Brandenburg: ihrer Projektförderung garantiert die Bundesstiftung nicht nur den Fortbestand zivilgesellschaftlicher Aufarbeitung Anklagen gegen 124 Beschuldigte, davon 80 Urteile, insbesondere in Ostdeutschland. Die von der Stiftung davon zwölf Verurteilungen von Bediensteten ehema- bundesweit geförderten Vorhaben sowie ihre vielfältigen liger Strafvollzugseinrichtungen wegen Körperverlet- eigenen Angebote tragen zudem wesentlich dazu bei, die zung und Freiheitsberaubung. Geschichte der SED-Diktatur in der gesamtdeutschen Er- Drucksache 17/12115 – 28 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode innerungskultur zu verorten und die Erinnerung an die ten früheren SED-Parteivermögens (PMO-Mittel) zur Opfer der kommunistischen Diktatur wach zu halten. Die Verfügung gestellt. Bundesstiftung kommt so ihrem Gesetzesauftrag nach, den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft zu stär- Die Arbeit der Stiftung ken. Die Bundesstiftung Aufarbeitung fördert die histo- risch-politische Bildung, das Opfergedenken, die interna- Die Bundesstiftung Aufarbeitung ist gleichermaßen Im- tionale Zusammenarbeit und die Wissenschaft nicht nur pulsgeberin und Förderin der gesellschaftlichen Aufarbei- materiell und ideell durch vielfältige Impulse und Dienst- tung, der historisch-politischen Bildungsarbeit, der schu- leistungen. Die Bundesstiftung verfügt auch über ein Ar- lischen Bildung sowie der Wissenschaft, Koordinatorin chiv sowie eine Spezialbibliothek, die Dokumente und der internationalen Zusammenarbeit bei der Auseinander- Publikationen zur Geschichte von Repression und Oppo- setzung mit Diktaturen wie auch Fürsprecherin der Opfer sition in der SBZ und der DDR sowie in den kommunisti- der SED-Diktatur, indem sie etwa bei Fragen der Opfer- schen Diktaturen sammeln und zugänglich machen. entschädigung Gutachten und Empfehlungen formuliert. Besondere Bedeutung misst die Bundesstiftung Aufarbei- tung der Erinnerung an Widerstand und Opposition in der Entstehung und Struktur der Bundesstiftung SBZ und der DDR und dem Gedenken an die Opfer der Aufarbeitung Diktatur bei. Zwischen 1992 und 1998 beschäftigten sich zwei En- Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat seit 1998 bundes- quête-Kommissionen des Deutschen Bundestages mit der weit rund 32 Mio. Euro an Projektpartner ausgereicht. Geschichte der SED-Diktatur sowie ihren Folgen für die Mit ihrer Unterstützung konnten seitdem im Rahmen von Deutsche Einheit. Auf Empfehlung der zweiten Kommis- bislang 2 236 Projekten Archivbestände erschlossen, Do- sion verabschiedete der Deutsche Bundestag am 2. April kumentarfilme gedreht, Bücher und Doktorarbeiten ge- 1998 das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur schrieben und gedruckt, Ausstellungen erarbeitet und Aufarbeitung der SED-Diktatur. Regierungs- und Oppo- gezeigt, Seminare und Konferenzen realisiert, Bildungs- sitionsfraktionen stimmten zu, lediglich die PDS enthielt medien erstellt, die Arbeit der Verbände der Opfer der sich der Stimme. Die Überparteilichkeit des Gründungs- SED-Diktatur fortgesetzt, Gedenkstätten weiterentwi- konsenses wurde zum Grundsatz der Bundesstiftung Auf- ckelt und Museen ausgebaut sowie zeithistorische Inter- arbeitung, die im Herbst 1998 ihre Arbeit aufnehmen netangebote online gestellt werden. Mit seit 1998 rund konnte. 450 eigenen Veranstaltungen und mehr als 200 seitdem vorgelegten Publikationen aller Art setzt die Bundesstif- Mit der Entscheidung, die Aufarbeitung der kommunisti- tung einerseits Themen und fungiert andererseits als schen Diktatur einer bundesunmittelbaren Stiftung des öf- Dienstleisterin und – im besten Sinne – als Lobbyistin in fentlichen Rechts zu übertragen, hatte sich das Parlament Sachen Aufarbeitung. Die Vernetzung der unterschied- für eine Rechtsform entschieden, die der Bundesstiftung lichsten Institutionen der Aufarbeitung im In- und Aus- Aufarbeitung ein Höchstmaß an Autonomie gewährt. An land zählt weiterhin zu den Schwerpunkten der Stiftungs- der Spitze der Stiftung steht der Stiftungsrat, der über arbeit. Die in der internationalen Zusammenarbeit Grundsatzfragen sowie insbesondere über den Stiftungs- praktizierten Grenzüberschreitungen betreffen Koopera- haushalt entscheidet. Das oberste Stiftungsorgan setzt tionen der Wissenschaft, der schulischen und außerschuli- sich zusammen aus je einem Vertreter der im Bundestag schen Bildung, Museen und Gedenkstätten, die von der befindlichen Fraktionen sowie je einer von jeder Fraktion Bundesstiftung direkt oder indirekt auf dem Wege der benannten Person, die in Fragen der Aufarbeitung der Projektförderung unterstützt werden. SED-Diktatur besonders engagiert und qualifiziert ist, die Die erfolgreiche Arbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung vom Bundestag alle fünf Jahre gewählt werden. Darüber wurde 2003 auch durch eine erste größere Zustiftung ge- hinaus entsendet die Bundesregierung entsprechend der würdigt. Das Ehepaar Gerda und Hermann Weber hat im Zahl der Fraktionen Mitglieder in den Rat, in dem auch Frühjahr 2003 die unselbstständige und gemeinnützige das Land Berlin mit einem Mitglied vertreten ist. Die Stiftung „Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung“ in Treu- Stiftung bedient sich der Expertise zweier namhaft be- händerschaft der Bundesstiftung errichtet. Die Gerda- setzter Fachbeiräte, die die Stiftung zum einen in Fragen und-Hermann-Weber-Stiftung will die Auseinanderset- der gesellschaftlichen Aufarbeitung und des Opfergeden- zung mit der Geschichte des deutschen und internationa- kens, zum anderen im Bereich Wissenschaftsförderung len Kommunismus im 20. Jahrhundert in Wissenschaft beraten. Die Rechtsaufsicht über die Bundesstiftung Auf- und politischer Bildung befördern und dazu beitragen, die arbeitung obliegt seit Anfang 2005 BKM, vorher lag sie Ursachen, Geschichte und Wirkung der SED-Diktatur zu beim BMI. erhellen und diese in die Gesamtgeschichte des Kommu- nismus einzuordnen. Das Rückgrat der Stiftungsarbeit bildet die Geschäfts- stelle mit derzeit 22,5 Stellen. 2011 betrug der Jahresetat Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat sich seit ihrer Grün- der Bundesstiftung rund 5,5 Mio. Euro, der sich aus ei- dung im Jahre 1998 zur zentralen, überparteilich agieren- nem Bundeszuschuss in Höhe von rund 2,8 Mio. Euro den Institution des Bundes zur Aufarbeitung der Ge- und dem Ertrag eines Stiftungskapitals in Höhe von rund schichte und Folgen der kommunistischen Diktatur sowie 77 Mio. Euro speiste. Von dem angelegten Stiftungskapi- der deutschen und europäischen Teilung entwickelt. Sie tal hat der Bund 75 Mio. Euro aus Mitteln des sogenann- gewährleistet mit ihrer Projektförderung bundesweit die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29 – Drucksache 17/12115 kontinuierliche, pluralistische und gesamtgesellschaftli- Rehabilitation der Diktaturopfer zählt die Arbeit wider che Auseinandersetzung mit diesem Thema. das Vergessen, die von der Bundesstiftung Aufarbeitung durch die umfangreiche Förderung von Ausstellungen, Eine gesamtgesellschaftliche Beschäftigung mit der SBZ Gedenkstättenarbeit, Publikationen, Filmen und wissen- und der DDR kann nicht vom Staat zentral verordnet und schaftlichen Forschungsarbeiten als Querschnittsaufgabe geleistet werden. Sie gelingt nur durch die Aktivitäten und der gesamten Stiftungstätigkeit betrieben wird. das Zusammenwirken der zahlreichen Aufarbeitungsinsti- tutionen auf Bundes-, Landes-, regionaler und kommuna- Das Fundament der Erinnerung sind die historischen Fak- ler Ebene in öffentlicher und freier Trägerschaft. Erst die ten und ihre wissenschaftliche Erforschung. Die Bundes- enge Verbindung unterschiedlicher Ansätze, verschiede- stiftung Aufarbeitung konzentriert sich in diesem Bereich ner Motivationen und Interessen führt dabei zu einer Ge- auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses samtheit, die die Vielfalt der gesellschaftlichen Aufarbei- und befördert durch die Bereitstellung von Sachmitteln tung dokumentiert. Es ist vor allem der Arbeit von den Wissenstransfer innerhalb der Forschung sowie von Universitäten und Forschungsinstituten, Bildungseinrich- dort in die Gesellschaft. Durch die Vergabe von mittler- tungen, Museen und Gedenkstätten, staatlichen und unab- weile über 90 Promotionsstipendien vermochte die Bun- hängigen Archiven, Aufarbeitungsinitiativen und Opfer- desstiftung nicht nur junge Akademiker an das Thema verbänden geschuldet, dass diese Thematik nach wie vor DDR-Geschichte und deutsche Teilung heranzuführen, starke öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Die Bundes- sondern auch gewichtige Beiträge zur Grundlagenfor- stiftung Aufarbeitung leistet durch die finanzielle Unter- schung zu leisten. Mit Druckkostenzuschüssen und der stützung vieler dieser Einrichtungen sowie die enge Zu- Förderung von Tagungen sorgt die Bundesstiftung zudem sammenarbeit mit den Institutionen der Aufarbeitung kontinuierlich dafür, dass die Erträge der Wissenschaft dazu einen ganz wesentlichen Beitrag. diskutiert und verbreitet werden. Besonderen Stellenwert haben dabei Forschungen, die sich mit Opposition und Die Projektförderung der Bundesstiftung war und ist der Widerstand sowie deren Verfolgung durch die SED-Dik- Garant für die Existenz zivilgesellschaftlich verwurzelter tatur befassen. Auf diese Weise befruchtet auch die Wis- Institutionen der DDR-Aufarbeitung insbesondere in Ost- senschaftsförderung die Initiativen der Stiftung im deutschland und Berlin. Mit dem Förderangebot verband Bereich der Erinnerungskultur. Der Wissenstransfer in- die Bundesstiftung zugleich die Forderung an ihre An- nerhalb und außerhalb der scientific community wird von tragsteller, die eigene Arbeit kontinuierlich zu professio- der Bundesstiftung insbesondere auch durch Fachtagun- nalisieren. Professionalisierung und temporäre Existenz- gen und Vortragsreihen befördert. Von der Stiftung u. a. sicherung wurden vielfach zur Voraussetzung dafür, dass am Institut für Zeitgeschichte, an der Humboldt-Universi- sich eine steigende Zahl an Ländern und Kommunen in tät Berlin und am Hannah-Arendt-Institut (Dresden) ge- die Pflicht nehmen ließ, besonders herausragende Ein- förderte Tagungen und Konferenzen bilanzierten die For- richtungen der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung mit- schungen zur SED-Diktatur sowie zum geteilten wie auch tel- und/oder langfristig zumindest ansatzweise finanziell zum vereinten Deutschland. Starken Publikumszuspruch abzusichern. Mit dem über die Bundesstiftung Aufarbei- fanden Vortragsreihen zur Geschichte der SED (2010, ge- tung vorgehaltenen Förderangebot trägt der Bund der Be- meinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung deutung Rechnung, die er der Auseinandersetzung mit und dem Institut für Zeitgeschichte) sowie zur Geschichte der kommunistischen Diktatur und der deutschen Teilung des stalinistischen Terrors (2011, gemeinsam mit dem sowie deren Folgen beimisst. Lehrstuhl Prof. Jörg Baberowski, Humboldt-Universität Berlin). 2003 erschien im Schöningh-Verlag der Sammel- Dem Gedenken an die Opfer der Diktatur in SBZ und band „Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung“, DDR sowie deren moralische und materielle Rehabilita- dessen Autoren eine systematische Gesamtschau der zeit- tion widmet die Bundesstiftung Aufarbeitung besondere historischen Forschung zur SED-Diktatur und zur deut- Aufmerksamkeit. Dies spiegelt sich in der kontinuierli- schen Teilung vornahmen. chen Förderung der Vereinigungen wider, in denen sich insbesondere Häftlinge von Lagern und Gefängnissen zu- Die heutigen Schülergenerationen verfügen über keinerlei sammengeschlossen haben. Die Bundesstiftung Aufarbei- persönliche Erinnerung an die Zeit der Teilung und den tung gewährleistete mit ihrer Projektförderung nicht nur fundamentalen Systemgegensatz der westdeutschen De- deren Betreuungs- und Bildungsarbeit, sondern auch den mokratie und der ostdeutschen Diktatur nach 1945. Mit Fortbestand der Union der Opferverbände kommunisti- ihren Studien zum Schülerwissen sowie zu Lehrplänen scher Gewaltherrschaft als deren Dachverband, der sich stieß die Bundesstiftung nicht nur Folgeprojekte an, son- auf nationaler und internationaler Ebene für die Interes- dern auch eine bis heute anhaltende Debatte über den sen der Opfer einsetzt. Insgesamt stellte die Stiftung den Stellenwert des Themas DDR-Geschichte im Unterricht. Opferverbänden bislang rund 3 Mio. Euro für ihre ver- Zur Beförderung der vielfältigen Bildungsarbeit trägt schiedenen Projektvorhaben zur Verfügung. Novellierun- auch das seit 2008 von der Bundesstiftung mit finanziel- gen der Unrechtsbereinigungsgesetze sowie die 2007 ler Unterstützung von Bund und Ländern auf- und mit eingeführte sogenannte SED-Opferrente (vgl. S. 19) gin- Mitteln von BKM ausgebaute Online-Zeitzeugenportal gen auf die gemeinsame Beratungs- und Lobbytätigkeit (www.zeitzeugenbuero.de) bei, in dem nicht nur 200 Zeit- der Bundesstiftung und der Opferverbände zurück, die zeugen angesprochen werden können, sondern auch hierzu durch die Stiftungsförderung überhaupt erst vielfältige weiterführende Angebote, wie didaktische Ma- finanziell in die Lage versetzt wurden. Zur moralischen terialien, Sachinformationen sowie Links zu Partnerinsti- Drucksache 17/12115 – 30 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode tutionen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus beteiligt Das papierne Gedächtnis insbesondere von Opposition sich die Bundesstiftung Aufarbeitung am Koordinieren- und Widerstand gegen die SED-Diktatur zu wahren, das den Zeitzeugenbüro (ein ausführlicher Beitrag hierzu fin- Schrifttum zu diesem Thema zu sammeln und zu präsen- det sich am Ende von Kapitel 8). Der „Bildungskatalog“, tieren sowie die Aufarbeitung der SED-Diktatur seit 1990 eine Datenbank der Stiftung, verzeichnet mittlerweile zu dokumentieren, besitzt für die Bundesstiftung Aufar- über 220 didaktische Materialien, die ausdrücklich für beitung besonderen Stellenwert. Sie unterhält dafür einer- den Einsatz in der schulischen und außerschulischen Bil- seits ein eigenes Archiv (mit 750 lfm Archivgut und rund dungsarbeit zur Geschichte der SBZ/DDR und deutschen 800 000 Fotos), eine Bibliothek (mit rund 45 000 Medien- Teilung sowie deren Überwindung, die Friedliche Revo- einheiten) sowie eine Dokumentationsstelle, die nicht nur lution und Deutsche Einheit erstellt wurden und bundes- die Medienberichterstattung zu Fragen der Aufarbeitung weit von den verschiedensten Anbietern vorgehalten wer- sammelt, sondern auch Selbstdarstellungen, Veranstal- den (www.stiftung-aufarbeitung.de/bildungskatalog). Die tungsprogramme u. ä. Dokumente anderer Einrichtungen, Stiftung bietet derzeit sechs themenspezifische Fortbil- die sich mit dem Themenfeld der Stiftung befassen. dungsseminare an, die von Kultusministerien, Schulverwal- Andererseits fördert die Bundesstiftung insbesondere Ar- tungen und Lehrerfortbildungseinrichtungen „gebucht“ und chive, die aus der DDR-Bürgerbewegung hervorgegan- von der Stiftung jeweils vor Ort für Lehrerinnen und Leh- gen sind und die in Berlin und Ostdeutschland Doku- rer und andere Multiplikatoren ausgerichtet werden kön- mente der Opposition sammeln und archivieren. Die nen. Seit Mitte des Jahres 2009 fanden bundesweit mehr Bundesstiftung ist zu einer Schnittstelle zwischen dem als dreißig Veranstaltungen statt, an denen rund 800 Lehr- staatlichen Archivwesen und den Archiven und Samm- kräfte teilnahmen. Weitere themenspezifische Seminare lungen zivilgesellschaftlicher Initiativen geworden, die werden derzeit entwickelt, darunter ein methodisches An- sie kontinuierlich nicht nur materiell, sondern auch auf gebot, das sich an Lehrkräfte richtet, die in Schulklassen dem Wege der Archivberatung unterstützt. Zu den heraus- mit hohem Migrationsanteil unterrichten. ragenden Archivbeständen der Bundesstiftung zählen das Schriftgut der beiden Enquete-Kommissionen des Deut- Vielfältig gestalten sich mittlerweile die Materialange- schen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur bote der Bundesstiftung Aufarbeitung für die schulische (12. und 13. Wahlperiode), das Archiv unterdrückter und außerschulische Bildungsarbeit. Diese richten sich Literatur, eine Reihe von Vorlässen (u. a. von Markus zuvorderst an Multiplikatoren, also an Mittler der politi- Meckel, Rainer Eppelmann und Prof. Dr. Dr. h. c. schen Bildung sowie an Institutionen der Lehrerfort- und Hermann Weber), der bildkünstlerische Nachlass von -weiterbildung. Lehrer bzw. Schulen besitzen mit der Roger Loewig sowie das Bildarchiv des vormaligen Spie- Stiftung aber auch einen direkten Ansprechpartner und gel-Fotografen Klaus Mehner und zahlreiche Zeitzeugen- finden auf der Stiftungswebsite die unterschiedlichsten interviews. Materialangebote, die rege abgefragt werden. Als ein be- sonders innovatives Bildungsangebot erwies sich das Ziel der Bundesstiftung Aufarbeitung ist es, die Ge- Konzept, zeitgeschichtliche Ausstellungen in hoher Auf- schichte der Teilung, der kommunistischen Diktatur in lage in Plakatform zu drucken und nicht nur bundesweit, Deutschland, deren Opfer und insbesondere des Wider- sondern auch international zu verbreiten. Hatte die standes und der Opposition gegen diese Diktatur im histo- Deutschlandauflage der Schau zu „20 Jahre Friedliche rischen Bewusstsein der Ost- und (!) der Westdeutschen Revolution und Deutsche Einheit“ noch eine Auflage von als Thema von gesamtdeutscher Bedeutung zu verankern. 500 Exemplaren und die gemeinsam mit dem Magazin Zu diesem Zweck hat die Bundesstiftung seit 2001 mit beständig wachsender Systematik und Wirksamkeit histo- Stern 2010 verbreitete Exposition zum Alltag in der DDR rische Jahrestage dafür genutzt, öffentliche Aufmerksam- bereits 1.500 Exemplare gezählt, übertraf die Ausstellung keit auf ihr Thema zu lenken: 40 Jahre Mauerbau im „Die Mauer. Eine Grenze durch Deutschland“ 2011 im Jahre 2001, 50 Jahre Volksaufstand vom 17. Juni 2003, fünfzigsten Jahr des Mauerbaus die Erwartungen bei wei- fünfzehn Jahre Friedliche Revolution und deutsche Ein- tem. Bis Herbst 2011 konnten rund 4 000 Ausstellungs- heit 2004/2005, deren 20. Jahrestage 2009 und 2010. exemplare vor allem an Schulen im gesamten Bundesge- biet abgegeben werden. Zu allen zeithistorischen Mit den seit 2008 stattfindenden Geschichtsmessen hat Ausstellungen stellt die Bundesstiftung umfängliche di- die Bundesstiftung ein jährliches Forum etabliert, das die daktische Begleitmaterialien sowohl für die schulische als bundesweite Netzwerkbildung und Kooperation fördert. auch außerschulische Bildungsarbeit zur Verfügung. Der- Die Geschichtsmesse, die im Frühjahr 2012 zum fünften lei Handreichungen finden sich auch im ROM-Teil der Mal in Suhl stattgefunden hat, versammelte 300 Träger DVD-Edition, in der die Bundesstiftung zwischenzeitlich der kommunalen Bildungs- und Kulturarbeit, Lehrer, Ver- 15 von ihr in der Vergangenheit geförderten TV-Doku- treter von Museen und Gedenkstätten, Mittler der histo- mentationen für die Bildungsarbeit zugänglich macht. risch-politischen Bildungsarbeit sowie Medienvertreter Flankiert werden diese Bildungsangebote durch eine Bro- und ist mittlerweile zu einem zentralen jährlichen Forum schürenreihe, die die Bundesstiftung Aufarbeitung ge- der „Public History“ in Deutschland geworden. Ganz im meinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Sinne einer klassischen Messe werden vor Ort neue Aus- Thüringens verlegt. Mittlerweile sind in dieser Reihe über stellungen präsentiert, „best-practice-Beispiele“ innovati- 14 Hefte erschienen, die jeweils auf rund 100 Seiten Fra- ver Bildungsangebote vorgestellt und zur Nachahmung gen an die DDR-Geschichte auf anschauliche und gut les- bzw. Adaption empfohlen sowie Vortrags- und Diskus- bare Weise beantworten. sionsveranstaltungen angeboten, die den Kontext zu be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31 – Drucksache 17/12115 vorstehenden Jahrestagen sowie Themenschwerpunkten blik Deutschland, zur Funktionsweise der sozialen Markt- der Aufarbeitung vermitteln. wirtschaft sowie zu Aufbau und Funktionsweise der Kommunen, aber auch allgemeine Nachschlagewerke, Generell legt die Bundesstiftung Aufarbeitung kontinu- Handbücher zu Geschichte und Politik sowie zahlreiche ierlich einen Schwerpunkt auf die Vermittlung histori- Ausgaben der Informationen zur politischen Bildung. scher Sachverhalte sowie der vielfältigen Projektergeb- nisse, die aus ihrer Eigentätigkeit sowie ihrer Förderung Des Weiteren wurden Seminare und Tagungen für Multi- resultieren. Dreimal jährlich erscheint ihr Newsletter plikatoren und interessierte Bürger sowie für Politiker „Bundesstiftung Aufarbeitung Aktuell“, der 2010 aus und ehrenamtlich Tätige angeboten, die sich beim Aufbau dem seit 1994 erscheinenden Newsletter „Aktuelles aus einer neuen kommunalen Infrastruktur engagieren woll- der DDR-Forschung“ hervorgegangen ist. Mit ihrem His- ten. Zusätzlich wurden beachtliche Zuwendungen (finan- torischen Kalenderdienst informiert die Stiftung sechs zielle Sondermittel) an die freien Träger erteilt, die mit Mal im Jahr die Medien über große und kleine historische Seminaren oder Beratungsangeboten den Aufbau der De- Jahrestage. Die von der Stiftung über Jahre aufgebaute mokratie von unten begleiteten. Spezielle Seminare wur- historische Datenbank ist Grundlage ihres Taschenkalen- den auch für Lokaljournalisten entwickelt, um sie mit ih- ders „Erinnerung als Auftrag“. Dieser erscheint alljähr- rer neuen Rolle im Meinungsbildungsprozess vertraut zu lich in einer Auflage von fünf- bis zehntausend Exempla- machen und Unterstützung für den journalistischen Alltag ren, die zum Teil von verschiedenen Institutionen zu leisten. mitgedruckt und verteilt werden, so etwa vom Bundes- presseamt. In diesem Taschenkalender findet sich jeweils Im Rahmen des föderativen Wiederaufbaus der fünf eine Tageschronik, so etwa des Jahres des Mauerbaus neuen Länder standen die BpB und die Landeszentralen 1961 im Kalender 2011 und des Jahres des DDR-Volks- für politische Bildung den Ministerpräsidenten beratend aufstand 1953 im Kalender 2013. Die Bundesstiftung hat zur Seite. Dabei wurde vor allem die Notwendigkeit un- sich als ein verlässlicher Ansprechpartner der Medien eta- terstrichen, die Schaffung von Landeszentralen für politi- bliert, die in jährlich mehr als 200 Anfragen Unterstüt- sche Bildung in den fünf neuen Ländern voranzutreiben. zung bei Recherchen sowie der Suche nach Zeitzeugen Bald verfügte jedes neue Bundesland über eine eigene erhalten und kontinuierlich über Pressemitteilungen über Landeszentrale. die Arbeit der Stiftung und die Ergebnisse der von ihr ge- Im Zentrum der Aktivitäten der BpB stand außerdem die förderten Projekte informiert werden. Qualifizierung von Lehrern für das Fach Sozialkunde/ Im Verlauf eines Jahrzehnts konnte die Bundesstiftung politische Bildung/Gesellschaftskunde. Nachdem die Aufarbeitung ein Instrumentarium und ein Bildungsange- ehemaligen Lehrkräfte für Staatskunde der DDR keinen bot entwickeln, mit dem nicht nur auf Bundes- und Län- Unterricht mehr erteilen durften, wurde politische Bil- derebene Veranstaltungen und Wortmeldungen aller Art dung in den neuen Ländern fachfremd unterrichtet, d. h. angestoßen werden, sondern mittlerweile buchstäblich von Lehrern, die für dieses Fach nicht ausgebildet waren. tausende von Kommunen und vor allem Schulen dafür Die Frage nach einer berufsqualifizierenden Lehreraus- gewonnen werden, sich mit kommunistischen Diktatur in und -weiterbildung war somit von zentraler Bedeutung Deutschland, der deutschen Teilung, der Friedlichen Re- für die politische Bildung in den neuen Ländern. Aus die- volution und dem vereinigten Deutschland aktiv aus- sem Grund führte die BpB in enger Abstimmung mit den einanderzusetzen – und zwar in Ost- und in Westdeutsch- Kultusministerien der neuen Länder und in Kooperation land. mit verschiedenen Universitäten Fernstudienkurse von vier Semestern (in Brandenburg sechs Semester) durch. Diese Kurse vermittelten eine neue Lehrbefähigung und Die Bundeszentrale für politische Bildung orientierten sich an den fachwissenschaftlichen und fach- Die Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitge- didaktischen Standards einer grundlegenden Lehreraus- schichte gehört seit jeher zu den Kernaufgaben der Bun- bildung. Sie endeten mit einer Examensprüfung zu Fach- deszentrale für politische Bildung, einer Behörde im Ge- lehrern für das Fach Sozialkunde/politische Bildung/ schäftsbereich des BMI. Insofern nimmt auch die Gemeinschaftskunde. Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur sowie der Die BpB beteiligte sich außerdem konzeptionell und fi- deutschen Teilung und Vereinigung und damit auch deren nanziell an den in den ersten Jahren der Einheit prakti- Aufarbeitung eine zentrale Stellung in der Arbeit der BpB zierten Schulpartnerschaften. Hier ging es darum, dass ein. sich Schulklassen aus den alten und den neuen Länder mehrfach trafen und ein gemeinsames Projekt (z. B. zum Die Arbeit der BpB seit 1989 Thema Umwelt) erarbeiteten. Auf diese Weise wurde der Austausch zwischen Schülern aus Ost und West geför- Seit dem Mauerfall am 9. November 1989 hat sich die dert. Bundeszentrale für politische Bildung zunächst noch in der DDR, dann in den neuen Ländern engagiert. Die BpB Speziell für die Lehrkräfte des Faches Sozialkunde/politi- stellte zunächst Buchpakete zur Verfügung, die an alle sche Bildung/Gemeinschaftskunde wurde eine neue Schulen und Bibliotheken der DDR verschickt wurden. Reihe mit dem Titel „Thema im Unterricht“ entwickelt. Sie umfassten Materialien zu Aufbau und Struktur des Der Inhalt dieser Hefte wurde im Rahmen von Autoren- parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepu- konferenzen, an denen Lehrer aus den alten und den Drucksache 17/12115 – 32 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode neuen Ländern teilnahmen, erarbeitet. War diese Reihe – Durch zielgruppengerechte Formate unter Einbezie- auch zunächst auf die Lehrkräfte in den neuen Ländern hung von Musik, Film und Ausstellungen werden ausgerichtet, so wurde sie in den folgenden Jahren auch auch junge Leute für das Thema interessiert. Ebenso in den alten Ländern gerne genutzt. So wurde beispiels- wurde gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistori- weise das Heft „Grundgesetz für Einsteiger“ mittlerweile sche Forschung Potsdam e.V. und dem Deutschlandra- in einer Auflage von rund 3 Millionen abgefragt. dio eine App für iPhone, iPad und Android-Geräte entwickelt, die die Geschichte vom Mauerbau bis zum Neben den Maßnahmen, die darauf ausgerichtet waren, Mauerfall multimedial darstellt und den Nutzer auf den Bürgerinnen und Bürgern der neuen Länder Kennt- Grund der Verknüpfung mit entsprechenden Geodaten nisse über das neue politische und wirtschaftliche System am ehemaligen Verlauf der Mauer entlangführen kann. zu vermitteln, wurden dann auch Angebote mit Blick auf die gesamte Bevölkerung entwickelt. Denn das Ziel, der – Ein vielseitiges Angebot an DVDs zu unterschiedli- Bevölkerung in Ost und West gegenseitiges Wissen zu chen Aspekten der SED-Diktatur ist mit didaktischen vermitteln, gemeinsame Lernprozesse zu organisieren Materialien ausgestattet, die für eine multimediale Un- und damit Verständnis zu erzeugen, sollte in den Folge- terrichtsgestaltung genutzt werden können. jahren Priorität erlangen. – Im Rahmen der in der Gedenkstättenkonzeption des Im Jahr 1998 wurde eine neue Buchreihe unter dem Titel Bundes forcierten Zusammenarbeit zur Aufarbeitung „Deutsche Zeitbilder“ entwickelt. Sie griff zentrale The- der SED-Diktatur wird gemeinsam mit der Bundesstif- men der DDR-Geschichte, der deutsch-deutschen Bezie- tung Aufarbeitung und dem BStU die Seite www.pro hungen, des Weges zur Einheit und des Vereinigungspro- jekttag-deutsche-geschichte.de betrieben. Hier werden zesses auf. Die einzelnen Ausgaben sollten für einen Angebote und Anregungen für die Ausgestaltung ei- breiten Nutzerkreis eine übersichtlich strukturierte, fach- nes Projekttages 9. November an Schulen vorgestellt. lich seriöse, leicht verständliche und anschauliche Lek- Die Kultusministerkonferenz der Länder hat dazu auf- türe bieten und damit einen Beitrag zur inneren Einheit gerufen, in jedem Jahr am 9. November einen Projekt- leisten. Bei den Westdeutschen sollte diese Reihe vor al- tag in Schulen durchzuführen. Ziel dieses Projekttags lem das Verständnis für die Situation der Menschen för- ist es, eine vertiefte Auseinandersetzung mit der deut- dern, die in der DDR gelebt haben. schen Geschichte des 20. Jahrhunderts anzuregen und damit zur Demokratieerziehung beizutragen. Auch auf In den vergangenen Jahren hat die BpB in nahezu allen anderen Arbeitsfeldern kooperieren die drei Einrich- Produktsparten und Formaten – von Print über Online bis tungen. So stellt der BStU für unterschiedliche Pro- hin zu Veranstaltungen – ein umfassendes Standardange- jekte der BpB Akten- und Filmmaterialien zur Verfü- bot zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR entwickelt, gung, mit der Bundesstiftung Aufarbeitung wird bei das kontinuierlich ausgebaut und aktuellen Anlässen ent- verschiedenen Publikationen und Veranstaltungen zu- sprechend angepasst wird. Wichtiges Anliegen ist es, ins- sammengearbeitet. besondere auch junge Menschen, die die Zeit der deut- schen Teilung selbst nicht erlebt haben, für das Thema zu – Durch ihre wissenschaftlichen Publikationen „Aus Poli- interessieren, um durch die Herstellung historischer Be- tik und Zeitgeschichte“ sowie „Deutschland Archiv- züge das Bewusstsein für Freiheit, Demokratie und die Online“ bietet die BpB eine permanente Plattform zur Achtung der Menschenrechte zu stärken. Präsentation und Diskussion neuer Forschungsergeb- nisse aus diesem Themenspektrum. Die Angebote der BpB zur Aufarbeitung  – Durch die Einbeziehung von Zeitzeugen in Veranstal- der SED-Diktatur tungen, Internetangebote, DVDs und Printprodukte Das heutige Angebot der BpB zur Aufarbeitung der SED- werden Videointerviews und Zeitzeugenberichte ange- Diktatur lässt sich wie folgt beschreiben: sammelt und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfü- gung gestellt. Auf diese Art und Weise entsteht im – Durch umfassende Online-Dossiers auf der Homepage Laufe der Zeit ein Archiv der Erinnerung. der BpB www.bpb.de sowie durch die externen Web- sites www.chronik-der-mauer.de, www.jugendopposi – Die BpB nutzt regelmäßig die große öffentliche Auf- tion.de und www.wir-waren-so-frei.de werden für eine merksamkeit, die sich im Zusammenhang mit zeitge- breite Öffentlichkeit Ton-, Film- und Textdokumente schichtlichen Jahrestagen ergibt, um das Thema in sowie historische und politische Fachbeiträge zur Ver- Veranstaltungen und anderen Produkten aufzugreifen fügung gestellt, die dazu beitragen, DDR-Geschichte und zielgruppengerecht umzusetzen. Im Jahr 2009 war zu dokumentieren und Hintergründe neu zu interpre- dies das 20. Jubiläum der Friedlichen Revolution, tieren. 2010 der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit und 2011 das Gedenken an 50 Jahre Mauerbau. – Im Rahmen des breit angelegten Programms an Print- publikationen wird das Thema in nahezu jedem For- Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen  mat aufgegriffen: in der Schriftenreihe, den Informa- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen tionen zur politischen Bildung, dem Jugendformat Deutschen Demokratischen Republik fluter, in der niedrigschwelligen Pocket-Reihe und den didaktischen Reihen. Auf diese Weise werden sehr un- Die gesellschaftliche Aufarbeitung der SED-Diktatur ist terschiedliche Zielgruppen erreicht. entscheidend von der Öffnung der Stasi-Akten geprägt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33 – Drucksache 17/12115 worden. Der Gesetzgeber wollte mit dem Stasi-Unterla- für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Überwin- gen-Gesetz sicherstellen, dass die Akten des Ministeriums dung ihrer Folgen unerlässlich sind. für Staatssicherheit und damit des zentralen Repressions- organs der SED-Diktatur unter Beachtung rechtsstaatli- Der Gesetzgeber entschied, die Unterlagen des MfS zu cher Grundsätze für die Aufarbeitung verwendet werden öffnen und sie der Öffentlichkeit sofort – und damit vor können. Ablauf der in Archiven üblichen Schutzfristen – zur Ver- fügung zu stellen. Allerdings sollte kein für jedermann zugängliches Archiv etwa nach den Regelungen des Die Struktur der Behörde BArchG entstehen. Da die vom Ministerium für Staats- Bei der Festlegung der Organisationsstruktur konnte sicherheit der DDR gespeicherten Daten zum großen Teil kaum auf das Vorbild anderer bundesdeutscher Behörden unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gewonnen zurückgegriffen werden. Dennoch gab es vorgegebene wurden, musste der Zugang zu ihnen eingeschränkt und Bedingungen wie die Gliederung in eine Zentralstelle in an bestimmte Zwecke gebunden werden. Größten Wert Berlin und Außenstellen in den neuen Ländern. Entspre- legte der Gesetzgeber darauf, den Einzelnen davor zu chend dieser später in das Stasi-Unterlagen-Gesetz über- schützen, dass er durch den Umgang mit den vom MfS zu nommenen Vorgaben entstanden in der Zentralstelle der seiner Person gespeicherten Informationen in seinem Per- Behörde die Abteilungen: sönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Dementsprechend unterscheidet sich das StUG in seiner Zielrichtung und in AR – „Archivbestände“ – hier werden die Unterlagen des seiner methodischen Herangehensweise von den Archiv- MfS erfasst, verwahrt, verwaltet und erschlossen. Auf und sonstigen Informationszugangsgesetzen des Bundes Anforderung der anderen Arbeitsbereiche werden von und der Länder, um einen Aktenzugang zu begründen. hier aus alle Recherchen in den Karteien vorgenommen, Während beispielsweise das BArchG ein grundsätzliches Akten und sonstige Unterlagen zur Nutzung vorbereitet Zugangsrecht für jedermann anbietet, das – je nach und bereitgestellt. Schutzwürdigkeit der betreffenden Unterlagen – durch AU – „Verwendung der Unterlagen“ – die Abteilung be- (unterschiedlich lange) Schutzfristen eingeschränkt wird, arbeitet die Anträge einzelner Personen auf Aktenein- verfolgt das StUG als Opferschutzgesetz den Ansatz ei- sicht. Sie erteilt je nach Antrag Auskunft aus diesen Un- nes generellen Zugangsverbots, das durch – nach Perso- terlagen, stellt sie nach entsprechender Vorbereitung zur nengruppen differenzierte – Erlaubnisvorbehalte durch- Einsichtnahme zur Verfügung, gibt Kopien davon heraus brochen wird. und bearbeitet Anträge zur Entschlüsselung von Deckna- men inoffizieller Mitarbeiter. Bearbeitet werden hier Das StUG ist die Arbeitsgrundlage des BStU. Es be- ebenso Ersuchen öffentlicher und nicht-öffentlicher Stel- stimmt detailliert sowohl seine Aufgaben und Befugnisse len, beispielsweise zur Überprüfung auf eine frühere Zu- als auch die Zugangsrechte zu den von der Staatssicher- sammenarbeit mit der Staatssicherheit oder Ersuchen der heit hinterlassenen Unterlagen. Seit seinem Inkrafttreten zuständigen Ämter zu Rehabilitierungsfragen. Hinzu im Jahre 1991 ist das StUG mehrfach novelliert worden. kommen Anträge externer Forscher, aus dem Bereich der Insgesamt sind bislang acht Stasi-Unterlagen-Änderungs- politischen Bildung und von Medienvertretern. gesetze in Kraft getreten. Das Gesetz in seiner sachlichen Substanz entspricht zwar heute noch der Fassung zum BF – „Bildung und Forschung“ – erforscht Struktur, Me- Zeitpunkt seiner Verabschiedung und hat sich in der Pra- thoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes xis sehr gut bewährt. Insbesondere praktische Erfahrun- und unterrichtet die Öffentlichkeit durch Publikationen, gen und die aktuelle Rechtsprechung gaben in der Zwi- Vorträge, Ausstellungen u. ä. über ihre Forschungsergeb- schenzeit jedoch immer wieder Anlass, einerseits nisse. erprobte Verfahren fortzuschreiben, den Gesetzestext an- ZV – „Zentral- und Verwaltungsaufgaben“ – nimmt die dererseits an einigen Stellen aber auch zu modifizieren. üblichen Verwaltungsaufgaben einer Behörde auf den Ge- Zu nennen ist beispielsweise ein Urteil des Bundesver- bieten Personal, Organisation, Haushalt, Informations- waltungsgerichts (BVerwG) vom 8. März 2002, mit dem technik, Innerer Dienst, Beschaffung, Sicherheit usw. eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom wahr. 4. Juli 2001 bestätigt und einer Klage des Altbundeskanz- Die gegenwärtig zwölf Außenstellen des Bundesbeauf- lers Dr. Helmut Kohl stattgegeben wurde: In dem Verfah- tragten haben, in verkleinertem Maßstab, eine im Wesent- ren ging es um die die Frage, inwieweit personenbezo- lichen analog aufgebaute Struktur. gene Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger Vertre- tern der Forschung und der Medien zum Zwecke der poli- Die Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes tischen und historischen Aufarbeitung durch den BStU Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Unterlagen zur Verfügung gestellt werden dürfen. Das BVerwG hatte des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen eine Verwendung von Unterlagen zu Helmut Kohl als Demokratischen Republik im November 1991 löste der Person der Zeitgeschichte bzw. als Funktions- und Amts- erste gesamtdeutsche Bundestag eine Verpflichtung des träger ohne Einwilligung auf der Grundlage des Wortlauts Einigungsvertrages ein: Er schuf ein rechtsstaatliches der damaligen Fassung des § 32 insgesamt für unzulässig Verfahren zur Verwendung von Unterlagen, die im Kern- erklärt und dem BStU damit eine neue – datenschutz- bereich des DDR-Repressionsapparates entstanden und rechtlich eingeschränkte – Auslegung der Regelung vor- Drucksache 17/12115 – 34 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode gegeben. Diese war daraufhin im Zuge des Fünften Ge- lag die Zahl der jährlichen Anträge im Bereich der Akten- setzes zur Änderung des StUG, das am 2. September 2002 einsicht bei durchschnittlich etwa 92 000. Welche Bedeu- in Kraft trat, entsprechend geändert worden. tung der Akteneinsicht für einzelne Personen zukommt, hat der BStU im Laufe der Jahre in mehreren Umfragen Auch heute – mehr als zwanzig Jahre nach der Deutschen untersucht. Jede dieser Erhebungen machte deutlich, dass Einheit – gehört der Zugang zu den Stasi-Unterlagen nach die Akteneinsicht Möglichkeiten zu einer komplexen Ver- wie vor zu den wichtigsten Instrumenten der Aufarbeitung des SED-Unrechts. Das Interesse an einer Einsichtnahme arbeitung eigener Erfahrungen eröffnet. Manchmal wer- in die Stasi-Akten ist bei Bürgern, Wissenschaftlern und den bestimmte Aspekte der eigenen Biografie durch die Journalisten nach wie vor groß. In der öffentlichen De- Aktenlektüre überhaupt erst bekannt und damit für den batte hat sich gezeigt, dass der gesellschaftliche Bedarf an Betreffenden einordbar. Konspirative Machenschaften, Überprüfungen bestimmter Personengruppen auch in den die einschneidende Folgen für den eigenen Lebenslauf kommenden Jahren andauern wird. Um das notwendige gehabt haben können, werden deutlich. Auf der anderen Vertrauen in öffentliche Institutionen und politische Gre- Seite können aber auch Tendenzen zur Überbewertung mien zu stärken, ist weiterhin Transparenz erforderlich. des Einflusses des Staatssicherheitsdienstes auf be- stimmte Entwicklungen oder Ereignisse abgebaut wer- Mit der zuletzt durchgeführten 8. Novelle des StUG im den. Jahre 2011 wurde deshalb nicht nur die Frist für die Über- prüfungsmöglichkeiten nunmehr bis Ende 2019 verlän- Die durch die Akteneinsicht ermöglichte Begegnung mit gert, sondern auch der Kreis der überprüfbaren Personen der eigenen Geschichte ist für viele Menschen ein sehr erweitert: Künftig sind beispielsweise auch ehrenamtliche persönlicher und bewegender Prozess. Die Mitarbeiter Bürgermeister und entsprechende Vertreter für einen Ge- der Behörde wissen das und beantworten nicht nur die meindeteil, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ab Be- Fragen der Betroffenen, sondern stehen ihnen oft auch soldungsgruppe A 9 sowie ehrenamtliche Mitarbeiter und einfühlsam zur Seite. Dies ist besonders wichtig, wenn Gremienmitglieder von Aufarbeitungseinrichtungen auf sich aus den Akten ergibt, dass das MfS weitreichend in eine frühere Stasi-Mitarbeit überprüfbar. Außerdem das Leben eingegriffen hat oder wenn jemand von einem wurde der Aktenzugang für Wissenschaft und Forschung nahe stehenden Menschen verraten wurde. Oft reagieren sowie für nahe Angehörige von Vermissten und Verstor- Menschen mit großer Erleichterung auf die Aktenein- benen weiter verbessert. Auf Initiative der Koalitions- sicht, wenn sie erfahren, dass Vertrauen nicht enttäuscht fraktionen regelt das Gesetz künftig zudem die Verset- wurde. Chronisches Misstrauen – eine schmerzhafte Be- zung ehemaliger Stasi-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gleiterscheinung des Lebens in Diktaturen – hatte ihnen die zurzeit beim BStU beschäftigt sind. das Leben schwer gemacht. Nach der Verabschiedung durch den Deutschen Bundes- tag am 30. September 2011 hat der Bundesrat die 8. No- Das gesetzlich verbriefte Recht auf persönliche Aktenein- velle des Stasi-Unterlagengesetzes am 4. November 2011 sicht ist über die individuelle Dimension hinaus zu einem gebilligt. Das Gesetz ist am 31. Dezember 2011 in Kraft wichtigen Baustein gesellschaftlicher Aufarbeitung ge- getreten. worden. Was auch immer sich über den Einzelnen in den Archiven findet, allein die Entscheidung einen Antrag zu stellen, gehört zum Prozess der Aufarbeitung. Die er- Die Verwendung der Unterlagen folgte Akteneinsicht ist wiederum ein Impuls, das Gele- Akteneinsicht sene und die dabei erlebten Eindrücke anderen mitzutei- len und damit zu verarbeiten. Noch nie haben sich so Seit 20 Jahren gibt der BStU Bürgerinnen und Bürgern viele Menschen anhand von Akten eines Geheimdienstes auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Auskunft einer Diktatur derart intensiv mit der Vergangenheit be- über und Einsicht in die Unterlagen, die das MfS zu ihnen schäftigt. Die langfristigen Auswirkungen eines solchen angelegt hat. Es beinhaltet den Rechtsanspruch jedes Ein- massenhaften Prozesses der persönlichen Geschichtsan- zelnen auf Einsicht in die zur eigenen Person vom MfS eignung sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzuschätzen. geführten Unterlagen, auf die Herausgabe von Duplikaten Als gesichert kann allerdings gelten, dass die Beschäfti- sowie die Bekanntgabe der Klarnamen von inoffiziellen gung mit der „eigenen“ Akte persönlichen wie politischen Mitarbeitern, die an der Bespitzelung des Betroffenen be- teiligt waren. 1,8 Millionen Menschen haben bislang Legendenbildungen entgegenwirkt. Sie fördert die kriti- „ihre Akte“ gelesen; das sind 1,8 Millionen Entscheidun- sche Sicht auf die Diktatur und sensibilisiert für Tenden- gen gegen das Schweigen. Zusammen mit Wiederho- zen repressiver oder manipulativer Herrschaftsausübung. lungsanträgen, Anträgen auf Herausgabe von Kopien und Nur wenige Maßnahmen der politischen Bildung dürften Bekanntgabe von Namen inoffizieller Mitarbeiter wurden im Hinblick auf die Stärkung der Zivilgesellschaft ähn- insgesamt rund 2,83 Millionen Anträge bearbeitet. lich wirkungsvoll sein. In den ersten Jahren ging bei der Behörde eine Flut von Ein Vergleich mit den Erfahrungen anderer Staaten mit Anträgen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht ein. diktatorischer Vergangenheit und den dort über lange Die Annahme, nach einiger Zeit werde das Interesse an Jahre geführten innenpolitischen Debatten zeigt auch, Akteneinsichten deutlich nachlassen, wurde in einem un- dass der schnelle Schlussstrich unter die Vergangenheit erwarteten Ausmaß widerlegt. In den letzten fünf Jahren immer trügerisch ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 35 – Drucksache 17/12115

Überprüfungen chen Regelungen erhebliche Schieflagen, z. B. im Be- reich der Medien, entstanden: Während Mitarbeiter öf- Der Aufbau demokratischer Institutionen in den neuen fentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten überprüft werden Ländern sollte erfolgen, ohne dass ehemalige Mitarbeiter konnten, war dies in den Redaktionen von Printmedien und Zuträger des Staatssicherheitsdienstes wichtige Posi- und privaten Sendern nicht möglich – es sei denn, die Un- tionen in Staat und Gesellschaft behalten bzw. einnehmen ternehmensleitung legte darauf Wert, dass die Mitarbeiter konnten. Die frei gewählte Volkskammer der DDR und Anträge auf Selbstauskunft stellten, was vereinzelt der später der erste gesamtdeutsche Bundestag schufen des- Fall war. Bis zum 28. Dezember 2006 waren neben den halb die Voraussetzungen dafür, dass die MfS-Unterlagen Beschäftigten im öffentlichen Dienst noch im Wesentli- zur Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst chen Rechtsanwälte und Notare sowie leitende Personen sowie von Funktionsträgern in anderen wichtigen Berei- in Wirtschaft, Verbänden und Parteien überprüfbar. chen der Gesellschaft verwendet werden konnten. Anders als häufig angenommen, gab es im öffentlichen Während die im StUG enthaltenen Zugangsrechte zu den Dienst nie eine „Regelanfrage“, d. h. eine Verpflichtung Unterlagen in den meisten Bereichen unbefristet gelten, der Arbeitgeber zur Überprüfung aller Beschäftigten auf wurde die Verwendung der Unterlagen im Zusammen- eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem MfS. Vielmehr hang mit Überprüfungen zunächst auf 15 Jahre (bis zum lag und liegt es beim Arbeitgeber oder Dienstherrn zu 28. Dezember 2006) begrenzt, mit der 7. Novellierung entscheiden, ob, in welchem Umfang und in welchem des StUG dann, bezogen insbesondere auf herausgeho- Verfahren Überprüfungen vorgenommen werden. Entge- bene Funktionen in Politik, Verwaltung und Sport, um gen weit verbreiteter Meinung werden solche Überprü- fünf Jahre verlängert. Mit der 2011 verabschiedeten fungen auch nicht vom BStU veranlasst und durchge- 8. Novelle des StUG wurde eine Verlängerung von Über- führt. Aufgabe der Behörde ist es lediglich, auf zulässige prüfungsmöglichkeiten bis Ende 2019 festgeschrieben Ersuchen hin mitzuteilen, ob in Bezug auf eine überprüfte und der Kreis der überprüfbaren Personen erweitert. Person Hinweise auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Seit Bestehen des BStU wurden im Zusammenhang mit Tätigkeit für das MfS vorhanden sind. Der BStU bewertet Überprüfungen über 3,3 Millionen Ersuchen bearbeitet. diese Unterlagen nicht, sondern stellt die Informationen Etwas über die Hälfte (ca. 1,75 Millionen) bezogen sich den überprüfenden Stellen zur Verfügung. Diese Stellen auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst, davon fast alle haben dann die oft schwierige Entscheidung zu treffen, aus den neuen Ländern einschließlich Berlin. Der Um- ob unter sachgerechter Berücksichtigung der Hinweise fang der in den neuen Ländern erfolgten Überprüfungen aus den MfS-Unterlagen im Einzelfall arbeitsrechtliche war sehr unterschiedlich. Die Länder Thüringen und Konsequenzen zu ziehen sind. Sachsen und mit geringem Abstand dahinter auch Sach- Vor allem im Zusammenhang mit der Entlassung von Per- sen-Anhalt überprüften ihre im öffentlichen Dienst Be- sonen, denen eine frühere Tätigkeit für den Staatssicher- schäftigten recht umfassend. Das Land Brandenburg heitsdienst vorgeworfen wurde, sind im Laufe der Jahre überprüfte seine Beschäftigten in einem erheblich gerin- in vielen Überprüfungsfällen Mitteilungen des BStU indi- geren Ausmaß, die wenigsten Nachfragen gingen aus rekt Gegenstand von Entscheidungen der Verwaltungs- dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in der Be- und Arbeitsgerichte geworden. In der Regel akzeptierten hörde ein. Das Land Berlin lag hier im Mittelfeld. Auch dabei insbesondere die Verwaltungsgerichte die Vorge- sonst gab es ein unterschiedliches Bild: In manchen Be- hensweise des BStU als rechtmäßig, auch wenn die vom hörden und überprüfbaren Institutionen gab es vollstän- betreffenden Arbeitgeber ergriffene dienst- oder arbeits- dige und wiederholte Personalüberprüfungen, in anderen rechtliche Maßnahme zum Teil nicht bestätigt wurde. In wurden Überprüfungen auf bestimmte Mitarbeitergrup- nicht wenigen Fällen zeigte sich, dass die Aussagekraft pen beschränkt. Einzelne öffentliche Arbeitgeber verzich- von MfS-Unterlagen von Gerichten unterschiedlich ein- teten ganz auf eine Auseinandersetzung mit möglichen geschätzt wird. MfS-Verstrickungen ihrer Mitarbeiter. Von Bedeutung ist zudem nicht nur die reine Anzahl der überprüften Perso- Von großer Bedeutung für die Integrität gewählter politi- nen, sondern die Frage, nach welchen inhaltlichen Krite- scher Mandatsträger ist die weiterhin bestehende und in- rien und mit welcher Konsequenz bei nachgewiesener Tä- tensiv genutzte Möglichkeit, die Abgeordneten von Bun- tigkeit für das MfS personelle Konsequenzen gezogen destag und Landtagen, die Angehörigen kommunaler worden sind. Vertretungskörperschaften sowie die kommunalen Wahl- beamten zu überprüfen. Seit 1990 hat es dazu insgesamt Von öffentlichen Stellen der alten Länder wurde Personal über 80 000 Ersuchen gegeben. in der Regel nur dann überprüft, wenn es sich um Be- schäftigte handelte, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihren Durch den sachgerechten Umgang mit den Überprüfun- Wohnsitz in der ehemaligen DDR hatten. Bundesbürger, gen im öffentlichen Dienst sowie in anderen von diesem die nie in der DDR wohnten und auch nicht nach 1990 in Verfahren betroffenen Bereichen der Gesellschaft gelang die neuen Länder zogen oder dort tätig wurden, sind bis es in vielen Fällen, belastete Personen aus Funktionen auf wenige Ausnahmen nicht überprüft worden. fernzuhalten, die für das demokratische Gemeinwesen wichtig sind, ohne unverhältnismäßig in Persönlichkeits- Ähnliches gilt für den privaten Sektor, bei dem ohnehin rechte einzugreifen. Dies trug wesentlich zum Aufbau nur Spitzenpositionen überprüft werden durften. Kritisch eines demokratisch und rechtsstaatlich geprägten öffentli- bleibt hier festzuhalten, dass durch diese unterschiedli- chen Dienstes in den neuen Ländern bei, der das Ver- Drucksache 17/12115 – 36 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode trauen der Bevölkerung genießt. Die Regelungen des ner Rehabilitierung Gebrauch machten. Unter anderem Stasi-Unterlagen-Gesetzes haben sich auch im Bereich deshalb sind die Fristen für die Beantragung einer straf- der Überprüfungen als normative Grundlage für die Auf- rechtlichen Rehabilitierung im vergangenen Jahr noch arbeitung der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur be- einmal verlängert worden – nun bis zum 31. Dezember währt. 2019. Das trifft auch auf die Antragsfristen im Verwal- tungsrechtlichen und im Beruflichen Rehabilitierungsge- Eine Schwäche der personellen Erneuerung ist in den zu- setz zu. rückliegenden Jahren allerdings deutlich geworden: Durch die Möglichkeit der Überprüfungen auf frühere Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist es Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst und die daraus möglich zu beantragen, dass eine strafrechtliche Ent- folgenden Konsequenzen sind andere Formen der Mittä- scheidung eines Gerichts der ehemaligen DDR für rechts- terschaft gelegentlich aus dem Blick geraten. Während staatswidrig erklärt und aufgehoben wird. Dies ist als mancher „kleine“ inoffizielle Mitarbeiter seinen Arbeits- Vorstufe für eventuelle Wiedergutmachungsleistungen platz verlor, hatten ehemalige Parteifunktionäre und an- nach diesem Gesetz erforderlich. Insgesamt haben den dere Personen in Schlüsselstellungen nichts zu fürchten. BStU bisher mehr als 96 600 Ersuchen zum Zweck der Dieses Ungleichgewicht darf allerdings nicht dem Stasi- strafrechtlichen Rehabilitierung erreicht. Unterlagen-Gesetz angelastet werden. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, bei der Aufarbeitung der Diktatur in der Der Begriff der Wiedergutmachung, zu deren Zweck DDR verstärkt die anderen Bereiche des politischen Sys- MfS-Unterlagen ebenfalls genutzt werden, ist weit ge- tems, vor allem die führende Rolle der SED, in den Blick fasst. Hiervon abgedeckt werden nicht nur soziale Aus- zu nehmen. Hier gibt es noch Nachholbedarf. gleichsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetz wie die Kapitalentschädigung oder die besondere Zuwendung für Haftopfer (sogenannte SED- Rehabilitierung und Wiedergutmachung Opferrente). Auch Leistungen an Betroffene aus einer Viele Menschen haben in der DDR durch Verfolgung und ganzen Reihe anderer Gesetze fallen hierunter. Im Sinne durch Inhaftierung Unrecht erlitten oder mussten, weil sie der Wiedergutmachung wird der BStU tätig in Bezug auf sich der Willkür von SED und Staat nicht beugten, mas- das Berufliche und Verwaltungsrechtliche Rehabilitie- sive Nachteile hinnehmen. MfS-Unterlagen bieten inso- rungsgesetz, das Bundesversorgungsgesetz, das Entschä- weit einen unverzichtbaren Beitrag zur Aufarbeitung des digungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, das Häftlings- SED-Unrechts. Die Rehabilitierung von Betroffenen und hilfegesetz und das Vermögensgesetz. die Wiedergutmachung in Form von sozialen Ausgleichs- leistungen stehen deshalb zu Recht an vorderster Stelle Nach dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Verbes- der vom Stasi-Unterlagen-Gesetz genannten Zwecke zur serung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer Verwendung von Unterlagen, denn sie waren wesentliche der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom Intentionen des Gesetzgebers bei der Öffnung der Ar- 21. August 2007 hatte die Behörde in kürzester Zeit eine chive des MfS. sehr hohe Zahl von Ersuchen im Zusammenhang mit der beantragten Zahlung der sogenannten SED-Opferrente zu Mit dem Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungs- bewältigen. Insgesamt gingen bisher knapp über 41 000 gesetz wurden die Grundlagen für Rehabilitierung und Nachfragen ein. Wiedergutmachung geschaffen. Darin vorgesehene Rege- lungen sorgen zudem dafür, dass niemand zu Unrecht in Wer in der DDR infolge staatlicher Repression an der den Genuss von sozialen Ausgleichsleistungen kommt, Ausübung seines Berufs oder einer angestrebten Tätigkeit wenn er zwar einerseits zum Kreise von staatlichen Will- gehindert wurde, wer einer politischen Verfolgung ausge- kürmaßnahmen Betroffener gehört, sich jedoch anderer- setzt war oder durch rechtsstaatswidriges Verwaltungs- seits Verstößen schuldig gemacht hat, die das eigene erlit- handeln Schaden erlitt, kann nach den Grundsätzen des tene Unrecht überwiegen. Die für die entsprechenden Beruflichen oder Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie- Verfahren zuständigen Stellen können bei ihren Entschei- rungsgesetzes entschädigt werden. In diesen Fällen ersu- dungen Unterlagen der Staatssicherheit einbeziehen. Sie chen die zuständigen Behörden bei dem BStU um Unter- fragen beim BStU an, ob sich Nachweise für eine poli- lagen, die diese Sachverhalte belegen können. Außerdem tisch motivierte Verfolgung oder eine berufliche Benach- wird nach Hinweisen auf Gründe angefragt, die Leistun- teiligung, für Haftzeiten und Gesundheitsschäden finden. gen nach diesen Gesetzen ausschließen können. Es wird ferner geprüft, ob sich Tatbestände finden, die die Gewährung von sozialen Ausgleichsleistungen ausschlie- Die Nutzung der Unterlagen des MfS für die externe ßen. Forschung, die Medien und Einrichtungen der politischen Bildungsarbeit Generell ist festzustellen, dass viele zur Rehabilitierung und Wiedergutmachung Berechtigte erst bei der Zusam- Eine der wichtigsten Aufgaben des BStU ist die Bereit- menstellung ihrer Unterlagen für die Rentenbeantragung stellung von MfS-Unterlagen für die externe Forschung feststellen, dass ihnen Belege (etwa zum Nachweis von und für Medien zu Zwecken der politischen und histori- Haftzeiten oder Entlohnungen für Arbeit in der Haft) feh- schen Aufarbeitung der Diktatur in der DDR wie auch der len. Es ist davon auszugehen, dass bisher bei weitem Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (§ 32 nicht alle Bürger, denen durch eine politische Verfolgung bis 34 StUG); ohne diese Dienstleistung für Externe ist in der DDR Nachteile entstanden, von der Möglichkeit ei- eine Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht denkbar. Bis Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 37 – Drucksache 17/12115

Ende 2011 sind in diesem Bereich 26 300 Anträge einge- Thema Sport allein von externen Forschern und den Me- gangen. dien gestellt. So waren die Erkenntnisse aus den MfS-Un- terlagen auch eine wichtige Grundlage für die Tätigkeit Der BStU ist auch in dem Sinne Dienstleister, dass er der Unabhängigen Dopingkommission. Journalisten und Forscher intensiv berät und unterstützt. Bei der Recherche und Auswahl von Unterlagen sind die Während das Wirken der Staatssicherheit in der DDR gut Nutzer der MfS-Unterlagen viel stärker auf die Unterstüt- dokumentiert ist, sieht es bei der Westarbeit gegen die zung der BStU-Mitarbeiter angewiesen, als dies in „klas- Bundesrepublik Deutschland und Westberlin deutlich an- sischen“ Archiven notwendig ist. Ein Mitarbeiter des ders aus. Die entsprechenden Unterlagen, vor allem jene BStU übernimmt bei der Antragsbearbeitung aus rechtli- der für Spionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklä- chen Gründen viele Rechercheschritte. Dies ist notwen- rung, sind nahezu vollständig vernichtet worden. dig, da bereits die zahlreichen Karteien und Verzeichnisse des MfS sowie die von der Behörde erstellten Datenban- Zu den wichtigen Überlieferungen zählen zwei Karteien ken schutzwürdige Personenangaben enthalten, die Drit- der HV A, die sogenannte „Rosenholz“-Datei4 sowie das ten nicht ohne weiteres offenbart werden dürfen. Die elektronische „Posteingangsbuch“ der HV A, die SIRA- Mitarbeiter des BStU recherchieren auf Antrag in den Be- Datenbank, in der von Agenten beschaffte Informationen ständen der MfS-Überlieferungen, führen die Ergebnisse verzeichnet sind. Diese Unterlagen erlauben immerhin themenbezogen zusammen und stellen Unterlagen dann das Erkennen von Personen und inhaltlichen Konturen unter Berücksichtigung gegebenenfalls kollidierender Be- der Westarbeit der HV A. Vor allem auf diese Überliefe- lange des Persönlichkeitsrechts und Datenschutzes zur rungen heben Berichte in den Medien und in wissen- Verfügung. Dies ist notwendig, weil das StUG für die He- schaftlichen Veröffentlichungen ab, was zuverlässig an- rausgabe von bestimmten personenbezogenen Informa- zeigt, wie aktuell die Thematik bis heute ist. Gleichwohl tionen die Abwägung vorgibt, „ob die Informationserhe- waren die Erwartungen der Öffentlichkeit, der Medien bung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung und Forscher an die überlieferten „Rosenholz“-Unterla- beruht“ (§ 32 Ziffer 1 Absatz 2 Satz 2). gen überzogen. Die von manchen prognostizierte Enthül- lungswelle über bundesdeutsche Agenten ist ausgeblie- Die MfS-Unterlagen sind der entscheidende Quellenbe- ben – nicht nur wegen der lückenhaften Überlieferung, stand, wenn es um die Aufarbeitung der Unterdrückung sondern auch, weil die Erwartungen auf teilweise rege in der DDR geht, insbesondere wenn der Staatssicher- Spekulationen gegründet waren. heitsdienst Instrument dieser Unterdrückung war. Aber auch in Fällen, in denen die Rolle der SED, der Strafjus- Trotz dieser Einschränkungen tragen die vom BStU für tiz, der Volkspolizei, anderer staatlicher oder beispiels- die Westarbeit zur Verfügung gestellten Unterlagen zur weise sowjetischer Stellen im Vordergrund stand, können Erhellung dieses wichtigen Teils der deutsch-deutschen die in den Archiven der Behörde lagernden Unterlagen Geschichte bei. Medien- und Forschungsanträge zum Aufschlüsse über Tatbestände, Hintergründe und Verant- Einfluss des Staatssicherheitsdienstes auf den Deutschen wortlichkeiten geben; denn das MfS hat über alle politi- Bundestag, hier vor allem die 6., 10. und 11. Legislatur- schen und gesellschaftlichen Bereiche Informationen ge- periode, haben große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. sammelt und maßgeblichen Einfluss genommen. Viele Nicht selten haben Anträge zu einzelnen Personen des öf- Todesfälle an der Berliner Mauer und der innerdeutschen fentlichen Lebens den Anstoß für eine weiter greifende Grenze mit zum Teil bis dahin unbekannten Opfern wären Aufarbeitung der DDR-Geschichte gegeben: Nach der beispielsweise ohne die Unterlagen des MfS nicht aufzu- Landtagswahl in Brandenburg im September 2009 ist die klären gewesen. Für die Untersuchung und Aufklärung dortige Landespolitik von Stasi-Fällen in der Linksfrak- der gegen die Staatsgrenze gerichteten „staatsfeindlichen tion erschüttert worden. MfS-Verstrickungen einzelner Handlungen“ war das MfS zuständiges Untersuchungs- Abgeordneter der Linksfraktion sind durch Medienvertre- organ. ter offengelegt worden. Durch deren Anträge beim BStU Die Behörde bearbeitet Anträge in großer Bandbreite: und die sich anschließende Herausgabe von entsprechen- von Hochschulen und Universitäten, Institutionen sowie den Unterlagen an die Medien ist eine Debatte im Land privaten Forschern bis hin zu Schülern. Nicht zu verges- Brandenburg angestoßen worden, in der inzwischen die sen sind die Anträge kirchlicher Einrichtungen aus dem Überprüfungspraxis und die Aufarbeitung überhaupt the- Gebiet der ehemaligen DDR und zunehmend auch aus matisiert wird. Im März 2010 einigten sich alle Parteien den alten Ländern. des Landtags auf die Einsetzung einer Enquête-Kommis- sion zur Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung Auch für den Bereich des Leistungssports gibt es ein seit von Folgen der SED-Diktatur. Jahren ungebrochenes Interesse, war doch der internatio- nale Sport laut SED „ein wichtiges Feld der Klassenaus- Als mit der Öffnung der Archive des MfS sichtbar wurde, einandersetzung“ sowohl im Weltmaßstab als auch zwi- dass ein nicht unbedeutender Teil der Bestände Materia- schen den beiden deutschen Staaten. Heute wissen wir, dass hier nicht nur mit methodischen Trainingsprogram- men gearbeitet wurde, sondern auch unerlaubte Hilfsmit- 4 Bei der „Rosenholz“-Datei handelt es sich um mikroverfilmte Kartei- en der HV A, die während der Friedlichen Revolution unter nicht ge- tel genutzt wurden. Neben der Bespitzelung ist das Do- klärten Umständen in den Besitz der US-amerikanischen Central ping im Sport ein immer wiederkehrendes Antragsthema. Intelligence Agency (CIA) gelangten und bis März 2003 der Bundes- Im Lauf der Jahre wurden über 1 000 Anträge zum republik zur Verfügung gestellt wurden. Drucksache 17/12115 – 38 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode lien aus der Zeit vor 1945 enthielt, war nicht absehbar, mit Blick auf die individuelle Biografie für den Einzelfall welche Bedeutung dies sowohl für die Erforschung des zu bewerten. Nationalsozialismus als auch für die der Geschichte des Umgangs beider deutscher Staaten mit ihrer Vergangen- Politische Bildung beim BStU heit haben würde. Unterlagen aus der Zeit des National- sozialismus, welche auf dem Gebiet der DDR und auch in Das Stasi-Unterlagen-Gesetz definiert als eine der Kern- Osteuropa aufgefunden wurden, sind durch das MfS aufgaben des BStU die Unterrichtung der Öffentlichkeit übernommen, archiviert, systematisch erfasst und ausge- über die Struktur, Methoden und Wirkungsweise des wertet worden. Das MfS instrumentalisierte sie in erheb- Staatssicherheitsdienstes der DDR. Diesem Auftrag lichem Ausmaß für die Herrschaftssicherung der SED, kommt der BStU mit zwei integriert angelegten Arbeits- nutzte und verfälschte zum Teil die dort enthaltenen In- bereichen Forschung und Bildung innerhalb der Abtei- formationen über die NS-Vergangenheit von Politikern lung BF sowie durch Öffentlichkeitsarbeit seitens der Au- der Bundesrepublik zur Durchführung von Kampagnen ßenstellen und der Behördenleitung nach. mit dem Ziel, sich als der wahre konsequent antifaschisti- Der Bereich der politischen Bildung hat einen ausdifferen- sche Staat darzustellen. Verschwiegen wurde jedoch, dass zierten Katalog an Bildungsangeboten entwickelt. Er um- auch in der DDR in vielen Fällen auf eine Strafverfolgung fasst Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit, Wech- von NS-Verbrechen verzichtet wurde, wenn es zweckmä- sel-, Wander- und Dauerausstellungen zur Geschichte des ßig erschien, das gesammelte Material zu operativen MfS, Fortbildungen für Multiplikatoren, Projekttage für Zwecken zu nutzen. In jüngster Zeit werden die Unterla- Schüler sowie didaktisch aufbereitete Materialien. Die Bil- gen vermehrt genutzt, um auch die NS-Vergangenheit dungsangebote basieren auf der Auswertung der MfS- einzelner Institutionen in der Bundesrepublik zu untersu- Unterlagen und im Besonderen auf Ergebnissen der origi- chen. Da die im Archiv vorhandenen Unterlagen zur NS- nären Forschungstätigkeit; sie greifen aktuelle gesell- Zeit eine umfangreiche Materialsammlung zur personel- schaftliche und wissenschaftliche einschließlich ge- len Besetzung des Justiz- und Behördenapparates im schichtsdidaktischer Diskussionen auf und reagieren auf „Dritten Reich“, der NSDAP sowie der Wehrmacht be- bildungspolitische Bedarfe. Mit seinen Angeboten ist der inhalten, kann für diesen Zweck wichtiges Quellenmate- BStU seit Jahren fest in die Bildungslandschaft zur DDR- rial zur Verfügung gestellt werden. Geschichte und zur Demokratie-Stärkung integriert. In den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes befinden Ausgehend von der Anbindung an das MfS-Thema, leis- sich zehntausende Film- und Tondokumente, die von tet der BStU damit einen Beitrag zur kritischen Auseinan- Journalisten sehr intensiv für die Vorbereitung von Doku- dersetzung mit der SED-Diktatur. Als Bundesbehörde mentar- und Fernsehfilmen genutzt werden. Im ersten kommt ihm dabei die Aufgabe zu, das Thema für eine Jahrzehnt der Behörde wurde das Thema Staatssicherheit breite Öffentlichkeit auch in den alten Ländern aufzube- und Unterdrückung in der DDR vor allem in Dokumenta- reiten, in denen es nur vereinzelt spezielle Angebote zur tionen und zeitgeschichtlichen Darstellungen auf Grund- Aufarbeitung der SED-Diktatur gibt. Die Arbeit des For- lage der vom BStU bereitgestellten Unterlagen behandelt. schungsbereichs des BStU wird in Kapitel 9 (Wissen- In den letzten Jahren nahmen sich dann häufiger Spiel- schaftliche Aufarbeitung) dargestellt. filme des Themas an. Berühmtestes Beispiel ist der Kino- film „Das Leben der Anderen“, aber auch für eine Reihe Veranstaltungen von Kriminalfilmen („Tatort“ u. a.) und für Fernsehserien (z. B. „Weissensee“) wurden die Methoden des Staatssi- Mit seinen Veranstaltungen erfüllt der Bundesbeauftragte cherheitsdienstes sorgfältig recherchiert, und es dienten seit nunmehr 20 Jahren den gesetzlichen Auftrag, die Öf- tatsächliche Beispiele seiner Arbeitsweise als Hinter- fentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise grund für die Drehbücher. Ferner helfen Fernsehfilme da- des Staatssicherheitsdienstes zu unterrichten. Das Ange- bei, bisher weniger beachtete Themen wie etwa das Frau- bot reicht von Zeitzeugendiskussionen, Filmabenden, engefängnis Hoheneck in den Blickpunkt zu rücken. Fachvorträgen, Fortbildungen und Lesungen bis hin zu Auch wenn bei der Umsetzung des Stasi-Themas immer Theateraufführungen und Ausstellungen. Im Mittelpunkt künstlerische Freiheiten in Anspruch genommen wurden, steht dabei die Information über die Staatssicherheit und sind mit Unterstützung des BStU beeindrukkende Filme ihre Funktion in der SED-Diktatur. Die Herrschafts- und entstanden, die vor dem Hintergrund der fast lückenlosen Machtsicherung spielen ebenso eine Rolle wie die vielen Überwachung der DDR-Gesellschaft spielen oder sich Menschen, die von der Staatssicherheit abgehört, verhaf- kritisch mit der Aufarbeitung dieser Zeit auseinanderset- tet, ausspioniert oder außer Landes getrieben wurden. zen. Nicht zuletzt sind diejenigen im Blickpunkt, die sich ge- gen die Herrschaftsmechanismen und die Geheimpolizei Gegenüber der Anfangszeit der Behörde hat sich die Art auflehnten und letztlich die Diktatur beseitigten. der Berichterstattung etwas gewandelt. Zwar betrachten Journalisten immer konkrete Ereignisse, Vorgänge und Veranstaltungshöhepunkte waren über die Jahre hinweg Einzelpersonen. Aber die Qualität der Berichterstattung auch hier wichtige Jubiläen, zum Beispiel die jeweiligen und der öffentlichen Diskussion über Stasi-Verstrickun- Jahrestage der Besetzung von Stasi-Dienststellen, der gen ist im Laufe der Zeit sachlicher geworden. Die Be- 40. und 50. Jahrestag des Mauerbaus 2001 und 2011, der reitschaft der Öffentlichkeit nimmt zu, Informationen aus 50. Jahrestag der Aufstände am 17. Juni 1953 und selbst- den Stasi-Unterlagen auch im historischen Kontext und verständlich Jahrestage im Zusammenhang mit der Fried- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39 – Drucksache 17/12115 lichen Revolution in der DDR. Solche Jahrestage bieten Informations- und Dokumentationszentren die Möglichkeit, historische Ereignisse herauszustellen, die Forschungsergebnisse des BStU-Wissenschaftsbe- Seinem Bildungs- und Informationsauftrag kommt der reichs zu vermitteln und intensiver in den breiten gesell- BStU auch mit den Informations- und Dokumentations- schaftlichen Diskurs einzubringen. Das 20. Jubiläum des zentren in Halle, Erfurt, Dresden sowie der Dokumenta- Revolutionsjahres 1989, der Auflösung des Staatssicher- tions- und Gedenkstätte „Opfer politischer Gewaltherr- heitsdienstes und der Öffnung seiner Akten verdeutlichte schaft“ in Frankfurt (Oder) und der Dokumentations- und mit über 750 Veranstaltungen des BStU und seiner Ko- Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt operationspartner die Dimension, die die Veranstaltungs- des MfS in Rostock nach. In Verbindung mit den Archiven tätigkeit inzwischen erreicht hat. Dabei standen neben der der örtlichen Außenstellen – als authentischen Orten – sind Freude über die erkämpfte Freiheit und Demokratie auch sie besonders geeignet, jüngere Menschen für die SED- Informationen über die überwundene Diktatur im Mittel- Diktatur zu sensibilisieren und über sie zu informieren. punkt. Die Außenstellen ohne eigenes Informations- und Doku- mentationszentrum verfügen über Ausstellungen, die über Strukturen, Methoden und Wirkungsmechanismen Ausstellungen des MfS Auskunft geben. Schon allein durch die regelmä- ßigen Führungen durch die Archive geben die Außenstel- Ausstellungen des BStU sind ein wesentlicher Bestandteil len einen elementaren Einblick in die Arbeit der Geheim- seiner politischen Bildungsarbeit. Neben den Daueraus- polizei. stellungen in den Außenstellen der Behörde wurde eine Reihe von themenspezifischen Wanderausstellungen erar- Das erste Informations- und Dokumentationszentrum beitet. Sie werden häufig in Schulen, aber auch in kleine- wurde fast genau fünf Jahre nach der Besetzung der Be- ren Museen, Gedenkstätten und öffentlichen Einrichtun- zirksverwaltung für Staatssicherheit 1994 in Frankfurt gen gezeigt und leisten so eine wichtige Unterstützung für (Oder) in der dortigen Außenstelle eröffnet, es folgten in regionale Aufarbeitungsbestrebungen. den nächsten Jahren Dresden, Halle, Erfurt und Rostock. Neben Dauerausstellungen über die Struktur und Wir- Mit rund 40 Wanderausstellungen, die auch von Interes- kungsweise des MfS mit besonderen Schwerpunkten auf senten aus dem gesamten Bundesgebiet ausgeliehen wer- regionalen Besonderheiten werden an diesen Orten den können, stellt der BStU ein breites Themenspektrum Wechselausstellungen zu zeitgeschichtlichen Themen so- zur historisch-politischen Bildung in den Regionen zur wie Kunstausstellungen präsentiert. Verfügung. Viele kleinere Institutionen greifen gern auf diese Angebote zurück, die in der Regel von Begleitver- Seit dem 9. November 1998 betreibt der BStU auch in anstaltungen der BStU-Außenstellen ergänzt werden. Die Berlin ein Informations- und Dokumentationszentrum. Ausstellungen behandeln u. a. die Themen Flucht, Stasi Über 364 000 Besucher haben die erste Dauerausstellung und Sport, deutsch-deutsche Städtepartnerschaften oder „Staatssicherheit – Machtinstrument der SED-Diktatur“ einzelne Ereignisse wie die Reaktionen von Opposition gesehen. Nach der brandschutzbedingten Schließung der und Stasi auf die Atomkatastrophe in Tschernobyl. Ausstellungsräume im Mai 2010 wurde – als Zwischenlö- sung bis zur Fertigstellung der Ausstellung in Haus 1/ Seit 1996 bietet der BStU eine Wanderausstellung an, die Normannenstraße und zur Aufrechterhaltung des Bürger- speziell für die alten Länder konzipiert wurde. Die erste services – das neue Bildungszentrum in Berlin-Mitte mit Ausstellung mit dem Titel „Staatssicherheit – Garant der der Dauerausstellung „STASI – Die Ausstellung zur SED-Diktatur“ hat gezielt die Bedeutung der SED als DDR-Staatssicherheit“ eröffnet. Die Ausstellung gibt ei- Auftraggeberin der Staatssicherheit und die Rolle des nen konzentrierten Einblick in die Funktion, Struktur und Ministeriums für Staatssicherheit für den Erhalt der SED- Tätigkeit des MfS, sie verdeutlicht anhand exemplari- Diktatur herausgearbeitet. Von 1996 bis 2008 war die scher Biografien die Auswirkungen der geheimpolizeili- Ausstellung an 86 Orten zu sehen. Die Behörde hat sie chen Repression auf das Leben der Betroffenen und auch im Ausland gezeigt, vor allem in ostmitteleuropäi- zeichnet die Einflussnahme des MfS auf das Alltagsleben schen Städten. der DDR-Bevölkerung nach. Ergänzend zur Ausstellung finden Seminar- und Projekttage für Lehrkräfte und Schü- Nach über zehn Jahren Laufzeit wurde eine grundlegende ler statt, wechselnde Sonderausstellungen runden das Überarbeitung nötig. Am 3. Oktober 2008 konnte die Programm ab. Aus Anlass des 50. Jahrestages des Mauer- neue Wanderausstellung „Feind ist, wer anders denkt“ in baus hat der BStU im August 2011 z. B. die Ausstellung Hamburg eröffnet werden. Besondere Aufmerksamkeit „Täuschen und Vertuschen. Die Stasi und die Mauerto- lässt sie den Menschen zuteilwerden, die in das Visier des ten“ präsentiert, in der u. a. Unterlagen des Staatssicher- Staatssicherheitsdienstes geraten sind. Ihr Schicksal heitsdienstes und persönliche Gegenstände von Mauer- zeichnet die Ausstellung exemplarisch in biografischen opfern gezeigt wurden; mit Hilfe dieser Unterlagen Sequenzen nach. Wie ihre Vorgängerin erfreut auch sie konnten Angehörige nach der Friedlichen Revolution end- sich großer Nachfrage. Sie war seit ihrer Eröffnung in lich Klarheit über die wahren Umstände des Todes ihrer 18 deutschen Städten sowie an verschiedenen Stationen Verwandten erlangen. Das Ausgeliefertsein der Angehöri- im europäischen Ausland zu sehen. Insgesamt besuchten gen gegenüber einem Apparat, der willkürlich Legenden bisher rund 420 000 Interessierte die alte und neue Wan- selbst zu Toten produzierte, eröffnete vielen Besuchern derausstellung des BStU. tiefe Einblicke in das Wesen dieser Geheimpolizei. Drucksache 17/12115 – 40 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In Haus 1/Normannenstraße auf dem Gelände des Dienst- liegen, haben inzwischen doch auch die heute Studieren- sitzes des ehemaligen Ministers für Staatssicherheit in den oft keinerlei biografischen Bezug mehr zur Zeit der Berlin-Lichtenberg hat der BStU zusammen mit dem Ver- DDR und des geteilten Deutschlands. Seminare für ange- ein ASTAK e.V. im Januar 2012 mit einem gemeinsamen hende Lehrkräfte versprechen aus Sicht des BStU beson- temporären Ausstellungsangebot das „STASI MUSEUM. ders große Nachhaltigkeit. Einzelne Studienseminare ha- Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ eröffnet. Eine aus- ben die Weiterbildungen zur Behandlung des Themas führliche Darstellung dieser Einrichtung befindet sich im „DDR und MfS im Unterricht“ inzwischen als regelmä- Kapitel 10 „Gedenkstätten und Erinnerungsorte“ im Ab- ßige Veranstaltungen in ihr Programm aufgenommen. schnitt „Überwachung und Verfolgung“. Internationale Zusammenarbeit Bildungsangebote für Schulen und Universitäten Die Behörde hat auch Impulse für die Aufarbeitung der Als vor einem Jahrzehnt vermehrt Schulen bei der Be- kommunistischen Diktaturen in Ost- und Mitteleuropa hörde in Berlin und in den Außenstellen um Unterstüt- gegeben. Die dort entstandenen Institutionen haben sich zung nachfragten, reagierte die Behörde im Jahre 2001 teilweise am Modell des BStU orientiert, Vertreter aus ei- mit dem Angebot an die Bildungsminister der neuen Län- nigen dieser Ländern haben sich im Vorfeld eigener Ge- der und , Schulen bei der Vermittlungsarbeit zum setzgebung Rat geholt. Die Zusammenarbeit wurde Ende Thema Staatssicherheit als dem zentralen Machtorgan der 2008 durch die Gründung des „Europäischen Netzwerks SED-Diktatur zu unterstützen. Seit 2002 hat die Behörde der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden“ mit allen Bildungsministerien der neuen Länder und Ber- verstetigt, dem Behörden aus sieben Ländern angehören. lins feste Vereinbarungen getroffen. Über die Beschäfti- Im Netzwerk findet ein regelmäßiger Austausch zu fach- gung mit dem Ministerium für Staatssicherheit als Ge- lichen Fragen und zur Aufarbeitung der kommunistischen heimpolizei und seiner Rolle für den Machterhalt der Diktaturen Osteuropas statt. Darüber hinaus existieren SED-Diktatur können Schüler die Wirkungen und Me- mit einigen Ländern bilaterale Kooperationsabkommen. chanismen der SED-Diktatur kennen und Grundlagen von Diese Kooperationen und die Einbindung der Behörde in Demokratie begreifen lernen; der BStU trägt hier zur de- internationale Initiativen haben sich als tragfähige Wege mokratischen Bildung bei. erwiesen, die Auseinandersetzung mit dem Funktionieren von Diktaturen im Allgemeinen und kommunistischen Im Jahr 2003 reagierte der BStU auf die stetig steigende Repressionsapparaten im Besonderen auf breiter Basis zu Nachfrage nach Veranstaltungen und Materialien sowie fördern. die zunehmend zu beobachtenden Defizite in der schuli- schen Vermittlung zur DDR-Geschichte auch organisato- Seit vielen Jahren konsultieren auch etliche nichtstaatli- risch mit der Einrichtung eines neuen Sachgebiets „histo- che Initiativen und staatliche Einrichtungen, die in ande- risch-politische Bildungsarbeit“. Die Mitarbeiter dort ren Teilen der Welt vergangene Diktaturen aufarbeiten nehmen eine zielgruppenorientierte Aufgabe wahr. Sie (wollen), den BStU. So sei als jüngstes Beispiel der inten- sollen die Voraussetzungen für eine noch intensivere Zu- sive Kontakt zu Oppositionellen und Menschenrechtlern sammenarbeit mit Schulen schaffen, um den spezifischen in Ägypten erwähnt; diese waren zu Gast in der Behörde Anforderungen der Schulen und den Bedürfnissen des ju- und ein Vertreter der Behörde war mehrfach zu Informa- gendlichen Adressatenkreises besser Rechnung zu tragen. tionsveranstaltungen in Ägypten, um dort über die Erfah- rungen im Umgang mit den Unterlagen des Staatssicher- Seitens vieler Lehrkräfte und anderer Multiplikatoren heitsdienstes zu berichten.5 wurde in der Frühzeit der MfS-Aufarbeitung der Mangel an methodisch-didaktischen Begleitmaterialien beklagt. Die Landeszentralen für politische Bildung Diesem Defizit hat der BStU durch schulspezifische An- gebote Rechnung getragen, die von regional ausgerichte- Die Landeszentralen für politische Bildung begannen ten Materialsammlungen der Außenstellen über eine ei- nach der Wiedervereinigung, flächendeckend Angebote gene Broschürenreihe „BStU für Schulen“ bis hin zu über die DDR und zur Aufarbeitung der Folgen der SED- einem auf den Schulunterricht zugeschnittenen Film über Diktatur zu entwickeln. das Ministerium für Staatssicherheit reichen. Das Spektrum der entfalteten Aktivitäten zur politischen Fortbildungsseminare für Lehrkräfte sind für die Bildungs- Bildung ist breit. Bereits während des politischen Um- arbeit des BStU auch perspektivisch von großer Bedeu- bruchs im Jahr 1989/90 wurden von den Landeszentralen tung, können doch motivierte und informierte Lehrkräfte, Informationen über das politische System der Bundes- die das Thema Staatssicherheit als Unterrichtsthema be- republik, die anstehenden Wahlen und den gesellschaftli- rücksichtigen, ein langfristiges Interesse vieler Schülerge- chen Umbruch für die Bürger in der DDR bereitgestellt. nerationen an dem Stoff wecken. Die Weiterbildungsse- Auch unterstützten die westdeutschen Landeszentralen minare finden sowohl beim BStU in Berlin als auch an die neuen Länder beim Aufbau ihrer eigenen Einrichtun- den jeweiligen Schulstandorten, vielfach auch in den al- gen zur politischen Bildung. So errichtete zum Beispiel ten Ländern, statt. Allein 2011 wurden 84 Weiterbildun- die Hessische Landeszentrale eine Außenstelle in Erfurt gen mit 2 200 Lehrkräften von der Behörde durchgeführt.

Die Zusammenarbeit mit geschichtsdidaktischen Semina- 5 Auf die bedeutsamen archivischen Aufgaben des BStU wird in Kapi- ren an den Universitäten ist dem BStU ebenfalls ein An- tel 12 (Archive) eingegangen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 41 – Drucksache 17/12115 und ordnete Personal an die neugegründete Landeszent- Die Landeszentralen für politische Bildung leisten mit ih- rale in Thüringen ab. rer Arbeit einen außerordentlich wichtigen Beitrag, die Auseinandersetzung mit Geschichte und Folgen der SED- Die Angebote zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind in Diktatur in der gesamten Bundesrepublik zu ermöglichen. den einzelnen Ländern teilweise unterschiedlich ausge- staltet. Insgesamt ist es die Zielsetzung der politischen Bildungsarbeit, die Menschen, besonders die jungen, in Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten, demokratisch Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR handelnden Bürgerinnen und Bürgern zu bestärken. Hier- Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi- für steht eine Reihe von Materialien, Angeboten und cherheitsdienstes der ehemaligen DDR (LStU) der neuen Maßnahmen zur Verfügung: Länder und Berlin – in Brandenburg Landesbeauftragte – Publikationen: Die Landeszentralen stellen einschlä- zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Dikta- gige Fachliteratur, eigene Publikationen und Unter- tur (LAkD) – unterstützen den Bundesbeauftragten für richtsmaterialien zur Geschichte der DDR und zu den die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali- Folgen der SED-Diktatur zur Verfügung. gen DDR bei seiner Arbeit und beraten ihn zu landes- spezifischen Besonderheiten bei der Verwendung der – Internetportale: In unterschiedlichem Umfang stehen Unterlagen. Grundlage hierfür bildet § 38 des StUG. Sie Unterrichtsmaterialien, Dossiers, Berichte und Litera- verwalten aber nicht die Akten des MfS, dies ist Aufgabe tur auch auf den Internetauftritten der Landeszentra- der Bundesbehörde. Weiter besteht ihre Aufgabe in der len. Beratung zu allen Fragen, die sich aus der Tätigkeit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit ergeben, – Fortbildungsangebote: Verschiedene Landeszentralen insbesondere zu Akteneinsicht und Rehabilitierung. Die bieten Fortbildungen, besonders auch für Lehrkräfte, Beauftragten werden von den Landesparlamenten ge- zum Thema SED-Aufarbeitung an. wählt. – Außerschulische Lernorte: Einige Landeszentralen ar- Im Einzelnen erstrecken sich die Aufgaben der Landesbe- beiten eng mit Gedenkstätten, Lern- und Erinnerungs- auftragten auf die folgenden Bereiche, wobei ein Schwer- orten zusammen und beziehen diese in Veranstaltun- punkt auf der Beratung liegt: gen ein bzw. fördern deren Besuch durch Gruppen. Teilweise bestehen auch direkte Zuständigkeiten der Beratung Landeszentralen für Gedenkstätten. So ist die Bayeri- sche Landeszentrale für die Weiterentwicklung des Die Landesbeauftragten sind Ansprechpartner für Bürger, Deutsch-Deutschen Museums in Mödlareuth zustän- die Verwaltung und sonstige Stellen zu Anliegen im Zu- dig, die Hessische Landeszentrale arbeitet – wie die sammenhang mit dem MfS. Sie beraten zu Fragen der Thüringer Landeszentrale – eng mit dem Grenzland- Antragstellung, zum Recht auf Auskunft, zur Einsicht museum Schifflersgrund und der Point Alpha Stiftung und Herausgabe von Stasi-Akten, zur Rehabilitierung und zusammen. Die Landeszentrale Mecklenburg-Vor- Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafver- pommern betreibt das Dokumentationszentrum für die folgung, zur Überprüfung von Mitarbeitern im öffentli- Opfer der Diktaturen in Deutschland in Schwerin. chen Dienst sowie zu Archiven, in denen sich wichtige Unterlagen aus der Zeit der DDR befinden. Diese Bera- – Zeitzeugenarbeit: Die Landeszentralen führen regel- tungen, besonders zu den Themen Akteneinsicht und zur mäßig Veranstaltungen mit Zeitzeugen durch oder ver- Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern werden mitteln den Kontakt zu diesen. Es bestehen auch Ko- regelmäßig an verschiedenen Orten in den neuen Ländern operationen mit Einrichtungen wie beispielsweise der abgehalten, oft auch in Zusammenarbeit mit den Außen- Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen oder stellen des BStU. der Bundesstiftung Aufarbeitung, die eigene Zeitzeu- genprogramme betreiben. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit – Ausstellungen: Im Angebot der Landeszentralen be- findet sich auch eine Vielzahl von (Wander-)Ausstel- Die historisch-politische Bildungsarbeit im schulischen lungen, oft auch in Kooperation mit anderen Einrich- und außerschulischen Bereich hat das Ziel, eine mög- tungen zur politischen Bildung oder zur Aufarbeitung lichst breite Öffentlichkeit über die Staatssicherheit in der der SED-Diktatur. DDR, ihre Rolle im politischen System und die Zusam- menhänge ihres Wirkens und die bis heute anhaltenden – Veranstaltungen: Besonders zu den Jubiläen in den Folgen zu unterrichten. Dabei liegt ein besonderes Au- Jahren 2009 und 2010 führten die Landeszentralen genmerk auf der Zielgruppe der Jugendlichen, die das Le- Veranstaltungen in unterschiedlichsten Formaten für ben in der DDR nur aus Filmen und Büchern, dem Schul- alle Zielgruppen der politischen Bildungsarbeit durch. unterricht oder aus Erzählungen anderer kennen. Für sie Darunter befanden sich beispielsweise Seminare, gibt es besondere Angebote, die auf die Bedürfnisse jun- Symposien, Diskussionsveranstaltungen mit Zeitzeu- ger Menschen zugeschnitten sind. So werden zum Bei- gen, Schülerwettbewerbe, wissenschaftliche Tagungen spiel Seminare für Schüler in Gedenkstätten angeboten sowie Projekttage oder -wochen für Schüler. und Zeitzeugengespräche vermittelt. Drucksache 17/12115 – 42 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ihrem Bildungsauftrag kommen die Behörden der Lan- Im Bereich der Politischen Jugendbildung haben in den desbeauftragten durch eine Vielzahl von Veranstaltungen vergangenen Jahren zahlreiche Veranstaltungen stattgefun- nach, oft in Zusammenarbeit mit anderen Bildungs- und den, die sich mit der Geschichte der DDR, der Geschichte Aufarbeitungseinrichtungen und Gedenkstätten. Neben der beiden deutschen Staaten, dem Zusammenwachsen der den bereits genannten Formaten für Schüler werden re- beiden deutschen Staaten nach der Vereinigung und somit gelmäßig Veranstaltungen für alle interessierten Personen explizit bzw. im Kontext von Fragen der jüngeren deut- durchgeführt, die von Diskussionsabenden mit Zeitzeu- schen Zeitgeschichte mit der Aufarbeitung der SED-Dik- gen über Buchvorstellungen bis zu Vorträgen und Film- tatur beschäftigt haben. Dabei wurden die Themen so- vorführungen reichen. wohl in Bildungsangeboten in den alten und neuen Ländern, als auch in Kooperationen zwischen Einrichtun- Weiter bestehen unterschiedliche Fortbildungsangebote gen in den alten und den neuen Ländern bearbeitet. für Lehrer, teilweise auch für Rechtsreferendare und Teil- nehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr. Einige Bildungsträger – wie etwa die ET – haben zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und der SED-Diktatur Forschung einen eigenen zentralen thematischen Schwerpunkt der historisch-politischen Bildung eingerichtet, in dem die Die Landesbeauftragten unterstützen und begleiten Pro- Bildungsformate ständig weiterentwickelt werden. jekte und Forschungsvorhaben, führen aber auch selbst Forschungsarbeiten durch. Auch hier kooperieren sie mit Exemplarische Veranstaltungen und Projekte wissenschaftlichen Einrichtungen, Opferverbänden, Auf- arbeitungsinitiativen, Bildungsinstitutionen und Gedenk- Das Projekt Blended Learning DDR stätten. In einem zweijährigen Projekt (2009/10) des AdB zur Verbindung von Online-Lernen und Auseinandersetzung Programme und Projekte zur Politischen mit DDR-Geschichte in der politischen Jugendbildung Jugendbildung wurden mit Jugendlichen aus Ost- und Westdeutschland die Themen „Die Revolution ist großartig... Aufstand der Die Bundesregierung fördert mit Mitteln des Kinder- und Jugend in der DDR?“, „Soundtrack zur Freiheit – Musik Jugendplans des Bundes die Arbeit der Träger der Politi- in der DDR“ und „Von der Wende bewegt“ bearbeitet. schen Jugendbildung auf der Bundesebene. Politische Jugendbildung bestärkt junge Menschen in ihrer Entwick- Das Projekt basierte auf der Grundannahme, dass eine lung zu selbstbestimmten, demokratisch handelnden Bür- Beschäftigung mit dem Thema „DDR-Geschichte“ mehr gerinnen und Bürgern. Sie fördert den individuellen und als eine reine Informationsvermittlung erfordert: Mit den gemeinsamen Meinungsbildungsprozess über gesell- zielgruppenadäquaten Themen bieten sich neue Ansatz- schaftliche und politische Vorgänge. Sie schafft Möglich- punkte für die Bildungsarbeit; die Einbeziehung neuer keiten der friedlichen Auseinandersetzung und macht Medien erhöht die Attraktivität für Jugendliche. Der On- kompetent für die Mitwirkung in Betrieb oder Schule. Sie line-Lernprozess unterstützte den Lernprozess im Semi- zeigt Handlungsmöglichkeiten auf und macht Mut, diese nar. auch zu nutzen. Sie fördert Selbstbewusstsein, Teilhabe- fähigkeit und die Lust, sich einzumischen. Politische Bil- Die Teilnehmenden sollten die Existenz und das Schei- dung vermittelt jungen Menschen Kenntnisse über Ge- tern der DDR einordnen und bewerten. Sie sollten erken- sellschaft und Staat, europäische und internationale nen, dass öffentlich geäußerte Kritik und Protest an staat- Politik. Der Begriff des Politischen begründet sich im Ge- licher Macht in einer Demokratie legitimes Mittel der meinwesen, in der Lebenswelt und im Sozialraum. politischen Auseinandersetzung sind, und entdecken, dass Bürgerbewegungen erfolgreich Wirkungen für Menschen Die außerschulische politische Jugendbildung ist ein eigen- und für die Verbesserung von Lebensbedingungen entfal- ständiger Teil der Jugendarbeit. Ihre Träger sind Bildungs- ten können, wenn sie gewaltfrei demokratischen Zielen stätten, Akademien, Bildungswerke und Volkshochschu- folgende Bedingungen erfüllen. In Präsenzseminaren mit len. Sie arbeiten auf örtlicher, regionaler, Landes- und Jugendlichen aus Ost- und Westdeutschland, vor- und Bundesebene. Die bundesweit arbeitenden Träger politi- nachgelagerten Online-Lernphasen mit Kommunikations- scher Jugendbildung außerhalb der Jugendverbände haben angeboten, Motivationsaufgaben, Umfragen, Arbeitsauf- sich in der GEMINI (Gemeinsame Initiative der Träger gaben und einer Abschlusstagung wurden die Projektziele politischer Jugendbildung) zusammengeschlossen: die Ar- umgesetzt. beitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke e.V. (AKSB), der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. Grenzerfahrungen – eröffnen Chancen (AdB), der Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN e.V. (AL), der Deutsche Volkshochschulverband e.V. Das grenzübergreifende Projekt der Kreisvolkshochschule (DVV), die Evangelische Trägergruppe für gesellschafts- Ludwigslust (DVV) gab Jugendlichen aus Schleswig-Hol- politische Jugendbildung (ET) und der Verband der Bil- stein und Mecklenburg-Vorpommern Gelegenheit, sich ge- dungszentren im ländlichen Raum e.V. Die GEMINI ist meinsam mit Schicksalen, Entwicklungen und Ansichten Teil des Bundesausschusses Politische Bildung (bap), der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte im grenzna- dem Zusammenschluss von rund 30 bundesweit tätigen hen Raum auseinander zu setzen. Dabei ging es sowohl Trägerverbänden. um geschichtliche Ereignisse und Befindlichkeiten als Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 43 – Drucksache 17/12115 auch um Entwicklungen und Ansichten nach der deut- schiedene Einzelprojekte mit der Aufarbeitung der SED- schen Vereinigung. Neben Interviews mit Zeitzeugen Diktatur auseinander. spielten auch Aspekte der Regionalentwicklung eine Rolle, weshalb Exkursionen sowie Begegnungen mit ei- Das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – nem Landschaftspflegeverein stattfanden. Über den Zu- KOMPETENZ STÄRKEN“ sammenhang der wirtschaftlichen und politischen Ent- wicklung verfasste eine Projektgruppe ein Skript, das Das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – auch als Unterrichtsmaterial verwendet werden kann. KOMPETENZ STÄRKEN“ des BMFSFJ führt seit dem Nach einem von der Projektgruppe entwickelten Dreh- 1. Januar 2011 die erfolgreiche Arbeit der beiden Bundes- buch entstand, unter Einbezug privater historischer Auf- programme „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, nahmen und eines professionellen Drehteams, ein Film, Toleranz und Demokratie“ und „kompetent. für Demo- der auf der Internetseite des DVV www.dvv-vhs.de abruf- kratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ bar ist. unter einem gemeinsamen Dach fort. Es zielt darauf ab, ziviles Engagement, demokratisches Verhalten und den Einsatz für Vielfalt und Toleranz zu fördern. Angespro- Für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus chen werden sollen besonders Kinder und Jugendliche, Das Engagement für Demokratie und Toleranz ist ein aber auch Eltern, Pädagogen, lokal einflussreiche staatli- wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Dazu braucht che und zivilgesellschaftliche Akteure sowie Multiplika- es Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren und da- toren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung Lo- mit die Werte unserer Demokratie an die nächste Genera- kaler Aktionspläne. Gerade in den Projekten mit stark tion weitergeben. regionalem Bezug steht die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte im Mittelpunkt. Zu einer Stärkung des demokratischen Bewusstseins ge- hört auch die Bereitstellung von zielgruppengenauen In- Das Bundesprogramm „Initiative Demokratie Stärken“ formationen zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte, insbesondere der NS-Terrorherrschaft und der SED-Dik- Das BMFSFJ hat im Rahmen seiner Zuständigkeiten für tatur. politische Bildung im Jugendbereich 2010 seine Aktivitä- ten im Bereich der Extremismusprävention auf die Felder Hierzu tragen insbesondere die Angebote und Maßnah- Linksextremismus und islamistischer Extremismus aus- men der Bundeszentrale für politische Bildung wie auch geweitet und diese unter dem Bundesprogramm „Initia- die Bundesprogramme des BMI sowie des BMFSFJ bei. tive Demokratie Stärken“ gebündelt. Durch den positiven Ansatz, demokratische Teilhabean- gebote zu unterbreiten und hierfür zu qualifizieren, leis- Dieses Programm setzt – ähnlich wie das Präventionspro- ten sie auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von gramm des Bundesfamilienministeriums gegen Rechts- Extremismus. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur stellt extremismus – vorrangig im pädagogischen, integrativen dabei jedoch nur bei den Beiträgen der Bundeszentrale und bildungsorientierten Bereich an. für politische Bildung einen Schwerpunkt dar. Die Ursachen von Linksextremismus bei Jugendlichen und jungen Menschen sind in Deutschland bislang wenig Das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ erforscht. Das BMFSFJ will hier Abhilfe schaffen durch des Bundesministeriums des Innern Beiträge zur Verbesserung der pädagogischen Praxis in Form von modellhaften Präventionskonzepten. Zudem Das BMI fördert mit dem Bundesprogramm „Zusammen- sollen die dafür notwendigen wissenschaftlichen Grund- halt durch Teilhabe“ seit 2010 Projekte für demokratische lagen geschaffen werden. Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutschland. Im Zentrum steht die Umsetzung eines integrativen und Ein wichtiger Zugang zum Thema Linksextremismus ist ganzheitlichen Förderansatzes für demokratische Teil- die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. Gerade habe. Das Programm soll vor allem im Vorfeld möglicher für junge Menschen kann die Verdeutlichung der Konse- extremistischer Gefährdungen wirken. Dies stärkt die quenzen linksextremer Weltbilder ein wichtiger Beitrag grundlegenden Bedingungen für ein gleichwertiges und zur Stärkung von Demokratie und Toleranz sein. Dies ist gewaltfreies Zusammenleben. Der Entwicklung von u. a. Ziel des Projekts „Rahmenkonzeption zur Auseinan- Extremismus sowie Vorurteils- und Gewaltkriminalität dersetzung mit antidemokratischen gewaltorientierten wird so entgegengewirkt. linksextremistischen Ideologien und Strömungen“ der Stiftung Europäische Jugendbildungs- und Begegnungs- Wichtige Zielgruppen des Programms sind Vereine und stätte Weimar. Verbände sowie Kommunen in ihrer Funktion als Partner der Zivilgesellschaft. In diesen Bereichen entstehen bür- DDR-Geschichte im Schulunterricht gerschaftliches Engagement, Demokratiebildung, Ge- meinsinn und die Bildung einer lokalen Identität. Dies al- Der Behandlung der DDR-Geschichte im Schulunterricht les hilft, eine engagierte, konfliktfähige und pluralistische kommt im Rahmen der Aufarbeitung der SED-Diktatur Gesellschaft zu unterstützen, die über die Fähigkeit der eine überragende Rolle zu. Hier wird jungen Menschen, Selbstimmunisierung gegen extremistische Einflüsse ver- die aufgrund ihres Alters keine direkten und persönlichen fügt. In diesem Sinne setzen sich in dem Programm ver- Erfahrungen mit und in der kommunistischen Diktatur in Drucksache 17/12115 – 44 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode der DDR gemacht haben, vermittelt, wie das Leben in der flankieren. So wurden die Lehrpläne der betroffenen Fä- DDR 40 Jahre lang vom Herrschaftsapparat der SED be- cher Geschichte, Sozial- und Gemeinschaftskunde (bzw. stimmt und kontrolliert wurde. Dieser mittlerweile mehr Geschichte und politische Bildung, Gesellschaftslehre, als 20 Jahre zurückliegende Teil der deutschen Ge- Gesellschaftswissenschaften) entsprechend überarbeitet schichte ist als Lehrinhalt deshalb so wichtig, weil die (zum Beispiel in Niedersachsen 2008). Bei anstehenden Schüler durch die Beschäftigung mit der sozialistischen Überarbeitungen der Lehrpläne (so in Rheinland-Pfalz) Diktatur die im vereinten Deutschland herrschende Frei- sollen die Themen DDR-Geschichte und SED-Aufarbei- heit und Demokratie historisch besser einzuordnen und zu tung die gebotene Berücksichtigung finden. schätzen lernen. Zur Entwicklung eines umfassenden Ge- schichtsbewusstseins und für die Demokratieerziehung ist Der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und seiner die vertiefte Behandlung der Geschichte der DDR des- Geschichte wird in vielen Ländern durch Zeitzeugenpro- halb unerlässlich. gramme und Gedenkstättenbesuche um eine persönliche Erlebniserfahrung für die Schüler erweitert. Auf diese Das Thema DDR-Geschichte findet sich seit der Wieder- Weise erhält das für viele abstrakte und historische vereinigung in den Lehrplänen aller Länder. Dass es teil- Thema DDR ein Gesicht, das die Auseinandersetzung mit weise nicht ausführlich genug und mit der gebotenen deren Geschichte und den Bedingungen, unter denen die Gewichtung unterrichtet wurde, zeigten verschiedene Menschen dort leben mussten, fördert und erleichtert. Da- Studien6 in den vergangenen Jahren, die ein teilweise au- bei ist bei diesen Maßnahmen die geografische Lage der ßerordentliches mediales Echo hervorgerufen haben. Gedenkstätten und die Verfügbarkeit von Zeitzeugen ein Demnach ist das Wissen der Schüler in Deutschland über entscheidender Faktor für die Anwendung solcher Mittel die DDR oft sehr lückenhaft bis schlecht. im Unterricht. Die Studie von Monika Deutz-Schroeder und Klaus Des Weiteren erfolgen verstärkt themenbezogene Fortbil- Schroeder aus dem Jahr 2008 dokumentierte folgende Be- dungen für die Lehrkräfte. Diesen steht mittlerweile ein funde, deren alarmierende Tendenz 2012 in einer weite- breites Angebot an Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, ren Untersuchung des Forschungsverbunds SED-Staat er- unter anderem vorgelegt von der Bundesstiftung Aufar- neut belegt wurde: Die überwiegende Mehrzahl der beitung, dem BStU, der BpB, den Landeszentralen für befragten Schüler glaubte, wenig über die DDR und das politische Bildung und den Beauftragten der Länder für geteilte Deutschland zu wissen und darüber in der Schule die Stasi-Unterlagen. Einen beständig aktualisierten kaum etwas oder überhaupt nichts zu erfahren. Diese Überblick über alle derzeit verfügbaren didaktischen Ma- Selbsteinschätzung wurde in der Studie bestätigt. Die terialien zur SED-Diktatur und zur deutschen Teilung bie- große Mehrheit der Jugendlichen konnte die gestellten tet der von der Bundesstiftung Aufarbeitung erarbeitete Wissensfragen nicht richtig beantworten, sie hatten kaum Bildungskatalog (www.stiftung-aufarbeitung.de/bildungs ausgeprägte Kenntnisse über die DDR. Eine Mehrheit katalog). wusste nicht, wer die Mauer errichtet hat. Auch die Trennlinien zwischen Demokratie und Diktatur waren Das Koordinierende Zeitzeugenbüro vielen Schülern nicht bekannt. In Ostdeutschland kenn- zeichnete nicht einmal jeder Zweite, in Westdeutschland Das Koordinierende Zeitzeugenbüro (KZB) ist die Um- immerhin noch jeder Dritte die DDR nicht ausdrücklich setzung eines der im Koalitionsvertrag für die 17. Wahl- als Diktatur. Eine absolute Mehrheit wusste nicht, ob die periode vereinbarten Prüfaufträge zur Verstärkung der DDR-Regierung durch demokratische Wahlen legitimiert Aufarbeitung der SED-Diktatur durch die Bundesregie- war. Insgesamt kam die Studie zu dem Ergebnis, dass das rung. Bild der DDR stark vom Kenntnisstand geprägt wird: Je Die Zeitzeugenarbeit ist ein besonders wichtiges Instru- mehr Schüler über den SED-Staat wussten, umso kriti- ment, um historisches Wissen, insbesondere zur Diktatur- scher fiel ihr Urteil aus, unabhängig von Herkunft, Ge- geschichte, zu vermitteln. Berichte aus dem eigenen und schlecht, Alter und besuchtem Schultyp. unmittelbaren Erleben ermöglichen einen persönlichen Diese besorgniserregenden Befunde kurz vor den 20. Jah- Zugang zu zeithistorischen Themen und ergänzen ab- restagen von Friedlicher Revolution 2009 und der deut- strakte und vergleichsweise nüchterne Untersuchungen schen Wiedervereinigung 2010 führten zu verstärkten und wissenschaftliche Texte. Nicht selten wird bei jungen Anstrengungen, der DDR-Geschichte im Unterricht an Menschen durch die Begegnung mit einem Zeitzeugen den Schulen den nötigen Platz einzuräumen und sie mit das Interesse für die jüngere Geschichte überhaupt erst entsprechenden Angeboten für Lehrer und Schüler zu geweckt. Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner 6 Vgl.: DDR-Geschichte im Unterricht. Schulbuchanalyse – Schüler- befragung – Modellcurriculum. Hrsg. von Arnswald, Ulrich; Mauer arbeiten seit dem 1. Juni 2011 im KZB zusammen. Bongertmann, Ulrich; Mählert, Ulrich; Berlin 2006; Deutz- Sie bringen ihre bestehenden Zeitzeugenprojekte und Er- Schroeder, Monika; Schroeder, Klaus: Soziales Paradies oder Stasi- fahrungen in diesem Bereich in das KZB ein. Es bestehen Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich. zurzeit Kontakte zu 150 Zeitzeugen zu den Themenfel- Stamsried 2008 und Schroeder, Klaus; Deutz-Schroeder, Monika; Quasten, Rita; Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktatur? dern „Friedliche Revolution“, „Verfolgung und politische Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen. Frank- Haft“ sowie „Mauer und Teilung“. Das KZB vermittelt furt am Main 2012. diese über die Internetauftritte www.ddr-zeitzeuge.de und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 45 – Drucksache 17/12115 www.zeitzeugenbuero.de und organisiert deren Besuche in Workshops bieten der Wissenschaft ein wichtiges Forum Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Den einladen- des Austauschs. Mit dem Jahrbuch für Historische Kom- den Einrichtungen entstehen durch die Zeitzeugengespräche munismusforschung gibt die Bundesstiftung darüber hi- keine eigenen Kosten, diese werden vom KZB getragen. Seit naus ein zentrales Medium zur Aufarbeitung dieser Epo- dem Start des Projekts wurden 537 Zeitzeugenveranstaltun- che heraus. gen durchgeführt. Die über 26 000 Teilnehmer waren mehr- heitlich Schüler. Die Resonanz auf die Arbeit des KZB ist Die fachwissenschaftliche, öffentliche und politische äußerst positiv. Rückmeldungen von Lehrern und Schü- Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte seit 1990 lern belegen, dass die Berichte der Zeitzeugen der Verklä- wurde von Beginn an aufmerksam verfolgt und wissen- rung der SED-Diktatur entgegenwirken und zu einer wei- schaftlich untersucht. Diese Aufarbeitung der Aufarbei- tergehenden Beschäftigung mit der DDR motivieren. tung reflektierte auch das in Teilen der ostdeutschen Be- völkerung verbreitete Unbehagen gegenüber den in BKM fördert die Arbeit des KZB jährlich mit 200 000 Euro. Politik und Wissenschaft vorherrschenden Deutungen der SED-Diktatur. Der anfangs dominierende Schwerpunkt 9 Wissenschaftliche Aufarbeitung der Aufarbeitung auf der Herrschafts- und Repressionsge- schichte entsprach in vielen Fällen nicht den individuel- Die wissenschaftliche Erforschung der DDR erlebte seit len Erinnerungen und wurde als „Geschichte von oben“ Beginn der 1990er Jahre aufgrund der Öffnung der ehe- empfunden, was zu konträren Deutungsmustern führte maligen DDR-Archive und eines überragenden öffentli- (Stichwort „Ostalgie“). chen Interesses einen regelrechten Boom. Dabei ging es zunächst, insbesondere in Ostdeutschland, um die offene Im Folgenden wird die Arbeit von Einrichtungen vorge- Thematisierung „weißer Flecken“ und die Entlarvung von stellt, die für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichtslegenden der SED, etwa um die sowjetischen DDR-Geschichte von besonderer Relevanz sind, ohne die Speziallager und um die besonderen Umstände der Bedeutung insbesondere der einzelnen Grundlagenfor- Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946, aber auch schung an den verschiedenen Fakultäten der deutschen um die Rolle der Geschichte als Wissenschaft unter poli- und internationalen Universitäten zu schmälern. tischem Primat. Überdies wurden die Herrschaftsstruktu- ren, die Geschichte von Repression, Widerstand und Op- Das Institut für Zeitgeschichte, München und position genauso thematisiert wie etwas später auch die Berlin „Grenzen der Diktatur“, der Alltag und der „Eigen-Sinn“ von Einzelnen und Gruppen in der DDR. Begleitet wurde Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) hat sich bereits seit die wissenschaftliche Auseinandersetzung von Anfang an den 1950er Jahren mit der Geschichte der DDR auseinan- durch eine starke Tendenz einzelner Medien zur Fokus- dergesetzt. Nach der Friedlichen Revolution und der Ver- sierung auf skandalöse Vorgänge der DDR-Vergangenheit einigung Deutschlands errichtete das IfZ Anfang 1994 und insgesamt zur Verengung auf den Komplex Staatssi- eine Abteilung in Potsdam, die ihren Sitz seit 1996 in cherheit, juristische Strafverfolgung und Opferproblema- Berlin hat, um die SED-Diktatur gründlich zu erforschen. tik. Anlässlich von Jahrestagen zentraler Ereignisse, die Die Berliner Abteilung leistete in den ersten Jahren nicht nur für die DDR, sondern auch für die Bundesrepu- Grundlagenarbeit für die DDR-Forschung. Lag der blik von herausragender Bedeutung waren, wurde die Schwerpunkt zunächst auf der sowjetischen Besatzungs- DDR-Geschichte immer wieder in der Öffentlichkeit dis- zone und den Anfangsjahren der DDR, so erstreckt sich kutiert. die Forschungstätigkeit bereits seit längerem auf die Ge- schichte der SBZ und der DDR insgesamt. Diese wird Gut ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung war die freilich nicht isoliert, sondern im deutsch-deutschen, ost- wissenschaftliche Aufarbeitung immer mehr von einer mitteleuropäischen und internationalen Kontext sowie als sich professionalisierenden, differenzierten Forschung Teil der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert unter- bestimmt. Das Themenspektrum erweiterte sich wesent- sucht. Diese Perspektiven sollen grundsätzlich beibehal- lich gegenüber den 1990er Jahren. Angesichts des Vor- ten werden, auch wenn sich die Forschung tendenziell wurfs, die DDR-Forschung konzentriere sich in „Verinse- stärker der Gegenwart nähern wird und neue, der Gegen- lung“ zu sehr auf die ostdeutsche Diktatur selbst, wurde wart entstammende Fragen an die Geschichte gestellt nun verstärkt über Aussagekraft und -grenzen einer DDR- werden müssen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die fokussierten Forschung und ihrer Einbettung in die deut- Arbeit der Abteilung in drei große Schwerpunkte glie- sche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts re- dern: flektiert, wobei sich besonders Ansätze einer integrierten deutsch-deutschen Geschichte und einer ostmitteleuropäi- 1 Die Geschichte der SBZ und der DDR schen Vergleichs- und Transfergeschichte als fruchtbar Die Abteilung hat sich von Anfang an mit zentralen erwiesen haben. Aspekten des politischen, wirtschaftlichen und sozia- Die Forschungsförderung der Bundesstiftung Aufarbei- len Systems in der SBZ und der DDR beschäftigt. tung verdient in diesem Zusammenhang besondere Er- Dazu gehörte insbesondere die Analyse des Justizwe- wähnung (vgl. S. 29). Ohne ihre Habilitations- und Pro- sens, der ostdeutschen Planwirtschaft sowie der Ver- motionsstipendien wäre manche wichtige Arbeit zum triebenenintegration. Zurzeit bildet die bisher in der Thema nicht entstanden, ohne ihre Druckkostenzuschüsse Forschung vernachlässigte SED-Geschichte zwischen nicht angemessen publiziert worden. Tagungen und 1961 und 1989 einen Forschungsschwerpunkt. Drucksache 17/12115 – 46 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2 Die DDR im osteuropäischen und internationalen Zu- Politologen und -Historiker konnten eine den neuen He- sammenhang rausforderungen angemessene Konzeption entwickeln. Seit ihrem Bestehen hat die Abteilung immer wieder Aus einem bestehenden, aber eher unverbindlichen Ar- grundlegende Studien, Dokumentationen und Hand- beitszusammenhang von Wissenschaftlern aus verschie- bücher zur Geschichte des sowjetisch-deutschen Ver- denen Fachbereichen und Instituten, die zur Geschichte hältnisses zwischen 1945 und 1954 vorgelegt. Darüber der DDR oder zum Vereinigungsprozess arbeiteten, ent- hinaus hat sie die DDR in den letzten Jahren immer stand die von Historikern, Politikwissenschaftlern und stärker auch im internationalen System verortet: Zum Soziologen getragene Initiative, die 1992 mit tatkräftiger einen wurde eine umfassende Gesamtdarstellung der Unterstützung des FU-Präsidenten zur Gründung des For- DDR-Außenpolitik erarbeitet. Zum anderen beschäf- schungsverbundes SED-Staat führte. Anfangs stand die tigt sich die Berliner Abteilung des IfZ im Rahmen Frage nach Herrschaftsformen und -methoden der SED des Projekts „Der KSZE-Prozess: Multilaterale Kon- im Vordergrund der Arbeit. Hinzu kamen Untersuchun- ferenzdiplomatie und ihre Folgen“ mit den Wirkungen gen zu Vorgeschichte, Verlauf und Folgen der SED-Dik- des KSZE-Prozesses auf die Bevölkerung in den kom- tatur. munistischen Staaten. Es werden die Interdependen- Die bisher durchgeführten und laufenden Projekte des zen von Außen- und Innenpolitik in der DDR unter- Forschungsverbundes SED-Staat konzentrieren sich auf sucht, die aus dem KSZE-Prozess resultierten. Kritik, ausgewählte Schwerpunkte der DDR-Geschichte und des Dissidenz und Opposition werden im Spiegel von deutschen Wiedervereinigungsprozesses sowie um die staatlichen Perzeptionen und Reaktionen analysiert. Kriegsfolgen in der SBZ, Vertreibung und Zwangsarbeit. Die Arbeiten in dieser internationalen Perspektive, die Allgemein formuliert ging es um die Etablierung, Stabili- sich auch mit der Frage nach dem Werden des „neuen sierung und Transformierung sozialistischer Diktaturen Europa“ seit den 1970er Jahren verbinden, werden am Beispiel der DDR. Erste Ergebnisse der verschiede- fortgesetzt. nen Projekte verdeutlichten frühzeitig den inneren Zu- 3 Das doppelte Deutschland/Deutschland im Umbruch sammenhang von Geschichte und Gegenwart. Der Verei- 1970 bis 2000 nigungs- und Transformationsprozess lässt sich ohne Bezug auf Strukturen und Entwicklungslinien der DDR Nach dem erfolgreichen Sammelband „Das doppelte ebenso wenig analysieren wie die Vor- und Gründungsge- Deutschland“ (erschienen 2008 beim Ch. Links Verlag schichte der DDR ohne die Berücksichtigung der voraus- Berlin sowie bei der Bundeszentrale für politische Bil- gegangenen nationalsozialistischen Diktatur und ihrer dung) setzt die Abteilung ihre Arbeit auch in dieser Zerschlagung durch die Alliierten. Was anfangs Außen- Richtung fort. In Planung sind nun verschiedene Pro- stehenden als eine verwirrende Vielzahl eher willkürlich jekte, die im Rahmen eines neuen Schwerpunktes „His- zusammen gewürfelter Projekte erschienen sein mag, er- torische Transformationsforschung“ in einer deutsch- wies sich in der konkreten Arbeit als nutzbringender Vor- deutschen Perspektive Wandlungsprozesse in Politik, teil. Synergieeffekte ergaben sich insoweit nicht nur zwi- Wirtschaft und Gesellschaft seit den 1970er Jahren schen zeitgeschichtlichen Projekten, sondern speziell thematisieren und bewusst die Zäsur 1989/90 über- auch für Untersuchungen des Transformationsprozesses. schreiten („Deutschland im Umbruch 1970 bis 2000“). Die Projekte des Forschungsverbundes können systema- Wie sehr etwa die Entwicklungen der 1970er Jahre in tisch in neun Themenfeldern zusammengefasst werden, Ost- und Westdeutschland bis in die Gegenwart hi- wobei sich der innere Zusammenhang aus den genannten neinwirken, verdeutlicht derzeit kaum ein anderes forschungsstrategischen Schwerpunkten ergibt: Thema so gut wie die Finanzierung eines Teils der öf- fentlichen Haushalte durch Schulden. Darüber hinaus – Errichtung und Aufrechterhaltung der Diktatur in der beleuchten Untersuchungen aus diesem Bereich DDR durch die deutsch-deutsche Planungskulturen seit den 1970er Jahren und den gewandelten Umgang mit Sexualität – SED-Führung und ihren zentralen Parteiapparat im geteilten und wiedervereinigten Deutschland 1965 – die Deutschlandpolitik der SED bis 2000. – die SED-Kirchenpolitik gegenüber der evangelischen Kirche Der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin – die SED in den Systemkrisen des sowjetischen Impe- riums Der Zusammenbruch der DDR und die nachfolgende deutsche Wiedervereinigung eröffneten der Geschichts- – die Wissenschafts- und Kulturpolitik der SED wissenschaft und den Sozialwissenschaften ein breites – die Medienpolitik von SED und MfS Forschungsfeld und verdeutlichten gleichzeitig Probleme und Defizite der westdeutschen DDR- und Deutschland- – widerständiges Verhalten und Opposition im SED- forschung vor 1989/90. Auch die Wissenschaftler der Staat Freien Universität Berlin wurden von den Ereignissen – Flucht und Vertreibung überrascht. Weder die am Zentralinstitut für sozialwissen- schaftliche Forschung tätigen DDR-Forscher noch FU- – Vereinigungs- und Transformationsprozesse. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47 – Drucksache 17/12115

Der Forschungsverbund, zunächst als befristete und in re- Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismus- gelmäßigen Abständen zu evaluierende Einrichtung kon- forschung e.V. an der Technischen Universität zipiert, finanziert sich von Beginn an überwiegend aus Dresden Drittmitteln. In Kooperation mit einigen Landeszentralen für politische Bildung führte der Forschungsverbund seit Für die wissenschaftlichen Bedingungen sowie die in- Mitte der neunziger Jahre eine Vielzahl von Fortbildungs- terne Debatte der bisherigen westlichen bzw. westdeut- und Informationsveranstaltungen zur deutschen Teilungs- schen DDR-Forschung stellten die Friedliche Revolution geschichte und zum Vereinigungsprozess durch. Darüber und die Wiedervereinigung 1989/90 eine Art Quanten- sprung dar. Der jetzt erstmals auf allen Ebenen mögliche hinaus kooperiert er mit einer Reihe von Institutionen, die Zugriff auf authentische Quellen und Dokumente besei- sich ebenfalls mit der Aufarbeitung der deutschen Tei- tigte nicht nur Jahrzehnte lang bestehende Beeinträchti- lungsgeschichte und dem Vereinigungsprozess beschäfti- gungen der Forschung, sondern forderte gleichzeitig zu gen. einer umfassenden kritischen Aufarbeitung der Ge- Der Forschungsverbund hat seit seiner Gründung mit sei- schichte der SBZ und der DDR auf. nen zahlreichen Publikationen zu wissenschaftlichen, Vor diesem seinerzeit politisch aktuellen und zugleich aber auch zu politischen Kontroversen um die Bewertung wissenschaftlichen Hintergrund vollzog sich die Grün- der deutschen Teilungsgeschichte, speziell der DDR und dung des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusfor- des Wiedervereinigungsprozesses, beigetragen. Seinem schung e.V. an der Technischen Universität Dresden Selbstverständnis gemäß fühlt er sich in seiner wissen- (HAIT), das 1993 seine Arbeit aufnahm. Diese wurzelt in schaftlichen Arbeit den Werten einer freiheitlich-demo- der beinahe 60jährigen, doppelten Diktaturerfahrung Ost- kratischen Gesellschaft verpflichtet, die für ihn Maßstäbe deutschlands sowie im aufklärerischen Impuls der Fried- bei der Beurteilung der sozialistischen Diktatur DDR lichen Revolution von 1989/90. Kurz nach der Wieder- sind. Mit seiner Arbeit will der Forschungsverbund vereinigung und der Gründung des Freistaates Sachsen gleichzeitig zur Delegitimation jeglicher Diktatur beitra- fasste der Landtag den Beschluss zum Aufbau des Insti- gen und junge Menschen gegen links- wie rechtstotalitäre tuts. Die Namensgebung würdigt die deutsch-amerikani- Verführungen immunisieren. sche Philosophin und Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt (1906 bis 1975), deren wissenschaftliche Aus- Das Forschungsprojekt „Opfer des DDR-Grenz- einandersetzung mit Diktaturen zum zentralen Bestand regimes an der innerdeutschen Grenze“ der Totalitarismusforschung gehört. Entsprechend wid- met sich das Hannah-Arendt-Institut seither vor allem der Im Jahre 2009 erschien das umfangreiche biografische systematischen Untersuchung des Sozialismus/Kommu- Handbuch über „Die Todesopfer an der Berliner Mauer nismus und des Nationalsozialismus. 1961 bis 1989“. Ihm lag ein Forschungsprojekt des Zent- rums für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Stif- Aufgrund des enormen politischen und öffentlichen Inte- tung Berliner Mauer zugrunde, das von BKM finanziert resses an der Geschichte der DDR ab 1989/90 sowie be- dingt durch den Umstand, dass die Gründung des HAIT wurde (vgl. S. 55f.). Die Veröffentlichung dieses Kom - maßgeblich von DDR-Oppositionellen bewirkt wurde, pendiums fand eine überaus positive Resonanz im In- und hat sich das Institut in den inzwischen fast zwei Jahrzehn- Ausland. Noch nicht hinreichend erforscht ist dagegen ten seiner Existenz schwerpunktmäßig mit der Geschichte das Schicksal der Toten an der früheren innerdeutschen der SBZ und der DDR auseinandergesetzt. Dies fand sei- Grenze. Der Forschungsverbund SED-Staat der Freien nen Niederschlag sowohl in durchweg quellengestützten Universität Berlin widmet sich in Kooperation mit der zeithistorischen Forschungen als auch in politikwissen- Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn den Folgen schaftlich-ideologiekritisch ausgerichteten Analysen, wo- des DDR-Grenzregimes an diesem Grenzabschnitt. Das bei Vergleiche zu anderen totalitären Diktaturen, insbe- Forschungsprojekt hat zum Ziel, alle Todesfälle zwischen sondere zum Nationalsozialismus immer wieder – soweit 1949 und 1989 im ursächlichen Zusammenhang mit der es sinnvoll und praktikabel erschien – durchgeführt wur- ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zu untersuchen den. und die Toten biografisch zu würdigen. Der Aufbau des sozialistischen Herrschaftssystems, die Das Projekt, das im Juli 2012 begonnen hat, soll einen Machtsicherung und die Kaderpolitik, die praktizierte Re- wichtigen Beitrag dazu leisten, dass das von der SED- pression und die davon betroffenen Opfer sowie die Re- Diktatur an der deutsch-deutschen Grenze verübte Un- konstruktion und Analyse der Friedlichen Revolution von recht nicht in Vergessenheit gerät. BKM und die Länder 1989/90 auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stel- Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen unterstützen len besondere Forschungsschwerpunkte des Instituts dar. die geplante Untersuchung finanziell. Der Forschungs- Dabei hat sich das Institut aber auch mehrfach mit einem verbund SED-Staat bringt darüber hinaus beträchtliche bis heute von der DDR-Forschung vernachlässigten The- Eigenleistungen in das Projekt ein. menfeld intensiv befasst: der Entwicklung von Wissen- schaft, Forschung und Technik im SED-Staat. Die öffentliche Vorstellung des Forschungsvorhabens in der Gedenkstätte Berliner Mauer am 10. August 2012 Inzwischen ist die Forschungstätigkeit des HAIT weiter löste ein nachhaltiges Echo in den Medien und bei den fortgeschritten und hat sich den Folgeproblemen der Einrichtungen der Aufarbeitung des SED-Unrechts aus. Friedlichen Revolution, dem Transitions- und dem sich Drucksache 17/12115 – 48 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode anschließenden Transformationsprozess gewidmet. Ins- Das ZZF gliedert sich gegenwärtig in fünf Abteilungen, besondere der spezifische Transformationsprozess in den die folgende Schwerpunkte bearbeiten: neuen Ländern im Vergleich zu früheren sozialistischen Staaten wird zurzeit intensiv erforscht. – In der Abteilung I „Kommunismus und Gesellschaft“ konzentrieren sich die Forschungen auf die soziale Das Institut leistet gemäß seiner Satzung Bildungsarbeit Praxis der Herrschaft in der DDR und Ost(mittel)eu- auf praktisch allen Ebenen. Dies betrifft die Zusammen- ropa. arbeit sowohl mit der Landeszentrale für politische Bil- – In der Abteilung II „Wirtschaftliche und soziale Um- dung in Sachsen als auch mit der Stiftung Sächsische brüche im 20. Jahrhundert“ werden sozioökonomische Gedenkstätten. Weiter gehören Vorträge, öffentliche sowie sozialstrukturelle und soziokulturelle Umwäl- Veranstaltungen, wissenschaftliche Seminare an Univer- zungen der modernen europäischen Gesellschaften un- sitäten, Buchpräsentationen sowie die Fortbildung von tersucht. Gymnasial- und Mittelschullehrern zu den Bildungsmaß- nahmen des HAIT. Nicht zuletzt ist es ein Anliegen des – Die Forschungsvorhaben der Abteilung III „Wandel Instituts, wissenschaftliche Forschungsergebnisse mög- des Politischen; Rechte, Normen, Semantik“ gehen lichst rasch weiterzugeben, um auf diese Weise zur Stär- der Frage nach, ob sich im Rückblick auf das vergan- kung eines demokratischen Bewusstseins beizutragen. gene Jahrhundert ein die Staaten und Machtblöcke übergreifender Wandel erkennen lässt, im Zuge dessen politisches Handeln sich zunehmend an transnationa- Das Zentrum für Zeithistorische Forschung, len Rechten und Normen orientiert. Potsdam – In der Abteilung IV „Regime des Sozialen im 20. Jahr- Das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ist ein hundert. Mobilisierung, Wohlfahrtsstaatlichkeit und zeitgeschichtliches Grundlagenforschungsinstitut, das Rationalisierung“ werden Fragen nach den Strategien sich mit der deutschen und europäischen Geschichte des gesellschaftlicher Integration und den Praktiken der 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts befasst und in me- Regulierung sozialer Prozesse untersucht. thodisch-theoretischer Hinsicht insbesondere gesell- schaftsgeschichtliche Perspektiven verfolgt. Das Institut – Die Forschungsprojekte der Abteilung V „Zeitge- nimmt übergreifende Funktionen als Impulsgeber und schichte der Medien- und Informationsgesellschaft“ Reflexionsinstanz der fachwissenschaftlichen Zeithistorie analysieren die wachsende Rolle der audiovisuellen wahr, wirkt aber auch als Ansprechpartner für wissen- Medien in den europäischen Gesellschaften und deren schafts- und forschungspolitische Gegenwartsfragen im transnationale Entwicklungstendenzen. öffentlichen und politischen Raum. Über seine For- Einen besonderen Arbeitsschwerpunkt des Zentrums bil- schungstätigkeit hinaus sieht das Institut einen wichtigen den, ausgehend vom erst geteilten und dann wiederver- Teil seiner Tätigkeit im forschungsbasierten Service und einten Deutschland, die Beziehungsgeschichte von Ost- Wissenstransfer. Es unterhält eine strukturierte Doktoran- und Westeuropa und die globale Konkurrenz der beiden denausbildung und engagiert sich in der universitären gesellschaftlichen Großordnungen in der zweiten Hälfte Lehre vor allem der Berliner und Brandenburgischen des 20. Jahrhunderts. Einen weiteren Akzent setzt das Hochschulen, mit denen es durch gemeinsame Berufun- ZZF mit seinen Untersuchungen zur Geschichte und zum gen und Kooperationsverträge eng verknüpft ist und ei- Wandel der europäischen Vergangenheitsvergegenwärti- nen gemeinsamen Studiengang anbietet (Public History gung im Zeitalter der Erinnerungskultur. Nicht zuletzt bil- Master an der FU Berlin). den regionalgeschichtliche Forschungsansätze zu Berlin Seit 2009 ist das ZZF Mitglied der Leibniz-Gemein- und seinem Brandenburger Umland im Ost-West-Kon- flikt einen weiteren wichtigen Themenschw schaft. Mit dieser institutionellen Absicherung durch eine erpunkt. verlässliche Bund-Länder-Finanzierung ging eine thema- Das ZZF unterhält zwei eigene Publikationsreihen. Von tische Öffnung zu Fragen der europäischen Zeitge- den „Zeithistorischen Studien“ im Böhlau-Verlag sind be- schichte des gesamten 20. Jahrhunderts einher. Hervorge- reits 50 Bände erschienen. Seit 2010 gibt es im Wallstein- gangen ist das Institut aus dem „Forschungsschwerpunkt Verlag zudem die neue Reihe „Geschichte der Gegenwart“, Zeithistorische Studien“, der 1992 auf Empfehlung des die übergreifende Signaturen des 20. Jahrhunderts in den Wissenschaftsrates als eines von sieben neuen Geistes- Blick nimmt. Über die Forschungs- und Publikationstätig- wissenschaftlichen Zentren errichtet wurde, um positiv keit hinaus werden Ausstellungen, Diskussionsveranstal- evaluierte Forschungsprojekte ostdeutscher Fachkolle- tungen sowie Vortrags- und Filmreihen zur deutschen Zeit- gen mit bundesdeutschen und internationalen Arbeitsvor- geschichte durchgeführt. In einem gemeinsamen Projekt haben zusammenzuführen. 1996 erfolgte die Umgrün- mit dem Potsdam-Museum erarbeitet das ZZF die wis- dung zum Zentrum für Zeithistorische Forschung e.V., senschaftlichen Voraussetzungen für die Dauerausstellung das die zeithistorische DDR-Forschung mit seiner gesell- in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54“, der ehemaligen schaftsgeschichtlichen Perspektive wesentlich prägte. U-Haftanstalt der Potsdamer Stasi-Bezirksverwaltung. Hierauf aufbauend, dehnte es sein Arbeitsfeld in den Fol- Durch seine Beteiligung an dem von der DFG geförderten gejahren rasch über die vergleichende Kommunismus- Projektverbund Clio-online, die Entwicklung des Fach- und Diktaturforschung hinaus auf die jüngere deutsche portals Zeitgeschichte-online und den Launch von Docu- Zeitgeschichte im internationalen Kontext insgesamt aus. pedia-Zeitgeschichte hat sich das ZZF zu einem wichti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49 – Drucksache 17/12115 gen Anbieter von zeithistorischen Fachinformationen im Hauptabteilung XIV, das Handbuch zur Hauptabteilung Internet entwickelt. Seit 2004 wird am ZZF zudem die IX steht vor der Vollendung. Derzeit ist ein Forschungs- elektronische Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen/ projekt zu Rechtsanwälten in der späten DDR in Bearbei- Studies in Contemporary History“ (http://www.zeithisto tung. rische-forschungen.de) herausgegeben. Wendepunkte in der DDR-Geschichte wecken im Zusam- menhang mit den entsprechenden Jahrestagen immer be- Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen  sonderes öffentliches Interesse. Mit zahlreichen Tagun- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen gen und Veranstaltungen, Sammelbänden, Monografien Deutschen Demokratischen Republik und Aufsätzen wurde dem hinsichtlich des Aufstandes Die BStU-Forschung nimmt seit Jahren einen festen Platz vom 17. Juni 1953, des Mauerbaus am 13. August 1961 in der Forschungslandschaft zur DDR-Geschichte ein. und der Friedlichen Revolution 1989 entsprochen. Die dienstleistungsorientierte Forschung erfüllt die übli- Das langfristigste Vorhaben im Zusammenhang mit der chen wissenschaftlichen Standards. Die Aufgaben des Aufklärung über Struktur und Methoden des Staatssicher- Forschungsfachbereichs bestehen in der Erarbeitung und heitsdienstes war und ist die Publikation eines organi- Veröffentlichung von Grundlagenwissen über die Staats- sationsgeschichtlichen „MfS-Handbuches. Anatomie der sicherheit zur Unterstützung von Wissenschaft, für Me- Staatssicherheit. Geschichte, Struktur, Methoden“, das dien und politische Bildung sowie für die interessierte Öf- Grundinformationen zur Entwicklungsgeschichte, zu den fentlichkeit. wichtigen Zweigen des Apparates, zu den hauptamtlichen Von Anfang an gehörte zu den Merkmalen des Bereichs und inoffiziellen Mitarbeitern, zu Arbeitsprinzipien und die Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Ein- deren normativen Grundlagen liefert. Es erscheint in Ein- richtungen der DDR-Zeitgeschichtsforschung. Intensi- zellieferungen, von denen bisher 27 von insgesamt 28 ge- viert hat sich auch der wissenschaftliche Austausch mit planten Beiträgen publiziert worden sind. Das in den letz- den Partnerbehörden in den mittelosteuropäischen Staa- ten Jahren entstandene Fachwissen zum MfS wurde in ten im Netzwerk der Aufarbeitungsinstitutionen und im übersichtlicher Form aufbereitet und in dem im Jahr 2011 Rahmen bilateraler Abkommen. erschienenen „MfS-Lexikon“ veröffentlicht. Zur Unterstützung der Behörde bei der wissenschaftli- Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung ist seit Jahren chen Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS und bei der die „Westarbeit“ der Staatssicherheit. Dazu wurden die Konzipierung der Forschungsarbeit wurde ein Wissen- einschlägigen normativen Dokumente der Hauptverwal- schaftliches Beratungsgremium eingerichtet, das Anfang tung A, der Spionageabteilung des MfS, erstmals veröf- des Jahres 2008 seine Arbeit aufnahm. Durch sein Wirken fentlicht; ein Sammelband war den Spionageaktivitäten werden einerseits die Forschungsprojekte im kritischen der sogenannten Abwehrdiensteinheiten gewidmet. Eine und konstruktiven Diskurs gestärkt und andererseits die umfangreiche Monografie beschäftige sich mit den „Bun- Arbeit der Wissenschaftler noch enger an den Wissen- desbürgern im Dienste der Stasi“. Derzeit entsteht ein schaftsbetrieb und andere Forschungsinstitute angebun- wissenschaftliches Gutachten für den Deutschen Bundes- den. tag über die Versuche der Staatssicherheit, Informationen über die bundesdeutsche Legislative zu erlangen und Die Schwerpunkte der Forschungsarbeit folgen dem ge- diese zu beeinflussen. setzlichen Auftrag. Sie ergeben sich aus der Analyse der Tätigkeiten des MfS und vor dem Hintergrund aktueller Mit den Aktivitäten der Staatssicherheit im Westen wie geschichtswissenschaftlicher Debatten. So war einer der im Osten befasst sich ein Projekt über den KSZE-Prozess ersten Forschungsgegenstände das Verhältnis des Staats- und die Staatssicherheit. sicherheitsdienstes zur herrschenden SED: War das MfS „Staat im Staate“ oder Instrument der Partei? Inzwischen Erhebliches öffentliches und wissenschaftliches Interesse kann es als wissenschaftlicher Konsens bezeichnet wer- besteht an Dokumentationen, in denen Originalquellen den, dass letztere Hypothese die damalige Realität besser zugänglich gemacht werden. Ein systematischer Schritt trifft. nach vorn in dieser Servicefunktion war der Start eines Projekts einer auf 37 Bände angelegten Edition „Die Ein weiterer früher Schwerpunkt betraf die Rolle der DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die Staatssicherheit in der politischen Justiz der DDR. Mit SED-Führung“. Mit der Veröffentlichung der geheimen dem Band „Konzentrierte Schläge“ wurde die verschärfte Berichte, die die Zentrale Auswertungs- und Informa- Verfolgungsphase zwischen dem 17. Juni 1953 und dem tionsgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit zur In- Beginn der Entstalinisierung 1956 erstmals detailliert auf- formation der Partei- und Staatsführung der DDR vom gearbeitet. Für die Spätphase wurde eine Studie zum Juniaufstand 1953 bis zum Dezember 1989 verfasst hat, „Fall Havemann“ vorgelegt. Diese Arbeit legt die modifi- wird der Forschung und interessierten Laien eine zeitge- zierten, scheinrechtsstaatlichen Manipulationen der Ära schichtliche Quelle von hohem historischen Wert zur Ver- Honecker offen. Seither wurde die Grundlagenforschung fügung gestellt. Hier sind bereits Bände zu den Jahren zu den für die politische Justiz maßgeblichen MfS-Berei- 1961, 1976, 1977 und 1988 erschienen, die Ausgaben zu chen vorangetrieben. So erschien ein Handbuch zur den Jahren 1953 und 1960 befinden sich in Vorbereitung. Drucksache 17/12115 – 50 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Handbücher sowie auch mehrere Online-Datenbanken. Potsdam Auch wissenschaftliche Konferenzen, Workshops, Buch- präsentationen, Vortragsreihen und andere öffentliche Das Militärgeschichtliche Forschungsamt ist eine Res- Veranstaltungen dienen der Information der Öffentlich- sortforschungseinrichtung des Bundes und betreibt seit keit. 1957 im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidi- gung militärhistorische Grundlagenforschung von der Die Entwicklung der DDR zu einer der am stärksten mili- Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Mit der Vereinigung tarisierten Gesellschaften der Welt in den 1970er und der beiden deutschen Staaten 1990 erweiterte sich die 1980er Jahren wird nur aufzuklären sein, wenn die For- Forschung des MGFA auf die Militärgeschichte der SBZ schung die Gesamtkonzeption der „sozialistischen Lan- und der DDR. Das erste Projekt zur ostdeutschen Militär- desverteidigung“ in den Brennpunkt rückt. Nur so kann geschichte startete 1991. Es bildete die Basis für eine sys- die gezielte Militarisierung von Staat, Wirtschaft und Ge- tematische Forschungstätigkeit zur Aufarbeitung der Mi- sellschaft als zentrales Anliegen des SED-Regimes sowie litärgeschichte der DDR von den Anfängen bis zu ihrem als Handlungsfeld und Erfahrungsdimension von Politik Ende. 1998 wurde ein Forschungsbereich „Militärge- und Alltag im SED-Staat freigelegt und begriffen werden. schichte der DDR im Bündnis“ eingerichtet. Mit der in Diese Forschungen werden künftig stärker in den Zusam- den Gesamtzusammenhang der Geschichte des Kalten menhang der gesamtdeutschen Nachkriegsmilitärge- Krieges eingebetteten Grundlagenforschung zur Militär- schichte sowie der Geschichte der politischen und militä- und Sicherheitspolitik sowie zu den bewaffneten Organen rischen Bündnissysteme eingeordnet. der DDR leistet das MGFA nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Militärgeschichte Die Gemeinsame Kommission für die nach 1945, sondern auch zur Geschichte der SED-Dikta- Erforschung der jüngeren Geschichte der tur. Die grundlegende Untersuchung der bewaffneten deutsch-russischen Beziehungen („Deutsch- Macht, insbesondere des Militärs als einer wichtigen russische Geschichtskommission“) Stütze des DDR-Regimes, bildet eine entscheidende Vo- raussetzung, um wesentliche Funktionsmechanismen und Zu der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte Wechselwirkungen der Herrschaftssicherung der SED des geteilten Deutschlands im Rahmen des Ost-West- nach innen und außen verstehen zu können. Konfliktes leistet auch die Gemeinsame deutsch-russi- sche Kommission (DRGK) ihren spezifischen Beitrag. Zu den zentralen Fragen der Forschung des MGFA gehö- Seine Besonderheit besteht darin, dass die Veranstaltun- ren die Funktion der DDR und ihres Militärs im War- gen und Projekte dieser Kommission in deutsch-russi- schauer Pakt, die Entwicklung der Nationalen Volksar- scher Zusammenarbeit realisiert werden. mee (NVA), der Grenztruppen der DDR und anderer bewaffneter Kräfte als Machtinstrumente der SED, ihre Die Kommission geht auf eine Initiative des damaligen Rolle in der Gesellschaft der DDR und der Alltag der An- Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl von 1993 und ihre posi- gehörigen der militärischen Organisationen. Militärhisto- tive Aufnahme durch den damaligen Präsidenten Boris rische Erkenntnisse über den SED-Staat im Ergebnis der Jelzin zurück. Sie wurde 1997 durch einen Grundlagen- quellengestützten Aufarbeitung der DDR-Militärge- briefwechsel der beiden Regierungen auf der Grundlage schichte sind zum Allgemeingut der DDR-Forschung ge- des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 er- worden. Für den Zeitraum der geheimen Aufrüstung in richtet und nahm 1998 ihre Arbeit auf. Sie steht unter der der SBZ/DDR bis 1955/56 sowie für die Aufbau- und Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin und des russischen Konsolidierungsphase des ostdeutschen Militärs bis 1971 Präsidenten. liegen grundlegende Studien vor. Anschlussprojekte be- schäftigen sich derzeit mit der ostdeutschen Militärge- Ziel der DRGK ist es, mit Hilfe gemeinsamer Kolloquien, schichte in der Ära Honecker. Seit 2001 gibt das MGFA Forschungs- und Dokumentationsprojekte die Zusam- die Reihe „Militärgeschichte der DDR“ heraus, in der in menarbeit zu verbessern, das gegenseitige Verständnis zu den letzten 10 Jahren mehr als 20 Bände zu relevanten vertiefen, den Zugang zu den erforderlichen Archivalien Themen der ostdeutschen Militärgeschichte erschienen zu erleichtern und einen konstruktiven Meinungsaus- sind. tausch über Fragen der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung zu führen. Ihre inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte sind das Das MGFA vermittelt seine Erkenntnisse und For- Zeitalter der Weltkriege, die sowjetische Politik im Nach- schungsergebnisse im Rahmen der an den Werten des kriegsdeutschland und die deutsche Frage im Rahmen des Grundgesetzes ausgerichteten historischen Bildung der Ost-West-Konfliktes. Der Kommission gehören auf bei- Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Dabei kommt den Seiten je drei Leiter zentraler Archive – auf deutscher der Beschäftigung mit den deutschen Diktaturen und de- Seite Bundesarchiv, Politisches Archiv des Auswärtigen ren Streitkräften im 20. Jahrhundert zentrale Bedeutung Amtes (AA) und Stasi-Unterlagenbehörde – und neun he- zu, da sie wesentlich zum Verständnis von Krieg und rausragende Fachvertreter an. Frieden, von Diktatur und Rechtsstaatlichkeit beiträgt. Darüber hinaus stellt das MGFA der breiten Öffentlich- Die Kommission wird in ihrer Arbeit durch beide Regie- keit historiografische Orientierungshilfen zur Verfügung, rungen unterstützt. Ihr Deutsches Sekretariat wurde in die den aktuellen Forschungsstand der DDR-Geschichts- Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und dem AA im schreibung widerspiegeln. Dazu zählen Bibliografien, BMI errichtet. Es organisiert die in Deutschland stattfin- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 51 – Drucksache 17/12115 denden Sitzungen und fördert, im Rahmen der Haushalts- Deutschlands nachzukommen. In bisher insgesamt sechs möglichkeiten, die Projekte der Kommission. Reihen (über die Zeitabschnitte 1939 bis 1945; 1945 bis 1955; 1955 bis 1958; 1958 bis 1966; 1966 bis 1969; 1969 Die Kommission führt jährlich, abwechselnd in Deutsch- bis 1982) sind von 1961 bis heute 32 Bände erschienen; land und Russland, eine Arbeitssitzung durch, in der vor- hinzu kommen die Sonderedition „Deutsche Einheit“ (Er- rangig der Stand der gemeinsamen Projekte beraten wird. scheinungsjahr 1998) und ein erster Band der Sonder- Sie hat ein Klima der vertrauensvollen Zusammenarbeit edition „Besondere Bemühungen“ der Bundesregierung entwickelt, in dem es möglich ist, auch problematische zur Freilassung politischer Häftlinge (Erscheinungsjahr und kontroverse Fragen offen und konstruktiv miteinan- 2012) sowie neun sogenannte Studien (ehemals Bei- der zu erörtern. hefte). Die Bände dokumentieren vornehmlich die Ent- Die Sitzungen sind im Allgemeinen verbunden mit einem wicklungen und Entscheidungen aus Sicht der beiden internationalen wissenschaftlichen Kolloquium. Bis 2011 deutschen Staaten sowie auch der vier für Deutschland als wurden zwölf Kolloquien durchgeführt, unter anderem zu Ganzes verantwortlichen Mächte. den Themen: Der Moskauer Vertrag von 1970 (Berlin 2000), Die Sowjetunion und die deutsche Wiedervereini- Die DzD werden von einer Editionsgruppe im Referat G 4 gung (Moskau 2003), Opposition und Widerstand im „Dokumente zur Deutschlandpolitik; Historische For- Diktaturenvergleich (München 2004), „Deutsch-sowjeti- schung“ des Bundesarchivs bearbeitet. Die wissenschaft- sche Freundschaft“ in der DDR – Anspruch und Wirk- liche Verantwortung trägt eine „wissenschaftlichen Lei- lichkeit (Dresden 2010), Deutschland und die Sowjet- tung“, die sich aus renommierten Professoren und dem union im Ost-West-Konflikt (St. Petersburg 2011). Leiter der Editionsgruppe zusammensetzt. Für die Doku- mentation der innerdeutschen Beziehungen wird seit Zu den Veröffentlichungen, die aus der Arbeit der Kom- 1990 auch die Überlieferung der DDR-Führung neben mission hervorgegangen sind, gehören die von einer den Akten der Bundesregierung herangezogen. Es wird deutsch-russischen Redaktionsgruppe beim Institut für angestrebt, das Editionsprojekt im Jahr 2020 abzuschlie- Zeitgeschichte bearbeiteten „Mitteilungen“ der Kommis- ßen, wenn insbesondere die 1990 entstandenen Akten des sion (bisher vier Bände) sowie unter anderem dokumenta- Kanzleramtes und des innerdeutschen Ministeriums mit rische und monografische Publikationen zur Sowjeti- Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen 30-Jahres- schen Militäradministration in Deutschland und zur Schutzfrist zugänglich sein werden. sowjetischen Deutschlandpolitik in den 1940er, 50er, 60er und 80er Jahren. Dank Förderung durch die DRGK Seit Ende der 90er Jahre laufen die Arbeiten an Reihe VI, war es möglich, die bis in die 90er Jahre gesperrten Akten welche die Deutschlandpolitik in der Regierungszeit der der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982 behandelt. (SMAD) zu erschließen, zu verfilmen und zu digitalisie- Ebenfalls in Bearbeitung ist ein weiterer Sonderband über ren. Der Katalog dieser Akten liegt inzwischen elektro- die „Besonderen Bemühungen“ der Bundesregierung im nisch und gedruckt vor. Er listet rund 95 Prozent aller Zeitraum 1970 bis 1990. Eine abschließende VII. Reihe SMAD-Akten im russischen Staatsarchiv auf. Die Mikro- über die Jahre 1982 bis 1990 wird das Editionswerk kom- filmaufnahmen der Akten stehen im Bundesarchiv zur plettieren. Verfügung. 10 Gedenkstätten und Erinnerungsorte Im Internet werden fortlaufend zwei Reihen von kom- mentierten „Schlüsseldokumenten“ zur russisch/sowjeti- Gedenkstätten und Erinnerungsorten kommt eine heraus- schen und zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert gehobene Bedeutung zu, da sie die Möglichkeit einer be- in beiden Sprachen veröffentlicht (auf der Website der sonders intensiven Auseinandersetzung sowohl mit der Bayerischen Staatsbibliothek). Derzeit bearbeitet die Geschichte des jeweiligen Ortes als auch mit dem histori- Kommission außerdem in Kooperation mit dem Georg- schen Thema allgemein ermöglichen, so die Fortschrei- Eckert-Institut Braunschweig ein auch für den Schulun- bung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Die terricht bestimmtes gemeinsames deutsch-russisches Ge- folgende Zusammenstellung ist nach den dort vorgenom- schichtsbuch. menen thematischen Gruppierungen alphabetisch nach Orten geordnet. Die Editionsgruppe Dokumente zur Deutschlandpolitik im Bundesarchiv Teilung und Grenze Die vom Bundesministerium des Innern und vom Bundes- Das Grenzmuseum Schifflersgrund, Asbach/ archiv herausgegebene Edition „Dokumente zur Deutsch- Sickenberg landpolitik“ (DzD) stellt für Lehre und Forschung eine dokumentarische Quellengrundlage für die Behandlung Der historische Ort der deutschen Frage von den Kriegskonferenzen der Alli- Das profilgebende Merkmal des Grenzmuseums Schiff- ierten bis zur Wiedervereinigung bereit. lersgrund ist ein sehr langer nahezu authentisch erhaltener Die Anfänge der Editionstätigkeit gehen auf das Jahr Grenzabschnitt, der sich auf Grund topografischer Beson- 1961 zurück. In diesem Jahr begann die Bundesregierung derheiten besonders instruktiv erschließt. Auf einer Flä- dem großen Interesse der wissenschaftlichen Forschung che von ca. 5 ha sind Originalrelikte der ehemaligen und der interessierten Öffentlichkeit an der Politik Grenzsperranlagen erhalten. Dazu gehören ca. 3 km Drucksache 17/12115 – 52 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Grenzzaun mit dazugehörigem Spurensicherungsstreifen Die Stiftung Berliner Mauer und Kolonnenweg. Darüber hinaus ist ein 1982 gebauter Beobachtungsturm sowie ein Erdbeobachtungsbunker zu Die Stiftung Berliner Mauer ist durch Gesetzesbeschluss sehen. Zur Besonderheit des Ortes gehört die Geschichte Berlins vom 17. September 2008 als rechtsfähige Stiftung des hier 1982 tödlich geendeten Fluchtversuchs von des öffentlichen Rechts errichtet worden. Ihre Gründung Heinz Josef Große. und die Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße sind wichtige Schritte zur Realisierung des Ge- Aus regionaler Sicht ist der einzige Gebietsaustausch, der denkstättenkonzepts des Berliner Senats und des Bundes. nach dem Krieg zwischen der amerikanischen und sowje- Zur Stiftung gehören die Standorte Gedenkstätte Berliner tischen Besatzungszone vorgenommen wurde, dokumen- Mauer an der Bernauer Straße und die Erinnerungsstätte tiert. Im „Wanfrieder Abkommen“ wurde am 17. Septem- Notaufnahmelager Marienfelde. Bei den beiden Einrich- ber 1945 der Tausch von fünf hessischen Dörfern nach tungen handelt es sich um Orte der Teilung Deutschlands Thüringen mit zwei thüringischen Dörfern nach Hessen und Gedenkstätten, die der Erinnerung und dem Opferge- beschlossen, was zu nachhaltigen Konsequenzen für die denken verpflichtet sind. Menschen der betroffenen Ortschaften führte. Zweck der Stiftung ist es, die Geschichte der Berliner Mauer und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung als Entstehung und Entwicklung Teil und Auswirkung der Teilung Deutschlands und des Ost-West-Konfliktes im 20. Jahrhundert zu dokumentie- Das Grenzmuseum Schifflersgrund wurde am 3. Oktober ren und zu vermitteln, ihre historischen Orte zu bewahren 1991 eröffnet und befindet sich in Trägerschaft des Ver- und ein würdiges Gedenken an die Opfer kommunisti- eins „Arbeitskreis Grenzinformation e.V.“ Es wird jähr- scher Gewaltherrschaft zu ermöglichen. Dies geschieht lich von über 42 000 Gästen besichtigt. durch die Erarbeitung und Realisierung von Ausstellun- gen, vielfältige, auf unterschiedliche gesellschaftliche Ausstellung Zielgruppen ausgerichtete Veranstaltungen sowie durch Publikationen und insbesondere die historisch-politische Der Außenbereich des Grenzmuseums zeigt neben den Bildungsarbeit in beiden Häusern. Grenzanlagen eine umfangreiche Sammlung von Militär- fahrzeugen, die zur Grenzsicherung eingesetzt wurden, Die Gedenkstätte Berliner Mauer sowie ein Fluchtfahrzeug. Die Dauerausstellung themati- siert die Endphase des Zweiten Weltkrieges und die deut- Der historische Ort sche Nachkriegsgeschichte. Wechselausstelllungen kom- Die Gedenkstätte Berliner Mauer ist der zentrale Erinne- plettieren das Angebot. Das Grenzmuseum bietet Zugang rungsort an die deutsche Teilung, gelegen im Zentrum der zu den vorhandenen Originalquellen und stellt seine Res- Hauptstadt. Am historischen Ort in der Bernauer Straße sourcen sowie die Infrastruktur auch für Forschungsarbei- erstreckt sie sich zukünftig auf 1,4 km Länge über den ten von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten zur ehemaligen Grenzstreifen. Auf dem Areal der Gedenk- Verfügung. Die profilbildenden Merkmale des histori- stätte befindet sich das letzte Stück der Berliner Mauer, schen Ortes Schifflersgrund sollen künftig stärker ins das in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und Zentrum der Dauerausstellung gerückt werden. Der Ver- einen Eindruck vom Aufbau der Grenzanlagen zum Ende ein strebt daher eine wissenschaftliche und museologi- der 1980er Jahre vermittelt. Anhand der Reste und Spu- sche Standards berücksichtigende Neukonzeption an. ren der Grenzsperren sowie der dramatischen Ereignisse Dazu sollen auch Kooperationen mit dem Grenzlandmu- an diesem Ort wird exemplarisch die Geschichte der Tei- seum Eichsfeld entwickelt werden, um vorhandene Res- lung nachvollziehbar. Dazu gehört auch die Kapelle der sourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Versöhnung, die genau an dem Ort errichtet wurde, an dem die Versöhnungskirche stand. Seit dem Mauerbau Bildungsarbeit 1961 lag die Kirche der Evangelischen Versöhnungsge- meinde unerreichbar im Todesstreifen. Im Zuge des steti- Im Bereich der historisch-politischen Bildung arbeitet das gen Grenzausbaus wurde sie am 22. Januar 1985 von der Grenzmuseum mit verschiedenen Bildungsträgern wie den SED-Diktatur gesprengt. Nach der Wiedervereinigung er- Landeszentralen für politische Bildung Thüringen und hielt die Versöhnungsgemeinde ihr Kirchengrundstück Hessen, dem BStU, der Thüringer Landesbeauftragten für mit der Auflage der Sakralnutzung zurück. die Stasi-Unterlagen, der Bundesstiftung Aufarbeitung etc. zusammen. Schwerpunkte legt das Grenzmuseum auf die Entstehung und Entwicklung Zusammenarbeit mit Schulen, der Bundespolizei, der Landespolizei und der Bundeswehr. Für Schulklassen Die Entstehung der Gedenkstätte Berliner Mauer ist auf werden altersspezifische Seminare angeboten und von pä- bürgerschaftliches Engagement zurückzuführen. Bereits dagogischen Mitarbeitern begleitet. Mit Hilfe eines für im Januar und Februar 1990 engagierten sich Bürgerin- Informationszwecke umgestalteten Kleinbusses besuchen nen und Bürger um den Pfarrer der Versöhnungsge- die Mitarbeiter Schulen unter dem Motto „Demokratie – meinde, Manfred Fischer, sowie einige wenige andere für erfahren“. Zeitzeugen referieren im Grenzmuseum über den Erhalt der Mauer am historischen Ort. Am 2. Oktober die „Friedliche Revolution“ im Eichsfeld von Sommer bis 1990 stellte der Ost-Berliner Magistrat den über den Herbst 1989. Sophienfriedhof verlaufenden Grenzabschnitt und die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 53 – Drucksache 17/12115 dort erhaltenen Reste der Sperranlage unter Denkmal- Das Konzept wurde beim Deutschen Städtebaupreis 2010 schutz. 1994 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der die ausgezeichnet. Gestaltung eines Denkmals für die Opfer des Mauerbaus Die entstehende Dauerausstellung nutzt die hohe Spuren- und in Erinnerung an die Teilung der Stadt zum Ziel hatte. und Ereignisdichte an der Bernauer Straße, um exempla- Dieses wurde am 13. August 1998 eingeweiht (vgl. S. 105). risch am historischen Ort und auf ihn bezogen über 1997 gründete sich auf Initiative des Berliner Senats der Zweck und Funktion der Berliner Mauer zu informieren. Verein Berliner Mauer als Trägerverein eines aufzubau- Vor allem werden die Geschichten derjenigen Menschen enden Dokumentationszentrums, das im Gemeindehaus erzählt, deren Leben durch die Mauer eingeschränkt war, der Versöhnungsgemeinde zum zehnten Jahrestag des die ihr weichen mussten oder die sie zu überwinden trach- Mauerfalls am 9. November 1999 eröffnet wurde. Die teten. Das historische Gelände mit den originalen Relik- dort gezeigte Ausstellung „Berlin, 13. August 1961“ do­ ten, die denkmalgerecht konserviert werden, wird durch kumentiert die Ereignisse, die zum Mauerbau führten und vier Ausstellungsebenen erschlossen: die daraus resultierenden Folgen für die Menschen. Seit – Die originalen Relikte der Grenzanlagen werden, wo 2002 bietet das Dokumentationszentrum eine Aussichts- sie verlorengegangen sind, durch Nachzeichnungen plattform, die einen eindrucksvollen Blick auf den ehe- aus Cortenstahl wieder sichtbar gemacht, ergänzt maligen Grenzstreifen mit den Resten der Grenzanlagen durch Nachzeichnungen der Fluchttunnel und der ab- und das heutige erweiterte Gedenkstättenareal gewährt. gerissenen Grenzhäuser. Im Jahr 2000 wurde auf dem ehemaligen Grenzstreifen an – Mit Ereignismarken werden besondere Ereignisse am der Stelle der ehemaligen Versöhnungskirche die Kapelle Ort des Geschehens markiert, deren nähere Umstände der Versöhnung eingeweiht. Die drei Elemente – Denk- in einem Feldbuch nachzulesen sind. mal, Ausstellung und Kapelle – ermöglichen auf unter- – Archäologische Fenster zeigen teils ältere Schichten schiedlichen Wegen und in unterschiedlicher Form eine der Grenzanlagen, teils Spuren der Stadt, wo sie von Annäherung an die Geschichte und die Folgen der Berli- Mauer und Grenzstreifen verdrängt worden sind. ner Mauer: künstlerisch, dokumentarisch und geistig-reli- giös. Die Besucher können somit ihren eigenen Zugang – Eine multimediale Ausstellung im Grenzstreifen er- zum historischen Ort und den Zeugnissen der Vergangen- läutert den Ort, die wichtigsten Ereignisse und die his- heit wählen. torischen Zusammenhänge.

Im Laufe der Jahre wuchs das Bewusstsein, dass durch Im Mai 2010 wurde der erste Bereich des Ausstellungsa- den fast vollständigen Abriss der Grenzanlagen nur we- reals, der sich dem Thema „Die Mauer und der Todes- nige aussagekräftige Anknüpfungspunkte in Berlin für streifen“ widmet, der Öffentlichkeit übergeben. Zentrales die Vermittlung der Teilungsgeschichte erhalten geblie- Element dieses Bereichs ist das „Fenster des Gedenkens“ ben sind. Das im Jahr 2006 vom Berliner Senat verab- auf einem Teil des ehemaligen Sophienfriedhofs: ein wür- schiedete Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner diger Gedenkort für die Todesopfer an der Berliner Mauer sieht deshalb eine Stärkung und Vernetzung der Mauer, der auch ein individuelles Gedenken ermöglicht. verschiedenen Mauerorte in Berlin vor. Die Gedenkstätte Am 13. August 2011 wurden im Rahmen der zentralen in der Bernauer Straße wird darauf aufbauend bis voraus- Gedenkveranstaltung des Landes Berlin und des Bundes sichtlich zum Jahresende 2014 zum zentralen Ort des Ge- zum 50. Jahrestag des Mauerbaus zwei weitere Ausstel- denkens an die Opfer der Berliner Mauer ausgebaut. lungsbereiche eröffnet, in denen „Die Zerstörung der Stadt“ und „Der Bau der Mauer“ thematisiert werden. Im Rahmen der Gedenkstättenerweiterung wurde am Texttafeln sowie Audio- und Videostelen informieren ex- 9. November 2009 das Besucherzentrum in der Bernauer emplarisch über das Schicksal der Menschen, die in den Straße/Ecke Gartenstraße eröffnet, das als Anlaufpunkt Grenzhäusern an der Bernauer Straße lebten. für Gruppen und Einzelbesucher alle Grundinformationen zur Berliner Mauer und zu den Angeboten der Gedenk- Der vierte und letzte Bereich des Ausstellungsareals, der stätte, darunter zwei Einführungsfilme, bereithält. Bereits sich von der Brunnenstraße bis zur Oderberger Straße er- im Oktober 2009 war die Eröffnung der Ausstellung streckt, wird derzeit erarbeitet. Ein erster Teilabschnitt „Grenz- und Geisterbahnhöfe im geteilten Berlin“ im zwischen Ruppiner und Wolliner Straße konnte im Juni Nordbahnhof erfolgt. 2012 eröffnet werden. Als wesentlicher Baustein der Gedenkstättenerweiterung Wesentliches Erweiterungselement ist die ständig zu- stehen noch der Umbau des Dokumentationszentrums in gängliche Außenausstellung auf dem ehemaligen Mauer- der Bernauer Straße 111 sowie die damit einhergehende streifen an der Südseite der Bernauer Straße. Dieser Einrichtung einer neuen Dauerausstellung an. Für den 1,4 km lange und 4,4 ha große Freiraum wird nach einem Abschluss dieser Arbeiten wird momentan der Herbst Entwurf der Berliner Büros sinai und ON architektur zu 2014 angenommen. einer neuartigen Erinnerungslandschaft umgestaltet. Die bestehenden Reste und Spuren der Berliner Mauer wer- Zeitzeugenarbeit den dabei erhalten, die bisherigen Gedenkstättenelemente miteinander gestalterisch verbunden und die dramatische Zum Jahresende 2010 umfasste das Zeitzeugenarchiv der Ereignisgeschichte der Bernauer Straße wird erlebbar. Gedenkstätte Berliner Mauer insgesamt 161 Audiointer- Drucksache 17/12115 – 54 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode views mit 165 Zeitzeugen. Anlässlich der Jahrestage vor allem in den Lebenswegen der Flüchtlinge und Über- „20 Jahre Mauerfall“ 2009 und „50 Jahre Mauerbau“ siedler, deren Erfahrungen Ost und West umfassen. Mari- 2011 gab es eine Vielzahl von Medienanfragen aus dem enfelde ist also nicht nur ein politischer, sondern für die In- und Ausland mit der Bitte um die Vermittlung von vielen betroffenen und beteiligten Menschen ein ganz Zeitzeugen. Auch für künstlerische Projekte und Schüler- persönlicher Erinnerungsort. projekte erfolgte eine umfangreiche Beratung und Ver- mittlung von Ansprechpartnern. Entstehung und Entwicklung Auf der Internetseite der Gedenkstätte Berliner Mauer präsentiert die Abteilung Zeitzeugenarbeit in der Rubrik Die Existenz der Erinnerungsstätte ist bürgerschaftlichem „Zeitzeugengeschichten“ Kurzporträts ausgewählter Zeit- Engagement und insbesondere der Initiative von ehemali- zeugen, Fotos, Dokumente und Interviewausschnitte. Zu- gen Flüchtlingen und Mitarbeitern des Notaufnahmela- dem bringt sich die Gedenkstätte in das von BKM finan- gers sowie interessierten Wissenschaftlern zu verdanken. zierte Projekt des Koordinierenden Zeitzeugenbüros mit Kurz nachdem die Aufnahme von Flüchtlingen und Über- ein (vgl. S. 44f.). siedlern aus der DDR im Juli 1990 geendet hatte, began- nen sie damit, Gegenstände, Dokumente und Informatio- nen zum Leben und zur Arbeit in Marienfelde zu Bildungsarbeit sammeln. Im Oktober 1993 gründeten sie den Verein „Er- Seit 2009 ist ein auffällig starker Anstieg von Führungen innerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde“ mit dem und Seminaren für Schüler zu verzeichnen. Gründe für Ziel, die Geschichte des Notaufnahmelagers und der die stärkere Anfrage sind u. a. die Jahrestage „20 Jahre deutsch-deutschen Fluchtbewegung zu erforschen, zu do- Mauerfall“ und „50 Jahre Mauerbau“, die stärkere Beto- kumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich nung der deutsch-deutschen Geschichte im Geschichts- zu machen. Der Verein wurde 1994 als gemeinnützig an- unterricht der Länder Berlin und Brandenburg, das erkannt. Bereits vor seiner offiziellen Gründung eröffnete erhöhte Interesse von Lehrkräften sowie Kinder- und Ju- der Verein zusammen mit dem Landesamt für Zentrale gendgruppen an der Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte, Soziale Aufgaben im August 1993 eine erste Ausstellung die Stellung der Gedenkstätte im Berliner Mauer-Gedenk- in einem der Wohnblocks auf dem Lagergelände. Im Jahr konzept und das wachsende Interesse von Berlin-Besu- 1998 wurde diese Ausstellung von der Enquête-Kommis- chern an den Themen „Bau der Mauer“, „deutsche Tei- sion „Überwindung der SED-Diktatur im Prozess der lung“ und „Fall der Mauer“. 2011 gab es 1 473 Führungen, deutschen Einheit“ des Deutschen Bundestages als Ge- davon 854 für Schülergruppen, und 96 Seminarveranstal- denkstätte von gesamtstaatlicher Bedeutung eingestuft. tungen, davon 63 für Schüler. Im Oktober 2003 wurde mit der Erarbeitung einer neuen Ausstel Besucherzahlen lung begonnen, die seit 2005 im ehemaligen Haupthaus des Aufnahmelagers zu sehen ist. In der stän- Die Besucherzahlen der Gedenkstätte Berliner Mauer digen Ausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ wiesen in den vergangenen Jahren ein außergewöhnliches können die Besucher die Geschichte der deutschen Tei- Wachstum auf. So verzeichnete das Dokumentationszen- lung und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung von trum einen Anstieg von 67 000 Besuchern im Jahre 2004 1949 bis 1990 entdecken. Auf rund 450 qm und mit über auf 447 000 im Jahr 2011. Auf Besucherbefragungen ba- 900 Exponaten – ergänzt durch zahlreiche Zeitzeugenbe- sierte Hochrechnungen zeigen, dass die Gesamtbesucher- richte – erzählt sie anschaulich von Fluchtmotiven, zahl 2011 bei 650 000 lag. Diese Zahl umfasst das Doku- Fluchtwegen sowie von Chancen und Problemen beim mentationszentrum, das Besucherzentrum und das Neubeginn in der Bundesrepublik. Außerdem ist die Ge- Außengelände der Gedenkstätte. schichte des Aufnahmelagers von den Anfängen bis heute dargestellt: vom Ablauf des Aufnahmeverfahrens über Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde den Alltag der Bewohner bis hin zur Observierung durch die DDR-Staatssicherheit. Eine original eingerichtete Der historische Ort Flüchtlingswohnung rundet das Bild ab. Das Themen- Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ist spektrum der ständigen Ausstellung wird regelmäßig der zentrale Erinnerungsort in Deutschland zum Thema durch Sonderausstellungen ergänzt und vertieft. Flucht und Ausreise aus der DDR. Hier durchliefen rund 1,35 Millionen Ostdeutsche das Notaufnahmeverfahren. Zeitzeugenarbeit Wie kaum ein anderer Ort beleuchtet sie die Verschrän- kung von ost- und westdeutscher Geschichte: Die Ab- Ein Hauptinteresse der Arbeit der Erinnerungsstätte rich- wanderung aus der DDR in die Bundesrepublik hatte tet sich auf die Zeitzeugen und ihr Leben in der DDR, die massive Auswirkungen auf die politische, wirtschaftliche Ursachen und Gründe für ihr Weggehen, ihre Flucht oder und gesellschaftliche Entwicklung in beiden deutschen Ausreise, ihr Ankommen im Westen und ihre Aufnahme Staaten. Im Notaufnahmelager Marienfelde – einst an der in der westdeutschen Gesellschaft. Das Zeitzeugenarchiv Nahtstelle der konkurrierenden Systeme gelegen – gera- der Erinnerungsstätte umfasst derzeit Daten von 516 Zeit- ten beide Seiten der Grenze in den Blick. Die doppelte zeugen mit grundlegenden Angaben zu ihrer Person so- deutsche Nachkriegsgeschichte spiegelt sich aber nicht wie ihrer Geschichte und 80 lebensgeschichtliche Inter- nur in Politik und Gesellschaft. Sie zeigt sich auch und views. Darüber hinaus liegen im Archiv zu zahlreichen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55 – Drucksache 17/12115

Zeitzeugen weitere Materialien vor (z. B. Lebensberichte, wurde und sich besonders an Jugendliche richtete, war bis Dokumente im Original oder in Kopie). zum 31. Oktober 2011 in der Gedenkstätte Bautzen zu se- hen. Danach wird sie in Berlin gezeigt, bevor sie „auf In das Archiv aufgenommen werden Personen, die aus Wanderschaft“ geht. der DDR geflohen oder ausgereist sind oder im Auf- nahmelager Marienfelde bzw. bei dort ansässigen Organi- sationen gearbeitet haben. Die Dauerausstellung und Forschung wechselnde Sonderausstellungen ermutigen immer wie- Die Erforschung der Geschichte der Mauer und die der der Besucher, sich als Zeitzeugen bei der Erinnerungs- Menschen, die in Ost und West unter ihr gelitten haben stätte zu melden. oder – auf der anderen Seite – zu ihrer Erhaltung beitru- gen, ist eine wichtige Aufgabe der Stiftung Berliner Bildungsarbeit Mauer und Basis für jegliche Vermittlungsarbeit. Das Bildungsprogramm der Erinnerungsstätte Notaufnah- Die Tätigkeit dieses Arbeitsbereichs ist eine doppelte: ei- melager Marienfelde wurde seit Eröffnung der neuen nerseits die Forschungstätigkeit, andererseits der Auf- Dauerausstellung 2005 kontinuierlich ausgebaut und dif- und Ausbau der hauseigenen Sammlungen. In diesem Zu- ferenziert. Auch in der Erinnerungsstätte erfuhr seit 2009 sammenhang erfolgen die Recherche und die Aufberei- die Nachfrage nach den Bildungsangeboten einen signifi- tung von Material für die Zwecke der Gedenkstätten, der kanten Zuwachs. Insgesamt verzeichnete die Erinne- Aufbau einer öffentlichen Bibliothek, einer Mediathek rungsstätte eine Steigerung von mehr als 70 Prozent bei und eines Forschungsarchivs sowie die Übernahme bzw. den jungen Besuchern. 2011 gab es 252 Führungen, da- Ankäufe von Sammlungsgut wie Objekte, Dokumente, von 131 für Schülergruppen. Neben den öffentlichen Füh- Karten und Fotos. rungen bietet die Erinnerungsstätte einmal im Monat eine spezielle Kinderführung für Neun- bis Dreizehnjährige Zu den Aufgaben des Arbeitsgebiets gehört des Weiteren an, die ebenfalls sehr gut angenommen wird. Zudem wer- die Mitarbeit an den laufenden Projekten und allgemeinen den Formate angeboten, die gemeinsam mit der Gedenk- Aufgaben der Gedenkstätte bzw. der Erinnerungsstätte, stätte Berliner Mauer durchgeführt werden. die Betreuung von historischen und sonstigen Projekten Dritter (Diplomarbeiten etc.) sowie die Bearbeitung in- Besucherzahlen haltlicher Anfragen der Medien und Öffentlichkeit. Die Erinnerungsstätte verzeichnet in den letzten Jahren Ein Abbild der Forschungstätigkeit in der Stiftung Berli- eine wachsende Zahl an Besuchern. Die positive Ent- ner Mauer zeigt sich in ihren Publikationen: Neben zahl- wicklung der Besucherzahlen mit einem Niveau von über reichen Einzelveröffentlichungen der Mitarbeiter der Stif- 10 000 Besuchern stieg 2011 auf rund 12 000. Die Besu- tung, die regelmäßig in einschlägigen Publikationen cherzahlen setzen sich jeweils fast zur Hälfte aus Einzelbe- erscheinen, verfügt die Stiftung Berliner Mauer seit Früh- suchern und zur etwas größeren Hälfte aus angemeldeten jahr 2011 über zwei Publikationsreihen, die im Christoph Gruppen zusammen. Bei etwa 20 Prozent der Besucher Links Verlag in Berlin erscheinen. handelt es sich um Schüler. Derzeit stehen zwei weitere Forschungs- und Publika- Die Umsetzung des Stiftungsauftrags basiert in beiden tionsprojekte kurz vor dem Abschluss: Im September 2009 Häusern im Wesentlichen auf den folgenden inhaltlichen startete ein Forschungsprojekt zu den Todesopfern an den Säulen: Grenzen in Berlin zwischen 1948/49 und 1961, das von der Bundesstiftung Aufarbeitung sowie von der Stiftung Deut- Ausstellungen sche Klassenlotterie Berlin gefördert wird. Diese Studie wird auch grundlegende Informationen zum Grenzregime Unter Federführung der Stiftung Berliner Mauer werden der DDR an den Berliner Grenzen in der Zeit 1948 bis die „Mauer-Informationsorte“ („Galeriewände“) an der 1961 liefern, die bislang in der Forschungsliteratur weitge- Schwedter Straße und am Checkpoint Charlie betrieben. hend fehlen. Das zweite Forschungsprojekt widmet sich Im Rahmen des Gedenkjahres „50 Jahre Mauerbau“ ver- der Rolle und Funktion antikommunistischer Nichtregie- anstaltete die Stiftung Berliner Mauer die Sonderausstel- rungsorganisationen im bundesrepublikanischen Notauf- lung „Hinter der Mauer. Glienicke – Ort der deutschen nahmeverfahren, das Flüchtlinge und Ausreisende aus der Teilung“ im Schloss Glienicke von 18. Juni bis zum DDR durchlaufen mussten. Diese Untersuchung wird 3. Oktober 2011. Die Ausstellung zeigte die Sondersitua- ebenfalls von der Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert. tion des Ortes Klein-Glienicke, einer Exklave der DDR auf West-Berliner Gebiet, die nahezu vollständig von der Das Forschungsprojekt „Die Todesopfer an der Berliner Mauer umgeben war. Insgesamt weit mehr als 10 000 Be- Mauer 1961 bis 1989“ sucher sahen die Präsentation. Zahl, Identität und Schicksal der Todesopfer, die das In Kooperation mit der Gedenkstätte Bautzen leitete die DDR-Grenzregime zwischen 1961 und 1989 an der Gedenkstätte Berliner Mauer 2011 das Ausstellungspro- Mauer in und um Berlin forderte, waren lange Zeit nicht jekt „Der weiße Strich. Vorgeschichte und Folgen einer vollständig bekannt. Die Gedenkstätte Berliner Mauer Kunstaktion an der Berliner Mauer“. Die Wanderausstel- und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam lung, die von der Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert e.V. haben in einem mehrjährigen, von BKM geförderten Drucksache 17/12115 – 56 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Forschungsprojekt die genaue Anzahl der Todesopfer sollten daran erinnern, dass der Bau der Mauer den Men- ermittelt. Ziel des Projektes war es ebenso, die Lebensge- schen in der DDR das höchste Gut genommen hat, dessen schichten und Todesumstände aller Mauertoten in biogra- sich ein Volk glücklich schätzen kann: Demokratie, Frei- fischen Porträts zu dokumentieren, in den zeitgeschichtli- heit und Selbstbestimmung. Durch die Einbindung von chen Kontext einzubetten und in der Topografie der Zeitzeugen, die von dem Erlebten berichteten, und durch geteilten Stadt zu verorten. die Integration von jungen Menschen, Schülern und Ju- gendlichen in die Programmgestaltung sollte erreicht Entscheidend für die Benennung als Todesopfer an der werden, dass Demokratie und Freiheit als Grundwerte un- Berliner Mauer war die Verbindung des Todesfalls mit ei- serer Gesellschaft verstanden werden, die es zu verteidi- ner Fluchtaktion oder unmittelbaren Auswirkungen des gen gilt. Grenzregimes. Die Überprüfung der erfassten Verdachts- fälle und die Erarbeitung der Biografien erfolgten auf Im Mittelpunkt aller Veranstaltungen stand die zentrale breitester Quellengrundlage. Ausgewertet wurden die Gedenkfeier am 13. August 2011 in der Bernauer Straße, Akten der Staatsanwaltschaften aus den „Mauerschützen- die live in der ARD und über die Deutsche Welle welt- prozessen“ wie auch die Bestände der einschlägigen Ar- weit übertragen wurde. Sie ermöglichte den Opfern von chive. Um Erkenntnisse zu den Beweggründen und Le- Mauer und Teilung ein würdiges Gedenken und stellte die bensumständen der Toten unabhängig von Darstellungen Erfahrungen und Erinnerungen der Menschen in der ge- der DDR-Behörden und des MfS zu erhalten, wurde der teilten Stadt in den Mittelpunkt. Während der Gedenk- Kontakt zu Familienangehörigen und Freunden gesucht. feier, der Vertreter aller Verfassungsorgane beiwohnten, Auf diesem Weg konnten auch private Erinnerungen und sprachen neben dem Bundespräsidenten auch der Regie- der familiäre Kontext in die Biografien einfließen. Die rende Bürgermeister Klaus Wowereit, die Zeitzeugin Biografien der Todesopfer verdeutlichen DDR-typische Freya Klier und der Beauftragte der Bundesregierung für Alltags- und Repressionserfahrungen, geben aber auch Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann. Im Einblick in die Situation der Menschen im geteilten Anschluss eröffneten der Bundespräsident und die Bun- Deutschland. deskanzlerin den zweiten Teil des neu gestalteten Aus- stellungsareals. In einer ökumenischen Andacht in der Die Ergebnisse des Projektes und die 136 Biografien der Kapelle der Versöhnung wurde der Opfer der Mauer ge- Todesopfer sind in deutscher und englischer Sprache pub- dacht. Zu ihren Ehren wurden anschließend Kränze am liziert worden. Darüber hinaus wurden sie im Internet auf Denkmal niedergelegt. Eine stadtweite Schweigeminute www.chronik-der-mauer.de und www.berliner-mauer- folgte. gedenkstaette.de öffentlich zugänglich gemacht. Auf Grundlage der Forschungsergebnisse konnten das „Fens- Am Nachmittag bot sich den Besuchern auf dem Ausstel- lungsgelände und der Bernauer Straße ein vielfältiges An- ter des Gedenkens“ (vgl. S. ) in der Gedenkstätte Ber - 53 gebot. Auf der Straße präsentierten sich Aufarbeitungsin- liner Mauer errichtet und Erinnerungszeichen für die To- itiativen, (Grenz-)Museen, Vereine und Organisationen desopfer entlang des Berliner Mauerwegs in der Nähe der auf einer „Info-Meile der Zeitgeschichte“. Auf der Haupt- Todesorte aufgestellt werden. bühne und in einem Zeitzeugen-Café berichteten Zeitzeu- gen in verschiedenen moderierten Podien über ihre Erin- Veranstaltungen nerungen an den 13. August 1961. Am Abend klang die Die Stiftung organisiert an ihren beiden Standorten regel- Gedenkveranstaltung mit der Aufführung diverser Filme mäßig öffentliche Veranstaltungen, Lesungen, Vorträge in einem Open-Air-Kino aus, in dessen Rahmen bereits an den beiden Vorabenden Filme zur deutschen Teilung und Diskussionen, Filmpräsentationen, Gedenkveranstal- gezeigt wurden. Weit mehr als 20 000 Besucher nahmen tungen und Tagungen. Das umfangreiche Veranstaltungs- an diesem Tag das Areal der Gedenkstätte in der Bernauer programm anlässlich des Gedenkjahres „50 Jahre Mauer- Straße in Besitz. bau“ sei gesondert aufgeführt: Die Gesamtveranstaltung „50 Jahre Mauerbau in Berlin“ Zeitzeugenarbeit umfasste neben der zentralen Gedenkveranstaltung am 13. August 2011 mit einem großen Rahmenprogramm auf Die Lebensgeschichten von Menschen, die durch die Tei- dem Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer eine Viel- lung Deutschlands in besonderem Maße betroffen oder ak- zahl von Veranstaltungen unter Einbindung anderer Insti- tiv in sie involviert waren, verdeutlichen die Unmensch- tutionen, weiterer Veranstaltungsorte und Aktionsflächen lichkeit der Mauer. Gleichzeitig dokumentieren sie an historisch bedeutsamen Mauerorten der gesamten unterschiedliche Lebenserfahrungen, Reaktionen und Ver- Stadt Berlin. Zur Organisation der Gesamtveranstaltung arbeitungsmöglichkeiten der Menschen in Bezug auf histo- ist die Stiftung Berliner Mauer eine Kooperation mit der risch-politische Ereignisse. Es wird nachvollziehbar, unter gemeinnützigen Landesgesellschaft Kulturprojekte Berlin welchen Bedingungen die Bewohner in Ost- als auch West- GmbH eingegangen, welche die Gesamtkoordination für Berlin leben mussten und welche Handlungsoptionen und die außerhalb der Gedenkstätte liegenden Orte übernahm. Erfahrungshorizonte es für sie gab. Auf dieser Grundlage sind sie als Quellen für die Ausstellungsarbeit und die his- Ausgangspunkt des Programms war die Erinnerung an torisch-politische Bildungsarbeit unerlässlich. Die Zeitzeu- die Opfer von Mauer und Stacheldraht sowie der SED- genarbeit der Stiftung sammelt diese wertvollen Quellen in Diktatur. Die zentrale Gedenkfeier und das stadtweite Interviews, um sie zu bewahren und gleichzeitig der Öf- Rahmenprogramm zum 50. Jahrestag des Mauerbaus fentlichkeit zugänglich zu machen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 57 – Drucksache 17/12115

Bildungsarbeit das im Gesamtkonzept Berliner Mauer des Berliner Sena- tes vorgesehen war, und übernahm im Anschluss die tech- Der historisch-politischen Bildungsarbeit der Stiftung nische Pflege. Berliner Mauer liegt die Maxime des exemplarischen Lernens an historischen Orten zugrunde. Zusammen- hänge wie Ursachen und Folgen des Mauerbaus im Jahr Europäisches Kulturerbe-Siegel 1961 werden am Beispiel der Bernauer Straße und der Er- Auf Initiative der Kultusministerkonferenz der Länder innerungsstätte Notaufnahme Marienfelde erläutert. wurden 2009 zwei Initiativen („Eiserner Vorhang“ und Hauptadressaten der Bildungsangebote sind Kinder, Ju- „Stätten der Reformation“) ausgewählt, für die das „Euro- gendliche und Gruppen der Erwachsenenbildung. Für päische Kulturerbe-Siegel“7 beantragt werden sollte. Die jede dieser Gruppen gibt es speziell zugeschnittene Bil- Stiftung Berliner Mauer hat sich maßgeblich für die Aus- dungsangebote. zeichnung ausgewählter, repräsentativer Orte des „Eiser- nen Vorhanges“ mit dem „Europäischen Kulturerbe-Sie- Mit Hilfe der vielschichtigen Angebote der politischen gel“ engagiert. Die Europäische Union stimmte den Bildungsarbeit können grundlegende Fragen der Diktatur beiden deutschen Vorschlägen zu, sodass die Bundesre- (und deren Überwindung) ebenso wie Grundfragen der publik seit Januar 2011 am „Europäischen Kulturerbe- Demokratie dargestellt und erörtert werden. Nicht zuletzt Siegel“ beteiligt ist. Auf Initiative der Stiftung Berliner durch die kontrollierte und stets begleitete Einbindung Mauer und in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung von Zeitzeugen sind beide Häuser der Stiftung Orte indi- für Stadtentwicklung – Oberste Denkmalschutzbehörde vidueller Geschichten, die eine multiperspektivische He- erfolgte dann im August 2011 die offizielle Auszeichnung rangehensweise und Methodik garantieren. der zwölf Stätten des „Eisernen Vorhangs“. Diese verbin- Das Zusammenwachsen der beiden Häuser der noch jun- den sich seitdem im Netzwerk „Europäisches Kulturerbe- gen Stiftung zeigt sich insbesondere im Bereich der Bil- Siegel – Eiserner Vorhang“. Damit sind beide zur Stiftung dungsarbeit: Aufbauend auf dem ohnehin schon breiten gehörenden Stätten mit dieser neuen europäischen Aus- Angebot konzipierten die Bildungsabteilungen im Jahr zeichnung honoriert worden. 2010 einen neuen Projekttag mit dem Thema „Flucht im geteilten Deutschland“ für Schüler der Klassen 4 bis 7, Der „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) um der wachsenden Nachfrage nach einem Angebot für und die ehemalige Grenzübergangsstelle Drewitz Neun- bis Dreizehnjährige gerecht zu werden. Im Rah- men des Projekttages spüren die Schüler an beiden Orten Mit dem erhaltenen Kommandoturm der ehemaligen der Geschichte von Flucht im geteilten Deutschland nach Grenzübergangsstelle Drewitz befindet sich in Branden- und begeben sich auf die Spuren von DDR-Flüchtlingen. burg neben einem Gedenkstein in Kleinmachnow ein Er- innerungsort, der eindrücklich auf die Geschichte des Mit speziellen Fortbildungsveranstaltungen wendet sich Grenzregimes und der deutschen Teilung verweist. Der die Stiftung an Lehrer, um über die Themen der Stiftung auf West-Berliner Seite gelegene Alliierte Kontrollpunkt Berliner Mauer und ihr Bildungsprogramm zu informieren. „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) mit sei- nem charakteristischen Brückenhaus, zwei Tankstellen Öffentlichkeitsarbeit und einer Raststätte steht ebenfalls unter Denkmalschutz. Der Verein „Checkpoint Bravo“ hat sich die Restaurie- Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Stiftung Ber- rung, den Ausbau und die Pflege des denkmalgeschützten liner Mauer bringt die Geschichte der Berliner Mauer und Turms zur Aufgabe gemacht. Dank der Unterstützung der der deutsch-deutschen Fluchtbewegung als Teil und Aus- Bundesstiftung Aufarbeitung und des Landes Branden- wirkung der deutschen Teilung und des Ost-West-Kon- burg dient er als Veranstaltungsort der politischen Bil- fliktes im 20. Jahrhundert in die Öffentlichkeit und berei- dung insbesondere für Schüler und junge Erwachsene tet so den Boden für eine intensive und nachhaltige sowie als Begegnungsstätte für Menschen mit unter- Beschäftigung der Medien und Öffentlichkeit mit diesen schiedlichen deutschen Biografien. Themen. Vor allem die Gründung der Stiftung Berliner Mauer und das Jubiläumsjahr „20 Jahre Mauerfall“ 2009 Die Gedenkstätte Point Alpha, Geisa sowie das Gedenkjahr „50 Jahre Mauerbau“ 2011 haben zu einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung der Ar- Der historische Ort beit der Stiftung geführt. Der Name des vormaligen östlichsten US-Beobachtungs- postens Point Alpha steht für einen der Brennpunkte des Das Informationsportal Berliner Mauer am Kalten Krieges. Die dauerhafte militärische Bedrohung Brandenburger Tor

Im U-Bahnhof Brandenburger Tor (Passerelle, Treppen- 7 Beim „Europäischen Kulturerbe-Siegel“ handelt es sich um eine eu- haus und Bahnsteig) informiert eine Ausstellung über die ropäische Initiative, mit der Kulturerbestätten ausgezeichnet werden, Geschichte des Brandenburger Tors als Symbol für die die die europäische Einigung sowie die Ideale und die Geschichte der Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung. Sie Europäischen Union symbolisieren und verdeutlichen. Sie wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Europäische Union ih- verweist auf die Informationsangebote zur Berliner ren Bürgerinnen und Bürgern durch Verbesserung der Kenntnisse Mauer im Stadtgebiet. Die Stiftung Berliner Mauer unter- über die europäische Geschichte und ihre Rolle und Werte näher zu stützte 2009 die Einrichtung dieses Informationsportals, bringen. Drucksache 17/12115 – 58 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode im Ost-West-Konflikt wird durch die erhalten gebliebe- Bildungsarbeit nen Beobachtungstürme auf beiden Seiten der Grenze markant unterstrichen. Dort, wo bis 1989 ein Einmarsch Neben Führungen durch die Gedenkstätte bietet die Point der Truppen des Warschauer Paktes jederzeit erwartet Alpha Stiftung Zeitzeugengespräche, Grenzwanderungen wurde, wird heute an die Rolle der USA bei der Verteidi- sowie Workshops zu unterschiedlichen Themen an. In er- gung der Freiheit an der ehemaligen Grenze und an ihren folgreichen Kooperationen mit Schulen, Institutionen und Beitrag zur Deutschen Einheit erinnert. Das Konzept die- Behörden führt die Stiftung junge Menschen auch jenseits ses bedeutenden Geschichtsortes schließt auch die erhal- des Unterrichts im Fach Geschichte an die Ereignisse des tenen bzw. zum Teil rekonstruierten Grenzanlagen der Kalten Krieges heran. In der Vor- und Nachbereitung des DDR sowie ein Museum zur Erinnerung an das Leiden Gedenkstättenbesuches unterstützen die Mitarbeiter der der ostdeutschen Bevölkerung unter dem DDR-Grenzre- Gedenkstätte Schulen und Lehrer durch die Bereitstellung gime im Sperrgebiet mit ein. von Materialien oder den Entwurf eines speziell am Wis- sensstand der Schüler ausgerichteten Programms.

Entstehung und Entwicklung Mit einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm leistet die Stiftung Bildungsarbeit für Erwachsene in der Re- Die Gedenkstätte Point Alpha wurde 1997 vom Verein gion. Die Ereignisse von 1989 werden in einen gesamt- Grenzmuseum Rhön „Point Alpha“ gegründet. Den hessi- europäischen Zusammenhang eingebettet, um die Friedli- schen Trägerverein unterstützte der thüringische Partner- che Revolution in der DDR als Teil eines langfristigen, verein „Mahn-, Gedenk- und Bildungsstätte e.V.“ Die Ge- übernationalen und bei allen Rückschlägen letztlich er- denkstätte wird seit 2008 von der Point Alpha Stiftung folgreichen Widerstandsprozesses begreifbar zu machen getragen. Diese wurde im Dezember 2007 als selbststän- und junge Menschen zu motivieren, sich mit der Ge- dige Stiftung bürgerlichen Rechts von den Ländern Thü- schichte der mittel- und osteuropäischen Nachbarländer, ringen und Hessen, den Landkreisen Wartburgkreis und der europäischen Dimension der Freiheitsbewegung und Fulda sowie den Anrainergemeinden Geisa und Rasdorf mit den gemeinsamen, historisch gewachsenen Werte- und den beiden Vereinen gegründet. Im Juni 2009 trat der grundlagen zu beschäftigen. Bund als Stifter hinzu. Die Stiftung eröffnete im September 2011 mit der Point Die Stiftung und die Gedenkstätte Point Alpha verzeich- Alpha Akademie eine ihr angeschlossene Weiterbildungs- nen jährlich um die 100 000 Besucher. einrichtung. Dafür engagierte sich die Stadt Geisa, indem sie ein historisches Gebäude zur Verfügung stellte, das sie im Rahmen des Konjunkturprogramms II zweckdienlich Ausstellung um- und ausbauen ließ. Das Bildungsangebot der Point Die Dauerausstellung auf dem Gelände der Gedenkstätte Alpha Stiftung wird unter dem Dach der Akademie we- Point Alpha legt besonderes Gewicht auf die Verdeutli- sentlich erweitert. Insbesondere mit Blick auf Weiterbil- chung der internationalen Dimension der Teilung, die dung und internationale Projekte geht es hier um die Ent- Blockkonfrontation sowie die militärische Gefahr des wicklung und Etablierung weiterführender Angebote auf Kalten Krieges. Original erhaltene Bauten, eine Fahr- wissenschaftlicher Grundlage. zeughalle und eine militärtechnische Fahrzeugsammlung vermitteln einen authentischen Eindruck des ehemaligen Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn amerikanischen Stützpunktes. In unmittelbarer Nähe zum Point Alpha, im „Haus auf der Grenze“, befindet sich eine Der historische Ort Dauerausstellung über das Grenzregime der DDR und Am 1. Juli 1945 richteten die vier Siegermächte des den Einfluss der Grenze auf das Leben der Menschen im Zweiten Weltkrieges an der Reichsautobahn Berlin–Han- Sperrgebiet. Eine multimediale Darstellung der Friedli- nover auf Höhe der Demarkationslinie zwischen briti- chen Revolution und ihres gewaltlosen Kampfs um scher und sowjetischer Besatzungszone den Alliierten Freiheit und Bürgerrechte zusammen mit dem Skulptu- Kontrollpunkt Marienborn-Helmstedt ein. 1950 über- renprojekt „Weg der Hoffnung“ komplettieren die Dauer- nahm die DDR das Kommando auf der Grenzübergangs- ausstellung. Für die Dauerausstellung im „Haus auf der stelle (GÜSt) Marienborn/Autobahn. Da diese sich dem Grenze“ hat die Stiftung eine grundlegende Neukonzep- steigenden Verkehrsaufkommen auf der Transitstrecke tion in Auftrag gegeben. Die Stiftung beabsichtigt, in den zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin nicht ge- nächsten zwei Jahren die Ausstellungsneugestaltung nach wachsen zeigte, ließ die Partei- und Staatsführung hier aktuellen Standards auszuführen. Anfang der 1970er Jahre eine neue GÜSt errichten. Diese war mit ca. 1 000 Beschäftigten die größte und bedeu- Forschung tendste an der innerdeutschen Grenze. Mit der Einstel- lung der Grenzkontrollen zum 1. Juli 1990 verlor die Neben der Geschichte der Blockkonfrontation im Kalten GÜSt ihre Funktion. Krieg soll die Vorgeschichte der Friedlichen Revolution mit Blick auf den Beitrag der europäischen Nachbarn ei- Entstehung und Entwicklung ner der Schwerpunkte der Forschungsarbeit der Stiftung werden, die vom wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Am 13. August 1996 eröffnete der damalige Ministerprä- initiiert und begleitet wird. sident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reinhard Höpp- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59 – Drucksache 17/12115 ner, die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn als Die im Zeitraum 1972 bis 1974 errichtete Grenzüber- Gedenkstätte im Aufbau. Zur Orientierung auf dem Ge- gangsstelle ist trotz denkmalgerechter Sanierung des ehe- lände diente ein provisorisch errichtetes Besucher-Infor- maligen Stabsgebäudes und weiterer Funktionseinheiten mationssystem, das den damaligen Kenntnisstand reprä- im Zusammenhang mit der ersten Dauerausstellung im sentierte. Die seither verfolgte Konzeption setzt bewusst Jahr 2000 an vielen Stellen weiter sanierungsbedürftig. auf den Einsatz moderner Ausstellungs- und Vermitt- Das Land Sachsen-Anhalt hat in den Jahren 2011 und lungsmethoden am historischen Ort mit seinen authenti- 2012 die Sanierung des Grenzdenkmals Hötensleben so- schen Überresten. Deshalb wurde jeweils eine Funktions- wie die Planung und Sanierung weiterer Bereiche in der einheit der ehemaligen Grenzübergangsstelle Marienborn Gedenkstätte Marienborn gefördert. Die Baumaßnahmen exemplarisch im Ausbauzustand November 1989 denk- sollen in den nächsten Jahren fortgesetzt werden. malgerecht saniert. Anhand der konkreten Sachzeugen werden die Gesamtdimension der ehemaligen GÜSt, de- Ausstellung ren Funktionen sowie entsprechende Funktionsabläufe er- lebbar. Seit 2000 informiert die Dauerausstellung „Die Grenz- übergangsstelle Marienborn: Bollwerk − Nadelöhr − Am 21. Juli 1998, anlässlich eines Besuchs des damaligen Seismograph“ über die historischen Zusammenhänge und Bundespräsidenten Roman Herzog, erhielt die Gedenk- Auswirkungen der deutschen Teilung am Beispiel des stätte ein wissenschaftlich fundiertes Besucher-Informa- historischen Ortes. Als weitere Dauerausstellung wurde tionssystem, das auf Tafeln an 23 Standorten die Funktion 2007 im denkmalgerecht sanierten Zollbereich der Grenz- und Geschichte der früheren GÜSt erläuterte. übergangsstelle die Dauerausstellung „Zoll der DDR Marienborn“ eingerichtet, die über die Ausbildung der Zwischen 1998 und 2003 erfolgte die denkmalgerechte Zöllner, deren Lebensbedingungen, Aufgaben der Zoll- Sanierung des Gedenkstättengeländes. Exemplarisch wie- verwaltung, Kontrollablauf, Wirtschaftsfaktor Zoll sowie derhergerichtet wurde jeweils eine der sogenannten Funk- das Thema „Zöllner als kontrollierte Kontrolleure“ infor- tionseinheiten der DDR-Grenzübergangsstelle, d. h. die miert. Sie bezieht auch jene zwei Garagen ein, in denen Abfertigungstrakte der Passkontrolleinheit für in die verdächtig erscheinende Fahrzeuge eingehenden Kontrol- DDR einreisende PKW und LKW, der Zollbereich sowie len unterzogen wurden. Darüber hinaus entstanden auf der Kommandoturm als Führungsstelle der Grenztrup- Initiative der Gedenkstätte diverse Sonderausstellungen, peneinheit. Parallel dazu begann die Gedenkstätte mit der die in der Gedenkstätte und an anderen Standorten ge- Schulung ehrenamtlicher Besucherbegleiter, um die im- zeigt wurden und z. T. noch werden. mer zahlreicher werdenden deutschen und ausländischen Gäste auf begleiteten Rundgängen über das Gelände der Die Dauerausstellung der Gedenkstätte wird zwar sehr ehemaligen GÜSt zu betreuen. Um die gedenkstätten- gut angenommen, ist aber mittlerweile über zehn Jahre pädagogische Arbeit weiter zu entwickeln, wurde am alt. Auf Grund neuer Forschungen und der Weiterent- 30. Juni 2000 im ehemaligen Stabsgebäude ein Informa- wicklung der Gedenkstättenpädagogik muss in den tions- und Dokumentationszentrum eingerichtet mit Dauer- nächsten Jahren bis 2016 eine neue Dauerausstellung ein- und Sonderausstellungsbereich, Seminarräumen und Bi- gerichtet werden. Sie wird in engem Zusammenhang mit bliothek, Magazin- und Büroräumen und einem Besu- der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg entwickelt, um cherleitsystem. die Verfolgung von Flüchtlingen und Ausreiseantragstel- lern zu dokumentieren, und orientiert sich an den zukünf- Am 1. Januar 2004 wurde das bisher von der Kommune tigen inhaltlichen Schwerpunkten der Gedenkstättenar- und ihrem Grenzdenkmalverein gemeinsam betreute beit: Grenzdenkmal Hötensleben, das auf einer Länge von – Geschichte des historischen Ortes etwa 350 m den pioniertechnischen Ausbau der DDR- Grenzanlagen (Stand 1989) dokumentiert, Bestandteil der – Grenzopfer und Repression im Zusammenhang mit Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Mit dieser dem Grenzregime Zuordnung bekannte sich das Land zu der Absicht, nicht nur die westdeutsche Erinnerung an die schikanösen – Auswirkungen der Diktatur in SBZ und DDR auf die Grenzkontrollen zu vergegenwärtigen, sondern auch die Bundesrepublik ostdeutsche Seite der Erfahrung des Eingesperrtseins zu – europäische Dimension, insbesondere die westeuro- dokumentieren. Über „Grenzenlos – Wege zum Nachbarn päischen Solidaritätsbewegungen mit der Opposition e.V.“ sind die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn in Osteuropa und das Grenzdenkmal Hötensleben mit dem Zonen- grenzmuseum Helmstedt verbunden. – Demokratieerziehung. Aufgrund ihrer anerkannten gesamtstaatlichen Bedeutung In Kooperation mit der Otto-von-Guericke-Universität erhält die Gedenkstätte seit 2009 eine jährliche institutio- Magdeburg, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Zeitge- nelle Förderung durch BKM. schichte, wird sich die Gedenkstätte folgenden For- schungsschwerpunkten widmen: Im August 2011 wurde der Gedenkstätte Deutsche Tei- – Wirken der Grenztruppen lung Marienborn das Europäische Kulturerbe-Siegel „Ei- serner Vorhang“ verliehen (vgl. S. 57). – Alltag im Grenzgebiet Drucksache 17/12115 – 60 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– Grenzopfer haltliche Schwerpunkte bilden dabei die Themenbereiche Sperranlagen, Grenzüberwachungsorgane, Zwangsaussied- – Zeitzeugenarchiv lungen, Grenzübergangsstellen, illegale Grenzübertritte/ – Internationale Bedeutung Flucht, wirtschaftliche/verkehrstechnische Auswirkungen, Alltag an der Grenze sowie Friedliche Revolution und – Zusammenarbeit der westdeutschen und europäischen Wiedervereinigung unter Berücksichtigung des jeweili- Solidaritätsbewegung mit der Opposition in der DDR. gen historisch-politischen Kontextes in nationaler und eu- ropäischer Dimension. Besucherzahlen An diesem für die Geschichte der deutschen Teilung be- Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn wird deutsamen historischen Ort sind Teile der 700 m langen jährlich von gut 170 000 Menschen besucht. Pro Jahr fin- Betonsperrmauer und des Metallgitterzaunes sowie der Be- den 500 bis 800 begleitete Rundgänge in verschiedenen obachtungsturm im Original erhalten geblieben. Die heu- Sprachen statt. Darüber hinaus werden Sonderausstellun- tige Gedenkstätte verfügt über ein Freigelände, einen (Son- gen, Veranstaltungen, Schülerprojekttage und -wochen, der-)Ausstellungsbereich, museumspädagogische Räume Lehrerfortbildungen und weitere Bildungsmöglichkeiten sowie eine museale Infrastruktur mit Medienarchiv, Ar- angeboten. chiv, Bibliothek und Depots und ist auf allen Feldern der klassischen Museumsarbeit (Sammeln, Bewahren, Doku- Das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth mentieren, Forschen, Vermitteln) tätig. Ihr Zweck besteht Der historische Ort darin, ein Zeugnis für die Verbrechen der SED-Diktatur, ein Ort der Erinnerung an die deutsche Teilung und des Mödlareuth erlangte als „Little Berlin“ weltweit traurige Gedenkens an deren Opfer sowie ein außerschulischer Berühmtheit. Mit dem Ministerratsbeschluss der DDR Lernort für gegenwärtige und zukünftige Generationen vom 26. Mai 1952 und der einen Tag später in Kraft ge- im Rahmen der historisch-politischen Bildungsarbeit zu tretenen Polizeiverordnung des MfS senkte sich auch in sein. Mödlareuth der „Eiserne Vorhang“. Im Juni 1952 wurde mit der Errichtung eines übermannshohen Bretterzaunes Der Verein „Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth die totale Abgrenzung der beiden Ortsteile eingeleitet. e.V.“ übte zunächst die Trägerschaft bis 2005 aus. Ab Ja- Jahrhundertealte wirtschaftliche, gesellschaftliche und fa- nuar 2006 übernahm der länderübergreifende kommunale miliäre Verbindungen über den Tannbach hinweg kamen Zweckverband „Deutsch-Deutsches Museum Mödla- damit ziemlich abrupt zum Erliegen. In den folgenden reuth“ die Einrichtung. Dem Zweckverband gehören der fast vier Jahrzehnten wurden die Sperranlagen in Mödla- Landkreis Hof (Freistaat Bayern), der Landkreis Saale- reuth immer weiter ausgebaut und perfektioniert. 1966, Orla (Freistaat Thüringen), der Vogtlandkreis (Freistaat fünf Jahre nach dem Mauerbau in Berlin, folgte der Bau Sachsen) sowie die Gemeinde Töpen (für die bayerische der 700 m langen, 3,30 m hohen Betonsperrmauer durch Seite Mödlareuths) und die Stadt Gefell (für die thüringi- das 50 Einwohner zählende Dorf. Am 9. Dezember 1989, sche Seite Mödlareuths) an. genau einen Monat nach dem Fall der Mauer in Berlin, Die investive Förderung erfolgt seit 1991 durch den Frei- wurde der Fußgängerübergang in Mödlareuth eröffnet. staat Bayern sowie seit 1993 durch den Freistaat Thürin- Am 17. Juni 1990 riss auf Initiative des Töpener Bürger- gen. Bezüglich der länderübergreifenden Finanzierung meisters ein Bagger die trennende Mauer im Ortskern wurde 1994 ein gemeinsamer Kabinettsbeschluss der nieder. Mit dem Fall der Mauer entstand die Idee, am his- Freistaaten Bayern und Thüringen verabschiedet. Insge- torischen Ort ein Museum zur Geschichte der deutschen samt wurden bislang über 2,2 Mio. Euro investiert. Teilung zu errichten. Zusätzlich erhielt das Museum Mödlareuth über Entstehung und Entwicklung 700 000 Euro an zweckgebundenen Projektförderungen u. a. von der Bundesstiftung Aufarbeitung, der Oberfran- Getragen von bürgerschaftlichen Engagement und mit kenstiftung, der Landesstelle für die nichtstaatlichen Mu- Akzeptanz der ortsansässigen Bevölkerung erfolgte am seen in Bayern, der Bayerischen Landesstiftung, der Stif- 3. September 1990 in einer Mödlareuther Scheune die tung Kreis- und Stadtsparkasse Hof sowie finanzielle Gründung des Vereins „Deutsch-Deutsches Museum Zuwendungen durch die Lottogesellschaft Thüringen und Mödlareuth e.V.“ Seine Zielsetzung ist die Darstellung durch das Landgericht Hof in Form von Bußgeldzahlun- der Geschichte der deutschen Teilung in ihrer Gesamt- gen an gemeinnützige Einrichtungen. heit. Nicht nur Mauer und Stacheldraht, sondern auch die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und all- An der Finanzierung der Betriebskosten in Höhe von ca. tagsgeschichtlichen Aspekte dieser Teilung werden the- 300 000 Euro jährlich beteiligen sich der Bund (seit 1995 matisiert und neben allgemeinen Einführungen wenn im Rahmen der Gedenkstättenförderung), der Freistaat möglich exemplarisch anhand regionaler und lokaler Bei- Bayern (seit 2006), der Freistaat Thüringen (seit 2005), spiele erläutert. Der zeitliche Rahmen beginnt 1944/45 der Bezirk Oberfranken, der länderübergreifende kommu- mit der Festlegung der Besatzungszonen und dem Ende nale Zweckverband (Verbandsumlage der Zweckver- des Zweiten Weltkrieges und endet mit der Friedlichen bandsmitglieder Landkreis Hof, Landkreis Saale-Orla, Revolution 1989 und der Wiedervereinigung 1990 und Vogtlandkreis, Gemeinde Töpen, Stadt Gefell) sowie das ihren aktuellen Auswirkungen bis in die Gegenwart. In- Museum selbst in Form von Einnahmen (Eintritt, Führun- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 61 – Drucksache 17/12115 gen, Museumsshop) in Höhe von ca. 100 000 Euro jähr- Die museumseigene Sammlung ergänzen drei hinzuer- lich. worbene Privatsammlungen. Bislang wurden etwa 14 000 Objekte wissenschaftlich in einer Datenbank inventari- Von 1999 bis 2003 wurden durch Umbau- und Sanie- siert, zum Teil auch fotografisch dokumentiert und nach rungsmaßnahmen zwei Film- und Vortragsräume, ein konservatorischen Gesichtspunkten gelagert. Sonderausstellungsraum sowie Infothek/Museumsshop geschaffen. Im Sonderausstellungsraum werden jährlich Die Erweiterung der bestehenden Depotbereiche erfolgte zwei bis drei Sonder-/Wanderausstellungen präsentiert. in den Jahren 1997/98 durch den Neubau eines Kfz-De- pots, das 2008 als „begehbares Depot“ konzipiert wurde Ausstellung und, mit Deckenbannern als Informationsträger versehen, ganzjährig den Besuchern zu den regulären Öffnungszei- Freigelände ten zur Verfügung steht. Derzeit werden über 30 Fahr- Das Freigelände wurde von 1992 bis 1994 geschaffen. Es zeuge der ehemaligen westlichen und östlichen Grenz- vermittelt auf einer Fläche von ca. 8 000 qm in einer Re- überwachungsorgane präsentiert. konstruktion die Gliederung des Grenzgebietes der DDR in Sperrzone und Schutzstreifen, Aufbau und Zusammen- Bildungsarbeit wirken der verschiedenen Sperranlagen sowie die „offene Grenze“ von Seiten der Bundesrepublik (Zeitstand 1989). Im Rahmen der historisch-politischen Bildungsarbeit wur- Ein zweiter Teilbereich zeigt die vorderen Sperranlagen den 635 Gruppenführungen (davon 225 Schülergruppen) von Mödlareuth auf einer Länge von 100 m im Original, betreut. Zwei Räumlichkeiten stehen für Filmvorführun- wie sie das Dorf vom Mauerbau 1966 bis zur Grenzöff- gen, Seminare und Vorträge zur Verfügung. nung 1989 teilten. Seit Februar 2010 stellt das Kultusministerium Bayern eine Lehrerstelle in Form einer Teilabordnung von drei Geschichts-Lehrpfad Lehrkräften (Mittel-/Hauptschule, Realschule, Gymna- sium) als gedenkstätten- und museumspädagogisches Ein ca. vier km langer Geschichts -Lehrpfad ergänzt das Personal insbesondere für die Betreuung von Schulklas- Freigelände. Im Gegensatz zur komprimierten Darstel- sen zur Verfügung. Seit September 2011 unterstützt auch lung im Freigelände werden hier für den Besucher die das Kultusministerium Thüringen mit einer halben W eitläufigkeit und räumliche Dimension der (vorderen) Lehrerstelle (Teilabordnung) die gedenkstättenpädagogi- Sperranlagen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze sche Arbeit des Museums Mödlareuth. In Kooperation erfahrbar. 1995 folgten die Ausgrabungen der „Unteren mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bil- Mühle“ Mödlareuths im Rahmen eines Jugend-Work- dungsarbeit finden viermal jährlich ein dreitägiges Schü- camps mit 17 Studenten aus neun Nationen. Das Flächen- lerseminar mit jeweils einer Schulklasse aus Bayern und denkmal stellt eine Stätte der Erinnerung und Mahnung Thüringen oder Sachsen statt. Ferner werden Seminare bezüglich der Themenk omplexe Grenzregime und Zwangs- und Projekttage für Schulklassen angeboten, Fach-, Di- aussiedlung dar. plom-, Magister- und Doktorarbeiten zur Geschichte der deutschen Teilung vom Museum Mödlareuth betreut. Sammlung Im Rahmen einer Lehrerfortbildung, an der Lehrkräfte Zum Aufbau einer musealen Infrastruktur erfolgte im von Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien teilnah- Herbst 1992 der Ankauf von Wirtschaftsgebäuden des men, entstand 1997 ein Medienpaket zum Thema „Tei- ehemaligen Rittergutes Mödlareuth. Nach zweijährigen lung und Wiedervereinigung Deutschlands“, das auch Planungs- und Baumaßnahmen wurden im Herbst 1994 über die Landesbildstelle Nordbayern vertrieben wurde. die Räumlichkeiten für Verwaltung, Medienarchiv, Ar- chiv, Bibliothek und Depots in Betrieb genommen. Kon- Die vier Gedenkstättenpädagogen entwickelten zusätzli- servatorische wie auch restauratorische Maßnahmen wur- che Module, die lehrplanorientiert die Aufarbeitung der den bei mehreren Großexponaten (Fahrzeuge) sowie bei SED-Diktatur ermöglichen und ergänzend zu den Füh- einigen Sperranlagen im Freigelände (z. B. Betonsperr- rungen angeboten werden. mauer) durchgeführt. Das Medienarchiv umfasst neben Filmen und biografi- Besucherzahlen schen Zeitzeugenbefragungen einen Fotobestand von ca. Im Zeitraum 1994 bis 2005 bewegten sich die Besucher- 60 000 Fotos, die größtenteils digital vorliegen und über zahlen zwischen 30 000 und 50 000 jährlich. Eine genaue eine Datenbank erschlossen sind. Das Archiv verfügt Besucherstatistik wurde seinerzeit aber nicht geführt. Seit über einen Bestand von etwa 10 000 Aktenseiten, über- 2006 (55 523 Besucher) stieg die Zahl der Besucher um wiegend Reproduktionen aus den Beständen des Bundes- mehr als ein Drittel auf 76 548 im Jahr 2011. archivs/Militärarchivs Freiburg, des BStU Berlin und seiner Außenstellen Chemnitz und Gera, des Bundes- Das Grenzlandmuseum Eichsfeld e.V., Teistungen grenzschutzes und der Bayerischen Grenzpolizei. Der historische Ort In der über zwanzigjährigen Sammeltätigkeit konnten bislang etwa 20 000 Objekte zur Geschichte der deut- Das Grenzlandmuseum Eichsfeld bewahrt und dokumen- schen Teilung den Museumsdepots zugeführt werden. tiert die Geschichte der deutschen Teilung unter besonde- Drucksache 17/12115 – 62 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode rer Berücksichtigung der geteilten Region Eichsfeld. Es gische und methodisch-didaktische Kontaktpunkte zur befindet sich am Ort des ehemaligen Grenzübergangs Auseinandersetzung mit deutsch-deutscher Geschichte Duderstadt – Worbis, an der heutigen Grenze der Länder aus den vielfältigen Erfahrungen der letzten Jahre auf- Thüringen und Niedersachsen. Durch den Erhalt wesent- nimmt und professionalisiert liefert. Die Neukonzeption licher Teile des Straßenübergangs und 1,1 km zum Teil der Ausstellung wurde von Thüringen, der Niedersächsi- vollständig erhaltener Grenzsperranlagen kann der soge- schen Sparkassenstiftung und von BKM gefördert. Der nannte „kleine Grenzverkehr“ authentisch dokumentiert Bund beteiligte sich mit insgesamt rund 1,3 Mio. Euro. werden. Als Besonderheit tritt der Themenschwerpunkt „Grünes Band“ hinzu. Das Grenzlandmuseum verfügt Weitere wesentliche Bausteine des Museums sind ein seit dem Jahr 2000 über eine eigene, dem Museum ange- 6,8 km langer Grenzlandweg, der am authentischen Ort schlossene Bildungsstätte. zu den Originalgrenzsperranlagen sowie der früheren Grenzinformation auf „westlicher“ Seite führt, eine Do- kumentation der Milderung der Teilungsfolgen durch die Entstehung und Entwicklung Einrichtung des Grenzübergangs Duderstadt – Worbis so- Das Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen wurde wie ein 8 km langes „Grünes Band“ vom Museum bis zur 1990 durch einen Initiativkreis unter Federführung des Heinz Sielmann Stiftung. Museumsverbundes Südniedersachsen gemeinsam mit Eine Ausstellung im Erdgeschoss des „Mühlenturms“ der Gemeinde Teistungen, der Stadt Duderstadt und den – dem „technischen Zentrum“ des ehemaligen Grenz- Landkreisen Worbis und Göttingen gegründet. Es wird übergangs – sowie Infotafeln auf dem „Grenzlandweg“ seit 1996 vom Grenzlandmuseum Eichsfeld e.V. getra- informieren über den Weg hin zum „Grünen Band“ von gen. ersten Kartierungen Mitte der 1970er Jahre über Heinz Das Museum sieht sich als wichtiger Partner des „Grünen Sielmanns Film „Tiere im Schatten der Grenze“ bis in die Bands Deutschland“ 8 und darüber hinaus des „Grünen Gegenwart. Mit einem neu zu errichtenden Ausstellungs- Bands Europa“ („European Green Belt“). Das Grenzland- modul in Form eines halb in die Erde gebauten Pavillons museum arbeitet hier eng mit der Heinz Sielmann Stif- auf dem Museumsgelände will das Museum seine Gäste tung auf Gut Herbigshagen bei Duderstadt und der Hoch- in die Zukunft des „Grünen Bandes“ führen und zugleich schule für angewandte Wissenschaft und Kunst in auf dessen mittlerweile gesamteuropäische Dimension Göttingen zusammen. („European Green Belt“) hinweisen. Hier sollen aktuelle Projekte entlang des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“ in Das Grenzlandmuseum konnte in den fast 17 Jahren sei- ganz Europa mit Sachstand und Zielvorstellung doku- nes Bestehens rund 900 000 Besucher verzeichnen. mentiert werden. Die Umsetzung ist in Planung. 500 Führungen pro Jahr registriert das Museum mit Besu- chern aus ganz Deutschland und dem Ausland. Bildungsarbeit In vielfältiger Form sind das Grenzlandmuseum Eichsfeld Ausstellung und die Bildungsstätte vernetzt mit den Schulen der Um- In den ehemaligen Gebäuden des früheren Grenzüber- gebung sowie mit den Universitäten Göttingen, Kassel gangs Duderstadt – Worbis, die durch einen modernen und Oldenburg. Das Projekt „Erinnerungskultur und re- Anbau ergänzt wurden, dokumentiert eine in den Jahren gionale Identität“ der Europäischen Union wurde zusam- 2008 bis 2011 völlig neu gestaltete Ausstellung auf rd. men mit den Universitäten Kattowitz (Polen) und Opava 1 200 qm Fläche mit mehr als 4 000 Exponaten sowohl (Tschechien) durchgeführt und erfolgreich abgeschlossen. die Geschichte der innerdeutschen Grenze vom ersten In der dem Grenzlandmuseum angeschlossenen Bil- Grenzzaun in den unmittelbaren Nachkriegsjahren bis zur dungsstätte finden jährlich etwa 150 Veranstaltungen mit nahezu perfekten Abschottung in den 1980er Jahren als über 3 000 Teilnehmern statt. Hinzu kommen unter- auch die Folgen der Teilung für Menschen und Natur im schiedliche Bildungsangebote für Schüler/Jugendliche Grenzgebiet. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei auf sowie Erwachsene/Senioren. der Region Eichsfeld. Um auch jüngeren Besuchern Rechnung zu tragen, wurde der Ausstellungs- eine Ver- Die Bildungsarbeit, zu der Workshops, Seminare, Lesun- mittlungskonzeption beigestellt, die wesentliche pädago- gen, Vorträgen, Grenzlandgespräche und Erzählcafés ge- hören, wird eng mit der neuen Dauerausstellung ver- knüpft. Dem dient ein eigens entwickeltes „Lernlabor“. 8 Das Grüne Band Deutschland ist ein Naturschutzprojekt zur Schaf- Eine besondere Position nimmt hierbei das neu entwickelte fung eines Grüngürtels auf dem fast 1 400 km langen Geländestrei- fen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Das Grüne Vermittlungskonzept ein, welches etwa 40 Seminarbau- Band umfasst den Bereich zwischen dem sogenannten Kolonnenweg steine der Bildungsstätte (Schwerpunkte: Aufarbeitung der und ehemaligen Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR-Vergangenheit, Demokratie in Deutschland, Ökolo- DDR. Es reicht von Travemünde an der Ostsee bis zum ehemaligen gie und Umwelt) beinhaltet. Dreiländereck bei Hof. Das Grüne Band Deutschland ist Teil des mit- teleuropäischen Abschnitts des Grünen Bands Europa. Dieses hat ei- Das Niedersächsische Kultusministerium unterstützt die ne Gesamtlänge von über 8 500 km und reicht vom Eismeer im Nor- den Norwegens bis zum Schwarzen Meer an der bulgarisch- Bildungsarbeit, die sich an Schülerinnen und Schüler so- türkischen Grenze und durchläuft dabei 24 europäische Staaten ent- wie Lehrkräfte wendet, durch die Teilabordnung einer lang des „Eisernen Vorhangs“. Lehrkraft. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 63 – Drucksache 17/12115

Überwachung und Verfolgung den Tod fand. Im Sommer 1948 kamen fast 30 000 Häft- linge auf Beschluss des sowjetischen Ministerrates frei. Vorbemerkung zu den sowjetischen Speziallagern Die letzten drei Speziallager Buchenwald, Bautzen und Auf der Konferenz von Jalta kamen die Alliierten im Fe- Sachsenhausen wurden Anfang 1950 aufgelöst. Die sow- bruar 1945 überein, Nationalsozialisten und Kriegsver- jetischen Instanzen übergaben die SMT-Verurteilten an brecher in Lagern zu internieren. Am 18. April 1945 er- die Strafvollzugseinrichtungen der DDR. Wer bis dahin ließ das sowjetische NKWD (Volkskommissariat für ohne Gerichtsurteil in den Speziallagern festgehalten innere Angelegenheiten) den Befehl, zur „Säuberung“ worden war, kam zur Aburteilung in den „Waldheimer des von der Roten Armee eroberten Gebietes „feindliche Prozessen“ vor ein Gericht der DDR. Elemente“ in Lagern zu inhaftieren. Damit gelangte das Bis zur Friedlichen Revolution waren die Speziallager in sowjetische Lagersystem des GULag (Hauptverwaltung der DDR ein Tabuthema. Öffentlich wurde nicht über ihre der Besserungsarbeitslager) auch nach Deutschland. Als Existenz gesprochen. Deren Anerkennung hätte in einem „Speziallager“ dienten vor allem ehemalige nationalso- fundamentalen Gegensatz zur konstruierten „antifaschis- zialistische Konzentrationslager, Kriegsgefangenenlager tischen“ Gedenkkultur der DDR gestanden. Diese wurde und Strafanstalten. Sie unterstanden zunächst dem mit „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in den natio- NKWD, ab 1946 dem Ministerium für innere Angelegen- nalsozialistischen Konzentrationslagern umgesetzt, die heiten (MWD). Ihre Verwaltung oblag der Abteilung Spe- den „Sieg des Antifaschismus über den Faschismus“ ziallager bei der Sowjetischen Militäradministration in symbolisieren sollten. In ihnen wurde ein einseitiges Ge- Berlin-Karlshorst. schichtsbild vermittelt, das die Verfolgung der Antifa- In den insgesamt zehn Lagern wurden ohne jedes rechts- schisten durch die Nationalsozialisten hervorhob und die staatliche Verfahren zunächst vorwiegend einfache Mit- NS-Terrorherrschaft in die bestehende ideologische Aus- glieder und Funktionäre der NSDAP (Nationalsozialisti- einandersetzung mit dem Westen einordnete. Diese Stät- sche Deutsche Arbeiterpartei) der unteren Ebene, aber ten entstanden mit Buchenwald und Sachsenhausen ge- auch Repräsentanten der staatlichen Verwaltung festge- rade auch in den Konzentrationslagern, die ab 1945 als halten. Auch viele Jugendliche wurden inhaftiert, wobei sowjetische Speziallager genutzt worden waren. von offizieller Seite meistens der Verdacht, Mitglied der Erst nach 1989 wagten viele ehemalige Häftlinge, die nationalsozialistischen Partisanenorganisation „Werwolf“ „Schweigelager“ zu thematisieren. Sie sahen sich mit der gewesen zu sein, als Grund genannt wurde, oftmals ganz fortwirkenden Propaganda der SED konfrontiert, zu Recht unabhängig von den wahren Begebenheiten. Ebenfalls in- als vermeintliche Nationalsozialisten inhaftiert gewesen zu terniert wurden ehemalige Wehrmachtsangehörige, bevor sein. Erste Funde von Massengräbern 1989/1990 führten sie in Kriegsgefangenenlager kamen, sowie sowjetische zur öffentlichen Diskussion über das Schicksal der Inhaf- Staatsangehörige, die das Misstrauen der Besatzungsbe- tierten. hörden erregt hatten. Unter den Eingesperrten befanden sich viele Denunzierte. Nicht selten waren die Festnah- In einer Denkschrift vom Juli 1990 bestätigte das sowjeti- men reine Willkürakte der sowjetischen Besatzungs- sche Innenministerium die Existenz der Speziallager. macht. Die Gedenkstätte Bautzen Ab 1946 kamen vermehrt von Sowjetischen Militärtribu- nalen (SMT) Verurteilte hinzu – oft auf Grundlage des Der historische Ort Artikels 58 des russischen Strafgesetzbuches, dessen Der Name „Bautzen“ steht im kollektiven Gedächtnis der breite und schwammige Tatbestandsformulierungen von Ost- und Westdeutschen für „DDR-Gefängnis“, politische „konterrevolutionären Aktivitäten“ letztlich als Vorwand Verfolgung und die Staatssicherheit der SED-Diktatur. für fast jegliche Verhaftung herangezogen werden konn- Mit Bautzen verbinden sich dunkle Bilder von Mauern, ten. Darüber hinaus gelangten zunehmend Personen in Gittern und Stacheldraht. Bei dieser schlagwortartigen die Speziallager, die eine offene oder vermutete kritische Erinnerung an Bautzen spielen die konkrete Geschichte Haltung gegenüber den Verhältnissen in der SBZ einnah- der Haftstätten und insbesondere die Tatsache, dass es in men. Selbst Angehörige des Widerstands gegen den Na- Bautzen zwei sehr unterschiedliche Gefängnisse gab, tionalsozialismus fanden sich in den Lagern wieder. Zu- keine Rolle. Die Geschichte des historischen Ortes ist sammenfassend ist festzuhalten, dass die Speziallager verwickelter, als es das Symbol vermuten lässt, und exis- keineswegs nur der Internierung von Nationalsozialisten tiert in der Realität gleich zweimal, als Bautzen I, das dienten, sondern einen wesentlichen Teil der stalinisti- „Gelbe Elend“, und als Bautzen II, der „Stasi-Knast“. schen Herrschaftsmethoden in der SBZ darstellten. Bautzen I wird wegen seiner gelben Klinker, aus denen es Die Lebensbedingungen in den Speziallagern waren kata- erbaut ist, umgangssprachlich als „Gelbes Elend“ bezeich- strophal. Hunger, Krankheiten wie Tuberkulose, Typhus net. Bautzen I wurde 1904 am Stadtrand Bautzens als Kö- und Fleckfieber sowie Monotonie – gearbeitet wurde niglich Sächsische Landesstrafanstalt für 1 100 männliche nicht – dominierten den Haftalltag. Alle Lager waren Häftlinge eingeweiht. Unter der NS-Terrorherrschaft vielfach überbelegt. Viele Inhaftierte wurden in Straflager diente die Anstalt zur Inhaftierung politischer Gegner. in der Sowjetunion überstellt, wo sie dann Schwerstarbeit Vornehmlich waren es Kommunisten und Sozialdemokra- leisten mussten. Insgesamt waren in den Speziallagern ca. ten, später dann auch Häftlinge, die der rassischen Verfol- 176 000 Häftlinge interniert, von denen etwa jeder Dritte gung der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Drucksache 17/12115 – 64 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richtete das Im Juli 1993 beschloss der Sächsische Landtag nach lan- sowjetische NKWD in Bautzen I das Speziallager Nr. 4 gen politischen Auseinandersetzungen schließlich, dass ein, das von Mai 1945 bis zur Auflösung im Februar 1950 die ehemalige Haftanstalt Bautzen II zu einer Stätte wer- insgesamt 27 000 Gefangene durchliefen. Rund 3 000 von den sollte, die „der Opfer politischer Justiz in den beiden ihnen starben aufgrund der unmenschlichen Haftbedin- Bautzener Haftanstalten“ gedenkt und an sie erinnert. gungen. Seit 1994 steht der historische Ort für Besucher offen. Nach Gründung der DDR wurde die Haftanstalt mit Die Gedenkstätte Bautzen arbeitet unter dem Dach und in knapp 6 000 Insassen, die durch die Sowjetischen Militär- Trägerschaft der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und tribunale verurteilt worden waren, an die Deutsche Volks- wird aufgrund ihrer bundesweiten Bedeutung zur Hälfte polizei übergeben. Von Februar 1950 bis zum Ende der aus Mitteln des Bundes finanziert. Sie dokumentiert die DDR unterstand Bautzen I dem Ministerium des Innern Geschichte politischer Verfolgung in den beiden Bautze- der DDR. Nach Entlassung der letzten dieser Verurteilten ner Haftanstalten während der NS-Terrorherrschaft und Ende der fünfziger Jahre wurden in erster Linie mehrfach der kommunistischen Diktatur in der SBZ und der DDR. vorbestrafte und wegen schwerer Delikte langzeitverur- teilte Kriminelle inhaftiert. Bautzen I blieb bis zum Ende Bei der Aufarbeitung der sehr komplexen Geschichte der der DDR aber auch immer ein Gefängnis für politische Bautzener Haftorte ergeben sich drei thematische Häftlinge: vor allem für „Republikflüchtlinge“, „Sabo- Schwerpunkte für die Gedenkstättenarbeit: teure“, „Boykotthetzer“ und Zeugen Jehovas. Mit der – Die Geschichte der Gefängnisse Bautzen I und Baut- Friedlichen Revolution 1989 endete die Geschichte des zen II im Nationalsozialismus, 1933 bis 1945 „Gelben Elends“ als Ort politischer Verfolgung. – Die Geschichte des sowjetischen Speziallagers (Baut- Bautzen II, direkt im Zentrum gelegen, war 1906 als Un- zen I), 1945 bis 1956 tersuchungsgefängnis für 200 Häftlinge in Betrieb ge- nommen worden. Während der NS-Terrorherrschaft – Die Geschichte des Stasi-Gefängnisses Bautzen II, befanden sich auch hier politische Gefangene in Untersu- 1956 bis 1989. chungshaft. Die sowjetische Geheimpolizei nutzte Baut- Vom konkreten historischen Ort und von konkreten Per- zen II ab 1945 als sogenanntes Operativgefängnis. Nach sonen ausgehend, klärt die Gedenkstätte über die histori- der Übergabe des Hauses an die sächsischen Behörden schen Zusammenhänge und die jeweiligen politischen 1949 diente Bautzen II als Außenstelle von Bautzen I zu- Hintergründe der drei Verfolgungsperioden auf. nächst dem allgemeinen Strafvollzug.

Seit August 1956 war Bautzen II inoffiziell dem Geheim- Ausstellung dienst der SED-Diktatur unterstellt. Das Ministerium für Staatssicherheit nutzte das Gefängnis für „besonders ge- Die Besucher der Gedenkstätte Bautzen lernen das fünf- fährliche Staatsverbrecher“. Zwischen August 1956 und stöckige historische Gebäude Bautzen II weitgehend im Dezember 1989 waren in Bautzen II insgesamt 2 350 Straf- vorgefundenen Zustand der späten achtziger Jahre ken- gefangene inhaftiert. Ihre Verurteilungen hatten bis zu nen. Die Kernbereiche des Stasi-Gefängnisses wie der 95 Prozent einen politischen Hintergrund. Unter den Ge- Hauptzellentrakt, die Freiganghöfe, der Isolationsbereich fangenen waren vor allem politische Gegner der SED- und die Arrestzellen, die sogenannten „Tigerkäfige“, sind Führungsspitze, ausländische Häftlinge, die wegen Spio- den Besuchern zugänglich und werden ihnen in Form von nage oder Fluchthilfe verurteilt worden waren, aber auch „Ortstelen“ erläutert. Die Stelen markieren den jeweiligen straffällig gewordene Funktionäre aus dem DDR-Herr- Ort und erklären seine Funktion und Nutzung in der Zeit schaftsapparat. Mit dem Untergang der SED-Diktatur ka- zwischen 1956 und 1989. Zwanzig sogenannte Biografi- men bis Dezember 1989 alle politischen Häftlinge aus estelen auf den Fluren der Haftanstalt vermitteln anhand Bautzen II frei. exemplarischer Haftschicksale die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft von Bautzen II und zeigen, wie ver- Ende 1989 wurde Bautzen I zu einer modernen Justizvoll- schieden die Wege in den „Stasi-Knast“ verliefen. Verein- zugsanstalt ausgebaut, die bis heute in Betrieb ist, Baut- zelte Zellenrekonstruktionen veranschaulichen den Wan- zen II als Außenstelle noch bis 1992 weitergenutzt. del der Haftbedingungen.

Entstehung und Entwicklung Über das Erfahren der „Raumdokumente“ hinaus wird den Besuchern die Möglichkeit gegeben, sich über die Die Initiative, einen Gedenkort einzurichten, ging von der Geschichte der politischen Verfolgung zu informieren. Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge der Bautze- Dazu wurden vier größere Ausstellungsräume geschaffen, ner Gefängnisse aus. Am 40. Jahrestag der Gefangenenre- die sich auch in ihrer Formensprache deutlich als neutrale volte in Bautzen I am 31. März 1990 schlossen sie sich im Orte von den übrigen Originalräumen abgrenzen. Die Opferverein „Bautzen-Komitee“ zusammen. Ziel des Trennung der Orte in „historisch Original“ und „neutral“ Vereins ist die „Mitwirkung bei der Aufklärung, Aufar- ist unerlässlich, um den Besuchern das Verständnis der beitung und Bewältigung der unter der kommunistischen komplexen Verfolgungsgeschichte an den zwei Orten in Gewaltherrschaft begangenen Verbrechen gegen die drei Verfolgungsperioden überhaupt zu ermöglichen. In Menschlichkeit.“ Das Komitee forderte seit 1990 die diesen Ausstellungsräumen werden Dokumente zur Ge- Freigabe der Haftgebäude für eine Gedenkstättennutzung. schichte Bautzens präsentiert: Exponate, Akten, Ton- und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 65 – Drucksache 17/12115

Filmmaterial erläutern und veranschaulichen Besuchern lionste Besucher empfangen werden. Die Gedenkstätte bie- die politische Verfolgung im historischen Kontext. tet sowohl Überblicksführungen als auch geführte Rund- gänge mit den thematischen Schwerpunkten „Speziallager“, Neben den Dauerausstellungen erarbeitet die Gedenk- die „Literarische Führung: Auf den Spuren Walter stätte Bautzen Wander- und Sonderausstellungen, so z. B. Kempowskis“, „Stasi-Gefängnis“ und „Spurensuche“ an. die gemeinsam mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschön- hausen erarbeitete Ausstellung „Gewalt hinter Gittern. Eine neue Möglichkeit, die Gedenkstätte Bautzen kennen Gefangenenmisshandlungen in der DDR“. Zudem prä- zu lernen, ist die „Spurensuche“. Sie verbindet Projektar- sentiert die Gedenkstätte Bautzen im Rahmen ihres Ver- beit mit einem geführten Rundgang durch die ehemalige anstaltungsprogramms wechselnde Ausstellungen ande- Stasi-Haftanstalt Bautzen II. In Kleingruppen können die rer Einrichtungen. Teilnehmer den historischen Ort erkunden. Die Besucher wählen selbst die für sie besonders interessanten, uner- Sammlung klärlichen und spektakulären Orte aus. Mit dem pädago- gischen Begleiter werden die markierten Orte aufgesucht Die Gedenkstätte Bautzen sammelt und bewahrt sämtliche und Fragen beantwortet. Gleichzeitig rückt er die Inhalte noch vorhandenen Spuren des in Bautzen erlittenen Un- in den historischen Kontext. Die Präsentation von Objek- rechts. Die historische Sammlung umfasst rund 2 000 Sach- ten und Fotos vertieft die Berichte. „Spurensuche“ ist be- zeugnisse: Vom Hauptausstellungsstück, dem historischen sonders für Gruppen geeignet, die über kein historisches Gebäude, über die Wanze in der Fußleiste, die Häftlings- Grundwissen verfügen. uniform aus den achtziger Jahren und den Gefangenen- transportwagen bis zum bestickten Salzsäckchen, der aus Ferner bietet die Gedenkstätte für Schülergruppen derzeit Draht gefertigten Nähnadel und der aus Brot gefertigten sieben Projekte an. In Kleingruppen erschließen sich die Schachfigur, die aus dem Speziallager überliefert sind. Schüler mithilfe von Dokumenten, Verordnungen, Fotos Archiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und Häftlingsschilderungen die Inhalte des jeweiligen werden zudem mehrere Tausend Blatt Schriftgut, das aus Themas selbstständig. Thematisch reichen die Projekte den Haftanstalten erhalten ist wie beispielsweise interne von der „Politischen Haft im Nationalsozialismus“ und Anweisungen, Lageberichte, Brigadebücher, Baupläne, dem „Heimtückegesetz im Nationalsozialismus“ über die Formulare und Fotos. Der wichtigste Bestandteil der „Geschichte des sowjetischen Speziallagers“, „Wegge- Sammlung ist das Zeitzeugenarchiv, in dem die Erinne- sperrt. Politische Haft in Bautzen II“, „Geschichte des rungen und persönlichen Dokumente von ehemaligen Stasi-Gefängnisses“, „Spitzel hinter Gittern – Häftlinge Häftlingen bewahrt werden. Es zählt derzeit mehr als als IM der Staatssicherheit“ bis zur „Friedlichen Revolu- 1 000 Personendossiers, rund 80 lebensgeschichtliche In- tion in Bautzen“. terviews, Fotos, die ersten Postkarten aus dem Spezialla- Bis 2009 konnte nur spekuliert werden, ob die pädagogi- ger an Angehörige, Haftunterlagen, Entlassungsscheine sche Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte die Zielgruppe und vieles Persönliches mehr. erreicht und inwieweit der Besuch nachhaltig ist. Hier setzte eine Studie im Auftrag der Stiftung Sächsische Ge- Forschung denkstätten an, die in der Gedenkstätte Bautzen durchge- Grundlage der Gedenkstättenarbeit ist die solide wissen- führt wurde. Insgesamt lässt sich im Ergebnis von Schü- schaftliche Forschung. Neben klassischen Archivrecher- lerbefragungen vor und nach dem Besuch sagen, dass chen in staatlichen Archiven, vor allem dem Bundes- und viele Schüler ihren Kenntnisstand erweitern konnten und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv, dem russischen angeregt wurden, über die unterschiedlichen Informatio- Staatsarchiv, dem Stadtarchiv Bautzen und in Partei- und nen zu reflektieren. Viele Schüler erhielten Denkanstöße Kirchenarchiven, dem Archiv der JVA (Justizvollzugsan- und wurden zur Auseinandersetzung mit vergangenem stalt) Bautzen und beim BStU sind insbesondere auch die Unrecht ermutigt. Arbeiten des Zeitzeugenbüros der Gedenkstätte im Be- Die Gedenkstätte Bautzen bietet jährlich mehr als fünf reich der Biografieforschung zu nennen. Die Ergebnisse Lehrerfortbildungen zu den Themenbereichen der Ge- der Recherchen und Forschungen werden der Öffentlich- denkstätte an. Bei der Einführung neuer Schülerprojekte keit in den verschiedensten Formen bekannt gemacht: in gehört eine Lehrerfortbildung zur Standardetablierung Vorträgen, Fachaufsätzen, Monografien oder auch in des neuen Angebots. Eine regelmäßige Zusammenarbeit Form eines Totenbuches der im Bautzener Speziallager findet mit der Sächsischen Bildungsagentur, Regional- Gestorbenen, in den Dauer- und Sonderausstellungen. stelle Bautzen, den Fachberatern im Fach Geschichte, der Nicht zuletzt fließen die Arbeitsergebnisse umgehend sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in auch in geführte Rundgänge und Schülerprojekte der Ge- Dresden, dem Sächsischen Bildungsinstitut in Meißen denkstätte ein. und der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen in Chemnitz statt. Bildungsarbeit Bereits zweimal fanden in Kooperation mit dem Deutsch- Die Gedenkstätte Bautzen steht als „offener Lernort“ im Sorbischen Volkstheater besondere Vermittlungsprojekte ständigen Austausch mit der Öffentlichkeit und bietet ein statt. 2002 wurde ein Theaterstück zum Thema „Politi- vielfältiges Informations- und Bildungsangebot für eine sche Haft in Bautzen“ konzipiert. „Romeo und Julia auf breite Zielgruppe an. Im Sommer 2012 konnte der einmil- Bautzen II“ – so der Titel – erzählt die Geschichte eines Drucksache 17/12115 – 66 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Liebespaares, das zu Beginn der 1980er Jahre plant, aus Im Januar 1990 wurde die Haftanstalt in Berlin-Hohen- der DDR zu fliehen und in Bautzen II inhaftiert wird. Bis schönhausen an das Ministerium für Inneres übergeben Anfang 2004 wurde das Stück insgesamt 71 Mal im und mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Hauptzellentrakt des ehemaligen Stasi-Gefängnisses auf- Deutschland am 3. Oktober 1990 für immer geschlossen. geführt. Das Theaterstück erregte weit über die Region hinaus Aufsehen. Es erschloss der Gedenkstätte völlig Entstehung und Entwicklung neue Besuchergruppen und baute insbesondere bei den Bautzenern Hemmschwellen gegenüber der ehemaligen Ehemalige Häftlinge setzten sich Anfang der 1990er Haftanstalt ab. 2009 fand in der Gedenkstätte Bautzen die Jahre dafür ein, am Ort der Haftanstalt eine Gedenkstätte Inszenierung eines neuen Theaterstückes statt: „Antigone zu errichten.1992 wurde das Gefängnisareal daraufhin in Bautzen. Ein theatralisches Trainingscamp für Frei- unter Denkmalschutz gestellt, 1994 erstmals für Besucher heitsdrang“. zugänglich gemacht. Im Dezember 1995 bildete die Ber- liner Senatsverwaltung für Kultur eine „Stiftung in Grün- dung“, mit der die institutionalisierte Arbeit der Gedenk- Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen stätte ihren Anfang nahm. Bund und Land beteiligten sich zu gleichen Teilen an den Kosten. Eine Arbeitsgruppe Der historische Ort von Wissenschaftlern erarbeitete eine Rahmenkonzeption Im Mai 1945 beschlagnahmte die sowjetische Besat- für die künftige Arbeit. Auf dieser Grundlage verabschie- zungsmacht das Gelände an der Genslerstraße in Berlin- dete das Abgeordnetenhaus von Berlin im Juni 2000 das Hohenschönhausen, auf dem sich seit 1939 eine Großkü- Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Gedenkstätte Berlin- che der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt befunden Hohenschönhausen“. Deren Aufgabe ist es, „die Ge- hatte. Die Sowjets nutzten das Gelände als Internierungs- schichte der Haftanstalt Hohenschönhausen in den Jahren lager: das Speziallager Nr. 3. Es unterstand dem NKWD 1945 bis 1989 zu erforschen, über Ausstellungen, Veran- und diente in erster Linie als Sammel- und Durchgangsla- staltungen und Publikationen zu informieren und zur ger, von dem aus über 15 000 Gefangene in andere sowje- Auseinandersetzung mit den Formen und Folgen politi- tische Lager transportiert wurden. Neueste Untersuchun- scher Verfolgung und Unterdrückung in der kommunisti- gen der Gedenkstätte haben ergeben, dass von Juli 1945 schen Diktatur anzuregen. Am Beispiel dieses Gefängnis- bis Oktober 1946 mindestens 889 Häftlinge ums Leben ses ist zugleich über das System der politischen Justiz in kamen. Ihre Leichen wurden auf einem Schuttabladeplatz der Deutschen Demokratischen Republik zu informieren“ und in Bombentrichtern verscharrt. (§ 2 Stiftungserrichtungsgesetz). Die Stiftung wird institutionell je zur Hälfte vom Land Ende 1946, Anfang 1947 richtete die sowjetische Besat- Berlin und vom Bund, vertreten durch BKM, gefördert. zungsmacht ihr zentrales Untersuchungsgefängnis für Deutschland am Ort des inzwischen geschlossenen Spezial- lagers Nr. 3 ein. Im März 1951 übernahm das Ministerium Ausstellung für Staatssicherheit das sowjetische Gefängnis und nutzte Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen regt es von nun an als seine zentrale Untersuchungshaft- mit Ausstellungen zur kritischen Auseinandersetzung mit anstalt. Im folgenden Jahrzehnt wurden hier über den Formen und Folgen politischer Verfolgung in der 10 000 Menschen inhaftiert, die der kommunistischen kommunistischen Diktatur an. Das größte und wichtigste Diktatur im Weg standen oder gegen diese Widerstand Ausstellungsobjekt bildet nach wie vor die ehemalige Un- leisteten. Die Liste der Gefangenen reicht von Streikfüh- tersuchungshaftanstalt, die im Rahmen eines ausgedehnten rern des Aufstands vom 17. Juni 1953 bis zu kritischen musealen Rundgangs besichtigt werden kann. Darüber hi- Reformkommunisten. Ende der 1950er Jahre mussten naus werden regelmäßig Sonderführungen durch das frü- Häftlinge des benachbarten Arbeitslagers im hinteren Teil here Haftkrankenhaus des Ministeriums für Staatssicher- des Geländes ein neues Gebäude mit über 200 Zellen und heit und durch einen Original-DDR-Gefangenenwaggon Vernehmerzimmern errichten, welches das alte Kellerge- angeboten. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen fängnis als zentrale Untersuchungshaftanstalt ablöste. zeigt ständige Ausstellungen und Wechselausstellungen Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurden hier zu unterschiedlichen Aspekten der SED-Diktatur. vor allem Menschen festgehalten, die aus der DDR flie- hen oder ausreisen wollten. Ständige Ausstellungen Die physische Gewalt der 1950er Jahre wurde seit den Stark frequentiert ist das Info-Center der Gedenkstätte, 60er Jahren durch raffinierte psychologische Methoden das im März 2007 eröffnet wurde. Die dort gezeigte stän- der Geständniserpressung ersetzt. Über den Ort ihrer Haft dige Ausstellung „Inhaftiert in Hohenschönhausen. Zeug- ließ man die Gefangenen bewusst im Unklaren. Systema- nisse politischer Verfolgung 1945 bis 1989“ dient als tisch gab man ihnen das Gefühl, einem allmächtigen Staat Zwischenlösung bis zur Fertigstellung der zentralen Dau- ausgeliefert zu sein. Von der Außenwelt hermetisch abge- erausstellung. Nach einer Einführung in die Geschichte schnitten und von den Mitgefangenen meist streng iso- des Haftortes wird der Weg beschrieben, den die Häft- liert, wurden sie durch gut ausgebildete Vernehmer oft linge von ihrer Verhaftung und Einlieferung bis zur Ver- monatelang verhört, um sie zu belastenden Aussagen zu urteilung nahmen. Ausgewählte Häftlingsbiografien bewegen. ergänzen die Schau. Ein dreidimensionales Modell im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67 – Drucksache 17/12115

Maßstab 1:200 zeigt die Gefängnisanlage zum Zeitpunkt nenten politischen Gefangenen der DDR im Untersu- der Friedlichen Revolution im Herbst 1989. chungsgefängnis Hohenschönhausen inhaftiert waren, sind auch ihre Verfolgungsschicksale bisher nur selten Zentrale Dauerausstellung ausführlich dokumentiert. Mit der künftigen Dauerausstellung wird das Angebot für In den vergangenen Jahren war es der Gedenkstätte mög- die Besucher der Gedenkstätte erweitert und zugleich at- lich, wesentliche Quellen ausfindig zu machen, zu er- traktiver und flexibler. Während die Besichtigung des Ge- schließen und für die Zukunft zu sichern. Archivmaterial fängnisses bislang nur im Rahmen von Gruppenführun- wird im Zeitzeugen-, Dokumenten- und Fotoarchiv ge- gen möglich war, schafft die begehbare Ausstellung im sammelt. Materialien zu bekannten Häftlingen der Ge- Altbau erstmals die Möglichkeit, sich das System politi- denkstätte werden nicht nur in einem physischen Archiv scher Verfolgung in der SED-Diktatur individuell und gesammelt, sondern auch in einer Datenbank erfasst. selbstständig zu erschließen. Da etwa die Hälfte aller Be- Systematisch hat die Gedenkstätte auch nach Richtern sucher Schüler- und Jugendgruppen sind, ist ein zusätzli- und Staatsanwälten recherchiert, die an politischen Straf- ches Lern- und Informationszentrum in der ersten Etage verfahren beteiligt waren. Sie werden in einer gesonder- vorgesehen. Im Rahmen von – zunehmend nachgefragter – ten Datenbank erfasst. Diese enthält Angaben zu über Projekt- und Seminararbeit sowie durch den Einsatz mul- 3 300 politischen Prozessen zwischen Oktober 1949 und timedialer Anwendungen können dort aktives Lernen und Oktober 1989. Des Weiteren wurde nach biografischen nachhaltiges Verstehen gefördert werden. Die neue Dau- Angaben und den Kaderunterlagen der in Hohenschön- erausstellung soll nach derzeitiger Planung im Frühjahr hausen beschäftigten MfS-Mitarbeiter recherchiert. Eine 2013 eröffnet werden, wenn die Umbau-, Sanierungs- interne Datenbank enthält etwa 100 000 Datensätze aus und Renovierungsarbeiten an der Gedenkstätte abge- dem Zeitraum 1959 bis 1989. Hinsichtlich der Aktenre- schlossen sind. Das Land Berlin und der Bund finanzie- cherche liegt der Schwerpunkt beim Gefängnispersonal ren die Kosten der Einrichtung der Dauerausstellung und und den Vernehmern. die Baumaßnahmen in Höhe von rund 16 Mio. Euro je zur Hälfte. Mit Hilfe der Bundesstiftung Aufarbeitung und einer Be- schäftigungsgesellschaft konnte bis September 2003 ein Sammlung einjähriges Forschungsprojekt zum ehemaligen Sperrge- biet Berlin-Hohenschönhausen finanziert werden, aus Die Gedenkstätte unterhält eine Reihe von Sammlungen dem mehrere Veröffentlichungen hervorgingen. Weiter und Archiven mit Materialien zur Geschichte des Haftor- wurde von der Bundesstiftung Aufarbeitung das Projekt tes Berlin-Hohenschönhausen und zum System der politi- „Erstellung eines Totenbuches zum Speziallager Nr. 3 in schen Justiz in der DDR. In der Objektsammlung werden Berlin-Hohenschönhausen“ unterstützt. Dabei geht es da- dreidimensionale Gegenstände aus der ehemaligen Unter- rum, alle im sowjetischen Lager 1945/46 Verstorbenen suchungshaftanstalt und angrenzenden Themenbereichen namentlich zu identifizieren, was angesichts der schlech- aufbewahrt. Daneben verfügt die Gedenkstätte über ein ten Quellenlage eine außerordentlich schwierige Aufgabe Fotoarchiv, ein Zeitzeugenarchiv und ein Dokumentenar- darstellt. chiv. Schließlich gehören eine Bibliothek und eine Me- diathek zur Ausstattung. Sämtliche Sammlungen sind Veranstaltungen über Datenbanken erschlossen. Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag hat die Gedenk- Die Gedenkstätte unterhält die bundesweit größte Samm- stätte Berlin-Hohenschönhausen zahlreiche Veranstaltun- lung von Exponaten zum Haftregime in Ostdeutschland. gen durchgeführt, um zur Auseinandersetzung mit den Ein großer Teil des Bestandes stammt aus der Untersu- Formen und Folgen politischer Unterdrückung in der chungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen und wurde kommunistischen Diktatur anzuregen. Das weit gefä- nach der Schließung des Gefängnisses zurückgelassen. cherte Angebot umfasst Ausstellungseröffnungen, Buch- Dazu gehören insbesondere Häftlingskleidung, Geschirr, vorstellungen und wissenschaftliche Vorträge bis hin zu Küchengeräte, Möbel und technische Apparaturen (Tele- mehr kulturell orientierten Theater-, Film- oder Literatur- fone, Überwachungskameras etc). veranstaltungen. Große Bedeutung hatte auch das Opfer- gedenken, namentlich an historischen Jahrestagen wie Forschung dem 17. Juni (Volksaufstand in der DDR), dem 13. Au- gust (Bau der Berliner Mauer) oder dem 9. November Trotz umfangreicher Bemühungen um die Aufarbeitung (Mauerfall). Am 24. Oktober findet jedes Jahr eine Ge- der politischen Justiz in der SBZ und der DDR ist die Ge- denkfeier für die Opfer des sowjetischen Speziallagers schichte des Haftortes Berlin-Hohenschönhausen bisher Nr. 3 statt. nur unzureichend erforscht. Quellengeschützte Schätzun- gen gehen von insgesamt über 40 000 Gefangenen in den Mit dem jährlich stattfindenden Hohenschönhausen-Fo- unterschiedlichen Hafteinrichtungen aus. Vergleichsweise rum hat die Gedenkstätte eine neue Veranstaltungsreihe wenig Information gibt es immer noch über die soziale etabliert. Die wissenschaftliche Tagung zu aktuellen The- Herkunft, über Repressionswellen, die Haftgründe und men der Aufarbeitung wird seit 2008 mit der Konrad- Haftzeiten sowie über die Entwicklung der Vernehmungs- Adenauer-Stiftung durchgeführt. Dazu konnten renom- methoden und des Haftregimes. Obgleich fast alle promi- mierte Referenten aus dem In- und Ausland gewonnen Drucksache 17/12115 – 68 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode werden. Beim 1. Hohenschönhausen-Forum am 1./2. Ok- sichtigung des Datenschutzes wurden sie aber auch tober 2008 ging es um das Thema „Nach dem Ende des externen Wissenschaftlern, Journalisten oder anderen In- Kommunismus – Die Weitergabe von Diktaturerfahrun- teressierten zur Verfügung gestellt. Im Rahmen einer Ko- gen an die junge Generation“. Im Jahr 2009 stand das Fo- operation mit der Archivhochschule in Potsdam wurde rum unter dem Thema „Auferstanden aus Ruinen – Droht der gesamte Bestand des Zeitzeugenarchivs ab Juni 2008 eine Renaissance des Kommunismus?“. Das 3. Hohen- gesichtet und einheitlich verzeichnet. Richtschnur bilde- schönhausen-Forum im November 2010 trug den Titel ten dabei die Ergebnisse einer Evaluation durch die Fern- „Unvergleichbar? – Nationalsozialismus und Kommunis- universität Hagen. mus im 20. Jahrhundert“. 2011, beim 4. Forum in Hohen- schönhausen, lautete das Thema der Veranstaltung „Vom Mit Unterstützung der Europäischen Union wurde im Verrat der Intellektuellen – Diktaturverklärung gestern Oktober 2008 im Rahmen des Programms „Aktive euro- und heute“. päische Erinnerung“ das Projekt „Das zentrale Untersu- chungsgefängnis des kommunistischen Staatssicherheits- Zwei Jubiläen konnte die Gedenkstätte im Jahr 2010 fei- dienstes in Deutschland im Spiegel von Opferberichten“ ern: das zehnjährige Bestehen der Stiftung Gedenkstätte begonnen. Es verfolgte unter anderem den Zweck, die Berlin-Hohenschönhausen sowie die endgültige Schlie- transkribierten Häftlingsinterviews in eine Datenbank ßung des Untersuchungsgefängnisses vor 20 Jahren. Aus einzubinden und zu verschlagworten. In einem zweiten diesem Anlass hatte die Gedenkstätte Berlin-Hohen- Schritt wurden die Aussagen inhaltlich analysiert, um die schönhausen 100 frühere Häftlinge zu einem Festakt nach Haftbedingungen in den unterschiedlichen Zeiten genauer Hohenschönhausen eingeladen – stellvertretend für alle zu beschreiben. politischen Gefangenen der DDR. Um den Bogen zur jungen Generation zu schlagen, kamen am Folgetag Angesichts der erschreckenden Umfrageergebnisse über 100 Berliner Schüler, die jeweils von einem Häftling per- die fehlenden Kenntnisse von jungen Menschen über die sönlich durch das einstige Stasi-Gefängnis geführt wur- SED-Diktatur vermittelt die Gedenkstätte auch ehemalige den. Insgesamt nahmen mehr als 350 Menschen an der politische Häftlinge für Veranstaltungen an Schulen. Die zweitägigen Veranstaltung teil. Erfahrungen der Gedenkstättenarbeit haben gezeigt, dass die direkte Begegnung mit einem Betroffenen die Schüler Die Gedenkstätte hat auch durch verschiedene kulturelle oftmals überhaupt erst für das abstrakte Thema vergange- Angebote zur Auseinandersetzung mit der kommunisti- ner Diktaturen zugänglich macht. Deshalb rief die Ge- schen Diktatur in Ostdeutschland angeregt. Lesungen und denkstätte Berlin-Hohenschönhausen eine bundesweite Filmvorführungen bildeten eine wichtige Ergänzung zu Zeitzeugenbörse ins Leben, die es Schulen und Bildungs- den faktenorientierten Vortrags- und Diskussionsveran- einrichtungen ermöglicht, ehemalige politische Häftlinge staltungen. Auf diese Weise war es möglich, die für in den Unterricht einzuladen. Insbesondere Jugendliche, Nicht-Betroffene nur schwer nachvollziehbare Erfahrung die bisher noch keine Gelegenheit hatten, die Gedenk- politischer Verfolgung anschaulich zu machen und neue stätte Berlin-Hohenschönhausen zu besuchen, sollen auf Zielgruppen anzusprechen. diese Weise über das politische Unrecht der SED-Dikta- tur informiert werden. Das Angebot ist für Schulen und Zeitzeugenarbeit Bildungseinrichtungen kostenlos. Seit August 2010 gibt Die Sicherung historischer Quellen über den Haftort Ho- es auf der Homepage der Gedenkstätte ein spezielles On- henschönhausen umfasst nicht nur die Recherche nach lineportal – www.ddr-zeitzeuge.de –, über das Schulen amtlichen Unterlagen aus den verschiedenen Zeitperio- und Bildungseinrichtungen Zeitzeugen für Gespräche und den. Eine wichtige Rolle spielt auch die Erschließung von Veranstaltungen anfragen können. Häftlingserinnerungen, für die das Zeitzeugenbüro der Seit Juni 2011 ist die Organisation des Koordinierenden Gedenkstätte zuständig ist. Dieses hat die Aufgabe, Kon- Zeitzeugenbüros bei der Gedenkstätte Berlin-Hohen- takte zu ehemals Inhaftierten aufzunehmen, zu pflegen schönhausen angesiedelt. In dessen Rahmen setzt die und ihre persönliche Haftgeschichte zu dokumentieren. Stiftung gemeinsam mit der Bundesstiftung Aufarbeitung Dazu sammelt es amtliche Unterlagen, persönliche Haft- und der Stiftung Berliner Mauer die bundesweite Vermitt- berichte, Veröffentlichungen, Fotos und illustrierende lungsarbeit von Zeitzeugen an Schulen und andere Bil- Objekte. Außerdem hat es bislang über 500 ausführliche dungseinrichtungen erfolgreich fort. Finanziert wird das Interviews geführt, die in Ton und Bild dokumentiert KZB von BKM (ein ausführlicher Beitrag hierzu findet werden. Für ehemalige Häftlinge oder deren Angehörige, sich in Kapitel 8). die sich mit Fragen, Hinweisen oder Wünschen an die Gedenkstätte wenden, fungiert es als erste Anlaufstelle. Bildungsarbeit Im Zeitzeugenarchiv werden die personenbezogenen Un- terlagen zu allen ehemaligen Häftlingen gesammelt, die Besonders intensiv widmet sich die Gedenkstätte der Ar- der Gedenkstätte bislang bekannt geworden sind. Zu je- beit mit Schülern. Viele Lehrer kommen inzwischen re- dem Zeitzeugen wird eine Akte geführt, in der neben his- gelmäßig mit ihren Klassen. Sie haben die Erfahrung torischen Unterlagen auch der Kontakt zur Gedenkstätte gemacht, dass der Besuch des ehemaligen Stasi-Gefäng- sowie eventuelle Veröffentlichungen dokumentiert wer- nisses ihren Schülern ein ebenso lebendiges wie beein- den. Die Materialien dienen als Grundlage für Recher- druckendes Bild der jüngsten deutschen Geschichte ver- chen, Publikationen und Ausstellungen. Unter Berück- mittelt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69 – Drucksache 17/12115

Da viele Schüler nur über geringes oder gar kein Vorwis- Haftbedingungen. Das Interesse am ehemaligen Stasi-Ge- sen verfügen, bedarf es besonderer pädagogischer An- fängnis ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Seit Öff- strengungen, das System politischer Verfolgung in der nung der Gedenkstätte hat sich die Zahl der Besucher mehr kommunistischen Diktatur verständlich zu machen. Die als verhundertfacht. Während 1994 rund 3 100 Besucher Betreuung der Schüler erfolgt deshalb nach einem abge- gezählt wurden, waren es 2011 über 342 000 Gäste. Im No- stimmten didaktischen Konzept. Je nachdem, wie viel vember 2010 konnte die Stiftung ihren zweimillionsten Be- Zeit die Gruppen mitbringen, können sie zwischen Füh- sucher begrüßen. rungen, Seminaren oder Projekttagen wählen. Bei den Führungen lernen die Schüler sowohl die verschiedenen Das STASI MUSEUM in Haus 1/Normannenstraße, Haftepochen seit 1945 als auch die wichtigsten Stationen Berlin eines politischen Gefangenen in der DDR kennen. In der Regel werden sie von einem ehemaligen Häftling durch Der historische Ort das Gefängnis geführt, wodurch der Rundgang besonders Die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Ber- anschaulich und nachvollziehbar wird. lin-Lichtenberg war bis 1989 ein hermetisch abgeriegelter Außer den Führungen hat die Gedenkstätte verschiedene Ort. Der knapp zwei Quadratkilometer große Komplex Seminartypen entwickelt, die Schülern eine weiterge- zerschnitt ein historisch gewachsenes Wohngebiet. In der hende Beschäftigung mit dem Thema erlauben. In der Re- streng bewachten Stadt innerhalb der Stadt waren vor gel gehört dazu ein ausführliches Gespräch mit einem 1989 bis zu 7 000 Geheimdienstmitarbeiter beschäftigt. Zeitzeugen, der über seine Erfahrungen in der DDR, die Das Haus 1 im Gebäudekomplex Normannenstraße Gründe seiner Verhaftung und seinen weiteren Lebens- wurde Ende der 1950er Jahre als Dienstsitz des Ministers weg berichtet. Darüber hinaus werden Kontextinformati- für Staatssicherheit der DDR erbaut. resi- onen vermittelt und, je nach Aufbau des Seminars, auch dierte in dem Gebäude bis zum November 1989 und lei- Texte und Medien eingesetzt. tete von dort aus im Auftrag der SED das MfS. „Haus 1“ Um auch über heutige Formen des Linksextremismus zu gilt insofern als das Symbol für den repressiven Machtap- informieren, entwickelte die Gedenkstätte mit finanzieller parat der SED-Diktatur. Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Se- Am Abend des 15. Januar 1990, nach dem Beschluss zur nioren, Frauen und Jugend 2011 ein neues Bildungsange- Auflösung des MfS durch den Zentralen Runden Tisch, bot für Schüler unter dem Titel „Alles Geschichte? Links- nahmen Demonstranten die Zentrale des Ministeriums für extremismus in Deutschland heute“. Die entsprechenden Staatssicherheit in Besitz und verhinderten so die weitere Seminare sollen sowohl in der Gedenkstätte als auch vor Vernichtung der dort eingelagerten Akten. Ab dem Ort in der jeweiligen Schule durchgeführt werden. Sommer 1990 richtete der Verein „Antistalinistische Ak- Als weiteres pädagogisches Angebot hat die Gedenkstätte tion“ in „Haus 1“ eine Forschungs- und Gedenkstätte in- mit finanzieller Hilfe des BKM einen ehemaligen DDR- klusive einer Dauerausstellung ein. Im Lauf der folgen- Gefangenentransporter in ein Mobiles Learning Center den Jahre bezogen weitere Vereine und Verbände zur umgebaut. Das rollende Gefängnis ist mit Hörstationen, Aufarbeitung der SED-Diktatur in „Haus 1“ Quartier: Monitoren sowie einer Ausstellung ausgestattet und soll – BSV-Förderverein für Beratung e.V. jene Schüler erreichen, die nicht in die Gedenkstätte kom- men. – Bürgerkomitee „15. Januar“ zur Aufarbeitung der Für die Betreuung von Schülern und Lehrern betreibt die Stasi-Vergangenheit e.V. Gedenkstätte eine pädagogische Arbeitsstelle. Drei Berli- – FORUM zur Aufklärung und Erneuerung e.V. ner Lehrer wurden dazu mit 50 Prozent ihrer Arbeitszeit abgeordnet. Die Arbeitsstelle bietet nicht nur speziell vor- – HELP e.V. – Hilfsorganisation für die Opfer politi- bereitete Seminare und Projekttage an, sondern betreut scher Gewalt in Europa auch Schüler, die sich über einen längeren Zeitraum mit – Osteuropa-Zentrum Berlin der SED-Diktatur und dem Staatssicherheitsdienst be- schäftigen. Außerdem führt sie Fortbildungsveranstaltun- – Union der Opferverbände Kommunistischer Gewalt- gen für Lehrer durch. herrschaft e.V.

Besucherzahlen Entstehung und Entwicklung Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat 1998 wies die Enquête-Kommission des Deutschen Bun- den gesetzlichen Auftrag, am Beispiel der ehemaligen zen- destages „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“ in tralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für ihrem Abschlussbericht auf den herausragenden Stellen- Staatssicherheit über das System der politischen Justiz in wert des historischen Ortes „Haus 1“ als ehemaligem der DDR zu informieren. Einen bedeutenden Beitrag zur Dienstsitz des Ministers für Staatssicherheit hin. Sie for- Erfüllung dieser Aufgabe leistet die Besucherbetreuung. derte die Erarbeitung eines Konzepts zur Nutzung von Qualifizierte Referenten führen das ganze Jahr interessierte „Haus 1“ als Gedenkstätte, in der der BStU und die im Gäste durch das ehemalige Stasi-Gefängnis und informie- „Haus 1“ ansässigen Aufarbeitungsinitiativen kooperie- ren über seine Funktion, das DDR-Justizsystem und die ren sollten. Drucksache 17/12115 – 70 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2008 wurde das Thema von BKM in der Fortschreibung stätte wurde. Eine – inzwischen aufgelöste – Ausstellung des Gedenkstättenkonzepts des Bundes erneut aufgegrif- im Vorraum informierte bisher über Biografien der Inhaf- fen und konkretisiert. Die Kernvorgabe lautete, dass der tierten aus der NS-Zeit. Eine Überarbeitung dieser Aus- BStU und die ASTAK in „Haus 1“ eine gemeinsame stellung, ggf. in neuen Räumen, wird angestrebt. Die Dauerausstellung einrichten sollen. Vor diesem Hinter- Dokumentationsstelle verfügt seit diesem Jahr im soge- grund fanden seit 2009 unter der Federführung von BKM nannten „Alten Zuchthaus“ am Nicolaiplatz über Räume Gespräche des BStU und der ASTAK statt, um einen inte- für das Archiv und die Gedenkstättenpädagogik. Schulpä- grierten Ansatz für eine gemeinsame Ausstellung zu ent- dagogische Angebote werden auch von der „Projektwerk- wickeln. 2011 unterzeichneten der BStU und die ASTAK statt Robert Havemann“ des Ministeriums für Bildung, eine Kooperationsvereinbarung. Jugend und Sport angeboten. Der Geschichte von Havemanns Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Ausstellung seiner Rolle bei der Befreiung des Zuchthauses, seiner weiteren Entwicklung in der SBZ und in der DDR sowie Nach Beendigung der mit Mitteln aus dem Konjunktur- seinem Einfluss auf die Opposition in der DDR kommt programm II der Bundesregierung in Höhe von 11 Mio. dabei eine große Bedeutung zu. Euro finanzierten denkmalgerechten Instandsetzung und Grundsanierung von „Haus 1“ haben der BStU und die ASTAK im Januar 2012 zunächst Übergangsausstellun- Die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus gen eröffnet. Im Laufe des Jahres 2013 wird die neue ge- Der historische Ort meinsame Dauerausstellung des STASI MUSEUMS „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ eröffnet. Integra- Das ehemalige „Königliche Zentralgefängnis Cottbus“ ler Bestandteil der Ausstellung sind die überlieferten wurde vor über 150 Jahren in Betrieb genommen und Räume der sogenannten „Mielke-Suite“: die Diensträume diente in fünf Perioden – der Kaiserzeit, der Weimarer des Ministers für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke. Republik, der NS-Zeit, der DDR und nach der Friedlichen Revolution bis zum Jahr 2002 – als Gefängnis. Nach dem Die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg  Wiederaufbau des im Krieg stark beschädigten ehemali- an der Havel gen Frauengefängnisses 1945 wurde es zunächst durch die Justizverwaltung als Zentralgefängnis für 600 Häft- Der historische Ort linge weiter betrieben. Nach einer Justizreform 1951 Die für ca. 1 800 Gefangene ausgelegte Strafanstalt Bran- wurde das Gefängnis wie alle anderen Gefängnisse der denburg-Görden wurde zwischen 1927 und 1935 errich- DDR auch dem Ministerium des Innern unterstellt und tet. Unter der NS-Terrorherrschaft diente die als „Muster von der Volkspolizei betrieben. Zu diesem Zeitpunkt wa- für einen humanen Strafvollzug“ konzipierte Strafanstalt ren hier 794 Menschen unter katastrophalen Bedingungen als Instrument zur Verfolgung von politischen Gegnern, inhaftiert. Im Zusammenhang des Volksaufstandes am Andersdenkenden und sonstigen missliebigen Personen. 17. Juni 1953 wurden die Haftarbeitslager Preschen und 1940 wurde das Zuchthaus Brandenburg-Görden auch zur Drewitz geräumt und die Häftlinge in die Haftanstalt Cott- Hinrichtungsstätte. Bis zum 20. April 1945 wurden dort bus gebracht. Die Folge war eine zwischenzeitliche Bele- 2 743 Menschen exekutiert. gung von 2 500 Menschen. Für die späten 1960er und frü- hen 1970er Jahre wird die Anzahl der aus politischen Im April 1945 wurde das nationalsozialistische Zucht- Gründen Inhaftierten auf 600 von 800 bis 1 200 Häftlingen haus in Brandenburg durch die Rote Armee befreit und geschätzt. Die Haftgründe lauteten unter anderem auf bis 1947 von den sowjetischen Militärbehörden und dem „Staatsverleumdung“ und „staatsfeindliche Hetze“. An NKWD u. a. als Untersuchungsgefängnis genutzt. Nach- diesem Ort wird die Kriminalisierung des Verlassens der dem die Justizverwaltung der DDR das Zuchthaus im DDR als „Republikflucht“ besonders deutlich, da sich in Jahr 1949 übernommen hatte, diente es erneut als Strafan- den 1980er Jahren viele Ausreisewillige unter den Häft- stalt, in der neben tatsächlichen Kriminellen, NS-Tätern lingen befanden. Die meisten von ihnen gelangten und Kriegsverbrechern viele politische Oppositionelle, schließlich durch „Freikauf“ in die Bundesrepublik gescheiterte „Republikflüchtlinge“, Zeugen Jehovas und Deutschland. Homosexuelle inhaftiert waren. 1947 war auf dem Fried- hof am Marienberg im Auftrag der Stadt Brandenburg an Ab 1990 wurde das Objekt vom Land Brandenburg als der Havel ein Denkmal für die Befreiung des Zuchthauses Justizvollzugsanstalt genutzt und 2002 schließlich ge- errichtet worden. Seit 1990 wird das ehemalige Zucht- schlossen. haus als Justizvollzugsanstalt betrieben. Entstehung und Entwicklung Entstehung und Entwicklung Die Stadt Cottbus hat das Vorhaben der Sanierung des 1975 wurden am Ort der ehemaligen Hinrichtungsstätte Gebäudes der ehemaligen Haftanstalt und die Einrichtung Gedenkräume eingerichtet. 1992 löste die Landesregie- einer Gedenk- und Bildungsstätte in Abstimmung mit rung Brandenburg die „Nationale Mahn- und Gedenk- dem Trägerverein „Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.“ stätte Brandenburg“ aus DDR-Zeiten auf. Ihr folgte die im Rahmen des integrierten Stadtentwicklungskonzeptes Dokumentationsstelle Brandenburg, die 1993 Bestandteil INSEK für eine EFRE-Förderung der Europäischen der neu gegründeten Stiftung Brandenburgische Gedenk- Union beim Ministerium für Infrastruktur und Raumord- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 71 – Drucksache 17/12115 nung vorangetrieben und wird dabei durch das Land un- Innerhalb von zwei Tagen kamen mehrere Tausend Besu- terstützt. Zweck des im Jahr 2007 gegründeten Vereins cher. Unter dem Eindruck des außerordentlich starken Be- Menschenrechtszentrum Cottbus und der beim Bund und sucherinteresses wurden Forderungen laut, einen Teil des Land Brandenburg eingereichten Förderanträge ist es, die Gebäudes zu einem Museum oder einer Gedenkstätte um- Unrechtsgeschichte während der NS-Terrorherrschaft und zubauen. Der damalige Sächsische Landesbeauftragte für der kommunistischen Diktatur aufzuarbeiten und erlebbar die Stasiunterlagen, Siegmar Faust, übernahm 1997 die Ini- zu machen. Das Vorhaben, eine Gedenk- und Begeg- tiative zur Gründung des Vereins „Erkenntnis durch Erin- nungsstätte mit einer Dauerausstellung in einem ehemali- nerung e.V.“, der die Trägerschaft der künftigen Gedenk- gen Hafthaus auf dem früheren Gefängnisareal zu errich- stätte des U-Haft-Gebäudes übernehmen sollte. ten, soll innerhalb einer dreijährigen Projektlaufzeit realisiert werden, beginnend im Januar 2011. Das 1999/2000 schloss der Verein einen Nutzungsvertrag mit Gesamtvolumen der Bundes- und Landesmittel für die der Stadt Dresden, die das Gebäude dem Verein mietfrei Teilprojekte „Liegenschaftserwerb“, „Baumaßnahmen zur Verfügung stellte. Ab 1999 übernahmen Vereinsmit- Hafthaus 1“ und „Dauerausstellung“ beläuft sich auf glieder und Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenk- mehr als 2 Mio. Euro. Nach einer Teileröffnung der Ein- stätten (StSG) Führungen für Gruppen und Einzelperso- richtung im September 2012 ist die Eröffnung der Ge- nen. Im Juni 2001 beschloss der Stiftungsrat der StSG denkstätte einschließlich einer Dauerausstellung für den entsprechend dem Sächsischen Gedenkstättenstiftungsge- Herbst 2013 vorgesehen. setz die Förderung der Gedenkstätte in der Bautzner Straße. Die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden 2004 bis 2007 wurde das Haftgebäude aus Mitteln der Stadt Dresden und des Freistaats Sachsen saniert. Im De- Der historische Ort zember 2010 teilte das sächsische Finanzministerium mit, Die Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung dass 1,9 Mio. Euro aus Rückflüssen des Vermögens von (BV) Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit in Parteien und Massenorganisationen (PMO-Mittel) der der Bautzner Straße ist heute eine Gedenkstätte. Sie ist ehemaligen DDR für die Erweiterung der Gedenkstätte die einzige weitestgehend original erhaltene MfS-Unter- „Bautzner Straße Dresden“ freigegeben werden. Mit den suchungshaftanstalt (UHA) im Freistaat Sachsen. Zur Ge- Mitteln soll die Gedenkstätte um ein MfS-Verwaltungsge- denkstätte gehört auch ein ehemaliger sowjetischer Haft- bäude erweitert werden, das zuvor saniert werden muss. keller, der von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre vom Am 2. Juli 2012 haben bei laufendem Gedenkstättenbe- NKWD/MWD für politische Untersuchungshäftlinge und trieb die Sanierungsarbeiten für die Erweiterung der Ge- Internierte genutzt wurde. In diesen Zellen wurden später denkstätte begonnen. Die Einweihung des Hauses mit ei- vom MfS Häftlinge des Strafgefangenenarbeitskomman- nem grundsätzlich neuen Konzept für Führungen und dos untergebracht. Der Keller ist jedoch in seiner ur- dem ersten Teil einer neuen Dauerausstellung soll 2013 sprünglichen Gestalt noch erkennbar und ein Zeugnis für erfolgen, damit einhergehend die Gedenkstätte zu einer den Beginn der politischen Verfolgung durch die sowjeti- Begegnungs- und Bildungsstätte erweitert werden. Die sche Besatzungsmacht. Neben diesen Gebäudeteilen ge- Gedenkstätte besuchen jährlich ca. 10 000 Interessierte. hört zur Gedenkstätte auch der ehemalige MfS-Festsaal mit seiner originalen Einrichtung, der heute für größere Ausstellung Veranstaltungen der Gedenkstätte genutzt wird. Die da- „4 Tage im Dezember“ rüber liegenden Etagen des MfS-Verwaltungsgebäudes umfassen Büros der ehemaligen Bezirksverwaltung; Die Dauerausstellung dokumentiert die Dresdner Ereig- künftig sollen sie als Ausstellungsbereich genutzt wer- nisse der Tage vom 3. bis zum 6. Dezember 1989 anhand den. Unter anderem werden dort das Büro und der Ver- von Interviews mit Zeitzeugen. Der Schwerpunkt liegt sammlungsraum des letzten Chefs der BV, Generalmajor auf der Besetzung der Dresdner Staatssicherheitszentrale Horst Böhm, zu sehen sein. und den wichtigen Ereignissen im Vorfeld. Ergänzend zur Ausstellung wird das einzige vorhandene Videodokument Entstehung und Entwicklung zur Besetzung am 5. Dezember 1989 gezeigt.

Am 5. Dezember 1989 riefen das Neue Forum und die „Bedenken“ Gruppe der 20 zur Teilnahme an einer Demonstration vor dem Dresdner Stasi-Komplex auf, um die geplanten Jugendliche haben im Schüler-Freizeit-Projekt BEDEN- staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen zur Aktenver- KEN von 2009 bis 2011 Schicksale von politischen Häft- nichtung zu unterstützen. Aus dieser Protestaktion entwi- lingen des sowjetischen NKWD/MWD in Dresden aufge- ckelte sich die friedliche Besetzung der Bezirksverwal- arbeitet. Entstanden ist eine Ausstellung, welche die tung des Amtes für Nationale Sicherheit durch ca. authentischen Kellerzellen von diesen Schicksalen spre- 5 000 Dresdner Bürger, woraufhin ein spontan gebildetes chen lässt – neben zahlreichen und informativen Ausstel- Bürgerkomitee und die Volkspolizei die Kontrolle des lungsbannern sind auch acht von den Schülern selbst ge- Gebäudes übernahmen. Ende 1992 bis Mitte 1994 er- führte und bearbeitete Interviews mit den Zeitzeugen zu folgte der Umzug des gesamten Archivguts in das Büro- sehen. BEDENKEN wurde mit Mitteln des Europäischen zentrum Riesaer Straße. Im Dezember 1994 wurde die Sozialfonds und des Freistaates Sachsen gefördert. Ein ehemalige UHA erstmals wieder für Besucher geöffnet. Folgeprojekt startete bereits im Oktober 2011. Drucksache 17/12115 – 72 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„Untersuchungshaft des MfS in Dresden“ Nach 1945 tagten am Münchner Platz sowjetische Mili- tärtribunale, der Gebäudekomplex beherbergte ein Sam- Auf Schautafeln werden Haftalltag und Haftschicksale in mel- und Durchgangsgefängnis. Von 1952 bis 1956 fun- der ehemaligen UHA veranschaulicht. Eine Neukonzep- gierte der Ort als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR. tion wird mit der Sanierung des Hauses 2 und der damit Etwa die Hälfte der mindestens 66 Getöteten waren Re- verbundenen Erweiterung der Ausstellungsfläche erfol- gimegegner und andere Opfer politischer Strafjustiz.1957 gen. wurde das Gebäude von der Technischen Universität Dresden übernommen, 1959 eine erste „Mahn- und Ge- „Diktatur und Widerspruch – DDR-Geschichte  denkstätte des antifaschistischen Widerstandskampfes“ im Fokus“ eingerichtet. 1986 folgte eine Erweiterung, so wurde u. a. Die Ausstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für eine Dauerausstellung eröffnet. Diese Ausstellung be- die Stasi-Unterlagen bietet in acht Kapiteln einen Über- schränkte sich jedoch auf die Zeit des Nationalsozialis- blick über die Geschichte der DDR. Sie beleuchtet dabei mus und konzentrierte sich im Sinne des von der SED das Wechselverhältnis von staatlicher Repression und Wi- vorgegebenen Antifaschismuskonzeptes im Wesentli- derstand. Die Darstellung umfasst zentrale Ereignisse der chen auf den kommunistischen Widerstand. DDR-Geschichte und öffnet zugleich den Blick für weni- Neuere Forschungen konnten hingegen nicht nur das viel ger bekannte Aspekte. Gleichzeitig bietet sie einen Ein- breitere Spektrum der an diesem Ort Verurteilten und blick in das politische System der DDR. In der Gedenk- Hingerichteten sowie die Rolle des Justizortes Dresden stätte Bautzner Straße werden zunächst die Kapitel „Der für die Errichtung und Aufrechterhaltung der nationalso- SED-Staat“ und „Die DDR-Staatssicherheit“ präsentiert. zialistischen Terrorherrschaft in Sachsen und den angren- Nach dem Abschluss der Umbaumaßnahmen wird dann zenden besetzten Gebieten belegen. Sie zeigten auch die die Ausstellung vollständig in der Gedenkstätte zu sehen überregionale Bedeutung des Gerichts-, Haft- und Hin- sein. richtungsortes in der SBZ und der frühen DDR.

Sammlung Entstehung und Entwicklung Die Gedenkstätte verfügt über Zeitzeugenmaterialien und In den neunziger Jahren erfolgte eine Neukonzeption der einige Nachlässe sowie unerfasste Bibliotheks- und Gedenkstätte. 1994 kam sie unter das Dach der neu ge- Sammlungsbestände. Diese sollen in den nächsten zwei- gründeten „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erin- einhalb Jahren erfasst, geordnet und der Öffentlichkeit nerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“, seit zugänglich gemacht werden. 1999 arbeitet sie in unmittelbarer Trägerschaft der Stif- tung. Nach der Schließung des „Museums des antifa- Forschung schistischen Widerstandskampfes“ wegen gravierender inhaltlicher Mängel im Oktober 1996 organisierte die Ge- Das Forschungsprojekt „Geschichte des Haftortes U-Haft- denkstätte Veranstaltungen und Wechselausstellungen zur anstalt Bautzner Straße und der BV Dresden des MfS Widerstands- und Justizgeschichte. Seit 1999 gewährleis- 1945 bis 1990“ dient der wissenschaftlichen Erforschung tet der Bund durch BKM gemeinsam mit dem Freistaat und Aufarbeitung der Arbeitsweisen, Strukturen und Ver- Sachsen durch eine anteilige institutionelle Förderung die flechtungen des sowjetischen Geheimdienstes sowie des Arbeit der Gedenkstätte als Ort mit einer „doppelten“ Staatssicherheitsdienstes der DDR. Im Mittelpunkt des Vergangenheit. Die Gemengelage ist am Münchner Platz Vorhabens stehen die Reflexionen des historischen Ortes ähnlich wie in Bautzen und Torgau, da es sich um einen und des historischen Geschehens, der Umstände von Re- Ort mit mehrschichtiger Vergangenheit, mit Bezug zur pressalien und Verfolgung in der Lebensgeschichte ein- NS-Terrorherrschaft und zur kommunistischen Diktatur zelner Menschen und die Verortung im zeitgeschichtli- handelt. Anders als Bautzen und Torgau kann der Münch- chen Kontext. Ein Ziel ist es, Grundlagen für eine ner Platz indes auf eine Geschichte als Gedenkstätte zu Dauerausstellung und für eine Publikation zu erarbeiten. Zeiten der DDR zurückblicken. Dadurch tritt die Aus- Ermöglicht durch die Projektförderung der Bundesstif- einandersetzung mit der Geschichtskultur der DDR an tung Aufarbeitung werden 30 Interviews mit Menschen diesem Ort stärker ins Blickfeld. Gleichzeitig steht ange- durchgeführt, die zwischen 1945 und 1971 inhaftiert wa- sichts der spezifischen Geschichte des nationalsozialisti- ren. schen Justizunrechts mit internationaler Ausstrahlung in die benachbarten osteuropäischen Länder an dieser Stätte Die Gedenkstätte Münchner Platz, Dresden die NS-Geschichte gegenüber der Nachkriegsgeschichte Der historische Ort im Vordergrund.

Als repräsentativer Justizbau für das Dresdner Landge- Ausstellung richt zwischen 1902 und 1907 erbaut, diente das Gebäude nach 1933 auch sächsischen Sondergerichten und dem Die Gedenkstätte Münchner Platz hat in den Jahren nach Volksgerichtshof als Ort für Schauprozesse, als Haftan- 2000 in drei eigenen Ausstellungen auch den Bezug zur stalt und Exekutionsstätte. Zwei Drittel der annähernd Nachkriegsgeschichte des Ortes hergestellt: Während 1 400 hier hingerichteten Opfer der NS-Terrorherrschaft sich die Ausstellungen „Dr. Margarete Blank − Justiz- waren Tschechinnen und Tschechen. mord und Erinnerungspolitik“ (2000) sowie „Kunst und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 73 – Drucksache 17/12115

Widerstand. Das Künstlerpaar Eva Schulze-Knabe und Anhand ausgewählter Einzelschicksale und dazugehöri- Fritz Schulze“ (2004) mit der Gedenkpolitik und dem ger Dokumente (Fotos, Justizakten, Briefe, Zeitungsarti- Umgang mit dem Antifaschismus in der DDR beschäf- kel) setzen sich die Schüler während des Projekttages „In tigte, hatte die Ausstellung „NS-“Euthanasie“ vor Ge- den Fängen politischer Strafjustiz“ mit den Verfolgungs- richt. Der Prozess am Landgericht Dresden 1947“ (2007 mechanismen des politischen Strafrechts der DDR ausei- in Kooperation mit der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein nander. Ausgehend von den konkreten Biografien werden und dem Psychiatriemuseum Leipzig) die spezifische Be- den Schülern historische Zusammenhänge und politische deutung Dresdens als Ort der Auseinandersetzung mit na- Hintergründe vermittelt. Während des Projekttages „Spu- tionalsozialistischem Unrecht nach 1945 zum Inhalt. Zu rensuche“ gehen die Schüler selbst auf die Suche nach ar- allen drei Ausstellungen wurden ein Rahmenprogramm chitektonischen Spuren und erkunden den Ort mit ver- mit Filmen, Vorträgen und Führungen angeboten sowie schiedenen Materialien, Hilfestellungen und Aufgaben. jeweils Begleitpublikationen erarbeitet. Die Fragen und Antworten der Schüler stehen im Mittel- punkt des sich anschließenden, von den Schülern selbst Für die Jahre 2011 und 2012 wurde von BKM ein Pro- gestalteten Rundgangs. Ziel ist es, den historischen Ort jektantrag der Gedenkstätte bewilligt, der es ermöglicht, kennen zu lernen und sich anhand von Einzelschicksalen in einer ständigen Ausstellung auch die Nutzung des Jus- mit der Machtübernahme und der Machtsicherung in Dik- tizkomplexes am Münchner Platz in der SBZ und frühen taturen zu beschäftigen. DDR bis 1956 sowie die Geschichte der Gedenkstätte an- gemessen darzustellen. Die dazu benötigten Ausstel- lungsräume konnten mit Mitteln des Konjunkturpro- Die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, gramms II des Bundes ausgebaut werden. Erfurt Der historische Ort Sammlung Das 1874 bis 1879 entstandene Gerichtsgefängnis an der Bis zum heutigen Tage konnten 19 Audio- und Videozeit- Erfurter Andreasstraße wurde von 1952 bis 1989 auch zeugeninterviews zum Themenbereich Verfolgung in der von der benachbarten Bezirksverwaltung des Ministe- SBZ und der DDR aufgenommen werden. Nach Recher- riums für Staatssicherheit genutzt. Das oberste Geschoss chen in einschlägigen Archiven bzw. Informationen von des Westflügels der Strafanstalt, zeitweise auch das da- Betroffenen und Angehörigen wurden 686 Personen in runterliegende, diente als Untersuchungshaftanstalt des die Datenbank für Häftlinge aus den Jahren nach 1945 MfS. Nach der Friedlichen Revolution und dem Mauer- eingegeben. Zu 319 Personen wurden Dossiers angelegt. fall am 9. November besetzten am 4. Dezember 1989 Er- Auch die Informationen über Juristen, die nach 1945 in furter Bürger die Stasi‐Bezirkszentrale. Auch die Unter- der Strafjustiz zum Einsatz kamen, ebenso wie über das suchungshaftanstalt der Staatssicherheit wurde an diesem Personal der Dresdner Haftanstalten der Jahre nach 1945 Tag besetzt. konnten erweitert werden. Mehr als 1 500 Fotografien mit Bezug zu den Jahren 1945 bis 1989 wurden in die ent- Entstehung und Entwicklung sprechende Datenbank aufgenommen und nach fotoarchi- valischen Grundsätzen gelagert. Auch der Ankauf bzw. An diesem historischen Ort am Domplatz wird derzeit die die Leihnahme von Nachlässen bzw. Nachlassteilen von Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße eingerichtet, in Dresden Hingerichteten bzw. Verstorbenen konnte zu- die im Kernbereich des ehemaligen Zellenbaus der MfS- letzt forciert werden. Untersuchungshaftanstalt entsteht. Das Konzept ist mehr- dimensional auf Repression, Friedliche Revolution und Bildungsarbeit Demokratieerziehung hin ausgerichtet. Die Gedenkstätte bietet thematische Rundgänge zur Ge- Trägerin ist die „Stiftung Ettersberg. Europäische Dikta- schichte des Ortes nach 1945 an, beispielsweise: turforschung – Aufarbeitung der SED-Diktatur – Gedenk- stätte Andreasstraße“. Hier errichtet Thüringen an zentra- – Entnazifizierung und juristische Aufarbeitung nach ler Stelle in der Landeshaushauptstadt Erfurt eine der 1945 MfS-Haft und Opposition und Widerstand gewidmete – Verfolgung und Haft unter der sowjetischen Besat- Gedenkstätte sowie eine zeitgeschichtliche Ausstellung zungsmacht zur SED-Diktatur und deren Überwindung durch die Friedliche Revolution in Thüringen. Die Trägerstiftung – Politische Strafjustiz in der DDR wirkt mit den örtlichen Opfer- und Zeitzeugenvereinen, – Jugendwiderstand in der DDR. die sich entscheidend für die Errichtung der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße engagiert haben, vertraglich Diesem Zeitabschnitt widmen sich auch übergreifende zusammen. Themen wie: Kernstück der Gedenk‐ und Bildungsstätte Andreasstraße – Doppelt verfolgt: Widerstand in zwei Diktaturen ist die neue Dauerausstellung. Sie soll eine komplexe Auseinandersetzung mit der SED‐Diktatur bieten, die die – Todesstrafe in der NS-Diktatur und in der DDR Verbindung von Herrschaft, Repression, Opposition, Wi- – Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit derstand und Alltag in der Diktatur aufzeigt. Ergänzt wird in der DDR. die sich selbst erklärende Exposition durch Seminare, Drucksache 17/12115 – 74 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Führungen und Exkursionen, Sonderausstellungen, Pro- Nr. 5 in der ehemaligen Arbeitersiedlung der Deutschen jektwochen oder -tage, öffentliche Diskussionen, Ge- Kabelwerke (DEKA). Bis zu seiner Auflösung im Früh- denkveranstaltungen und Zeitzeugengespräche am histo- jahr 1947 wurden insgesamt rund 10 500 Häftlinge ohne rischen Ort. Urteil und Einzelfallüberprüfung festgehalten und an- schließend in andere Lager verlegt. Die Gebäude wurden Das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft wieder als Wohnhäuser genutzt, die Siedlung um weitere und Kultur und BKM fördern Entwicklung und Gestal- Bauten ergänzt. In der kurzen Zeit seines Bestehens star- tung der Dauerausstellung mit jeweils 839.250 Euro. ben im Speziallager Ketschendorf über 4 600 Menschen. Bei Bauarbeiten in den Jahren 1952/53 stieß man auf Die Gedenk- und Dokumentationsstätte „Opfer Massengräber mit Opfern des Lagers. Die Gebeine der politischer Gewaltherrschaft 1933 bis 1989“,  dort verscharrten Toten wurden bis auf wenige Ausnah- Frankfurt an der Oder men exhumiert und in einer von der SED-Diktatur ge- Der historische Ort heim gehaltenen Aktion auf den Waldfriedhof Halbe (Dahme-Spreewald) überführt. In Sammelgräbern wur- Die Gedenk- und Dokumentationsstätte befindet sich in den sie auf den Feldern IX bis XI zur letzten Ruhe gebet- einem 1812 errichteten Polizei- und Gerichtsgefängnis in tet. Frankfurt/Oder, das im Laufe der Zeit mehrfache bauliche Erweiterungen erfuhr. Nach 1933 wurde das Gefängnis Entstehung und Entwicklung von der Geheimen Staatspolizei übernommen, die dort auch Hinrichtungen durchführte. Im Jahr 1990 gründete sich die Initiativgruppe Internie- rungslager Ketschendorf. Sie setzte sich zum Ziel, über Bis das Ministerium für Staatssicherheit das Gebäude die Geschichte des Speziallagers aufzuklären. Zum Ge- 19 50 als Untersuchungshaftanstalt übernahm, war es den denken an die Opfer hatten Überlebende bereits 1990 eine sowjetischen Sicherheitsorganen unterstellt. In den Jahren Erinnerungsstätte errichtet. Sie wurde 1995 aus Mitteln 1950 bis 1952 diente das Gefängnis auch als Hinrich- des Landes Brandenburg und in Zusammenarbeit mit dem tungsstätte. Nach dem Umzug der UHA des MfS in ein Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der auch Trä- neues Gebäude in der Otto-Grotewohl-Straße 53 (heute ger der Gedenkstättenarbeit in Halbe ist, zu einem Ge- Robert-Havemann-Straße 11) wurde das Gebäude 1969 denkhain erweitert. Darüber hinaus ist die Geschichte des an die Volkspolizei übergeben, die das Gefängnis bis zum Lagers Bestandteil der ständigen Ausstellung im Stadt- Ende der DDR als Untersuchungshaftanstalt führte. museum Fürstenwalde. Ein Zeitdokument von Überle- benden des Lagers ist eine 2008 gestaltete Wanderausstel- Entstehung und Entwicklung lung zur Geschichte des Lagers Ketschendorf, initiiert Nach 1990 wurde der größte Teil des Gebäudes für die von der Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf Frankfurter Musikschule und die Stadt- und Regionalbi- e.V. bliothek umgebaut. Auf Initiative einer Arbeitsgruppe des Runden Tisches Frankfurt/Oder eröffnete in einigen sei- Die Gedenk- und Begegnungsstätte im Torhaus, Gera ner Räume am 17. Juni 1994 die Gedenk- und Dokumen- Der historische Ort tationsstätte „Opfer politischer Gewaltherrschaft 1933 bis 1989“. 2004 schlossen die Stadt Frankfurt/Oder und der Das 1874 erbaute Gerichtsgefängnis in der Straße BStU einen Kooperationsvertrag, auf dessen Grundlage Amthordurchgang (damals Schlossstraße) wurde wäh- der BStU die Gedenkstätte betreibt und die Stadt Trägerin rend des Nationalsozialismus von der Geheimen Staats- der Einrichtung ist. Während die BStU-Außenstelle polizei genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die Frankfurt/Oder die Darstellung der Geschichte der SBZ sowjetische Besatzungsmacht ein regionales Auffangge- und DDR verantwortet, hat das Museum Viadrina die fängnis ein. Viele Gefangene wurden von hier in das sow- Ausstellung zur Gefängnisgeschichte im Nationalsozia- jetische Speziallager Nr. 2 nach Buchenwald verlegt. lismus realisiert. Darüber hinaus gibt es seit 2006 eine 1947 wurde das Gefängnis dann wieder der deutschen weitere Dauerausstellung unter dem Titel „Eingesperrt – Gerichtsbarkeit unterstellt. Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit in Frankfurt Von 1952 bis 1990 befand sich in dem Gebäude die Un- (Oder)“. In der Gedenkstätte und der Projektwerkstatt für tersuchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung Gera, Schüler besteht die Möglichkeit zur Auseinandersetzung die über 36 Zellen für 78 Untersuchungshäftlinge ver- mit der politischen Justiz im Nationalsozialismus sowie fügte. 1981 starb der dreiundzwanzigjährige Matthias während der sowjetischen Besatzungszeit und in der Domaschk unter bis heute ungeklärten Umständen nach DDR. einem Verhör durch das MfS in der Haftanstalt. Von 1991 bis 1999 wurde das Gefängnis als Untersuchungshaftan- Die Gedenkstätte Ketschendorf − Sowjetisches stalt durch den Freistaat Thüringen genutzt, der größte Speziallager Nr. 5, Fürstenwalde Teil des Gefängnisses 1999 abgerissen. Der historische Ort Entstehung und Entwicklung Bereits im April 1945 und damit als erstes sowjetisches Lager in Brandenburg überhaupt errichtete die sowjeti- Der im Herbst 1997 gegründete Verein „Gedenkstätte sche Besatzungsmacht in Fürstenwalde das Speziallager Amthordurchgang“ e.V. betreibt die am 18. November Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 75 – Drucksache 17/12115

2005 eröffnete Gedenk- und Begegnungsstätte im Ver- net werden. Die Ausstellung erstreckt sich auf zwei Eta- waltungsgebäude der ehemaligen Haftanstalt in Gera, das gen des Gedenkstättengebäudes und nimmt mehr als zuvor saniert worden war. 800 qm Grundfläche ein. Neben Ausstellungstexten be- inhaltet sie Videoangebote, Hörsequenzen und Vertie- Die Gedenkstätte ROTER OCHSE, Halle (Saale) fungsangebote vielfältiger Art. Entsprechend der Kon- zeption ist die Exposition in zwei getrennte Der historische Ort Ausstellungsbereiche gegliedert. Die Dokumentation zur Im Jahre 1842 wurde die königlich-preußische Straf-, politischen Justiz im Nationalsozialismus ist im Erdge- Lern- und Besserungsanstalt zu Halle eröffnet. Die archi- schoss untergebracht, die für die Zeit der SBZ und der tektonische Anordnung des Gebäudes und die beim Bau DDR bzw. zum Wirken des MfS im zweiten Oberge- verwendeten Materialien (Porphyr und rötliche Ziegel- schoss. Sie umfasst auch einige Räume im ersten Oberge- steine) führten dazu, dass sich im Volksmund bald der schoss. In dieser Etage entstand jedoch vor allem ein Be- Name „Roter Ochse“ durchsetzte. Als Resultat der Revo- reich für Sonder- und Wechselausstellungen. lution von 1848/49 gelangten erstmals aus politischen Das Besondere an der Gedenkstätte ROTER OCHSE Gründen Verurteilte in die Strafanstalt. Der Gebäudekom- Halle (Saale) innerhalb der regionalen Gedenkstätten- plex, zu dem auch die heutige Gedenkstätte gehört, unter- landschaft ist die Verortung von NS-Terrorherrschaft und lag im Laufe der Zeit diversen baulichen Veränderungen. kommunistischer Diktatur in der SBZ und in der DDR am Die Gedenkstätte befindet sich seit 1995 in einem mehr gleichen historischen Ort. Das Vermitteln der jeweils spe- als 100 Jahre zuvor gebauten Lazarettgebäude, das später zifischen Aspekte bleibt eine wesentliche Aufgabe der als Hinrichtungsstätte der NS-Justiz diente, danach von Gedenkstätte. sowjetischen Geheimdiensten als Haftort genutzt wurde und schließlich als Wirtschafts- und Vernehmergebäude Sammlung der Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung Im Zeitzeugenbüro werden zum Teil umfangreiche Unter- Halle des MfS Verwendung fand. lagen, die durch Opfer der politischen Justiz oder deren Angehörige sowie Opferverbände in die Gedenkstätte ge- Entstehung und Entwicklung langten, archiviert und für pädagogische Zwecke sowie für verschiedene Präsentationen aufbereitet. Hierbei han- Als Ergebnis einer ersten Bestandsaufnahme der regiona- delt es sich nicht nur um Opferakten, denn seit Eröffnung len Gedenkstätten durch das Innenministerium des Lan- des Hauses besteht ein Ziel der Forschungsarbeit darin, des Sachsen-Anhalt wurde 1993 beschlossen, in der ehe- neben den NS-Tätern auch verantwortlich handelnde Ak- maligen Untersuchungshaftanstalt Halle des MfS eine teure des MfS benennen zu können. Im Fundus der Ge- Gedenkstätte einzurichten. Im Frühjahr 1994 berief der denkstätte steht ein umfassender Objektbestand aus den damalige Innenminister eine Sachverständigen-Kommis- Hinterlassenschaften des MfS zur Verfügung. Die zum sion ein, um eine Konzeption für die Gedenkstätte zu er- Teil einzigartigen und seltenen Exponate werden im Rah- arbeiten. Während der Recherchen vor Ort wurde deut- men von Sonderausstellungen zur Untersuchungshaft und lich, dass der ehemalige NS-Hinrichtungsbereich (1942 zum Strafvollzug im „Roten Ochsen“ präsentiert. bis 1945) nahezu das gesamte Erdgeschoss des Gedenk- stättengebäudes einnahm, das wiederum durch mehrfache Umnutzung nach dem Krieg bis zur Unkenntlichkeit Das Frauengefängnis Hoheneck überformt worden war. Für die weiteren konzeptionellen Der historische Ort Arbeiten war insofern zu klären, wie mit der Problematik der Doppelnutzung von Räumen des Hauses aktuell und Die Burg Hoheneck wurde 1862 erstmals als Sächsisches perspektivisch umzugehen sei. Weiberzuchthaus erwähnt, später wurde sie als Haftan- stalt für Männer und als Reservelazarett genutzt. Den Na- Ausstellung tionalsozialisten diente Hoheneck im Frühjahr 1933 für den Vollzug sogenannter Schutzhaft („Frühes Konzentra- Die ersten Ausstellungstafeln im heutigen Gedenkstätten- tionslager“). gebäude erarbeiteten 1995/96 externe Historiker und die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicher- Die Geschichte Hohenecks als zentrales Frauengefängnis heitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt. Im der DDR begann 1950 mit der Einlieferung von ersten Obergeschoss erhielten die Besucher der Gedenk- 1 119 Frauen aus den Speziallagern Bautzen und Sach- stätte, die seit dem 15. Februar 1996 für die Öffentlichkeit senhausen, die durch sowjetische Militärtribunale in der eingeschränkt zugänglich war, auf insgesamt ca. 20 pro- SBZ verurteilt worden waren. Neben den Frauen befan- visorischen Ausstellungstafeln Einblicke in die Ge- den sich auch 30 Kleinkinder im Gefängnisbereich, die in schichte der Haftanstalt sowie in die politische Justiz zwi- den Lagern geboren wurden. Die ersten sechs Jahre des schen 1933 und 1989. Der NS-Bereich wurde 1998 durch sozialistischen Strafvollzugs in Hoheneck waren geprägt zusätzliche Tafeln, die Mitarbeiter der Gedenkstätte er- von Entbehrung, Überbelegung und mangelnder Hygiene. stellten, ergänzt. Von Ende der 50er Jahre bis 1989 waren in Hoheneck mit unterschiedlicher Gewichtung kriminelle und politische Am 15. Februar 2006 konnte die neue Dauerausstellung Häftlinge gemeinsam unter oft menschenunwürdigen in der Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale) eröff- Umständen inhaftiert. In dieser Zeit war die Strafvoll- Drucksache 17/12115 – 76 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode zugsanstalt Hoheneck mehreren Veränderungen unter- Der 2011 ausgestrahlte Fernsehfilm „Es ist nicht vorbei“ worfen. Mit dem Passgesetz von 1957 wurde der neue führte zu einem erhöhten öffentlichen Interesse am Frau- Straftatbestand „Republikflucht“ geschaffen. Auch der engefängnis Hoheneck und dem Schicksal der dort inhaf- Beginn des Häftlingsfreikaufs und die Verabschiedung tierten Frauen. des ersten Strafvollzugsgesetzes von 1968 waren von Be- deutung. Durchschnittlich waren fast 1 500 Frauen in Ho- Die Dokumentationsstätte in Jamlitz/Lieberose − heneck inhaftiert. Ausgelegt war das Gefängnis für etwa Sowjetisches Speziallager Nr. 6 600 Gefangene. Nach dem Herbst 1989 wurde die Anstalt weiter als JVA für den Strafvollzug genutzt. Der historische Ort Nach der Auflösung eines Außenlagers des nationalsozia- Entstehung und Entwicklung listischen KZ (Konzentrationslager) Sachsenhausen wurde Im April 2001 wurde die JVA Hoheneck endgültig ge- das Gelände in Jamlitz seit September 1945 als sowjeti- schlossen und das Gebäude im Juni 2003 an einen priva- sches Speziallager Nr. 6 genutzt. Insgesamt hatten bis zur ten Investor verkauft. Es sollte u. a. ein „Erlebnishotel“ Auflösung des Speziallagers im April 1947 etwa entstehen. Nach Protesten der ehemaligen gefangenen 10 300 Häftlinge das Lager Jamlitz durchlaufen, von de- Frauen gegen dieses Nutzungskonzept nahm der Investor nen rund 3 400 in der Haft umkamen. Vor allem im Win- Abstand von diesen Plänen. ter 1946/47 war die Sterberate sehr hoch. Die Toten wurden zunächst in Einzel-, später in anonymen Massen- Am historischen Ort besteht noch keine Gedenkstätte. gräbern in der Nähe der Bahnlinie Frankfurt/Oder nach Die Besichtigung des Gefängnisses ist aber im Rahmen Cottbus verscharrt. Im Frühjahr 1947 wurden 6 000 Häft- von geführten Rundgängen möglich. Die Voraussetzung linge aus Jamlitz in die Speziallager Mühlberg und Bu- für eine Erschließung des Ortes als Gedenkstätte war zu- chenwald gebracht, auf dem Transport gab es weitere nächst eine Verständigung zwischen dem Eigentümer, der Tote. Bereits Ende September 1947 riss die Rote Armee Stadt Stollberg, dem Freistaat Sachsen über seine Stiftung die Baracken des Lagers ab. In den 1950er Jahren ent- Sächsische Gedenkstätten und dem Frauenkreis der ehe- standen hier Eigenheime. maligen Hohenekkerinnen e.V. sowie engagierter Stoll- berger Bürger und der Stollberger Volksvertreter in Land Nachdem Bauarbeiter im Frühjahr 1971 in einer Kies- und Bund. Nahziel ist die Erarbeitung einer Konzeption grube bei Staakow 577 Skelette, einen Teil der im Jahr für eine Gedenkstätte im ehemaligen Frauengefängnis; 1945 insgesamt 1 342 ermordeten jüdischen Häftlinge die Eckpunkte stehen fest, die Konzeption soll noch 2012 des KZ-Außenlagers, entdeckt hatten, wurde eine Urne der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zugehen. mit ihrer Asche am Rande des Friedhofs in der fünf Kilo- meter entfernten Stadt Lieberose beigesetzt und 1973 an Am 13. Mai 2011 besuchte der damalige Bundespräsident dieser Stelle ein „antifaschistisches“ Mahnmal einge- Christian Wulff das ehemalige Gefängnis in der Burg Ho- weiht. Die jüdischen Toten wurden für die Staatsdoktrin heneck und sprach anlässlich des Festakts zum 20. Jah- des Antifaschismus vereinnahmt. Die Gebeine waren ent- restag der Gründung des Frauenkreises der ehemaligen gegen der jüdischen Bestattungsregel eingeäschert wor- Hoheneckerinnen. den. Das Zahngold der Toten übernahm das Ministerium für Staatssicherheit und schmolz es ein. 1982 erfolgte un- Ausstellung weit dieses Mahnmals die Eröffnung eines auf Initiative der Stadt Lieberose errichteten Museums. Es wird heute Am 2. Oktober 2001 wurde in der Stadtbibliothek Stoll- durch die ehrenamtliche Tätigkeit des „Vereins zur Förde- berg die mit Unterstützung der Bundesstiftung Aufarbei- rung des Mahnmals“ betreut. Unterhaltungs- und Pflege- tung und gemeinsam mit dem Frauenkreis der ehemaligen kosten für Museum und Mahnmal trägt die Stadt Liebe- Hoheneckerinnen erarbeitete ständige Ausstellung „‘Ich rose. Wenngleich in der mittlerweile überarbeiteten dachte, es gibt draußen keine andere Welt‘. Frauen als Ausstellung nun auch an die in der DDR zu kommunisti- politische Gefangene in Hoheneck“ eröffnet. Es ist die schen Widerstandskämpfern umgedeuteten jüdischen Op- bundesweit einzige Ausstellung, die den Strafvollzug im fer erinnert wird, besteht weiterhin dringender Bedarf an zentralen Frauengefängnis der DDR dokumentiert. In der einer Kommentierung des in der Tradition des Antifa- Ausstellung lassen sich zwölf Zellentüren der ehemaligen schismus errichteten Mahnmals. Haftanstalt öffnen, hinter denen die Besucher über die Haftgründe und über die Haftbedingungen informiert Entstehung und Entwicklung werden. Ergänzend verdeutlicht eine Zelleninszenierung die Enge der Hafträume. Zum Gedenken an die Opfer des Speziallagers Nr. 6 wurde im Herbst 1995 östlich vom Bahnhof Lieberose Zeitzeugenarbeit (Jamlitz) bei den dort lokalisierten Massengräbern ein Waldfriedhof eingeweiht, der auf dem Gebiet der Ge- Der Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen führt meinde Schenkendöbern liegt. Er wird durch die Initiativ- mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Büro gruppe Internierungslager Jamlitz e.V. betreut. Für die Leipzig jährlich ein Treffen in Stollberg durch, in dessen Friedhofspflege werden nach dem Gräbergesetz Mittel Verlauf auch Zeitzeugengespräche in Schulen durchge- durch das Brandenburgische Ministerium des Innern be- führt werden. reitgestellt. Die Evangelische Kirchengemeinde Liebe- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77 – Drucksache 17/12115 rose ist Träger von Dokumentationsstätten zur Geschichte den zwischen 1960 und 1981 alle in der DDR verhängten sowohl des KZ-Außenlagers wie des Speziallagers. Mit Todesurteile zentral vollstreckt. Die Räume sind weitge- Förderung des Brandenburgischen Ministeriums für Wis- hend im originalen Zustand erhalten geblieben. Bis 2002 senschaft, Forschung und Kultur wurden im Jahr 2003 befand sich hier eine Strafvollzugseinrichtung. Der Haft- zwei separate Freilichtausstellungen auf dem ehemaligen trakt im Innenhof des Komplexes wurde inzwischen ab- Lagergelände in enger Kooperation mit der Stiftung gerissen; heute ist das Gebäude Gerichtssitz. Brandenburgische Gedenkstätten, dem Zentralrat der Ju- den in Deutschland und der Initiativgruppe Jamlitz erar- Entstehung und Entwicklung beitet. Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. ist Träger der Gedenk- stätte mit dem Museum in der „Runden Ecke“ und dem Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit Museum im Stasi-Bunker. dem Museum im Stasi-Bunker, Leipzig In der Nacht der Besetzung der Bezirksverwaltung der Die historischen Orte Staatssicherheit wurde das Bürgerkomitee Leipzig ge- Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. betreut drei historisch gründet. Neben der Auflösung des MfS und der Siche- bedeutsame Orte im Raum Leipzig: rung der Akten stand immer auch die Aufklärung der Öf- fentlichkeit über die Funktionsweise der SED-Diktatur im Die „Runde Ecke“ Mittelpunkt der Bemühungen. Mit Objekten und Doku- menten aus den sichergestellten Archiven und den Er- Nach der Befreiung Leipzigs 1945 bezog die US-Armee kenntnissen aus den Befragungen der Stasi-Offiziere erar- für wenige Monate im Gebäude der „Runden Ecke“ – der beitete der Verein die deutschlandweit erste Ausstellung Name entstand aus der architektonischen Besonderheit über die Staatssicherheit. In den folgenden Jahren hat sich des abgerundeten Eckgebäudes – Quartier. Anschließend eine Gedenkstätte entwickelt, die in einem Gebäude mit nutzten das sowjetische NKWD und der MfS-Vorläufer wechselvoller Geschichte über die kommunistische Dik- „K5“ die Liegenschaft. 1950 wurde das Gebäude Sitz der tatur aufklärt. Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und blieb es bis 1989. Im Januar 1990 wurde außerdem die Ausweichführungs- stelle des Leiters der Bezirksverwaltung in Machern bei Die „Runde Ecke“ bildete in Leipzig 40 Jahre lang das Leipzig entdeckt und deren weitere beziehungsweise er- Symbol für die Unterdrückung durch die SED und die neute militärische Nutzung verhindert. Seit 1996 ist das flächendeckende Durchdringung der Gesellschaft mit Museum im Stasi-Bunker Teil der Gedenkstätte und bis- Misstrauen, psychischer, aber auch physischer Gewalt. lang einmal im Monat für Besucherverkehr geöffnet. Die Am 4. Dezember 1989 besetzten Leipziger Bürger im Kombination aus früherer Bezirksverwaltung und zuge- Anschluss an eine Montagsdemonstration friedlich die höriger Ausweichführungsstelle unter dem Dach einer Bezirksverwaltung für Staatssicherheit. Heute nutzt die Gedenkstätte ist einmalig. In beiden Einrichtungen befin- Außenstelle Leipzig des Bundesbeauftragten für die Un- den sich thematische Ausstellungen am authentischen Ort terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen in größtenteils original erhaltenen Räumen. Der ehema- DDR einen großen Teil des Gebäudes. lige Stasi-Bunker in Machern ist darüber hinaus weitge- hend original eingerichtet; das Außengelände ist ebenfalls Der Bunker in seinem ursprünglichen Zustand erhalten. In Machern, 30 km östlich von Leipzig, unterhielt der Eine dritte Stätte der Mahnung und des Gedenkens, die Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig vom Bürgerkomitee Leipzig betreut wird, ist die ehema- seine Ausweichführungsstelle (AFüSt). Sie liegt im Nah- lige zentrale Hinrichtungsstätte in der Leipziger Südvor- erholungsgebiet Lübschützer Teiche und war einst als stadt. Momentan ist die denkmalgeschützten Stätte nur an eine Ferienanlage des VEB Wasserversorgung und Ab- wenigen Tagen zu besichtigen. Das Bürgerkomitee arbei- wasserbehandlung Leipzig getarnt. Kern der Anlage ist tet jedoch gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsminis- der von 1968 bis 1972 gebaute Bunker. Im sogenannten terium der Justiz daran, sie künftig als justizgeschichtli- Spannungs- und Mobilmachungsfall hätten 120 Haupt- chen Erinnerungsort regelmäßig zugänglich zu machen. amtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit sowie zwei Ver- Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. betrachtet es als seine bindungsoffiziere des sowjetischen KGB ihre Tätigkeit vorrangige Aufgabe, die beschriebenen authentischen aus der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig, Orte für die Zukunft zu erhalten, für die Öffentlichkeit der „Runden Ecke“, nach Machern verlagert. Die AFüSt zugänglich zu machen und sie als Stätten der Mahnung, war ein heimlich geschaffener Komplex, durch den sich des Gedenkens und der Erinnerung, aber auch der politi- die Führungsriege des MfS ihren Machtanspruch im Fall schen Bildung zu etablieren. Es berücksichtigt dabei so- eines Ausnahmezustands zu erhalten gedachte. wohl museologische als auch gedenkstättenpädagogische Notwendigkeiten. Die zentrale Hinrichtungsstätte in der Leipziger Südvorstadt Für den Betrieb der Gedenkstätte erhält das Bürgerkomi- tee Leipzig e.V. eine institutionelle Förderung durch den In der Leipziger Südvorstadt, in abgetrennten Räumen Freistaat Sachsen und durch BKM – ausgereicht über die der Strafvollzugseinrichtung Alfred-Kästner-Straße, wur- Stiftung Sächsische Gedenkstätten – und von der Stadt Drucksache 17/12115 – 78 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Leipzig sowie für Projektförderungen u. a. von dem Kul- Forschung turraum Leipziger Raum und der Bundesstiftung Aufar- beitung. Ein weiterer Teil der Einnahmen besteht aus Zur Verbesserung seiner Arbeit befasst sich das Bürger- Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Entgelten. Insgesamt komitee auch immer wieder mit der Erforschung der besuchen weit über 100 000 Menschen im Jahr die Ge- SED-Diktatur und der Staatssicherheit. Diese ist beson- denkstätte oder kommen zu einer der rund 30 bis 40 Ver- ders im Zuge der geplanten Ausstellungsüberarbeitung anstaltungen. von großer Bedeutung und soll in den kommenden Jahren auf- und ausgebaut werden. Beim BStU laufen mehrere Forschungsanträge unter anderem zur Post- und Telefon- Ausstellung kontrolle, zur ehemaligen Ausweichführungsstelle, zu den Mobilmachungsplänen des MfS und zu den Themen Bereits im Frühjahr 1990 eröffnete das Leipziger Bürger- Opposition und Widerstand in Leipzig. Im Rahmen der komitee eine Sonderausstellung zu Struktur und Arbeits- Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen weise der Staatssicherheit auf dem Leipziger Sachsen- Revolution“ sind dazu bereits wesentliche Erkenntnisse platz. Wenige Monate später, ab dem 31. August 1990, gewonnen worden, die in den kommenden Jahren ver- wurde diese als Dauerausstellung „Stasi − Macht und Ba- vollständigt werden sollen. Zum Thema Todesstrafe in nalität“ in den originalen Räumen der ehemaligen MfS- der DDR laufen ebenfalls Anträge zur Akteneinsicht. Bezirksverwaltung gezeigt. In ihr informiert die Gedenk- stätte Museum in der „Runden Ecke” in einer Gesamt- schau über Strukturen, Geschichte und Arbeitsweise der Veranstaltungen Staatssicherheit. Das Bürgerkomitee Leipzig lädt regelmäßig zu Veranstal- tungen in die „Runde Ecke“ ein. Es beteiligt sich an Ver- Wie die Stadt 1989 zum Zentrum der Bürgerbewegung anstaltungsreihen wie „Leipzig liest“, der Museumsnacht wurde, erzählt seit dem 3. Oktober 2009 eine Sonderaus- und dem Tag des offenen Denkmals, organisiert Diskus- stellung. Mit originalen Flugblättern, Fotos von Demon- sionsabende mit Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und strationen, Plakaten und Dokumenten zeichnet die Schau Politikern und veranstaltet Konferenzen zu aktuellen The- die Entwicklung der Oppositionsgruppen nach und orien- men des Aufarbeitungsprozesses und beteiligt sich an Ar- tiert sich an den konkreten Aktionen des politischen Wi- beitsgruppen wie etwa der Initiative Herbst ´89 und Stol- derstandes in Leipzig im Jahr 1989. Zum 20-jährigen Ju- persteine Leipzig. Die Gedenkstätte Museum in der biläum der Deutschen Einheit beleuchtet die Ausstellung „Runden Ecke” hat sich mit zahlreichen Veranstaltungen die Entwicklung von den ersten freien Wahlen in der als Ort des aktuellen gesellschaftlichen und politischen DDR bis zur Wiedervereinigung 1990. Diskurses etabliert. Als Veranstaltungsort nutzt das Bür- Seit dem Herbst 2010 markiert eine Stelenausstellung gerkomitee den ehemaligen Stasi-Kinosaal, den es weit- „Orte der Friedlichen Revolution“ im Leipziger Stadt- gehend authentisch erhalten konnte. raum Punkte, an denen Aktionen stattfanden, die zum Neben Führungen durch die Dauerausstellung bietet das Sturz der SED-Diktatur und zum demokratischen Um- Bürgerkomitee regelmäßig den Stadtrundgang „Auf den bruch beitrugen (vgl. S. 107). Spuren der Friedlichen Revolution“ an. Dieser führt unter anderem zum Nikolaikirchhof, wo schon im Frühjahr ’89 Zum Themenkomplex Todesstrafe in der DDR hat die der Ruf nach Freiheit laut wurde, zum Augustusplatz, wo Gedenkstätte außerdem eine Werkausstellung entwickelt, im Herbst Massenkundgebungen stattfanden, und zum die in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ zu Leipziger Ring entlang der Marschroute der Demonstra- sehen ist. tionen.

Sammlung Bildungsarbeit Die Gedenkstätte hat sich in den vergangenen Jahren zu Besonders jungen Menschen, die die DDR nicht mehr aus einem Fachmuseum für das Thema Staatssicherheit ent- eigenem Erleben kennen, wird die Geschichte der SED- wickelt. Sie verfügt über eine Sammlung mit mehr als Diktatur und deren friedlicher Überwindung altersgerecht 40 000, zum Teil einzigartigen Objekten und hat fast und anschaulich am authentischen Ort vermittelt und die 2 000 davon in einer Online-Datenbank einer breiten Öf- Bedeutung der Werte Freiheit und Demokratie verdeut- fentlichkeit zugänglich gemacht. Die umfassende Samm- licht. Die „Runde Ecke“ hat sich in den letzten Jahren als lung zum Thema Staatssicherheit wird fortlaufend er- außerschulischer Lernort etabliert. Für zahlreiche Schu- schlossen. Zahlreiche Objekte und Exponate sind bereits len und Jugendeinrichtungen gehört ein Besuch in der fachgerecht gelagert und inventarisiert, sodass sie für eine „Runden Ecke“ zum Standardprogramm und stößt bei museale Nutzung zur Verfügung stehen. Bei der Inventa- den Jugendlichen selbst auf positive Resonanz. Ein Be- risierung kommen den Gedenkstättenmitarbeitern die Er- such in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ kenntnisse aus der Akteneinsicht beim BStU zugute, die gehört in vielen Leipziger Schulen zum Lehrplan. Die nach Möglichkeit kontinuierlich erfolgt. Die Sammlung meisten Klassen kommen zu einer Führung durch die der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Dauerausstellung. Auf Wunsch bietet die Gedenkstätte Museum im Stasi-Bunker wird außerdem gezielt vervoll- zusätzlich dazu Gespräche bzw. Rundgänge mit themati- ständigt. schem Schwerpunkt an. Einige Schülergruppen gestalte- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 79 – Drucksache 17/12115 ten auch ihre Projekttage im Haus. Zusätzlich bewirbt die der DDR durch die Justiz, die Deutsche Volkspolizei und Gedenkstätte ein neues museumspädagogisches Angebot das MfS aus politischen Gründen Verfolgten und Inhaf- „Schüler führen Schüler“. Es handelt sich dabei um eine tierten. Sie gehört zu den wenigen Gedenkstätten in ehe- durch Arbeitsmaterialien gestützte Führung durch die maligen MfS-Haftanstalten, in denen u. a. das im Original Dauerausstellung, bei der die Schüler zunächst einen belassene Hafthaus und die „Freistundenzellen“ in die Überblick erhalten, im zweiten Teil dann selbst aktiv wer- Bildungsarbeit einbezogen werden können. Im Vorder- den und sich anhand dieser Arbeitsmaterialien und der haus (früheres Vernehmergebäude) sind ein Vernehmer- Ausstellung mit der Thematik beschäftigen, ihr Wissen raum, der Besucherkeller und der Flur im authentischen darüber vertiefen und am Ende jeweils einen Teil der Zustand zu besichtigen. Dauerausstellung ihren Mitschülern präsentieren. Im Rahmen von Führungen, Projekttagen, der Präsenta- Daneben bietet das Bürgerkomitee für fremdsprachige tion von Ausstellungen, der Durchführung von Veranstal- Schulklassen Führungen an. Außerdem wurden die seit tungen und der Erstellung von Publikationen schafft die 2008 etablierten Audioguide-Führungen jugendgerecht Gedenkstätte für Schüler und Erwachsene Angebote auf überarbeitet und erweitert. Sie sind nun in deutscher, eng- dem Gebiet der politischen Bildung. Die Arbeit in der lischer, französischer und italienischer Sprache möglich. Gedenkstätte trägt dazu bei, durch Forschung und histo- risch-politische Bildung über Strukturen, Wirkungsme- Die Gedenkstätte Moritzplatz, Magdeburg chanismen und Auswirkungen der Diktatur in der Sowje- tischen Besatzungszone/DDR aufzuklären und ein Der historische Ort würdevolles Gedenken an die Opfer politischer Gewalt- Das im Jahre 1876 errichtete Gefängnis am Moritzplatz herrschaft zu ermöglichen. Traditionell verstehen sich die nutzten von 1945 bis 1956 die ostdeutsche Justiz und die Mitarbeiter der Gedenkstätte jedoch auch als Ansprech- Deutsche Volkspolizei als „Untersuchungshaftanstalt partner für ehemalige politische Häftlinge, beraten diese Magdeburg-Neustadt“.1958 übernahm das Ministerium u. a. in ihrem Ringen um die Anerkennung der Folgen ih- für Staatssicherheit der DDR die Einrichtung als Untersu- rer Inhaftierung und zeichnen ihre Lebensberichte auf. chungshaftanstalt für den Bezirk Magdeburg. Unter men- Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Gedenkstätte mehre- schenunwürdigen Bedingungen inhaftierte es hier über ren Vereinen Räume zur Verfügung gestellt, sowohl Op- 4 000 Männer und Frauen, viele wegen „versuchter Repu- ferverbänden als auch Vereinen, die sich mit Menschen- blikflucht“. Das MfS versuchte ihnen „Geständnisse“ ab- rechtsverletzungen beschäftigen. Noch heute hat der zupressen, auf Grund derer sie als angebliche Staats- Landesverband Sachsen-Anhalt der Vereinigung der Op- feinde zu langen Haftzeiten verurteilt wurden. Wie schon fer des Stalinismus seinen Sitz in der Gedenkstätte. Des am 17. Juni 1953 forderten Demonstranten auch während Weiteren befindet sich seit 1992 das Dokumentationszen- der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 die Freilas- trum des Bürgerkomitees Sachsen-Anhalt e.V. im Gebäu- sung der politischen Gefangenen. Im Dezember 1989 ent- dekomplex der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftan- ließ das MfS die letzten Häftlinge. stalt am Moritzplatz. Entstehung und Entwicklung Ausstellung Im März 1990 bot sich Tausenden von Interessierten erst- malig die Möglichkeit, den Gebäudekomplex der ehema- Seit Juni 2004 wird die Ausstellung des Bundesjustizmi- ligen Untersuchungshaftanstalt in Magdeburg zu besichti- nisteriums „Im Namen des Volkes? Über die Justiz im gen und sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, unter Staat der SED“ in der obersten Etage des Zellentrakts welchen Bedingungen der von der SED gesteuerte Ge- dauerhaft präsentiert und in die politische Bildungsarbeit heimdienst mitten im Stadtgebiet Magdeburgs seit Jahr- einbezogen. Die neue Dauerausstellung „Grundsätzlich zehnten vermeintliche Staatsfeinde in Haft gehalten hatte. kann von jedem Beschuldigten ein Geständnis erlangt werden“ und „Die Untersuchungshaftanstalt Magdeburg- Schon damals wurde die Forderung erhoben, dass dieser Neustadt 1945 bis 1989“ wurde im Januar 2012 eröffnet. Ort eine Gedenkstätte werden müsse. Im Herbst 1990 Sie gibt in zwölf Räumen im Zellentrakt und im Erdge- zeigten das Bürgerkomitee Magdeburg und Memorial schoss des Vorderhauses einen Überblick über die Ge- Magdeburg e.V. die Ausstellung „Stasi in Magdeburg“, schichte des Hauses und die politische Verfolgung durch die in sechs Wochen 23 000 Besucher zählte. Im Dezem- die ostdeutsche Justiz, die Deutsche Volkspolizei und das ber 1990 beschloss die Stadtverordnetenversammlung am MfS im ehemaligen Bezirk Magdeburg. Sie lässt dabei historischen Ort eine Gedenkstätte einzurichten. – über Medienstationen – besonders ehemalige politische Angebunden war die Gedenkstätte an die Städtischen Häftlinge zu Wort kommen. Die Erstellung der neuen Museen Magdeburg. Das Land Sachsen-Anhalt übernahm Dauerausstellung wurde von BKM und dem Innenminis- 1994 mittels Verwaltungsvereinbarung mit der Kommune terium des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. die Trägerschaft und finanzierte die Gedenkstätte bis ein- schließlich 2006 zu 95 Prozent. Seit 2007 ist die Stiftung Zeitzeugenarbeit Gedenkstätten Sachsen-Anhalt Trägerin der Einrichtung. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Gedenkstätte Die Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg erinnert an die und dem im Haus ansässigen Landesverband der VOS be- während der Sowjetischen Besatzungsherrschaft und in steht nicht nur in der engen inhaltlichen Kooperation, Drucksache 17/12115 – 80 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode sondern auch in der Einbindung von Mitgliedern des der Anlage zudem auch namentlich an die Verstorbenen VOS als Zeitzeugen in die Bildungsarbeit der Gedenk- erinnert. Im Mai 2012 wurde mit der Unterstützung des stätte. Darüber hinaus engagieren sich auch andere ehe- Landes eine Freiluftausstellung eingeweiht, die über malige politische Häftlinge als Zeitzeugen. Besucher- sämtliche historische Schichten des ehemaligen Lagerge- gruppen nehmen in der Regel nach Führungen bzw. im ländes informiert. Rahmen von Projekttagen die Möglichkeit eines Gesprä- ches mit einem oder mehreren Zeitzeugen wahr. Die Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen − Sowjetisches Speziallager Nr. 9, Neubrandenburg Bildungsarbeit Der historische Ort Seit Beginn der Gedenkstättenarbeit ist die Zahl der ange- meldeten Gruppenführungen stetig gewachsen. Waren es In Neubrandenburg entstand 1939 auf dem Gelände der zu Beginn eher Gruppen von Erwachsenen, hat sich dies dortigen Wehrmachtskaserne ein Kriegsgefangenenlager. bereits Mitte der 1990er Jahre immer mehr dahingehend Dieses wurde am 28. April 1945 durch die Rote Armee gewandelt, dass die Gedenkstätte von vielen Schulen aus befreit. Von Mai bis September 1945 dienten das ehema- der Region als außerschulischer Lernort genutzt wird. Es lige Kriegsgefangenenlager und die Kasernen zur Unter- werden ca. 250 bis 300 Gruppenführungen pro Jahr bringung befreiter Kriegsgefangener, Zwangsarbeiter und durchgeführt, davon ca. 75 Prozent für Schüler. Dies ist KZ-Häftlinge, die auf ihre Rückkehr in die Heimat warte- eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Gedenkstätten ten. Im Juni 1945 begannen die sowjetischen Sicherheits- in der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt. Die Mitar- organe, in den Baracken des Kriegsgefangenenlagers beiter der Gedenkstätte und des Dokumentationszentrums deutsche Internierte einzusperren. So entstand das Spezi- arbeiten fortlaufend daran, die Angebote für Schüler zu allager Nr. 9. Ungefähr 15 000 Menschen sind bis zur verbessern. Es gibt ein breites Spektrum an möglichen Auflösung des Speziallagers hier interniert worden. Auf- Projekttagen, Arbeit mit Akten über Verfolgungsschick- grund der katastrophalen Lebensbedingungen verstarben sale, Arbeit in der neuen Dauerausstellung, in der Aus- über 4 700 Internierte, 5 400 wurden entlassen, über stellung „Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat 3 500 in andere Speziallager verlegt, andere kamen in der SED“ sowie in den Sonder- und Wanderausstellungen sowjetische Zwangsarbeitslager oder zur Verurteilung vor der Gedenkstätte und des Bürgerkomitees. Besonderer ein Sowjetisches Militärtribunal. Am 4. November 1948 Wert wird seit Jahren auf Lehrerfortbildungen gelegt, zu verließen die letzten 179 Internierten das Lager, im Ja- verschiedensten Themen finden pro Jahr mehrere solcher nuar 1949 wurde seine Existenz offiziell für beendet er- Veranstaltungen statt. klärt. Zu DDR-Zeiten wurde ausschließlich an die Geschichte Die Gedenkstätte Mühlberg − Sowjetisches des Kriegsgefangenenlagers erinnert, 1961 eine Gedenk- Speziallager Nr. 1 anlage an den Gräbern der Kriegsgefangenen errichtet; Der historische Ort die Einzelgräber wurden eingeebnet und ein symbolischer Glockenturm errichtet. Die Gedenkstätte gehörte ab 1979 Nach der Befreiung am 23. April 1945 durch die Rote Ar- zu einem Sperrgebiet und fand als Truppenübungsplatz mee wurde das ehemalige nationalsozialistische Kriegs- Verwendung. Die Nationale Volksarmee (NVA) nutzte gefangenlager zunächst für die Rückführung von „Ost- das Gelände bis 1990. arbeitern“ und gefangen genommenen Angehörigen der 9 „Wlassow-Armee“ genutzt. Im September 1945 über- Entstehung und Entwicklung nahm das sowjetische NKWD das Lager und baute es zum Speziallager Nr. 1 aus. Bis 1948 wurden hier über Mitarbeiter des Regionalmuseums Neubrandenburg ent- 21 000 Menschen festgehalten. Von ihnen überlebten deckten im März 1990 erste Massengräber mit den Toten etwa 7 000 die Gefangenschaft nicht. Sie wurden in Mas- des Speziallagers. Der Fund stieß eine Debatte über das sengräbern am Rande des Geländes begraben. Lager an, ein öffentliches Gedenken an die Toten wurde erstmals möglich. Zu Ostern 1990 fand die erste Gedenk- Entstehung und Entwicklung veranstaltung auf dem sogenannten Südfriedhof statt. Im April 1991 gründeten ehemalige Internierte und Hinter- Der Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V. ist es zu verdan- bliebene die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen, die zur ken, dass die Geschichte des Speziallagers nicht in Ver- treibenden Kraft für die Neugestaltung der Gedenkstätte gessenheit geraten ist. Mit Unterstützung des Branden- und die Erinnerungsarbeit wurde. 1993 konnte die neu burgischen Ministeriums des Innern und des zuständigen gestaltete Mahn- und Gedenkstätte eingeweiht werden. Landrats wurde eine Gräber- und Gedenkstätte errichtet, Neben dem Friedhof der Kriegsgefangenen sind zwei in welcher der Opfer mit einem Hochkreuz gedacht wird. Friedhöfe für die Gefangenen im Speziallager markiert. Auf der Grundlage neuerer Forschungen wird seit 2008 in 1999 konnten auf dem Südfriedhof 59 Bronzetafeln mit den Namen von 5 169 Toten der Öffentlichkeit übergeben werden. Im Jahr 2000 erwarb die Stadt Neubrandenburg 9 In ihr kämpften ab Ende 1944 auf deutscher Seite als „russische Be- freiungsarmee“ des ehemaligen Generalleutnants Andrej A. Wlassow vom russischen Staatsarchiv über 100 einzigartige Fotos (1901 bis 1946) Freiwillige, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, russi- vom sowjetischen Speziallager, die zu Propagandazwe- sche Emigranten und andere. cken aufgenommen worden waren. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 81 – Drucksache 17/12115

Bildungsarbeit Weesow, dem Landratsamt und dem Ministerium des In- nern des Landes Brandenburg Informationstafeln zur Ge- Die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen bietet Zeitzeugenge- schichte des Speziallagers Nr. 7 und zum Gedenken an spräche und Führungen über das Gelände der Gedenk- die Häftlinge an. stätte an. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs Neubranden- burg begleiten Projekttage oder -wochen fachlich. Im 1993 übernahm die Stiftung Brandenburgische Gedenk- Archiv können umfangreiche Materialien zur Geschichte stätten die Verantwortung für Sachsenhausen. Die zu glei- der Lager eingesehen werden. Das Regionalmuseum chen Teilen vom Land Brandenburg und dem Bund finan- Neubrandenburg präsentiert eine kleine Ausstellung zur zierte Stiftung begann mit der Neukonzeptionierung der Geschichte der Lager. ehemaligen Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR. Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen − Im Dezember 2001 wurde in der Gedenkstätte Sachsen- Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1, Oranienburg hausen ein zur Geschichte des sowjeti- Der historische Ort schen Speziallagers Nr. 7/Nr. 1 eröffnet. Stiftung, Bund und Land waren übereingekommen, die ursprünglich für Als Modell- und Schulungslager in unmittelbarer Nähe das Jahr 2007 vorgesehene Eröffnung vorzuziehen. Dies der Reichshauptstadt Berlin nahm das KZ Sachsenhausen geschah sowohl im Interesse der sich im vorgerückten Al- bei Oranienburg eine Sonderstellung im System der na- ter befindenden ehemaligen Häftlinge als auch mit der tionalsozialistischen Konzentrationslager ein. Zwischen Absicht, die bislang unbekannte Lagergeschichte früher 1936 und 1945 hielten die Nationalsozialisten hier über in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Bereits 200 000 Menschen gefangen. Viele Gefangene wurden 1990 hatten ehemalige Häftlinge einen Gedenkstein an von der SS (Schutzstaffel) ermordet, fielen der Devise der nordöstlichen Lagermauer errichtet, wo sich ein noch „Vernichtung durch Arbeit“ in den umliegenden Rüs- erkennbarer Durchgang zwischen der „Zone I“ und der tungsbetrieben zum Opfer oder kamen durch die katastro- „Zone II“ des Speziallagers befand. Ebenfalls nach 1990 phalen Haftbedingungen um. Das Lager wurde im April errichtete das Ministerium des Innern in Abstimmung mit 1945 evakuiert, kurz bevor es von sowjetischen und pol- der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 bis nischen Truppen am 22./23. April befreit wurde. 1950 e.V. eine Gedenkanlage im Schmachtenhagener Nach Kriegsende errichtete das sowjetische NKWD in Forst, an der Düne und am Kommandantenhof, weiteren dem geräumten nationalsozialistischen KZ Sachsenhausen Fundorten von Massengräbern aus der Zeit des sowjeti- das größte Speziallager der sowjetischen Besatzungszone. schen Speziallagers. Im Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen waren insgesamt bis zu 60 000 Menschen inhaftiert. Dieses Lager befand sich Ausstellung bereits seit April 1945 in Weesow (Landkreis Barnim), wo einige Bauernhöfe als Lager geräumt worden waren. Im Vor dem Hintergrund der Geschichte des KZ und des August 1945 wurde das Speziallager Nr. 7 auf das Gelände Speziallagers Sachsenhausen kommt der geschichtspoliti- des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Sachsen- schen Instrumentalisierung der NS-Geschichte in der hausen verlegt, im Sommer 1948 in „Speziallager Nr. 1“ DDR eine wesentliche Bedeutung zu. Unmittelbar nach umbenannt. Mindestens 12 000 Menschen starben in Folge Kriegsende setzten sich Überlebende der Konzentrations- der unmenschlichen Haftbedingungen. lager für ein würdiges Gedenken an ihre Kameraden ein. In den Lagern selbst war dies teilweise nicht möglich, Nach der Auflösung des Speziallagers im August 1950 weil beispielsweise Sachsenhausen und Jamlitz als sowje- wurden die Überlebenden von der Militärverwaltung ent- tische Speziallager weiter genutzt wurden. Zeichneten lassen, in die Sowjetunion deportiert oder zur Verurtei- sich diese frühen Gedenkformen noch durch einen Plura- lung durch Sondergerichte der DDR übergeben. Zwi- lismus aus, der sich nicht ausschließlich auf den kommu- schen 1950 und 1956 nutzte die Kasernierte Volkspolizei nistischen Widerstandskampf gegen den Nationalsozialis- bzw. die Nationale Volksarmee das Gebäude und zerstörte mus bezog, wurde das Gedenken an die NS-Verfolgten im einen großen Teil der KZ-Anlage, unter anderem das Kre- weiteren Verlauf der Geschichte für die Herrschaftsstabi- matorium und die Vernichtungsstation Z. Im Jahr 1961 lisierung der SED instrumentalisiert. In der Gedenkstätte wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsen- Sachsenhausen ist die Dauerausstellung „Von der Erinne- hausen auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes ein- rung zum Monument“ Bestandteil des dezentralen Ge- geweiht, die an die KZ-Verbrechen erinnerte und die samtkonzepts. Ihre Themen sind die Entstehungsge- DDR als das bessere, antifaschistische Deutschland prä- schichte und die geschichtspolitische Bedeutung des sentierte. Zuvor hatten die Planer abermals zahlreiche „Museums des antifaschistischen Befreiungskampfes der Gebäude abreißen lassen und das Gelände zum Land- europäischen Völker“. Die von den Architekten und Ge- schaftspark umgestaltet. Der in der DDR allgemein ver- staltern der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte auf breitete Mangel an Baumaterialien führte dazu, dass die Anweisung des ZK (Zentralkomitee) der SED vorgenom- Mahnmale und Museen bis 1990 in erschreckendem menen erheblichen baulichen Überformungen und Verän- Maße verkamen. derungen in der Lagertopografie werden anhand von Fotos, Plänen, Modellen, weiteren Dokumenten und fil- Entstehung und Entwicklung mischen Ausschnitten erläutert. Überlebende des Speziallagers Weesow und ihre Angehö- Am 17. April 2011 wurde darüber hinaus die Sonderaus- rigen brachten 1992 gemeinsam mit der Gemeinde stellung „Sachsenhausen mahnt“ eröffnet. Sie beleuchtet Drucksache 17/12115 – 82 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode die Einweihung der Gedenkstätte 1961 im zeitgeschichtli- die Dienst- und Wohnräume des leitenden Pfarrers, die chen Kontext, der vom Eichmann-Prozess, einer wach- Wohnräume der Vikarin sowie die Redaktion der evange- senden Flüchtlingsbewegung aus der DDR und dem Mau- lischen Zeitung „Der Bote“. Nach der Potsdamer Konfe- erbau geprägt war. renz wurde das Pfarrhaus 1945 wie alle anderen in diesem Teil der Nauener Vorstadt liegenden 100 Häuser von der Am 20. April 2012 wurden die neugestalteten Freiflächen sowjetischen Militäradministration requiriert und zum der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, in denen die nicht Sperrgebiet „Militärstädtchen Nr. 7“ umgewandelt. mehr vorhandenen rund 70 Baracken des ehemaligen KZ im Boden markiert wurden, vom Beauftragten der Bun- Die sowjetische Spionageabwehr Smersch baute das desregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Haus Leistikowstraße 1 zum zentralen Untersuchungs- Bernd Neumann, der Öffentlichkeit übergeben. und Durchgangsgefängnis um. Im Keller, im Erdgeschoss und im Ostflügel entstanden 36 Haftzellen. Im Untersu- Bildungsarbeit chungsgefängnis waren bis Mitte der 1950er Jahre nach bisherigen Schätzungen 900 bis 1 200 Menschen ohne je- Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten bietet in des rechtsstaatliche Verfahren und unter unmenschlichen der Gedenkstätte/Museum Sachsenhausen an den Wo- Bedingungen inhaftiert, für die Zeit danach können keine chenenden in unregelmäßiger Folge Führungen zu spe- Angaben über Häftlingszahlen gemacht werden. Der Mi- ziellen Aspekten aus der Geschichte des KZ Sachsenhau- litärgeheimdienst hielt zunächst Deutsche und Sowjetbür- sen sowie zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers ger fest, von 1954 bis 1983 ausschließlich sowjetische an. Im Rahmen von Projekten befassen sich Schüler und Militärangehörige und Zivilangestellte der in Deutsch- Jugendliche mit verschiedenen Themen zur Geschichte land stationierten Truppen der Sowjetarmee. des Konzentrationslagers Sachsenhausen und des sowjeti- schen Speziallagers Nr. 7/Nr.1. Die Schwerpunkte wer- Der sowjetische Geheimdienst überstellte die Inhaftierten den zuvor im Hinblick auf das Alter der Teilnehmer und nach ihrer Verurteilung durch ein Militärtribunal – zum den Schultyp abgestimmt. Nach dem Selbstverständnis Vorwurf „konterrevolutionärer Aktivitäten“ im Sinne des der Gedenkstätte als aktiver und offener Ort des „entde- Artikels 58 des russischen Strafgesetzbuches vgl. S. 63 – ckenden Lernens“ sollen die Teilnehmer angeregt wer- entweder direkt in eines der berüchtigten Lager des GU- den, sich am historischen Ort selbstständig und eigenver- Lag in die Sowjetunion oder in eines der zehn in der antwortlich mit den Erfahrungen von Terror, Diktatur, sowjetischen Besatzungszone befindlichen Speziallager Totalitarismus, Rassismus und staatlichem Massenmord wie Torgau oder Sachsenhausen. Das Gefängnisgebäude auseinander zu setzen. Dabei beschäftigen sie sich auch wurde seit Mitte der 1980er Jahre als Materiallager ge- mit aktuellen Formen von Ausgrenzung, Rassismus, nutzt. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Während des Projekttages, der eine intensive Vor- und Nachberei- Nach dem Abzug der russischen Truppen im Jahr 1994 tung erfordert, bearbeiten die Schüler in verschiedenen konnte der EKH das Gebäude und das Grundstück wieder Einzelgruppen ausgewählte Aspekte der Geschichte des in seinen Besitz nehmen. Ortes. Sie benutzen vorbereitete Materialsammlungen, re- cherchieren in Ausstellungen und forschen in Bibliothek Entstehung und Entwicklung und Archiv. Sie führen Gespräche mit Überlebenden der Lager und nehmen an den themenspezifischen Führungen Um an die verübten Verbrechen zu erinnern und der Op- teil. fer zu gedenken, erarbeitete der Verein MEMORIAL In den Sommermonaten veranstaltete „Workcamps“, in Deutschland e.V. 1997 die im Jahr 2000 aktualisierte denen jungen Menschen aus verschiedenen Ländern zu- Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ und betreute sammen kommen, verbinden historisches Lernen mit ehrenamtlich die Einrichtung einer Gedenk- und Begeg- praktischen Pflege- und Erhaltungsarbeiten für den au- nungsstätte gemeinsam mit einem Förderverein. Bis 2008 thentischen Ort. In Fortbildungsveranstaltungen für Leh- wurde das Gebäude mit bedeutenden Mitteln des Bundes rer werden insbesondere die Lernangebote der Gedenk- und des Landes Brandenburg behutsam saniert. Im glei- stätte vorgestellt und diskutiert. Dabei wird auch das chen Jahr erfolgte der Neubau eines Besucherzentrums. Haus der entstehenden Internationalen Jugendbegeg- Am 5. Dezember 2008 wurde die Stiftung Gedenk- und nungsstätte Sachsenhausen, die ehemalige Dienstvilla des Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam errichtet. KZ-Inspekteurs, mit in die politische Bildungsarbeit ein- Stifter ist der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein. Die bezogen. rechtlich unselbstständige Stiftung wird durch die Stif- tung Brandenburgische Gedenkstätten treuhänderisch Die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte verwaltet, deren Aufgabe in der Gewährleistung des Ge- Leistikowstraße, Potsdam denkstättenbetriebs besteht. Mit einem „Tag der offenen Der historische Ort Tür“ am 29. März 2009 begann eine eingeschränkte Öff- nung des Hauses für Besucher. Mit der Realisierung der Das Haus Leistikowstraße Nr.1 in Potsdam wurde 1916 neuen Dauerausstellung wurde die Gedenkstätte am vom Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein (EKH) errich- 18. April 2012 von Ministerpräsident Matthias Platzeck tet. Bis 1945 beherbergte es die Verwaltungsräume der und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur von der EKH gegründeten „Evangelischen Frauenhilfe“, und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, endgültig Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 83 – Drucksache 17/12115 eröffnet. Diese wurde vom Bund mit 445 200 Euro und des Terrors“ wurde das Potsdamer „Haus der Demokra- dem Land Brandenburg mit 467 200 Euro finanziert. tie“.

In der Gedenkstättenkonzeption des Bundes wird der Entstehung und Entwicklung Stellenwert dieses Erinnerungsortes als Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung hervorgehoben. Seit 1995 befand sich die Gedenkstätte auf dem histori- BKM beteiligt sich an der institutionellen Förderung mit schen Anwesen mitten im Zentrum der brandenburgi- jährlich 134 000 Euro. schen Landeshauptstadt in der Trägerschaft des Potsdam- Museums. Seit 1. Januar 2012 wird die Einrichtung je- Schon vor Übernahme der treuhänderischen Verwaltung weils hälftig durch die Stadt Potsdam und das Land Bran- durch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wur- denburg gefördert. Anfang des Jahres 2013 erhält sie eine den Veranstaltungen sowie Ausstellungen durch ehren- neue Trägerschaft. amtlich tätige Vereine wie Memorial Deutschland e.V. und amnesty international durchgeführt und in der Ausstellung Leistikowstraße präsentiert. Darüber hinaus finden u. a. auch durch den Förderverein initiierte Zeitzeugengesprä- Verantwortet vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische che statt. Forschung wurden 2007 erste Bereiche einer Daueraus- stellung zu den Epochen „Sowjetisches Geheimdienstge- fängnis“ und „Stasi-Untersuchungsgefängnis“ eröffnet. Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer Das Gesamtkonzept der Darstellung der Geschichte des politscher Gewalt im 20. Jahrhundert, Potsdam Hauses Lindenstraße 54 sieht insgesamt fünf nacheinan- Der historische Ort der zu erarbeitende Ausstellungsmodule vor. Modul 1 be- zieht sich auf die Zeit von 1734 bis 1933, in Modul 2 wird Das Gebäude in der Lindenstraße 54 in Potsdam wurde die Geschichte der Haftanstalt in der NS-Zeit, die Ge- zwischen 1733 und 1737 im Barockstil des nahen Hollän- schichte des Erbgesundheitsgerichts sowie des Volksge- dischen Viertels erbaut. Seit 1817 befand sich auf dem richtshofs erläutert. Modul 3 widmet sich der Gefängnis- Grundstück eine Haftanstalt. Das nach Kriegsende 1945 geschichte von 1945 bis 1952, Modul 4 der Zeit bis 1989. von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmte Schließlich wird mit Modul 5 über die Zeit der Friedli- Gebäude in der Lindenstraße besaß bereits eine langjäh- chen Revolution und die Inbesitznahme des Hauses durch rige Geschichte als Ort der politischen Justiz in der Zeit Bürgerrechtler informiert. Die Module 3 und 4 wurden des Nationalsozialismus. Da die Haftanstalt von 1934 bis am 16. März 2012 eröffnet. 1944 als Gerichtsgebäude des Potsdamer Erbgesundheits- Die inhaltliche Arbeit der Gedenkstätte wurde in den ver- gerichts genutzt wurde, handelt es sich darüber hinaus um gangenen Jahren durch das Zentrum für Zeithistorische einen wichtigen Erinnerungsort der rassischen und soge- Forschung unterstützt und zum größten Teil aus Mitteln nannten sozialhygienischen Verfolgung, der „Euthana- der Bundesstiftung Aufarbeitung sowie durch Zuwendun- sie“. Noch bis 1945 wurde das Gebäude als Teil des gen des Brandenburger Ministeriums für Wissenschaft, „Volksgerichtshofs“ genutzt. Nach der Beschlagnahmung Forschung und Kultur sowie Spenden- und Sponsorengel- durch die sowjetische Besatzungsmacht im Sommer 1945 dern finanziert. Die Gedenkstätte kooperiert bei ihrer diente es als Untersuchungsgefängnis und Urteilsort sow- politisch-historischen Bildungsarbeit mit dem BStU. Die jetischer Militärtribunale. Während der nachfolgenden Vervollständigung der Ausstellungsmodule 3 und 4 – bei- sieben Jahre wurden in der Lindenstraße mehrere tausend spielsweise wurde 2011 ein neuer Ausstellungsteil mit Menschen inhaftiert und zu jahrzehntelangen Haftstrafen dem Titel „Flucht in den Westen“ sowie das Ausstel- oder zum Tod verurteilt. lungsmodul zum „Haus der Demokratie“ hinzugefügt – 1952 erfolgte die Übergabe des von den Häftlingen als und die Erarbeitung des Ausstellungsmoduls zur national- „Lindenhotel“ bezeichneten Gefängnisses an das Ministe- sozialistischen Geschichte sowie zur Vorgeschichte des rium für Staatssicherheit, das die Geschichte politischer Hauses seit 1737 werden dazu beitragen, die Gedenk- Justiz an diesem Ort bis zum Ende der DDR weiterführte. stätte noch weiter zu profilieren. Im Jahr 2011 besuchten Nun befand sich in der Lindenstraße das Untersuchungs- ca. 19 000 Interessierte die Gedenkstätte, die Ausstellun- gefängnis des MfS für den Bezirk Potsdam. Mehr als gen, die Schülerprojektwerkstatt und die Veranstaltungen. 6.200 Frauen und Männer waren an diesem Ort den men- schenrechtswidrigen Haftbedingungen und Verhörmetho- Die Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock den des Ministeriums für Staatssicherheit ausgesetzt. Erst Der historische Ort die von der Friedlichen Revolution des Herbstes 1989 er- zwungene Amnestie vom 27. Oktober 1989 beendete die Die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit wurde Inhaftierung aus politischen Gründen in der DDR. Die von 1958 bis 1960 auf dem Gelände der Bezirksverwal- letzten politischen Häftlinge des „Lindenhotels“ wurden tung des MfS in der Rostocker Innenstadt gebaut. Sie war vermutlich bis zum 11. November 1989 entlassen. Nach von Bürogebäuden der Bezirksverwaltung umgeben und dem Auszug des Staatssicherheitsdienstes Anfang 1990 auf diese Weise von außen weder zu erkennen noch ein- übernahmen die demokratischen Parteien und Bewegun- sehbar. In den etwa 50 Zellen auf drei Etagen konnten bis gen aus der Stadt und dem Bezirk Potsdam das „Linden- zu 110 Frauen und Männer gefangen gehalten werden. hotel“ als ihr erstes Arbeitsdomizil – aus einem „Haus Von 1960 bis zur Besetzung der MfS-Bezirksverwaltung Drucksache 17/12115 – 84 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Anfang Dezember 1989 waren hier rund 4 900 Untersu- lung stehen jeweils Biografien von Opfern der Verfol- chungshäftlinge inhaftiert. gung. Seit der offiziellen Eröffnung des Dokumentations- zentrums hat sich die Einrichtung zu einem Bildungs- und Entstehung und Entwicklung Lernort insbesondere für Schulklassen entwickelt. Die Dokumentations- und Gedenkstätte in der früheren Jährlich besuchen rund 200 Gruppen das Dokumenta- Untersuchungshaftanstalt in Trägerschaft des BStU ge- tionszentrum, davon mehr als 50 Prozent Schulklassen. hört seit 1998 zum Dokumentationszentrum für die Opfer Führungen durch das Haus allein bilden die Ausnahme, deutscher Diktaturen des Landes Mecklenburg-Vorpom- meist erschließen sich die Gruppen einzelne historische mern (siehe unten). Sie wurde im Oktober 1999 eröffnet Abschnitte und Biografien im Rahmen intensiver Stu- und bildet den inhaltlichen Kern für den BStU-Standort in dien- oder Projekttage. Rostock. Besucher können in der Dokumentations- und Gedenkstätte, genau wie in der Rostocker BStU-Außen- Das Dokumentations- und Informationszentrum stelle, Beratung zur Akteneinsicht, zu Fragen der Re- Torgau habilitierung und Wiedergutmachung, zu Forschungs- möglichkeiten und zu Angeboten der politischen Bildung Der historische Ort erhalten. Im Gebäude ist seit 1993 auch das Historische Mit den beiden Militärgefängnissen „Fort Zinna“ und Institut der Universität Rostock untergebracht. „Brückenkopf“ sowie dem Reichskriegsgericht, das im August 1943 von Berlin nach Torgau verlegt wurde, ent- Ausstellung wickelte sich die Stadt während des Zweiten Weltkriegs In der Dokumentations- und Gedenkstätte können der zur Zentrale des Wehrmachtjustizsystems. Nach dem Zellentrakt sowie die Originalzellen besichtigt werden. Ende des Krieges richtete das sowjetische NKWD im Bei Führungen sind darüber hinaus auch der sogenannte Fort Zinna und in der benachbarten Seydlitz-Kaserne die Freihof, die Dunkelzellen und ein Gefangenentransport- Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein. Im Lager Nr. 8 wurden wagen zu sehen. Deutsche interniert, im Lager Nr. 10 deutsche und sowje- tische Staatsbürger gefangen gehalten, die von sowjeti- Eine ständige Ausstellung informiert über den DDR- schen Militärtribunalen verurteilt worden waren. Die Staatssicherheitsdienst als wichtigste innere Stütze der DDR-Volkspolizei nutzte das Gefängnis Fort Zinna von SED-Herrschaft und die Haftbedingungen in der Untersu- 1950 bis 1990 für den Strafvollzug. In den fünfziger und chungshaftanstalt. Sonderausstellungen zu Themen der sechziger Jahren saßen hier insbesondere politische Ge- DDR-Geschichte ergänzen das Angebot. fangene ein. Bis 1975 wurden in Torgau auch jugendliche Strafgefangene inhaftiert. Das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Opfer  Entstehung und Entwicklung der Diktaturen in Deutschland, Schwerin Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Der historische Ort Torgau bildete die Hauptaufgabe des Fördervereins Do- Das von 1914 bis 1916 errichtete Justizgebäude am kumentations- und Informationszentrums Torgau e.V., der Demmlerplatz und das zugehörige Gefangenenhaus wa- 1991 gegründet wurde. Ziel war die Schaffung einer Ein- ren ab 1933 eingebunden in das System der Verfolgung richtung zur Dokumentation der Geschichte der Wehr- im Nationalsozialismus. Ab 1945 beherbergte das Ge- machtjustiz, der NKWD-Lager (Speziallager Nr. 8 in Fort bäude zunächst das sowjetische NKWD, ab Mitte der Zinna und Speziallager Nr. 10 in der Seydlitz-Kaserne) 1950er Jahre die Bezirksverwaltung des Ministeriums für und des DDR-Strafvollzugs in Torgau. Staatssicherheit. Das Gefangenenhaus diente bis 1989 als Untersuchungshaftanstalt des MfS. Der Förderverein, der öffentliche Gelder akquirieren konnte und durch Veranstaltungen die Aufmerksamkeit auf Torgau lenkte, zeigte 1995 eine erste Ausstellung zu Entstehung und Entwicklung den Themen Wehrmachtjustiz und Kriegsende in Torgau. Das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer Auf der Agenda stand als Thema eines Ausstellungsab- der Diktaturen in Deutschland in Schwerin arbeitet in schnittes des zu schaffenden Dokumentationszentrums Trägerschaft der Landeszentrale für politische Bildung. der Komplex DDR-Strafvollzug in Torgau von 1950 bis 1990. In den Anfangsjahren wurde auch das Thema Ge- Im Dokumentationszentrum zeigt eine dreiteilige Dauer- schlossener Jugendwerkhof Torgau bearbeitet. Hierzu ausstellung die Strukturen und Mechanismen der politi- entstand 1996 eine Wanderausstellung, die noch heute schen Verfolgung in den drei dokumentierten Perioden ausgeliehen wird. Seit 1998 besteht ein eigener Träger- („Strafrecht ist Kampfrecht!“ – Justiz und Terror in verein Initiativgruppe ehemaliger Geschlossener Jugend- Mecklenburg 1933 bis 1945/„Im Namen der Union der werkhof Torgau e.V. Sozialistischen Sowjetrepubliken!“ – Justiz und Besat- zungswillkür in MV 1945 bis 1949/53/„Gemeinsam für Am 1. April 1999 ging die Trägerschaft der vom Förder- den Schutz der Arbeiter- und Bauernmacht.“ – Staats- verein ins Leben gerufenen und konzipierten Gedenk- sicherheitsdienst und Justiz im Norden der DDR 1949 bis stätte DIZ Torgau auf die Stiftung Sächsische Gedenkstät- 1989). Im Mittelpunkt aller drei Teile der Dauerausstel- ten über. Der Bund gewährleistet durch BKM gemeinsam Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85 – Drucksache 17/12115 mit dem Freistaat Sachsen durch eine anteilige institutio- wichtigen Ansatzpunkt für die Bildungsarbeit stellen Bio- nelle Förderung die Arbeit des DIZ als Einrichtung mit grafien von ehemaligen Gefangenen dar. Außerdem wer- einer „doppelten“ Vergangenheit. Auch die Sammlung den regelmäßig Abendveranstaltungen mit Lesungen, und die ständige Ausstellung „Spuren des Unrechts“ mit Vorträgen, Zeitzeugengesprächen und Filmvorführungen den beiden bereits fertig gestellten Teilen zur NS-Wehr- angeboten sowie Wander- und Sonderausstellungen ge- machtjustiz und zu den NKWD-Speziallagern wurde von zeigt und Fortbildungen durchgeführt. der Stiftung Sächsische Gedenkstätten übernommen. Räumlichkeiten für die ständige Ausstellung sowie für Im Schuljahr 2011/12 setzte der Freistaat Sachsen erst- Veranstaltungen, Sammlungen und Büros konnten nach mals einen Gedenkstättenlehrer ein. In einem Pilotprojekt Umbaumaßnahmen mit finanzieller Unterstützung des mit dem DIZ Torgau wurden weitere Möglichkeiten der Freistaats Sachsen im Herbst 2003 im Flügel B von Bildungsarbeit mit Schülern ausgelotet und erprobt. Schloss Hartenfels bezogen werden. Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Die historischen Orte standen und stehen wegen ander- Torgau weitiger Nutzung nicht für das DIZ Torgau zur Verfü- gung. Der zuallererst in Frage kommende zentrale Haftort Der historische Ort Fort Zinna dient auch weiterhin als Justizvollzugsanstalt. Der 1901 erbaute und später mehrfach veränderte Gebäu- Dort konnte im Mai 2010 – nach fast achtzehnjährigem dekomplex diente bis zu seiner Übernahme durch die Ju- Vorlauf – ein Gedenkort der Öffentlichkeit übergeben gendhilfe der DDR als Gefängnis, der Verwaltungstrakt werden, der auf einem Areal, aber in zwei voneinander als Gerichtsgebäude. Die Jugendhilfe nutzte die Anlage getrennten Bereichen, an unterschiedliche historische Er- als einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof der DDR, eignisse erinnert. Die beiden Gedenkbereiche (für die eine Disziplinierungsanstalt, die direkt dem Ministerium Opfergruppen vor und nach 1945) sind jeweils durch Na- für Volksbildung (MfV) und damit Margot Honecker un- turstein-Bodenbelag charakterisiert und durch korrespon- terstand. Während seines Bestehens vom 1. Mai 1964 bis dierende Gedenksteine und Informationstafeln miteinan- zum 11. November 1989 wurden über 4 000 Jugendliche der verbunden. Zugleich sind sie durch Farbigkeit des im Alter zwischen 14 und 18 Jahren zur „Anbahnung ei- Steins, durch Textur und Geometrien der Bodenflächen nes Umerziehungsprozesses“ eingewiesen, die in anderen sowie durch eine Hainbuchenhecke voneinander unter- staatlichen Erziehungseinrichtungen negativ aufgefallen schieden. waren. Doch hatten sie weder Straftaten begangen, noch gab es eine richterliche Anordnung für die Einweisung. Ausstellung Disziplin und paramilitärischer Drill sollten eine Verän- Die ständige Ausstellung des DIZ Torgau „Spuren des derung ihres Verhaltens bewirken, vor allem sollten sie Unrechts“ informiert über die Geschichte Torgauer die Bereitschaft, sich den „sozialistischen Lebensnor- Haftorte während des Nationalsozialismus, der sowjeti- men“ unterzuordnen, erhöhen. Äußerlich glich der Ge- schen Besatzung und der DDR. Mit Dokumenten, Fotos, schlossene Jugendwerkhof Torgau mit seinen hohen Biografien und Video-Interviews stellt die Ausstellung Mauern, den Wachtürmen, den Diensthunden und den Torgaus Rolle als Zentrale des Wehrmachtstrafsystems, vergitterten Fenstern einem Gefängnis. die Geschichte der sowjetischen Speziallager Nr. 8 und 1996 verkaufte die Treuhand-Liegenschaftsverwaltung Nr. 10 und des DDR-Strafvollzugs in Torgau dar. Der ab- die damals seit 1990 leer stehende Immobilie an einen schließende Ausstellungsteil „Heute: Haus der Erziehung – privaten Investor. Der Strafvollzug der DDR in Torgau 1950 bis 1990“ wurde 2004 fertig gestellt. Entstehung und Entwicklung Sammlung Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof (GJWH) Torgau ist bundesweit der einzige Erinnerungsort, der Das Archiv des DIZ Torgau umfasst zum Bereich DDR- sich mit den repressiven Machtstrukturen des Bildungs- Strafvollzug überwiegend personenbezogene Akten und und Erziehungssystems der SED-Diktatur auseinander- Berichte von Häftlingen der Strafvollzugsanstalt Torgau. setzt und an das Schicksal zehntausender Opfer, denen in Es handelt es sich um Kopien aus öffentlichen Archiven ihrer Kindheit und Jugend das Recht auf Freiheit und und Dokumente aus Privatbesitz. Menschenwürde genommen wurde, erinnert.

Bildungsarbeit Mit der Ausschreibung und dem Verkauf der Liegen- schaft gründete sich im November 1996 die Initiativ- Zu den Zielen der pädagogischen Arbeit zählt zunächst gruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V. mit die Vermittlung von Informationen zur Geschichte dem Ziel, am authentischen Ort die Geschichte des Ge- Torgaus als Haftort in drei unterschiedlichen Verfol- schlossenen Jugendwerkhofs aufzuarbeiten und zu doku- gungsperioden. Darüber hinaus sollen die Besucher zur mentieren. Die Gruppe begann, einen Landtagsbeschluss eigenständigen Auseinandersetzung mit Geschichte und zur Schaffung einer Gedenkstätte konkret umzusetzen. In Gegenwart angeregt werden. Hierfür werden neben Füh- der Folgezeit wurden Objekte und Gegenstände des rungen und Seminaren Projekte nach der Methode des GJWH sowie das Verwaltungsgebäude für die Gedenk- entdeckenden und forschenden Lernens angeboten. Einen stätte gesichert und eine erste Konzeption zum Betrieb Drucksache 17/12115 – 86 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode der Gedenkstätte entwickelt. Nach Abschluss der Sanie- folgte. Intensive Bemühungen der Initiativgruppe GJWH rungsarbeiten konnte im Frühjahr 1998 mit Hilfe einer führten zu einer Einbeziehung dieser Opfergruppe in die Anschubfinanzierung des Sächsischen Staatsministeri- Arbeit des Runden Tisches zur Aufarbeitung sexuellen ums für Soziales im ehemaligen Verwaltungsgebäude die Kindesmissbrauchs in familiären und institutionellen Ein- Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau in richtungen. Trägerschaft der Initiativgruppe eröffnet werden. Damit wurde ein wichtiger authentischer Ort der repressiven Die Bundesministerinnen Sabine Leutheusser- DDR-Geschichte vor dem Vergessen bewahrt. Schnarrenberger und Dr. Kristina Schröder als Vorsit- zende des Runden Tisches haben sich im November 2010 Die Finanzierung basierte zunächst auf einer Projektför- in der Gedenkstätte über das DDR-Erziehungssystem in- derung über den Kulturraum Leipziger Raum, die Stadt formiert und sind mit Missbrauchsopfern persönlich ins Torgau und den Landkreis Torgau-Oschatz, seit 2003 Gespräch gekommen. Gleichzeitig wurde auf die Not- dann über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten. wendigkeit und Dringlichkeit einer gesicherten Bera- Mit dem entscheidenden Grundsatzurteil vom Dezember tungs- und Anlaufstelle für Betroffene aus DDR-Heimen 2004 zur Rehabilitierung der Opfer des GJWH, in dem und die wissenschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Ge- erstmals ein Gericht feststellte, dass die Einweisung und walt in DDR-Heimen hingewiesen. Als erste Hilfemaß- Unterbringung im GJWH menschenunwürdig und rechts- nahme für Missbrauchsopfer wurde im Jahr 2011 durch staatswidrig war, setzte ein enormer Zulauf von Betroffe- die Initiativgruppe GJWH eine Selbsthilfegruppe in der nen ein. Mit der Dauerausstellung und der neuen Rehabi- Gedenkstätte gegründet. Ebenso wird die Einrichtung ei- litierungssituation entstand ein stetig wachsender Bedarf ner dauerhaften gesicherten Beratungs- und Anlaufstelle an Bildungs-, Öffentlichkeits- und Zeitzeugenarbeit, der für die Opfer der DDR-Heimerziehung derzeit verfolgt. mit den vorhanden personellen und finanziellen Möglich- Der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Tor- keiten nicht mehr zu leisten war. Auch das umfangreiche gau, Trägerverein der Gedenkstätte, gehören 83 Vereins- ehrenamtliche Engagement konnte in dieser Lage nicht mitglieder an. Neben dem Vorstand ist der Opferbeirat mehr abhelfen. gewähltes Vereinsorgan mit beratender Tätigkeit. Er ga- Um die untragbare finanzielle Situation zu verändern und rantiert eine direkte Mitarbeit und Einbeziehung der Be- den Fortbestand der Gedenkstätte zu sichern, begannen troffenen in die Vereinsarbeit. Die Zeitzeugen überneh- 2005 vor dem Hintergrund des oben genannten Allein- men eine wichtige Rolle beim Erhalt, Fortbestand und der stellungsmerkmals des GJWH die Bemühungen des Vor- Arbeit der Gedenkstätte. Der wissenschaftliche Beirat be- standes um eine anteilige Bundesförderung für die Ge- gleitet die wissenschaftliche Arbeit an den Projekten der denkstätte. Diese stand im Jahr 2006 kurz vor ihrer Gedenkstätte und unterstützt gleichzeitig die Bemühun- Schließung. Sie konnte letztlich nur mit einer Soforthilfe gen für ihre finanzielle Grundsicherung. von BKM verhindert werden. In der Folge wurde ein wis- senschaftlicher Beirat für die Gedenkstätte installiert. Der Ausstellung Vorstand erarbeitete mit seiner Unterstützung in ehren- amtlicher Tätigkeit eine neue Konzeption für die Gedenk- Die erste Dauerausstellung unter dem Titel „Auf Biegen stätte, um ein letztes Kriterium für eine Bundesförderung und Brechen. Der GJWH Torgau 1964-1989“ konnte mit zu erfüllen. Hilfe der Bundesstiftung Aufarbeitung und der Stiftung Sparkasse Leipzig im April 2003 eröffnet werden. Im Bei seinem Besuch im September 2008 sagte der Beauf- Jahr 2007 hat die Gedenkstätte eine Bundesförderung zur tragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ausstellungserweiterung durch BKM erhalten. Diese Staatsminister Bernd Neumann, eine weitere Bundesför- setzte sich bis 2009 fort und diente ebenso wie die Förde- derung zu. In den Jahren 2010 bis 2011 erhielt die Ge- rung durch die Europäische Union der Erarbeitung, Pro- denkstätte von BKM eine Projektförderung für den Auf- duktion und Installation einer neuen Dauerausstellung auf und Ausbau des Gedenkstättenarchivs. einer Fläche von ca. 170 qm. Sie dokumentiert die repres- Für das innovative Konzept der Dauerausstellung (siehe siven Machtstrukturen des DDR-Erziehungssystems, er- unten) wurde die Gedenkstätte als einziges deutsches Pro- innert an die jugendlichen Opfer und thematisiert aktuelle jekt im Dezember 2009 mit dem „Golden Stars Awards of Aufarbeitungsprozesse zur Geschichte der Heimerzie- Active European Citizenship“ in der Kategorie „Aktive hung in der frühen Bundesrepublik und Europa. europäische Erinnerung“ ausgezeichnet. Das Bündnis für Seit Herbst 2011 sind für Besucher auch der Dunkelzel- Demokratie und Toleranz würdigte die Arbeit der Initia- lentrakt und der Außenbereich zugänglich. Der Dunkel- tivgruppe GJWH Torgau für das Projekt der Gedenkstätte zellentrakt umfasst nach Sicherung und Sanierung den mit dem Bundespreis „Aktiv für Demokratie und Tole- letzten authentischen Ort des GJWH mit drei Dunkel- ranz 2010“ als herausragendes Projekt in Sachsen. arrestzellen und dem besonders engen sogenannten Seit dem Bekanntwerden sexualisierter Gewalt in kirchli- „Fuchsbau“, der im Originalzustand erhalten geblieben chen Heimen Anfang 2010 haben sich bis zum Jahres- ist. Der ehemalige Hofbereich des GJWH wird durch Er- ende über 100 Missbrauchsopfer der DDR-Heime in der innerungs- und Fotostelen wieder sichtbar gemacht. Der Gedenkstätte gemeldet. Erstmals wurde dieser Aspekt historische Ort soll durch die Gestaltung des öffentlichen durch Betroffene öffentlich gemacht, deren Betreuung Raums eine dauerhafte Wahrnehmung und Erinnerung er- wiederum ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis er- fahren. Für Besucher der Gedenkstätte wird der Weg von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 87 – Drucksache 17/12115 der Ausstellung zum Dunkelzellentrakt historisch nach- mit Betroffenen haben gezeigt, dass einzig die Gedenk- vollziehbar. stätte als Anlauf- und Beratungsstelle von ihnen in An- spruch genommen wird. Teilweise sprechen die Opfer Sammlung und deren Angehörige hier erstmals über ihre Erlebnisse im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. 67 originale Gegenstände des GJWH konnten nach seiner Schließung gesichert werden. Dazu gehören beispiels- Seit 2003 findet ein jährliches Treffen ehemaliger DDR- weise Arrestzellenpritschen mit Inschriften der Jugendli- Heimkinder statt. Dabei können sich die Betroffenen über chen und Alltagsgegenstände (z. B. Schlüssel und den Stand der Aufarbeitung des DDR-Erziehungssystems Geschirr). Hinzu kommen originale Gegenstände (Dach- (Vortrag, Lesung, Wanderausstellungen) informieren und rinne mit Stacheldraht umwickelt, Fenstergitter, Arrest- miteinander ins Gespräch kommen. Das Treffen im zellentür, Suchscheinwerfer, Fluchtabweiser an Dachrin- Herbst gehört zu den Höhepunkten in der Arbeit der Ge- nen usw.), welche die Sicherheitsmaßnahmen des GJWH denkstätte mit inzwischen durchschnittlich über 100 Teil- dokumentieren. nehmern. Im Bestand des Archivs befinden sich insgesamt Kopien von 160 Akten (ca. 15 000 Blatt) aus dem Bundesarchiv Bildungsarbeit Berlin und von 86 Akten (ca. 4 000 Blatt) des BStU. Hinzu Ein mobiles Bildungskonzept mit dem Titel „Historisches kommen umfangreiche Bestände aus dem Sächsischen Lernen als Dimension politischer Bildung“ (2005) bietet Staatsarchiv Leipzig, Hauptstaatsarchiv Dresden und di- die Möglichkeit, Schüler und Lehrer mit der Geschichte versen Landesarchiven. In den Beständen befinden sich des GJWH Torgau vertraut zu machen. Gerade Schulen beispielsweise Überprüfungsberichte des GJWH Torgau haben oft durch die räumliche Entfernung sowohl organi- und anderer Spezialheime durch das MfV, Dienstbücher, satorische als auch finanzielle Schwierigkeiten, die Ge- Entweichungen (Maßnahmen gegen Fluchtversuche), denkstätte zu besuchen. Das mobile Bildungskonzept, be- Meldungen zu besonderen Vorkommnissen an das MfV stehend aus einer kleinen transportablen Ausstellung und (Suizide, Fluchtversuche), Arbeitsordnung, Dienstanwei- verschiedenen Arbeitsmappen, kann deshalb außerhalb sungen, Führungsberichte, Belegungsbücher (1964 bis der Gedenkstätte zum Einsatz kommen. Im Mittelpunkt 1989). Im Personenarchiv befinden sich derzeit 470 Per- des pädagogisch-wissenschaftsorientierten Konzepts sonendossiers. Sie enthalten persönliche Dokumente, steht dabei das forschende Lernen. Gesellschaftliche und Korrespondenzen, Unterlagen, Fotos, Interviews und die politische Vorgänge der DDR-Geschichte am Beispiel des Sonderakten. Die Sonderakten der ehemaligen Insassen GJWH Torgau sollen durch die Schüler selbstständig er- sind ein besonders wertvoller Aktenbestand. Sie wurden arbeitet und präsentiert werden. in Torgau angelegt und umfassen Einweisungsantrag und -genehmigung, bisherige persönliche Entwicklung des Der interaktive Lernort bietet insbesondere Schülern, Jugendlichen und seine familiäre Situation. Die gesamte Studenten, Lehrern, Sozialpädagogen sowie sonstigen Zeit in Torgau ist dokumentiert durch Einschätzungen, Multiplikatoren die Möglichkeit einer selbstständigen Aufzeichnungen und Beurteilungen des Jugendlichen vertiefenden Auseinandersetzung mit exemplarischen Ein- durch den Erzieher. zelschicksalen, verschiedenen Themenschwerpunkten ins- Das Fotoarchiv umfasst originale Aufnahmen seit den besondere zum DDR-Erziehungssystem, der Heimerzie- 1960er Jahren und dokumentiert den Zustand des Areals hung in der frühen Bundesrepublik, Schwarzer Pädagogik vor dem Umbau 1996. Archiviert sind außerdem alle Do- allgemein und europäischen Einzelbeispielen. Der inter- kumentationen und Beiträge zum GJWH Torgau seit aktive Lernort innerhalb der Ausstellung ermöglicht dem 1992, die in den Medien (Presse, Funk und Fernsehen) Besucher, selbst aktiv zu werden. Er kann sich hier inten- ausgestrahlt wurden siv mit exemplarischen Einzelschicksalen ehemaliger GJWH-Insassen und Heimkinder an Medienstationen Mit der Übernahme des Originalbestandes des Heimar- auseinandersetzen. Geschichtliche Zusammenhänge und chivs des ehemaligen Spezialkinderheims und ehemali- Hintergründe werden über biografische Zugänge erleb- gen Jugendwerkhofs „Ernst Schneller“ in Eilenburg und nachvollziehbar. wurde eine zeitgeschichtlich wichtige Sammlung in das Archiv der Gedenkstätte GJWH Torgau eingebracht. Die Gedenkstätte Buchenwald − Sowjetisches Speziallager Nr. 2, Weimar Zeitzeugenarbeit Der historische Ort Der Aufbau eines Zeitzeugenbüros in der Gedenkstätte erfolgt mit der Unterstützung der Bundesstiftung Aufar- Das Konzentrationslager Buchenwald wurde 1937 von beitung. Für Opfer, Betroffene und Angehörige bedeutete der SS in der Nähe von Weimar eingerichtet. Bis 1945 die Errichtung der Gedenkstätte am authentischen Ort ein waren etwa 250 000 Menschen in dem Lager inhaftiert. Zeichen der Anerkennung und zumindest der moralischen Zwischen 1941 und 1943 war Buchenwald zeitweilig Rehabilitierung. Das Zeugnis der ehemaligen Insassen in Schauplatz von systematischen Massenmorden. Gleich- Form von Interviews oder Lebensberichten bildet einen zeitig wurden die Häftlinge rücksichtslos in der Rüs- wesentlichen Bestandteil der historisch-politischen Bil- tungsindustrie ausgebeutet. Am 11. April 1945 befreiten dungsarbeit und des Gedenkstättenarchivs. Erfahrungen US-amerikanische Einheiten das KZ, das zum Teil kurz Drucksache 17/12115 – 88 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode zuvor von der SS evakuiert worden war. Im Juli 1945 Im SED-Staat wurde die Geschichte des sowjetischen wurde das Lager an sowjetische Truppen übergeben. Speziallagers Buchenwald und damit das Schicksal der dort Gefangenen tabuisiert. Auch in der Bundesrepublik Im August 1945 funktionierte die sowjetische Besat- geriet sie spätestens in den sechziger Jahren an den Rand zungsmacht das Hauptlager des ehemaligen nationalso- der öffentlichen Wahrnehmung. In der akademischen For- zialistischen KZ Buchenwald in eines ihrer „Spezialla- schung spielte die Lagergeschichte bis Ende der achtziger ger“ um. Von den 28 000 Insassen kamen über 7 000 um, Jahre keine Rolle. In die Wahrnehmung der Öffentlichkeit insbesondere im Winter 1946/47. Im Februar 1950, kurz rückte dieses Thema erst wieder infolge der Wiederentde- nach der Gründung der DDR, wurde das Lager von den ckung der Gräber des Lagers Ende 1989. Sowjets aufgelöst. Seit diesem Zeitpunkt engagiert sich die Gedenkstätte in Bei den Massengräbern des KZ am Südhang des Etters- einer vertrauensvollen Verbindung mit den ehemaligen bergs errichtete die DDR 1958 ein weithin sichtbares KZ- Insassen des Speziallagers und ihren Angehörigen für ein Mahnmal. Seine Monumentalität sollte zwar auch das würdiges Gedenken an die Opfer. Als unmittelbare Re- Ausmaß der Buchenwalder Verbrechen widerspiegeln, aktion auf die Entdeckung der Massengräber stellte die doch der DDR diente es vorrangig als Nationaldenkmal. Gedenkstätte Anfang 1990 ein Holzkreuz auf. Angehö- Im Zentrum standen die deutschen kommunistischen Wi- rige erhielten die Möglichkeit, an einem Erinnerungsort derstandskämpfer. Mit ihrer Geschichte sollte der Füh- individuelle Gedenkzeichen zu errichten. Bis Mitte der rungsanspruch der SED in der DDR legitimiert werden. neunziger Jahre wurden die Grabfelder zu Waldfriedhö- Die „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ fen umgestaltet, die anonymen Massengräber durch wurde mit Ausstellungen, Archiv und Bibliothek zur Stahlstelen gekennzeichnet. Es wurde ein Trauerplatz ein- größten deutschen KZ-Gedenkstätte ausgebaut. gerichtet, an dem regelmäßig öffentliche Gedenkveran- staltungen stattfinden. Darüber hinaus erteilte und erteilt Entstehung und Entwicklung die Gedenkstätte Auskünfte über ehemalige Spezialla- gerinsassen zur Schicksalsklärung, soweit dies auf Basis Nach der Wiedervereinigung erarbeitete eine vom Wis- der Aktenlage möglich ist. senschaftsminister des Landes Thüringen berufene Histo- rikerkommission eine neue Konzeption für die Gedenk- Nach über 20 Jahren der regelmäßigen Zusammenarbeit stätte Buchenwald, die im September 1991 vorgelegt besteht ein sehr enges Verhältnis zu den ehemaligen In- wurde. Neben der völligen Neugestaltung der Daueraus- sassen und ihren Angehörigen. Die „Arbeitsgemeinschaft stellung aus der Zeit der DDR erweiterte sie die Gedenk- Geschichte des Speziallagers“, in der ehemalige Insassen stätte um die Erinnerung an das Sowjetische Speziallager und Historiker der Stiftung gemeinsam arbeiten, tritt re- Nr. 2. Der Schwerpunkt der Erinnerungsarbeit verblieb gelmäßig zusammen. Auch werden jährlich stattfindende aber auf dem Konzentrationslager. öffentliche Gedenkveranstaltungen gemeinsam organi- siert, die zu besonderen Jubiläen einen größeren Umfang Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 beschloss der Thüringer annehmen. So wurde beispielsweise 2010 aus Anlass der Landtag die Errichtung der „Stiftung Gedenkstätten Bu- Einrichtung des Speziallagers Buchenwald vor 65 Jahren chenwald und Mittelbau-Dora“, deren Zweck es ist, „die im August 1945, des 60. Jahrestages seiner Auflösung im Gedenkstätten als Orte der Trauer und der Erinnerung an Januar/Februar 1950 und des Beginns der Aufarbeitung die dort begangenen Verbrechen zu bewahren, wissen- der Lagergeschichte in der Gedenkstätte Buchenwald vor schaftlich begründet zu gestalten und sie in geeigneter 20 Jahren gemeinsam mit Partnern ein umfangreiches Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sowie Programm realisiert. die Erforschung und Vermittlung damit verbundener his- torischer Vorgänge zu fördern. Dabei ist in der Gedenk- Forschung stätte Buchenwald die Geschichte des nationalsozialisti- schen Konzentrationslagers mit Vorrang zu behandeln. Parallel zur Arbeit mit den ehemaligen Internierten und Die Geschichte des sowjetischen Internierungslagers ist ihren Angehörigen trieb die Stiftung seit Anfang der in angemessener Form in die wissenschaftliche und mu- neunziger Jahre die wissenschaftliche Erforschung der seale Arbeit einzubeziehen“. Finanziert wird die Stiftung Geschichte des sowjetischen Speziallagers Buchenwald durch das Land Thüringen und den Bund zu gleichen Tei- entscheidend voran. Ziel war es zunächst, belastbare wis- len. senschaftliche Erkenntnisse über die Geschichte des La- gers, die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft Die Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 stellt usw. zu gewinnen und seinen historischen Ort im Kontext für die historisch-politische Bildungsarbeit eine beson- alliierter Entnazifizierungsmaßnahmen am Ende des dere Herausforderung dar. Aus seiner Zeit sind nur we- Zweiten Weltkrieges, sowjetischer Besatzung in Deutsch- nige Überreste erhalten; es existiert so gut wie keine foto- land und Gründung der DDR sowie des Stalinismus in der grafische Überlieferung. Zugleich ist die Bedeutung des Sowjetunion zu bestimmen. Hierzu wurden Forschungs- Speziallagers nicht zu ermessen, wenn das komplexe projekte insbesondere in Kooperation mit dem Staatsar- Spannungsfeld zwischen vorausgegangenen nationalso- chiv der Russischen Föderation, der Friedrich-Schiller- zialistischen Verbrechen und der mit der Auflösung der Universität Jena, anderen deutschen Gedenkstätten und Lager verknüpften Gründung der DDR nicht wahrgenom- weiteren Partnern realisiert. Die Stiftung konnte dadurch men wird. einen substanziellen Beitrag zur wissenschaftlichen Er- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89 – Drucksache 17/12115 forschung des Lagers in Buchenwald und darüber hinaus reicht von der standardmäßigen Thematisierung des Spe- des Systems der sowjetischen Speziallager insgesamt ziallagers in Überblicksführungen bis hin zu speziellen leisten. Im Zuge dessen bemühte sich die Gedenkstätte ein- und mehrtägigen Programmangeboten auf Basis ei- auch um Sachzeugnisse aus der Zeit des Speziallagers. gens dafür erarbeiteter pädagogischer Materialien unter Viele der heute vorhandenen Realien wurden von ehema- Einbeziehung von Gelände, Ausstellungen, Zeitzeugen- ligen Insassen übergeben. Hinzu kommen umfangreiche interviews, Archiv, Sammlung und Bibliothek. Zudem or- Bestände in der Bibliothek der Gedenkstätte zu den The- ganisiert die Gedenkstätte regelmäßig mit dem Thüringer men Speziallager und Stalinismus. Des Weiteren liegen Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und inzwischen von der Gedenkstätte erarbeitete und heraus- Medien gemeinsam Lehrerfortbildungen zum Thema gegebene Veröffentlichungen, pädagogische Materialien Speziallager. Während der Präsentation der Wanderaus- und Filme vor. stellung „Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929 bis 1956“ in Weimar fanden zudem mehrere spezielle Fortbildungen Ausstellung für Referendare, Lehrer und Multiplikatoren statt. Auf Grundlage der gewonnenen Forschungsergebnisse Die sich dem historisch Interessierten heute bietenden erfolgt heute die öffentliche Vermittlung der Geschichte umfangreichen Möglichkeiten, sich in der Gedenkstätte des sowjetischen Speziallagers durch die Gedenkstätte – Buchenwald über das sowjetische Speziallager Nr. 2 zu in ihrer ganzen Komplexität und mit allen Ambivalenzen informieren, werden vielfältig von Einzelbesuchern und und Brüchen. Ein entscheidender Schritt war die Eröff- Gruppen wahrgenommen. nung der ständigen historischen Ausstellung „Sowjeti- sches Speziallager Nr. 2 1945 bis 1950“ im Mai 1997. In 11 Museen einem nahe einem Grabfeld des Speziallagers eigens neu errichteten Museumsgebäude untergebracht, war sie die Die Stiftung Haus der Geschichte der erste umfassende Ausstellung zu einem sowjetischen Bundesrepublik Deutschland Speziallager in Deutschland überhaupt. Die Arbeit der Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- Gleichermaßen die erste Ausstellung ihrer Art in republik Deutschland ist der Geschichte Deutschlands Deutschland war die im Oktober 1999 im Bereich des nach 1945 in ihren internationalen Beziehungen gewid- Buchenwald-Mahnmals von 1958 eingeweihte Ausstel- met. Ihre Dauerausstellungen in Bonn (Haus der Ge- lung „Die Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald“ zu schichte), in Leipzig (Zeitgeschichtliches Forum) und in Entstehung und Programm der Nationalen Mahn- und Berlin („Tränenpalast“) beruhen auf dem jeweils aktuel- Gedenkstätte der DDR. Sie thematisiert insbesondere den len Stand der Forschung. Die Politikgeschichte bildet den kommunistischen Buchenwald-Mythos, durch den bis „roten Faden“. Grundlegend ist die chronologische Ab- Ende der achtziger Jahre nicht zuletzt auch die Ge- folge, wobei thematische Schwerpunkte wie auch Rück- schichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 ausgeblen- und Ausblicke herausgearbeitet werden. Neben politi- det blieb. schen Ereignissen werden wirtschafts-, sozial-, alltags- und kulturgeschichtliche Aspekte berücksichtigt. Interna- Aufgrund ihrer museologischen Kompetenz, die auch in- tionalen Verflechtungen wird ebenso Rechnung getragen ternational wahrgenommen wurde, ist die Stiftung durch wie den deutsch-deutschen Beziehungen. Die Einbindung die Gesellschaft „Memorial“ Moskau gebeten worden, der DDR in den Herrschaftsbereich der Sowjetunion wird eine Ausstellung zu erarbeiten, in der erstmals die um- an allen Ausstellungsorten thematisiert. Für die Darstel- fangreiche Sammlung von „Memorial“ – und damit auch lung der historischen Sachverhalte wird jeweils nach aus- das Thema „Gulag“ überhaupt – in Deutschland präsen- sagestarken dreidimensionalen Objekten gesucht, die in tiert wird. Die u. a. von der Kulturstiftung des Bundes ge- einer „Geschichtslandschaft“ kontextualisiert präsentiert förderte, als Wanderausstellung konzipierte Exposition werden. Der multiperspektivischen Darstellung wird „Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929 bis 1956“ wurde ebenso große Bedeutung eingeräumt wie den biografi- vom 29. April bis zum 24. Juni 2012 in Schloss Neuhar- schen Perspektiven, die in besonderer Weise die Auswir- denberg erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits an kungen der politischen Entscheidungen auf die Alltags- dieser ersten Station stieß die Ausstellung auf ein äußerst wirklichkeit der Menschen verdeutlichen. breites, positives Interesse in der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus. Vom 19. August bis zum 21. Oktober Die Dauerausstellung in Bonn 2012 war die Ausstellung im Schiller-Museum der Klas- sik Stiftung Weimar zu sehen. Die Dauerausstellung in Bonn präsentiert die Geschichte der ersten erfolgreichen deutschen Demokratie in all ih- Bildungsarbeit ren Facetten sowie die des geteilten und wiedervereinten Deutschlands. So tritt die DDR deutlich ins Bild und Heute ist das Thema Speziallager auch über die Ausstel- wird, bezogen auf die Zeit der deutschen Teilung, auf ca. lungen hinaus umfassend in die gedenkstättenpädagogi- 40 Prozent der Ausstellungsfläche gezeigt. Grundsätzlich sche Arbeit einbezogen. Besucher können sich in einem ist es ein Ziel der Stiftung, ihre Dauerausstellung in regel- durch Lagepläne, Hinweis- und Informationstafeln sowie mäßigen Zeitabständen zu überarbeiten. Nach der Eröff- mittels eines Multimediaguides erschlossenen Gelände nung in Bonn 1994 folgten Überarbeitungen in den Jah- orientieren. Die Palette der pädagogischen Angebote ren 2001 und 2011. Insgesamt wurde die Entwicklung in Drucksache 17/12115 – 90 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode der DDR zunehmend stärker konturiert und der Gegen- Die Besuchszahl in der Dauerausstellung des Zeitge- satz zur Bundesrepublik deutlicher herausgestellt. Politi- schichtlichen Forums beträgt seit 1999 über eine Million. sche Verfolgung, der Widerstand gegen die SED-Diktatur Die Schwerpunkte der Ausstellungen sind: und deren Ende in einer friedlichen Revolution rücken deutlich ins Bild. Das gilt auch für den Alltag unter der – Deutschland bei Kriegsende Diktatur sowie für Erfolge und Defizite des deutschen Ei- – „Antifaschistisch-demokratische“ Umwälzung in der nigungsprozesses. SBZ In der Dauerausstellung des Hauses der Geschichte konn- – Nachkriegsentwicklung im Zeichen des Kalten Krie- ten bisher mehr als zehn Mio. Besuche gezählt werden. ges Die Besucher können sich an folgenden museal gestalte- ten Schwerpunkten mit der Geschichte der DDR aus- – Gründung der DDR einandersetzen: – Herrschaftssicherung durch die SED – Entstehung der Sowjetischen Besatzungszone – Fluchtbewegung und Mauerbau – Berlin-Krise, Währungsreform – Deutsch-deutsche Beziehungen im internationalen – Auf dem Weg zum SED-Staat: Konstituierung der Kontext DDR, Stalin-Kult, Ausbau der SED-Diktatur – Enttäuschte Reformhoffnungen in den 1960er und – Deutsche Frage 1970er Jahren – 17. Juni 1953 – Alltag im „real existierenden Sozialismus“ – Anbindung der DDR an den Osten: Warschauer Pakt, – Kunst und Jugendkultur in der DDR Nationale Volksarmee – Militarisierung der DDR und Ausreisebewegung in – Kultur, Medien, Sport den 1980er Jahren – Wirtschaft – Opposition und Bürgerbewegung – Kalter Krieg – Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit – Innere Entwicklung in der DDR: Industrieprogramme – Friedliche Revolution, Mauerfall und Deutsche Ein- der SED, politische Repression, Alltag DDR heit – Vertiefung der Teilung: Flucht und Mauerbau – Erfolge und Probleme auf dem Weg in die Gegenwart.

– Machtwechsel in Ost-Berlin: Von Ulbricht zu Der „Tränenpalast“, Berlin Honecker Der „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin – Deutsch-deutsche Beziehungen war die Abfertigungshalle für die Ausreise von Ost nach – DDR-Innenpolitik: Reformdruck, Opposition West. Hier erlebten die Menschen unmittelbar, wie stark sich die deutsche Teilung auf ihr persönliches Leben aus- – Friedliche Revolution, Fall der Mauer wirkte. Auf der Grundlage der fortgeschriebenen Ge- – Wiedervereinigungsprozess denkstättenkonzeption der Bundesregierung vom Juni 2008 hat die Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- – Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland republik Deutschland hier eine Dauerausstellung erarbei- tet, die den Auswirkungen von Teilung und Grenze im Die Dauerausstellung in Leipzig Alltag der Deutschen mit prägnanten, vor allem auch bio- grafischen Beispielen nachgeht und dabei unter Nutzung Die Dauerausstellung in Leipzig wurde im Jahr 1999 er- von Originaleinrichtungsgegenständen und Zeitzeugen- öffnet, ihre Überarbeitung 2007 der Öffentlichkeit prä- interviews der besonderen Bedeutung der Grenzüber- sentiert. Diese Ausstellung zeigt die Geschichte von Dik- gangsstelle Bahnhof Friedrichstraße Rechnung trägt. tatur, Widerstand und Opposition in SBZ und DDR vor Zudem werden die wichtigsten Stationen des Vereini- dem Hintergrund der deutschen Teilung, eingebettet in gungsprozesses vergegenwärtigt. Die Dauerausstellung die alltägliche Lebenswelt. Widerständler und Oppositio- unter dem Titel „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen nelle werden nicht als Opfer, sondern als selbstbewusst Teilung“ wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel am handelnde Akteure, die sich gegen die totalitäre Staats- 14. September 2011 eröffnet. macht auflehnten, gezeigt. Ein weiteres wichtiges Thema ist die deutsche Wiedervereinigung, besonders die Dar- Die geplante Dauerausstellung in der Kulturbrauerei, stellung des inneren Vereinigungsprozesses. Die Ausstel- Berlin lung richtet sich grundsätzlich gegen alle Tendenzen zur Verharmlosung und Rechtfertigung der Herrschaft der In Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes SED, deren Machtausübung zwischen Verführung und erarbeitet die Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- Gewalt, Zustimmung und Unterdrückung gezeigt wird. republik Deutschland in der Kulturbrauerei am Prenz- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 91 – Drucksache 17/12115 lauer Berg eine Dauerausstellung zur Geschichte des All- tungsstandorte ist bei der Erarbeitung der Ausstellungen tags in der SED-Diktatur. ebenso von besonderer Bedeutung wie bei ihrer wechselsei- tigen Präsentation an den einzelnen Standorten. Dazu kom- Grundlage der künftigen Dauerausstellung sind die um- men Ausstellungen in den Foyers, in der Bonner U-Bahn- fangreichen Sammlungsbestände der Stiftung in Bonn Galerie sowie Wanderausstellungen, die in ganz Deutsch- und Leipzig sowie in besonderer Weise die Sammlung In- land und im Ausland (bisher: Belgien, Bulgarien, Finnland, dustrielle Gestaltung in Berlin. Sie gehört seit 2005 zur Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Kroatien, Lett- Stiftung Haus der Geschichte, die seit ihrer Übernahme land, Liechtenstein, Luxemburg, Marokko, Niederlande, umfangreiche Maßnahmen zur konservatorischen Siche- Österreich, Polen, Russland, Schweiz, Spanien, USA) ge- rung und zum Erhalt der Sammlung durchgeführt hat. Die zeigt werden. Ergänzt und vertieft werden die Ausstellun- neue Dauerausstellung soll nach Umbau der Räumlich- gen durch Veranstaltungen, Publikationen sowie umfas- keiten in der Kulturbrauerei im Jahr 2013 eröffnet wer- sende museumspädagogische Angebote. den. Informationszentren in Bonn und Leipzig bieten als Bi- Das Internetportal „Orte der Repression in SBZ und bliothek und Mediathek zur deutschen Zeitgeschichte DDR“ weitere Einblicke.

Initiiert und finanziert von BKM hat die Stiftung Haus Die Stiftung Deutsches Historisches Museum der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Zu- sammenarbeit mit einer Vielzahl von Gedenkstätten ein Das Deutsche Historische Museum (DHM) wurde im Ok- Internetportal (www.orte-der-repression.de) aufgebaut, in tober 1987 gegründet. In seinem Gründungsprogramm dem 46 Orte der Repression in SBZ und DDR themati- verpflichtete sich das Museum, der „Aufklärung und Ver- siert werden. Dargestellt sind u. a. Einrichtungen der ständigung über die gemeinsame Geschichte von Deut- sowjetischen Besatzungsmacht, die sowjetischen Spezial- schen und Europäern“ zu dienen. lager, Standorte des Ministeriums für Staatssicherheit, Untersuchungshaftanstalten, Strafvollzugsanstalten, Hin- Mit dem Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 richtungsstätten sowie Grenzorte. Ziel des Portals ist es, wurden dem DHM die Sammlungen und Gebäude des im Basisinformationen über die Geschichte der Repressions- September des gleichen Jahres von der letzten DDR-Re- orte zu vermitteln. Zudem bietet das Portal wichtige gierung geschlossenen Museums für Deutsche Ge- Hinweise für Besucher der einzelnen Orte und eine Ver- schichte der DDR übertragen. Das DHM erhielt damit linkung zu den Homepages der Gedenkstätten. Ergänzt seinen Sitz in dem 1695 errichteten Zeughaus Unter den werden diese Inhalte um vertiefende Erläuterungen sowie Linden. weiterführende Literaturangaben zum Repressionssys- Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der SBZ und tem in SBZ und DDR. Gängige Serviceleistungen wie der DDR als einem Teil der deutschen Geschichte wurde Such-, Druck- und Weiterempfehlungsfunktion sind zu einer gewichtigen Aufgabe des Museums – in seiner selbstverständlicher Bestandteil des Portals. Das Internet- Ständigen Ausstellung zur deutschen Geschichte im euro- portal „Orte der Repression in SBZ und DDR“ wurde am päischen Kontext und ebenso in seinem Programm wech- 15. November 2011 im Zeitgeschichtlichen Forum Leip- selnder Ausstellungsprojekte. In den Ausstellungen und zig der Stiftung Haus der Geschichte der Öffentlichkeit Veranstaltungen präsentierte das DHM seitdem zahlrei- vorgestellt und freigeschaltet. Anlässlich dieser Veran- che Aspekte des Lebens in dem zweiten deutschen Staat staltung berichtete Freya Klier, Autorin und Dokumentar- und die Auswirkungen der SED-Diktatur. Nach dem Fall filmerin, unter dem Titel „Es wurde ständig jemand weg- der Mauer wurden durch das DHM im Auftrag der Treu- gesperrt … Anmerkungen einer DDR-Bürgerrechtlerin“ hand große Objektbestände von DDR-Massenorganisa- über ihre Erfahrungen mit den Orten der Repression in tionen und Institutionen gesichert, die heute wertvoller der DDR. Bestandteil der Sammlungen sind. Für das Internetportal „Orte der Repression“ erhielt das Haus der Geschichte einen „Master of Excellence“ sowie Sonderausstellungen den Sonderpreis „Bestes Gesamtkonzept“ im Rahmen des internationalen Wettbewerbs „Corporate Media 2011 – Bereits ab September 1991 konnte das DHM die ersten The European Masterclass“. Ausstellungen im Zeughaus zeigen. Dazu zählten auch zwei Ausstellungen über die Friedliche Revolution in der Wechselausstellungen DDR: Die zeithistorischen Wechselausstellungen der Stiftung – „Abschied und Anfang. Ostdeutsche Porträts 1989/90 Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von Stefan Moses“ widmen sich sowohl der Geschichte der Bundesrepublik – „Der wilde Osten. Photographien der Agentur Bilder- als auch der DDR sowie ihren Wechselbeziehungen, wo- berg aus den Ostblockländern und der DDR um die bei die Periode nach der Wiedervereinigung von 1990 zu- Wendezeit“. nehmend an Bedeutung gewinnt. Ihre Grundlage sind die umfangreichen Sammlungsbestände der Stiftung in Bonn, In den folgenden Jahren bis 1997 fanden jedes Jahr min- Leipzig und Berlin. Die enge Zusammenarbeit aller Stif- destens zwei Ausstellungen statt, die das Leben in der Drucksache 17/12115 – 92 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

DDR – im Zeichen der SED – zum Gegenstand hatten. Begleitprogramme zu Sonderausstellungen Als Beispiele seien hier genannt: Zu jeder Sonderausstellung werden vom Fachbereich – „Deutschland im Kalten Krieg. 1945 bis 1963“ (1992/93) (FB) Bildung und Vermittlung des DHM spezielle Füh- rungen und Geschichtswerkstätten (Kombination aus – „Lebensstationen in Deutschland 1900 bis 1993“ Führung, eigenständiger Recherche an Originalobjekten, (1993) Arbeit mit Hands-on Objekten und reproduzierten Mate- rialien im Geschichtswerkstattraum) angeboten (auch – „Auftrag: Kunst. Bildende Künstler in der DDR zwi- Führungen per Audioguides in mehreren Sprachen). Zu schen Ästhetik und Politik 1949 bis 1990“ (1995) einigen Ausstellungen bereitet der FB Bildung und Ver- – „Parteiauftrag: Ein neues Deutschland“ (1996/97) mittlung Begleithefte vor, in denen – neben der Ausstel- lungspublikation – Informationen, insbesondere für Kin- –„Aufbau West − Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfs- der und Schüler, aufbereitet werden. Materialien für burg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit“ Multiplikatoren in der Erwachsenenbildung, Lehrer und (1997) Schüler sowie thematische Veranstaltungen zu Sonder- – „Bohème und Diktatur in der DDR“ (1997/98) ausstellungen für diesen Publikumskreis gehören zum Standardangebot der Museumspädagogik des DHM. Ne- – „Einigkeit und Recht und Freiheit – Wege der Deut- ben Führungen durch die Sonderausstellungen und dem schen 1949 bis 1999“. Eine Gemeinschaftsausstellung Begleitprogramm des Fachbereichs Bildung und Vermitt- des DHM mit der Stiftung Haus der Geschichte, Bonn lung finden innerhalb der sogenannten „Mittwochsreihe“ und der Kunsthalle Bonn im Martin-Gropius-Bau, Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Podiumsdiskus- Berlin (1999) sionen, Führungen durch die Kuratoren der Ausstellung oder Präsentationen von Büchern zum Thema statt. Diese Am 31. Dezember 1998 wurde das Zeughaus für eine Veranstaltungen werden kostenlos angeboten und sind gut Grundsanierung geschlossen. Bis März 2003 zeigte das besucht. Als Beispiele seien hier angeführt: Deutsche Historische Museum wechselnde Ausstellungen im gegenüberliegenden . Die deutsch- – „Kann man die DDR ausstellen?“ Podiumsdiskussion deutsche Lebenswelt wurde in dieser Zeit thematisiert in zur Ausstellung „Parteiauftrag: Ein neues Deutsch- der Ausstellung „Unsere Jahre. Bilder aus Deutschland land“ (12. März 1997) 1968 bis 1998“ (1999). – „Die SED, ihr MfS und das Krisenjahr 1956“, Veran- Seit Mai 2003 können die wechselnden Ausstellungspro- staltung des DHM gemeinsam mit der Bundesstiftung jekte des Deutschen Historischen Museums in der neuen Aufarbeitung und der Bundesbeauftragten für die von I. M. Pei entworfenen Ausstellungshalle präsentiert Stasi-Unterlagen (15. Januar 2006) werden. Nahezu in jedem Jahr fand eine große oder eine – „Parteidiktatur und Alltag in der DDR“, Vortrag von kleinere Ausstellung statt, die sich mit Aspekten der Jörn Schütrumpf (25. April 2007) deutsch-deutschen bzw. der DDR-Geschichte auseinan- dersetzte. Als Beispiele seien genannt: – „Inszenierte Normalität. Bilder von Alltag in Film und Fernsehen der DDR“, Vortrag von Henning Wrage – „Parteidiktatur und Alltag in der DDR“ (2007) (16. Mai 2007) – „Das Jahr 1989. Bilder einer Zeitenwende“ (2009) – „Stasi und kein Ende“. Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe Schlüterhof-Gespräche, in Partnerschaft mit – „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945 dem Museumsverein des DHM (9. Juni 2011) bis 1989“ (2009/10) – „Die DDR sammeln“, Vortrag von Carola Jüllig Anlässlich des 20. Jahrestages der deutschen Wiederver- (9. August 2012). einigung am 3. Oktober 2010 zeigte das DHM vom 6. Juli 2010 bis zum 2. Januar 2011 die Wechselausstellung Zu Sonderausstellungen werden im Zeughauskino des „1990 – Der Weg zur Einheit“. In ihr wurden die Ent- DHM Filmreihen zum Thema der Ausstellung angeboten. wicklungen der Jahre 1989/90 nachvollzogen, die den Die Themen „SED-Diktatur“, „DDR“, „deutsch-deutsche Weg zur Deutschen Einheit markierten. Die Ausstellung Geschichte“ sind aber auch jenseits von Sonderausstel- wurde von BKM finanziert. Ebenfalls 2011 folgte die lungen häufig Gegenstand von Filmreihen im Zeughaus- Ausstellung „Überleben – Fotografien von Thomas kino. Hoepker und Daniel Biskup“, die den Lebensalltag der Zahlreiche Sonderausstellungen des DHM werden von Menschen in der DDR und in Osteuropa zeigte. Am Symposien begleitet. Die zumeist mehrtägigen Tagungen 6. Juni 2012 wurde die Ausstellung „Fokus DDR. Aus dienen dem wissenschaftlichen Austausch und bieten zu- den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums“ gleich dem interessierten Publikum die Möglichkeit, der eröffnet. Diskussion der Fachleute beizuwohnen und sich daran zu beteiligen. Symposien zu DDR-Themen waren: Seit 1996 erschienen zu nahezu jeder Sonderausstellung umfangreiche und wissenschaftlich bearbeitete Ausstel- – „Auf der Suche nach dem verlorenen Staat: Die lungspublikationen, die vielfach zu Standardwerken der Kunst der Partei und Massenorganisationen der DDR“ jeweiligen Thematik wurden. (13./14. Dezember 1993) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 93 – Drucksache 17/12115

– „Antitotalitärer Konsens? Die Auseinandersetzung mit der DDR. Durch die umfassende Erweiterung des gegen- der kommunistischen Vergangenheit in Polen und wärtig ca. 1,7 Millionen Exponate umfassenden Samm- Deutschland seit 1989“. Veranstalter: DHM, Deut- lungsbestandes mit Objekten und Dokumenten aus sches Polen-Institut und Bundesstiftung Aufarbeitung Bundeswehrbeständen entstand die weltweit größte (24. März 2004) Sammlung zur Militärgeschichte des Kalten Krieges. Als einziges Museum stellt das MHM im Rahmen seines wei- – „Spaten statt Gewehr – Bausoldaten in der DDR“. ter gespannten Ausstellungsprofils auch das materielle Veranstalter: DHM und Bundesstiftung Aufarbeitung Gedächtnis von zwei einander gegenüberstehenden Mili- (1. September 2004) tärbündnissen, Warschauer Pakt und NATO, dar. – „Integrationen – Vertriebene in den deutschen Ländern Das inhaltliche Konzept des MHM geht von der kulturge- nach 1945 in Westdeutschland und der SBZ.“ Veran- schichtlichen Fragestellung aus, in welchem politischen stalter: DHM und Bayerisches Staatsministerium für und kulturellen Umfeld Soldaten in der Geschichte han- Arbeit und Soziales (11. und 12. Juli 2006) deln. Es wird also der Mensch in seinem Sein, Handeln – „In sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Darstellung in und Leiden in den Mittelpunkt gestellt. Folgerichtig sam- Literatur und Fernsehen der DDR“. Veranstalter: melt das MHM grundsätzlich alle Objekte, welche die DHM und Institut für Zeitgeschichte München Verschränkung von Ereignis- und Alltagsgeschichte, von (18. und 19. Januar 2008) militärischem und zivilem Alltag darstellen. Damit steht das Haus in einer Reihe mit den großen kulturhistorischen – „Geschichtsforum 1989/2009“. Veranstalter: DHM, Museen. Bundeszentrale für politische Bildung, Kulturstiftung des Bundes und Bundesstiftung Aufarbeitung (28. bis Dauerausstellung 31. Mai 2009) Die Geschichte der DDR ist Teil der am 14. Oktober 2011 – „Die Mauer als Öffnung. Wissenstransfer und Geistes- neu eröffneten Dauerausstellung und nimmt dort einen politik im Kalten Krieg“ (2. November 2009) wichtigen Platz ein. Die militärische und politische Ge- – „Unbequeme Baudenkmale des Sozialismus: Der schichte der DDR ist der chronologischen Erzählung zur Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz im ost- und Bundesrepublik Deutschland gegenübergestellt. Ein Mar- mitteleuropäischen Vergleich“ Veranstalter: European kenzeichen der Ausstellung sind Doppelbiografien, die University Viadrina Frankfurt (Oder), DHM und Lan- durch das Museum geleiten und die Besucherinnen und desamt für Denkmalpflege Berlin (15. bis 17. März Besucher in die jeweilige Epoche oder den jeweiligen 2012). Zeitabschnitt einführen. Gegenübergestellt werden immer zwei Biografien von Menschen, die in derselben Zeit leb- ten, aber verschiedenen Lebensentwürfen folgten, oder Ständige Ausstellung die in ein und derselben historischen Entscheidungssitua- Seit Juni 2006 wird im Zeughaus die Ständige Ausstel- tion andere Wege gingen. In den Abschnitten zur DDR- lung zu zwei Jahrtausenden Geschichte in Deutschland Geschichte stehen bekannte Persönlichkeiten des öffentli- präsentiert. Die Zeit der deutschen Teilung, das Leben in chen Lebens neben unbekannten, Politiker und hohe Mili- der SBZ und der DDR sowie die Politik der SED bis zum tärs neben Dissidenten und Bausoldaten oder Deserteu- Fall der Berliner Mauer sind darin ausführlich dargestellt. ren. Der FB Bildung und Vermittlung hat zu diesen Bereichen Für Kinder und Jugendliche sind museumspädagogische und Themen der Ständigen Ausstellung ein umfangrei- Stationen zur Geschichte der DDR in die Dauerausstel- ches Programm von Führungen, Geschichts- und Film- lung integriert, darunter Themen zum Mauerbau, Schieß- werkstätten zu speziellen Themen der DDR-Geschichte befehl und zur NVA. In einer Station wird die Kontinuität und Begleitmaterialien insbesondere für Schüler und Leh- in der Uniformgestaltung von Reichswehr, Wehrmacht rer, aber auch für weitere Besucherkreise im Angebot. Im und Nationaler Volksarmee sowie Reaktionen der Bevöl- Rahmen der „Mittwochsreihe“ und in der Reihe „Blicke kerung auf Schnitt und Gestaltung thematisiert. Dabei auf die deutsche Geschichte“ werden von Wissenschaft- wird deutlich, dass die Funktionskleidung Uniform als lern des DHM bzw. von den Kuratoren der Bereiche Symbol für ideologische, politische und geschichtspoliti- „SBZ/DDR“ in der Ständigen Ausstellung regelmäßig sche Ziele steht. kostenlose Vorträge und Führungen angeboten. Insgesamt stellt die Dauerausstellung Kriterien zur Beur- Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr, teilung des historischen Geschehens bereit, die der unkri- Dresden tischen Verurteilung der Vergangenheit ebenso entgegen- wirken wie der Gefahr unreflektierter Faszination. Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr hat den Auftrag, Sachzeugen der deutschen Militärgeschichte zu Wechselausstellungen sammeln, aufzubewahren, zu erschließen und die deut- sche Militärgeschichte von den Anfängen bis zu Gegen- Wechsel- und Sonderausstellungen vertiefen oder ergän- wart im Kontext von Militär, Staat und Gesellschaft dar- zen die Dauerausstellung aus wechselnder Perspektive zustellen. Mit der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 und zu unterschiedlichen Anlässen (z. B. Jahrestagen). übernahm die Bundeswehr das zentrale Armeemuseum Als eine der ersten Sonderausstellungen im Jahr nach der Drucksache 17/12115 – 94 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Neueröffnung des MHM wurde am 6. September 2012 Nach den deutsch-sowjetischen Vereinbarungen über den unter dem Titel „Otkuda? Kuda? – Woher? Wohin?“ eine Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland ei- Fotoausstellung über den Abzug der russischen Truppen nigten sich 1990 beide Seiten, am historischen Ort ge- aus Sachsen und Dresden eröffnet. meinsam an das historische Ereignis zu erinnern, mit dem der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Ter- Das MHM ist konsequent besucherorientiert. Es versteht rorherrschaft beendet wurden. Eröffnet wurde das Mu- sich als Lernort für Soldatinnen und Soldaten und für eine seum anlässlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes in Eu- breite Öffentlichkeit. Das „Museum für alle“ will die ropa am 10. Mai 1995. gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichte an- stoßen und lebendig halten. Das Museum bietet die Platt- Das Museumsgebäude, zwischen 1936 und 1938 als Offi- form, auf der Betroffene, Zeitzeugen, Medien, Interes- zierskasino der Pionierschule 1 der Wehrmacht errichtet, sierte aller Art und professionelle Historiker im Sinne war ein wichtiger Schauplatz in der Geschichte der SBZ eines pluralistischen Gesellschaftsverständnisses ihre und der frühen DDR. Hier residierte von 1945 bis 1949 konkurrierende Geschichtsdeutung diskutieren. Damit der Chef der Sowjetischen Militäradministration. Am leistet das MHM einen Beitrag zu einem sachlich begrün- 10. Oktober 1949 übergab hier General Wassili Tschui- deten, eigenen Urteil seiner Besucher und Gäste. kow der ersten Regierung der DDR die Verwaltungsfunk- tionen, die bis dahin die SMAD innegehabt hatte. Mit dem ausstellungsbegleitenden Rahmenprogramm, den öffentlichen Kinovorführungen, der Vortragsreihe Die Dauerausstellung des Museums stellt aus dem Kon- „Forum Museum“ und einem abwechslungsreichen An- text des Zweiten Weltkriegs heraus auch das Verhältnis gebot sonstiger Veranstaltungen wird das MHM diesem der Sowjetunion zur DDR dar. Hier liegt ein Schwerpunkt Anspruch als Ort der Auseinandersetzung mit Geschichte auf den Jahren bis zur Gründung der DDR 1949 mit der – und damit nicht zuletzt der Geschichte der DDR – ge- Stalinisierung der SBZ und der Sicherung der Herrschaft recht. Die zwischen 2000 und 2008 herausgegebenen durch die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), MHM-Hefte haben Beispiele aus den Sammlungen und ab 1946 durch die SED. Da das Museumsgebäude Sitz ihre Geschichte vorgestellt, darunter häufig Großgerät aus der SMAD war, gehört zur Ausstellung auch das Arbeits- der DDR. Nach der Neugestaltung beginnt verstärkt die zimmer des Obersten Chefs der SMAD, der zugleich wissenschaftliche Aufarbeitung von Sammlungskomple- Oberkommandierender der Gruppe der Sowjetischen xen, etwa von Gemälden aus dem Besitz der NVA. Streitkräfte in Deutschland sowie bis März 1948 der sow- jetische Vertreter im Alliierten Kontrollrat war. Neben den Entwicklungen der sowjetischen Deutschlandpolitik Flugplatz Berlin-Gatow werden die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen 1994 wurde der Flugplatz Berlin-Gatow an die Bundes- zwischen der UdSSR und der DDR erörtert. Die Dauer- wehr übergeben, die hier seit 1995 das Luftwaffenmu- ausstellung wird seit Mai 2012 grundlegend überarbeitet seum der Bundeswehr (seit 2010 MHM Flugplatz Berlin- und bleibt bis zu ihrer Wiedereröffnung im Mai 2013 ge- Gatow) betreibt. Auf dem denkmalgeschützten Flugplatz schlossen. stellt das Museum die Geschichte der militärischen Luft- fahrt und Luftkriegsführung in Deutschland von ihren Die Erinnerungsstätte für die Freiheits- Anfängen bis zur Gegenwart dar. Im Hangar 3, dem bewegungen in der deutschen Geschichte, Tower-Gebäude, dem Hangar 7 und im Freigelände wird Rastatt die Dauerausstellung zur Geschichte der militärischen Luftfahrt in Deutschland seit 1884 gezeigt. Hier wie in Rastatt spielte in der Endphase der Revolution von 1848/49 den Wechselausstellungen werden die SED-Diktatur, die eine zentrale Rolle: Im Ehrenhof des Schlosses begann NVA und das militärische und zivile Alltagsleben thema- am 9. Mai 1849 der Aufstand badischer Soldaten, die sich tisiert. Die Wechselausstellung „Ende/Neuanfang. Die auf die „Grundrechte des deutschen Volkes“ vom Dezem- deutschen Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung“ ber 1848 beriefen und sich zur Verfassung der Paulskir- (2011/12) befasste sich mit der Rolle der deutschen Luft- che bekannten. Hier befanden sich während der Belage- streitkräfte in der „Armee der Einheit“ nach 1990. rung Rastatts im Sommer 1849 das Hauptquartier der Freiheitskämpfer und ihre letzte Bastion. Nach ihrer Ka- pitulation am 23. Juli 1849 standen sie im Ahnensaal des Das Deutsch-Russische Museum  Schlosses vor einem preußischen Standgericht. Berlin-Karlshorst Im Barockschloss von Rastatt wurde 1974, einer Anre- Das Deutsch-Russische Museum am historischen Ort der gung des damaligen Bundespräsidenten Gustav W. Hei- bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht nemann folgend, die „Erinnerungsstätte für die Freiheits- am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst ist eine bilaterale bewegungen in der deutschen Geschichte“ eingerichtet. Einrichtung, die von der Bundesrepublik Deutschland Das Bundesarchiv wurde mit der Konzeption und Gestal- und der Russischen Föderation getragen wird. Es erinnert tung einer Ausstellung beauftragt. mit seiner Dauerausstellung an den Vernichtungskrieg ge- gen die Sowjetunion. Träger des Museums ist ein von bei- Ausstellung den Partnern getragener Verein, dem sich wenig später auch die „Museen des Großen Vaterländischen Krieges“ Heute ist in einem Teil des Gebäudes eine Dauerausstel- in Kiew und Minsk anschlossen. lung zu sehen, die an die Geschichte der Freiheitsbewe- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95 – Drucksache 17/12115 gungen im 19. Jahrhundert und seit 2009 auch an Opposi- Das Kunstarchiv Beeskow: Die Geschichte  tion und Widerstand in der DDR bis zur Friedlichen der Auftragskunst in der DDR Revolution 1989 erinnert. Zum Bestand des Kunstarchivs Beeskow zählen heute Der Ausstellungsteil „Freiheitsbewegungen in der DDR“ rund 23 000 Objekte, vor allem Gemälde, Druckgrafiken, gliedert sich in fünf Teile: Zeichnungen und Aquarelle, aber auch Fotografien, Plas- tiken, Produkte des Kunstgewerbes und Medaillen aus – Freiheitsbewegungen zwischen 1945 und 1961 dem Besitz der ehemaligen Parteien, Massenorganisatio- nen und des Kulturfonds der DDR sowie des Magistrats – Freiheitsbewegungen zwischen 1961 und 1989 von Berlin. Die Werke befanden sich zunächst in Verwal- – Friedliche Revolution und Wiedervereinigung tung der Treuhand und sind nach 1994 nach dem Fundort- prinzip in das Eigentum der jeweiligen Länder überge- – Jugend zwischen Anpassung und Auflehnung gangen. Die Präsentation von Auftragskunst und die Problematisierung ihrer gesellschaftlichen Funktion, aber – Das Ministerium für Staatssicherheit. auch der Hinweis auf die in ihr teilweise versteckten Bot- schaften der Künstler verweisen direkt auf das Alltagsle- Bildungsarbeit ben der Menschen in der DDR. Die bildenden Künste hatten im Herrschaftssystem der DDR zum einen eine in- Die Außenstelle des Bundesarchivs versteht sich ganz im tegrative Funktion, in Auftragsarbeiten sollte die Schaf- Sinne von Heinemann als „lebendige Stätte der Anschau- fung des „neuen Menschen“ bildlich vorweggenommen ung und Begegnung“ mit Demokratie in ihrer spezifisch werden. Andererseits entwickelte sich insbesondere unter deutschen Tradition. Sie ist ein anerkannter außerschuli- Künstlern eine Skepsis gegenüber den gesellschaftspoliti- scher Lernort, der einen wichtigen Beitrag dafür leistet, schen Heilversprechen, sodass sich gerade am Beispiel junge Menschen immer wieder für die Werte der freiheit- dieser Werke die verbreitete Mischung im alltäglichen lich-demokratischen Grundordnung zu sensibilisieren. Verhalten zwischen Kritik, Skepsis und Subversion einer- Für Gruppen und Schulklassen werden Führungen mit seits und Anpassungsleistung andererseits aufzeigen unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten, für den Un- lässt. terricht in der Ausstellung stehen verschiedene Arbeits- Mit den Anteilen der Länder Berlin, Brandenburg und materialien zur Verfügung. Mecklenburg-Vorpommern befindet sich in Beeskow der Seit Anfang 2006 hat die Erinnerungsstätte für die Frei- größte Teil dieser Werke. Zurzeit ist das Kunstarchiv heitsbewegungen in der deutschen Geschichte ein völlig Partner im Rahmen des Forschungsverbundes „DDR-De- neues museumspädagogisches Profil. Von 2003 bis 2005 potkunst und Geschichtsvergegenwärtigung“, das vom wurde die Museumsdidaktik der Erinnerungsstätte von BMBF im Rahmen des Programms „Übersetzungsfunk- Grund auf überarbeitet. Im Auftrag des Bundesarchivs tion der Geisteswissenschaften“ gefördert wurde. In Zu- und mit Unterstützung verschiedener Stiftungen wurde sammenarbeit mit dem Zentrum für Zeithistorische For- ein zeitgemäßes museumspädagogisches Konzept zur Re- schung Potsdam und den Staatlichen Kunstsammlungen volution von 1848/49 entwickelt. Auch für die im No- Dresden haben die Mitarbeiter des Kunstarchivs eine über vember 2009 eröffnete Dauerausstellung zu den Frei- eine Datenbank öffentlich zugängliche Bestandsauf- heitsbewegungen in der DDR wurden entsprechende nahme der in der SBZ und in der DDR entstandenen Ge- didaktische Angebote erarbeitet. mälde in Museen und Sonderarchiven erarbeitet. Auf der Grundlage eines Verwaltungsabkommens zwi- Mithin liegen für folgende Ausstellungsbereiche Schüler- schen den drei Ländern wird das Kunstarchiv seit 2002 arbeitsmaterialien vor: mit der Unterstützung des Landes Brandenburg durch den – Revolution 1848/49 (Ursachen, Verlauf, Folgen) Landkreis Oder- betrieben. Seine hauptsächlichen Aufgaben bestehen in der wissenschaftlichen Erschlie- – Freiheitsbewegungen in der DDR 1949 bis 1989. ßung, Veröffentlichung, Sammlung, Archivierung und Auswertung des Bestandes. Das pädagogische Konzept stellt die Erinnerungsstätte verstärkt auch in den Dienst des Unterrichts. Es richtet Die DDR Museum Berlin GmbH sich an Schulen ebenso wie an studentische Lerngruppen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Die Ange- Das „DDR Museum“ wurde 2005 als private GmbH in bote für Schulklassen aller Schularten sind auf die jewei- Berlin gegründet. Es finanziert seinen Betrieb und die ligen Bildungsstandards abgestimmt. Altersgerechte Aktivitäten in den Bereichen Sammeln, Bewahren, For- Methoden ermöglichen Schülern unter dem Motto „Ge- schen, Ausstellen und Vermitteln vollständig aus selbst- schichte lebendig gestalten“ ein selbstständiges und ei- erwirtschafteten Einnahmen. Mitte 2006 startete der genverantwortliches Arbeiten. Dabei erfahren sie Ge- Museumsbetrieb. Schwerpunkt der Dauerausstellung ist schichte nicht nur chronologisch und in Daten, sondern das alltägliche Leben in der DDR. Am 9. Oktober 2010 lernen Strukturen und Zusammenhänge kennen, nehmen wurde die erweiterte Ausstellung eröffnet. Die neu hinzu- unterschiedliche Perspektiven ein und werden für die Be- gekommenen Bereiche ergänzen die Ausstellung des Mu- deutung geschichtlicher Ereignisse auch für die Gegen- seums um die folgenden Themen: Partei, Grenze, Verhält- wart sensibilisiert. nis zum Westen, Umwelt, Gesundheit, Privilegien, Staat, Drucksache 17/12115 – 96 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ideologie und Religion, Opposition, NVA, Strafvollzug Mitteln der Europäischen Union, des Landes Branden- und Bruderstaaten. burg und der Stadt Eisenhüttenstadt denkmalgerecht sa- niert und für die Zwecke eines Museums hergerichtet. Das DDR Museum hat sich dem Motto „Geschichte zum Mit der Gründung wurde auf das Fehlen eines wissen- Anfassen“ verschrieben. Informationen und Exponate schaftlich fundierten, alltagsgeschichtlich ausgerichteten verbergen sich oft hinter Schubläden, Türen und in Museums zur DDR-Entwicklung reagiert. Beim Aufbau Schränken. Die Exponate sollen und können angefasst des Museums stand die Zeitgeschichte als „Geschichte und benutzt werden, so sollen sich die Besucher interak- der Miterlebenden“ im Mittelpunkt. Daher wurden so- tiv mit der Ausstellung auseinandersetzen. Seit 2006 ha- wohl bei der Bestandsbildung als auch in den Ausstel- ben über 1,5 Millionen Menschen die Präsentation be- lungskonzeptionen die Transformation der ostdeutschen sucht. Neben dem Museum besteht der gemeinnützige Gesellschaft und der Generationenwandel mit berück- Förderverein „DDR Museum Berlin e.V.“, der eine regel- sichtigt. Die Konzentration des Dokumentationszen- mäßige Veranstaltungsreihe im Besucherzentrum des trums auf das Thema Alltagskultur erfolgte unter dem DDR Museums anbietet. Gesichtspunkt der spezifischen Ergänzung bestehender Institutionen, insbesondere der Archive, der Museen zur Das Mauermuseum – Museum Haus  allgemeinen Geschichte, der Gedenkstätten zur politi- am Checkpoint Charlie, Berlin schen Repression sowie der Kunstmuseen. Das Doku- mentationszentrum füllt eine Lücke in der Bewahrung Das private Mauermuseum – Museum Haus am Check- von Kulturgut und ist damit Baustein einer breiten Aus- point Charlie wurde am 14. Juni 1963 von Rainer einandersetzung mit Geschichte. Hildebrandt in den Räumen des ehemaligen „Café Köln“ am Checkpoint Charlie – und damit direkt an einem der In den ersten Jahren des Bestehens galt die besondere wichtigsten Symbole des Kalten Krieges und der deut- Aufmerksamkeit der Sicherung der alltagskulturellen ma- schen und europäischen Teilung – eingerichtet. Inhalte teriellen Hinterlassenschaften aus der DDR, die im Zuge der Ausstellung sind die Information über das Grenzge- der Umwälzungen nach 1989/90 massenhaft vernichtet schehen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen wurden. Die Sammlungen des Dokumentationszentrums Grenze und die Teilung der deutschen Hauptstadt sowie umfassen heute ca. 160 000 Objekte, die überwiegend aus der weltweite gewaltfreie Kampf für Freiheit und Men- privater Hand stammen. Die begleitend durchgeführte schenrechte. Die Ausstellung wurde laufend erweitert, Katalogisierung sichert den Provenienznachweis der vor allem durch Dokumentationen verschiedener ge- und Sammlungen und dokumentiert mehr als 2 000 private missglückter Fluchtversuche und Fluchtobjekte unter- Schenker. Aus den Sammlungen werden eigene Ausstel- schiedlichster Art, vom Mini-U-Boot bis zum Heißluft- lungen realisiert, sie stehen dem musealen Leihverkehr ballon. Zu den Inhalten der Ausstellung werden Zeitzeu- und der Forschung zur Verfügung. gengespräche angeboten. Weiter finden regelmäßige Vorführungen von Dokumentar- und Spielfilmen über die Seit dem Jahr 1995 entwickelt das Dokumentationszent- Themen des Museums statt. Das Mauermuseum wird rum Sonderausstellungen. Sie sind inhaltlich und didak- nach eigenen Angaben jährlich von über 800 000 Men- tisch nach dem Prinzip diskursiver Auseinandersetzung schen besucht. Betreiber ist die 1963 gegründete Arbeits- zwischen den Besuchern sowie einer historisch-verglei- gemeinschaft 13. August e.V. chenden Kontextualisierung der DDR konzipiert. Die Ausstellungen werden national und international gezeigt. Die aktuelle Dauerausstellung zur Alltagskultur im Kon- Das Dokumentationszentrum Alltagskultur  der DDR e.V. in Eisenhüttenstadt text der Zeitgeschichte besteht seit dem Jahr 2000. Sie wurde 2011 neu konzipiert. In dieser ständigen Ausstel- Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in lung „Leben in der DDR“ zeigt das Dokumentationszen- der Stadt Eisenhüttenstadt wurde 1993 gegründet. Die trum in zehn Kapiteln anhand spezifischer Gegenstände Trägerschaft hatte bis 1998 die Stadt Eisenhüttenstadt, aus dem Alltag unterschiedliche Aspekte aus dem Leben seit 1998 ist Träger ein eingetragener Verein. Zweck des in der DDR. Anhand dieser Objekte sollen Geschichten Dokumentationszentrums ist die Förderung der Erfor- aus dem Alltagsleben der DDR-Bevölkerung erzählt wer- schung, Darstellung und Vermittlung von Geschichte, den. Dabei werden politische, wirtschaftliche und soziale Kultur und Lebensweise im geteilten Deutschland. Er Rahmenbedingungen angesprochen. Da zunehmend we- wird insbesondere durch die museale Sammlung von Ob- niger Besucher der Generation angehören, die über ei- jekten der Alltagskultur der DDR, deren Erhalt und Erfor- gene Erfahrungen in und mit der DDR verfügt, war eine schung sowie die Darstellung der Forschungsergebnisse entsprechende Überarbeitung der Ausstellung dringend in Form von Ausstellungen und Publikationen verwirk- geboten. Dabei wurde sie um wesentliche Informationen licht. Die wissenschaftliche und museale Arbeit begleitet zu den einzelnen Gegenständen sowie zu den Rahmenbe- ein Fachbeirat. dingungen insgesamt ergänzt. Dieses Projekt wurde von BKM gefördert. Die Wiedereröffnung fand am 25. Fe- Sitz des Dokumentationszentrums ist Eisenhüttenstadt, bruar 2012 statt. die erste Stadtneugründung in Deutschland nach 1945 und heute ein Flächendenkmal. Hier betreibt das Museum In den Jahren von 2000 bis 2010 besuchten jährlich in einer ehemaligen Kinderkrippe ein Ausstellungs- und durchschnittlich 6 000 Besucher die Einrichtung. Die Be- Arbeitszentrum mit Bibliothek. Das Gebäude wurde mit sucherentwicklung ist stabil, die Höhe der Besucherzah- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 97 – Drucksache 17/12115 len aufgrund des Standorts jedoch begrenzt. Ausstellun- Unterlagen der SED mit rund 90 000 Akteneinheiten und gen des Dokumentationszentrums in anderen Städten über 50 Bestände der von ihr kontrollierten Massenorga- erreichen zum Teil deutlich mehr Besucher. nisationen einschließlich des Freien Deutschen Gewerk- schaftsbunds (FDGB) mit einem Umfang von insgesamt Gegen das Vergessen e.V. – Sammlung zur rund 11 000 laufenden Metern (lfm) vorhanden. Diese Geschichte der DDR, Pforzheim Materialien enthalten Korrespondenzen, Stellungnahmen, Sitzungsvorlagen und Protokolle zu allen Fragen der In- Aus einer anfänglich privaten Sammlung ist 1998 das nen- und Außenpolitik, der Verwaltung und der Steue- DDR-Museum in Pforzheim entstanden. Getragen wird rung der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Materialien es von dem am 15. Juni 2000 gegründeten Verein „Gegen werden intensiv genutzt, um herauszufinden, wie Ent- das Vergessen“ e.V. Ziel des Vereins ist es, durch das Be- scheidungsstrukturen in der DDR funktionierten, um Hin- treiben des Museums mit der Sammlung zur Geschichte tergründe und Details der Entwicklung der DDR kennen der DDR die Erinnerung an das Unrechtssystem der DDR zu lernen und um persönliche Rechte und Schicksale zu zu erhalten. Mitglieder des Vereins – meistens Zeitzeugen – klären. bieten Führungen durch die Sammlung an. Dieses Ange- bot wird besonders von Schulklassen aus der Region in Unterlagen aus der staatlichen Verwaltung der DDR be- Anspruch genommen. finden sich in der Abteilung DDR. Sie haben einen Um- fang von etwa 40 000 lfm. Sie umfassen Archivgut aus Die Ausstellung der Sammlung zur Geschichte der DDR den Ministerien und den ihnen nachgeordneten Stellen. umfasst die folgenden Themenfelder: Sie werden genutzt für Fragen nach dem Rechtssystem – Aufbau, Entwicklung und Ende der DDR der DDR, seiner Entstehung und seiner Anwendung in den Gerichten bis hin zum Strafvollzug, nach Zensurmaß- – Alltag nahmen und Reglementierungen bei der Ausbildung auf – Berliner Mauer allen Ebenen, nach Enteignungen bei Bodenreform und Zwangskollektivierung und nach der staatlichen Devisen- – Innerdeutsche Grenze beschaffung, dem Dopingsystem oder dem Umgang mit – Ministerium für Staatssicherheit den Kirchen. In der Abteilung Militärarchiv sind die Un- terlagen des Ministeriums für Nationale Verteidigung und – Jugend, Schule und Sport der Nationalen Volksarmee im Umfang von 5 500 lfm ar- chiviert. Hier werden zahlreiche Anfragen nach Nachwei- – Massenorganisationen sen für Rehabilitierungsverfahren, Entschädigungen und – Sowjetischer Terror Rentenberechtigungen beantwortet. Häufig werden Quel- len für Untersuchungen über Grenzzwischenfälle und – Strafvollzug. Flucht gesucht. Viele Anfragen stammen von Stiftungen Die Ausstellung wurde mit Unterstützung der Stadt und Gedenkstätten. Oft werden auch von Privatpersonen Pforzheim und der Bundesstiftung Aufarbeitung im Jahre Angaben zur Rekonstruktion der eigenen Biografie erbe- 2003 erweitert. Mit der im Juli 2012 gegründeten Stiftung ten. „Lernort Demokratie – Das DDR-Museum Pforzheim“ soll der Bestand der Einrichtung dauerhaft gesichert wer- Vielfach können mit den in der DDR entstandenen Unter- den. Das Museum verfügt über eine Ausstellungsfläche lagen Nachweise für Anspruchsberechtigungen von Pri- von ca. 300 qm und einen Unterrichtsraum für Veranstal- vatpersonen ermittelt werden, über die früher keine Un- tungen wie Vorträge und Podiumsdiskussionen sowie terlagen an Privatpersonen herausgegeben wurden. Die schulische Vor- bzw. Nachbearbeitungen. Seit September Unterlagen aus der DDR wurden bereits für Untersu- 1998 hatte das Museum in Pforzheim rund 40 000 Besu- chungsausschüsse des Deutschen Bundestages und die cher. Neben der Arbeit im Museum führt „Gegen das Ver- Zentrale Ermittlungsgruppe für Regierungs- und Vereini- gessen“ e.V. Sonderausstellungen, Vortragsveranstaltun- gungskriminalität bereitgestellt. Sie werden intensiv von gen, Podiumsdiskussionen, Ausflüge und Wettbewerbe Forschern an Universitäten und Instituten ausgewertet. zu den Themen DDR-Geschichte und SED-Unrecht Eine Liste der mit diesen Unterlagen erarbeiteten wissen- durch. schaftlichen Publikationen wird von der Bibliothek regel- mäßig aktualisiert im Internet bereitgestellt. 12 Archive Die Quellenbasis für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Das Bundesarchiv und die Stiftung Archiv  ist unvollständig, wenn nicht die einschlägigen Unterla- der Parteien und Massenorganisationen  gen aus den etwa 70 Beständen aus Dienststellen der zen- der DDR im Bundesarchiv tralen Regierung und Verwaltung in der Bundesrepublik in der Abteilung B berücksichtigt werden. Hier sind in Das Bundesarchiv besitzt zahlreiche Bestände, die für die rund 7 500 lfm Archivgut mit rund 100 000 Akteneinhei- Aufarbeitung der SED-Diktatur wichtig sind und immer ten ebenfalls Informationen zu vielen Bereichen der wieder für Forschungen zur DDR wie für die Klärung innerdeutschen Beziehungen, zu Beobachtungen der Er- persönlicher Schicksale herangezogen werden. In der eignisse in der DDR, zu Flüchtlingsfragen, Grenzzwi- Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen schenfällen und zur wirtschaftlichen Entwicklung der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) sind die zentralen vorhanden. Die Erschließungen zu zahlreichen der ein- Drucksache 17/12115 – 98 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode schlägigen Bestände sind inzwischen in der seit sechs tanz in einem Staat ohne Gewaltenteilung Rechnung ge- Jahren stetig weiter ausgebauten Rechercheplattform tragen. ARGUS übergreifend recherchierbar (www.argus.bundes archiv.de). Dort sind Erläuterungen und Beschreibungen Die Massenorganisationen der DDR nahmen ebenfalls zu rund 6 000 Beständen des Bundesarchivs vorhanden, staatliche Funktionen wahr. So hatten etwa der FDGB von denen rund 2 000 mit detaillierten Findbüchern ver- und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) bis zum Ende der DDR Fraktionsstatus in der Volkskammer. Sie besaßen knüpft sind. Von hier aus sind die bereits digitalisierten zudem die Aufgabe, große Teile des Alltagslebens der Bestände erreichbar. Insgesamt können 6 900 digitali- Bevölkerung von der Sozialversicherung bis zum Ferien- sierte Akten mit rund 2,1 Millionen Seiten aus 21 Bestän- dienst zu organisieren. den im Internet direkt gelesen werden. Die mit der Re- chercheplattform angebotenen Möglichkeiten werden Vor Gründung der Stiftung waren die Unterlagen in den vielfach genutzt, was sich nicht zuletzt in einer ständig Parteien und Organisationen jeweils für die eigenen Zwe- wachsenden Zahl von Anfragen auf Grund von Recher- cke archiviert worden. Oft waren die Archive aus den Or- cheergebnissen auch ohne vorherigen Archivbesuch ganisationsbibliotheken herausgewachsen, die in den zeigt. Auch die universitäre Lehre nutzt die Möglichkeit 1950er und 1960er Jahren die zusätzliche Aufgabe erhal- zum virtuellen Archivbesuch. Die Nutzungszahlen lagen ten hatten, wichtige historische Dokumente aufzubewah- 2011 bei über eine Mio. Aufrufen pro Monat. Das Ange- ren. Darunter befand sich im Institut für Marxismus- bot wird im Rahmen der verfügbaren Ressourcen stetig Leninismus des ZK der SED, dem die Bibliothek und ausgebaut. nach seiner Herauslösung daraus seit 1963 auch das Ar- chiv angehörten, das aus dem Zentralen Staatsarchiv ab- Die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisatio- gezogene Archivgut des Reichssicherheitshauptamtes. Es nen der DDR im Bundesarchiv wurde auf Grundlage des sollte dort als Material für die Aufarbeitung der Ge- neu eingefügten § 2a des Bundesarchivgesetzes (BArchG) schichte der Arbeiterbewegung ausgewertet und vor Be- durch den Errichtungserlass vom 6. April 1992 (GMBl, nutzung Dritter geschützt werden. S. 310) eingerichtet. Sie wurde gegründet, um die Be- stände des Parteiarchivs der SED sowie der Massenorga- In den Bibliotheken der Parteien und Organisationen be- nisationen zu sichern, in ihren gewachsenen Zusammen- fanden sich umfangreiche Bestände an grauer Literatur, hängen zu erhalten und für eine allgemeine Benutzung zu da die Parteien und Organisationen über eigene Verlage öffnen. Die Einbringerorganisationen konnten neben den und Druckereien verfügten, die vielfältige Druckschriften Bundestagsparteien Vertreter in ein neu eingerichtetes auch für die interne Kommunikation erstellten. Die Bi- Kuratorium der Stiftung entsenden und erhielten darüber bliotheken hatten die Aufgabe, diese Druckwerke, die das Recht auf jährliche Vorlage eines Arbeitsberichts nicht über den Buchhandel vertrieben wurden, vollstän- durch den Direktor der Stiftung sowie auf jederzeitigen, dig zu sammeln. So war eine enge Verquickung der Be- privilegierten Zugang zu den von ihnen eingebrachten stände von Bibliotheken und Archiven entstanden, die es Beständen. Den Vorsitz des Kuratoriums übernahm der nahe legte, die Bibliotheken mit den Archiven zusammen für das Archivwesen zuständige Gruppenleiter bei BKM. in die SAPMO zu übernehmen und so die heutige Biblio- Die Berichte an das Kuratorium sowie die Protokolle der thek von 1,2 Millionen Bänden zu schaffen. Sie ist inzwi- jährlichen Sitzungen sind auf der Website des Bundesar- schen mit ihrem Katalog und bibliografischen Diensten chivs einsehbar. im Internet präsent. Das Zentrale Parteiarchiv der SED (ZPA) entstand nach Moskauer Vorbild und begann da- Mit der Gründung der Stiftung wurde die Frage des Ei- mit, Unterlagen und Akten aus den Abteilungen des ZK gentums an den Beständen bewusst nicht entschieden. zu übernehmen. Die früheren Träger der Archive oder deren Nachfolger Gleichzeitig wurde das regionale Parteiarchivwesen in wurden zu Einbringern ihrer Archiv- und Bibliotheksbe- Anlehnung an die Parteiorganisation aufgebaut und von stände in die SAPMO. Mit den Organisationen wurde ein Berlin aus angeleitet. Das ZPA entwickelte sich zu einem Einbringungsvertrag geschlossen. Der Zugang zu den voll ausgebauten Archiv, zu dem Forscher zugelassen Unterlagen wurde im neuen § 2a (4) des BArchG ohne wurden, soweit deren zuständige Parteisekretäre ihren Geltung der Schutzfrist von 30 Jahren für die Bestände Antrag unterstützten. Neben dem ZPA gab es für die der SAPMO ab sofort gewährt. streng geheimen Protokolle und Unterlagen des Politbü- ros das Interne Parteiarchiv der SED (IPA) beim Polit- Die Organisationsform der SAPMO hatte kein Vorbild. büro im Gebäude des ZK. Es stand nur dem zentralen Ap- Sie ist als eine unselbstständige Stiftung im Bundesarchiv parat der SED zur Verfügung. Im Frühjahr 1990 wurde es direkt dem Präsidenten zugeordnet und nicht in die Abtei- an das ZPA abgegeben. Gleichzeitig wurde vom ZPA lungsstruktur integriert. Die Einbindung in das Bundes- noch vor dem 3. Oktober 1990 dem Zentralen Staatsar- archiv sollte zur Absicherung einer dauerhaften Existenz chiv das Archivgut aus den Reichsbehörden aus der Zeit der Einrichtung Synergieeffekte speziell für die anfallen- vor 1945 zurückgegeben. den Verwaltungsarbeiten nutzbar machen, während gleichzeitig der Unterschied zum staatlichen Schriftgut Das Kuratorium der Stiftung tritt jährlich zusammen und deutlich bleiben sollte. Allerdings wurde mit der Einbin- berät über die bisherige Arbeit und die Planungen der dung in das Bundesarchiv der verfassungsmäßigen Rolle Stiftung. Es hat wiederholt betont, dass es die Öffnung der SED in der DDR als letztgültiger Entscheidungsins- der Bestände unter Nutzung des Internet sehr begrüßt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 99 – Drucksache 17/12115

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des derungen. Die Überlieferung von vor allem personenbe- Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen zogenen Unterlagen der Geheimpolizei einer Diktatur in Deutschen Demokratischen Republik solcher Geschlossenheit ist historisch und weltweit ein- malig. Es mussten Wege gefunden werden, in die Arbeits- Die Archive des BStU weise der Staatssicherheit und ebenso in die Inhalte der Als das Ende der SED-Diktatur sich ankündigte, begann umfangreichen Unterlagen und die Verbindungen zwi- das MfS damit, die Zeugnisse seiner Tätigkeit zu beseiti- schen den Überlieferungsarten Einblick zu gewinnen. gen – erst systematisch, später immer hektischer. Nach- dem die Verkollerungsmaschinen überlastet waren, zer- Die Archivarbeit berücksichtigt zeitgleich aktuelle Nutze- rissen MfS-Mitarbeiter die Unterlagen von Hand. Reichte rinteressen und die archivfachlichen Erfordernisse. So auch dafür die Zeit nicht mehr, wurden Unterlagen, die richteten sich in den Anfangsjahren die Bemühungen vor vor allem den damaligen aktuellen Dienstablauf doku- allem darauf, die archivierten Unterlagen mit Personen- mentieren konnten, zum Teil sehr stark in Unordnung ge- bezug durchgängig recherchierbar zu machen. Die Re- bracht. Die von den Besetzern der Stasi-Dienststellen ge- cherche erfolgte über die weitgehend erhalten gebliebe- bildeten Bürgerkomitees sorgten dafür, dass die MfS- nen zentralen Karteien des MfS. Mit dem anschließenden Unterlagen gesichert wurden. Schriftgut aus den Dienst- Aufbau und der Einführung der Datenbank Elektroni- zimmern wurde gebündelt und soweit möglich inventari- sches Personenregister 1993 konnte auch zu Personen aus siert. Durch diese ersten Sicherungsaktionen blieben die dezentral geführten MfS-Karteien recherchiert werden. Unterlagen für die spätere Nutzung erhalten. Seit Ende 1993 werden zudem Fundstellen zu Personen in Davon ausgenommen waren Unterlagen, die mit Zustim- die Datenbank aufgenommen, zu denen Material im Rah- mung des Runden Tisches vernichtet wurden – eine, wie men der Erschließung und Auskunftserteilung der Be- sich später zeigte, verhängnisvolle Entscheidung. Hierbei hörde gefunden wurde. Damit erweiterten sich die Kennt- handelte es sich vor allem um die elektronischen Daten- nisse über die Informationen, die zu Einzelnen vom MfS träger des MfS mit personenbezogenen Daten und die Si- gesammelt worden waren, erheblich. cherungskopien der Zentralen Personenkartei. Nach einer Genehmigung der Arbeitsgruppe Sicherheit des Runden Neben dem seit der Behördengründung gegebenen perso- Tisches wurden auch die Unterlagen der Hauptverwal- nenbezogenen Zugang zu den vom MfS archivierten und tung Aufklärung und ihrer Linienorganisationen in den registrierten Unterlagen war es dringend geboten, die Bezirken fast vollständig vernichtet. Überlieferung auch thematisch recherchierbar zu machen. Die in den Archiven des BStU aufbewahrte Hinterlassen- Die in den Archiven des BStU aufbewahrte Überlieferung schaft des Staatssicherheitsdienstes ist die Grundlage der der DDR-Geheimpolizei gliedert sich wie erwähnt in Arbeit der Behörde. Unter Anwendung der Regelungen zwei Bereiche: die archivierten Ablagen (vom MfS archi- des StUG werden die Unterlagen nach archivischen vierte Unterlagen; insgesamt ca. 51 000 lfm) und zum an- Grundsätzen bewertet, erschlossen, verwahrt und verwal- deren die Teilbestände der Diensteinheiten, die vor allem tet. Im StUG hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Un- terlagen für darin beschriebene Zwecke zu verwenden in Bündeln vorlagen. Zu den Teilbeständen der Dienstein- sind und dafür zugänglich gemacht werden. Unabhängig heiten gehören all jene Unterlagen, mit denen bis zum davon sind sie gemäß ihrem historischen Wert dauernd Ende des Staatssicherheitsdienstes aktiv gearbeitet wurde aufzubewahren. (insgesamt ca. 60 000 lfm). Physisch gesehen hat es der BStU mit einer äußerst hete- Das zum großen Teil in Form von losen Blättern überlie- rogenen Überlieferung zu tun: Erstens den nach Perso- ferte Schriftgut ist im Zuge der Auflösung des MfS nach nennamen zugriffsfähigen Vorgängen (archivierte Abla- Struktureinheiten (sofern erkennbar) gebündelt worden. gen des MfS), zweitens den in ungeordnetem Zustand Diese Bündel sind nach wie vor aufwändig zu ordnen und gebündelten Mitarbeiterablagen mit unvollkommenen in ihren Überlieferungszusammenhang zu stellen. Ein Zu- Angaben zur Unterstruktur, die ohne jegliche inhaltliche griff auf sie war zunächst weder personen- noch sachbe- Zugriffsfähigkeit vorlagen (Unterlagen der Diensteinhei- zogen möglich. Daher wird der Erschließung dieser Un- ten). Von den rund 111 000 lfm Schriftgut – archivierte terlagen seit Bestehen des BStU nach festgelegten Ablagen und Unterlagen der Diensteinheiten – wurden in- Kriterien hohe Priorität beigemessen. Inzwischen sind zwischen thematisch erschlossen: 86 Prozent Unterlagen von den Unterlagen der Diensteinheiten in den Außen- der Diensteinheiten und vier Prozent archivierte Ablagen. Neben dem Schriftgut sind ca. 1,8 Millionen audio- stellen und in der Zentralstelle 52 000 lfm erschlossen visuelle Medien (z. B. Fotos, Filme, Tondokumente) und (ca. 86 Prozent). maschinenlesbare Daten aus wichtigen Datenprojekten Bei den archivierten Ablagen, die bis 1989 vom Ministe- des Ministeriums für Staatssicherheit überliefert. Zudem rium für Staatssicherheit und seinen Bezirksverwaltungen sind dem Umfang mehr als 15 000 Behältnisse mit zerris- senen Unterlagen hinzuzurechnen. Hinzu kommen wei- abgelegt wurden, handelt es sich um Schriftgut, das aus tere Unterlagen auf Sicherungs- und Arbeitsfilmen. vorwiegend personenbezogenen Akten und formierten Vorgängen besteht. Dieses enthält operatives, zumeist über die überlieferten zentralen Personenkarteien recher- Erschließung, Nutzung und Recherche chierbares Material. Thematisch sind davon bislang etwa Die Hinterlassenschaft des MfS stellte die Archive von vier Prozent erschlossen. Die archivische Erschließung Beginn der Arbeit des BStU an vor besondere Herausfor- dieser Vorgänge war gegenüber den Unterlagen der Dienst- Drucksache 17/12115 – 100 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode einheiten zurückgestellt worden, da bereits ein personen- des BStU an den Deutschen Bundestag, der dem Gesetz- orientierter Zugriff möglich war. geber eine Entscheidung über die Durchführung eines möglichen Hauptverfahrens zur virtuellen Rekonstruktion Unterlagen der Staatssicherheit sind neben dem Schrift- ermöglichen soll, wird das Pilotverfahren abschließen. gut auch insgesamt fast 1,8 Millionen Fotodokumente und ca. 30 000 Film-, Video- und Tondokumente sowie Die ursprüngliche Planung sah den Abschluss der Pilot- maschinenlesbare Daten. Davon wurden bisher 1 Million phase bis zum 31. März 2009 vor. Jedoch gestaltete sich zugänglich gemacht, sodass der Erschließungsstand hier bei die Entwicklung der verschiedenen Module wesentlich rund 55 Prozent liegt. Im Einzelnen sind die Tondokumente zeitaufwändiger, als der Auftragnehmer bei Projektstart aus den Außenstellen zu über 60 Prozent erschlossen, die angenommen hatte. Es wird deshalb zu einer erheblichen, aus der Zentralstelle zu etwa drei Vierteln. Während weit allerdings für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben über die Hälfte der Fotoüberlieferung erschlossen ist, sind dieser Komplexität nicht ungewöhnlichen zeitlichen Ver- die ca. 1 120 Filme und 1 660 Videos komplett erschos- zögerung kommen. Das Fraunhofer IPK hat bisher die In- sen. Außerdem werden die Informationen von 46 Daten- halte aller abgenommenen Meilensteine in der geforder- projekten des MfS und seiner Bezirksverwaltungen er- ten Qualität geliefert. schlossen und die Daten in modernen Speichermedien gesichert. An die Entwicklungsphase soll sich die Testphase des Pi- lotverfahrens anschließen, um an Hand von zerrissenem Schriftgut aus 400 nach inhaltlicher Relevanz ausgewähl- Manuelle und virtuelle Rekonstruktion zerrissener  ten Lagerungsbehältern die Komponenten auf ihre Ein- MfS-Unterlagen satzfähigkeit im Massenbetrieb zu prüfen. Mit dieser Die seit 1995 bestehende Projektgruppe „Manuelle Rekon- Testphase setzt auch die archivfachliche Erschließung struktion zerrissener MfS-Unterlagen“ hat den Auftrag, und Zugänglichmachung der virtuell rekonstruierten Un- jene Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wieder zu- terlagen durch den BStU ein. sammenzusetzen, die von Angehörigen des MfS 1989/90 grob per Hand zerrissen, aber nicht mehr endgültig besei- Der Deutsche Bundestag hat in den Haushaltsjahren tigt werden konnten. Im Einzelnen ist sie zuständig für 2011/12 zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 2 Mio. die Sichtung, Zusammensetzung und erste Formierung Euro für eine Erweiterung des Forschungsauftrags etati- der Unterlagen. Rund die Hälfte der Gruppe besteht aus siert. Diese Erweiterung umfasst nun auch die Untersu- Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flücht- chung und Entwicklung von Lösungen zur IT-gestützten linge. Formierung der virtuell wiederhergestellten Einzelseiten sowie zu deren Erschließung. Diese Module sind weitere Inzwischen wurden vom BStU weit mehr als eine Million Bausteine, um die zerrissenen MfS-Unterlagen schneller Blatt manuell rekonstruiert. Zahlreiche Schicksale, aber als bisher zugänglich machen zu können. auch Verantwortlichkeiten konnten erst im Licht der wie- der zusammengefügten Unterlagen geklärt werden. Das Bestandserhaltung betrifft Dokumente aus der Beobachtung und Verfolgung prominenter Oppositioneller und von Regimekritikern. Der Bestandserhaltung der Hinterlassenschaft des Minis- Daneben konnte ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern teriums für Staatssicherheit wird beim BStU große Auf- des MfS mit Hilfe der rekonstruierten Unterlagen ihre Tä- merksamkeit gewidmet. Aus dieser speziellen Sicht tigkeit nachgewiesen werden. Nach Auffassung des BStU konnten seit Bestehen der Behörde sowohl die technische ist es für die Rekonstruktion großteilig zerrissener Unter- Ausstattung der Archive als auch die Methoden des Aufbe- lagen auch künftig sinnvoll, parallel zu einer künftig reitens der Unterlagen für die Nutzung ständig verbessert möglichen virtuellen die manuelle Rekonstruktion auf- werden. Die Unterlagen waren 1990 in sehr unterschiedli- rechtzuerhalten. Bei der manuellen Rekonstruktion wird chen Umgebungen vorgefunden worden. Das Spektrum neben den Informationen auch das historische Material reichte von zum Teil klimatisierten Magazinen im MfS- selbst wieder hergestellt. Das ist beispielsweise für zeit- Zentralarchiv in Berlin bis zur unsachgemäßen Lagerung geschichtlich herausragende Dokumente wie Protokolle in einem Bunker in Cottbus. Zum Verschleiß des Archiv- oder Aktenstücke, die von den Spitzen der SED und des materials trugen zusätzlich die vielfache Nutzung und der MfS oder ihren ausländischen Verbündeten selbst erstellt, Transport zwischen den Liegenschaften des BStU bei. unterzeichnet oder eigenhändig bearbeitet wurden, von Mit dem Ausbau und der Modernisierung bestehender besonderer Bedeutung. Liegenschaften oder dem Umzug in geeignete Räumlich- Im Jahr 2007 bewilligte der Deutsche Bundestag ca. keiten verbesserten sich auch die Lagerungsbedingungen 6 Mio. Euro für die Durchführung eines Pilotverfahrens für das Archivgut. Ein Großteil der Unterlagen wurde zur virtuellen Rekonstruktion von zerrissenen MfS-Un- zwischenzeitlich in säurefreie Behältnisse verpackt; in terlagen. Hierzu erging im Frühjahr 2007 ein Forschungs- den Magazinen wurden klimaverbessernde Lösungen ge- auftrag an das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen schaffen. Tondokumente, Kinefilme und Videos werden und Konstruktionstechnik (IPK). Das Pilotverfahren be- unter speziellen Bedingungen zentral in Berlin gelagert. steht aus zwei Hauptbausteinen: die vom Fraunhofer IPK Auch die voranschreitende Erschließung der Unterlagen zu realisierende technische Entwicklungs- und Testphase zieht neue Herausforderungen für die Bestandserhaltung sowie die archivfachliche Bearbeitung der virtuell re- nach sich. Erstmals 2007 wurden beispielsweise Nitrat- konstruierten Einzelseiten durch den BStU. Ein Bericht filme im Bestand nachgewiesen, die wegen ihrer Gefähr- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 101 – Drucksache 17/12115 lichkeit separat gelagert und möglichst rasch dupliziert FDGB erstellt, die seit Herbst 2009 in den online-Auftritt werden müssen. des Netzwerks „SED-/FDGB-Archivgut“ eingebunden ist. Eine häufige Nutzung der Aktenbestände und der Kar- teien des MfS führt zum Verschleiß des Papiers und zu Informationsverlusten. Die Schutzverfilmung gefährde- Die Dokumentationsstelle Widerstands- und ter Unterlagen ermöglicht einen fortwährenden Zugang Repressionsgeschichte in der NS-Zeit und der sowie eine dauerhafte Sicherung derselben. SBZ/DDR – Dokumentationsstelle Dresden Entstehung und Entwicklung Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der Bestandserhal- tung der vom MfS gefertigten Mikrofilme. Diese sind Die „Dokumentationsstelle Widerstands- und Repressions- durch den häufigen Gebrauch zu Recherchezwecken, geschichte in der NS-Zeit und der SBZ/DDR“ (seit 2010 zum Teil auch durch die Anfertigung von Rückkopien, Dokumentationsstelle Dresden) wurde auf Vorschlag des sehr stark beansprucht und in ihrer Substanz gefährdet. Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Deshalb werden für die Akteneinsicht polaritätsgleiche Kunst vom Frühjahr 1999 und nach einem Beschluss des Duplikatfilme gefertigt. Stiftungsrats der Stiftung Sächsische Gedenkstätten vom 19. April 1999 eingerichtet. Sie nahm am 1.September Die Konservierung der Bestände umfasst diverse präven- 1999 in der StSG ihre Arbeit auf. Sie ist hervorgegangen tive Maßnahmen wie archivgerechte Verpackung, klima- aus dem Bereich Widerstandsforschung am Hannah- tisierte Lagerung und umsichtige Handhabung in allen Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V., der zu Bereichen. Die Unterlagen bestehen aus heterogenen Pa- diesem Zeitpunkt an die Stiftung transferiert wurde. Die pieren und tragen, oft herstellungsbedingt, den Keim der Dokumentationsstelle hat eine zentrale Aufgabe darin, Zerstörung durch Säurebildung in sich. Bei der häufigen die sächsischen Gedenkstätten in ihrer Arbeit zu unter- Nutzung werden sie außerdem mechanisch stark bean- stützen. Sie war jedoch in ihrer Tätigkeit von Anfang an sprucht und auch geschädigt. Eine Konservierungsmög- nicht allein auf Sachsen beschränkt. Bereits ihr „Vorgän- lichkeit für diese Papiere bietet die Entsäuerung. Das ger“, der Bereich Widerstandsforschung am HAIT, war in Massenproblem des schleichenden Papierzerfalls kann je- der thematischen und zeitlichen Spannweite seiner Arbei- doch nicht in Einzelrestaurierungen bewältigt werden. In ten auf den gesamtstaatlichen, teils internationalen Be- der Restaurierungswerkstatt des BStU wurden daher Un- reich ausgerichtet, was sich u. a. in der Breite seiner Ma- terlagen aus verschiedenen Teilbeständen für ein Pilot- terialsammlung zeigte. projekt zur Massenentsäuerung ausgewählt, welches aus Mitteln des Konjunkturpaketes II der Bundesregierung Seit der Einrichtung der Dokumentationsstelle bilden die umgesetzt wurde. Aufgabenbereiche „Auskunftstätigkeit“ und „Forschung“ zwei ihrer vier zentralen Aufgabenbereiche sowohl für Findmittel im Internet die Opfer der NS-Terrorherrschaft wie auch der SED- Diktatur: Einen grundlegenden Überblick über alle beim BStU ver- walteten Bestände vermitteln die Bestandsübersichten, – Dokumentation von Opfer- und Widerstandsschicksa- die wesentliche Erkenntnisse aus dem Erschließungspro- len, zess widerspiegeln. Sie sind seit einigen Jahren im Inter- – Auskunftstätigkeit und Beratung für Betroffene und net abrufbar und werden regelmäßig aktualisiert. Hinzu Hinterbliebene, kommt eine Reihe von Findbüchern und Aktenverzeich- nissen. Beispielhaft sei verwiesen auf die online-Einstel- – Durchführung von Forschungsprojekten zu zentralen lung des Verzeichnisses für Filme und Videos im Jahre Repressionsthemen oder Verbrechenskomplexen, 2009. Diese Bestandsübersichten werden stetig fortge- – Publikation der Projektergebnisse. schrieben, um den Nutzern geeignete Mittel zur Recher- che bereitzustellen. In den vergangenen Jahren wurden Seit dem Jahr 2000 ist die Dokumentationsstelle die lei- schwerpunktmäßig Aktenverzeichnisse zu Diensteinhei- tende Stelle des im Auftrag der Bundesregierung durch- ten der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen ver- geführten internationalen Projekts „Sowjetische und deut- öffentlicht. Im Gegensatz zu gedruckten Findmittelüber- sche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum sichten bieten diese Verzeichnisse eine kurze Einführung Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit“. Im Bereich in die Thematik und verzichten dafür auf ein ausführli- „Sowjetische Kriegsgefangene“, „Deutsche Speziallager- ches Register. häftlinge und SMT-Verurteilte“ sowie „Schicksalsklärung und Rehabilitierung deutscher Staatsbürger“ ist sie die Darüber hinaus werden Unterlagen auch außerhalb der einzige, seit Jahren auf vertraglicher Grundlage interna- Internetseiten des BStU online präsentiert. Der BStU be- tional tätige Organisationseinheit der Stiftung. Daher hat teiligt sich beispielsweise mit verschiedenen Findbuchda- die StSG innerhalb der Gedenkstättenstiftungen Deutsch- teien am Archivportal „SED-/FDGB-Archivgut“. Bei die- lands hierin ein Alleinstellungsmerkmal. Hinzu kommen sem Portal handelt es sich um ein Kooperationsprojekt intensive Arbeitsbeziehungen zur Haupt-Militärstaatsan- des Bundesarchivs mit den Landes- und Staatsarchiven waltschaft in Moskau, über die in dieser Dauer keine an- der neuen Länder und des Landes Berlin. Der BStU hat dere deutsche Institution in dieser Form verfügt. Seit Juni hierzu eine online-Beständeübersicht zu im MfS-Überlie- 2008 nimmt die Dokumentationsstelle Dresden im Rah- ferungsbereich enthaltenen Unterlagen von SED und men einer Aufgabenübertragung Aufgaben des AA im Drucksache 17/12115 – 102 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bereich „Russisches Rehabilitierungsgesetz und deutsche achten genutzt werden. Dieser Bestand ist zu einem über- Antragsteller“ wahr. wiegenden Teil mit Zustimmung des BMI vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuz (DRK) für Aus- Die Dokumentationsstelle ist im Laufe ihrer Geschichte wertungs- und wissenschaftliche Zwecke der Dokumen- zu einer der zentralen Anlaufstellen der Bundesrepublik tationsstelle zur Verfügung gestellt worden. Zum Teil Deutschland für Personen geworden, die erstens als deut- wurde er in eigens initiierten Kooperationsprojekten mit sche Kriegsgefangene in sowjetische Hände gefallen dem DRK-Suchdienst für dessen sowie stiftungseigene sind, zweitens Opfer der sowjetischen Strafpraxis nach Zwecke erarbeitet (dt. Kriegsgefangene). Ein Teil der Be- 1945 wurden bzw. drittens Opfer der SED-Diktatur ge- stände beruht zudem auf einer Kooperation zwischen dem worden sind. Sie hat zur Erfüllung dieser Aufgaben große AA und der Dokumentationsstelle Dresden. Die Daten- EDV-gestützte personenbezogene Datenbestände aufge- banken sind sowohl für Einzelabfragen nutzbar wie auch baut und nutzt diese für ihre wissenschaftliche und Aus- für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen aufbe- kunftstätigkeit gegenüber Privatpersonen und öffentli- reitet. chen Ämtern. Die Bestände zu deutschen Kriegsgefangenen und Zivil- In diesen Anfragen geht es entweder um vertiefende häftlingen umfassen zurzeit ca. 2,7 Millionen Datensätze Schicksalsklärung mit Hilfe von Akten, die in der Doku- sowie mehr als 10 Millionen digitalisierte Dokumenten- mentationsstelle Dresden vorhanden sind oder die beschafft werden müssen, oder um eine bestimmte Einordnung von seiten. Haftgründen für die Antragstellung und Entscheidung von Ämtern im Rahmen der verschiedenen SED-Un- Die Robert-Havemann-Gesellschaft e.V.,  rechtsbereinigungsgesetze bzw. des Häftlingshilfegeset- Archiv der DDR-Opposition zes. Es geht auch um Beratung. Hierzu sind z. B. Gutach- ten oder Auskünfte für Ämter anzufertigen. Die Die Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. (RHG), am Dokumentationsstelle der StSG erfüllt damit wichtige 19. November 1990 in Berlin von der Bürgerbewegung historisch-wissenschaftliche sowie humanitäre Aufgaben Neues Forum gegründet, dokumentiert und vermittelt die für die Betroffenen und ihre Hinterbliebenen. Die Stif- Geschichte und die Erfahrungen von Opposition und Wi- tung ist zudem gegenwärtig die einzige deutsche Institu- derstand gegen die kommunistische Diktatur. Der Verein tion, die im Auftrag von Betroffenen Akteneinsicht in ist Träger des Archivs der DDR-Opposition und Heraus- Strafakten beim FSB (früher KGB) in Moskau im Um- geber von Publikationen zur Oppositionsgeschichte. Poli- fang mehrerer hundert Fälle im Jahr vornimmt. Auch für tische Bildungsarbeit betreibt der Verein mit Ausstellun- die Archive in Weißrussland bzw. der Ukraine verfügt sie gen, Veranstaltungsreihen und Seminaren. – teilweise als einzige deutsche Institution – seit 2002 über gesicherten Aktenzugang. Archive Seit der offiziellen Aufgabenwahrnehmung im Rahmen Das Archiv der DDR-Opposition beinhaltet Materialien ab des „Russischen Rehabilitierungsgesetzes“ werden durch 1945 über antikommunistischen Widerstand, über kirchli- Mitarbeiter der Dokumentationsstelle Dresden jährlich che oder atheistische Systemkritiker sowie über Men- ca. 3 000 bis 3 500 Anfragen bearbeitet, darunter auch schenrechts-, Friedens-, Frauen- und Umweltgruppen. vermehrt Anfragen für Gedenktafeln von Opfern der Unter den Dokumenten sind Kassiber, Flugblätter, Samis- SED-Diktatur, bezüglich einzelner örtlicher Gruppen dat-Publikationen der DDR-Opposition oder Dokumente oder etwa Berufsgruppen. Das Interesse hat sich auf die- der Bürgerbewegungen von 1989/90. Zu über 500 lfm sem hohen Niveau stabilisiert. Ein Sinken der „Nach- Schriftgut kommen 80 000 Fotos und 800 Plakate. Da- frage“ ist auch für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. rüber hinaus existieren umfangreiche Sammlungen von Die thematischen Forschungsschwerpunkte der letzten Filmen, Audios, Transparenten und anderen Objekten. Jahre bildeten Geheimdienstdokumente zum 17. Juni Zeitzeugenberichte ergänzen die Bestände. Die archivier- 1953, sowjetische Speziallager in der SBZ, sowjetische ten Dokumente von Opposition und Widerstand bilden Todesurteile gegen deutsche Zivilisten in den Jahren 1945 eine Art Gegenüberlieferung zu den Staats- und Parteiak- bis 1947, das Lagersystem für deutsche Kriegsgefangene ten des SED-Staats. in der UdSSR sowie sozialstatistische Befragungen zu Haftfolgeschäden politischer Haft in der SBZ und der Die drei Wurzeln des Archivs sind das im Mai 1992 im DDR. Die Sammlungs- und Dokumentationstätigkeit Hinterhaus der Schliemannstr. 23 im Berliner Prenzlauer wird in den nächsten Jahren fortgesetzt. Berg eingerichtete Robert-Havemann-Archiv mit dem Nachlass Robert Havemanns und den Unterlagen des Die Dokumentationsstelle verfügt über eine Reihe von Neuen Forums als Gründungsbeständen, das Matthias- EDV-gestützten Informationen und Dokumenten, wie sie Domaschk-Archiv, am 7. Januar 1992 in der Umwelt- in keiner anderen Einrichtung im Bereich der deutschen Bibliothek Berlin gegründet, das sich 1993 der RHG an- Gedenkstätten vorliegen: Dokumente und Personenver- schloss mit der Dokumentensammlung der Umwelt- zeichnisse zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener Bibliothek aus der DDR-Oppositionsbewegung der und Zivilisten (für letztere Verfolgungen in der SBZ und 1980er Jahre und schließlich das Archiv GrauZone mit in der DDR), die vor allem für die Forschung und Doku- seinen Materialien zur ostdeutschen nichtstaatlichen mentation aufbereitet sind bzw. für historische Kurzgut- Frauenbewegung, das die RHG 2003 übernahm. Die Be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103 – Drucksache 17/12115 stände dieser drei Archive wurden in der RHG zum Ar- Das ThürAZ legte von Anfang an einen Schwerpunkt auf chiv der DDR-Opposition zusammengeführt. archivische und historisch-politische Bildungsarbeit. Da- bei werden zielgruppenspezifische Formate für Schüle- Zum 20. Jubiläum von Friedlicher Revolution und Wieder- rinnen und Schüler, Studierende, Multiplikatoren und die vereinigung 2009/10 präsentierte die Robert-Havemann- Fach- und allgemeine Öffentlichkeit angeboten. Gesellschaft in Kooperation mit der Kulturprojekte Berlin GmbH die Open-Air-Ausstellung „Friedliche Revolution Das ThürAZ wird im Rahmen der Projektförderung von 1989/90“ auf dem Berliner Alexanderplatz. Sie war vom der Bundesstiftung Aufarbeitung, vom Freistaat Thürin- 7. Mai 2009 bis zum 3. Oktober 2010 zu sehen und wurde gen und von der Stadt Jena gefördert. vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, dem damaligen Bundesaußenminister und Vi- Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. zekanzler, Frank-Walter Steinmeier, und dem Beauftrag- ten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staats- Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. wurde im Mai minister Bernd Neumann, eröffnet. Mehr als 2 Millionen 1991 von ehemaligen Leipziger Oppositionellen gegrün- Menschen – so auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am det. Das Archiv konnte auf einen Bestand zurückgreifen, 4. Mai 2012 – besuchten die Ausstellung, die mit über der schon seit 1988 von Mitgliedern der Leipziger Oppo- 700 Fotos und Textdokumenten, mit Filmen, Tonbeiträ- sition unter den Bedingungen der Diktatur, damals „ge- gen und gegenständlichen Exponaten die Vorgeschichte tarnt“ als Gemeindebibliothek im Markuspfarramt in und den Verlauf der Friedlichen Revolution und den Weg Leipzig, gebildet wurde und der Öffentlichkeit zur Verfü- zur Deutschen Einheit bis zu den ersten gesamtdeutschen gung stand. Wahlen am 2. Dezember 1990 dokumentierte. Über Im Archiv werden seit dessen Gründung die hinterlasse- 90 Veranstaltungen begleiteten die Ausstellung, die im nen Selbstzeugnisse der DDR-Opposition, der Bürgerbe- September 2009 mit dem von der Bundeszentrale für wegungen und der in den Jahren 1989/90 entstandenen politische Bildung verliehenen „einheitspreis“ in der Ka- Initiativen und Parteien gesammelt und nach archivwis- tegorie „Kultur – Profil der Einheit“ ausgezeichnet senschaftlichen Prinzipien erschlossen. wurde. Die Ausstellung wurde durch die Stiftung Deut- sche Klassenlotterie Berlin und BKM, das Rahmenpro- Für anlässlich der Jubiläen zur Friedlichen Revolution gramm vom BMI gefördert. und zur Deutschen Einheit erarbeitete wissenschaftliche Studien, Ausstellungen und Beiträge in den Medien hat Die RHG hat 2009 zudem Erinnerungs- und Informa- das Archiv Bürgerbewegung unerlässliches Material lie- tionsstelen zur Friedlichen Revolution von 1989/90 in fern können. Wissenschaftler, Studenten und Journalisten Berlin errichtet. Auf dieses Projekt wird im Kapitel 13 aus dem In- und Ausland nutzen das Archiv. „Denkmäler und Mahnmale“ eingegangen. Seit vielen Jahren realisiert das Archiv Bürgerbewegung außerdem Projekte der politischen Bildung. So wurden Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte u. a. Wanderausstellungen erarbeitet, die sehr erfolgreich „Matthias Domaschk“, Jena in ganz Deutschland gezeigt werden. Anhand unter- schiedlicher Themen werden die diktatorischen Verhält- Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias nisse in der DDR dargestellt. Ziel ist es, Momente der Zi- Domaschk“ (ThürAZ) ist das Spezialarchiv der Opposi- vilcourage und der Menschenrechte ins Bewusstsein zu tion und des Widerstandes in der SED-Diktatur für den rücken. Der Ausstellungskatalog steht unter www.archiv- Freistaat Thüringen. Es wurde 1991 gegründet. Träger ist buergerbewegung.de/ausstellungen online zur Verfügung. seitdem der Verein Künstler für Andere e.V., der aus der Im Laufe der Jahre hat sich dadurch ein enges Netzwerk gleichnamigen Jenaer Gruppe der DDR-Opposition her- von Kooperationspartnern in ganz Deutschland entwi- vorgegangen ist. ckelt. Neben Aufarbeitungsinitiativen und öffentlichen Das Archiv verfügt über knapp 100 Vor- und Nachlässe Institutionen gehören immer mehr Schulen dazu, die das sowie Sammlungen von Bürgerrechtlerinnen und Bürger- Angebot nutzen. rechtlern. Diese Bestandsgruppe gibt Einblick in die Op- Im Jahr 2011 wurde eine von der Bundesstiftung Aufar- positionstätigkeit besonders in den 1970er und -80er Jah- beitung finanzierte virtuelle Ausstellung zur Deutschen ren, wobei die Erwerbstätigkeit des Archivs den Zeitraum Einheit erarbeitet. Unter dem Titel „Power to the people – von 1945 bis 1990 umfasst. Der geografische Schwer- Leipzig zwischen Anarchie und Nationalstaat“ beleuchtet punkt liegt bei den ehemaligen Bezirken Gera, Erfurt und und würdigt sie in einer Lokalstudie bürgerschaftliches Suhl, dem heutigen Freistaat Thüringen. Engagement bis zur Deutschen Einheit und erinnert so an die demokratischen Prinzipien von Einmischung, Gestal- Die Bestände sind in gedruckten Übersichten und auch im tung und Aktion (online unter: www.deutsche-einheit- Internet verfügbar. Das Archiv ist öffentlich zugänglich leipzig.de). und bietet Nutzern sowohl die Möglichkeit einer selbst- ständigen Nutzung als auch eine Nutzerbetreuung, die In der Aufarbeitungsdebatte wird das Archiv in Zukunft Vorrecherchen und Recherchen auf Anfragen, Archivfüh- den europäischen Gedanken stärker in das Bewusstsein rung und Einführungen in die Findhilfsmittel, die Ver- rücken. So groß das Interesse bis 1989 an Osteuropa in mittlung von Zeitzeugen sowie die Erstellung von Repro- der DDR war, so endete es abrupt mit den neuen Proble- duktionen umfasst. men der Deutschen Einheit. Deshalb arbeitet das Archiv Drucksache 17/12115 – 104 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bürgerbewegung verstärkt mit ost- und südosteuropäi- westsachsen e.V. ist eine aus der Mitte der Gesellschaft schen Aufarbeitungsinitiativen zusammen und präsentiert gewachsene Initiative und besteht seit 1998. Das Zentrum deren Arbeiten in Leipzig. Im Herbst 2010 wurde eine für Gewaltfreiheit und Zivilcourage e.V. knüpft an die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem „Memorial der Friedens- und Bürgerbewegung in der DDR und die Revolution Timişoara“ gezeigt. In erschütternden Fotos Friedliche Revolution an und versteht sich als Aufarbei- wurde die blutige Revolution in Rumänien im Dezember tungsinitiative für die DDR-Oppositions- und Repres- 1989 nachgezeichnet. Weiter besteht eine Zusammenar- sionsgeschichte. Insbesondere werden folgende Ver- beit mit dem Nationalen Historischen Museum Tirana, einsziele und Projekte verfolgt: um die in Deutschland weitgehend unbekannte Unterdrü- ckung unter der Hoxha-Diktatur zu thematisieren. Im Mai – Sammlung, Sicherung, Erschließung von Archivmate- 2011 wurde im Europahaus Leipzig die Fotoausstellung rial aus der Bürgerbewegung Südwestsachsens zur „The prisons of the prison‘s polity – Die Gefängnisse des Pflege und Erhaltung dieser Kulturwerte für Doku- Gefängnis-Staates“ präsentiert, die zum ersten Mal in mentation, Bildung und Forschung Deutschland zu sehen war. – Aufarbeitungsinitiative für DDR-Oppositionsge- Darüber hinaus betreut das Archiv seit Jahren Schülerpro- schichte und SED-Unrecht jekte vor Ort, momentan in Leipzig, Markkleeberg und Borna, die sich mit den historischen Ereignissen der Re- – Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde in gion und des Umfeldes beschäftigen. Dabei kommen ver- Form von Forschungsprojekten über den Kirchen- schiedene didaktische Methoden zum Einsatz, um das kampf während des Nationalsozialismus sowie oppo- hohe Kulturgut Menschenrechte und Demokratie erlebbar sitionelles und widerständiges Verhalten während der zu machen. Außerdem werden für Träger der politischen DDR-Zeit in der Region Südwestsachsen Bildung, Ausbildungseinrichtungen und Touristengrup- pen u. a. Bildungsreisen, Vorträge und Zeitzeugengesprä- – Bildungs- und Begegnungsarbeit, insbesondere unter che angeboten. Jugendlichen, für Gewaltfreiheit und Zivilcourage, um Der Verein hat in den letzten Jahren eine Reihe von Publi- Radikalisierung und Gewalt in der Gesellschaft zu be- kationen zu verschiedenen Themen herausgegeben, so u. a. gegnen zum Jugendlichen Widerstand in Altenburg/Thüringen, zur – Jugendpflege und Jugendfürsorge im Rahmen einer Jugendsubkultur in Leipzig, über die Waffendienstverwei- Bildungs- und Begegnungsstätte mit Veranstaltungs- gerung in der DDR und zu Flucht und Ausreise. angeboten vor allem für Jugendliche Zur Zeit verfügt das Archiv über ca. 140 lfm Aktenbestand, eine umfangreiche Sammlung Samisdat-Literatur, über – Einsatz für sozial Benachteiligte, politisch, rassisch 3 500 Fotos, eine Sammlung von Zeitzeugeninterviews, und religiös Verfolgte sowie Betroffene von SED-Un- eine Handbibliothek mit ca. 1 600 Bänden, einen Vi- recht deobestand mit über 600 CDs und DVDs sowie 170 Au- diokassetten. Außerdem verleiht und betreut es acht Wan- – Ausstellungsarbeit zu gesellschaftsbezogenen Themen derausstellungen an 26 Ausstellungsorten. Krieg und Frieden, Gewaltfreiheit, Friedens- und Bür- gerbewegung Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. hat seine Auf- gabengebiete von der Archiv-und Sammlungstätigkeit in – Zeitzeugenarbeit mit Akteuren der Friedlichen Revo- den Anfangsjahren des Bestehens in den letzten Jahren lution zunehmend ausgeweitet hin zu einer Einrichtung der poli- tischen Bildung mit der Erarbeitung von Ausstellungen, – „Weg der Friedlichen Revolution“-Errichtung von Er- Durchführung von Veranstaltungen, Betreuung von Schü- innerungstafeln in Werdau, Crimmitschau, Zwickau lerprojekten, Organisation und Durchführung von Zeit- und Plauen zur Erinnerung an die Ereignisse von zeugengesprächen. Mit zunehmender Erweiterung der 1989/90 Angebote des Vereins hat sich kontinuierlich die Archiv- nutzung erhöht. So ist die Nutzung der Bestände und der – Präsentation und Besucherbetreuung der Dauerausstel- Fotosammlung durch Vertreter von Medien, Buchautoren lung „Opposition, Repression und Friedliche Revolu- und Wissenschaftler stark angestiegen. tion in der DDR“ sowie der Wanderausstellungen „Die Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung“ (2007) und Der Verein wird im Rahmen von Projektförderungen „Die Zeitungen der Friedlichen Revolution“(2009). durch die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und die Stadt Leipzig finanziell unterstützt. Bildungsarbeit Mit den Mittelschulen und Gymnasien der Region Süd- Das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewalt- westsachen bestehen erfolgreiche Kooperationen. Pro- freiheit und Zivilcourage e.V. – Archiv der jektstunden und -tage werden mit Schulklassen direkt in Bürgerbewegung Südwestsachsens Schulen sowie im King-Zentrum durchgeführt. Weiter Das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und werden Schüler und Studenten bei der Vorbereitung von Zivilcourage mit dem Archiv der Bürgerbewegung Süd- Vorträgen und Facharbeiten unterstützt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 105 – Drucksache 17/12115

13 Denkmäler und Mahnmale dem originalen Fundament des bereits im Frühjahr 1990 abgetragenen Originals errichtet. Das Denkmal in der Gedenkstätte Berliner Mauer Das Denkmal dient zu jedem Jahrestag des 13. August Im April 1994 lobte der Bund, vertreten durch das Deut- 1961 und des 9. November 1989 als Ort einer zentralen sche Historische Museum, einen Wettbewerb für die Ge- Gedenkveranstaltung. Am 13. August 2011 fand hier an- staltung des nationalen Denkmals für die Opfer des Mau- lässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus die zentrale erbaus und der deutschen Teilung aus, das seinen Platz Gedenkveranstaltung des Landes Berlin und des Bundes am historischen Ort in der Bernauer Straße finden sollte. unter Teilnahme von Vertretern aller Verfassungsorgane Drei der insgesamt 259 eingereichten Wettbewerbsteil- statt. nehmer erhielten einen zweiten Preis: Bühren und Schulz aus Allensbach, Winkler und Thiel aus Berlin sowie Kohlhoff & Kohlhoff aus Stuttgart. Ein erster Preis wurde Das Freiheitsdenkmal in Plauen von der Jury nicht vergeben. Das Denkmal in Plauen erinnert an die erste Großde- Im Juli 1995 entschied der Bund als Auslober des Wettbe- monstration in der DDR am 7. Oktober 1989 mit ca. werbs, dass der Gestaltungsvorschlag von Kohlhoff & 20 000 Teilnehmern, die von den Sicherheitskräften nicht Kohlhoff realisiert werden solle. Dieser Entwurf sah die mehr aufgelöst werden konnte. Damit wurde die Friedli- Integration überlieferter Sachspuren der originalen che Revolution zu einer Massenbewegung, der die Staats- Grenzanlage an der Bernauer Straße vor und beabsich- macht nichts mehr entgegenzusetzen hatte. tigte, diese durch gestalterische Mittel zu verstärken und Aus Anlass des 20. Jahrestags dieser Demonstration 2009 zu überhöhen. Dem Wettbewerb war ein mehrjähriger ergriffen die regionalen Kiwanis-, Lions-, Rotary- und kontroverser Diskussionsprozess über die angemessene Soroptimist-Clubs mit Hilfe aller Interessierten die Initia- Form und Gestaltung des Gedenkens vorangegangen. tive zur Errichtung des Denkmals „für das mutige Volk“. Am 13. August 1998 wurde das Denkmal, dessen zwei Der Sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich über- (Corten-)Stahlwände ein 70 m langes original erhaltenes nahm die Schirmherrschaft über das Vorhaben. Der Frei- Stück der Grenzanlagen einschließen, offiziell einge- staat Sachsen hat das Projekt zur Errichtung des Denk- weiht. Die rahmenden Stahlwände des Denkmals gaben mals mit Mitteln in Höhe von rund 28 000 Euro auch das Leitmaterial für sämtliche Hinzufügungen der gefördert. Gedenkstättenerweiterung seit 2009 vor. Die Inschrift am Aus den eingereichten Entwürfen eines Ideenwettbe- Denkmal lautet: werbs wählten die Bürger Plauens den des Künstlers „In Erinnerung an die Teilung der Stadt vom 13. August Peter Luban aus: eine Kerze – das Symbol der friedlichen 1961 bis 9. November 1989 und zum Gedenken an die Demonstrationen im Herbst 1989 – im Bronzemantel. Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft.“ Das Denkmal wurde am „Tunnel“ errichtet, dem zentra- len Platz der Stadt Plauen, und am 7. Oktober 2010 einge- Heute ist der Bereich des Denkmals der einzige Ort in weiht. Berlin, an dem das tief gestaffelte Sperrsystem der einst 155 km langen Grenzanlagen in seiner gesamten Ausdeh- Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin nung noch erlebbar ist. Das Denkmal korrespondiert mit dem auf der gegenüberliegenden Seite der Bernauer Die Idee eines nationalen Freiheits- und Einheitsdenk- Straße stehenden Dokumentationszentrum Berliner mals ist durch bürgerschaftliches Engagement aus der Mauer, das seit 1999 von der Gedenkstätte genutzt wird. Mitte der Gesellschaft heraus entstanden und wurde dann Die Evangelische Versöhnungsgemeinde Berlin-Wedding in den parlamentarischen Raum getragen. Am 9. Novem- stellt dieses Gebäude zu großen Teilen zur Gedenkstätten- ber 2007 beschloss der Deutsche Bundestag mit den nutzung zur Verfügung. Das Gebäude wurde 2002/03 Stimmen der CDU/CSU-, der SPD- und der FDP-Frak- nach einem Entwurf der Berliner Architekten Hapke/ tion, zur Erinnerung an die Friedliche Revolution im Zerr/Nieländer umgebaut und erhielt einen auf das Denk- Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen mal ausgerichteten neuen Aussichtsturm, von dem aus Einheit Deutschlands ein Denkmal zu errichten, das zu- das Denkmal hervorragend überblickt werden kann. Die gleich auch an die freiheitlichen Bewegungen der vergan- Besucher erhalten hier einen einzigartigen Eindruck von genen Jahrhunderte erinnern sollte. Mit einem weiteren der durch die Grenzanlagen bewirkten brutalen Trennung Beschluss des Deutschen Bundestags vom 4. Dezember der Stadt in zwei Hälften. 2008 wurde als Standort der Sockel des ehemaligen Kai- ser-Wilhelm-Denkmals auf der Berliner Schlossfreiheit Im Zuge der seit 2009 realisierten Gedenkstättenerweite- festgelegt. rung wurde das Denkmal in die Gestaltung integriert. Der durch die Stahlwände geschaffene hermetische Raum des Auf der Grundlage der Bundestagsbeschlüsse lobte BKM nicht betretbaren Denkmals vermittelt einen Eindruck des in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Ver- durch die Grenzanlagen zerstörten Stadtraums. Auf der kehr, Bau und Stadtentwicklung und unter der Koordina- einstigen „Ostseite“ ermöglichen Schlitze zwischen den tion des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung am Betonplatten der Hinterlandmauer Einblicke in den To- 19. Dezember 2008 einen offenen, zweistufigen Gestal- desstreifen. Zum 9. November 2009 wurde zudem ein tungswettbewerb aus. Das Parlament legte bewusst Wert Wachturm des Typs BT-9 am originalen Standort und auf auf eine offene Form des Realisierungswettbewerbs ohne Drucksache 17/12115 – 106 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Mindestanforderungen und Beschränkung der Teilnah- dern ständiges Engagement. Dieses Prinzip bildet die ge- meberechtigung. Trotz der überwältigenden Resonanz dankliche Basis des Denkmals und begründet seinen per- – 533 Teilnehmer reichten ihre Entwürfe ein – fand je- formativen und veränderlichen Charakter. Die beiden doch keine der eingereichten Arbeiten eine Mehrheit im Schlüsselsätze der Friedlichen Revolution „Wir sind das Preisgericht. Daher folgte der Auslober der Empfehlung Volk. Wir sind ein Volk“ sind zentral als wesentliches Ge- der damaligen Jury und beendete diesen Wettbewerb nach staltungselement auf der Denkmaloberseite dargestellt. der ersten Stufe im April 2010. Alle Entwürfe wurden in einem Katalog gewürdigt, der die große Vielfalt der Lö- Mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal soll in der Mitte sungsvorschläge zeigt. Berlins ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit der Geschichte und ein Symbol zur Erinnerung an die Als Konsequenz aus dem ersten Verfahren wurde das glücklichsten Momente der jüngsten deutschen Ge- Konzept vereinfacht und konzentriert. Den künstlerischen schichte entstehen. Für das Denkmal stehen bis zu Schwerpunkt des Denkmals sollte nun die Erinnerung an 10 Mio. Euro zur Verfügung. die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und die Wie- dererlangung der Deutschen Einheit bilden. Auf dieser in- Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom haltlichen Grundlage wurde ein neues Verfahren in Form 9. November 2007 gab es eine umfangreiche parlamenta- eines nichtoffenen Wettbewerbs für Künstler, Architekten rische wie öffentliche Debatte. In 28 vom Bund finanzier- und Landschaftsarchitekten mit vorgeschaltetem offenen ten Informations- und Diskussionsveranstaltungen hatten Bewerberverfahren durchgeführt. Auch dieser Wettbe- die Bürger seit 2008 deutschlandweit die Möglichkeit, werb stieß auf große Resonanz. 386 Bewerbungen gingen sich aktiv in das Projekt einzubringen. ein, aus denen ein vom Preisgericht unabhängiges Aus- wahlgremium 33 Teilnehmer auf der Basis von Referenz- Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig projekten auswählte. 28 Teilnehmer reichten dann ihre Entwürfe für das Freiheits- und Einheitsdenkmal ein. Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages am 9. November 2007 zur Errichtung eines Freiheits- und Am 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, dem 3. Oktober Einheitsdenkmals in Berlin entwickelten sich verschie- 2010, wurde das Ergebnis des internationalen Gestal- dene Initiativen mit dem Ziel, neben dem Berliner Denk- tungswettbewerbs bekannt gegeben. Das hochrangig be- mal ein weiteres Denkmal in Leipzig zu errichten. Diese setzte Preisgericht hatte einstimmig entschieden, drei führten 2008 dazu, dass der Deutsche Bundestag die Bun- gleichrangige Preise und zwei Anerkennungen zu verge- desregierung durch Beschluss vom 4. Dezember auffor- ben. Die drei gleichrangigen Preise gingen an die Arbei- derte, „(…) gemeinsam mit dem Land Sachsen und der ten von Professor Balkenhol, von Professor Meck und an Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger den Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Milla und Partner dieser Stadt zur friedlichen Revolution auf angemessene zusammen mit Sasha Waltz. Die beiden Anerkennungen und sichtbare Weise zu würdigen“. gingen an Xavier Veilhan und das Büro „realities:united“ von Jan und Tim Edler. Das Denkmal soll am 9. Oktober 2014 zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution in Leipzig eingeweiht werden. Die drei preisgekrönten Arbeiten bieten vollkommen un- Der Bund stellt bis zu 5 Mio. Euro für das Projekt zur terschiedliche Herangehensweisen an das Thema „Frei- Verfügung, der Freistaat Sachsen beteiligt sich mit bis zu heit und Einheit“ und spiegeln die Vielfalt der For- 1,5 Mio. Euro. Das Denkmal soll nach einem Beschluss mensprache und die Bandbreite heutiger künstlerischer des Rates der Stadt Leipzig auf dem Wilhelm-Leuschner- Ausdrucksformen wider. Das Preisgericht empfahl bei Platz errichtet werden. Der Gestaltungswettbewerb wurde seiner Entscheidung zugleich, die drei Preisträger- am 9. Oktober 2011 bekannt gemacht. Ein Auswahlgre- entwürfe überarbeiten zu lassen. Nach dieser Über- mium hat am 19. und 20. Januar 2012 aus 325 Bewerbun- arbeitungsphase traf der Bauherr – beraten durch ein gen 41 Teilnehmer für den Wettbewerb ausgewählt. Fachgremium – die Entscheidung, die Arbeit von Milla 39 Entwürfe wurden abgegeben. Am 6. Juli 2012 hat ein und Partner zusammen mit Sasha Waltz zur Realisierung international besetztes Preisgericht die Preisträger gekürt: auszuwählen. Der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags hat am 13. April 2011 mit großer 1. Preis: „70 000“ von M + M, Marc Weis, Martin de Mehrheit diese Entscheidung begrüßt. Mattia zusammen mit ANNABAU Architektur und Landschaft, Sofia Petersson und Moritz Schloten Der ausgewählte Entwurf mit dem Titel „Bürger in Bewe- gung“ zeigt eine große gewölbte Schale, die sich aus dem 2. Preis: „Eine Stiftung für die Zukunft“, von reali- historischen Sockel herauszulösen scheint. Sie fordert die ties:united, Jan und Tim Edler mit Schlaich Berger- Besucher zum Betreten auf und lässt sich durch sie in Be- mann und Partner Beratende Ingenieure, Prozessagen- wegung bringen. Dadurch verweist sie auf die friedliche ten Susanne Jaschko, Leonard Streich Bürgerbewegung, die die Wiedervereinigung ermöglicht 3. Preis: „Herbstgarten“ von Anna Dilengite, Tina Bara, hat. Das Denkmal ist interaktiv konzipiert, es soll zu Be- Alba d’Urbano. gegnung und Austausch anregen und zeigt, dass gemein- same Freiheit nur durch Einheit möglich ist. Freiheit und Auf der Grundlage der Preisgerichtsentscheidung und des Einheit sind jedoch keine dauerhaften Zustände, sondern nun folgenden Verhandlungsverfahrens wird über die Re- müssen stets neu gestärkt und definiert werden, sie erfor- alisierung eines Preisträgerentwurfs entschieden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 107 – Drucksache 17/12115

Stelen oder von DDR-Grenzsoldaten erschossen worden waren. Im Laufe der Jahre überstieg der Aufwand für Betreuung Die Erinnerungs- und Informationsstelen zur und Pflege der weit voneinander entfernten Kreuze die Friedlichen Revolution von 1989/90, Berlin Möglichkeiten des Berliner Bürger-Vereins. Die Erinne- Die Robert-Havemann-Gesellschaft errichtete 2009 „Re- rungszeichen wurden an zwei zentralen Orten, dem Platz volutionsstelen“ an 18 wichtigen Orten der Friedlichen an der Spree am Reichstagsgebäude und der Bernauer Revolution von 1989/90, die über das Stadtgebiet von Straße in der Gedenkstätte Berliner Mauer konzentriert. Berlin (Ost- und West-Berlin) verteilt sind. Die Stelen be- Sie sollten an alle Menschen erinnern, die nach der Abrie- leuchten die konkreten politischen und gesellschaftlichen gelung der Grenze bei dem Versuch, aus der DDR nach Aktivitäten des Jahres 1989/90 in Berlin und stellen jene West-Berlin zu fliehen, ums Leben gekommen sind. engagierten Menschen in den Mittelpunkt, die die SED- Wegen der Bauarbeiten am Reichstagufer wurde der eine Diktatur letztlich zu Fall brachten. Sie machen historische Gedenkort zeitweilig an den , Ebertstraße/Ecke Orte im Berliner Stadtraum kenntlich, die für das Scheidemannstraße gegenüber der Südseite des Reichsta- Geschehen1989/90 von Bedeutung sind, beginnend mit ges, verlegt. Seit dem 17. Juni 2003 befindet er sich als den Protesten gegen die Fälschung der Kommunalwahlen Installation aus sieben weißen Kreuzen wieder am Ufer am 7. Mai 1989 bis zur Herstellung der Deutschen Ein- der Spree. Die Kreuze am Tiergarten blieben ebenfalls er- heit am 3. Oktober 1990. halten. Die Kreuze an der Bernauer Straße sollen zukünf- Die Finanzierung des Projektes erfolgte je zur Hälfte tig in die dortige Gedenkstätte integriert werden. durch BKM und durch die Stiftung Deutsche Klassenlot- terie Berlin. Die Orte der Friedlichen Revolution, Leipzig

Die Erinnerungsstelen für Mauertote am Berliner Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. eröffnete am 9. Oktober Außenring 2010 die Ausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“. Im Leipziger Stadtraum werden damit die 20 wichtigsten Schon ab 1961 wurde an Orten, an denen Flüchtlinge er- Punkte markiert, an denen 1989/90 Aktionen des politi- schossen wurden oder tödlich verunglückten, Kreuze und schen Widerstandes stattfanden, von der Demonstration Gedenkzeichen errichtet. Einige dieser Erinnerungsorte für Bürger- und Menschenrechte im Januar 1989 über die sind erhalten geblieben, andere entstanden erst nach dem Aufdeckung der Wahlfälschung im Mai 1989 bis zur ent- Fall der Berliner Mauer. Manche Todesfälle waren gar scheidenden Montagsdemonstration am 9. Oktober, der nicht bekannt, sodass es keinen Hinweis auf diese Opfer Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale und der ersten im Stadtraum gibt. In einem mehrjährigen Programm freien Volkskammerwahl am 18. März 1990. Mit der Er- stellt die Stiftung Berliner Mauer an der ehemaligen richtung thematischer Stelen werden die Topografie und Grenze, dem jetzigen Berliner Mauerweg, Informa- die zeitliche Entwicklung der Friedlichen Revolution er- tionsstelen auf. Sie erinnern an die Mauertoten, die von lebbar. Die Besonderheit, Vielschichtigkeit und Einmalig- 1961 bis 1989 an der Berliner Mauer erschossen wurden keit des Gesamtereignisses Friedliche Revolution in Leip- oder tödlich verunglückten. Zum 20. Jahrestag des Mau- zig wird anhand von Fotos sowie deutschen und erfalls wurden erste Erinnerungsstelen am südlichen englischen Texten vermittelt. Auf den Stelen aus Streck- Stadtrand entlang des Mauerwegs in der Nähe der jeweili- metall, das in der DDR für Grenzsicherungsanlagen ein- gen Todesorte errichtet. Geplant ist, mit solchen Stelen gesetzt wurde, informieren Tafeln über bedeutende Ak- alle Orte zu markieren, an denen Menschen bei einem tionen des politischen Widerstandes in Leipzig. Fluchtversuch oder im Zusammenhang mit dem Grenzre- gime getötet wurden oder ihr Leben verloren. Zum Das Projekt wurde mit Mitteln der Stadt Leipzig, des För- 50. Jahrestag des Mauerbaus wurde dieses Vorhaben an derprogramms „Friedliche Revolution und Deutsche Ein- der ehemaligen Grenze zwischen West-Berlin und dem heit“ des Freistaates Sachsen, der Stiftung Sächsische Berliner Umland, dem heutigen Land Brandenburg, um- Gedenkstätten sowie der Bundesstiftung Aufarbeitung re- gesetzt. An 29 Standorten wurden Erinnerungszeichen für alisiert. 50 Todesopfer errichtet. Das Projekt wurde durch PMO- Mittel der Länder Brandenburg und Berlin finanziert. Die Stelen zur Erinnerung an das Grenzregime, Potsdam Die „Weißen Kreuze“, Berlin Das durch das Potsdam-Museum koordinierte und über Hinter dem Ostportal des Reichstagsgebäudes (heute Sitz Spenden finanzierte Projekt „Mauer-Stelen“ erinnert in des Deutschen Bundestages) verliefen die Grenzanlagen der Landeshauptstadt an historisch besonders bedeutsa- der DDR. Das südliche Ufer der Spree gehörte zu West- men Orten wie einem Mauerrest am S-Bahnhof Grieb- Berlin, die Wasserfläche war bereits Ost-Berliner Gebiet. nitzsee oder vor der Glienicker Brücke an den Verlauf der An der Stelle, an der die vordere Grenzmauer bis 1990 Berliner Mauer, die deutsche Teilung und den Mauerfall. auf das Flussufer traf, richtete der private Berliner Bür- Am 8. November 2002 wurde die erste Stele enthüllt. Auf ger-Verein zum 10. Jahrestag des Mauerbaus 1971 den diesem Denkmal wird über den historischen Hintergrund Gedenkort „Weiße Kreuze“ ein. Die Mahnzeichen waren informiert und die Glienicker Brücke mit zeitgenössi- zunächst dort aufgestellt worden, wo Flüchtlinge versucht schen Fotos dargestellt: In der Mitte der 1949 nach Zer- hatten, West-Berlin zu erreichen und dabei verunglückt störungen im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten Drucksache 17/12115 – 108 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„Brücke der Einheit“ verlief die Grenze zwischen West- Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, Berlin und der DDR. Zugleich diente sie den Alliierten das System der Rehabilitierung und Entschädigung von als Verbindung zwischen Potsdam und den Westsektoren SED-Unrecht laufend zu überprüfen. So haben der Bund Berlins. Nach der Unterzeichnung des Generalvertrages und die ostdeutschen Länder 40 Mio. Euro zur Verfügung über die Beziehungen der drei Westmächte zur Bundesre- gestellt, die speziell den Menschen zugutekommen sol- publik im Mai 1952 wurde dieses Symbol der deutschen len, die als Kinder und Jugendliche in den Heimen der Teilung für die Öffentlichkeit endgültig gesperrt und in- DDR bis 1990 schwere physische und psychische Schä- ternational durch die dort stattfindenden spektakulären den erlitten. Austauschaktionen von Agenten aus Ost und West be- Bei der rechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für kannt. das SED-Unrecht standen die Strafverfolgungsbehörden Nach der Friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer und die Gerichte vor der schwierigen Aufgabe, ein in wurde die Brücke am 10. November 1989 erneut geöffnet. 40 Jahren entstandenes staatliches Unrecht mit den Mit- Heute erinnern hier eine auf die Initiative der Förderge- teln des Rechts aufzuarbeiten. Schwierigkeiten ergaben meinschaft Lindenstraße 54 von dem Bildhauer Wieland sich insbesondere daraus, dass das Strafrecht der Bundes- Förster errichtete Bronzeskulptur mit dem Namen „Nike republik auf die Bewältigung staatlichen Handelns in der 89“, eine Gedenktafel sowie eine Mauerstele an die Zeit DDR nicht zugeschnitten war. Das Strafrecht konnte der deutschen Teilung. Unterschiede in der Farbgebung nicht das System als Ganzes aburteilen, sondern musste der Brücke machen den ehemaligen Grenzverlauf sicht- die Zusammenhänge aufklären, in denen einzelne Men- bar. An der Potsdamer Stubenrauchstraße am ehemaligen schen für gravierendes Unrecht individuell verantwortlich Postenweg des Griebnitzsees in Potsdam-Babelsberg sind waren. In weit mehr als 1 000 Fällen wurde Anklage sechs Mauersegmente erhalten. Sie wurden durch das erhoben, sei es wegen der Tötungsdelikte an der inner- „Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit der DDR- deutschen Grenze, Körperverletzungen und Freiheitsbe- Geschichte im Land Brandenburg e.V.“ zu einem würdi- raubung im DDR-Strafvollzug, Rechtsbeugung oder gen Gedenkzeichen gestaltet. Das Forum erreichte Wirtschaftsdelikten. Jeder Prozess bedeutete einen wich- darüber hinaus, dass die Mauerreste 2008 unter Denkmal- tigen Schritt gegen das Vergessen. schutz gestellt wurden. Unter dem Zeichen des christli- Auf der Basis bürgerschaftlichen Engagements während chen Kreuzes wurde eine Tafel mit den Namen der im der Friedlichen Revolution ist eine breite gesellschaftli- Potsdamer Grenzbereich zu Tode gekommenen Männer che Aufarbeitungslandschaft entstanden. In lokalen oder und Frauen angebracht. regionalen Zusammenschlüssen engagieren sich bis heute interessierte Bürger ehrenamtlich zum Beispiel in Förder- 14 Bilanz vereinen von Gedenkstätten oder privaten Archiven, die das materielle Erbe der Opposition in der DDR bewahren. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur hat in den beiden Diesem bürgerschaftlichen Einsatz gilt die Wertschätzung vergangenen Dekaden sehr wichtige Erfolge erzielt und der Bundesregierung. damit einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der in- Hinzu kommen die staatlichen Einrichtungen der Länder neren Einheit unseres Landes geleistet. Der Weg Deutsch- und des Bundes zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, na- lands in der Auseinandersetzung mit dem kommunisti- mentlich die Landeszentralen und die Bundeszentrale für schen Erbe genießt Achtung in der Welt und ist vielfach politische Bildung sowie die Landesbeauftragten und der Vorbild nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern auch im Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Die Bundes- Nordafrika des „Arabischen Frühlings“. Ägypten und Tu- stiftung Aufarbeitung hat sich seit 1998 zur zentralen In- nesien suchen bei der Auseinandersetzung mit ihrer stitution zur Überwindung der SED-Diktatur entwickelt. jüngsten Geschichte die Expertise deutscher Aufarbei- Sie gewährleistet vor allem mit ihrer Projektförderung tungseinrichtungen. bundesweit die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Die Opfer der SED-Diktatur erhielten seit 1990 Möglich- Geschichte und Folgen der kommunistischen Diktatur. keiten zur Rehabilitierung und Entschädigung. Die bei- Die erfolgreichen Dauer- und Wechselausstellungen der den SED-Unrechtsbereinigungsgesetze aus den Jahren Bundesstiftungen Deutsches Historisches Museum und Haus der Geschichte der Bundesrepublik greifen immer 1992 und 1994 sowie die Folgegesetze zur Verbesserung wieder Themen der deutschen Teilung und der DDR-Ge- von Leistungen schufen eine tragfähige Grundlage zur schichte auf. Rehabilitierung und Entschädigung für die am schwersten betroffenen Verfolgungsopfer der kommunistischen Dik- Die Bildungsarbeit ist angewiesen auf eine wissenschaft- tatur in Deutschland. Sie eröffnen einen Weg, sich vom liche Forschung an Universitäten und Instituten, die sich Makel persönlicher Diskriminierung zu befreien und intensiv mit der DDR befasst und Mechanismen der tota- Ausgleichsleistungen in Anspruch zu nehmen. Um das litären Herrschaft genauso erforscht wie in jüngster Zeit Handeln derjenigen Menschen zu würdigen, die in der deren Alltagsgeschichte. Nur durch wissenschaftlich fun- DDR aus politischen Gründen inhaftiert waren, und um dierte Kenntnisse über die SED-Diktatur kann Verharm- die materiellen Folgen ihrer Unterdrückung zu mildern, losung und „Ostalgie“ wirkungsvoll begegnet werden. wurde die sogenannte SED-Opferrente eingeführt und da- Die öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR-Ge- mit einer jahrelangen Forderung der Opfer und ihrer Ver- schichte seit 1990 ist inzwischen selbst Gegenstand der bände Rechnung getragen. wissenschaftlichen Forschung. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 109 – Drucksache 17/12115

Gedenkstätten und Erinnerungsorte mit ihrem hohen An- palast“ am Bahnhof Friedrichstraße zum Alltag der deut- spruch an Authentizität leisten einen eminent wichtigen schen Teilung oder die zukünftige Präsentation zur Beitrag, um die Erinnerung an das Leiden der Menschen Geschichte des Alltags in der SED-Diktatur in der Kultur- wachzuhalten, die von der kommunistischen Diktatur ge- brauerei am Prenzlauer Berg. demütigt, drangsaliert, verfolgt, gefoltert oder gar getötet wurden. Insofern liegt auf der Sicherung und Entwick- Die Vermittlung von Wissen über die kommunistische lung dieser Einrichtungen das besondere Augenmerk der Diktatur in der DDR, besonders für junge Menschen ohne Bundesregierung. Diese Institutionen spielen auch dort eigene Erinnerungen, stellt die zentrale Aufgabe inner- eine wichtige Rolle, wo es gilt, Menschen, denen die per- halb der Aufarbeitung und der damit verbundenen politi- sönliche Diktaturerfahrung fehlt, zu vermitteln, was ein schen Bildungsarbeit dar. Wie dieser Bericht zeigt, wur- Leben in Unfreiheit bedeutet. Dadurch wird zugleich der den und werden insbesondere für das junge Publikum Wert von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit viele Angebote geschaffen, die helfen sollen, die vielfach unterstrichen. attestierten Wissenslücken zu schließen und gleichzeitig das Bewusstsein für den Wert von Freiheit und Demokra- Die Vermittlungsarbeit ist umso wirkungsvoller, wenn sie tie zu stärken. Die Anstrengungen in diesem Bereich mit der Möglichkeit zu Zeitzeugengesprächen verbunden müssen aber noch weiter systematisch verstärkt werden. wird. Der Austausch mit einem persönlich Betroffenen, Zielführend sind hier eine angemessene Behandlung des im Idealfall am authentischen Ort, ist weit einprägsamer Themas in den Schulen, ihre verstärkte Zusammenarbeit als jeder Film, jedes Buch oder eine Unterrichtseinheit, mit Trägern der politischer Bildung, mit Gedenkstätten denn er verleiht abstrakter Geschichte ein konkretes Ge- und mit Aufarbeitungseinrichtungen sowie deren ver- sicht. Auch als historische Quelle sind Erinnerungen von stärkte Kooperation untereinander – wie im Gedenkstät- Zeitzeugen dokumentarisch von hohem Wert. Die Arbeit tenkonzept des Bundes postuliert und initialisiert. Der mit ihnen bildet daher inzwischen einen Schwerpunkt in Zusammenhang zwischen den zeitgeschichtlichen Kennt- der Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Die nissen und Einstellungen von Jugendlichen ist nach den Einrichtung des Koordinierenden Zeitzeugenbüros, bei Studien von Klaus Schroeder vom Forschungsverbund dem die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die SED-Staat der FU Berlin evident: Je größer das Wissen Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner ausgeprägt ist, desto häufiger wird der Diktaturcharakter Mauer seit Juni 2011 zusammenwirken, trägt der gewach- der DDR erkannt. Wer die historische Urteilsfähigkeit der senen Bedeutung der Zeitzeugenarbeit für die Aufarbei- nachwachsenden Generation stärken will, muss Kennt- tung Rechnung. nisse vermitteln. Die verschiedenen, in der Fortschreibung der Gedenkstät- Die zurückliegenden Jubiläen der Friedlichen Revolution tenkonzeption des Bundes dargelegten Vorhaben zur Auf- und der Gedenktag an den Bau der Berliner Mauer haben arbeitung des SED-Unrechts konnten – wie der vorlie- – nicht zuletzt durch ihre mediale Begleitung – mit einer gende Bericht zeigt – seit 2008 bereits mehrheitlich Vielzahl von Veranstaltungen und Angeboten große Auf- umgesetzt werden oder stehen in den kommenden Jahren merksamkeit auf die DDR und ihre Geschichte gelenkt. vor ihrem Abschluss. Damit hat der Bund die letztlich auf Ziel der weiteren Aufarbeitung muss sein, dieses Inte- die Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestags resse wachzuhalten und das Wissen über das SED-Un- zurückgehenden Einzelempfehlungen zur Verstärkung recht in der Bevölkerung insgesamt zu festigen und zu der Aufarbeitung des SED-Unrechts wirksam umgesetzt: vertiefen. Die noch immer anzutreffende Fokussierung Verantwortung wurde wahrgenommen, die Aufarbeitung auf das MfS-Thema darf dabei nicht dazu führen, die füh- verstärkt, das Gedenken vertieft. rende Rolle der SED aus dem Blick zu verlieren. Die Es bleibt eine wichtige Aufgabe der Erinnerungskultur, Staatssicherheit handelte im Auftrag der Partei, war ihr angemessen der Menschen zu gedenken, die sich gegen „Schild und Schwert“. die Diktatur der SED zur Wehr gesetzt haben. Dass in Leipzig und Berlin nunmehr Stelen die historischen Orte Die Erfolge bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur wä- von Widerstand und Opposition markieren und über die ren ohne die intensiven Anstrengungen der Länder kaum Ereignisse informieren, ist hier ein wichtiger Schritt. Mit möglich gewesen. Unmittelbar mit den politischen, öko- der Erweiterung der Dauerausstellung in der Rastatter Er- nomischen und sozialen Folgen der SED-Diktatur kon- innerungsstätte um die Freiheitsbewegungen in der DDR frontiert, haben insbesondere die neuen Länder deren besteht in dieser Hinsicht nun auch in Westdeutschland Bewältigung nachdrücklich vorangetrieben. Die Aufar- ein wichtiges Informationsangebot. Der 60. Jahrestag des beitung der SED-Diktatur bleibt gleichwohl eine gesamt- Volksaufstands vom 17. Juni 1953 sollte 2013 Anlass deutsche Herausforderung. Die DDR-Geschichte wird in sein, die schließlich von sowjetischen Panzern niederge- einigen Teilen Westdeutschlands noch oft als etwas Frem- schlagenen Proteste gegen die Herrschaft der SED beson- des wahrgenommen, ohne dass die Interdependenzen der ders zu würdigen. deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte Beachtung fin- den. Sie ist aber ein Teil der gesamtdeutschen Geschichte Auch zum Thema „Alltag in der DDR“ hat der Bund he- und ihre Aufarbeitung damit eine gesamtdeutsche Auf- rausragende Akzente gesetzt: Zu nennen sind hier die fi- gabe und kein Regionalthema der neuen Länder. Umso nanzielle Unterstützung der neuen Dauerausstellung im mehr ist das große Engagement einzelner westdeutscher Dokumentationszentrum Alltagskultur in Eisenhütten- Länder bei der Entwicklung wichtiger Gedenkorte an der stadt, die Einrichtung der Dauerausstellung im „Tränen- ehemaligen innerdeutschen Grenze hervorzuheben. Dies Drucksache 17/12115 – 110 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode betrifft etwa das Grenzlandmuseum Eichsfeld, das Ausrichtung der Ministerien an den Beschlüssen der Par- Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth oder die Stiftung tei, etwa bei der Formulierung von Gesetzen. Die Gene- Point Alpha. ralsekretäre, zeitweise als Erste Sekretäre bezeichnet, Walter Ulbricht (1946 bis 1973), Erich Honecker (1973 Mehr als 20 Jahre nach dem Untergang der DDR steht die bis 1989) und Egon Krenz (1989) waren daneben gleich- Freude über das Ende der SED-Diktatur und die Wieder- zeitig Vorsitzende des Staatsrates und kontrollierten da- gewinnung der Deutschen Einheit im Zentrum der Aus- rüber die Exekutive. Außerdem waren sie Vorsitzende des einandersetzung mit dem kommunistischen Erbe. Aus- Nationalen Verteidigungsrates, dem die NVA unterstand. druck dieser Freude sind die beiden Denkmale, die in Die vollständigen Bestände aus den Büros aller drei Ge- Berlin und Leipzig als symbolische Orte der positiven Er- neralsekretäre Walter Ulbricht, Erich Honecker und Egon innerung an die Friedliche Revolution und die Wiederver- Krenz sind digitalisiert und im Internet verfügbar. einigung als glücklichste Ereignisse der jüngeren deut- schen Geschichte entstehen. Weitere Parteiarchive in der SAPMO stammen von der Demokratischen Bauernpartei Deutschland (DBP) und 15 Anhang der National-Demokratischen Partei (NDPD). Sie können zu Fragen des Umgangs mit bäuerlichem Eigentum sowie Bestände des Bundesarchives und der SAPMO der Eingliederung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger zur DDR ausgewertet werden. Die Archive der Liberal-Demokrati- Einschlägige Bestände der SAPMO schen Partei Deutschlands (LDPD) und der Christlich- Demokratischen Union (CDU) liegen bei den Parteistif- Von besonderer Bedeutung für die Aufarbeitung der tungen der FDP und der CDU. Die Unterlagen des Ver- SED-Diktatur sind die Bestände der zentralen Gremien bindungsbüros des Demokratischen Blocks, 1945 als und der Leitungsebenen der SED in der Stiftung Archiv Zusammenschluss von CDU, LDPD, SPD und KPD ge- der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bun- gründet, sowie des Nationalrates der Nationalen Front, desarchiv. Die Parteitage im Abstand von mehreren Jah- die 1949 aus der Volkskongressbewegung entstand und ren waren das höchste, durch Wahl bestellte Organ der zahlreiche Organisationen zusammenfasste, zeigen, wie SED. Sie waren für das Parteiprogramm und die Statuten, die SED ihre Herrschaft in der Gesellschaft der DDR zu- allgemeine Grundsätze und die mittelfristigen Planziele nehmend durchsetzte und ideologisch absicherte. zuständig. Zwischen den Parteitagen war der seit 1950 als Zentralkomitee bezeichnete Parteivorstand das höchste Die Bestände der FDJ, des Kulturbunds oder auch des Gremium. Das ZK wählte die Mitglieder von Politbüro FDGB sowie zahlreicher weiterer Massenorganisationen, und Sekretariat der SED. die sich mit dieser Bezeichnung von der Kaderpartei SED abgrenzten, zeigen deren Umgang mit den Grenzen zwi- Das höchste Entscheidungsorgan und Machtzentrum der schen der Verpflichtung auf die politische Linie und zuge- DDR war das Politbüro der SED. Es trat in der Regel wö- lassenen Freiräumen für bestimmte Bevölkerungsgruppen chentlich zusammen und besprach alles, was wichtig er- oder Berufe. Dazu gehört auch der Bestand der Gesell- schien. Hier legte etwa Erich Mielke Rechenschaft über schaft für Sport und Technik (GST), die die vormilitäri- die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit ab. Auch sche Ausbildung der Jugendlichen organisierte, der Ge- alltägliche Fragen wie Ausreiseanträge oder einzelne Ur- sellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) teile von Gerichten konnten Gegenstand der Beschlüsse und des Deutschen Turn- und Sportbunds (DTSB). Diese des Politbüros werden. Seine Beschlüsse waren bindend Bestände werden für viele Fragen zur gesellschaftlichen für alle Bereiche der Politik, Verwaltung und Rechtspre- und politischen Entwicklung und Geschichte der DDR chung in der DDR. Der Bestand enthält die Arbeitsproto- herangezogen. kolle, die der Vorbereitung der Sitzungen dienten, die Reinschriftenprotokolle mit den Beschlüssen zur Umset- Die regionalen Bestände der SED wie des FDGB auf zung der Entscheidungen, Informationen, die zur Vorbe- Kreis- und Bezirksebene sowie die Kreisleitungen von reitung der Sitzungen an die Mitglieder des Politbüros größeren Betrieben sind in den Staats- und Landesarchi- verteilt wurden, sowie Beschlussauszüge. Diese Mate- ven der Länder archiviert und dort einsehbar. Die Be- rialien unterlagen zu Zeiten der DDR der höchsten stände der Kreisleitungen in den Ministerien, der NVA Geheimhaltung. Seit fünf Jahren sind sie mit allen Tages- und dem MfS sind zum Teil bei den Beständen der jewei- ordnungspunkten in Online-Findbüchern im Internet re- ligen Organisationen verblieben. Über das vom Bundes- cherchierbar. Der Bestand der Protokolle des Politbüros archiv aufgebaute Internetportal „Netzwerk SED-/FDGB- der SED ist der am intensivsten genutzte Bestand des Archivgut“ sind die bereits erschlossen Bestände in ei- Bundesarchivs. Die Reinschriftenprotokolle sind mit rund nem übergreifenden Verbundfindmittel gemeinsam re- 300 000 Seiten digitalisiert und werden aktuell für die cherchierbar. Auswertung im Internet vorbereitet. Einschlägige Bestände der Abteilung DDR Das Sekretariat des ZK regelte die Tagesarbeit und kon- trollierte den Parteiapparat mit Hilfe der Büros seiner Das Bundesarchiv hat analog zu den vor 1990 vorhande- Mitglieder und knapp 40 Abteilungen für verschiedene nen Abteilungen R für die Bestände der Reichsregierung Fachgebiete, die ebenfalls jeweils einem oder mehreren und B für die Bestände der zentralen Stellen der Bundes- Sekretariatsmitgliedern zugeordnet waren. Die Abteilun- republik Deutschland die Abteilung DDR für die Be- gen kontrollierten den Parteiapparat und sorgten für eine stände aus der zentralen staatlichen Regierung und Ver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 111 – Drucksache 17/12115 waltung der DDR eingerichtet. Darin wurden die zuvor und ihre Personendaten, über den Arbeitseinsatz und sta- bereits im Zentralen Staatsarchiv der DDR archivierten tistische Erhebungen zum Gesundheitszustand. Unterlagen ebenso wie die Akten aus den Altregistraturen in den Dienststellen und Materialien aus den Büros über- Zensur- und Zwangsmaßnahmen im Bildungs- und Kul- nommen. Spätere Zugänge kamen nach der Herstellung turbereich, Berufsverbote und Einschränkungen der Pres- der Deutschen Einheit aus Bundesministerien, die einige sefreiheit lassen sich an Hand der Bestände aus dem Unterlagen zunächst übernommen, dann aber zur Archi- Ministerium für Volksbildung zeigen. Der Bestand des vierung abgegeben hatten. Jugendwerkhofs Torgau wurde bereits vielfach herange- zogen, um persönliche Schicksale eingewiesener Jugend- Die staatlichen Bestände der DDR umfassen die Unterla- licher zu klären. gen der Staatsspitze, der Ministerien sowie des nachge- ordneten Bereiches. Sie sind bei der Auswertung immer Das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen war ver- im Zusammenhang der korrespondierenden Unterlagen antwortlich für die zentrale Planung und Leitung des aus dem Parteiapparat zu sehen, da die staatlichen Organe Hoch- und Fachschulwesens. Es war den ihm unterstell- einer teilweise sehr direkten Weisungsbefugnis der Par- ten Universitäten, Hochschulen, Ingenieurhochschulen, teiorgane unterlagen. So hatten die Minister die Weisun- Fachschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken und ande- gen der Sekretäre und Abteilungsleiter des ZK der SED ren Einrichtungen direkt vorgesetzt. Der Bestand enthält zu befolgen. Außerdem standen die Generalsekretäre der Analysen zu Stand und Entwicklung des Hoch- und Fach- schulwesens und Unterlagen zur Umsetzung der Hoch- SED an der Spitze der Gesetzgebungsorgane. In allen schulreformen. Er informiert über die Berufung und den Behörden waren zudem Parteiorganisationen tätig. Eine Einsatz von Hochschullehrern sowie die Verleihung von Besonderheit der DDR-Bestände bilden die in vielen Be- akademischen Graden und Titeln. Hier wurde über Zulas- ständen vorhandenen zahlreichen Eingaben aus der Be- sungen und Absolventenlenkung, über das Auslandsstu- völkerung zu vielfältigen Vorkommnissen, Unzulänglich- dium und den Einsatz von Dozenten im Ausland entschie- keiten und Problemen im Alltag, die an verschiedene den. Stellen adressiert werden konnten und die als Beschwer- demöglichkeit das fehlende Klagerecht gegen Verwal- Das Ministerium für Kultur war zuständig für Verlage tungsentscheidungen kompensieren sollten. Deshalb und Buchhandel. Es lenkte das Filmwesen, die Theater finden sich in vielen Beständen Eingaben oder zusam- und die Musikaufführung. Unmittelbar waren ihm eine menfassende Eingabenanalysen. An der Gesetzgebung Vielzahl von Einrichtungen und Betrieben, Theater, Mu- und dem Aufbau des Rechtssystems der DDR waren seen, Gedenkstätten, künstlerische Hoch- und Fachschu- Staatsrat, Volkskammer und Ministerrat beteiligt. Der len, Verlage, die DEFA-Studios und der Staatliche Kunst- Staatsrat war seit 1968 das formelle Staatsoberhaupt der handel unterstellt. Daneben zeigt der Bestand, wie die DDR. Faktisch wurde die Funktion des Staatsoberhauptes Zensur bei der Verlagsproduktion durchgeführt wurde. vom Generalsekretär der SED als dem Vorsitzenden des Ein großer Teil der Akten mit Druckgenehmigungsvor- Staatsrates ausgeübt. Der Ministerrat bereitete die Geset- gängen für Belletristik sind inzwischen digitalisiert im In- zesvorlagen für die Volkskammer wie für den Staatsrat ternet benutzbar. vor. Seine Mitglieder wurden für 5 Jahre gewählt. Die Be- stände enthalten die Protokolle sowie zahlreiche Einga- In den Unterlagen des Ministeriums für Wissenschaft und ben, speziell aus den Jahren 1985 bis 1990. Technik sind die Planungen für Forschungen zum Doping nachzuvollziehen. Beim Ministerium für Gesundheitswe- Im Bestand des Ministeriums der Justiz, das neben der sen können Ergebnisse von Arzneimitteltests ausgewertet Mitwirkung an der Gesetzgebung die Bezirks- und Kreis- werden. Die Bestände des Staatssekretariats für Körper- gerichte, die Notariate und die Rechtsanwaltskollegien kultur und Sport wie des Nationalen Olympischen sowie in den Anfangsjahren auch den Strafvollzug anlei- Komitees enthalten Unterlagen zum Leistungssport. Zu tete, sind zahlreiche Personalakten von Richtern und No- Informationen über den staatlichen Umgang mit Reli- taren sowie Informationen über Rechtsanwälte vorhan- gionsfragen, auch in Einzelfällen, können die Unterlagen den. Hier findet sich außerdem eine Urteilssammlung mit des Staatssekretärs für Kirchenfragen herangezogen 38 000 Urteilen der unteren Gerichte zu politischen Straf- werden. Schließlich finden sich Informationen zu Um- verfahren und von Verurteilungen zu mehr als zehn Jah- weltbelastungen in den Industrieregionen, zur Gewässer- ren Haft. verschmutzung, Strahlenbelastung in der Nähe von Kern- kraftwerken in den Unterlagen des Ministeriums für In den Beständen des Generalstaatsanwaltes sowie des Umweltschutz und Wasserwirtschaft mit Akten zum Obersten Gerichts finden sich umfangreiche Unterlagen Braunkohletagebau oder zu Schadstoffen in Industrieab- zu Verurteilungen und zum Strafvollzug. Aus dem Minis- wässern. Detaillierte Informationen über viele dieser Be- terium des Inneren stammt eine inzwischen digitalisierte stände aus den staatlichen Dienststellen der DDR stehen Gefangenenkartei mit über 800 000 Karten zu verhafteten inzwischen für eine übergreifende Recherche in der Platt- und verurteilten Personen, die für zahlreiche Anfragen form ARGUS im Internet bereit. Weitere Erschließungs- genutzt wird. Dort sind auch mehrere Datenbanken mit angaben kommen im Zuge der laufenden Retrodigitalisie- Angaben aus den Unterlagen der Transport- und Krimi- rung vorliegender Findbücher und Karteien hinzu. nalpolizei sowie der medizinischen Dienste vorhanden. Ansonsten werden vorhandene Findmittel und Karteien Sie enthalten Informationen über die Zahl der Häftlinge vor Ort bereitgestellt. Schutzfristen für die Benutzung Drucksache 17/12115 – 112 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode brauchen nur bei personenbezogenen Unterlagen beachtet formationen zur Überwachung der Grenzkontrollpunkte zu werden. und zum Mauerbau 1961. Ausführliche Beschreibungen der Organisationseinheiten Einschlägige Bestände in der Abteilung Militärarchiv und der Bestände finden sich im Abschnitt Militärarchiv in der Online-Beständeübersicht des Bundesarchivs in der Die Abteilung Militärarchiv in Freiburg hat die Bestände Rechercheplattform ARGUS. des Ministeriums für Nationale Verteidigung mit der Na- tionalen Volksarmee im Umfang von 5 500 lfm mit rund 250 000 einschlägigen Akteneinheiten zum Teil aus dem Einschlägige Unterlagen in den Beständen  früheren Militärarchiv der DDR, das nicht Teil des zen- der Abteilung B tralen Staatsarchivs war, sowie zum Teil direkt aus den In rund 60 Beständen, die in der Bundesrepublik ange- abgewickelten Dienststellen übernommen. Hier sind auch wachsen sind, finden sich zahlreiche Unterlagen in rund Teile von Beständen staatlicher Stellen vorhanden, die of- 100 000 Akteneinheiten mit Informationen über die fenbar wegen eines besonders hohen Bedarfs an Geheim- DDR. Sie sind bei der Beobachtung von Entwicklungen haltung unter der Kontrolle der NVA verbleiben sollten. und Ereignissen in der DDR, bei der Organisation der Hilfe für Flüchtlinge oder anderer Personen, die von Ge- Das Ministerium und die Führung der NVA waren dem waltakten in der DDR betroffen waren, oder bei der Zu- Nationalen Verteidigungsrat unterstellt, dessen Vorsitz sammenarbeit im Rahmen verschiedener Abkommen ent- der Generalsekretär der SED innehatte. Seine Protokolle standen und enthalten vielfältige Angaben zu politischen sind bereits digitalisiert im Internet einsehbar. Auf allen Entscheidungen wie über persönliche Schicksale. Ebenen der Hierarchie wurde die Umsetzung der Partei- beschlüsse durch die Politische Hauptverwaltung abgesi- In den Beständen der Bundesregierung sind umfangreiche chert, deren Leiter Stellvertreter des Ministers war und Unterlagen zum Bundesnotaufnahmeverfahren, zur Häft- dem Politbüro gegenüber Rechenschaft ablegen musste. lingshilfe, zu Enteignungen in der DDR sowie aus der Die Leiter der nachgeordneten politischen Verwaltungen Grenzsicherung und -beobachtung vorhanden. Beim Bun- besaßen Generalsrang. Die Bestände der Politischen deskanzleramt sind neben der Spiegelung der Ressorts in Hauptverwaltung umfassen den Zeitraum von 1950 bis innerdeutschen Fragen Materialien zum Status Berlins so- 1989. Dazu gehören die Akten der umfangreichen Partei- wie zu Grenzzwischenfällen entstanden. Ein zentraler Be- strukturen der SED innerhalb des Ministeriums, die im- stand für die Fragen der SED-Herrschaft stammt vom mer wieder neu organisiert und schließlich zugunsten der Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen mit politischen Verwaltungen ganz abgeschafft wurden. Ihr zahlreichen Einzelfallakten zu Familienzusammenfüh- nachgeordnet waren Bereiche wie das Militärgeschichtli- rungen, Häftlingsangelegenheiten und Rechtsschutzsa- che Institut der DDR, das Armeemuseum und das Film- chen für in der DDR verfolgte Personen. Beim BMJ ist studio der NVA, die militärpolitische Hochschule sowie umfangreiches Material zur Entstehung des Strafrechts der Militärverlag und mehrere Sportorganisationen. der DDR und zu seiner Anwendung vorhanden. Ebenso hat das Bundesministerium für Vertriebene umfangrei- Zu den zentralen Dienststellen des Ministeriums gehörten ches Material zur Aufnahme und Betreuung von Flücht- verschiedene Ausbildungs- und Schulungseinrichtungen, lingen übergeben. Der Bestand der Ständigen Vertretung darunter die Militärakademie „Friedrich Engels“, die der Bundesrepublik Deutschland in der DDR enthält ne- Nachrichtenzentrale und verschiedene technische Zent- ben Beobachtungen aus allen Bereichen des Lebens in der ralstellen. Zur Militärjustiz gehörte die Militäroberstaats- DDR Materialien zur humanitären Hilfe und zu Häft- anwaltschaft, deren Leiter Vertreter des Generalstaats- lingsfragen sowie zahlreichen Einzelfällen. Der Bestand anwaltes für den Militärbereich war. Sie arbeitete eng mit des Gesamtdeutschen Instituts enthält zahlreiche Infor- dem MfS zusammen. Die Akten der Verfahren, bei denen mationen aus der DDR, die dort zusammengestellt und das MfS ermittelt hatte, wurden dorthin zur Archivierung publiziert wurden, sowie Unterlagen aus der Förderung abgegeben. Trotz vieler Kassationen nach den üblichen von Hilfsmaßnahmen. Von der Zentralen Erfassungsstelle Aufbewahrungsfristen ist ein umfangreicher Bestand für der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter, die nach dem die Zeit von 1956 bis 1990 vorhanden. Er wird oft genutzt Mauerbau 1961 eingerichtet wurde, um in der DDR be- für Rehabilitierungsverfahren oder zur Klärung von Ent- gangene Gewaltakte festzuhalten, wurden mehr als schädigungsansprüchen. 40 000 Akten übergeben. Im Bestand des Bundesnach- richtendienstes ist die inzwischen offen gelegte systema- Aus dem Bereich der Zivilverteidigung sind Unterlagen tische Beobachtung der DDR bis 1990, sind Presseaus- über wirtschaftliche und logistische Planungen sowie die wertungen sowie Berichte aus Betrieben, Militäreinheiten militärische Ausbildung der Studenten vorhanden. Im und dem Ministerium für Staatssicherheit vorhanden. Bestand zum Objekt „Rügenhafen“ zum Ausbau eines Ebenso enthält der Bestand des Bundesamtes für Verfas- U-Boothafens in den 50er Jahren sind Unterlagen über sungsschutz Berichte über die Tätigkeit des MfS. Auch das Arbeitslager für 3 000 Häftlinge vorhanden. Der Be- diese beiden Bestände sind mit Online-Findbüchern im stand NVA umfasst weiterhin die Unterlagen der Grenz- Internet recherchierbar. polizei bis 1961 und des anschließend eingerichteten Kommandos der Grenztruppen einschließlich der Offi- Außerdem sind in der Abteilung B Bestände von Stiftun- ziersschule zur Ausbildung der Kommandeure. Im Be- gen und anderen Vereinigungen verfügbar, die sich spe- stand der 5. Grenzbrigade/Ring um Berlin finden sich In- ziell der Aufarbeitung des in der DDR verübten Unrechts Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 113 – Drucksache 17/12115 gewidmet haben. Dazu gehören etwa die Arbeitsgemein- einer Vereinigung von Juristen und Beamten aus der schaft für Mädchen- und Frauenbildung e.V., die sich von DDR, und dem Staatsbürgerinnen-Verband, der in der 1948 bis 1970 um die Unterstützung bedürftiger Lehre- DDR inhaftierte Bundesbürger betreut hat, sowie einige rinnen in der DDR bemüht hat, ebenso wie das Kurato- Nachlässe von politisch aktiven Personen. rium Unteilbares Deutschland, das sich seit 1954 für die Wiedervereinigung einsetzte, der Bund der Mitteldeut- Auch diese Bestände sind zum größten Teil in der Online- schen als Gesamtverband der Flüchtlinge, der Grenzzwi- Beständeübersicht beschrieben. Zu einigen von ihnen lie- schenfälle dokumentiert hat, der Kampfgruppe gegen Un- gen ebenfalls Online-Findbücher vor. Sie werden für menschlichkeit mit einer Dokumentation von Urteilen in zahlreiche Anfragen von Privatpersonen wie zu wissen- der DDR in den 1950er Jahren, dem Königsteiner Kreis, schaftlichen Forschungen herangezogen. Drucksache 17/12115 – 114 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

16 Abkürzungsverzeichnis AA Auswärtiges Amt AdB Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. AfNS Amt für nationale Sicherheit AFüSt Ausweichführungsstelle AKSB Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke e.V. AL Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN e.V. bap Bundesausschuss Politische Bildung BArchG Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) BerRehaG Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitritts- gebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz) BKM Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMI Bundesministerium des Innern BMVg Bundesministerium der Verteidigung BpB Bundeszentrale für politische Bildung BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik BSV Bund der Stalinistisch Verfolgten in Deutschland e.V. BV Bezirksverwaltung BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVG Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) CD Compact Disc CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CIA Central Intelligence Agency CSU Christlich-Soziale Union DA Demokratischer Aufbruch DDR Deutsche Demokratische Republik DHM Deutsches Historisches Museum DIZ Dokumentations- und Informationszentrum DRGK Die Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen DRK Deutsches Rotes Kreuz DSU Deutsche Soziale Union DVD Digital Video Disc, auch Digital Versatile Disc DVP Deutsche Volkspolizei DVV Deutscher Volkshochschulverband e.V. DzD Edition „Dokumente zur Deutschlandpolitik“ e.V. eingetragener Verein EDV Elektronische Datenverarbeitung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115 – Drucksache 17/12115

EKH Evangelisch-Kirchlicher Hilfsverein ET Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung EU Europäische Union FB Fachbereich FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FDP Freie Demokratische Partei GEMINI Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung GJWH Geschlossener Jugendwerkhof GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GULag Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager ha Hektar HAIT Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden HVA Hauptverwaltung Aufklärung IfZ Institut für Zeitgeschichte IM Inoffizieller Mitarbeiter IPA Internes Parteiarchiv der SED JVA Justizvollzugsanstalt KGB Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR, In- und Auslandsgeheimdienst der Sowjet- union km Kilometer KZ Konzentrationslager KZB Koordinierendes Zeitzeugenbüro LAkD Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur lfm laufende Meter LStU Landesbeauftragte/-er für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR m Meter MfS Ministerium für Staatssicherheit MGFA Militärgeschichtliches Forschungsamt MHM Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Mio. Million Mrd. Milliarde MWD Ministerium für innere Angelegenheiten der Sowjetunion NATO North Atlantic Treaty Organization NKWD Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der Sowjetunion NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVA Nationale Volksarmee PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PMO Parteien und Massenorganisationen der DDR. qm Quadratmeter Drucksache 17/12115 – 116 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

RHG Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. ROM Read-Only Memory SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv SBZ Sowjetische Besatzungszone SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMT Sowjetische Militärtribunale SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StrRehaG Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungs- maßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz) StSG Stiftung Sächsische Gedenkstätten StUG Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik (Stasi- Unterlagen-Gesetz) ThürAZ Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UHA Untersuchungshaftanstalt UOKG Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. VEB Volkseigener Betrieb vgl. vergleiche VOS Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. VwRehaG Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz) z. B. Zum Beispiel ZK Zentralkomitee ZPA Zentrales Parteiarchiv der SED ZZF Zentrum für Zeithistorische Forschung

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333