Artist: DJ Hell Title: Box (Past, Present, No Future) Label: The Hell Experience Records ​ Release: 27/11/2020 Format: Vinyl | CD | Digital Cat. Number: HELL_EX004 & HELL_EX003LP

Völker, hört die Signale: passend zu Wiedererwachen des Clublebens ist auch DJ Hell mit dem Album House Music ​ Box (Past, Present, No Future) wieder am Start. Anders als beim Vorgänger Zukunftsmusik (2017), richtet Hell auf ​ seinem neuen Werk den Blick zurück: zurück nämlich auf die glorreichen Anfangszeiten von House und in Chicago, Detroit und . Offenkundige Referenzpunkte sind die Heroen der großen Tanzbodenerschütterung aus den späten 80er Jahren, also Koryphäen wie Ron Hardy, Frankie Knuckles und Lil‘ Louis aus der Chicagoer House-Szene, oder die legendären Radiosendungen von The Electrifying Mojo aus Detroit. Nicht zu vergessen wären selbstredend ebenso der NYC House eines Larry Levan oder die Nu Groove-Platten von Anfang der 90er Jahre – sie alle standen für Hell als musikalische Paten von House Music Box. ​ ​ Back to the roots. Dementsprechend ist Hell-Opus Nr. sechs ein klassisches Album geworden: House Music Box ​ ​ enthält schlicht und einfach acht ergreifend neue Knaller aus der Groovemanufaktur des Ober-Gigolos. Die Platte ist nicht nur ein Konzeptalbum über die Anfänge elektronischer DJ- und Clubmusic, sondern zugleich eine tanzbare Geschichtsstunde.

Das veranschaulicht bereits die grandiose erste Single: „Out of Control“ ist ein mächtig stampfendes Dancefloor-Ungetüm, auf dem sich eine Killer-Basslinie und einem infektiösen Synthie-Riff verbindet. Ein Vocal-Sample fordert dazu sehr zu Recht „Don’t stop!“, denn was Hell hier an den Controllern gezaubert hat ist pure Glücksekstase.

Die Songs „Freakshow“ und „House Music“ sind musikalische Verbeugungen vor den innovativen Urhebern des House in der windy city. Mit den Vocoder-Vocals „Ron Hardy is the true creator of house music”, erinnert Hell auf ​ ​ “Freakshow” an den mit 33 Jahren frühverstorbenen DJ, der vor allem für eklektische Sets sowie seine radikalen Edits bekannt war. Hardy legte im Nachfolgeclub des Warehouse auf, der legendären „Music Box“, der dem neuen Album seinen programmatischen Titel gab.

Bei „House Music“ gilt natürlich nomen est omen: Über lupenreinen House der Qualitätsmarke Hell loopt er ​ ​ verschiedene Samples, also Satzbruchstücke wie „Acid comes from house music”, “Techno comes from house”, “Foundation of house music is”, oder “Chicago house music”, durch deren beständige Wiederholung samt der groovenden Beats bald schon der hypnotischen Effekt eintritt, dass die Musik – dank der Produktionsmagie von Hell – selber zu sprechen beginnt. Tanzbares Teufelszeug.

Auf „Electrifying Mojo“ wiederum ehrt Hell den so visionären wie enigmatischen Charles Johnson a.k.a. The Electrifying Mojo, dessen von 1977 bis Mitte der 80er Jahre laufende Radiosendung einen gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Techno in Detroit hatte. Beispielsweise weil er oftmals Kraftwerk spielte, wurde der öffentlichkeitsscheue Electrifying Mojo zu einem wichtigen Geburtshelfer der elektronischen Zukunftsmusik aus dem Geiste der Achse Detroit-Düsseldorf.

Wie sich fast von selbst versteht, bilden Kraftwerk als graue Eminenz der deutschen Elektronikmusik den Hintergrund auch dieser Platte von Hell, etwa was den Einsatz von Vocoder-Vocals als rhythmisches Element betrifft oder die Bassfrequenzen als tragendes Fundament jedes Tracks. Deutlich erkennbar auf House Music Box ​ ist der Einfluss von Kraftwerks 1986er Werk Electric Café (jetzt: Techno Pop) auf dem groovenden Track ​ ​ ​ „Technicolor“. Fans der „industriellen Volksmusik“ werden sich kaum wundern, denn so lautete Kraftswerks Arbeitstitel der Platte. Samt klangpoetischen Vocals kitzelt Hell über flinke Bassläufe einen coolen Funk aus den

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warmen Maschinensounds, denn auf House Music Box benutzt er – nicht nur für diesen Track – dieselben ​ analogen Synthies aus den Siebzigern wie einst Kraftwerk selbst.

Das Œuvre von DJ Hell zeichnet bekanntlich der artistische Wille aus, bei jedem Album anders anzusetzen, während zugleich Konstanten für inneren Zusammenhalt und Querverweise sorgen. Exemplarisch zu nennen wäre das Motiv Automobil als Einfluss der Kraftwerk’schen „Autobahn“: man denke nur an Songs wie „Hellracer“ oder „Car Car Car“.

Auf House Music Box ist das Auto-Motiv vertreten mit dem ambitionierten Track „GPS“. Konzeptuell gesehen ist es ​ ein Highlight der Platte: über sparsame Roland Drumcomputer-Beats, hören wir die weibliche Computerstimme eines Navis die schnellste Route zur „destination Berlin nightlife“ anzeigt, was ja insofern (doppel)sinnig ist, als im Club dann die Musik den Tanzenden die Richtung vorgibt. Kein DJ Hell-Album ohne Coverversionen. Allerdings sollte man bei seinen eigenwilligen Electro-Fassungen bewährter Hits doch besser – in Anlehnung an einen Begriff von Laibach – von new originals sprechen, ganz so hier bei „The Revolution Will Not Be Televized“: sein Update ​ des Soul-Klassikers von Gil Scott Heron ist zu einer veritablen 4 to the floor-Version geraten.

Der ursprünglich aus der Black Power-Bewegung stammende Slogan hat eine beachtliche Karriere gemacht, nicht nur dank einiger Neufassungen, sondern ebenso zweckentfremdet als Werbespruch für Barketten. Dass Hell das Stück in Zeiten von YouTube, Instagram und Facebook aufgreift, verdeutlicht uns Heutigen ja vor allem, dass die Idee einer politischen Revolution lang schon passé ist. Daher lässt er von der wortreichen Suada des Originals allein die Titelzeile übrig, während die treibenden Beats aufs Trefflichste beweisen, dass zumindest die Revolutionierung des Dancefloor noch lange nicht vorbei ist.

Past, Present, No Future – Hells tiefe Verbeugung vor den Wegbereitern und Bahnbrechern der elektronischen Clubmusik war zwar bereits fertig, als die Corona-Pandemie ausbrach. Der Untertitel von House Music Box aber ​ erwies sich als sinnig angesichts des Umstands, dass gerade die Clubszene an gravierendsten von den Zwangsmaßnahmen der Krise betroffen ist. Deshalb war durchaus prophetisch, dass auf „Jimi Hendrix“ Fetzen des letzten Interviews zu hören sind, das der Gitarrist kurz vor seinem umstrittenen Tod gegeben hat. „I can’t build anything right now, you know, because of the things that are happening right now. I just have to lay back and think about it all.” House Music Box, ist insofern, in mancherlei Hinsicht die richtige Platte zur rechten Zeit. Denn wie DJ ​ ​ Hell über sein Album sagt: „House Music war für mich immer schon eine spirituelle Erfahrung, sozusagen eine höhere, andere Form der Kommunikation.“ Hören wir also aufmerksam zu, was er auf House Music Box von seinen ​ musikalischen Exkursionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des House zu berichten hat.

Tracklist: 1. Freakshow 2. G.P.S. 3. HausMusik 4. Jimmy Hendrix 5. Out Of Control 6. The Electrifying Mojo V2 7. The Revolution Will Be Televised 8. Tonstrom

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