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Beiträge zur Zeitgeschichte Von Dr. Klaus Rose Die Wahl des Bundespräsidenten – frei und geheim?

Zum 23. Mai 2009 wird wieder einmal „die Bundesversammlung“ einberufen. Einziger Zweck ist die Wahl des/der neu- en Bundespräsidenten/in. Genau 1028 Wahlmänner oder Wahlfrauen entscheiden nach ihrem Gewissen, wer nächstes Staatsoberhaupt in Deutschland sein wird. Das war immer so, egal ob man in oder in Berlin zusammenkam. Doch nicht selten war es auch eine Richtungswahl und nicht so sehr eine Persönlichkeitswahl. Einerseits dokumentierten sich die aktuellen politischen Mehrheiten, andererseits wurden für einen gewünschten Stimmungsumschwung die entsprechenden Mehrheiten herbei geredet oder herbei geschrieben. Dieses Mal, im Jahr 2009, geht es erneut nicht bloß um eine „völlig freie Wahl“. Pikant: wie in den zurückliegenden Jahren nehmen nicht bloß politische Profis an der Versammlung teil, sondern mehr oder weniger „bekannte Persönlichkeiten aus dem Volk“. Damit stehen Mehrheiten nicht von vorneherein fest. Zum ersten Mal sind auch „Die Freien Wähler“ offiziell dabei. Auch diese haben schon für Aufsehen gesorgt. Aus der Donaustadt Vilshofen nahmen bei früheren Wahlen Baptist Kitzlinger und Franz Meyer so- wie – sechsmal – der örtliche Bundestagsabgeordnete teil.

s war vor genau 60 Jahren, destag, was natürlich prompt christlichen Lager zuzurech- dass mit dem Professor zu schärferen politischen Aus- nen, zum Wegbereiter der aus dem Schwabenland, einandersetzungen führte. E sozialliberalen Koalition kam. (FDP), das ers- Diese entluden sich im Bundes- Die „Ostpolitik“ von Willy te Staatsoberhaupt der neuen tagswahlkampf 1980 – mit dem Brandt (SPD) und Hans-Diet- Bundesrepublik Deutschland Kanzlerkandidaten Franz Josef rich Genscher (FDP) konnte gewählt wurde. CDU/CSU und Strauß (CSU). Doch als „wan- sich durchsetzen. Eine jahre- FDP hatten die erste Richtungs- dernder Bundespräsident“ er- lange Kampagne um „Ewig- wahl gewonnen. Für die SPD warb sich Carstens in seiner gestrig“ oder „Verrat“ be- war deren damaliger Parteichef einzigen Wahlperiode eine grö- herrschte die nun einsetzende Kurt Schumacher angetreten. ßere Zuneigung. Er war auch politische Agitation. Denn die Schon in der zweiten Wahlrun- in der Bayerwald-Region gern ersten zwanzig Jahre der Bun- de hatte es zur Mehrheit für gesehener Gast. Gemeinsam desrepublik Deutschland hat- Heuss gereicht. Er blieb zehn mit dem Regierungswechsel ten dem „Bürgerlichen Lager“ Jahre lang Bundespräsident. 1982 trug Carstens zur Vorbe- gehört (Bundeskanzler Ade- reitung des sensationellen Er- nauer, Erhard, Kiesinger) – und gebnisses vor 25 Jahren bei, als Die Ahnenreihe der jetzt kam für dreizehn Jahre mit dem Freiherrn Richard von Bundespräsidenten 1994 war der Lyriker Reiner Kunze für die Region Passau Mitglied das „Linksliberale Lager“ an Vor 50 Jahren war dann der Weizsäcker (CDU/CSU), vor- der Bundesversammlung (von links: Theo Waigel, Reiner Kunze, die Macht. Brutale, auch per- Sauerländer Heinrich Lübke her schon regierender Bürger- Klaus Rose, Roman Herzog, Klaus Kinkel). sönliche Auseinandersetzun- (CDU) gewählt worden, der meister von Berlin, die beiden gen waren die Folge. Während auch zehn Jahre amtierte. Vor großen Volksparteien erstmals Ranke-Heinemann, unterstützt „Richtungswahlkampf“ man den Unionsparteien eine 40 Jahren symbolisierte der einen gemeinsamen Bewerber von der PDS). Vor fünf Jahren oder „Freie Wahl“ Nähe zum Nationalsozialismus Amtsantritt des Westfalen hatten. Schon im 1. Wahlgang siegte dann bereits im ersten Wer die letzten 60 Jahre durch- unterstellte, weil auch ehemali- (SPD) den hatte er gesiegt. Fünf Jahre Wahlgang der Überraschungs- leuchtet, spürt die Bedeutung ge Parteimitglieder in führende politischen Machtwechsel, der später hatte er überhaupt kei- kandidat Horst Köhler (CDU), der Bundespräsidentenwahl Positionen im Staat oder bei bei der darauffolgenden Bun- nen Gegenkandidaten. der auch wieder „aus der Oppo- für die deutsche Politik. In der der neuen Bundeswehr kamen, destagswahl erfolgen sollte. Vor 15 Jahren gab es dann wie- sition heraus“ gewonnen hatte. „Sowjetischen Besatzungszo- hängte man den Linksliberalen Denn die FDP hatte mit der der eine Kampfabstimmung. Bei der amtierenden rotgrünen ne“ und späteren DDR regierte den Ruch der „Moskautreue“ SPD taktiert und ab sofort mit Fünf Bewerber, darunter sogar Bundesregierung hatte er die die „Sozialistische Einheitspar- an. Personelle Beispiele für die- dem Markenzeichen „Sozialli- einer der rechtspopulistischen Stimmen von CDU/CSU und tei“ SED, welche die obersten se Etikettierung gab es natür- berale Koalition“ für 13 Jahre „Republikaner“ (Hans Hirzel), FDP hinter sich. Seine Amts- Posten nach strammem Par- lich. Nicht selten hatten aber die Geschichte der Bundesrepu- waren angetreten. Erstmals führung war so gut, dass er in teimuster vergab. Landsmann- jene am deutlichsten mit dem blik geprägt. Heinemann blieb siegte ein Bayer, nämlich der den Beliebtheitswerten bestens schaftliche oder lagerpolitische Finger gegen die anderen ge- aber bloß eine Periode im Amt, ehemalige Präsident am Bun- abschnitt. Trotzdem ergab sich Entscheidungen gab es da- zeigt, die selbst etwas zu ver- ebenso wie sein Nachfolger desverfassungsgericht Roman für die angestrebte Wieder- durch nicht. Erst seit dem Jahr bergen hatten. Spät, fast zu (FDP), geboren Herzog (CDU/CSU), ursprüng- wahl im Jahr 2009 die gleiche 1994 konnten sich die Anhalti- spät, war mit der Aufdeckung in Solingen. lich aus Landshut an der Isar Ausgangssituation wie 2004. ner-Sachsen, die Brandenbur- der SS-Mitgliedschaft von Vor nunmehr 30 Jahren gab es stammend. Er begnügte sich Denn mit der von der SPD un- ger, Mecklenburger, Vorpom- Günther Grass ein besonders die Neuerung, dass mit dem in mit einer Amtszeit, so dass terstützten weiblichen Kandi- mern oder die Sachsen und typisches Beispiel der „Vergan- Bremen geborenen Karl Cars- es vor zehn Jahren wieder zu datin aus den neuen Bundes- Thüringer im wiedervereinten genheitsbewältigung“ gelöst tens (CDU/CSU) ein Bundes- einem Wechsel zur SPD kam. ländern, , trat Deutschland einbringen. Bis- worden. Karl Carstens hatte im präsident aus der Opposition Der langjährige NRW-Minister- dieselbe Gegenbewerberin wie her hatten sie aber den obers- Jahr 1979 noch eine extreme heraus gewählt wurde – mit Hil- präsident (SPD) 2004 an. Dass auch „Die Lin- ten Platz noch nicht belegt. Diffamierung als „Alt-Nazi“ zu fe der Unionsmehrheit in den setzte sich 1999 gegen zwei ken“ mit einem Schauspieler Ganz typisch war es 1969 ge- ertragen gehabt. Bundesländern. Er war vorher Frauen durch (Dagmar Schi- antraten, war das i-Tüpfelchen wesen, als es mit Gustav Hei- Derartige Spiele stecken heute Fraktionsvorsitzender im Bun- panski von der CDU und Uta der Besonderheiten. nemann, ehemals mehr dem nicht mehr hinter den Wahl- das letzte Mal den Skispringer strategien. Aber nur um die Michael Uhrmann zur Bundes- sympathischere oder erfolgver- versammlung gebeten. Eine sprechendere Persönlichkeit nette Pressenotiz hatte jeden- geht es auch nicht. Wie mit al- falls gutgetan. In einer Medien- len Wahlen stimmt der Slogan: und Fernsehdemokratie leben „Erfolg zeitigt den Erfolg“. Wer alle vom Glamour. Wenn jedoch die eine Etappe für sich ent- die Wahl deshalb „schiefge- schieden hat, kann die nächste hen“ sollte, würden womöglich leichter anpacken. Das wäre im Köpfe rollen. Aber war das in Bundestags- und Europawahl- den letzten 60 Jahren anders? jahr 2009 ein umso verlocken- Oder bekommen in Zukunft deres Signal, wenn eine über- jene Stimmen mehr Gewicht, raschende Entscheidung durch die überhaupt eine „Volkswahl“ die Bundesversammlung gefällt des Staatsoberhaupts wollen? würde. Die jeweiligen Partei- Der dann eine neue Rolle mit strategen sind daher bemüht, viel mehr Einfluss spielen die „Freiheit der Wahl“ nicht müsste? Viel hängt von der zu übertreiben. Das schon oft jetzt anstehenden Wahl ab – übliche Verfahren, parteilich und ihren Folgewirkungen bei ungebundene Persönlichkeiten Bund und Europa. zu Mitgliedern der Bundesver- sammlung zu berufen, erfährt deshalb in diesem Jahr seine Grenzen. Zusammensetzung der Bundesversammlung Je zur Hälfte besteht die Bun- desversammlung aus den der- zeit 614 Mitgliedern des Deut- schen Bundestages und den von den Länderparlamenten nach deren Machtverhältnis- sen berufenen Personen. Nach dieser Arithmetik läuft alles auf eine knappe Entscheidung hinaus. Der Amtsinhaber und die erneute Herausforderin so- wie der Kandidat der Linken bringen es im ersten Wahlgang nicht zu einer klaren Entschei- dung. So ist auch zu verstehen, dass die erstmals offiziell in der Bundesversammlung vertrete- nen „Freien Wähler“ besonders beäugt werden. Kleinere und größere Scharmützel um deren mögliches Abstimmungsverhal- ten sind die Folge. Eigentlich kann man ein geschlossenes Auftreten gar nicht erwarten. Denn „nur konservativ“, wie man in Bayern vermutet, sind „die Freien“ auch wieder nicht. Die „Denkzettelwahl“ gegen die CSU durch die „aus dem Holz der CSU geschnitzten Freien Wähler“ – wie manche Kommentatoren meinten – be- kommt also ihre eigene Dyna- mik. Die Freie Wählergemein- schaft in Vilshofen steht bei- spielsweise den Grünen näher, und andernorts ist es ähnlich. „Bürgerlich“ sind „Freie Wäh- ler“ also nicht automatisch. Entscheiden bekannte Persönlichkeiten? Können sich Union, SPD, FDP, Grüne und Linke diesmal er- neut großzügig zeigen und „Wahlwerbung in eigener Sa- che“ betreiben, indem sie be- kannte Persönlichkeiten auf ihren Listen auftreten lassen? Günther Grass beispielsweise oder Fürstin Gloria? Auch im Passauer Raum hatte es sich eingebürgert, mit dem Pfund bekannter außerparlamentari- scher Namen zu wuchern. Nach Reiner Kunze 1994 hatte man