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BRANDT Dokument 10 WILLY BRANDT Ein Brief aus dem Jahre 1946 WILLY BRANDT Oslo, den 10. Juni 1946 Pensjon Themis, Pilestredet 15 B Lieber Jim! Ich habe Dein Schreiben vom 30.4. und Euern Ende April datierten Rundbrief erhalten. Inzwischen hat mir einer unserer Freunde einen Teil der Beantwortung ab - genommen. Ich meine Gen. Adolf Ehlers, der zusammen mit dem zweiten Vertreter der KPD im Bremer Senat, Hermann Wolters, Mitte Mai zur SPD übergetreten ist. »Bei Willy Brandt hat er Die Genossen Ehlers und Wolters haben ihren Austritt (Schumacher) Vorbehalte, aus der KPD in einer Erklärung begründet, in der es auch wenn er seiner Karrie - re nichts in den Weg legt, heißt: ”Die Demokratie wird in der KPD mit Füssen ge - die ja damit beginnt, daß er treten, und selbständig denkenden Kommunisten wird ein ihn 1948 als Beauftragten Schweigeverbot auferlegt, weil sie versuchen, inner - des Parteivorstandes nach halb der Partei für eine Politik einzutreten, die nach Berlin entsendet. ›Und so ihrer ehrlichen Auffassung den Interessen der deut - etwas nennst Du Deinen schen Arbeiter entspricht.” Es wird weiter ausgeführt, Freund?‹, sagt er ironisch dass sich an den Methoden der früheren Zeit in der KPD zu Hermsdorf, als einmal von Brandt die Rede ist. nichts geändert habe: ”Wichtige politische Entschei - Mit Brandts Engagement dungen werden nicht diskutiert, sondern von oben wird für die linke SAP 1932 kann eine fertige Meinung dekretiert.” Wer widerspräche, dies kaum zusammenhän - werde als Parteischädling und als Helfer der Reaktion gen, da er schon 1945 abgestempelt. SAP-Mitglieder wie Otto Ehlers und Wolters wenden sich gegen den schemati - Brenner willkommen ge - schen Zentralismus des kommunistischen Parteiapparats, heißen hat. Eher spielen Berichte über Brandts links - dessen tiefere Ursache sie auf die aussenpolitische sozialistische Verbindungen Abhängigkeit der Partei zurückführen. ”Die KPD”, so im norwegischen Exil eine schreiben sie, ”führt eine Politik der mechanischen Rolle, auch seine Nähe zu Übertragung politischer Direktiven, die unvereinbar Jakob Walcher, einem frühe - sind mit den Grundsätzen einer selbständigen soziali - ren schwäbischen Metall - stischen Politik.” Eine sozialistische Partei in arbeiter, der... aus der... Deutschland stehe vor der Aufgabe, eine völlig unab - KPD ausgeschlossen wurde und danach zur SAP ge - hängige sozialistische Politik zu führen. Sie müsse stoßen ist. Noch im Ausland frei sein von allen fremden Einflüssen und dürfe unter entscheidet sich Walcher für keinen Umständen ein Instrument der Aussenpolitik ei - die SED; als Brandt für die nes anderen Staates sein. ”Eine sozialistische Partei norwegische Militärmission in Deutschland darf nicht in einseitiger Weise für die 11 BRANDT Dokument wirtschaftliche, politische und nationale Einheit in in Berlin arbeitet, kommt es den westlichen Gebieten eintreten und vor den gleichen zu gelegentlichen Treffen Fragen in der östlichen Zone stumm resignieren. Man zwischen beiden. Ehe er nach Berlin geht, muß kann auch nicht einer Demontage der lebensnotwendigen Brandt sich gegen Versu - Betriebe im Osten weitgehende Unterstützung leihen und che wehren, ihn wegen im Westen eine gegenteilige Politik betreiben.” der Kontakte zu Walcher Weiter heisst es, dass eine sozialistische Einheits- anzuschwärzen.« Peter partei nur auf der Grundlage des freiwilligen Zusam - Merseburger: Der schwieri - menschlusses der Mitglieder entstehen könne. Ihren ge Deutsche. Kurt Schuma - Übertritt zur Sozialdemokratie begründen die beiden cher. Eine Biographie, Stutt - gart 1995, S.472. Genossen zusammenfassend damit, dass für eine Politik der internationalen Verständigung und der gegenseiti - gen Hilfe aller Sozialisten heute nur Platz in den Reihen der SPD sei. Sie schliessen ihre Erklärung mit der Aufforderung: ”Aus diesen Gründen erklären wir un - seren Austritt aus der KPD und fordern unsere Freunde auf, mit uns gemeinsam in die SPD einzutreten und die - se Partei zu stärken für die sozialistischen Aufga - ben.” Es kann kaum geleugnet werden, dass dem Schritt der Gen. Ehlers und Wolters eine gewisse Bedeutung beizu - messen ist. Zu diesem Urteil über die Zustände inner - halb der KPD sind sie nicht am grünen Tisch gekommen, sondern auf Grund praktischer Erfahrungen. Du solltest auch nicht übersehen, dass zu diesem Thema eine Menge früheren Erfahrungsmaterials vorliegt. Dieses Materi - al berechtigt kaum zu Deiner optimistischen Annahme, die Ausarbeitung von Losungen geschehe bei der KPD in 99 von 100 Fällen ”ganz ähnlich, wie es etwa bei uns geschah, d.h. durch ernsthafte, gründliche und zuwei - len auch heftige Diskussionen”. Besonders wundere ich mich aber über Deine Feststellung, die Kommunisten würden ”im gemeinsamen Rahmen jedem willig Gehör schenken und Anregungen und Vorschläge von ihnen ent - gegennehmen, wenn sie den Eindruck haben,dass es den Betreffenden darum zu tun ist, der gemeinsamen Sache » Heute bekam ich den do - am besten zu dienen. Unzugänglich, abweisend und rück - kumentarischen Beweis sichtslos werden sie sich stets dann verhalten, wenn dafür, daß Willy Brandt in sie glauben, dass jemand Nebenabsichten verfolgt und Schweden versucht, in der sich gern ein extra-Süppchen kochen möchte.” Das sozialdemokratischen Pres - se Artikel unterzubringen, heisst doch im Grunde nichts anderes, als dass alles in denen er Schumacher gut ist, solange man mitmacht und dass es schief geht, vorwirft, daß dieser außen - wenn einer gegen den Stachel löckt. Du akzeptierst politisch einseitig sei und jetzt in Wirklichkeit den Führungsanspruch von seiten ›seine Haltung zur Samm - der KPD und schliesst damit die Möglichkeit aus, dass lung ist rein negativ‹. Vor - es ja auch auf ihrer Seite Leute geben kann, die Ne - sicht ist dringend geboten. benabsichten verfolgen und sich ein extra-Süppchen Bitte berichte den angestri - chenen Absatz nach Hanno - kochen möchten. ver.« Ich muss demgegenüber noch einmal die Auffassung un - Kurt Heinig, Stockholm, am terstreichen, die ich in meinem Brief vom 30. April 13. März 1946 an Wilhelm zum Ausdruck brachte: ”Die Freude über strukturell Sander, in: AsD, Bestand fortschrittliche Veränderungen in der Ostzone wird Kurt Schumacher, Mappe65. BRANDT Dokument 12 »Lübecker Sozialdemokra - dadurch wesentlich getrübt, dass jene ”Demokratie neu - ten fuhren nach Hannover, en Typs” praktiziert wird, die mit den demokratischen wo Kurt Schumacher die Grundrechten herzlich wenig gemein hat und sogar die SPD wiederbegründet und elementaren Forderungen der demokratischen Meinungs - mit eiserner Hand und er - gebenen Helfern auf Kurs bildung innerhalb der Arbeiterbewegung beiseite - gebracht hatte. Und wo ich, schiebt. Die demokratischen Grundrechte und die Demo - Parteitag Mai 1946, selbst kratie innerhalb der Arbeiterbewegung sind aber nicht gewesen war, ohne daß sich Fragen der Zweckmässigkeit. Sie sind grundsätzliche eine Perspektive ge zeigt Fragen erster Ordnung.” und ich das Gefühl bekom - Selbstverständlich fliegen Späne, wenn gehobelt wird. men hätte, ich würde erwar - Natürlich darf man nicht zulassen, dass sich Nazis und tet. Wog die linkssozialistische Besitzbürger hinter der Fahne der Freiheit verstecken. Vergangenheit zu meinen Du hast auch ganz recht wenn Du feststellst, dass Lasten? Kaum, denn ande - Freiheit, Demokratie und Humanität sich im neuen re Mitglieder früherer Son - Deutschland niemals werden wirklich entfalten können, dergruppen standen längst wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, das Land in Ansehen und wurden gründlich von den Nazis und ihren Hintermännern zu gebraucht... Und tatsächlich säubern, einen verlässlichen Staats- und Verwaltungs - verlockte diese Vergangen - heit niemanden zu einer apparat aufzubauen und die Struktur der Wirtschaft spitzen Bemerkung. grundlegend zu ändern. Aber es kommt darüber hinaus Zwischen Sozialdemokraten noch darauf an, dass man weiss, was ”Freiheit, Men - und Kommunisten gab es schenwürde und andere schöne Dinge” beinhalten, dass keinen Raum mehr und man an diesem Inhalt mit fanatischer Entschlossenheit keine Illusionen. Man war festhält und sich auf diese Weise dagegen sichert, im hierhin gegangen oder revolutionären Prozess zur Abtötung dessen beizutra - dahin, wie Jakob Walcher, der sich noch im amerikani - gen, was zu erkämpfen man sich vorgenommen hatte. schen Exil für den Osten Darum kann ich mich nicht Eurer Forderung anschlies - entschieden hatte und folge - sen, ”wir sollen uns nicht durch Räsonnieren über die richtig in der SED landete. zur Anwendung gelangten Methoden vom Begreifen des Er suchte noch, mich zu Kerns der Sache abhalten lassen”. Diese ”Methoden”, bereden, holte sich aber, in über die jetzt nicht mehr räsonniert werden soll, wa - den Tagen nach der sowjeti - schen Zwangsvereinigung ren es doch, die seinerzeit dazu führten, dass für von SPD und KPD, eine Dich und Deinesgleichen in der Komintern kein Platz deutliche Abfuhr. Entschei - mehr war. Inzwischen ist viel Wasser den Berg hinab - dend sei, so schrieb ich gelaufen. Zwei Kernpunkte, die Du damals und während ihm, daß die Einheit ›mit un - der Jahre unserer Zusammenarbeit immer wieder betont demokratischen Mitteln und hast, haben jedoch an Aktualität nicht verloren. Ich teilweise sogar mit gewalt - meine die Frage der Demokratie innerhalb der Arbei - tätigen Methoden vorange - trieben worden ist‹. Die de - terbewegung und die ihrer Unabhängigkeit und Boden - mokratischen Grundrechte ständigkeit. und die Demokratie inner - Damit sind wir bei der Haltung zur SU angelangt. Mir halb der Arbeiterbewegung will scheinen,