SPIEL Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

SPIEL: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

Jg. 22 (2003), Heft 1

Peter Lang Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Wien Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISSNISSN 0722-78332199-8078 © Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften F r^^^rt am Main 2005 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany 1 2 3 4 6 7 www.peterlang.de Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

SPIEL 22 (2003), H. 1

MEDIEN - MACHT - WAHRNEHMUNG. MEDIALE DISPOSITIVE DES SEHENS UND HÖRENS

ed. by Kathrin Fahlenbrach (Halle)

Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

Herausgeber dieses Heftes / Editor of this issue: Kathrin Fahlenbrach Contents / Inhalt SPIEL 22 (2003), H. 1

Vorwort x

Florian Hartling/Thomas Wilke (Halle) Das Dispositiv als Modell der Medienkulturanalyse: Überlegungen zu den Dispositiven Diskothek und Internet 1

Anne Bartsch/Susanne Hübner (Halle) Die Macht der Emotionen: Zur aufmerksamkeitslenkenden Funktion von Emotionen in medialen Dispositiven 38

Kathrin Fahlenbrach (Halle) Wahrnehmungsästhetik der Medien als „Aisthesis“? Überlegungen zu einer Theorie Audio-Visueller Metaphern 49

Michael Lommel (Siegen) Sichtbare Töne - hörbare Bilder. Zur Synästesie des Films 63

Matthias Buck (Halle) Die ungemalten Bilder 74

Reinhold Viehoff (Halle) Mechanismen der „Ikonisierung“ in der Mediengesellschaft. Überlegungen zum Verhältnis von Geschichte und Medien am Beispiel der „Saddam-Statue“ 96

Cordula Günther (Halle) Bilder als mentale Bilder. Zum Verhältnis von manifesten und mentalen Bildern 119 Ulrike Kregel (Halle) Vom Wesen der Bilder Gedächtnis zu sein 137

Golo Föllmer (Halle) Einflüsse technischer Medien auf die Musikpraxis im 20. Jahrhundert 150

Karin Wehn (Leipzig) oder was Ego-Shooter und Puppentheater gemeinsam haben: Über die revolutionäre Umformung des Dispositivs Computerspiele durch seine User 162

Steven Tototsy de Zepetnek (Boston-Halle) Imre Kertész’s Nobel Prize, Public Discourse, and the Media 183

Ulrike Schwab (Halle) Theoriebildung zur Erforschung der Filmadaption: ein medienwissenschaftlicher Weg 195 10.3726/80996_162

SPIEL 22 (2003), H. 1, 162-182

Karin Wehn (Leipzig)

Machinima - Was Ego-Shooter und Puppentheater gemein- sam haben12

„An artform come out of nowhere. Film that use game technology and look like Toy Story’. Zero-budget film-makers making films that would stretch the biggest of Hollywood studios.” (Hancock 2001)

First person shooters such as Quake, Unreal Tournament and Half-Life are regarded by many as evil tools that turn children into emotionless beings. What critics of the genre usually are not aware of is that first person shooters can be useful tools to produce 3D animation films. Such films that are based on the game engines of computer games, are referred to as machinima. What makes this unplanned usage of computer game (that was not foreseen by the game industry) so interesting is that is breaks down the entrance barriers for amateurs in the realm of 3D animation, which has so far been closed and unaccessible to them for both technological and economic reasons. At the same time, machinima is an impressive example that users are by no means merely passive consumers of games, but that they transcend the boundaries set by the game and actively create something new with it. This article discusses machinima within the theoretical framework of the dispositive, details the emergenge of machinima, explains the production steps of a machinima-film and presents the most important representatives of the genre. Finally, taking into account the reactions by both computergame industry, TV and film-industry it will be concluded that dispositives do not only gradually change over time, but that existing power relationships are sometimes revolutionized and that separate dispositives can melt together.

Machinima oder die Umkehrung des Dispositivs Computerspiel

Das Dispositiv Computerspiel

Der von Michel Foucault eingeführte Begriff des Dispositivs wurde von ihm zunächst für die Beschreibung gesellschaftlicher Macht Verhältnisse verwendet. Das Konzept wurde in

1 Für wertvolle Hinweise und Korrekturen dankt die Autorin Ingo Linde und Dirk Förster. 2 Die URL’s zu allen im Text zitierten Online-Quellen sind aus Gründen der Leserlichkeit im Literaturverzeichnis aufgeführt. Machinima 163

Apparatustheorien seit den 70er Jahren auf Film (Baudry 1970 und 1975, Comolly 1986), später auch auf Fernsehen (Hickethier 1991, 1995, Steinmaurer 2000) und auf das Inter- net (Härtling 2001) übertragen und bezeichnet dort die Anordnung zwischen Apparat und Zuschauer. Das Dispositiv steht also für eine eher räumliche Vorstellung von techni- schem Gerät und Benutzer, die aber auch darunterliegende, nicht sichtbare Herrschafts- verhältnisse im Blick behält. Die Leistung des Dispositiv-Begriffs besteht darin, ansons- ten getrennte Bereiche als Gesamtzusammenhang zu sehen, Wechselwirkungen zwischen technischem Apparat und Zuschauerwahrnehmung deutlich werden zu lassen sowie his- torische Veränderungen von Dispositiven plastisch zu machen. Angesichts der erfolgreichen Applikation auf unterschiedliche Medien liegt eine Ü- berprüfung der Produktivität des Dispositiv-Begriffs auch für andere neue Medien, wie z. B. Computerspiele, nahe.3 Computerspiele des Genres Ego-Shooter wie Doom, Quake oder Halflife sind digitale 3D-Welten, in denen der Spieler das simple darwinistische Ziel hat, in einer Welt voll von mordrünstigen Terroristen und Monstern zu überleben, indem er so viele seiner Geg- ner wie möglich tötet. Die hohe Faszination dieser Spiele beruht u.a. darauf, dass die virtuelle Welt entsprechend der Aktionen des Users in Realzeit neu berechnet wird. Ab- hängig von den Vorgaben des Spiels im Wechselspiel mit den Tastatur-Eingaben des Users verändert sich die Spielewelt ständig und übergangslos. Spieler und Bildschirm bilden eine Handlungsachse, der Spieler ist nahezu ausschließlich auf den Bildschirm fixiert und blendet während des Spiels die ihn umgebende Umwelt nahezu vollständig aus. Den schnellen Griff zur nebenstehenden Kaffeetaste kann sich der Spieler bei einem Ego-Shooter nicht leisten, er würde sofort vom Spiel oder seinen Mitspielern durch Ver- letzung oder Ableben der Spielfigur sanktioniert. Spricht Jean-Louis Baudry (1986) be- züglich des Kinos von der „Immobilität des Zuschauers“ und Anne Friedberg (1993) sogar vom im Kinosessel gefangenen Zuschauer, könnte man bei Computerspielen von einem ebenfalls gefangenen User sprechen, der sowohl über seinen zwanghaft fixierten Blick auf den Bildschirm als auch über die Tastatur, Maus oder andere Eingabegeräte regelrecht an die Kette gelegt ist. Immersion entsteht bei Ego-Shootern - anders als beim Kino - nicht durch den ab gedunkelten Kinoraum und eine im Verhältnis zum Zuschauer unproportional große Leinwand, sondern trotz der deutlich kleineren Bildschirmgröße durch die geballte Ladung an Reizen, Wahrnehmungsleistungen und komplexen Reaktio- nen, die der User in Sekundenschnelle bewältigen muss.

3 Allerdings erweist sich eine Beschreibung der dispositiven Struktur beim Computerspiel als wesentlich schwieriger als bei Kino und Fernsehen, da sowohl die Hardwareausstattung wie verwendetes Endgerät (PC, Konsole, Handheld), Prozessorleistung, Grafikkarte, Eingabegeräte (Maus, Tastatur, Controler), sowie die situativen Bedingungen der Nutzung (Büro, Zuhause, In- temet-Café) äußerst unterschiedlich sein können. Dies wirkt sich selbstverständlich unmittelbar auf die Ästhetik aus, in der Computerspiele wahrgenommen werden. 164 Karin Wehn

Karikaturen, die die Vorurteile gegenüber Computerspielen illustrieren:4

Vor allem Nicht-Spieler nehmen für sich in Anspruch, dieser dispositiven Anordnung Computerspiel eine gefährliche, weil lähmende oder gewaltanstachelnde Wirkung zu unterstellen. Diese Kritiker fürchten, dass solche „Ballerspiele“ aus wohlerzogenen wie auch aus sozial auffälligen Teenagern emotionslose, der Realität entrückte „Killer“ ma- chen, die das Gefühl für die Tragik von Tod und Krieg verlieren und dadurch verrohen. Als Beweise für diese populäre vor wissenschaftliche These werden gerne die Amokläufe in Erfurt, Bad Reichenhall und Littleton, USA angeführt, bei denen die jugendlichen Attentäter nachweislich leidenschaftliche Computerspieler waren. Medienwissenschaftler und -pädagogen, sowie Vertreter der endlich in Gang gekom- menen ästhetischen Auseinandersetzung mit der mehr als 40 Jahre umfassenden Ge- schichte von Computerspielen5 werden zwar nicht müde, darauf hinzuweisen, dass solche Ängste mit immer wieder den gleichen Argumenten bei jedem neuen Medium hochge- kocht wurden und werden. Gleichzeitig belegen neuere theoretische und empirische Er-

4 Linkes Bild: © Verfasser unbekannt; Sinclair User Feb 1986 http://www.sincuser.f9.co.uk/047/ccrazy.htm Rechtes Bild: ©Paul South worth http://www.krazylarry.com/portfolio/videogames.html 5 Nachdem die Forschung zu Computerspielen lange Zeit auf medienpädagogische Aspekte be- schränkt war (vgl. z. B. Fritz 1997), explodiert in den letzten Jahren die Computerspielfor- schung förmlich: Englischsprachige Monographien gibt es etwa von Cassell/Jenkins (2000), Kent (2001), King (2002), Berger (2002); englischsprachige Sammelbände etwa von Wolf (2001) und Wolf/Perron (2002). Zahlreiche, differenzierte Kategorien für die Analyse von Computerspielen können den an Game Designer gerichteten Handbüchern von Rollings/Adams (2003) und Salen/Zimmermann (2004) entnommen werden. Deutschsprachige, teils wissenschaftliche, teils eher Überblicks- und populärwissenschaftliche Darstellungen gibt es von Lischka (2001), Mertens/Meissner (2002) und Rautzenberg (2002), vgl. auch die Dissertation von Pias (2002). Zahlreiche wissenschaftliche Beiträge auch bei dem 2001 gegründeten Online-Journal Game Studies, bei Ludology sowie im Archiv der Melbourne DOC 2003. Machinima 165 gebnisse aus der Gewaltforschung, dass der Zusammenhang zwischen erlebter Gewalt in Filmen oder Computerspielen und tatsächlich ausgeübter Gewalt weitaus komplexer ist als eine einfache Kausalbeziehung (vgl. z. B. Rötzer 2003, Ladas 2002) - trotzdem: einen guten Ruf haben Ego-Shooter außer bei denen, die sie spielen, nicht. Sie gelten als sinn- entleerte, wenn nicht riskante und bedrohliche Form des Zeitvertreibs. Die meisten der besorgten Kritiker wären wohl überaus überrascht, wenn sie wüssten, dass das Genre auf dem Prüfstand auch für höchst kreative Ziele verwendet wird. Eine lebendige, über alle Kontinente verstreute Subkultur macht mit Hilfe von Ego-Shootern Filme in 3D-Optik. Das Handeln dieser Akteure kann auch als eine Form des „transfor- matorischen Spielens“ beschrieben werden, welches die Game-Forscherin und Game- Designerin Katie Sälen als Interaktion zwischen erfinderischen Spielern und den Spielen, die sie spielen, skizziert. Transformatives Spielen ereignet sich immer dann, wenn die freie Form des Spielens (Play6) die rigide Regelstruktur von Spielen (Game) wie z. B. Quake, Doom oder Die Sims dauerhaft verändert (Sälen 2002). Die Anhänger der Computerspiel-Film-Bewegung prognostizieren euphorisch, dass man mit Hilfe der in naher Zukunft auf den Markt kommenden Spiele nahezu ohne Budget, mit relativ wenig zeitlichem Aufwand und in kompletter künstlerischer Freiheit Filme in einer vergleichbaren Qualität wie z. B. Toy Story oder am heimischen PC hersteilen könnte. Während im 2D-Bereich - sei es durch Digitalkameras oder preisgüns- tige Animationssoftware wie Flash - eine Konkurrenz durch Amateure und eine Anglei- chung von Profis und Amateuren schon länger gegeben ist, war der 3D-Animations- Bereich Amateuren aus kosten- und hardwaretechnischen Gründen bislang verschlossen. Die professionellen CGI-Blockbuster basieren auf teurer Software, die für jeden Ki- no-Kassenschlager noch gemäß den Anforderungen des Films erweitert werden muss, um den ständig steigenden Ansprüchen nach noch realistischeren Haaren, Fell oder grob poriger Haut Rechnung zu tragen. Weiterhin benötigt die Herstellung dieser Filme unge- heure Rechenleistungen und die Filme werden daher nicht auf einzelnen Rechnern, son- dern von kostspieligen vernetzten Großrechnern, auch Rechnerfarmen genannt, produ- ziert. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob ein Vergleich mit den hochkarätigsten Ver- tretern der 3D-Animation nicht grenzenlose Hochstaplerei ist. Für die Produktion von Filmen auf Basis von Computerspielen verwenden die Ma- cher deren Game Engines. Eine ist vergleichbar mit dem Herz eines Com- puterspiels. Es ist die Software, die die Physik der virtuellen Welt als auch die möglichen Handlungen und Bewegungen der Spieler darin steuert und das virtuelle Geschehen auf dem Bildschirm darstellt. Die Game Engine regelt die Platzierung aller Objekte und Ein- heiten, sowohl die Performanz der Maschinengewehre, die Mimik der Zombies als auch die Fahreigenschaften der Fahrzeuge. In Echtzeit werden auch bei raschen Bewegungen des Users bewegte Bilder ohne Übergänge errechnet, die der User von seiner spontan und aktuell gewählten Perspektive ansehen kann.

6 Die englische Sprache unterscheidet zwischen „Play“ und „Game“, eine Differenzierung, die im deutschen Wort „Spiel“ lexikalisch nicht reflektiert ist. Die Unterscheidung zwischen „Playing“ und „Gaming“ ist zentral in der Computerspielforschung. „Playing“ ist ein freies Territorium, wo die Konstruktion einer Phantasiewelt zentrale Faktoren sind. „Gaming“ findet in begrenzten, regelgeleiteten Räumen statt und fordert die Interpretation und Optimierung von Regeln heraus (Kampmann Walther 2003). Normalerweise werden Computerspiele mit Gaming assoziiert. 166 Karin Wehn

In der Szene kursieren verschiedene Bezeichnungen für Filme, die mit Hilfe von Game Engines produziert wurden. Mal werden sie durch die Game Engine bezeichnet, mit der sie hergestellt wurden („Quake Movies“), oder allgemeiner als „Game Movies“. Nichts- destotrotz ist der Name, der sich durchgesetzt hat, der schillernde Begriff „Machinima“ [maschinima] - ein Kunstwort, das gleichzeitig auf „machine“, „cinema“ und „animati- on“ anspielt.

Die Geburt von Machinima aus dem transformativen Play mit Ego- Shootern

Das Cracken von Computerspielen hat eine lange Tradition und ist in entsprechenden Szenen mit viel Prestige verbunden. Es erhielt 1993 eine neue Dimension, als der Ego- Shooter Doom auf den Markt kam. Alsbald fanden die Fans heraus, wie sie die dem Spiel zugrunde liegenden Daten manipulieren konnten, wodurch sie so das Spiel selbst verän- dern konnten. Viele Spieler machten es sich zur selbst gewählten Aufgabe, von nun an die Maps (Umgebungen), die Skins (Avatare), ihre Waffen und Werkzeuge neu zu ent- werfen und kreierten Tausende an personalisierten Levels und Mods (Modifikationen) und verbreiteten diese über Computernetz werke. Die heute als so wichtig angesehene Personalisierungsfunktion der Spiele durch die User, die mit Doom einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, ging 1995 mit der Veröffentli- chung von Quake, einem weiteren Ego-Shooter, in eine neue Phase. Quake hatte drei entscheidende Merkmale, das es zur Filmproduktion prädestinierte: Erstens konnte Qua­ ke übers Internet gespielt werden, was die Gründung von Clans (Teams) begünstigte. Zweitens war auch Quake's Code teilweise offen für Modifikationen. Schließlich besaß Quake eine eingebaute Aufnahme-Funktion („demo function“), mit der Spieler ihre spek- takulärsten Verfolgungsjagden auf der Festplatte speichern und ggf. auf Video ausspielen konnten. So konnten sie damit später ihren Freunden imponieren.

Typische Kameraperspektive bei Quake 2 und Unreal Tournament.

Quake Done Quick http://www.planetquake.com/qdq/ war eines der frühesten Filmpro- jekte, das in der Online-Game-Szene Aufmerksamkeit erzeugte. Das Ziel von diesem und anderen „Speedruns“ bestand darin, mithilfe der integrierten Aufzeichnungsfunktion einzelne Spieler oder ganze Teams dabei aufzuzeichnen, wie sie das komplette Spiel Quake mit allen Levels in kürzestmöglicher Zeit durchlaufen. Der Rekord steht je nach Machinima 167 gewähltem Schwierigkeitsgrad bei 10-15 Minuten. Variationen dieser Idee waren u. a., in weniger als einer Stunde alle im Spiel vorhandenen Monster zu töten und alle Geheim- nisse des ganzen Spiels aufzudecken; das Spiel zu durchlaufen, ohne dabei irgendein Monster zu töten; sich beim Durchlaufen auf eine Waffe, z. B. eine Axt, zu beschränken; die Maps des Spiels rückwärts, d.h. vom Ziel zum Anfang, zu durchlaufen, oder das ebenso schnelle Meistern anderer Ego-Shooter. Diese eher sportliche und wettkampfori- entierte Spielaktivität, die häufig von mehreren Spielern gemeinsam ausgeübt wird, wird bis in die Gegenwart betrieben, ist aber, da sie eng an das Spiel angelehnt ist, vor allem für Spielkenner interessant. Erste Tendenzen weg vom reinen Wettkampf- und Show- Off-Charakter hin zu filmischen Ambitionen waren der bewusste Einsatz von wechseln- den Kameraperspektiven, die Hinzufügung von Dialogen, Special Effects und kleinen Nebenhandlungen.7 Die Liaison zwischen Computerspielen und Filmen gewann eine neue Qualität, als es 1996 Uwe Girlich, einem Leipziger Programmierer, gelang, die Struktur der von Quake erstellten Demo-Dateien zu analysieren. Als Verfasser des Programms Little Movie Pro- cessing Centre (kurz: LMPC) wurde er bekannt als der Vater von Machinima.8 Die Soft- ware übersetzt eine Quake .DEM-Datei in eine organisierte Text-Datei, die mit jedem TextVerarbeitungsprogramm angesehen und editiert werden kann, und zurück. Damit konnten Spieler die Kamera frei bewegen, alle Komponenten des Originalspiels austau- schen, schneiden und Untertitel hinzufügen. Damit waren alle Voraussetzungen für die Filmproduktion gegeben. Im August 1997 erschien Diary o f a Camper von einer Gruppe mit dem Namen „The Rangers“. Er gilt als der erste Machinima Film. Die Rangers verwendeten ihre Figuren als virtuelle Schauspieler und zeichneten ihre Bewegungen in einer Deathmatch-Map (einer Multiplayer-Spielumgebung) auf. Wie zu Zeiten des Stummfilms ersetzten Text- Botschaften auf dem Bildschirm den Ton. Weitere 45 Filme wurden in diesem ersten Jahr veröffentlicht. 1998 erschien bereits der erste zweistündige Spielfilm, produziert mit der Quake Engine. Anthony Bailey, einer der Mitstreiter des Quake Done Quick-Projekts, prägte 1998 auf der q2demos-Mailingliste den Begriff „Machinema“ für Filme dieser Machart, um von den negativen Konnotationen des Begriffs „Quake-Movies“ (engl, „(earth) quake“ bekanntlich gleich Erdbeben) abzulenken und um einen allgemeineren Begriff zu haben, der auch zukünftige Technologien und Filme, die mittels anderer Game Engines erstellt worden waren, miteinbeziehen konnte. 1999 änderte der schottische Game-Movie- Enthusiast Hugh Hancock nochmals einen Buchstaben in dem Kunstwort: Von nun an hießen mit Game Engines produzierte Filme „Machinima“, um so nicht nur die Verbin- dung von Cinema und Machine zu betonen, sondern auch noch die Verbindung zur Ani- mation. Außerdem war der revidierte Begriff auf Englisch eindeutiger auszusprechen. (McFedries 2002) Nach und nach entstanden ca. 20 Gruppen in ca. zehn unterschiedlichen Ländern wie Deutschland, Russland, Rumänien, Australien und den USA. Im Jahr 2000 gründete Hugh Hancock den Webauftritt Machinima.com, um der weltweit verstreuten Szene eine

7 Vgl. dazu die Websites vom Quake Done Quick-Projekt und das Speed Demos Archive. 8 Für seine Pionierleistung wurde Uwe Girlich beim Machinima Film Festival im Oktober 2003 in New York mit dem Honourary Award geehrt. 168 Karin Wehn

Plattform zu geben. Auf der Site können zahlreiche Filme herunter geladen werden, und es gibt zahlreiche Artikel und Kritiken zu den einzelnen Filmen sowie ausführliche Tuto- rials für diejenigen, die sich selbst an der Produktion eines Machinima-Films versuchen wollen. Im Gegensatz zu vielen anderen Subkulturen im Internet, die sich durch spezielle Co- des und Rituale gegenüber Mainstream-Bewegungen abschotten, sind zahlreiche Mit- glieder der Machinima-Szene daran interessiert, einem größeren Publikum bekannt zu werden und auch kommerzielle Erfolge zu erzielen. Auch sind die Grenzen zwischen Amateuren und Profis fließend.

Szene aus der Machinima-Produktion Hugh Hancock, Strange Company9 Matrix 4x1: Subway

Einige Machinima-Filmemacher, so z. B. Hugh Hancock und die Mitglieder des ILL Clans, gaben unermüdlich Präsentationen und Workshops auf Computerspiel-Konferen- zen und Film- und Neue Medien-Festivals. Mehrere Festivals führten Kategorien und Preise für Machinima-Filme ein.10 Beim seit 2002 jährlich stattfindenden Machinima Film Festival werden die besten Filme preisgekrönt und auf DVD veröffentlicht.

Die Produktion von Machinima-Filmen

Für die Produktion eines „typischen“ Machinima-Films braucht ein Regisseur weder Schauspieler, noch eine Kamera oder ein Filmteam, sondern lediglich einen PC, eine Kopie des Spiels, mit dem er arbeiten möchte, zusätzliche Software für die Filmerstel- lung sowie ein Mikrophon für den Ton. Zunächst muss sich der Filmemacher entscheiden, welche Game Engine er verwen- den möchte. Game Engines unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Funktionen und Mög-

9 Beide Bilder: © Strange Company 10 Preise in der Kategorie „Machinima“ werden u.a. vom Bitfilmfestival Hamburg, vom Echtzeit- filmfestival in Stuttgart und natürlich vom Machinima Film Festival (findet an wechselnden Orten in den USA statt) ausgelobt. M achinima 169 lichkeiten z. B. beim Skripten, ihrer Benutzerfreundlichkeit, ihrer Anforderungen an die Hardware des Users und ihrer Verbreitungsrate voneinander. Anfängern werden die En- gines von Half-Life und Unreal Tournament empfohlen, da beide Spiele einfach zu be- dienende Filmtools mitliefern und es eine riesige Fan-Gemeinschaft gibt, die Modelle, Texturen und Sets entwirft (Hancock 2002). Wie bei anderen Filmproduktionen steht ein wohldurchdachtes Storyboard am An- fang. Dann werden die Charaktere geschaffen, wobei entweder Figuren oder Objekte des Games modifiziert werden, indem man ihre Texturen (Oberflächen) auswechselt, kom- plett neue Charaktere mit Hilfe von 3D-Animationssoftware wie z. B. 3D Studio Max baut oder modelliert, bzw. fertige Objekte und Figuren kauft.11 Parallel dazu wird die Tonspur aufgenommen. Wenn alle Figuren und Objekte fertiggestellt sind, kann gedreht werden. Hier gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten: Die Figuren werden entweder von den Produktionsbe- teiligten per Tastatur und Maus bewegt. Theoretisch kann ein Film von nur einer Person hergestellt werden. Sind es mehrere Spieler, werden mehrere Computer zu einem Netz- werk zusammengeschlossen. Jeder Spieler steuert - wie ein Puppenspieler - mittels um- definierter Tastaturtasten eine Figur. Komplexe Bewegungsabläufe sind über die Tastatur schwierig zu realisieren, daher sind die Filmemacher gut damit beraten, durch minimalis- tische Bewegungen Lebendigkeit und Mobilität in der Szene zu suggerieren bzw. wirk- lich nur die Körperteile zu animieren, die in der Einstellung tatsächlich sichtbar sind. Der leistungsstärkste Computer fungiert als Server und die Person, die ihn bedient, als Regisseur und Kameramann, indem sie z.B. die Kameraperspektive steuert. Es ist aller- dings nicht zwingend notwendig, dass alle Beteiligten zur gleichen Zeit im gleichen Raum anwesend sind. Manche Produktionsteams, wie z. B. die Macher der StarWars- Parodie A Great Majestic Empire (kurz AGaME), kennen sich lediglich aus Online- Spielgemeinschaften, erledigen ihre Aufgaben unabhängig voneinander und kommuni- zieren nur per Telefon und Email. Die Alternative zu manuell gelenkten Figuren besteht darin, die Figuren über Skripte zu steuern, die per Playback abgespielt werden. Als ein großer Vorteil und Definitionsmerkmal von Machinima im Unterschied zu herkömmlichen 3D-Animationen gilt - wie schon oben erwähnt - die Produktion in Echtzeit. Anders als bei CGI-Animationen, bei denen die Filme je nach zur Verfügung stehenden Hardware-Kapazitäten tage- oder auch wochenlang gerendered werden, ist bei Machinima das Ergebnis sofort sichtbar, deutlich spontaner und für die Filmemacher stärker kontrollierbar. Fehler oder unbefriedigende Ergebnisse können sofort korrigiert werden. Mit der Produktion in Echtzeit wird die traditionelle technische Definition von Ani- mation, die auf dem Prinzip der Einzelbildschaltung basiert und die bislang alle noch so unterschiedlichen Animationstechniken vereinte, obsolet, denn bei der 3D-Animation gibt es auf der Produktionsseite keine voneinander isolierbaren Einzelbilder mehr, son- dern nur noch Objekte und Steuerungsbefehle. Machinima-Filme können je nach den graphischen Möglichkeiten der verwendeten Game-Engine dreidimensionalen Raum überzeugend darstellen. Der gern bemühte Ver- gleich mit den CGI-Blockbustern erscheint gegenwärtig doch noch sehr überhöht, denn

11 Dafür gibt es verschiedene Anbieter im World Wide Web, z. B. Turbo Squid. 170 Karin Wehn

Machinima-Filme können bislang nicht an den Realismus heranreichen, den CGI mitt- lerweile produzieren kann. Der visuelle Stil ist eher cartoonhaft, den Figuren wie auch Szenerien ist ihr grobpolygoner12 Charakter meist deutlich anzusehen. Gesichtszüge sind häufig nur sehr reduziert und Bewegungen der Figuren - nicht zuletzt auch aufgrund der Live-Produktion - grob und holprig. Unendliche Tiefenschärfe des gesamten Filmraums ist die Regel, nicht die Ausnahme (McDonald 1999). Der Wechsel zwischen Schärfe und Unschärfe, der in der konventionellen Filmsprache ein effektives Mittel ist, Personen oder Objekte zu akzentuieren, steht bei Machinima also nicht zur Verfügung. Die frei wählbare Kameraperspektive, die keinen Platz am virtuellen Set benötigt und so niemals im Weg ist, ermöglicht ungewöhnliche Kameraperspektiven oder - bewegungen wie z. B. den Korkenzieher-Shot. Sorgfältig eingesetzte Kamerabewegun- gen sind eine Möglichkeit, von nur minimal animierten Charakteren abzulenken. Manche Machinima-Filmemacher übertreiben es allerdings mit der Kamerafreiheit und lassen die Kamera unmotiviert im Raum herumfahren (z. B. bei Anachronox).

Arcoxia Ozymandias^ Um spieltypische Eigenarten unsichtbar zu machen, arbeiten Machinima-Artisten mit verschiedenen Tricks: Durch Verwenden hoher Auflösungen, Abschneiden der Ränder oder Einfügen transparenter Grafiken in die Engine können vom Spiel vorgegebene Sta- tusanzeigen vermieden werden (Gogolin/Dittbrenner 2002). Fertig gestellte Machinima-Filme werden vor allem über das Internet verbreitet. Um sie ansehen zu können, braucht normalerweise nicht nur der Produzent, sondern auch ein Zuschauer das Spiel, in dem der Film hergestellt wurde, und benutzt dieses quasi als Player. Während mit gängigen Codecs (Real Media, Windows Media) komprimierte Videofilme je nach Komprimierungsgrad im negativen Extremfall nur in Briefmarken- größe mit verwischten und ruckeligen Bildern abspielen, kann der Film bei Benutzung eines Spiels als Player im Vollbildmodus abgespielt werden. Außerdem ist es zumindest theoretisch möglich, interaktive Elemente - wie z. B. freie Kamerasteuerung durch den User - in Machinima-Filme einzubetten.

12 Polygone sind die Dreiecke, mit denen die netzartigen Modelle für 3D-Animationen gebaut werden. Je nach gewünschtem Detail eines Modells müssen mehr oder weniger Polygone für ein Modell erstellt werden. 13 Beide Bilder: © Strange Company. Machinima 171

Um jedoch die Zuschauerschaft nicht nur auf Spielbesitzer zu beschränken, spielen die meisten Filmemacher jedoch die Filme (auch) auf Video aus und komprimieren sie an- schließend. Das hat auch den Vorteil, dass die Filme mit Videoschnittsoftware wie Ado- be Premiere nachbearbeitet werden können und kompakter in nur einer Datei zusammen- gefasst sind. Damit sind die Filmdateien - je nach gewünschter Auflösung - allerdings deutlich größer und das Filmbild kleiner. So ist etwa der knapp 56minütige Speedrun Half-Life Done Quick als Demo-Datei, die das Spiel Half-Life als Player benötigt, 55 MB groß. Komprimiert mit einer Auflösung von 320x240 Pixel umfasst die Datei 196 MB, in hoher Auflösung mit 800x600 Pixel sogar 650 MB, d.h. sie ist nahezu zehn mal größer als die Demo-Datei. Wie alle 3D-Animationen spielen Machinima-Filme in einer virtuellen, dreidimensio- nalen Umgebung. Das Besondere ist, dass die Szenen von der Game Engine in Echtzeit berechnet (gerendert) werden. Abgesehen von diesem kleinsten gemeinsamen Nenner existieren in der Szene verschiedene konkurrierende Definitionen und Abgrenzungsver- suche für Machinima, die lebhaft in den Foren diskutiert werden. Einige Filmemacher plädieren für einen weiteren Begriff und subsumieren unter Ma- chinima auch noch die Cinematics oder , die narrativen, nicht-interaktiven Zwischensequenzen in Computerspielen, sofern sie mit der 3D Engine des Spiels produ- ziert werden, geskriptete Sequenzen, programmierte Animationen wie Demos14 sowie auch die Echtzeit-Vorschau von Grafik-Programmen. Wieder andere schränken Machi- nima ein, indem sie neben der Echtzeitberechnung den Aspekt der Live-Produktion beto- nen - nach dieser Definition wären Cinematics kein Machinima (Hermann 2003). Diese Tendenz der Machinima-Bewegung, bereits wesentlich länger etablierte Tech- niken wie z. B. Demos unter dem Dach von Machinima zu vereinnahmen, könnte auch eine Strategie der Autopromotion sein, um den eigenen Gegenstand als bedeutungsvoller und größer erscheinen zu lassen. Mit den gerade skizzierten Merkmalen ist Machinima ein schwammiges Konglomerat aus so unterschiedlichen Künsten und Handwerken wie Realfilm, Animation, Puppenthe- ater, Improvisation, Spielentwicklung und Programmierung in - je nach Film - unter- schiedlichen Anteilen. Machinima teilt mit Realfilm die Aufzeichnung in Echtzeit; mit Animation ähnliche Produktionsschritte wie bei CGI; mit Puppentheater, dass die Figu- ren von Spielern quasi wie mit Strippen (fern-)gesteuert werden; mit Improvisation, dass einige Machinima-Künstler ihre Filme live und unter Einbezug des Publikums produzie- ren; mit Programmierung, dass manche Machinima-Filmemacher eigene Engines entwi-

14 Demos sind programmierte, handcodierte Programme, in denen Grafik und Musik in Echtzeit berechnet werden (nicht zu verwechseln mit den oben angesprochenen Demo-Dateien!). Es gibt sie seit Mitte der 80er Jahre zunächst für den C64, dann den Amiga, den Atari, seit ca. 1990 auch für den PC. Diese bislang allerhöchstens szenenintem veröffentlichten Demos wer- den von jugendlichen Computerfreaks gemacht, die sich als Ziel setzen, die Grenzen ihrer Hardware auszureizen, indem sie durch manuelle Programmierung und Manipulation der Soft- ware spektakuläre und für den damaligen Stand der Technik anscheinend unmögliche Animati- onseffekte darstellen. Technisch verbindet Demos und Machinima der Aspekt der Echtzeitani- mation, die erst auf dem Bildschirm des User errechnet wird. Tendenziell erzählen Demos aber eher keine Geschichten, sondern setzen auf abstrakte Effekte. 172 Karin Wehn ekeln und dass es Filmemacher gibt, die die Bewegungen ihrer Figuren durch Skripte steuern.

Von Sci-Fi-Parodien zu poetischen Auseinandersetzungen

Neben konventionellem Machinima haben sich schon fast so viele Stile herausgebildet, wie es Akteure in der Szene gibt. Wie bei allen Amateurfilmszenen liegt ein deutlicher Akzent auf Parodien, insbesondere werden aktuelle und klassische Science-Fiction Stoffe persifliert. So gibt es mit Matrix 4x1 einige an The Matrix angelehnte Szenen, die Trinity und Agent Smith in typischen Aktionen zeigen. Die bereits 20 Episoden umfassende Serie A Great and Majestic Empire (kurz AgaME) baut auf der Star Wars-Saga auf. Machinima-Novizen tendieren vermutlich erst einmal dazu, viel vom Spiel zu überneh- men und wagen sich erst später an vom Spiel losgelöste Sujets und Ästhetik. Das zeigt ein Überblick über das Schaffen der New Yorker Gruppe ILL Clan, eine der kreativsten Machinima-Gruppen. Die Gruppe etablierte in ihrem Machinima-Erstling Apartment Huntin’ die beiden Holzfäller Larry und Lenny Lumberjack als Protagonisten, die in allen Filmen der Gruppe Vorkommen. Die Slapstick-Komödie schickte Larry und Lenny auf Apartmentsuche in New York. Für den Film bediente sich der ILL Clan bei den Stan- dard-Modellen, die Quake 1 zur Verfügung stellt, und veränderte zunächst nur die Skins (Oberflächen) der Figuren. Anscheinend sorgten die - für Quake-Fans sofort wiederer- kennbaren - Charaktere für Lachanfälle bei Quake-Spielern. Der Film lief als einziger Machinima-Film auf Hotwired’s renommierten Animationsportal „Animation Express“ und machte die Gruppe sofort bekannt.

Lany & Lenny Lumberjack in Hardly Workin ‘Carl, der Koch in Common Sense Cooking^

Damit ließ es der ILL Clan jedoch nicht bewenden. Im Folgefilm Hardly Workin’ waren die beiden Holzfäller kaum wiederzuerkennen, da dieses Mal das Team komplett eigene Modelle im Cartoon-Stil entworfen hatte. Hungrig und ohne Geld heuern die beiden als Küchenhilfen in einem Restaurant an, beim Vollblutitaliener Carl, dem Koch. Wer sich jetzt gerade fragt, warum ausgerechnet Holzfäller und Köche als Protagonisten Vorkom- men? Der Editor von Quake - wie auch die Editoren anderer Spiele - erlaubt es nicht, die Charaktere ohne Waffen herumlaufen zu lassen. Die Figuren mit Beilen und einem Kü-

15 Beide Bilder: © ILL Clan. Machinima 173 chenmesser auszustatten, sind kreative Möglichkeiten, die spielbedingten Restriktionen zu umgehen. Mit Sprachwitz gespickte und mit Dialekten spielende Dialoge lenken von fehlender Lippensynchronität und den ungelenken Bewegungen der Figuren ab, wenige, effektiv eingesetzte Bewegungen der Augen und Lippen lassen die Bilder lebendiger aussehen. Bei seinen jüngeren Produktionen betrat der ILL Clan erneut Neuland und begründete ein interessantes Subgenre von Machinima: Live-. Bei dieser Form, die kon- sequent die Vorteile der Echtzeitanimation von Machinima nutzt, kommt den fünf passi- onierten Computerspielern ihre langjährige Erfahrung in der Film- und Animationsbran- che und als Straßen-Performance-Künstler zugute. Für das Florida Film Festival 2003 produzierten sie ihren dritten Film Common Sense Cooking unter Einbezug der anwesenden Festival-Zuschauer live. Jedes der Mitglieder auf der Bühne steuerte und sprach eine Figur und jonglierte gleichzeitig mit einer Reihe an austauschbaren Gesichtszügen und Lippenbewegungen. Die Handlung - Larry, Lenny und Carl backen Plätzchen - war vorgegeben und in ihren Eckpunkten festgelegt, erlaub- te aber an mehreren Stellen spontane Wünsche und Entscheidungen des anwesenden Saal-Publikums. So suggerierte der Film einen hohen Grad an Interaktivität trotz de facto stark eingeschränkter Partizipation der Zuschauer. Selbstironisch wird auf den Produkti- onsprozess verwiesen, als Lenny versucht, Carls typische italienische Handbewegungen zu imitieren, dann aber zugeben muss, dass er diese Animation noch nicht programmiert hat. Für das Machinima Film Festival in New York 2003 wiederholte der ILL Clan das Experiment und ließ in On the Campaign Trail Larry und Lenny Lumberjack als live zugeschaltete Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaft in einer Polittalkshow antreten. Die hintergründige Parodie auf Talkshows stellte eine noch größere Herausfor- derung als der Vorgänger dar, da der ILL Clan bei der Frage- und Antwort-Session auf weitaus offenere und unerwartete Fragen des Publikums vorbereitet sein musste als beim Vorgänger. Das Team bereitete sich wie echte Präsidentschaftskandidaten vor, und ent- warf sogar eine Kampagne für seine beiden Kandidaten, um den Fragen des Publikums nach ihrer Sicht auf das US-amerikanische Schulwesen, Arbeitslosigkeit, den Irak-Krieg und auf Drogen gewachsen zu sein. Passend zum aktuell stattfindenden Wahlkampf in den USA ging das Projekt in Serie. Die mittlerweile aus 35 Episoden bestehende Serie Red vs. Blue: The Bloodgulch Chronicles ist wohl das bekannteste Machinima-Projekt, das von der texanischen Gruppe Rooster Teeth Productions mittels der Halo-Engine für die Microsoft Xbox entwickelt wurde. Anders als bei der Machinima-Produktion mit einem PC-Spiel kann bei einem Konsolenspiel nichts in das Spiel hinein geladen werden, Figuren und Hintergründe sind also direkt dem Spiel entlehnt. Red vs. Blue persifliert alle Facetten des erfolgreichen Meisterns von Ego-Shootern. Zwei Soldaten-Teams, bestehend aus je vier Personen, halten an einem einsamen, gott- verlassenen Stützpunkt in einem von Felswänden ringsherum umschlossenen Canyon ihren Posten. Ihre einzige Tätigkeit besteht darin, sich gegenseitig den ganzen Tag zu observieren und Schlüsse aus dem Nichtstun der gegnerischen Seite zu ziehen. Jedes der beiden Teams erhält seine Daseinsberechtigung allein aus der Anwesenheit des anderen Teams. 174 Karin Wehn

Trotz identischer protziger Ausrüstungen und schwerer Schutzschilde sind die schwer bewaffneten Soldaten denkbar ungeeignet für ihren Job: Mit ihren Waffen treffen sie stets daneben, ihre Fahrzeuge können sie nicht fahren, die Bedeutung ihrer Symbole, wie z. B. die Flagge, ist ihnen unbekannt, denn diese wird bei erstbester Gelegenheit kampf- los dem Gegner übergeben.16 Trotz eines überschaubaren Geländes haben die Soldaten keinen Orientierungssinn und erst recht nicht mal einen Funken gesunden Menschenvers- tands. Ihre Gesichtszüge sind hinter den Visieren nicht auszumachen, die ca. acht Figuren unterscheiden sich nur durch leicht unterschiedlich nuancierte Farben, auch ihre durch die Schutzschilde verzerrte Sprache ist schlecht verständlich. Die High-Tech-Geräte der Soldaten (z. B. der Teleporter) haben mehr Persönlichkeit als diese selbst, funktionieren aber nie wie erwartet, so erinnert z. B. das Maschinenge- wehr in Aktion an einen harmlosen Wassersprenger. Das Fadenkreuz der Waffe ist im- mer im Bildmittelpunkt erkennbar. In der ersten Folge wirft Sarge die Frage auf: „Everyone wondered why whe are he- re?“ Während sein Kompagnon Grif ihn missversteht und eine philosophische Diskussion über Gott und kosmische Zufälle beginnt, meint Sarge die Frage wörtlich. Diese Szene zeigt, dass selbst das einzige, was die gelangweilten Antihelden den ganzen Tag über tun, sie nicht beherrschen - Kommunikation. Die Handlung der Serie wird nicht durch Kämp- fe, sondern durch Missverständnisse und falsch verstandene Doppeldeutigkeiten vorange- trieben. Die aufgrund ihres anarchistischen Humors und ihrer limitierten trashigen Ästhetik mit South Park verglichene Serie Red vs. Blue lebt davon, dass alle typischen Verhal- tensweisen zum erfolgreichen Meistern von Ego-Shootern ad absurdum geführt werden. Auf einer abstrakteren Ebene ist sie durchaus als eine Kritik allgemeiner gesellschaftli- cher Problembereiche wie Überbürokratisierung und fehlerhafte Kommunikation zwi- schen unterschiedlichen Hierarchieebenen zu verstehen. Damit ist der Humor vermutlich vor allem für Leute, die Ego-Shooter spielen, verständlich. Mittlerweile in der zweiten Staffel, wird ca. wöchentlich eine neue Episode produ- ziert. Wer bereit ist, das Red vs. Blue-Team mit US $10 oder US $20 zu sponsern, be- kommt als Belohnung neue Episoden zwei Tage früher und in höherer Auflösung zum Download angeboten. Die erste Staffel der Serie sowie einige Bonus-Elemente sind auf DVD erschienen. Der Kultstatus von Red vs. Blue lässt sich auch daran ablesen, dass die Serie selbst schon wieder Gegenstand von Fan Art geworden ist. Einige Fans produzier- ten Wallpapers, Cartoonfiguren, Icons und andere an die Serie angelehnte Fankunstexpo- nate sind auf der Red vs. 5/w^-Website ausgestellt. Die Serie entsteht im engen Kontakt zwischen dem Red vs. Blue-Team und den Fans der Serie. Der „Hey-Everybody Threat“ im Forum, dafür gedacht, dass neue User im Forum sich kurz vorstellen, listet immerhin 12.296 Mitglieder (21.06.04). Die Fans be- gleiten engagiert und enthusiastisch den Fortgang der Serie in den Foren, und diskutieren lebhaft darüber, welche Charaktere tot sind und welche nicht. Standhaft hält sich das Gerücht, dass eine gestorbene Figur, die in einigen Folgen als Geist auftritt, in jeder Fol- ge ihren Auftritt hat.

16 „Capture the flag“ ist ein typischer Level bei Ego-Shootern wie z. B. Quake 2 und Unreal Tournament, in dem es darum geht, dem Gegner die Flagge abzunehmen, der zahlreiche Mods hervorgebracht hat. Machinima 175

Anderen Machinima-Produktionen ist hingegen ihr Ursprung in Ego-Shootern nicht mehr anzusehen. Zum Song der britischen Band In the Waiting Line von Zero 7 entstand unter Regie von Tony Pallotta, einem der Produzenten des philosophischen Animationsfilms Waking Life, in Zusammenarbeit mit Fountainhead Entertainment 2003 ein atmosphäri- sches Musikvideo über den routinierten Tagesablauf und Nervenzusammenbruch eines einsamen Roboters in einem Gewächshaus. In kräftigen Farben und poetisch- einprägsamen Bildern wurde der melancholische Liedtext in Szene gesetzt. Das Video rotierte auch bei MTV. Der Kurzfilm Anna, eine weitere Fountainhead Entertainment Produktion, inspiriert von einer Legende, schildert mit effektvoll eingesetztem Licht, Schatten und Nebel den Lebenszyklus einer Pflanze in einem Wald. Die meisten Machinima-Filmemacher betonen, dass sie Game Engines verwenden, um Geschichten zu erzählen. Dennoch sind aber die Grenzen zwischen Machinima und anderen digitalen Kunstformen fließend und nicht immer eindeutig zu ziehen. So gibt es bei einigen Machinima-Projekten enge Verwandtschaften zur Demo-Szene, obwohl es historisch eher wenige Verbindungen gibt. So enthält z. B. Fake Science von Buddy und Keglenec eine diagonale Fahrt an Gebäu- den entlang, die von ihrer visuellen Ästhetik deutlich an das demotypische Stilmittel der Tunnelfahrt erinnert. Wie bei Demos gibt es einen computergenerierten Soundtrack und Grüße. Die Machinima-Produktion ist aber nur dem äußeren Schein nach eine Demo, da sie nicht „von Hand“, sondern mittels der Half-Life-Engine unter Zuhilfenahme der Spi­ rit- of -Half-Life Mod produziert wurde, was man - wenn man Half-Life kennt - den Far- ben und der Architektur im Film auch noch ansieht. Auch der australische Drehbuchautor Peter Rasmussen verwendete, wie bei Demos üblich, synthetischen Ton und programmierte sogar komplett seine eigene Engine für seine Filme Rendezvous und die Serie Killer Robot, was man als ein Demo interpretieren könnte. Je nach Sichtweise beinhaltet Machinima nicht nur Kurzfilme engagierter Amateure, sondern auch die Cut-Scenes oder Cinematics in neueren 3D-Spielen. Spiel-Produzent und Regisseur Jake Hughes kam auf die Idee, ein vom ihm (ko-)produziertes Spiel zu adaptieren, indem er alle von der Engine gerenderten Cut-Scenes des Spiels chronolo- gisch aneinanderzureihte, um seiner Familie und Freundin die „Filme“ zu zeigen, an denen er so lange gearbeitet hatte. Resultat dieser ebenfalls preisgekrönten Zweitverwer- tung ist der 2 Vi stündige Spielfilm Anachronox über einen abgehalfterten Privatdetektiv in einer futuristischen Welt, der in Magie, Kriminalität und das Ende der Welt verwickelt wird.

Und nun? Verschmelzen der Dispositive

Was Machinima so charmant macht, ist die innovative Umkehrung oder Zerdehnung des herrschenden Dispositivs. „Hip“ und anarchistisch zeigt uns Machinima, dass die so hartnäckig bestehenden Vorurteile gegenüber der ausschließlich gefährlichen Wirkung von Ego-Shootern zumindest teilweise revidiert werden müssen. Es ist allenfalls bedingt sinnvoll, von einem passiven User auszugehen, der durch überhöhten und suchtartigen Spielkonsum zu einem emotional abgestumpften Spiel-Junkie mit Tunnelblick mutiert. Machinima macht deutlich, dass Computerspieluser entgegen industriell und feuilletonis- 176 Karin Wehn tisch kolportierter Nutzungsrahmen und Gratifikationen zu einem emanzipierten Umgang mit Computerspielen fähig sind. Aktiv und unbefangen verknüpfen sie Vorhandenes kreativ zu neuem, bürsten es gegen den Strich und hinterfragen so im wahrsten Sinne des Wortes postmodern tradierte und vorausgesetzte Nutzungsarten eines Mediums. Damit lassen Machinima-Macher ihre Kritiker ganz schön alt aussehen. Mit dieser Unterwanderung positioniert sich die Machinima-Bewegung zwischen mehreren etablierten Dispositiven (Kino, TV, Computerspiele) und stellt zwar keines- wegs die ersten Verbindungen, aber doch ganz neue Relationen zwischen beiden her. Auch kratzen Machinima-Produzenten an der bislang mangels entsprechender Hardware und kostspieliger Software vorhandenen Eintrittsbarriere für Amateure in den professio- nellen 3D-Bereich. Es ist zu vermuten, dass so zahlreichen Amateuren der Eintritt als „Player“ in eine andere Welt gelingt, die ihnen bislang aus technischen und finanziellen Gründen verschlossen blieb. Dabei kommt Machinima sicherlich auch der Umstand zu- gute, dass sich, anders als im 2D-Animationsbereich mit Flash von Macromedia, für das Web bislang kein 3D-Standard durchsetzen konnte. Der Erfolg scheint den Machinima-Machern recht zu geben: Ihre umtriebigen Bemühun- gen, auf möglichst vielen Plattformen vertreten zu sein, treiben Blüten und tragen Früchte in ganz unterschiedlichen Bereichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen: So wurde der Kurzfilm Ozymandias von Strange Company, eine Visualisierung eines Gedichts von Percy Bysshe Shelley, bei der Veröffentlichung von Windows 2000 vorgeführt. Darüber hinaus widmeten sich verschiedene etablierte Kunstinstitutionen wie z. B. das Museum of the Moving Image, New York und das ZKM in Karlsruhe mit Screenings und Ausstellungen dem hippen Trend. Das Internet Archive, das es sich zur Aufgabe macht, die Geschichte des Internets zu bewahren, sammelt und archiviert in Zusammen- arbeit mit der Stanford University in der Digital Library Speedruns und Machinima- Filme. Auch von den verschiedenen Festivals, die Machinima-Preise ausloben, geht vermut- lich eine katalysatorische Wirkung auf die Produktion weiterer Filme mit künstlerischem Anspruch aus. Zunehmend erobert Machinima auch das Fernsehen: Neben den bereits erwähnten Musikvideos wurden die ersten TV-Serien mit Machinima produziert (z. B. die kanadi- sche Kinderserie Zixx Level One), weitere Serien sind in Arbeit (z. B. die schottische Serie Rogue Farm) Es gibt zudem verschiedene Hinweise darauf, dass Machinima auch produktionsprak- tisch eine interessante Bereicherung ist. Anscheinend bedienen sich Top-Hollywood- Regisseure wie Stephen Spielberg, Georg Lucas und James Cameron der Machinima- Technologie, um die Kamerabewegungen und das Lichtdesign ihrer Spielfilme zu planen. Machinima wird hier als dreidimensionales, bewegtes Storyboard benutzt. Ähnliche Anwendungen sind sicherlich auch für Business- und Architektur-Präsentationen denk- bar. Ein von der Spieleindustrie ausgehender Impetus könnte auch darin bestehen, dass zunehmend mehr neue Spiele das „Filmische“ betonen. Epic Games, der Hersteller von Unreal Tournament, veranstaltete 2003 einen Filmwettbewerb im Internet und kürte dort die besten Filme, die mittels des in Unreal Tournament integrierten Moviemaking-Tools Matinee hergestellt worden waren. Machinima 177

Auch neue Versionen etablierter Spiele messen der für die Machinima-Produktion so wichtigen Aufnahme-Funktion ein großes Gewicht bei. Mit Spannung wird in der Szene auch Valves Half-Life 2 erwartet (Erscheinungsdatum geplant für Herbst 2004). Schon die Originalversion von Half-Life von 1998, das mit ßwa&e-Technologie von produziert worden war, gilt als ideale „Einstiegsdroge“ in der Machinima-Szene. Von Beginn an unterstützte Valve Mod-Autoren, indem das Unternehmen nach und nach Tools veröffentlichte, einmal jährlich eine „Half-Life Mod Expo“ veranstaltete und einige Teams unter Vertrag nahm. Für Half-Life 2 entwickelte Valve nun seine eigene Engine „Source“. Previews (A- cardo 2003, Keefer 2003) des Spiels versprechen eine beeindruckende Physik, in der Objekte realistisch gemäß den Gesetzen der Schwerkraft und ihrer Oberflächenbeschaf- fenheit unterschiedlich reagieren. Trifft ein Gegenstand auf Metall sprühen Funken, bei Holzoberflächen fliegen Splitter und Späne durch die Luft. Auch der Klang reflektiert auf komplexe Art und Weise den getroffenen Gegenstand. Die Modelle muten weich und biegsam an. Besondere Sorgfalt wurde auf Gesichter und Mimik verwandt: Die Charakte- re haben große ausdrucksvolle Augen, die - mit leicht feuchtem Glanz - Lichteinfall im Raum reflektieren. Eine spezielle Software im Spiel ermöglicht, dass jeder aufgezeichne- te Dialog sofort und automatisch lippensynchron von den Charakteren wiedergegeben wird, was das schauspielerische Potenzial der Spielcharaktere für Machinima-Filme natürlich enorm steigert. Bei Half-Life 2 sollen die Tools nicht wie beim Originalspiel nach und nach veröffentlicht, sondern gleich mit dem Spiel mitgeliefert werden. Zur 3D-Animationsserie Game Over über eine Vorstadt-Familie, die in einer Compu- terspielumgebung voll mit Monstern, Actionhelden und Cartoon-Charakteren lebt, kann ein an die Serie angepasster Ego-Shooter kostenlos vom Spieleportal Fileplanet herunter geladen werden. Dieser Shooter enthält eine Demo-Version des Tools Machinimation von Fountainhead Entertainment, mit dem schon In the Waiting Line und Anna her ge- stellt worden waren. Die einfach zu bedienende Software verbietet zwar die Veränderun- gen der über die TV-Serie copyrightgeschützten Figuren oder Sets, erlaubt aber, dass auch mit anderer Software hergestellte Modelle und Levels in die Spielumgebung impor- tiert werden können. Trotz ihrer Grenzen vermittelt sie so eine grundsätzliche Vorstel- lung einer Machinima-Produktion, die durch ihre intuitive Benutzungsweise und Tutori- als vielen einen Einstieg in die Technik geben und dazu beitragen könnte, dass sowohl der Begriff Machinima als auch die Produktionsweise einen höheren Bekanntheitsgrad erlangen. Peter Moulineux, Star-Game-Designer bei Lionhead Studios, Großbritannien, arbeitet an The Movies, ein Spiel, das Ende dieses Jahres auf den Markt kommen soll. Wie aus diversen Presseerklärungen (vgl. Bishop 2003a und b) deutlich wird, ist bei The Movies die Filmproduktion Spielinhalt und -ziel. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Filmpro- duzenten, der zunächst auf einer Zeitleiste der mehr als einhundert jährigen Filmge- schichte auswählen muss, in welcher Zeit er seinen Film produzieren möchte. Abhängig vom soziokulturellen Klima und dem Stand der Technik der Zeit variieren die Möglich- keiten. In den 20er Jahren gab es aufwändige Kulissen, aber noch keinen Ton. In den 90er Jahren sind Special Effects möglich. Außerdem bestimmt er per Knopfdruck und Regler darüber, welches Genre er bedienen möchte und wieviel Gewalt und Liebe in den Filmen enthalten sind. Ganz wie im echten Produzenten-Leben muss sich der User mit schlecht gelaunten Schauspielern und Finanzen herum ärgern, muss entscheiden, ob er alles selber machen will oder die Arbeit an andere delegiert. Beides hat Vor- und 178 Karin Wehn

Nachteile, das Ergebnis der Spielerentscheidung wird ein anderes sein. Von dem fertigen Film wird automatisch ein Trailer erstellt, der auf eine Website hoch geladen werden kann. Auch hier sollen die besten Filme monatlich prämiert werden. Mit diesen benutzerfreundlichen Tools, die keine Programmierkenntnisse mehr vor- aussetzen, ist eine Flut neuer computergenerierter Amateurproduktionen, die über das World Wide Web verbreitet werden, zu vermuten. Damit geht voraussichtlich einerseits eine größere Stilvielfalt und Popularität von Machinima einher, aber auch eine Über- schwemmung mit banalen Anfängerversuchen, wie sie bereits seit längerer Zeit im 2D- Bereich bei Flash-Animationen zu beobachten ist.

Fazit

Die Kultivierung einer Kunstform im freien Experimentierfeld Internet, eine pulsierende und engagierte Community, Aufmerksamkeit durch Feuilletons und etablierte Institutio- nen im Kunstsektor, unterstützt auch durch aktuelle Entwicklungen in den traditionellen Medien Kino und Fernsehen sowie der Computerspiel-Industrie: Mit diesen ganz unter- schiedlichen kulturellen und ökonomischen „Push“-Faktoren, könnte es Machinima ge- lingen, eines der ältesten Versprechen der Internet-Ökonomie einzulösen: Durch niedrige Produktions- und Distributionskosten Aufmerksamkeit im Internet zu erlangen, ein Fan- Publikum aufzubauen, und Marken zu etablieren und dann wieder auf die lukrativeren alten Medien Kino und Fernsehen auszuweichen, in denen die Geschäftsmodelle eindeu- tiger und die Gewinnspannen erfolgsversprechender sind. Wie in allen neuen Kunstformen und Medien gilt aber auch bei Machinima das Prin- zip, dass, wenn sich Machinima als eine ernstzunehmende Technik behaupten will, auf lange Sicht nicht länger nur mit Effekten und einer anarchistischen Produktionsweise Aufmerksamkeit erzeugt werden kann, sondern gute Geschichten erzählt werden müssen. Und mehr Stoffe zu entwickeln, die nicht länger nur Spiele parodieren, darin liegt die nächste Herausforderung für die Machinima-Filmemacher. Nichtzuletzt weist uns Machinima darauf hin, dass auch die Computerspielforschung gezwungen ist, ihre Kategorien zu überdenken und zu erweitern und z. B. dem transfor- mativen Spielen im Sinne einer kollaborativen Interaktion zwischen Spiel und User bei der Analyse der Spiele stärker Gewicht zu geben. Auch wenn man jetzt nicht zum 100. Mal „Everybody can be a publisher“ beschwören sollte - so erweist sich Machinima als exzellentes Beispiel dafür, dass Spieler sich nicht nur an die Regeln halten, sondern auch mit dem Vorgegebenen herum spielen, so dass durch die Hintertür „Playing“ wieder Einzug in das „Gaming“ erhält. Die Analyse von Games ist daher auch unbedingt um die Aktivitäten der Spieler zu ergänzen, da diese ja - wie man sehen konnte - aktuelle und künftige Nutzung von Spielen enorm beeinflussen.

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Anschrift der Autorin:

Karin Wehn, Universität Leipzig, Burgstr. 21, 04109 Leipzig E-mail: wehn@rz. uni-leipzig. de