„Goldene“ Flaggenbuntbarsche: Anmerkungen zur Pflege und Zucht von

Mesonauta egregius „Orinoko-Delta“ 3. Teil

Roland F. Fischer In dieser Situation, in der die jungen Flaggenbunt- barsche für eine kurze Zeit vor dem Verlöschen der Aquarienbeleuchtung in ihrer Ernährungsweise Verhalten der Jungfische vom „Räuber“ zum „Weidefisch“ wechseln, Die von der Wasseroberfläche abgesaugten Jung- suchen beide Elternfische erneut Kontakt zur Brut. fische werden nun von beiden Elternfischen an eine Sie positionieren sich nun nicht mehr unterhalb der bis knapp unter die Wasseroberfläche reichende Jungfische, sondern nur wenige Zentimeter entfernt Moorkienwurzel verbracht. Dort richten sich die vom ausgewählten „Schlafplatz“ in unmittelbarer jungen Mesonauta wie ehemals als Larven, den Nähe zu der „hyperaktiv“ wimmelnden Schar. Kopf nach oben, am Substrat aus. Sie liegen dabei Diese direkte körperliche Nähe zu den „weiden- der Wurzel so eng an, dass der Eindruck entsteht, den“ Jungfischen bewirkt, dass die Brut ohne die Brut würde mittels larvaler Kopfdrüsen am großen Energieaufwand zwischen senkrechtstehen- Substrat kleben. Während Weidner (1996) noch der Wurzel und Elternfisch wechseln kann. An bei- aktive Kopfdrüsen bei seiner Mesonauta-insignis- den „Substraten“ wird gleichermaßen heftig „ge- Brut feststellen konnte, hat bisher noch keine M.- zerrt“. Dabei unterscheidet die Brut nicht, ob es egregius-Brut in den Aquarien des Autos länger als sich um Aufwuchs an einer Moorkienwurzel oder ein paar Augenblicke diese larvale Körperhaltung die Körperoberfläche eines Elternteils handelt. Das aufrecht erhalten. Im Gegenteil, mit zunehmender „Beweiden“ erfolgt für den außenstehenden Beo- Individuendichte im „Schlafpulk“ nimmt die Un- bachter ungerichtet und zufällig. Zudem wechselt ruhe zu, die Jungfische wandern, immer noch ver- die Brut unregelmäßig zwischen beiden Substraten, tikal ausgerichtet, am Substrat sukzessive nach ohne irgendeine Präferenz gegenüber einer der oben, um schließlich alle wieder in die Horizontale Futterquellen zu zeigen. überzugehen und heftig am Substrat zu „weiden“. Spätestens mit dem Verlöschen der Aquariumbe- Dabei ist festzustellen, dass diese Verhaltensweise leuchtung hat die aufwärtswandernde Mesonauta- auch bei sehr gut genährten Jungfischen auftritt. Familie wieder die Wasseroberfläche erreicht.

DCG-Informationen 37 (12): 285–288 285 Nachts im Mesonauta-Aquarium treffen, bilden sich vier dunkle Flecke (vgl. Ab dem vierten Tag nach dem Freischwimmen Schmettkamp 1979). Der von Glanzschuppen um- wird die Brut von den Elternfischen nach meinen randete Schwanzwurzelfleck wird in dieser Situa- bisherigen Aufzeichnungen nicht mehr aktiv zur tion bereits bei geringem Lichteinfall betont und Nachtruhe gebracht. Zu diesem Zeitpunkt endet erinnert an ein Fischauge (s. Lowe-Mconnell auch das Beweiden der unterschiedlichen Substrate 1969). Werden die Fische in dieser Situation beun- vor dem Verlöschen der Beleuchtung. ruhigt, z.B. durch das ungeschickte Verhalten des Pflegers bei vergeblichen Bemühungen zur Foto- dokumentation, springen die Adulti aus dem Stand über die Wasseroberfläche hinaus, während die Brut nach unten abtaucht und sich zerstreut. Die Elternfische kehren nach einer derartig massiven Fluchtreaktion relativ rasch wieder in die beschrie- bene Ruhestellung zurück, während die Brut nur zögerlich wieder den Körperkontakt sucht. Nach maximal zwei Stunden hat der Großteil der Jungfische die Eltern wieder gefunden. Die Kon- taktaufnahme der Brut nach solchen Störungen wird ihr wohl durch die auffällige Nachtfärbung der Eltern erleichtert. Bringt man nach einer solch heftigen Beunruhigung eine weiße Plastikkarte in die obersten Wasserschichten ein, sammelt sich selbst um diesen leblosen Elternersatz eine ganz erkleckliche Anzahl von Mesonauta-Jungfischen.

Vor dem Verlöschen der Aquarienbeleuchtung herrscht noch einmal Hektik im Jungfischschwarm. Die Brut wird zum Aufwuchsfresser und weidet vorerst nur am „unbelebten“ Substrat, der Moorkienwurzel.

Das „Ritual“ des Absaugens der Brut von der Ober- fläche hat zu diesem Zeitpunkt ein Ende gefunden und die jungen Flaggenbuntbarsche verbleiben dort, wo sie sich offensichtlich am wohlsten fühlen: Unmittelbar unterhalb der Wasseroberfläche. Bewacht werden sie dabei von den Elternfischen, Nachtfärbung eines jungfischbetreuenden Mesonauta- die sich während der kommenden Stunden in egregius-Weibchens. Typisch ist die cremefarbene, sehr unmittelbarem Kontakt zum Jungfischschwarm be- helle Färbung und die Reduzierung der Streifen- finden und die charakteristische Schräglage aus der zeichnung auf vier markante Punkte. Horizontalen annehmen. Dabei zeigen die brut- „Weitspringer“ und Vegetarier führenden Fische während der Nachtstunden eine Bis zu einem Alter von etwa vier Wochen tauchen überaus auffällige Färbung: Der gesamte Körper ist junge M. egregius „Orinoko-Delta“ bei Beunruhi- cremefarben, während der von der Schnauzenspitze gung nach unten ab. Danach springen sie wie die durch das Auge bis in die Rückenflosse führende Eltern über die Wasseroberfläche hinaus, um einer schwarze Längsstrich aufgelöst ist. Lediglich dort potenziellen Bedrohung zu entkommen. Diese für wo sich Längsstrich und vertikale Körperbinden Cichliden überraschende Art der Fluchtreaktion

286 DCG-Informationen 37 (12): 285–288 konnte wiederholt auch in den natürlichen Habita- ten der Flaggenbuntbarsche festgestellt werden (Weidner 1996, Staeck & Schindler 1993). Bemer- kenswert ist, dass die Fische aus dem Stand be- schleunigen und selbst Jungfische mit zwei Zenti- meter Gesamtlänge Distanzen von weit mehr als zehn Zentimeter über Wasser zurücklegen können.

Bei den ersten Bemühungen eine Mesonauta-Brut aufzuziehen, war stets mit dem Einsetzen der „Überwasserflucht“ eine wochenlange Stagnation im Längenwachstum der Jungfische zu verzeichnen. Während einzelne Exemplare durchaus harmo- nisch und stetig abwuchsen, verharrten mindestens 90 Prozent aller Jungfische für mehrere Wochen bei der „Zwei-Zentimeter-Marke“. Erst eine radi- kale Umstellung der vormals rein carnivor ausge- richteten Fütterung zeigte bei den jungen Flaggen- buntbarschen eine erstaunliche Konsequenz. Mit der vornehmlichen Verfütterung von Vegeta- bilien ab der vierten Lebenswoche wurde die Stag-

Unten und rechts: Sobald sich die Eltern in Positur ge- stellt haben, „entdeckt“ die Brut die neue Nahrungs- quelle. Obwohl offensichtlich gut genährt „weiden“ die Jungfische nun an jedem erreichbaren Substrat. Dabei macht die Brut keinen Unterschied, ob es sich um eine Moorkienwurzel oder einen Elternteil handelt.

DCG-Informationen 37 (12): 285–288 287 nation des Längenwachstums aufgehoben bzw. trat Dank bei Folgebruten nicht mehr auf. Wasserlinsen Herrn Prof. Dr. Max Lippitsch, Verwaltung der (Lemna) erwiesen sich zu Beginn der Futterumstel- DCG-Literatursammlung, möchte ich an dieser lung als ideales Grünfutter. Die Heftigkeit mit der Stelle meinen Dank für die umgehende Übersen- diese Schwimmpflanze von den Fischen aufge- dung angefragter Literatur aussprechen. nommen wird, zeigt wie begehrt „Grün“ bei den Jungfischen ist. In Folge können alle grünen Blatt- gemüse, überbrüht oder gefrostet, der Brut angebo- Literatur ten werden. Selbst rohe Apfelscheiben werden von Lowe-McConnell, R. H. (1969): The fishes of Guyana, der Brut als Nahrung akzeptiert und nach Gewöh- South America, with notes on their ecology and breeding beha- nung auch vom Aquarienboden gefressen. Vitale viour. Zool. J. Linn. Soc. 48: 255–302. Aquarienpflanzen aus den Gattungen Echinodorus, Morche, H. (2004): Beobachtungen an Blauen Flaggenbunt- barschen. D. Aqu. u. Terr. Z. (DATZ) 57 (4): 20–21. Cryptocoryne und Crinum werden dagegen, wie Schmettkamp, W. (1979): Beobachtungen zum Brutpflegever- bei den Adulti (s. 1. Teil), nicht gefresssen. halten des Flaggenbuntbarschs HECKEL, Diese Vorliebe für Grünfutter hält bei den Jung- 1840 mit einer Begründung für seine Wiedereingliederung in die fischen bis zum siebten Lebensmonat an. Danach, Gattung Mesonauta GUENTHER, 1862. DCG-Informationen 10 (1): 6–12. wohl als Folge der allmählich eintretenden Ge- Staeck, W. & I. Schindler (1993): Anmerkungen zur Gattung schlechtsreife, zeigen sich die Fische in ihrer Er- Mesonauta GÜNTHER, 1862. DCG-Informationen 24 (3): 57–68. nährung wieder überwiegend carnivor ausgerichtet. Weidner, T. (1996): – Cichliden die nach Trotzdem sollte auf eine gelegentliche Gabe von oben streben. DCG-Informationen 27 (8): 172–179. Grünfutter auch bei erwachsenen Flaggenbunt- barschen nicht verzichtet werden. Die Fische dan- „Orinoko-Delta“ im Alter von ken es mit enormer Vitalität, prächtiger Färbung einem halben Jahr. Ab diesem Zeitpunkt erscheinen die Fische wie mit und fast schon erschreckender Fruchtbarkeit. Gold überhaucht. Diese Färbung erhalten sie nur, Wer sich über Wasserlinsen in seinem Aquarium wenn in den ersten Lebensmonaten ausreichend „ärgert“, sollte es einmal mit Mesonauta versuchen. Grünfutter gereicht wurde und die Pflegetemperatur bei mindestens 27 °C liegt.

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