Spiegelungen auf mehreren Ebenen : Tetro von Francis Ford Coppola
Autor(en): Pekler, Michael
Objekttyp: Article
Zeitschrift: Filmbulletin : Zeitschrift für Film und Kino
Band (Jahr): 52 (2010)
Heft 307
PDF erstellt am: 06.10.2021
Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-862824
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http://www.e-periodica.ch FILMBULLETIN 4.1D KINO IN AUGENHÖHE
Spiegelungen auf mehreren Ebenen tetro von Francis Ford Coppola
In E. T. A. Hoffmanns Schauerroman «Der Sandmann» rung der auf Hofmann beruhenden «Coppélia». Auch tetro gibt es eine Figur namens Coppola. Der italienische erzählt von den Albträumen und Wahnvorstellungen eines Wetterglashändler versetzt dem Protagonisten Nathanael einen Sohnes, auch hier holt die Vergangenheit die Gegenwart ein, gehörigen Schrecken, als dieser glaubt, in ihm einen gräss- wird die Erinnerung zur tonnenschweren Last und arbeitet lichen Mann aus seiner Kindheit wieder zu erkennen: Damals sich das Trauma an die Oberfläche hoch. besuchte ein gewisser Coppelius, ein Alchemist, Nathanaels Doch die literaturhistorischen Verweise auf Hoffmann Vater, um gemeinsam mit ihm Experimente durchzuführen. und das Maschinenmädchen mit den Glasaugen sind nur Für Nathanael und seine Geschwister waren die Besuche des zwei ineinander verwobene Stränge in einem ganzen Netz furchteinflössenden Coppelius wie jene des Sandmanns, der an Referenzen und Metaphern, das Coppolas jüngsten Film anstatt einer Gute-Nacht-Geschichte das Unheil brachte: Der durchzieht. In tetro, so viel sei vorausgeschickt, kann man Vater sollte die Besuche des fremden Alchimisten nicht sich heillos verheddern - oder sich wissentlich einwickeln überleben, und der Sohn fortan von Albträumen geplagt werden. lassen. Denn auch tetro ist eine Aufarbeitung, ein in Auch Francis Ford Coppola erzählt in tetro eine düstere weitgehend Schwarzweiss gefilmter Monolith (als «diamant noir» Familiengeschichte, und die Verbindung zu Hoffmanns betitelten ihn vergangenes Jahr die «Cahiers du cinéma»), der «Sandmann» beschränkt sich nicht nur auf die vom Untergang erzählt und dabei selbst das Risiko eines Namensgleichheit von amerikanischem Regisseur und italienischem solchen nicht scheut. Das beginnt bereits bei seinem Hauptdarsteller: Händler: Immer wieder durchbrechen Bilder aus the tales Vincent Gallo, begnadeter Egomane, spielt einen Mann of hoffmann von Michael Powell und Emeric Pressbur- mittleren Alters namens Angelo, der sich als Schriftsteller in ger den Film, ebenso knallbunte Szenen einer Ballettauffüh¬ Buenos Aires niedergelassen hat und Tetro nennt. Mit einem FILMBULLETIN <4.10 KINO IN AUGENHÖHE
Gipsbein - äusseres Zeichen seiner Versehrtheit - humpelt einsamer Machtmensch wie Fitzgeralds «Great Gatsby», den er durch die Strassen, plaudert im Künstlerviertel La Boca Coppola seinerzeit für die Leinwand adaptierte. Er war es, der freundlich mit den Einheimischen auf Spanisch und arbeitet Tetros Flucht nach Südamerika zum letzten Ausweg werden in einem kleinen Theater als Beleuchter (eine weitere liess; er war es, der dem ältesten Sohn alles nahm, was diesem Verbindung zu Hoffmanns alchemistischem Glashändler und zu nehmen war. «What will you write about?», fragt er Tetro Lichtmacher). Eine Zeitlosigkeit legt sich hier über die vor dessen Rückzug ins Exil. Als ob er es nicht wüsste. Szenerie und zugleich eine Vertrautheit, die man mit südeuropäischen Was Tetro geschrieben hat - das Manuskript hält er seit Städten der Vierzigerjahre verbindet. Buenos Aires Jahren in einem Koffer versteckt -, ist nur für die Erzählung ist für ihn ein sicherer Fluchtort, ausgerechnet jene Stadt, die interessant, aber wie er geschrieben hat, für die Inszenierung: - von Charles Vidors gilda über Martin Donovans apartment Denn die Kritzeleien, für deren Entzifferung ein Spiegel zero bis Wong Kar-wais happy together - für den vonnöten ist, sind buchstäblich nur vordergründige Fremden im Kino nicht von ungefähr oft Geheimnis und Zeichen. Dahinter verbirgt sich eine Geschichte der puren Wut Traum bleibt. und Verzweiflung. Die Spiegelung vollzieht sich dabei auf So bleibt auch Tetros Vergangenheit im Dunkeln, bis mehreren Ebenen, dient Coppola und seinem Kameramann eines Tages ein im schmucken Matrosenanzug steckender Mihai Malaimare als Ausdruck für einen unablässigen Kampf Mann auftaucht, der ihn bewundert - sein jüngerer Bruder der Kräfte: Die Farbe als Mittel des Exzesses steht einem Bennie. Doch dieser betrachtet Tetro auch als grossen Rivalen kontrastreichen Schwarzweiss gegenüber (gedreht ist der Film, - sozusagen eine Variante auf den Bruderzwist in Coppolas wie auch Michael Hanekes monochromes Epos das weisse rumble fish -, und Stück für Stück enthüllt sich nun band, in Digital); Carlo Tetrocini, den Brandauer mit der ihm in Form von Rückblenden eine Familienchronik der schrecklichen eigenen Exaltiertheit spielt, findet sein Spiegelbild in Ereignisse. Diese Erinnerungsfetzen taucht Coppola seinem Bruder, den er gnadenlos vom Dirigentenpult verdrängt - und das ist nur einer von zahlreichen Coups in diesem (ebenfalls gespielt von Brandauer in einer Doppelrolle). Und Film - in satte Farben, die sich gegenüber dem monochromen nicht zuletzt endet auch die Rivalität zwischen Tetro und argentinischen Alltag wie irreale Bruchstücke verhalten. Bennie auf einer Bühne: Am Ende führt die beiden ihr Weg Und wer sich aus dieser Vergangenheit als überdimensionale zu einem Theaterfestival nach Patagonien, vorbei an riesigen Vaterfigur herausschält, ist Klaus Maria Brandauer als Carlo Tetrocini, weltberühmter New Yorker Dirigent und ein FILMBULLETIN 4.10
Gletschern, die das Sonnenlicht reflektieren. Hier endlich Eben das ist auch eine der grössten Qualitäten von schliesst sich dann der Bogen zum ersten metaphorischen tetro: Coppola, nach wie vor einer der bedeutenden Bild dieses Films, in dem das Licht eines Scheinwerfers postklassischen Visionäre, kann sich gar nicht auf reines magisch die Motten anzieht. Referenzkino beschränken, sondern muss - nicht zuletzt als sein In den vergangenen zehn Jahren hat Francis Ford eigener Autor - selbst etwas neues "Grosses" schaffen. In Coppola mit youth without youth einen einzigen Film diesem eigenen Drang zur Grösse ist er natürlich nahe dran, inszeniert, mit bescheidensten Mitteln und von der Kritik alle Rahmen zu sprengen: den der Erzählung, der Bildgestaltung, mehrheitlich gescholten. Viele sahen sich darin bestätigt, des Tons und der Montage, für die einmal mehr Walter dass der Regisseur von the godfather und apocalypse Murch verantwortlich zeichnet. Dirigent des Films bleibt aber now endgültig «seine Kreativität verloren» hätte, wie etwa Coppola selbst. der Filmpublizist Robert Kolker in seinem Standardwerk «A «Nichts in dieser Geschichte hat sich zugetragen», Cinema of Loneliness» behauptete - und in der zweiten Auflage meint Coppola über tetro, «aber alles ist wahr.» Sein eigener seines Klassikers über den amerikanischen Autorenfilm Vater, ein Dirigent und Filmkomponist, wurde, wie Coppola durch Steven Spielberg ersetzte. Man kann es aber Coppola einmal bemerkte, in seiner Kindheit in die Abendgebete auch anders sehen, nämlich dass Coppola im Gegensatz zu der Familie eingeschlossen. Als in E. T. A. Hoffmanns seinen früheren Weggefährten des New Hollywood eher zu «Der Sandmann» Coppelius dem jungen Nathanael die kompromisslos auftrat: Den grossen Umwälzungen der Augen ausstechen will, weil dieser ihn beobachtet hat, bittet Kinoindustrie hielt er seine eigene Produktionsfirma «American der Vater für den Sohn und ruft: «Meister, lass ihm die Zoetrope» entgegen; noch bei Auftragsarbeiten wie peggy Augen!» sue married Mitte der Achtzigerjahre legte er Wert got Michael Pekler auf möglichst grosse Autonomie; und nicht zuletzt schien es, als wären in den Neunzigern die Wesenszüge der fiktionalen Charaktere des Autors und Produzenten Coppola endgültig Regie, Buch: Francis Ford Coppola; Kamera: Mihai Malaimare Jr.; Schnitt: Walter Murch; Ausstattung: Sebastian Orgambide; Kostüme: Cecilia Monti; Musik: Osvaldo die aufihren Schöpfer übergegangen: Masslosigkeit in bram Golijov. Darsteller (Rolle): Vincent Gallo (Tetro), Alden Ehrenreich (Bennie), Maribel stoker's dracula oder die Suche nach "wahrer" Grösse in Verdü (Miranda), Klaus Maria Brandauer (Carlo Tetrocini). Produktion: American BIM Distribuzione, Instituto Nacional de Cine Artes Audiovisuales, Torna- Kenneth Branaghs von ihm produziertem shelley's Zoetrope, y mary sol Films, Zoetropa. USA, Italien, Spanien, Argentinien 200g. 127 Min. CH-Verleih: frankenstein trugen ihr Scheitern schon in sich. Frenetic Films, Zürich