MUSIK 38 MUSIK ANALOG AKTUELL 3/2007

Vom Folk zu Sun Ra

Das Werk Tim Buckleys

Im Jahr 1966 taucht auf der New Yorker Folk-Szene ein gerade einmal neunzehn Jahre alter Mann aus Orange County, Kalifornien, auf, der aus seinem vormaligen Wirkungskreis Los Angeles begeisterte Kritiken mitbringt. Über einen Musiker aus Frank Zappas „Mothers of Invention“ gerät er in Kontakt zu dem Musikmanager Herb Cohen, der ein Demo-Band seiner Aufnahmen umgehend an den Chef von Elektra Records schickt. Elektra, damals der Sammelpunkt für die Spitzenkräfte des Folkrock, nimmt den jungen Mann mit dem Namen sofort unter Vertrag, und noch im selben Jahr erscheint seine erste LP. 39 ANALOG AKTUELL 3/2007 MUSIK 39

Nur neun Jahre später, am 19.06.1975, stirbt derselbe Mann amerikanischen Charts, was auf der insgesamt freundlichen, unter nie ganz genau geklärten Umständen an einer Überdosis durchaus ins Ohr gehenden Musik beruhen dürfte. Heroin. Aus seiner ersten Ehe ist ein Sohn hervorgegangen, zu Die Nadel senkt sich über „Easy Feeling“, den ersten Titel der dem er seit der Trennung von seiner Frau keinen Kontakt mehr 1969 erschienen LP „Happy Sad“. Leise ertönt eine Basslinie, hat. Sein Name ist , dessen Leben nach einer kurzen die jedem halbwegs Jazz-Interessierten sofort bekannt vor- und steilen Karriere bei einem Unfall im Jahr 1997 tragisch kommt. Kurze Anspannung des Erinnerungsvermögens bringt endet. An den Namen und die Musik des Sohnes wird sich an den Tag, dass es sich um die Basslinie aus „All Blues“ von mancher Leser womöglich sofort erinnern – aber was macht die der Miles Davis LP „Kind of Blue“ handelt. Dieser Anfang bildet Musik des Vaters heute noch interessant? sozusagen den Programmsatz der Platte, die sich von ihren Die Antwort auf diese Frage ist mit der Überschrift angedeu- beiden Vorgängern deutlich entfernt. Zu hören ist ein Quintett tet. Gemeint ist die einzigartige, auf Platten dokumentierte aus zwölfseitiger Gitarre, Vibraphon, Kontrabass, Congas und Entwicklung eines musikalischen Querkopfs, dessen Schaffen dezent gespielter elektrischer Gitarre (wiederum Lee Under- heute noch Musiker wie „Starsailor“ oder Sigur Ros als maß- wood). Der Sound der Platte hat mit Folk nichts und Pop/Rock geblichen Einfl uss benennen. Ich versuche, mit diesem Artikel ebenso wenig gemein. Der Wechsel (Soundwechsel) gegenüber einen kleinen Einblick in sein Schaffen zu geben, soweit es auf dem Vorgänger ist radikal. Die Musiker klingen eher wie das LP erhältlich ist. Modern Jazz Quartet, das man für einen anderen Musikstil Das Erstlingswerk „Tim Buckley“ wird im Jahr 1966 veröffent- engagiert hat. Buckley hatte sich offenbar intensiv mit Jazz licht. Es ist noch ganz dem Geist der Zeit verhaftet und bettet beschäftigt, und gleich der Beginn der LP macht das überdeut- sich in das Folk-Milieu nahtlos ein. Dazu gehören die Gitarre lich. Dieser Klang hat etwas ständig Fließendes, fast schon des späteren ständigen Begleiters ebenso wie Hypnotisches. So etwas hat man bis dahin noch nie gehört, die Streicher-Arrangements von Jack Nitzsche. Auffällig ist von einer Platte vielleicht abgesehen: „Astral Weeks“ von Van der helle Ton der leidenschaftlichen Stimme, die über ein weit Morrison. Auch dort fi ndet man minimalistische, fein gewobene größeres Potential zu verfügen scheint als hörbar wird. Der Klangteppiche solcher Art vor. Gesamteindruck der Platte ist insofern etwas uneinheitlich, Über diesen Klängen bewegt sich die zu voller Blüte ihrer min- als die Qualitäten des hinter den Ambitionen des destens drei Oktaven entwickelte Stimme Buckleys in Texten, Sängers deutlich zurückbleiben. die mit Folk nichts mehr zu schaffen haben, sondern reine, Das ein Jahr später erschienene Werk „Goodbye And Hello“ allerdings nicht immer verständliche Lyrik transportieren. trägt seinen Titel nicht zu Unrecht. Einerseits fi nden sich dort Alle stammen von Tim Buckley, und nur einer ist kürzer konventionelle Songs wie das Titelstück oder „Hallucinations“, als fünf Minuten lang. Die Aufnahmen, die mit „Love from andererseits fi ndet man durchaus komplexe Kompositionen wie Room 109“ auch eine längere und vielschichtige Komposition etwa „No Man Can Find The War“ oder „Pleasant Street“. Das umfassen, sind absichtlich etwas unterproduziert und mit bleibt sein meistverkauftes. Es erreicht Rang 171 der einer gewissen Weichzeichnung ausgestattet, was die Musik MUSIK 40 MUSIK ANALOG AKTUELL 3/2007

in ihrer Wirkung noch unterstützt. Sie klingen auch nach marketingtechnische Untat – nur einen Monat nach „Happy heutigen Maßstäben gut. Ebenfalls im Jahre 1969 kommt mit Sad“ veröffentlicht wurde. Die Platte hat auch in musikalischer „“ eine LP erstmals auf dem von Hinsicht zwei Seiten. Seite eins begrüßt den Hörer mit zwei und Herb Cohen geleiteten Label Straight heraus. Dort hatte längeren Stücken, die den zuvor begonnenen Weg in Richtung Buckley unterschrieben, nachdem über den Elektra-Chef Holz- Jazz konsequent weiterverfolgen und dabei auch vor herben man Gerüchte kursierten, er werde sein Label verkaufen. Sein Dissonanzen nicht zurückschrecken. Bei dem Titelstück und Vertrauen zu Herb Cohen war wohl der Grund dafür, dass er auf in „Anonymous Proposition“ fühlt man sich bisweilen an Miles dessen Verlangen nach einem eingängigeren Album Rücksicht Davis’ „In A Silent Way“ oder ähnliche frühe Fusion-Musik nahm. Das geschah allerdings in einer Weise, die sich Cohen erinnert. Seite zwei mit ihren kürzeren Stücken klingt sehr viel wohl kaum vorgestellt hatte. Statt einen Schritt zurück in Rich- zugänglicher, bleibt aber in der Verbindung aus Folk-Instru- tung „Goodbye And Hello“ zu machen, schloss er vielmehr dort mentation mit Jazz-Improvisation im selben Gleis. an, wo er mit „Happy Sad“ aufgehört hatte. Das im Jahr darauf veröffentlichte Werk „Starsailor“ darf als Die Musiker sind mit denen des Vorgängers identisch, jedoch sein Opus Magnum angesehen werden. Es markiert einen verstärkt um einen Schlagzeuger. Wer nun vermutet, dies werde Schnitt mit seiner musikalischen Vergangenheit, wie er für für mehr Drive und Temperament sorgen, irrt sich gründlich. einen Sänger radikaler kaum denkbar ist. Es versammelt unter Die (von Buckley selbst und das sehr gut produzierte)Platte anderem den Saxophonisten Bunk Gardner und seinen Bruder nimmt ihren Titel ernst und enthält vorwiegend Balladen. Diese Buzz (Mothers of Invention) an Trompete und Flügelhorn, kommen allerdings in einem Klanggewand daher, das stark ansonsten aber die Musiker des vorherigen Werks. Dennoch an den Vorgänger erinnert. Immerhin stammen zwei Tracks, ist die Sprache der Musik eine ganz andere. Wo es zuvor „Chase The Blues Away“ und das etwas schnellere „Happy zumindest Anklänge an Folk gab, sind diese zu Gunsten einer Time“ noch von den Aufnahmesitzungen für den Vorgänger aus die Grenzen der Tonalität häufi g sprengenden Orientierung an dem Jahr 1968. modernem Jazz völlig aufgegeben. Die Stimme wird nunmehr Gleichwohl klingt die Platte insgesamt anders als „Happy Sad“. rein instrumental geführt, und man glaubt einen Jazz-Bläser Der musikalische Fluss zwischen den Beiträgen der Musiker, seine Chorusse singen zu hören. Dazu wird die Stimme in erneut geführt von der Gitarre Underwoods, dringt noch weiter Sekundenbruchteilen mit frappierender Virtuosität vom tiefen in Richtung Jazz vor, ist intensiv und lässt den Eindruck auf- Bass bis in die höchsten Höhen geführt. Es entstehen Klänge, kommen, als werde Miles Davis mit den Mitteln des Rocksongs die an die Inbrunst eines Pharoah Sanders oder an die „Sheets nahe zu kommen versucht. Die Atmosphäre der Platte ist ins- of Sound“ eines John Coltrane erinnern. gesamt noch dichter, was besonders deutlich in dem Track „The Der Gesamtklang des Ensembles, in dem die Stimme fast aus- River“ hervortritt, der allein mit Akustikgitarre, Vibraphon schließlich noch die Rolle eines improvisierenden Solisten hat und Becken eine fl ießende und leichtfüßige Stimmung erzeugt, (dabei aber stets beim Text bleibt), sorgt für Erscheinungen, die den Kontrast für die wunderbar melancholische Stimme die man bei Sun Ra gehört zu haben meint. Dabei klingt das Buckleys bildet. Ganze durchaus lockerer und inspirierter als der Vorgänger. Innerhalb von vier Wochen fanden die Aufnahmesitzungen Die von Buckley erzeugten Töne klingen mal wie ein wahn- sowohl für „Blue Afternoon“ als für „Lorca“ statt, die – eine sinnig gewordenes Kind, mal wie das Gebrüll eines Raubtiers, 41 ANALOG AKTUELL 3/2007 MUSIK 41

und dazu gesellen sich in frappierender Weise die Bläser über musiker und die weiblichen Background-Sänger auskannten pulsierenden Rhythmen und sonderbaren Harmonien. Am oder gar wohl fühlten. Nur bei dem Titelstück handelt es sich beeindruckendsten gelingt dies im Titelstück, zu dem nun wie- um eine Eigenkomposition. Allerdings ist die Musik, wohl der der Texter der ersten beiden Alben, , die Lyrik Marktüberlegungen folgend, durchaus zugänglich, was auch beisteuerte. Die Platte ist – mit Ausnahme von „ To The für die Texte gilt. Siren“ – das genaue Gegenteil von Easy Listening und dennoch Nach meiner Meinung indiskutabel ist die letzte LP, die Buckley ein bis heute wirkendes Faszinosum. herauszubringen noch vergönnt war, und mir wird ein ewiges Das Werk verprellte erwartungsgemäß seine letzten Anhänger Rätsel bleiben, weshalb ausgerechnet „“ es aus der Folk-Zeit, ohne zugleich in Jazz-Kreisen für hinrei- auf die Meilenstein-Liste des renommierten „Rock-Lexikons“ chende Aufmerksamkeit zu sorgen. Es war eine kommerzielle geschafft hat. Die verbraucht wirkende Musik enthält Anklän- Katastrophe. ge an mexikanische Tijuana-Sounds, und kein Stück kommt Bis zu dem (bei Warner erschienen) Nachfolger „Greetings selbst den schlechteren auf „“ gleich. Die Stimme From L.A.“ dauerte es denn auch zwei Jahre. Erneut schaffte es Buckleys klingt hörbar ausgedünnt, womöglich Folge von Dro- Buckley, sein verbliebenes Publikum zu überraschen: Mit Jazz genproblemen. hat die Platte nichts mehr zu tun, und mit einer Rückbesinnung Dem Neueinsteiger kann für einen ersten Überblick der auch auf Folk auch nicht. Stattdessen servierte er dem Hörer nun klanglich ansprechende Sampler „The Best Of Tim Buckley“ eine Mischung aus Rock und Soul, für die er auf ganz andere empfohlen werden, der bei Rhino erschienen und relativ leicht Musiker zurückgriff (deren Idiom diese Musik leider nicht so zu beschaffen ist. Er deckt die LP’s bis einschließlich „Starsai- ganz zu sein schien). Man wird annehmen dürfen, dass kom- lor“ ab, enthält von dieser ab nur „“ und legt merzielle Zwänge eine Rolle spielten; indes hatte man Buckley dafür den Schwerpunkt auf Titel aus „Blue Afternoon“. bis dahin als Musiker kennen gelernt, der von Platte zu Platte Letztere und „Lorca“ sind als gut klingende Wiederveröffentli- Neues auszuprobieren schien. Hier nun scheint er sein bishe- chungen verfügbar, wobei „Lorca“ (von 4Men with Beards) als riges Tun als erledigt betrachtet zu haben und anderes auspro- schweres 180g-Exemplar mit hervorragender handwerklicher bieren zu wollen. Das gelingt jedoch nicht so bezwingend wie Qualitat glänzt. Im Zeitpunkt des Manuskripts bleibt ansonsten auf den früheren Alben. Die meisterlich geführte Stimme ist nur der Griff zu Gebrauchtware, die vornehmlich aus den USA noch da, nun mit gelegentlichen Anklängen an Van Morrison zu beziehen ist. „Happy Sad“ ist unverzichtbar, und für „Star- oder Mick Jagger. Das Ganze wirkt insgesamt geschmackvoll sailor“ gilt dasselbe, wobei diese Platte nicht ganz einfach zu und durchaus ehrlich, aber nur die Titel „Get On Top“, der Blues fi nden und dann selten für unter 50 Dollar zu erhalten ist. „Hong Kong Bar“ und vor allem „Sweet Surrender“ haben ein- heitlich hohe Qualität. Text: Gerd Krenzel Vom Nachfolger „Sefronia“ (auf Discreet erschienen) lässt Fotos/Abb.: Gerd Krenzel sich die gewohnte Qualität nur dem Titelstück und – mit Abstri- chen – dem die Platte eröffnenden „Dolphins“ (von Fred Neil) zuerkennen. Buckley macht hier weiter mit weißem Funk, und erneut war das nur bedingt die Stilart, in der sich die Studio-