<<

______

2

SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Dienstag, 14.08.2012 „Jeder Satz ein Schatz“ Die Sinfonien von (2)

Zweieinhalb Jahre waren die Mozarts auf Reisen gewesen. Ende November 1766 kehrten sie nach Salzburg zurück. Hinter ihnen lagen Erfolge in Süddeutschland, Brüssel, Holland und vor allem in Paris und London. Die Mozartkinder waren europäische Berühmtheiten geworden, die Familie war zu beträchtlichem Wohlstand gelangt, und mit seinen 10 Jahren bereits hatte Wolfgang Amadeus seine ersten fünf Sinfonien geschrieben. Aber: wie würde der Empfang in Salzburg ausfallen? Die Reise war viel länger geworden als geplant.

Heute werden uns die nächsten sieben Jahre beschäftigen und Mozarts Sinfonien dieser Zeit. Willkommen dazu.

Musik 1: CD I / Track 1 3:25 Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie C-Dur KV 35 zu „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR Ltg.: Sir Neville Marriner PHILIPS, 422 360 2, LC00305

Diese Sinfonia in C-Dur hat Wolfgang Amadeus Mozart für seinen Teil eines Oratorien-Triptychons komponiert: „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“.  Absage

Den Auftrag für dieses Werk hatte Mozart vom Hof bekommen. Gemeinsam mit den Hofmusikern Anton Adlgasser und Michael Haydn sollte er das Stück schreiben. Mozarts Partitur des geistlichen Singspiels umfasst rund 200 Seiten. Dieses erste größere Werk vom 11jährigen Mozart wurde im Rittersaal der Salzburger Residenz aufgeführt und der Junge erhielt eine Goldmedaille als Dank.

3

Es hatte also keine fürsterzbischöfliche Verstimmung gegeben darüber, dass die Mozarts so lange auf Reisen geblieben waren. Im Gegenteil: Man freute sich darüber, dass mit dem Ruhm der Mozarts, allen voran Wolfgang Amadeus, auch Glanz auf Salzburg fiel.

So ganz glauben mochte der Fürst aber doch nicht, dass ein Kind von 10 Jahren alleine komponieren könne, und so ließ er Wolfgang in Klausur eine Probe seines Könnens liefern. Diese „Grabmusik“ zur Passionszeit dürfte dann jeden Zweifel an Mozarts Können ausgeräumt haben. Und zum Empfang des kaiserlichen Gesandten in Salzburg wurde Mozart vorgeführt.

Die ersten Monate nach der Rückkehr von der strapaziösen Reise waren also voll mit Terminen und Gelegenheiten, zu denen Wolfgang neue Stücke komponierte. So entstanden zum Beispiel auch seine ersten Klavierkonzerte. Die fertigte Mozart auf der Basis von Klaviersonaten anderer Komponisten, wie z.B. C. P. E. Bach.

An einem Abend im Mai – so berichtet ein Zeitgenosse - gab Mozart in der Universität „hervorragende Zeugnisse seines Könnens am Cembalo“. Mozart spielte zu einer Promotionsfeier. Für diese Gelegenheit hatte er auch seine lateinische Komödie „ et Hyacinthus“ geschrieben, die mit einer einsätzigen Sinfonia eröffnet wird.

Musik 2: CD III/ Track 2 2:46 Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie D-Dur KV 38, „Entrada zu Apollo et Hyacinthus“ Academy of Ancient Music Ltg.: Christopher Hogwood L’oiseau-lyre, 452 496-2, LC0171

Absage

4

„Apollo et Hyacinthus“ ist eine lateinische Komödie. Um deren Text zu vertonen, musste der 11jährige Mozart also so viel Latein können. Aber woher? Denn eine Schule hat er nie besucht! Seine „Grundschulzeit“ hatte Mozart ja quasi auf Reisen verbracht.

Leopold Mozart kümmerte sich selbst um die Bildung seiner Kinder. Und er plante schon weitere Reisen. Ein Salzburger Pater notierte in seinem Tagebuch: „Man sagt sehr stark, diese Mozartische Familie werde wiederum nicht lang allhier verbleiben, sondern in bälde gar das ganze Scandinavien, und das ganz Russland, und vielleicht gar in das China reisen.“

Leopold hatte aber erstmal nur Wien und Italien auf dem Plan. Und so ging es nach gerade mal 10 Monaten „zu Hause“ wieder mit der Kutsche auf Reisen. Diesmal immerhin mit der eigenen Kutsche und einem Diener. Im Gepäck hatten die Mozarts natürlich auch fertige Stücke – Sinfonien von Vater und Sohn.

Musik 3: CD II/ Track 2 03:00 : Sinfonie in G (Neue Lambacher) II. Andante un poco allegretto Academy of St. Martin-in-the-Fields Ltg.: Sir Neville Marriner PHILIPS, 464 770-2, LC00305

Die Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner mit dem 2. Satz aus einer Mozart-Sinfonie.

Gefunden hat man diese Sinfonie und noch eine weitere in den Musikalien des Klosters Lambach. Stift Lambach liegt zwischen Wien und Salzburg, nicht weit von Linz. Die Mozarts haben auf dem Rückweg aus Wien dort im Januar 1769 Station gemacht. 5

Bei dieser Gelegenheit ließen sie einen Mönch Kopien von zwei Sinfonien machen: Eine von Leopold, eine von Wolfgang Amadeus. Sie wurden in den 1920er Jahren in Lambach wieder gefunden und – entsprechend ihrer sorgfältigen Beschriftung – versuchten Musikhistoriker diese Werke einzuordnen. Und sie kamen dabei ins Schleudern.

Erst die Überlegungen der großen Mozartforscherin Anna Amalie Abert Mitte der 60er Jahre konnten das Rätsel lösen. Offenbar hatte der Mönch beim Abschreiben die Sinfonien vertauscht, also Leopolds Werk dem Sohn zugeschrieben, und umgekehrt.

Was wir eben gehört haben, das war ein Satz aus der sogenannte „Neuen Lambacher Sinfonie“, die man lange in die Chronologie der frühen Sinfonien von Wolfgang Amadeus einordnen wollte. Tatsächlich aber ist sie ein Werk des Vaters.

Die „Alte Lambacher Sinfonie“ ist dagegen wirklich von Wolfgang Amadeus. Geschrieben vielleicht sogar noch in Den Haag, überarbeitet in Salzburg und dann mitgenommen nach Wien.

Hier der zweite Satz. Der Orchesterklang ist hier zum ersten Mal so, wie er später noch häufig in Andante-Sätzen von Mozart erscheinen wird, nämlich zurückgenommen und sanft: Weniger Bläser als in den übrigen Sätzen, Geigen mit Dämpfer und Celli und Kontrabass zupfen nur.

Musik 4: CD II/ Track 6 03:55 Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie in G (Alte Lambacher) KV 45a II. Andante Academy of St. Martin-in-the-Fields Ltg.: Sir Neville Marriner PHILIPS, 464 770-2, LC00305

Absage

6

Die Verwirrung um die beiden „Lambacher Sinfonien“ ist nur ein Fall von vielen, wo die Forscher nicht sofort wussten: Von wem ist das Stück?

Die meisten Mozart-Sinfonien liegen nicht als Autographe vor, also in der eigenen Handschrift von Mozart, sondern nur in Abschriften. Von der „Alten Lambacher“ gibt zwei Kopien – eine in München, eine in Lambach. Die Münchener Fassung ist die ältere, die Lambacher spiegelt die Änderungen wieder, die Mozart zwischen der Komposition und der Abschrift im Kloster vorgenommen hat.

Forscher müssen solche Quellen untersuchen, genau vergleichen. Sie schauen auf den musikalischen Stil, sie versuchen das Alter einer Quelle zu bestimmen. Die Ergebnisse solcher Forschungen lesen sich dann manchmal wie kleine Krimis. Vor allem aber stecken ungezählte Stunden akribischer Kleinarbeit in Notenbüchereien, viel Kombination mit anderem Wissen und oft auch ein bisschen Glück dahinter, wenn dann eine Frage wirklich gelöst werden kann.

Die Wien-Reise der Mozarts war übrigens kein großer Erfolg. Erstmal wurden wieder beide Kinder krank. Weil in Wien eine Pocken-Epidemie ausgebrochen war, flohen die Mozarts nach Brünn. Doch da hatten sich die Kinder schon angesteckt. Mehrere Monate verstrichen, ehe das eigentliche Ziel der Reise erreicht wurde: Ein Empfang beim Kaiser – der aber enttäuschend verlief.

Auch der ehrgeizige Plan einer Oper führte nur zu Ärger. Zwar komponierte Mozart „“, aber die Proben wurden abgebrochen, die Aufführung abgesetzt. Vater Mozart sah darin ein Komplott neidischer Wiener Kollegen. Wahrscheinlich aber hat er einfach ungeschickt gehandelt und vielleicht hatte er seinen 12jährigen Sohn hier auch schlicht überfordert!

7

Dennoch war der Aufenthalt ihn Wien fruchtbar. Denn Wolfgang konnte gute Orchester erleben und neueste Wiener Sinfonien – zum Beispiel von Johann Baptist Vanhal. Hier das Menuett einer e-Moll-Sinfonie von Vanhal.

Musik 5: Track 18 2:56 Johann Baptist Vanhal: Sinfonie e-Moll III. Menuett Concerto Köln TELDEC, 0630-13141-2, LC6019

Absage

Ein Menuett in einer Sinfonie, als 2. oder öfter noch als 3. Satz vor einem Finale, das war eine Wiener Spezialität. In Italien, dem Ursprungsland der „Sinfonia“, schrieb man nach wie vor dreisätzige Sinfonien in der Folge: schnell – langsam – schnell.

In Norddeutschland waren Menuette in Sinfonien verpönt, die Kritik machte sie als „Schönheitspflästerchen“ lächerlich. In Wien aber fand das Menuett einen Stammplatz in der Sinfonie. Der Mozart-Forscher Neal Zaslaw hat seine Funktion mit einem Trittstein verglichen zwischen den „apollinischen langsamen Sätzen“ und den „dionysischen Finali“.

In den 15 Monaten in Wien hat Mozart drei Sinfonien geschrieben – es sind die ersten mit einem Menuett als drittem von vier Sätzen. Die letzte der drei Wiener Sinfonien wird heute als Nr. 8 gezählt.

Ich habe eine historische Aufnahme gewählt aus dem ersten Mozart- Sinfonien-Zyklus der Schallplattengeschichte. Der Dirigent Erich Leinsdorf hat ihn Mitte der 50er Jahre mit dem Royal Philharmonic Orchestra aufgenommen – in einer überraschend klaren, überhaupt nicht romantischen Lesart.

8

Diese D-Dur-Sinfonie Nr. 8 hat eine Eröffnung wie sie damals in Wien typisch war: In kurzer Zeit wir der Tonraum von hoch nach tief durchschritten. Mozart hat sich dafür eine dynamische Besonderheit überlegt, nämlich ein überraschendes Spiel mit dem Gegensatz von Forte und Piano.

Musik 6: CD 1 / Tracks 28 - 28 9:20 Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 8 D-Dur KV 48 Royal Philharmonic Orchestra, Ltg: Erich Leinsdorf Deutsche Grammophon, 477 584 7, LC0173

Absage

Diese festliche D-Dur-Sinfonie hat Mozart am 13. Dezember 1768 in Wien geschrieben. Das kann man heute noch nachlesen auf Mozarts Autograph. Es wird in Berlin aufbewahrt in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz.

Im Dezember saßen die Mozarts eigentlich schon auf gepackten Koffern. Leopold hatte als Salzburg eine deutliche Aufforderung erhalten, an seinen Arbeitsplatz zurück zu kehren, andernfalls werde sein Gehalt nicht weiter gezahlt.

Dennoch ist man nicht sofort abgereist und Wolfgang Amadeus Mozart hat diese neue Sinfonie komponiert. Möglicherweise gab es noch ein Abschiedskonzert in einem Adelspalais – aber dafür gibt es keine Belege. Man kann es nur vermuten - auch wegen der festlich strahlenden Tonart D- Dur der Sinfonie.

In den letzten Tagen jener Wienreise hat Leopold Mozart übrigens eine erste Bilanz des Schaffens seines Sohns angelegt: „Verzeichnis / alles desjenigen was dieser 12 jährige Knab seit / seinem 7tem Jahre componiert, und in originali / kann aufgezeigt werden“ – so hat Leopold darüber geschrieben. 9

Vielleicht auch, weil in Wien Zweifel aufgekommen waren, ob ein Kind wirklich all das geschrieben haben konnte.

13 Sinfonien listet Leopold auf. Wir haben gerade die letzte Wiener Sinfonie, die Nr. 8 heutiger Zählung, gehört. Schon so früh wird deutlich, dass die alte Zählung von 41 Mozart-Sinfonien gar nicht stimmen kann. Mozart hat deutlich mehr Sinfonien geschrieben. Manche kennt man heute, manche gelten als verloren.

Und so ist es immer eine Sensation, wenn dann doch eine neue Mozart- Sinfonie „entdeckt“ wird. So wie 1983 im Dänischen Odense. Im Notenarchiv des dortigen Orchesters fand sich eine a-Moll-Sinfonie, handgeschriebene Noten, mit dem Autorenvermerk „Signor Mozart“.

Im Anhang des Köchel-Verzeichnisses ist unter Nr. 16a eine fehlende a-Moll- Sinfonie aufgelistet. Und so wurde die dänische Entdeckung – nach allerhand rechtlichem Gerangel – Ende 1984 aufgeführt. Seitdem ist diese „Odense- Sinfonie“ bekannt und zumindest in die vorbildliche Gesamteinspielung von Christopher Hogwood mit der Academy of Ancient Music ist sie auch aufgenommen worden.

Was meinen Sie: Ist das hier echter Mozart?

Musik 7: CD XVII / 1-3 13:30 Wolfgang Amadeus Mozart?: Sinfonie a-Moll KV16a? „Odense“ Academy of Ancient Music Ltg.: Christopher Hogwood L’oiseau-lyre, 452 496-2, LC0171

Absage

10

Ich weiß nicht, was Sie meinen: Ist das echter Mozart? Die Fachwelt hat gründlich debattiert und die Diskussion gilt als abgeschlossen. In der Mozart- Gesamt-Ausgabe ist diese a-Moll-Sinfonie zwar zu finden, aber ganz hinten unter den fraglichen Werken. Zu viele Aspekte des Stils sprechen gegen Wolfgang Amadeus Mozart als Komponist. Der Mozartforscher Neal Zaslaw meint, dass es – außer Leopold und Wolfgang Amadeus – in jener Zeit auch noch einen gewissen Philip Kajatan Mozart gegeben habe. Vielleicht sei der ja jener „Signor Mozart“ vom Titelblatt der a-Moll-Sinfonie in Odense.

Der echte Mozart ist nach der Wien-Reise bald schon wieder auf Reisen gegangen. Dreimal war Mailand das Ziel. Diese Reisen standen ganz im Zeichen der Oper. Aber jede Oper wird ja mit einer Sinfonia eröffnet. Hier noch ein wenig vom echten Mozart aus der Sinfonia zu „“.

Musik 8: CD I Tracks 1 - 3 (7:36) PUFFER – auf Ende! Wolfgang Amadeus Mozart: Ouvertüre zu „Lucio Silla“ Concentus Musicus Wien, Ltg.: Nikolaus Harnoncourt TELDEC, 2292-44928-2, LC6019