Wenn Der Staat Tötet
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WENN DER STAAT T ÖTET TODESSTRAFE IN JAPAN STAND 26. JULI 2018 TODESSTRAFE IN JAPAN SEITE 2 / 9 TODESSTRAFE IN JAPAN ZUSAMMENFASSUNG Japan ist einer von weltweit nur noch zwei hoch industrialisierten Staaten, in dem weiterhin Todesur- teile vollstreckt werden (der andere sind die USA). Im Durchschnitt werden wenige Gefangene im Jahr hingerichtet. 2011 wurden zum ersten Mal seit 1992 keine Hinrichtungen vorgenommen. Die Haftbe- dingungen in den Todestrakten sind hart und geprägt von Isolation und strikter Disziplin. Hinrichtungen finden im Geheimen statt. Todeszelleninsassen erfahren von ihrer Hinrichtung erst am Morgen desselben Tages. Die Gefangenen müssen in der ständigen Angst leben, dass der nächste Tag ihr letzter sein kann. ANZAHL DER HINRICHTUNGEN Von 1945 bis Ende Dezember 2017 wurden 696 Menschen gehenkt, wobei auf den Zeitraum 1980 bis Ende 2017 130 Hinrichtungen entfallen. Im März 1993 endete in Japan ein De-facto-Hinrichtungsmoratorium, welches mehr als drei Jahre lang Bestand gehabt hatte. Seit 2005 nahmen die jährlichen Hinrichtungen zu, obwohl die Zahl der Tö- tungsdelikte im Land rückläufig war und auf den niedrigsten Wert seit dem Zweiten Weltkrieg sank. JAPAN: TODESSTRAFENSTATISTIK 15 15 140 Hinrichtungen 13 120 Todestraktinsassen (geschätzt) 100 10 9 7 8 80 7 7 6 6 6 60 5 5 4 4 4 4 40 Todesurteile vollstreckte 3 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2 2 derTodestraktinsassen Anzahl 20 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 1977 1981 1985 1989 1993 1997 2001 2005 2009 2013 2017 TODESSTRAFE IN JAPAN SEITE 3 / 9 ANWENDUNGSBEREICH DER TODESSTRAFE Das japanische Recht sieht die Todesstrafe für 18 Straftaten vor. Dazu gehören 13 im Strafgesetzbuch (Keihô) definierte Verbrechen wie zum Beispiel Mord, Raub mit Todesfolge, Vergewaltigung, wenn sie zum Verlust von Menschenleben führt, Brandstiftung mit Todesfolge sowie Verbrechen gegen den Staat. Zwingend ist die Todesstrafe lediglich vorgeschrieben für den Straftatbestand der Unterstützung einer feindlichen Invasion, ansonsten können die Gerichte bei Vorliegen bestimmter strafmildernder Um- stände auch auf lebenslangen oder befristeten Freiheitsentzug erkennen. Seit 1967 ist die Todesstrafe ausschließlich für Mord, Raubmord und Sprengstoffanschläge mit Todesfolge ausgesprochen worden. Im März 1987 formulierte der Oberste Gerichtshof eine Reihe von Kriterien, die bei der Verhängung der Todesstrafe Berücksichtigung finden müssen. So ist nach Auffassung des Gerichts bei der Strafzumes- sung von Bedeutung, ob mehr als eine Person getötet wurde, der Mord besonders grausam gewesen ist, der Mörder Reue zeigt und die Familie des Opfers ihm verzeihen kann. AUSNAHMEN Die Todesstrafe darf nicht verhängt werden gegen Personen, die zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt waren. Im Falle schwangerer Frauen und psychisch kranker Gefangener ist die Vollstreckung eines To- desurteils so lange auszusetzen, bis das Kind geboren beziehungsweise die geistige Gesundheit der To- deskandidatin oder des Todeskandidaten wiederhergestellt ist. Es existiert jedoch kein Überprüfungs- mechanismus, um Insassen im Todestrakt zu identifizieren, die an einer Geisteskrankheit leiden. GERICHTSVERFAHREN Die Sicherheitsgarantien für diejenigen, die eines Delikts, das mit der Todesstrafe bedroht ist, ange- klagt sind oder für schuldig befunden wurden, sind unzureichend. Nach ihrer Verhaftung können Ge- fangene bis zu 23 Tage inhaftiert und ohne rechtlichen Beistand verhört werden. Kapitalverbrechen werden in erster Instanz vor einem Bezirksgericht 1 verhandelt, gegen dessen Ent- scheidung Berufung bei einem höheren Gericht und beim Obersten Gerichtshof zugelassen ist. Das Rechtsmittelverfahren nach einem Todesurteil ist jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben. In Japan wer- den Angeklagte nur sehr selten freigesprochen. Wird ein Todesurteil durch den Obersten Gerichtshof endgültig bestätigt, besteht die Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Hürden hierfür sind jedoch hoch 2. Über Begnadigung, die Um- 1 Im Mai 2009 wurde auf Ebene der Bezirksgerichte auf ein System von Schöffengerichten umgestellt, die aus drei pro- fessionellen Richtern und sechs Laienrichtern bestehen. Sie befinden ab August 2009 über besonders schwere Straffälle einschließlich solcher, in denen die Todesstrafe verhängt werden kann. 2 In der Nachkriegsgeschichte Japans gibt es mit Stand März 2014 nur sechs Fälle, in denen ein Gericht der Wiederauf- nahme des Verfahrens eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe bereits rechtskräftig war. In vier Fällen muss- ten die Verurteilten freigesprochen worden, ein Fall ist noch anhängig. TODESSTRAFE IN JAPAN SEITE 4 / 9 wandlung von Todesurteilen und Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs entscheidet das Kabinett, dessen Beschlüsse anschließend vom Kaiser ausgefertigt werden müssen. Bei der Entscheidung über eine Begnadigung konsultiert das Kabinett den Nationalen Ausschuss für die Rehabilitierung von Straf- tätern, ein Beratungsgremium des Justizministeriums. Begnadigungen werden nur sehr selten unter anderem aus Krankheits- oder Altersgründen gewährt. TODESTRAKT Todeskandidaten sind harten und demütigenden disziplinarischen Regelungen unterworfen. Die Ge- fängnisvorschriften sehen unter anderem vor, dass sie in Einzelhaft gehalten werden, während des gan- zen Tages in derselben Position sitzen oder knien müssen und nicht nach ihren Bedürfnissen umherge- hen oder schlafen dürfen. Den Verurteilten ist zudem nicht gestattet, mit anderen Insassen zu spre- chen, fernzusehen und Hobbys nachzugehen. Sie können jedoch auf freiwilliger Basis arbeiten. Die medizinische Versorgung ist unzureichend und der vertrauliche Zugang zu einem Rechtsanwalt einge- schränkt. Möglichkeiten zur körperlichen Betätigung bestehen kaum. Die Zellen werden ständig video- überwacht, das Licht ist auch nachts nie ganz ausgeschaltet. Der Kontakt zur Außenwelt ist begrenzt auf seltene und überwachte Gefängnisbesuche direkter Angehöriger, Rechtsanwälte und anderer zuge- lassener Personen. Alle Briefe werden zensiert. Die durchschnittliche Wartezeit im Todestrakt beträgt sechs Jahre. Einige Todeskandidaten sitzen bereits seit annähernd 50 Jahren in der Todeszelle ein. Mehrere Gefangene im Todestrakt haben psychische Erkrankungen entwickelt. Nach Auffassung des UN-Ausschusses gegen Folter 3 und Amnesty International kommen diese Bedingungen im Gewahrsam grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich. 2013 ergingen fünf Todesurteile, 2014 zwei, 2015 vier, 2016 und 2017 jeweils drei. Ende 2017 befanden sich 134 Menschen im Todestrakt, darunter sechs ausländische Staatsbürger. Bei 123 Ge- fangenen ist das Todesurteile bereits bestätigt worden und somit rechtskräftig. VOLLZUG DER TODESSTRAFE Der Vollzug eines Todesurteils erfolgt binnen Wochenfrist, wenn der Justizminister eine entsprechende Vollstreckungsanordnung unterzeichnet hat. Dies hat nach dem Strafprozessgesetz binnen sechs Mona- ten nach Rechtskraft des Todesurteils zu erfolgen. Da diese Frist jedoch etwa durch Rechtsmittel, An- träge auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder Gnadengesuche unterbrochen wird, kann sich der Zeit- raum zwischen Rechtskraft eines Todesurteils und seinem Vollzug in der Praxis auf bis zu zwanzig Jah- re belaufen. Einige zum Tode Verurteilte befinden sich seit annähernd 50 Jahren in Haft. Hinrichtungen werden nichtöffentlich durch den Strang vollzogen. Sie finden in speziellen Hinrich- tungskammern statt, die in sieben dafür vorgesehenen Haftzentren 4 des Landes angesiedelt sind. Als 3 Committee against Torture, „Concluding observations on the second periodic report of Japan“, adopted by the Commit- tee at its fiftieth session (6-31 May 2013), 28. Juni 2013, UN-Dokument CAT/C/JPN/CO/2. 4 Hinrichtungsstätten gibt es in den Haftvollzugsanstalten der Städte Tokio, Osaka, Hiroshima, Nagoya, Sapporo, Fukuoka und Sendai. TODESSTRAFE IN JAPAN SEITE 5 / 9 Henker fungieren drei gewöhnliche Gefängnisaufseher. Der Mechanismus, der die Falltür unter dem Galgen öffnet, wird über einen Knopf in einem Raum abseits der Hinrichtungskammer ausgelöst. Insge- samt gibt es drei dieser Knöpfe, jedoch nur einer löst die Falltür aus. Drei Beamte drücken gleichzeitig die Knöpfe, damit nicht klar wird, wer den Tod des Verurteilten auslöste. Am 31. Oktober 2011 urteilte das Bezirksgericht Osaka, die Exekution durch Erhängen sei verfassungskonform. Todeskandidatinnen und -kandidaten werden erst am Morgen ihres Hinrichtungstages von der unmittel- bar bevorstehenden Vollstreckung in Kenntnis gesetzt. Danach haben die Betroffenen meist nur noch wenige Stunden, manchmal nur Minuten, zu leben. Für Gefangene, die keine Aussicht auf Begnadi- gung mehr haben, bedeutet dies, dass sie zu jedem Zeitpunkt, den sie in der Todeszelle verbringen, mit ihrer Hinrichtung rechnen müssen. Die Angehörigen und Rechtsanwälte der zum Tode Verurteilten er- halten im Vorfeld keine Information über die angeordnete Hinrichtung. Vollstreckungsbefehle wurden noch bis vor wenigen Jahren häufig in den Sitzungspausen des Parla- ments erteilt, um öffentliche Diskussionen oder Kritik möglichst zu vermeiden. Eine öffentliche Be- kanntgabe erfolgt erst nach Durchführung der Hinrichtung (seit Dezember 2007 auch unter Angabe der Namen). Die Regierung beruft sich in ihrer Rechtspraxis stets auf Umfragen, wonach rund 80 bis 85 Prozent der Japanerinnen und Japaner die Todesstrafe für brutale Mörder befürworteten. Die öffentliche Unterstützung, die die Todesstrafe in Japan erfährt, ist nach Auffassung von Amnesty International jedoch zumindest zum Teil auf die Geheimhaltung, mit der sie umgeben wird, und