Shakespeares Hamlet Und Die Frauen: Rezeptionsgeschichte Als Emanzipationsgeschichte
Shakespeares Hamlet und die Frauen: Rezeptionsgeschichte als Emanzipationsgeschichte Ina Schabert (Universität München) Wenn man die gängigen Geschichten der Shakespeare-Rezeption konsultiert, oder die Textausgaben zum Shakespeare-Criticism, so findet man für die ersten drei Jahrhunderte, bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein, kaum Namen von Frauen. Bestenfalls die Autorin Madame de Staël, ferner die Mitübersetzerin der Schlegel- Tieck-Ausgabe, Dorothea Tieck, und einige Starschauspielerinnen werden erwähnt. Dies gilt auch für die Rezeptionsgeschichte in dem von mir herausgege- benen Shakespeare-Handbuch, denn wir wollten hier ja nicht unsere eigenen Positionen und Wertungen dokumentieren, sondern den allgemeinen Wissens- stand. Mein Vortrag bringt also eine Korrektur am Handbuchwissen an, eine Korrek- tur, die durch zahlreiche Arbeiten der Frauenforschung, vor allem des letzten Jahrzehnts, vorbereitet wurde und die überfällig ist. Denn Shakespeare ist für literarisch interessierte und ambitionierte Frauen seit dem 17. Jahrhundert wichtig gewesen, und umgekehrt haben Frauen dazu beigetragen, den Dramatiker im frühen 18. Jahrhundert gegenüber dem Klassizismus zu rehabilitieren, und ihn sodann aus immer neuen Blickwinkeln zu betrachten und lebendig zu halten. 10 Ina Schabert 1 Frauen solidarisieren sich mit Shakespeare Sehr früh schon hat Shakespeare, vermutlich ohne dies zu beabsichtigen, weibliches intellektuelles Selbstbewusstsein zu stärken vermocht. Ein neidischer Zeitgenosse, Ben Jonson, hatte ihm bescheinigt, er kenne kaum Latein und noch weniger Griechisch – „small Latin and less Greek“1 – und dieser sprichwörtlich gewordene (obgleich, wie die Forschung aufgezeigt hat, eher unberechtigte) Vorwurf mangelnder klassischer Bildung wurde für englische Frauen bald zum freudig genutzten Identifikationsmoment. Sie, die von formaler, systematischer Schulung, von public schools und Universitäten ausgeschlossen waren, erklärten Shakespeare zum Paradebeispiel eines Autors, der diese Voraussetzungen nicht nötig hatte, um großartige Werke zu schaffen.
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