Die Rifāʿīya aus Damaskus Islamic Manuscripts and Books

Christoph Rauch (Staatsbibliothek zu Berlin) Arnoud Vrolijk (Leiden University)

Volume 10

The titles published in this series are listed at brill.com/imb Die Rifāʿīya aus Damaskus

Eine Privatbibliothek im osmanischen Syrien und ihr kulturelles Umfeld

von

Boris Liebrenz

LEIDEN | BOSTON Titelabbildung: Titelblatt des Kitāb ad-Durra al-fāḫira fī kašf ʿulūm ahl al-āḫira von Abū Ḥāmid al-Ġazālī mit dem Bibliotheksstempel der Madrasa Aḥmad Bāšā al-Ǧazzārs, Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 118, fol. 1r.

The Library of Congress Cataloging-in-Publication Data is available online at http://catalog.loc.gov LC record available at http://lccn.loc.gov/2016007897

Want or need Open Access? Brill Open offers you the choice to make your research freely accessible online in exchange for a publication charge. Review your various options on brill.com/brill-open.

Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill-typeface. issn 1877-9964 isbn 978-90-04-31151-0 (hardback) isbn 978-90-04-31489-4 (e-book)

Copyright 2016 by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Brill Hes & De Graaf, Brill Nijhoff, Brill Rodopi and Hotei Publishing. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill nv provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, ma 01923, usa. Fees are subject to change.

This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner. ن ت ً ف خ و� � ج���د �ع�����ا ���س�د ا �ل����ل�لا ف إّ ي ب � ن ف� ج��ل �م�� لا �ي���ه � يع��� ب� وع�لا … Wenn du etwas zu tadeln findest, so korrigiere es. Erhaben und groß ist Er, der ohne Fehler ist.*

* Beliebter, in vielen Varianten zu findender Kopistenvers, angeblich auf den Dichter al-Ḥarīrī zurückgehend, hier entnommen Leipzig Vollers 174, fol. 3r. Zur Form vgl. Weisweiler: Schreiberverse, S. 114–115.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort xi Abbildungsverzeichnis xiv

Einleitung 1 Bibliotheken 1 Buch- und Bibliotheksgeschichte in der orientwissenschaftlichen Forschung 4 Neue Wege der Forschung 11 Quellen 19 Sekundäreinträge 20 Literarische Quellen: Chroniken und biographische Sammlungen 34 Aufbau der Arbeit 41

1 Die Bibliothek 43 Ihre Geschichte und Inhalte 1.1 Die Erwerbung der Rifāʿīya 43 1.1.1 Der Käufer: Johann Gottfried Wetzstein 43 1.1.2 Der Konkurrent: Anṭūn Būlād, Priester und Geschäftsmann 48 1.1.3 Chronologie der Erwerbung 51 1.2 Der Verkäufer: Wer war Omar Efendi Elhamawy? 66 1.3 Der Wert einer Bibliothek – Der Wert von Büchern 72 1.4 Zwischen universal und regional: Inhaltliche Dimensionen der Rifāʿīya 78 1.4.1 Zeitliche und räumliche Dimensionen der rezipierten Autoren und Werke 98 1.5 Bestandsgeschichte: Ansätze einer Bibliotheksarchäologie 105 1.5.1 ʿUmar ar-Rifāʿī als Sammler: Inhalte und Quellen der Rifāʿīya 112 1.6 Fazit: Was für eine Bibliothek war die Rifāʿīya? 119

2 Die Umwelt der Rifāʿīya 123 Der Kontext arabischer Bibliotheken und Buchproduktion in der osmanischen Periode 2.1 Umwege zur Geschichte der Rifāʿīya 123 2.2 Das gestiftete Buch 124 2.2.1 Theoretische Grundlagen: Bücherstiftungen im islamischen Recht 126 viii inhaltsverzeichnis

2.2.2 Der Stiftungsakt: Praxis und Dokumentation 133 2.2.3 „Öffentliche“ Stiftungsbibliotheken 142 2.3 Beispiele „öffentlicher“ Stiftungsbibliotheken aus der Zeit der Rifāʿīya 146 2.3.1 Die Stiftung eines Rechtsgelehrten: Die Aḥmadīya von Aleppo 154 2.3.2 Militärs und Politiker 159 2.3.3 Die Bibliothekslandschaft von Damaskus 166 2.3.4 Bibliothekarische Parallelwelten: Kirchen und Klöster 187 2.4 Öffentlichkeit, Verwaltung und Ausleihe der Bestände von Stiftungsbibliotheken 198 2.5 Wer hat gestiftet? 207 2.6 Fazit: „öffentliche“ Stiftungsbibliotheken 211 2.7 Private Stiftungsbibliotheken / Gestiftete Familienbibliotheken 214 2.8 Kommerzielle Leihbibliotheken – Neue Wege der Literaturrezeption? 228 2.9 „Familienbibliotheken“ oder „Familien und Bibliotheken“? 235 2.10 Bibliotheksorte und Bücherräume 240 2.11 Bucherweb – Die Quellen einer Bibliothek 252 2.11.1 Die Kopie 253 2.11.2 Der Buchmarkt von Damaskus 257 2.11.3 Erbe 277 2.12 Handschriften im Zeitalter des Buchdrucks: Die Rifāʿīya als Abbild einer untergehenden Buchkultur 280

3 Die Leser 286 3.1 Lesen – (K)ein Privileg der ʿulamāʾ? 286 3.1.1 Neue Leser? Von Händlern, Barbieren und Handwerkern 290 3.1.2 Bemerkungen zu Konfession und Alter der Leser 302 3.2 Militär und Administration 305 3.3 Ärzte 328 3.4 Leserschaft über konfessionelle Grenzen: Religiöse Minderheiten 333 3.5 Frauen 348 3.6 Private Ausleihe 362 inhaltsverzeichnis ix

4 Schluss 370

Quellen und Literatur 375 Archivalische und handschriftliche Quellen 375 Gedruckte Quellen 376 Sekundärliteratur 381

Personenindex 406 Sachindex 417 Ortsindex 420

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis meiner Anstellung als wissenschaft- licher Mitarbeiter des DFG-geförderten Projektes „Datenbankgestützte Erfassung, Erforschung und digitale Präsentation der Damaszener Familienbibliothek Refaiya in der Universitätsbibliothek Leipzig“1 und wurde mit der Verteidigung am 14. November 2013 durch die Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig als Dissertationsschrift angenommen. Sie wird hoffentlich dazu beitragen, die Kenntnis von der reichen Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek Leipzig weiter zu befördern. Über viele Jahrzehnte waren deren Orientalia ein ungehobener Schatz, für den sich auch die Forscher vor Ort selten interessier- ten. Der Erstgutachterin und Betreuerin dieser Arbeit, Prof. Dr. Verena Klemm, kommt das große Verdienst zu, gleich nach ihrer Berufung an die Universität Leipzig das Potential der hiesigen Bestände orientalischer Handschriften erkannt und sich mit großer Energie an deren Erschließung gemacht zu haben. Das in den Jahren 2008 bis 2013 von ihr geleitete Refaiya-Projekt2 hat sich neben der Digitalisierung und Katalogisierung exemplarisch auch dem Thema der Biliotheks- und Lesegeschichte durch die mir übertragene Erschließung von Sekundärvermerken zugewandt, namentlich den Notizen von Besitzern, Lesern, Entleihern oder Stiftern von Büchern, welche für diese Arbeit eine Hauptquelle bilden. Das Projekt bot mir als wissenschaftlichem Mitarbeiter in der Folge die einmalige Möglichkeit, in mehreren Reisen dieser Quelle in einem Maße über die titelgebende Rifāʿīya-Bibliothek hinaus zu folgen, wie ich es am Beginn der Arbeit noch kaum für möglich gehalten hatte. Dabei kann ich mich glücklich schätzen, in dieser Zeit in gleichem Maße nicht nur Aufsicht und Betreuung wo sie nötig, sondern auch Freiheit und Unabhängigkeit wo sie möglich waren, erfahren zu haben. Der Dank, den ich Prof. Klemm für diese Möglichkeiten schulde geht beim Abfassen dieser Zeilen bereits weit über das Refaiya-Projekt hinaus. Dass diese Überarbeitung meiner Dissertation einige der Schwächen des ursprünglichen Manuskripts hoffentlich überwunden hat, verdankt sie in gro- ßem Maße auch der wohlwollenden Kritik von Dr. Astrid Meier, derzeit Orient- Institut Beirut, die sehr kurzfristig und trotz vieler weiterer Verpflichtungen

1 www.refaiya.uni-leipzig.de. 2 Der Projektname folgt einer eingebürgerten Schreibung. Wenn ich im Folgenden jedoch von der Bibliothek und nicht dem Projekt spreche, benutze ich die wissenschaftliche Umschrift Rifāʿīya. xii vorwort in die Zweitbetreuung eingewilligt hat. Zahlreiche Hinweise auf Damaszener Gerichtsakten sowie die Möglichkeit, sie hier einzuarbeiten, gehen aber in vie- len Fällen bereits auf die Zeit vor dieser Betreuung zurück und verdanken sich ihrer immer wieder unter Beweis gestellten Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Nach Abschluß der Arbeit hatte ich das große Glück einer Anstellung als Post-Doktorand in der Nachwuchsforschergruppe „Wissensrohstoff Text“, gefördert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), durch welche ich die im Rahmen des Refaiya-Projektes begonnene Sammlungstätigkeit an den reichen Handschriftenbeständen der Forschungsbibliothek Gotha fortsetzen konnte. In dieser Zeit konnte ich auch die hier gedruckte Dissertation gründ- lich überarbeiten und zusätzliches Material aus Gotha, Kopenhagen und New York sichten sowie teilweise einarbeiten. Dem Leiter und spiritus rector der Forschergruppe, Herrn Prof. Dr. Gerhard Heyer (Institut für Informatik) gebührt daher ebenfalls ein besonderer Dank. Seine Begeisterung für die interdiszipli- näre Arbeit und sein Optimismus waren sicher nicht nur für dieses Projekt der Forschergruppe eine konstante Inspiration. Unterstützt durch die unendlich hilfsbereite Koordinatorin Henriette Niekler hat er die Forschergruppe mit viel Engagement und Kompetenz durch die Wirren der Förderpolitik geführt. Dieses Buch über untergegangene Bibliotheken wäre nicht möglich gewe- sen ohne den liberalen Zugang zu vielen ihrer modernen Nachfolger und deren Sammlungen arabischer Handschriften. Das spezielle Material meiner Forschung machte mich immer zu einem unbequemen Benutzer, dem die üblicherweise benötigten drei bis fünf Handschriften am Tag nicht ausreich- ten. Meine speziellen Interessen erforderten es, sehr viele Bände in kurzer Zeit systematisch durchzuarbeiten und das Personal damit zuweilen vor große logistische Herausforderungen zu stellen. Es ist leider auch heute noch so, dass sich viele Bibliotheken als peinliche Behüter ihrer Schätze mehr denn als deren Vermittler für die Forschung verstehen. Ich hatte aber das große Glück, in den mich am meisten interessierenden Sammlungen fast immer auf offene Türen und großes Interesse gestoßen zu sein. Ermöglicht haben mir dies die freundli- chen und engagierten Mitarbeiter der folgenden Institutionen, für die ich hier stellvertretend nur die jeweiligen Leiter nennen kann: American University Beirut (Kaoukab Chebaro), Staatsbibliothek zu Berlin (Christoph Rauch), Dair aš-Šarfa (Youssef Dergham), Forschungsbibliothek Schloss Friedenstein in Gotha (Claudia Hopf), Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in der Landes- und Universitätsbibliothek Halle (Leila Guhlmann), Königliche Bibliothek Kopenhagen (Bent Pedersen), Universitätsbibliothek Tübingen (Walter Werkmeister). Voraussetzung für das Gelingen des gesamten Projektes war natürlich die gute Kooperation mit unserer eigenen Leipziger vorwort xiii

Universitätsbibliothek, deren Direktor Prof. Dr. Ulrich Johannes Schneider sowie dem Leiter des Bereiches Sondersammlungen und Digitalisierung, Prof. Dr. Thomas Fuchs. Was wäre aber die Arbeit ohne all die Menschen, durch die man sie zuwei- len auch vergessen kann? Bei einem der Faszination arabischer Handschriften Verfallenen ist dies ein durchaus schwieriges Unterfangen. Geschafft haben es hin und wieder Ralf Kuhnert, Janett Lengefeld, Sheryn Rindermann, Eva und Henrik Voß, Susann Wendt und Daniel Ziegler. Mit besonders gro- ßer Dankbarkeit erfüllt mich die Groß- und Warmherzigkeit von Kristina Richardson, die mit mir nicht nur die Leidenschaft für Handschriften teilt. Fast vom ersten Tag an hat unser Sohn Camil diese Dissertation begleitet, kurze Zeit später unterstützt von seinem Bruder Nathan. Die beiden haben sicherlich kein Interesse an der Fertigstellung dieses Buches gezeigt und man kann wohl sagen, dass sie nicht wenig dazu beigetragen haben, seine Fertigstellung hinauszuzögern. Ohne sie wäre der Weg zu diesem Buch also vielleicht kürzer, aber um einiges ärmer gewesen. Dem Verständnis meiner Betreuerin habe ich es wiederum zu verdanken, dass ich in den letzten Jahren immer Vater und nicht selten erst an zweiter Stelle Forscher sein konnte. Forscher war ich dennoch oft genug, um meine Frau Viky Feghali mit einigen Problemen auch alleine lassen zu müssen. Dass ich einige notwen- dige ausgedehnte Reisen unternehmen konnte, habe ich nicht zuletzt ihrer Unterstützung zu verdanken. Gemeinsam haben wir diese letzten Jahre viel erlebt und nicht nur dieses Buch zeigt, dass auch die schwierigen Zeiten es wert waren, durchgestanden zu werden. Der Dank an die eigenen Eltern ist so unentbehrlich wie hilflos. Man steht in so vielfältiger Weise in ihrer Schuld, dass eine Auflistung der Realität nie gerecht werden kann. Welch ein beruhigender Gedanke, dass dies glücklicher- weise auch gar nicht notwendig ist. Abbildungsverzeichnis

Illustrationen

1 Einträge von 17 Besitzern und Lesern in einer einzigen Handschrift 21 2a + b Seltener Besitzeintrag auf dem Schnitt des Buches 22 3 Zerstörung von Einträgen 23 4 Die ältesten Besitzeinträge in der Rifāʿīya aus dem späten 4. / 10. bis frühen 5. / 11. Jahrhundert 24 5 Eintrag des Šaraf ad-DīnMūsā Ibn Aiyūb (gest. nach 1003 / 1595), der Lüge bezichtigt 28 6 Seltene Bewertung eines gelesenen Textes durch den Literaten und Historiker Amīn al-Muḥibbī 33 7 Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905), der Käufer der Rifāʿīya 44 8 Arabischer Besitzeintrag von Johann Gottfried Wetzstein 45 9 Dieses Buch schenkte Anṭūn Būlād an Wetzstein “zur Erinnerung bei seiner Rückkehr aus dem Orient” 50 10 Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888) 53 11 Johann Paul Freiherr von Falkenstein (1801–1882) 56 12 Kaufeintrag mit Preis 74 13 Inhalte nach dem Katalogmodell der Rifāʿīya-Datenbank 80 14 Inhalte nach bereinigter Zählung 83 15 Inhalte nach neuer Zusammenstellung 84 16 Autoren in der Rifāʿīya: zeitliche Verteilung 98 17 Autoren in der Rifāʿīya: räumliche Verteilung 101 18 Terminus post quem des Erwerbs der Rifāʿīya-Handschriften 109 19 Die heute in Leipzig befindlichen Handschriften ʿAbd al-Qādir b. ʿAbdallāh al-Usṭuwānīs (1249 / 1833–34 – 1314 / 1896–97) 111 20 Noch ein halbes Jahr vor dem Verkauf der Bibliothek war diese Handschrift nicht in der Rifāʿīya zu finden 112 21 Umfangreicher Stiftungseintrag ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAbdallāh al-Ḥā’ik aš-Šāmīs aus dem Jahr 1145 / 1733 136 22 Unterschriften der, hauptsächlich militärischen, Zeugen der Stiftung al-Ḥā’iks 138 23 Wichtige Handschrift von Ibn an-Nadīms Fihrist, durch Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār an seine Madrasa gestiftet 163 24 Aḥmad al-Falāqinsī ließ diese Handschrift wenige Jahre vor seinem Ruin kopieren 172 abbildungsverzeichnis xv

25 Teilweise zerstörter Stiftungseintrag für die Madrasa aḍ-Ḍiyāʾīya am Fuße des Berges Qāsyūn 177 26 Schatzhaus auf dem Hof der Damaszener Umayyadenmoschee 186 27 Stiftungseintrag Anṭūn Būlāds an das Kloster Dair al-Muḫalliṣ 191 28 Stiftung an eine Frau 210 29 Besitzeintrag des Muḥammad Nasīb Ibn Ḥamza in der Rifāʿīya 221 30 Der autographe Ṯabat des Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī in der Rifāʿīya 222 31 Damaszener Gerichtsregister mit einer Klage gegen die Stiftung des Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī 223 32 Die nach Leipzig gelangten Bücher aus der Bibliothek des Aḥmad ar-Rabbāṭ 230 33 Drei Generationen der Familie al-Maḥāsinī 239 34 Eine sehr frühe Verwendung des Begriffes maktaba für Bibliothek durch den Aleppiner Reisenden Arsāniyūs Šukrī im Jahr 1750 250 35 Besitzeintrag des ʿAlī b. Amr Allāh al-Ḥamīdī ar-Rūmī, bekannt als Qīnālī-zāda (916 / 1510 – 979 / 1571) 255 36 Kolophon des ʿUmar b. Aḥmad al-ʿAṭṭār für seine dritte Kopie des Dīwān seines Lehrers ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī 256 37 Ǧalāl ad-Dīn ar-Ramlī (gest. 1000 / 1591–92), Besitzer dieser Handschrift, soll mit seinen Büchern auch Handel getrieben haben 262 38 Besitzeintrag mit Angabe der Umayyadenmoschee von Damaskus als Ort des Kaufes 264 39 Früheste dokumentarische Erwähnung der Kallāsa als Ort des Buchmarktes von Damaskus im Jahr 877 267 40 Einzige zeitgenössische bildliche Darstellung aus dem Buchmarkt von Damaskus, Mary Eliza Rogers, ca. 1850 269 41 Besitzeintrag eines šāhbandar in der Rifāʿīya 294 42 Besitzeintrag des Zāhid az-Zarzūr, ʿaṭṭār (Drogist) mit einer großen Büchersammlung 295 43 Der Leser ʿAbdallāh al-Ǧabbān kopiert Formulierungen eines fast zwei Jahrhunderte älteren Besitzeintrags mitsamt seiner schweren Fehler 296 44 Die unbeholfene Hanschrift Šaraf ad-Dīns täuscht darüber, dass sie einem großen ägyptischen Bibliophilen aus altehrwürdiger Gelehrtenfamilie gehört 298 45 Besitzeintrag des als Chronist bekannte Barbier Aḥmad Ibn Budair al-Ḥallāq 300 46 Eine Reihe von Militärs haben ihre Leseeinträge durch Geheimschrift und Zeichnungen besonders gestaltet 321 xvi abbildungsverzeichnis

47 Farruḫ b. Maḥmūd, ein Offizier im Damaszener Heer, hat diesen Text in seiner schönen Handschrift auf einer Kampagne in Ṣaidā / Sidon kopiert 328 48 Besitzeinträge mehrerer Ärzte 331 49 Ein Mitglied der melkitischen Familie Naufal aus Tripoli erwarb diese medizinische Handschrift im Jahr 1740 über muslimische Mittelsmänner von einem christlichen Arzt 340 50 Kolophon von ʿĀ’iša al-Bāʿūnīya 359 51 Besitzeintrag des Amīn Ibn Kūmuš, der für seine freigiebige Ausleihpraxis gerühmt wurde 364 52 Obszöne Verse brandmarken säumige Entleiher von Büchern 367 53 Ausleihnotiz des Entleihers ʿAbd al-Karīm al-Ǧarrāʿī für den Verleiher Muṣṭafā as-Suyūṭī 368

Tabellen

1 Die Bücher der Familie al-Maḥāsinī 237 2 Thematische Verteilung der Bücher von Lesern, Besitzern und Stiftern mit militärischem Hintergrund 319 3 Thematische Verteilung der von Christen und Juden rezipierten Werke 347 4 Thematische Verteilung der von Frauen rezipierten Werke 360 Einleitung

Der Arabist Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905) war bereits seit fünf Jahren preußischer Konsul in Damaskus und dort als eifriger Käufer arabischer Handschriften bekannt, als ihm im Jahr 1853 das seltene Angebot gemacht wurde, eine der Privatbibliotheken der Stadt komplett zu erwerben. Über sei- nen akademischen Lehrer Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888) in Leipzig konnte der sächsische Staat für den Ankauf gewonnen und das Geschäft trotz logisitisch komplizierter Verhandlungen noch im selben Jahr erfolg- reich durchgeführt werden. Am Ende landete die wertvolle Sammlung an der Universitätsbibliothek Leipzig, wo sie bis zum heutigen Tag unter dem Namen Refaiya bzw. Rifāʿīya verwahrt wird. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht mit dieser Rifāʿīya eine Bibliothek von weniger als 500 Bänden hauptsächlich arabischer Handschriften, über deren Geschichte und Besitzer uns fast nichts überliefert ist. Kein Poet hat ihre Bände und Regale besungen, kein Künstler oder Fotograf hat ihre Schränke im Bild festgehalten, kein Gelehrter hat sich später seiner Studien in ihr erinnert. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass diese Bibliothek im intellektuel- len Leben der syrischen Metropole eine bedeutende Rolle gespielt hat oder dass ihre Bücher die Produktion von Literatur und Wissenschaft ihrer Zeit unmittelbar angeregt hätten. Stattdessen bewahrt uns das Engagement des preussischen Konsuls bis heute einen ganz unmittelbaren Eindruck von dem, was Chronisten und Historiker in ihren Schriften so selten geben: der Normalität einer Buchkultur, die noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts fast ganz auf Handschriften basierte, deren Ende zum Zeitpunkt des Kaufs aber bereits abzusehen war. Sie erlaubt damit einen seltenen Blick hinter den Schleier literarischer Stilisierung, wel- cher die Darstellung arabischer oder islamischer Bibliotheksgeschichte so dau- erhaft und profund geprägt hat.

Bibliotheken

Warum schreibt man Bibliotheksgeschichte? Diese Frage nach dem heuristi- schen Wert der Erforschung historischer Buchbestände ist untrennbar verbun- den mit der Frage nach ihrem Gegenstand. Was also ist eine Bibliothek? Im Sinne dieser Arbeit beginnt sie bereits mit dem Willen, literarisch ausgearbei- tete Information verschriftlicht zusammenzutragen. Sie muss keinen repräsen- tativen öffentlichen Raum einnehmen und keine komplexe Organisation muss

© koninklijke brill nv, leiden, ���6 | doi ��.��63/9789004314894_002 2 Einleitung ihre Arbeit regeln. Wo Ressourcen nicht mehr zulassen oder Bedarf nicht mehr verlangt, kann eine Bibliothek zwischen zwei Buchdeckel eingebunden sein.1 Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht die Form, sondern die Funktion für den Besitzer oder Benutzer. Eine Bibliothek hält literarische Texte vor, ohne an die Aktivierung dieser Texte durch eine mündliche Überlieferung notwen- digerweise gebunden zu sein. Das Bild von der Bibliothek als Wissensspeicher wird daher oft und zu Recht bemüht. Doch das Wissen einer Gesellschaft ist nicht auf die Addition der Bände ihrer privaten wie öffentlichen Bibliotheken zu reduzieren. Weder war Schriftlichkeit zwangsläufig die Konsequenz aus literarischer Tätigkeit und manche Wissensbereiche haben unter gewissen his- torischen Umständen eher auf sie verzichten wollen. Noch ist der Inhalt eines Textes für seine heutigen Betrachter ein geradliniger Weg zum Verständnis seiner zeitgenössischen Rezeption. Als Carlo Ginzburg 1976 die kühnen und für diesen letztlich fatalen Gedanken eines friulischen Müllers über das Wesen Gottes und der Welt teilweise als die verzerrten Schatten seiner sehr eigenwil- ligen Lektüre identifizieren konnte, ist einer breiten Leserschaft plastisch vor Augen geführt worden, dass unser Studium der literarischen Überlieferung einer Epoche nur ein unsicherer Weg in die Gedankenwelt seiner Leser ist.2 Erst die Protokolle der Inquisition, erst die Fragen der Inquisitoren haben in diesem Fall die originelle Stimme eines für uns ansonsten stummen Lesers zum sprechen gebracht und Ideen ans Licht befördert, die wir selbst wohl kei- nem Leser der von diesem Müller rezipierten Werke zugetraut hätten. Ideen führen ihr Eigenleben im Untergrund, in den Köpfen der Leser. Bibliotheken waren demnach nur eine Dimension einer komplexen literari- schen Umwelt, sie hatten kein Monopol auf Ideen. Sie waren aber sehr wohl die Werkzeuge eines Gestaltungs- und Erhaltungswillens textlicher Überlieferung und ein Ausdruck der Macht über ihre Form. Ihr Schicksal konnte bestim- men, was erhalten wurde oder oft genug für immer verborgen bleiben sollte. Der Status von nicht verschriftlichtem Wissen, besonders in einer Handschriftenkultur entsprach dem, was Martin Mulsow für das frühneuzeit- liche Europa als „prekäres Wissen“ bezeichnet hat: es war fragil, konnte leicht verloren gehen und war an die Stabilität seiner Überlieferergruppe gebunden.3 Bibliotheken waren also nicht der einzige Ort, an dem Ideen zirkulierten,­

1 Im Bereich der arabischen Handschriftenkunde hat Rosenthal das Konzept der “one-volume library” bekannt gemacht, vgl. Rosenthal: A one-volume library. In einem plastischen Bild nennt Waley die enzyklopädische Zusammenstellung von verschiedenen Texten in einem Band ein “‚Swiss knife’ book”; vgl. Waley: The Miscellany. 2 Ginzburg: Der Käse und die Würmer, zu den Büchern und der Lektüre besondern S. 56–62. 3 Vgl. Mulsow: Prekäres Wissen, u.a. S. 24–26. Einleitung 3 ja manchmal waren sie der Ort, an dem Ideen bewusst abgeschlossen wurden. Doch auch im vollen Bewusstsein dieses Hintergrundes bleiben Bibliotheken die auf lange Dauer wirkmächtigsten Vehikel der Bewahrung und die Orte, an denen für den Historiker die Tradierung von Wissen im konkreten Kontext von Raum und Zeit am plastischsten greifbar wird. Wenn die Ideen früherer Zeiten uns heute hauptsächlich durch literari- sche Texte in Buchform begegnen, so waren diese Texte einmal Teil einer Bibliothek, öffentlich oder verschlossen, institutionell oder privat, von kaum überschaubarer Größe oder schnell übersehener Winzigkeit. Sie waren der Ort, an dem Leser und Texte zusammenfanden, Zugang ermöglicht und regle- mentiert wurde. Die Bedeutung von Bibliotheken für ihre Leser, die Publikum und Akteur der literarischen Welt zugleich sein konnten, und damit für den großen Rahmen der Erforschung einer „social history of ideas“4 kann demnach nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bibliotheksgeschichte ist vor diesem Hintergrund Teil – im vorliegen- den Fall: Ausgangspunkt – einer integrativen Betrachtung von literarischer Produktion, Überlieferung und Rezeption. Die Erkenntnis der untrennbaren Vernetzung der verschiedenen Stationen dieses Kreislaufs ist in unterschied- lichen Wissenschaftsdisziplinen gereift und hat so notwendigerweise zu par- allelen Begriffsbildungen geführt. So steht etwa für die Philologie von Antike und Mittelalter die Verbindung von konkreter Handschriftenüberlieferung und Textgestalt im Mittelpunkt der Rezeptionsphilologie oder, im anglophonen Raum, der New Philology und Material Philology, die Ideengeschichte erforscht die Buchkultur, Buchgeschichte oder history of the book und dies hat seine Entsprechung auf Seiten von Bibliographen und Bibliothekaren in der histo- rical bibliography. Lese-, Buch- und Bibliotheksgeschichte erscheinen auch in dieser Arbeit als die begrifflich schwer zu entwirrenden Knotenpunkte, die ein komplexes Geflecht kultureller und literarischer Praktiken verknüpfen. Sie fin- den in der Rezeption von Büchern kein Ende, sondern müssen selbst wieder Ausgangspunkt für Überlegungen zur literarischen Produktion sein. Wenn die folgende Untersuchung den Namen einer Bibliothek in ihrem Titel trägt, ist sie also auch eine Untersuchung der Menschen hinter den Büchern und der Bücher hinter den Menschen. Auch wenn die Texte der Bibliothek nicht im Mittelpunkt stehen werden, möchte sie nicht bei einer institutionel- len Geschichte stehen bleiben. Eine Bibliothek ist nicht losgelöst von ihren Texten zu verstehen. Deren Inhalte bestimmten den Zweck der Struktur und dieser Zweck erfüllte sich im Leser.

4 Ich übernehme den Terminus von Darnton: In search of the Enlightenment, S. 113, der ihn auf Peter Gay zurückführt. 4 Einleitung

Buch- und Bibliotheksgeschichte in der orientwissenschaftlichen Forschung

Seitdem der vielseitige französische Orientalist Étienne Quatremère im Jahr 1838 sein kleines Mémoire sur le goût de livres chez les orientaux veröffentlichte, hat die Geschichte des Buches, der Bibliophilie und der Bibliotheken in den Ländern unter Herrschaft islamischer Dynastien immer wieder eine promi- nente Rolle in kulturgeschichtlichen Studien gespielt.5 Dies mag mit einer grundsätzlichen Affinität von Geisteswissenschaftlern zu Büchern ebenso zu tun haben wie mit den beeindruckenden und faszinierenden Berichten der erzählenden Quellen sowie den darin zu findenden, offensichtlich riesigen und innovativen Bibliotheken großer Herrscher und Mäzene. Die so entstan- denen Darstellungen der Sammlungen präsentieren denn auch durchweg ein sehr positives Narrativ.6 Diese Behandlung des Themas könnte aber meines Erachtens auch in einen weiteren wissenschaftsgeschichtlichen Rahmen eingeordnet werden. Die orientalistischen Fächer waren Teil der ideologischen Bewegungen ihrer Zeit, haben auf gesellschaftliche Wertungen ihres Gegenstandes reagiert und

5 Beginnend bei Mez: Die Renaissance, S. 164–170 sind die folgenden umfassenden Überblicke von Arabisten und Orientwissenschaftlern vor allem Grohmann: Bibliotheken und Bibliophilen; Pinto: The libraries of the Arabs; Mackenson: books and libraries; Pedersen: The Arabic book, S. 113–130; Kügelgen: Bücher und Bibliotheken; Roper: The history of the book; Heffening / Pearson: Art. „Maktaba“. Für neuere Ansätze vgl. das Kapitel „Neue Wege der Forschung“. Die von arabischen oder muslimischen Wissenschaftlern und Publizisten vorgelegten, teilweise sehr umfangreichen Arbeiten folgen den gleichen Schwerpunkten in der Periodisierung und methodisch ebenfalls hauptsäch- lich der narrativen Aufzählung von Anekdoten: vgl. dabei besonders Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin; Dohaish: Growth and development; Sibai: Mosque libraries; Qaṭāya: al-Maktabāt fī Ḥalab; Sāʿātī: Waqf (auszugsweise übersetzt als Ibn Junayd: Waqf). Auf einer exzellenten Kenntnis der Handschriften beruht hingegen Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ, der Bd. 1, S. 233–288 auch über Bibliotheken schreibt. Qualitativ immer noch herausragend ist Éche: Les bibliothèques arabes, wobei als inhaltlich vollkommen von diesem abhängiges Werk nur der Vollständigkeit halber Ghanem: Zur Bibliotheksgeschichte, erwähnt sei. Ebenfalls nur durch seinen direkten Bezug auf Damaskus in dieser Arbeit erwähnenswert ist die äußerst umfangreiche, doch wild zusammengesammelte und kaum Erkenntnisgewinn bietende Publikation von Ṭabbāʿ: al-Maḫṭūṭāt ad-dimašqīya, der speziell auf Bibliotheken bezogene Teil S. 349–389. 6 Eine gänzlich negative Be- oder vielmehr Abwertung der arabischen Buch-, Schreib- und Lesegeschichte als primitiv („wozu sollte es [das Volk] unter den orientalischen Daseinsbedingungen auch viel schreiben?“) findet sich meines Wissens allein im Aufsatz von Kissling: Über muslimische Schreibkunst, S. 73–74. Einleitung 5 an diesen Wertungen auch mitgearbeitet. Besonders die Geschichte ist dabei Stichwortgeber für Antworten auf aktuelle Fragen, Fragen, die unter diesen Umständen nicht mehr als ahistorische Konstrukte sein konnten. Eine solche ahistorische, gesellschaftlich aber bis in unsere Tage immer wieder relevante und teils hochbrisante Frage war die nach „dem Wesen“ des Islam. Dem tradi- tionellen Vorwurf eines unvermeidlichen, Fortschritt und Freiheit feindlichen Despotismus, eines inhärenten religiösen Fanatismus, in jüngster Zeit gar Terrorismus auf der einen hält die Gegenseite ein Idealbild von konfessionel- ler und politischer Toleranz und Kultur entgegen. In dieser Debatte waren die Bibliotheken beredte Kronzeugen der „guten Seite“, der Hochkultur des Islam. Als Begleiterscheinung dieser mit Abwehrreflexen gepaarten Faszination findet sich nicht selten eine kaum gezügelte Apologetik. Das Ergebnis sind dann durchaus romantisierende Darstellungen. Bis in jüngste Zeit finden sich, nicht nur wenn diese an ein breiteres Publikum gerichtet waren,7 sondern auch in Werken mit ernstzunehmendem wissenschaftlichem Anspruch, Tendenzen zu groben Pauschalisierungen: „Science, or learning (ʿilm), (. . .), engaged the interest of the Muslims more than anything else except perhaps politics”8 fasst Atiya die Gedankenwelt eines Grossteils der Weltbevölkerung im Vorwort eines Sammelbandes zur Geschichte des arabischen Buches zusammen. “The Muslims were great book lovers . . .”9 heißt es im selben Band bei Annemarie Schimmel lakonisch. Und in seiner bedeutenden Darstellung der Geschichte des Papiers in der islamischen Zeit ist für Jonathan Bloom klar, „Islamic society fostered such a respect for book learning and scholarship that rulers and the wealthy opened their doors to the learned and lavished large sums of money on them.”10 Nicht alle Autoren sind derart pauschalisierend. Doch auch für den

7 Vgl. etwa noch kürzlich Heine: Märchen, Minaturen, Minarette, S. 51: „Es ist nicht über- trieben, die Eliten des islamischen Mittelalters als bibliophil, wenn nicht als biblioman zu bezeichnen.“ Dann werden die phantastischen und zumindest kritisch zu hinterfra- genden Zahlen einiger Herrschersammlungen in Bagdad und Kairo denen einer nordal- pinen Klosterbibliothek aus dem 9. Jahrhundert gegenübergestellt. Und auch bei der kurzen Darstellung von Walther: Kleine Geschichte der arabischen Literatur, S. 33–34, fällt nicht nur die Lücke zwischen der abbasidischen Zeit und dem 19. Jahrhundert auf, sondern sie kann auch auf den Vergleich mit europäischen Klosterbibliotheken nicht ver- zichten. Die fantastischsten Zahlen finden sich hier immerhin nicht wiederholt. 8 Atiya: Introduction, S. XIV. 9 Schimmel: The book of life-metaphor, S. 71. 10 Bloom: Paper before print, S. 113. Vgl. auch Uluç: Ottoman book collectors, S. 86: “Because of the special place of the Quran in Muslim societies, the written word was valued from the beginning of Islam.” Der Koran als Grundlage einer ganz generell verstan- denen Bücherliebe findet sich auch sonst meist zur Begründung generellerer Aussagen 6 Einleitung erst jüngst mit einem sehr interessanten Überblickswerk zur mittelalterlichen Bibliotheksgeschichte der islamischen Welt hervorgetretenen Touati wird „der Islam“, nachdem er bereits „une réligion du Livre“ war, in abbasidischer Zeit auch „une civilisation des livres“.11 Bei dezidiert als Muslime schreibenden Autoren tritt neben die Bewunderung Stolz auf die Kulturtradition der eigenen Religion. So lesen wir vom eminen- ten syrischen Historiker und Gelehrten Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid: „. . . enthu- siasm for learning, directed the Muslims towards the high road of knowledge”.12 Ein weiterer Autor konstatiert „Muslim zeal (. . .) in establishing libraries, protecting books, and loving knowledge.“13 Dies vermischt sich zuweilen mit Regionalstolz oder Patriotismus, etwa im Fall eines Aleppiner Historikers, für den seine Landsleute generell „eine besondere Leidenschaft für das Kaufen von Büchern“ hatten.14 Für einen ägyptischen Forscher in der maßgeblichen Studie zur Bibliotheksgeschichte der Mamlukenzeit war die Sorge um Bücher und Bibliotheken nicht nur eine Sache der Gelehrten und der Oberschicht, „sondern des gesamten ägyptischen Volkes“.15 Gelehrte öffneten nach diesem

angeführt, vgl. etwa Kügelgen: Bücher und Bibliotheken, S. 170; Raby / Tanindi: Turkish bookbinding, S. vii. Vgl. auch den ausgewogeneren und qualifizierenderen Umgang mit den gleichen Vokabeln durch Ghersetti: Editor’s introduction, S. 13: “bib- liophilia and the love of books seem to be a very typical feature of Arab-Muslim cultural history as a whole.” Für Al-Bagdadi steht der Koran am Beginn einer mit Walter Benjamin als „Aura“ verstandenen, emotional aufgeladenen Rolle des arabischen Buches, welches es zum „fetish par excellence of pre-modern Arab Muslim culture“ (S. 84) machte; vgl. Al-Bagdadi: From heaven to dust, S. 90–93. 11 Touati: La dédicace, S. 325. 12 Munajjid: Women’s roles, S. 142. 13 Pourhadi: Muslim libraries, S. 439. Weiter lesen wir, „Muslims were the first leaders in furthering knowledge before the rest of the world“, denn sie schützten die “sacredness of knowledge” (ebd., S. 466). 14 Vgl. Qaṭāya: al-Maktabāt fī Ḥalab, S. 170: Aleppiner haben generell „walʿ ḫāṣṣ bi-qtināʾ al-kutub“ und zwar „min baʿīd az-zamān“. So kann dieser Autor ebd., S. 174–175 auch die abschätzige Beschreibung der kleinen Bibliotheken in Aleppo durch die Russell-Brüder (A Natural History II, S. 94–95) durch im besten Falle selektive Übersetzung vollkommen positiv darstellen. Qaṭāya zählt den Unterrichtsstoff nach den Russells als Zeichen intel- lektueller Aktivität auf, diese hatten ihn aber als “more seminaries of pedantry and super- stition, than of science“ charakterisiert. Qaṭāya übersetzt, dass viele Gelehrte große und wertvolle Büchersammlungen zusammengetragen hätten, nichts erfährt man aber von der Qualifizierung der Russells: „Some of them possess, what is reckoned in that country, a considerable collection of books; but it should be remarked, that the number of volu- mes in an Aleppo library, might easily be contained in a small book case.“ 15 Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 231: “kaifa htamma l-mamālīk wa-umarāʾuhum wa-ʿulamāʾuhum­ wa-quḍātuhum wa-tuǧǧāruhum bal-wa-ʿāmmat aš-šaʿb al-miṣrī bi-l-kutub wa-l-maktabāt.” Einleitung 7

Historiker ihre zahlreichen Bibliotheken „dem gesamten Volk“,16 ohne dass dies belegt würde. In Buchlänge findet sich diese Apologetik im Werk Sāʿātīs al-Waqf wa-binyat al-maktaba al-ʿarabīya oder in Sibais Mosque libraries. In beiden Texten wird wiederholt die Vorstellung ausgedrückt, Bildung und Bücherbesitz oder –konsum sei der „arabischen und islamischen Gesellschaft“ quasi schon in die Wiege gelegt worden.17 Araber, Muslime oder „der Islam“ hät- ten demnach immer schon eine „Liebe“18 zum Buch gehegt, es wie wild gesam- melt, kopiert und gestiftet, weder Kosten noch Mühen gescheut, Sammlungen gehegt und gepflegt.19 Durch unzählige Bibliotheken sei dann Wissen in jeder Stadt und in jedem Dorf für jeden zugänglich gewesen.20 Ein paar Charakteristika dieser bis in jüngste Zeit vorherrschenden wissen- schaftlichen wie populären Literatur können zusammengefasst werden. Zuerst stützt sie sich hauptsächlich oder ausschließlich auf literarische Quellen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die Argumentation meist nicht über die unsichtbare aber in der Forschung sehr reale Grenze des „Mittelalters“, der „klassischen Zeit“ oder gar des „goldenen Zeitalters“ mit ihrer Armut an auf Bücher bezogenen dokumentarischen Quellen verfolgt wird.21 Bemerkungen zu verschiedenen Epochen werden dann generalisierend auch auf andere übertragen. Damit zusammenhängend folgt diese Literatur einem regressiven Geschichtsmodell, nach der einem goldenen Zeitalter in der Frühzeit ein lan- ger, für viele spätestens mit den Mamluken22 einsetzender kultureller Abstieg folgte. Diese in der arabischsprachigen Historiographie als ʿaṣr al-inḥiṭāṭ

16 Ebd., S. 214: “bal-wa-ʿāmmat aš-šaʿb fī kaṯīr min al-maḥallāt”. 17 Sāʿātī: Waqf, S. 21–24 u. öfter; ähnlich sogar noch Heinzelmann / Sievert: Einleitung, S. 10. 18 Sāʿātī: Waqf, S. 31: „ḥubb al-muslimīn li-l-ʿilm wa-ahlihī“. 19 Vgl. Saiyid: Naṣṣān qadīmān, S. 125: „ʿanā al-aqdamūn bi-l-kutub wa-l-muṣannafāt ʿināya kubrā ǧaʿalathum yunšiʾūna la-hā ḫazāʾin wa-yabḏalūna fī ǧamʿihā al-amwāl wa-yuyassirūna ntifāʿ aṭ-ṭullāb wa-l-ʿulamāʾ bi-hā.“ Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 65: „al-islām (. . .) qad karrama al-ʿilm wa-l-ʿulamāʾ “. 20 Vgl. Sāʿātī: Waqf, S. 24. 21 Zum Sinn und – vor allem – Unsinn solcher Grenzziehungen vgl. besonders die Polemik von Bauer: In search. 22 Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund die gegenüber den Mamluken apologetische Haltung von Naššār: Tārīḫ al-maktabāt. Er konstruiert auch aus auf den ersten und zweiten Blick banalen Bemerkungen wie etwa der Tatsache, dass beschädigte Bücher in mamlukischen Bibliotheken repariert werden konnten, ein generelles Lob der Kultur und Wissenschaftsliebe der Mamlukenzeit: hier gäbe es „waʿy maktabī kabīr ladā ūlāʾika l-qaum“ und die Reparaturen seien „inʿikāsan ṭaiyiban li-mā kāna yaḥtilluhū al-kitāb wa-maktabāt fī ḥayātihim min makāna wa-htimām“, ein Beweis für „izdiyād al-waʿy al-ʿilmī wa-ṯ-ṯaqāfī ladaihim“ (ebd. S. 193). 8 Einleitung

­wirksame Periode23 soll auch erklären, wie aus einer Vielzahl von Bibliotheken mit Hunderttausenden oder gar Millionen Titeln aus der Frühzeit, in der viel besser dokumentierten späteren Zeit Sammlungen von nur wenigen hun- dert oder tausend Bänden werden – falls man diese Diskrepanz zur Kenntnis nimmt. Und schließlich wird eine islamische Buchkultur isoliert von der gleichzeitig nicht nur neben ihr existierenden, sondern sich auch oft mit ihr überschneidenden Buchkultur nicht-islamischer Gemeinschaften in teilweise anderen Sprachen – für den hier untersuchten Kontext sind das Syrische, Griechische und das Hebräische besonders hervorzuheben – betrachtet. Unter den großen Werken zur arabischen Bibliotheksgeschichte schenkt einzig das eines arabischen Christen, Dī Ṭarrāzīs Ḫazāʾin al-kutub al-ʿarabīya fī l-ḫāfiqain, diesen Sammlungen größere Aufmerksamkeit. Formal nimmt die Mehrzahl der Darstellungen die Form der Aneinanderreihung von Daten verschiedenster zeitlicher und regionaler Provenienz an. Diese Datenzusammenstellung kann mit bewundernswürdi- ger Quellenkenntnis (Sayyids al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ) aber auch mit nicht immer ganz verstandenen Angaben aus zweiter Hand (etwa Dohaishs Growth and development und Sibais Mosque libraries) erfolgen. Wenn sich hieran ein analytischer Schritt anschließt, besteht er meist in der Zusammensetzung von Detailbildern unterschiedlichster Quellen, Orte und Zeiten zu einer Art Idealbild einer „arabischen“ oder „islamischen“ Bibliothek. Unter den über- greifenden Darstellungen ragt daher auch fast fünf Jahrzehnte nach seinem Erscheinen Youssef Éches Werk Les bibliothèques arabes heraus. Er verbindet eine breite Belesenheit in der literarischen Überlieferung mit einer Kenntnis der bis heute erhaltenen Handschriftenzeugen aus erster Hand. Ein beliebter Kronzeuge für das romantisierende Bild eines bibliophi- len Islam ist der große Bagdader Literat ʿUmar b. Baḥr al-Ǧāḥiẓ (gest. 250 / 864), der einen längeren Abschnitt in der Vorrede seines Kitāb al-ḥayawān dem „Lob des Buches“ widmet.24 Nicht zitiert wird dagegen der nicht weni- ger bedeutende Abū Manṣūr aṯ-Ṯaʿālibī (350 / 961 – 429 / 1038), der in seinem

23 Vgl. zu diesem Konzept Allen: Decadence; Lowry / Stewart: Introduction, S. 1, 7–8. 24 Vgl. Ǧāḥiẓ: Kitāb al-ḥayawān I, S. 31–34. Vgl. dazu vor allem Günther: Praise to the book!; Webb: Foreign books. Als weitgehend identischer Traktat kursierte die Passage unter dem Titel Risāla fī madḥ al-kutub wa-l-ḥaṯṯ ilā ǧamʿihā; vgl. dazu Rufai: Über die Bibliophilie im älteren Islam; Šanṭī: Risāla. Als ein jüngstes Beispiel der dominanten Rolle des hier vermittelten Bildes eines bibliophilen Islam beginnt Ron-Gilboa: Rez., S. 67 seine Rezension von Hirschlers The written word mit dem Ǧāḥiẓ-Zitat, obwohl es in diesem Buch kaum eine Rolle spielt und zeitlich wie regional ganz anders zu verorten ist. Eine anekdotische Zusammenstellung von Zitaten auch nach al-Ǧāḥiẓ, hauptsächlich jedoch nach Iṣfahānīs Kitāb al-aġānī, durch Bürgel: Von Freud und Leid mit Büchern. Einleitung 9

Yawāqīt al-mawāqīt das scholastische Kunststück vollbringt, jedes Ding in einem Kapitel zu loben und gleich darauf nicht minder zu tadeln. Dies pas- sierte auch dem Buch, zu dessen Lob Ṯaʿālibī wieder al-Ǧāḥiẓ sprechen lässt, für dessen Tadel er aber nicht minder gute Quellen anführen kann.25 Wir lesen auch immer wieder, dass zu viel Lesen durchaus unnütz oder schädlich sein konnte, da es die korrektive Funktion der Lehrer-Schüler-Beziehung umgeht. Der Polyhistor Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (gest. 911 / 1505) – ein Mann, der angeb- lich sogar inmitten von Büchern geboren wurde26 – muss sich von seinem Biographen as-Saḫāwī die Kritik gefallen lassen, seine Ausbildung sei durch selbständiges Lesen statt mündlichen Unterricht verdorben worden.27 Ein anderer Gelehrter der späteren Osmanenzeit kann das Lesen der Originalwerke der „Alten“ (mutaqaddimīn) zur unnützen Zeitverschwendung erklären, die Abkürzungen (muḫtaṣar) der „Modernen“ (muta‌ʾaḫḫirīn) reichten aus.28 Und im 18. Jahrhundert findet sich aus dem Mund des bedeutenden Damaszener Gelehrten und Mystikers ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1050 / 1641 – 1143 / 1731), selbst Besitzer einer großen Bibliothek, die Aufforderung an einen Schüler, sein Wissen nicht aus Büchern zu nehmen, sondern einzig aus dem Herz des Meisters.29 Von einer Verbindung zwischen Bibliophilie und Wissensdurst also in all diesen Fällen keine Spur. Besonders in sufischen Kreisen findet sich auch ein spezifischer Topos des Schadens von Buchbesitz.30 Der in Damaskus hochgeschätzte und als Lehrer in vielen Biographien erscheinende mullā Ilyās b. Ibrāhīm al-Kurdī

25 Berlin Wetzstein I 57, fol. 19v–21r, Kapitel “Madḥ al-kutub wa-d-dafātir wa-ḏammihā”. Die Tatsache, dass die Rezension des Werkes auf einen Schüler aṯ-Ṯaʿālibīs, Abū n-Naṣr al-Maqdisī, zurückgeht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da dieser Schüler in den jeweiligen Abschnitt zum Tadel der Dinge nicht eingriff. 26 Vgl. ʿAidarūsī: an-Nūr as-sāfir, S. 90: Sein Vater schickt die hochschwangere Mutter, eine tscherkessische Sklavin, ihm ein Buch aus der Bibliothek (min baina kutubihī) zu holen. Dort überraschen sie die Wehen und sie gebährt Ǧalāl ad-Dīn. Dies ist ein inter- essantes Gegenstück zum Topos des von seinen einstürzenden Büchern verschütte- ten Büchernarren, wie es etwa auch von al-Ǧāḥiẓ’s Tod berichtet wird (vgl. Mez: Die Renaissance, S. 150) und wie es auf tragische Weise für den Mufti von Buda bei der Eroberung der Stadt durch allierte Truppen im Jahr 1687 grausame Wirklichkeit werden sollte (vgl. Liebrenz: Arabische, Persische und Türkische Handschriften, S. 27–28). 27 Vgl. Saḫāwī: Ḍauʾ IV, S. 68. 28 Vgl. Ġazzī: Luṭf I, S. 253–257. 29 Vgl. Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 240. 30 Vgl. Rosenthal: Of making many books, S. 40; keine spezifische Abneigung gegen Bücher, aber die negative Abwertung der Tradierung von Wissen durch Bücher gegenüber der Lehre durch einen Meister im 8. / 14. Jahrhundert wird behandelt bei Pagani: Il libro come maestro. 10 Einleitung

(1047 / 1637–38 – 1138 / 1726) hat nach unseren Quellen schon immer seine Bücher sehr freigebig verteilt, wenn er auf Reisen ging und man traf sich bei ihm zum Lesen. Doch soll er seine Bibliothek komplett aufgegeben haben, als er in einem Traum mit Blick auf seine Bücher gefragt wird: „was sind das für Götzen, mit denen sich dein Herz abgibt?“31 Vielleicht kam dieser Traum tat- sächlich sehr spät in seinem langen Leben, denn noch kurz vor seinem Tod, im Jahr 1137 / 1724 konnte Ilyās al-Kurdī etwa einhundert Bücher aus seinem Besitz an die Moschee Ǧāmiʿ al-ʿAddās stiften, in der er lebte, darunter auch die Berliner Handschrift Sprenger 872.32 Ein weiterer Mystiker lernt, auf das Lesen der Futūḥāt al-makkīya des von ihm verehrten Ibn al-ʿArabī nichts zu geben, denn sonst würde er selbst keine futūḥāt (Eingebungen) erleben – also lässt er das Bücherlesen komplett sein.33 Und ʿAbdallāh al-Kurdī al-Baġdādī (gest. ca. 1003 / 1594–95 in Damaskus) wird nach anfänglichen Studien der Wissenschaften von mystischen Eingebungen ergriffen (ġaliba ʿalaihī al-ḥāl), woraufhin er all seine Bücher ins Wasser wirft und dem Sufi-Pfad folgt.34 Sowohl der Text von al-Ǧāḥiẓ wie der von aṯ-Ṯaʿālibī waren literarische Überhöhungen. Sie verraten nicht einmal für ihren spezifischen histori- schen Kontext, wie der tatsächliche Zugang zu Wissen im Einzelfall aussah, ob Studium und Erwerb von Wissen überhaupt generell gleichbedeutend mit Buchbesitz sein musste, wie elitär oder allgemein verbreitet beide waren. Hier soll ein pragmatischer Ansatz versucht werden, ohne den einen Autor gegen den anderen auszuspielen. Es wird nicht bestritten, dass Bücher und Texte eine große Wertschätzung genossen haben insofern es viele Menschen gab, welche ihnen diese Wertschätzung entgegenbrachten. Es kann auch nicht bezweifelt werden, dass der innovativen und kulturgeschichtlich bedeutenden Leistung vieler Bibliotheksgründungen in islamisch dominierten Ländern in vielen Teilen Europas lange Zeit nichts Vergleichbares zur Seite gestellt wer- den kann. Aber es soll auch nicht außer Acht gelassen werden, dass Bücher für große Teile der Bevölkerung entweder aus bewusstem Desinteresse keine Rolle spielten oder aus ökonomischen Gründen keine Rolle spielen konnten. Es soll außerdem nicht vergessen werden, dass die übermäßige Wertschätzung eines Buches durchaus stark von dessen Inhalt abhängen konnte. So ist die

31 Ṣiddīqī: as-Suyūf al-ḥidād, S. 288. 32 Vgl. die Stiftungsurkunde MSD siǧill 49 / waṯīqa 617 / S. 202–203. 33 Vgl. Ġazzī: Luṭf I, S. 140: Der Damaszener Sufi Muḥammad Ibn Ġazāla (gest. 1004 / 1595–96) erfährt diese Anekdote von seinem ägyptischen Scheich Abū l-Ḥasan al-Bakrī: “ṯumma taraktu muṭālaʿat al-kutub wa-aqbaltu mulāzamat al-wālid ʿalā l-iǧtihād ḥattā futiḥa lī”. 34 Vgl. Muḥibbī: Ḫulāṣat III, S. 82, Nr. 680. Einleitung 11

überragende Rolle des Korans (als Text genauso wie als Buch) in einer isla- mischen Gesellschaft unbestreitbar und seine Verehrung auch in literaturfer- nen Milieus allgegenwärtig. Trotzdem konnten nicht konforme Texte nicht auf die Bibliophilie der islamischen Gesellschaft bauen und solche Werke wur- den gerade durch fromme Buchliebhaber zerstört.35 Auch die großangelegte Bücherverbrennung war nicht unbekannt.36 Statt zu entscheiden, ob eine Kultur mit einer mehrere Kontinente umspannenden Verbreitungsgeschichte über mehr als tausend Jahre in ihrer Gesamtheit und unter den verschiedensten Einflüssen bibliophil oder buch-, gar bildungsfeindlich war, soll in einem konkreten geographischen und zeitlichen Rahmen – dem des osmanischen Bilād aš-Šām im weiteren und des spätosmanischen Damaskus im engeren Sinne – versucht werden, der vielge- staltigen und zuweilen widersprüchlichen Ausprägung einer Buchkultur nach- zuspüren. Dass sich hier viele Parallelen mit anderen Regionen und Epochen ergeben und diese auch oft benannt werden, versteht sich dabei von selbst.

Neue Wege der Forschung

Vor allem die europäische Buchgeschichte hat bereits seit einiger Zeit neue Konzepte für die Erforschung von Büchern und Bibliotheken propagiert und erprobt. Speziell für Handschriftenstudien steht hier nicht mehr die posi- tivistische Etablierung möglichst korrekter Originaltexte im Mittelpunkt, sondern die Umstände von deren Produktion, Überlieferung, Rezeption und materieller Präsentation, welche als historische Kontextualisierung von Literaturgeschichte den behandelten Werken ihre historische Dimension

35 Vgl. Nachweise bei Hirschler: The written word, S. 200–201; Rosenthal: Of making many books, S. 39. 36 Vgl. Mez: Die Renaissance, S. 167; Bergé: Justification; Rosenthal: Of making many books, S. 39, 51; Wasserstein: The library of al-Ḥakam II, S. 103; Ḥazīmī: Ḥaraq al- kutub (anders als der Titel suggeriert, geht es in dieser Zusammenstellung von historischen Anekdoten um Büchervernichtung aller Art); der heute besonders als Historiker geschätzte Ibn Ḫaldūn verfasste nach seiner Ankunft in Kairo 784 / 1382 eine Fatwa, in welcher er zum Verbrennen oder Abwaschen von ihm als heterodox betrachteter sufischer Werke (explizit genannt sind Ibn ʿArabī, Ibn Sabʿīn, Ibn Barraǧān) aufrief, vgl. Morris: An Arab Macchiavelli?, S. 249. Demgegenüber darf man aber die behauptete Brandschatzung der berühmten Bibliothek von Alexandria in das Reich der Sagen verweisen, wie es passen- derweise zuerst ein Leipziger Arabist gezeigt hat, vgl. Krehl: Über die Sage. 12 Einleitung zurückgeben.37 Ein wichtiger Ideengeber im deutschen Sprachraum war hier bereits seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die überlieferungsgeschicht- liche Methode der mediävistischen Germanistik, welche aber keine überra- gende Rezeption im Fach erfahren hat.38 Diese überlieferungsgeschichtlichen Ansätze gehen von einer mehr oder weniger akzentuierten philologischen Fragestellung aus. Sie verfolgen Bücher, um Texte in ihrer Entwicklung und Überlieferung fassen und letztlich edie- ren zu können, besonders wo die positivistische Rekonstruktion eines auto- ritativen Urtextes nach dem Willen des Autors vielfach nicht mehr als praktikabel erscheint. Demgegenüber hat die „historische Leserforschung“ den Blickwinkel umgekehrt auf das Publikum und seine sozialen Wirklichkeiten als Voraussetzung für den Umgang mit Büchern.39 Die Leserforschung gibt sich nicht damit zufrieden, aus der Untersuchung eines Textes auf das intendierte Publikum zu schließen, sondern sucht nach konkreten Fällen und Formen dokumentierter Lektürepraxis. Die historische Einordnung und Darstellung ergibt sich damit aus der Bedeutung für das zeitgenössische Publikum, nicht in erster Linie aus der Auswertung der autonomen Kriterien einer modernen literaturwissenschaftlichen Analyse.40 Untersuchungen spezifischer Buchkulturen, die potentiell alle Aspekte vom Autor über die Produktion der konkreten Textzeugen bis zu deren Rezeption durch das Lesepublikum als sich immer gegenseitig bedingende organische Einheit betrachten, sind tendenziell vom spezifischen Werk abstrahiert und nehmen die kulturelle Praxis in den Blick, deren Teil und spezifische Ausprägung Bücher sein konnten. Um ein solch komplexes System zu verfolgen, bedarf es einer ebenso komplexen Quellengrundlage, es braucht die Stimme des Lesers genauso wie die des Produzenten und kommerziellen Mittelsmannes. Die meisten Fallstudien, Überblicke und methodischen Ansätze existieren dann auch für die Zeit des gedruckten Buches, welche in Europa zusammenfällt mit der Zeit des überlieferten Briefes, des privaten Archives, der Autobiographie, der zählbaren Auflagen oder der dokumentierten kommerziellen Strukturen von Verlegern und Buchhändlern. Darnton definiert seine einflußreiche „his- tory of books“ explizit als eine Geschichte des gedruckten Buches. Sein „com- munications circuit“ sieht Literaturproduktion als einen Kreislauf, in der Texte vom Autor über das komplexe kommerzielle System des Buchhandels zum

37 Vgl. den Forschungsstand im Bereich der Mediävistik bei [Stolz / Mettauer]: Einleitung, S. 2–4. 38 Vgl. den Überblick in Williams-Krapp: Die überlieferungsgeschichtliche Methode. 39 Vgl. den Überblick bei Raabe: Bibliotheksgeschichte und historische Leserforschung. 40 Vgl. Schneider: Sozialgeschichte des Lesens, S. 7–14. Einleitung 13

Leser gelangen, welcher jedoch durch seine – erfahrene oder antizipierte – Rezeption auch die Produktion von neuen Texten beeinflusst: „from thought to writing to printed characters to thought again“.41 Eine Übertragung des Forschungsansatzes auf eine Handschriftenkultur kann diese Definition offenkundig nicht als starre Bedienungsanleitung betrachten. Viele der in einer Welt des gedruckten Buches erfolgversprechen- den Methoden lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Erforschung einer Handschriftenkultur übertragen. Im deutschsprachigen Raum hat daher der methodisch offene Begriff der Buchkultur zuletzt größere Wirkungskraft ent- faltet. So ist dieser besonders für mediale Übergangszeiten praktikabel, wie es jüngst für das Venedig der Renaissance beim Übergang von der Handschriften- zur Druckkultur gewidmet worden ist.42 Die hier kurz skizzierten Fragestellungen und Forschungsansätze werden in den folgenden Kapiteln auf eine Damaszener Privatbibliothek angewendet werden. Dabei betritt diese Untersuchung kein vollkommenes Neuland in der buch- und bibliotheksgeschichtlichen Forschung der orientalistischen Fächer. Auch hier sind die neuen Entwicklungen der auf europäische Buchkulturen zie- lenden Forschung in letzter Zeit vermehrt auf fruchtbaren Boden gefallen. Zwei der für diese jüngsten Untersuchungen besonders wichtigen Charakteristika werden auch in der vorliegenden Arbeit eine bedeutende Rolle spielen. Die erste ist eine Ausweitung der Quellengrundlage. In den letzten Jahren hat sich eine erfreuliche Tendenz gezeigt, Fallstudien und Überblicke auf eine Vielzahl dokumentarischer Quellen zu stützen. Bibliothekskataloge,43 Nachlassregister,44

41 Darnton: What is the history of books?, S. 67. 42 Fremmer: Venezianische Buchkultur, S. 6–27, wo der Forschungsstand summiert wird. 43 Voguet: L’inventaire; Déroche: A note on the medieval inventory; Hirschler: ‚Catching the eel‘. Eine einzigartige Zusammenstellung und Edition historischer Bibliothekskataloge und damit der Bibliotheksbestände verschiedenster Institutionen – Moschee- und Madrasenbibliotheken, Stiftungen von Herrschern, Politikern und Bürokraten – aus fast allen Provinzen des osmanischen Reiches bietet der bisher kaum beachtete Band VII von Gustav Flügels Edition des Kašf aẓ-ẓunūn Ḥāǧǧī Ḫalīfas. Wenn er auch in der neueren Forschung über die Geschichte der Bibliotheken in osmanischer Zeit nicht herangezo- gen wurde, so hat interessanterweise ein Damaszener Schriftsteller, Ḥabīb Zaiyāt, bereits Ende des 19. Jahrhunderts von seinen Informationen Gebrauch gemacht, eine inter- essante Notiz zur Rezeption europäischer Drucke in Syrien in einer noch stark von der Handschriftentradition geprägten Umwelt; vgl. Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 8. 44 Anastassiadou: Livres et “bibliothèques”; Establet / Pascual: Les livres des gens; Haarmann: The library; Hanna: In praise of books; Reindl-Kiel: Some notes on Hersekzade, S. 322–325; Sabev: Private book collections; Shinder: Mustafa Efendi; Sievert: Verlorene Schätze; Uluç: Ottoman book collectors; Veselý: Bibliothek. 14 Einleitung

Stiftungsurkunden45 oder Kaufverträge46 geben qualitativ neue Einblicke in die Welt der Bücher, welche literarische Quellen in dieser Art selten oder nie gewäh- ren. Das auf den Seiten der Handschriften selbst überlieferte dokumentarische Material47 ist Gegenstand einer erst langsam Kontur gewinnenden Forschung, welche Bücher nicht nur als Medium zur Überlieferung literarischer Texte, son- dern als Quelle für deren Geschichte und Rezeption versteht.48 Der zweite wichtige Ansatz besteht darin, überkommene Periodisierungs­ modelle in Frage zu stellen und damit verbunden Epochen in den Blick zu nehmen, die bisher pauschal abgewertet wurden. Dies ist besonders wich- tig für eine Arbeit, die sich wie die vorliegende chronologisch in der prekä- ren Lage eines doppelten Niedergangsnarrativs positioniert. Wenn bereits der Sturz des abbasidischen Kalifats von Bagdad im Jahr 656 / 1258 traditio- nell als Endpunkt eines goldenen Zeitalters angesehen wurde,49 so wurden innerhalb dieser „nachklassischen“ Zeit die sozialen Veränderungen sowie die wirtschaftlichen und militärischen Machtverschiebungen im speziellen Kontext des Osmanischen Reiches – und zwar bereits in der zeitgenössischen Literatur – ebenso als allgemeiner Abstieg betrachtet,50 wodurch das Interesse der Forschung gerade an den arabischen Provinzen erst mit der als Renaissance empfundenen literarischen Bewegung der Nahḍa im 19. Jahrhundert wie-

45 Ibrāhīm: Dirāsāt fī l-kutub wa-l-maktabāt (für mich leider nicht erreichbar); Naššār: Tārīḫ al-maktabāt; Behrens-Abouseif: The waqf of a Cairene notable; Wilkins: The self-fashioning, S. 400–411. 46 Salati: Libri, lettori, bibliofili. 47 Daaїf / Sironval: Marges et espaces blancs (vgl. jedoch meine kritische Betrachtung dieses Aufsatzes in Liebrenz: Rezension); Gardiner: Forbidden knowledge, S. 111–123; Liebrenz: The library; Muranyi: Fragmente (dies ist allerdings eine vor allem litera- turgeschichtliche Studie, in welcher die Bibliothek Abū l-ʿArab at-Tamīmīs nur im Titel eine Rolle spielt); Stanley: The books of Umur Bey, S. 325–330, vgl. dazu bereits Raby / Tanindi: Turkish bookbinding, S. 33–37, 227. Noch kurz vor Drucklegung dieses Buches erschien Heinzelmann: Populäre religiöse Literatur, welcher Paratexte als eine sei- ner Hauptquellen hernazieht, jedoch die einschlägige vorangegangene Literatur nicht zur Kenntnis nimmt. Ebenfalls kürzlich erschienen, mir aber noch nicht zugänglich ist Sezer: The oral and the written, welches Lesevermerke in einer Handschrift eines epi- schen osmanischen Werkes aus dem 18. Jahrhundert untersucht. 48 Vgl. Déroche: Islamic codicology, S. 311–344. 49 Prominentes und wirkmächtiges Beispiel ist immer noch Brockelmann in seiner GAL, der die arabische bzw. – nach seinem Schema – islamische Literatur mit der Eroberung Bagdads durch die Mongolen in einen stetigen Niedergang bis in seine Gegenwart einord- net; GAL, Band 2: „Der Niedergang der islāmischen Literatur“. 50 Vgl. Howard: Ottoman historiography and the literature of “decline“; Sajdi: Peripheral visions, S. 8–9; Heinzelmann / Sievert: Einleitung, S. 12. Einleitung 15 der erstarkte. Diese qualitative Wertung verschiedener Epochen hat noch immer eine nicht zu unterschätzende Ausstrahlung, doch neuere Forschung hat sowohl deren Validität wie Nützlichkeit in Frage gestellt und vormals vernachlässigte Regionen und Epochen sind zuweilen Gegenstand eines lebhaften Forschungsinteresses geworden. Besonders die Hinwendung zu den dokumentarischen Quellen der Gerichtsakten seit den 1970er Jahren hat hier einen spürbaren Aufschwung gebracht. Die Untersuchung der Rifāʿīya ist also glücklicherweise nicht mehr in einem schwarzen Loch von post-Klassik und prä-Renaissance gefangen. Das jüngste, in den größeren Fragekomplex der gesellschaftlichen Rolle von Schriftlichkeit und Oralität gestellte Überblickswerk, Hirschlers The written word in the Medieval Arabic lands, wendet sich explizit gegen das Paradigma eines goldenen Zeitalters kultureller Produktion in der Hochzeit des abbasidischen Kalifates indem es die anschließende Periode des angeblichen Niedergangs besonders unter den Mamluken in Ägypten und Bilād aš-Šām in den Mittelpunkt stellt.51 Hirschler kann dafür u.a. Hör- und Überlieferungszeugnisse oder den alten Katalog einer Damaszener Bibliothek der späten Ayyubidenzeit heranziehen, muss seine Ergebnisse aber vor allem aus einer kritischen Durchsicht der literari- schen Quellen ziehen. Dagegen kann die Forschung zur osmanischen Periode ab dem 16. Jahrhundert auf eine breitere dokumentarische Grundlage auf- bauen. Doch hat dieses sehr viel reichhaltigere Material bis zur Einführung des Buchdruckes keine vergleichbar große Aufmerksamkeit erfahren. Die meiste Arbeit in quantitativer wie qualitativer Hinsicht ist in dieser Epoche für das Zentrum des Osmanischen Reiches, also Istanbul und Anatolien, und dessen politische wie kulturelle Elite geleistet worden, wobei die Arbeiten Erünsals zu Stiftungsbibliotheken und Sieverts zu den in Nachlässen greifba- ren Privatbibliotheken besonders hervorzuheben sind.52 Die Peripherie und die arabischen Provinzen sind demgegenüber noch weitgehend unbearbeitet. Neben der wachsenden Zahl detaillierter Einzelstudien mit zum Teil sehr engem Fokus sind jüngst in kurzen Abständen Versuche erschienen, diese neuen Ansätze zu systematisieren und in eine programmatische Forschungsperspektive zu überführen. Nicht ohne Grund leiten sie allesamt Sammelbände ein, die mit ihren disparaten Schlaglichtern eine im Fluss befindliche Entwicklung zu fassen versuchen, wo ein kohärenter Überblick verfrüht und verfehlt wäre. Hier werden also bereits Richtungen ­gewiesen,

51 Hirschler: The written word, S. 3. 52 Sievert: Zwischen arabischer Provinz; Ders.: Verlorene Schätze; Ders.: Eavesdropping on the Pasha’s salon, S. 166–190; Erünsal: Türk kütüphaneleri Tarihi; Ders.: Ottoman libraries. 16 Einleitung wo die Erarbeitung der Quellen noch geleistet werden muss. Vor allem Heinzelmann / Sievert53 haben in der Einleitung von Buchkultur im Nahen Osten sehr kompetent die wichtigsten Fragen und Methoden zukünftiger Forschung skizziert. Sie beschreiben die Erforschung einer Buchkultur, in wel- cher die Handschriften Teil der materiellen Kultur und eine vorzügliche Quelle für deren Geschichte sind. Der Begriff der Buchkultur steht für sie dabei für eine Positionierung am Kreuzweg verschiedenster methodischer Ansätze und Quellen zwischen Kodikologie, Textkritik und Rezeptionsgeschichte, die weit über das in dieser Arbeit gesteckte Feld der Bibliotheks- und Lesegeschichte hinausgehen. Bereits Darnton hatte in seinem frühen Überblick What is the history of books? die unüberschaubare Menge an methodischen Ansätzen als große Herausforderung beschrieben.54 Mit den heute zur Verfügung stehen- den Informationen lässt sich die idealtypische, facettenreiche Studie einer Buchkultur wie sie Heinzelmann / Sievert skizzieren kaum verwirklichen. Görke / Hirschler ordnen in Manuscript notes as documentary sources das Studium von in Handschriften zu findenden sekundären Vermerken (manu- script notes) – ein zentraler Baustein auch der vorliegenden Arbeit – in die zunehmende Auswertung dokumentarischer Quellen durch die orientalisti- sche Geschichtsforschung ein.55 Auch Ghersetti betont in der Einleitung des von ihr herausgegebenen, thematisch besonders weit gefassten Bandes The book in fact and fiction den Quellenwert des Buches als Ausdruck materieller und intellektueller Produktion, besonders mit Blick auf die Weitertradierung von Wissen. Sie bezieht sich dabei explizit auf Darntons Konzept einer Sozialgeschichte der Ideen (social history of ideas). Dabei ist es ihr insbeson- dere gelungen, die Bedeutung des Gegenstandes herauszustellen ohne ihn unverhältnismäßig mit Wertung aufzuladen: sie beschreibt Bücher zwar als mögliches Objekt emotionaler Bindung, jedoch einer, die potentiell ebenso von Hass wie Liebe getragen werden kann.56 In zwei zentralen Punkten möchte die vorliegende Studie an die skizzier- ten Forschungsansätze anknüpfen und sie qualitativ und quantitativ fortfüh- ren: Zuerst wird dies die erste Untersuchung sein, die auf ein Datengerüst von systematisch aus einer sehr großen Zahl von Handschriften zusammenge- tragenen Sekundäreinträgen (zum Begriff s.u. Abschnitt „Sekundäreinträge“) aufbauen kann. Zweitens wird sie die erste umfassende regionale Studie einer arabischen Buchkultur der „nachklassischen“ osmanischen Zeit sein.

53 Heinzelmann / Sievert: Einleitung. 54 Vgl. Darnton: What is the history of books?, S. 66–67. 55 Vgl. Görke / Hirschler: Introduction, S. 10–11. 56 Vgl. Ghersetti: Editor’s introduction. Einleitung 17

Während die Darstellungen der Bibliotheken, Bibliophilen und Lesewelten des abbasidischen Bagdad oder des fatimidischen Kairo – nicht selten äußerst ­repetitiv – mehrfach ausführlich betrachtet wurden und in Überblicken als die vermeintliche Idealform islamischer Bibliotheken die Darstellung fast allein bestimmen, werden die entsprechenden Entwicklungen der osmanischen Zeit vor dem Ende des 19. Jahrhunderts in Überblicken wenn überhaupt nur sehr kurz abgehandelt. Pedersen etwa schreibt in einem um die 20 Seiten langen Kapitel zur arabischen Bibliotheksgeschichte einen einzigen Absatz zur vier Jahrhunderte währenden osmanischen Periode.57 So reich wir auf der einen Seite an Informationen aus den Chroniken, geo- graphischen Werken und biographischen Lexika über die Bibliotheken aus vie- len Epochen und Regionen der islamischen Geschichte sind, so arm sind wir doch an greifbaren Bibliotheken. Das nach bisherigen Informationen einzige bis in unsere Tage unverändert überlieferte Beispiel einer vormodernen arabi- schen Privatbibliothek ist die 1853 in Damaskus durch den preußischen Konsul Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905) angekaufte und seitdem in Leipzig ver- wahrte Rifāʿīya. Sie ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die Rifāʿīya wird das Prisma sein, an dem viele disparate Informationen unterschiedlichster Quellen gebrochen und zu dem Gesamtbild einer regionalen Bibliothekskultur gebündelt werden sollen. Der Fokus liegt damit automatisch auf Damaskus und den ersten drei Jahrhunderten osmanischer Oberhoheit über diese Stadt und Provinz. Am Ende wird ein Überblick stehen, der stark von dem dispa- raten Quellenmaterial geprägt ist, welches Informationen nicht gleichmäßig über alle Regionen und alle Jahrhunderte verteilt. Die Studie erhebt demnach explizit nicht den Anspruch, etwas Gültiges zur Bibliothekskultur anderer Regionen oder Epochen zu sagen. Vereinfacht gesagt: Das Damaskus des 18. und 19. Jahrhunderts ist nicht wie das nahe Aleppo, es ist noch viel weniger ein Abbild des gleichzeitigen Konstantinopel und es ist schon gar nicht vergleichbar mit dem abbasidi- schen Bagdad, dem umayyadischen Cordoba oder dem fatimidischen Kairo. Diese Zusammenhänge aber suggeriert die Literatur oft genug. Deren einzige Konzession an historische Entwicklungen ist – nicht zuletzt noch immer in der arabischsprachigen Forschung selbst – meist das Paradigma vom Niedergang / decline / inḥiṭāṭ.58 Gemeinsamkeiten über Grenzen und Zeiten hinweg hat

57 Vgl. Pedersen: The Arabic book, S. 129. 58 Einen Überblick über die prominenten Beispiele dieses Ansatzes gibt Hirschler: The written word, S. 124–125. Für arabische Stimmen aus Syrien seit der spätosmanischen Zeit vgl. Tamari: Ottmoman madrasas, S. 105–106. Eine beeindruckende Kritik des hinter dem Niedergangs-Paradigma stehenden Denkmusters findet sich in Bauer: In search, bes. 18 Einleitung es natürlich gegeben, doch diese kenntlich zu machen und gleichzeitig die Unterschiede herauszuarbeiten wird es noch vieler Detailstudien bedürfen. Diese Arbeit versteht sich somit als Untersuchung eines Teilsystem des vollen „communications circuit“ im Sinne Darntons.59 Bücher werden hier in ihrer Rolle als Scharniere zwischen dem produzierten Text und seinem Leser betrachtet. Ob und wie diese materielle Überlieferungssituation – mit Mulsow gesprochen eine „natural history of the discourse“60 – wiederum rück- wirkte auf die literarische Produktion wird erst noch in umfassender Weise zu untersuchen sein. Dieses Teilsystem zeichnet sich durch eine vergleichs- weise sehr gute und hier erstmals systematisch erschlossene dokumentari- sche Quellenlage aus. Einiges, was für den sozio-kulturellen Rahmen einer Buchkultur eine ganz eminente Bedeutung hat, muss hier jedoch bewusst aus- geklammert bleiben. Das gesamte Feld der Alltagsschriftlichkeit, so wichtig für den Blick über die Grenzen der hohen Gelehrsamkeit hinaus, gehört dazu.61 Dazu trägt nicht zuletzt die Knappheit an originalen Quellen bei, besonders sind nicht-literarische Briefe in der hier untersuchten Periode extrem selten.62 Das gleiche gilt für die Erwerbung von aktiver und passiver Schriftkompetenz, besonders in der Schule.63 Schon über die Frage, wie hoch der Anteil von Schreib- und/oder Lesekundigen in der Gesellschaft war, kann nur spekuliert werden. Die sehr unsichere Quellenlage in der osmanischen Zeit lässt hier kaum gültige Aussagen zu. Schließlich ist uns mit den mündlichen Formen der Literatur – Reime, Lieder, Theaterspiele – ebenfalls ein substantieller Teil der Kultur verlorengegangen und nur noch in wenigen Reflexionen durch die Rezeption der verschriftlichten epischen Literatur oder Berichte von Reisenden ein Abglanz erhalten. Und auch das Verhältnis der zirkulierenden und rezipierten zur produzierten Literatur kann nur durch aufwändige statis-

S. 141–144. Vgl. zum Gebrauch des Niedergangs-Motivs bereits im osmanischen Diskurs zur Einführung des Buchdrucks im 18. Jahrhundert Al-Bagdadi: From heaven to dust, S. 85–87. 59 Schematisch dargestellt in Darnton: What is the history of books?, S. 68. 60 Mulsow: Socinianism, S. 577. 61 Entsprechende Studien können sich methodisch an Bagnall: Everyday writing, orien- tieren, der die Welt der Alltagsschriftlichkeit in der Spätantike beschreibt. Orientierung für zukünftige Forschung bietet Hanna: Literacy and the ‘Great Divide’; Dies.: Literacy among artisans and tradesmen, S. 320–324. 62 Die Angaben im Kapitel Correspondence and Postal Systems im Vorwort von Akkach: Letters of a Sufi scholar, S. 15–21, sind in diesem Punkt nicht sehr hilfreich, da sie anachro- nistisch die Literatur zur vorosmanischen Periode rezipieren und hierin außerdem auf offizielle, staatlich organisierte Korrespondenz fokussiert. 63 Vgl. für die vorosmanische Zeit Hirschler: The written word, S. 82–123. Einleitung 19 tische Erfassungen etwa von Zitaten und Querverweisen herausgearbeitet wer- den. Hier können jedoch erste Schritte in diese Richtung getan werden, indem das verstärkte Auftreten bestimmter sozialer und konfessioneller Gruppen als dokumentierte Leser und Besitzer von Büchern mit der Zirkulation bestimm- ter Literaturgattungen in Zusammenhang gebracht wird (Kap. 3).

Quellen

Die historische Region Bilād aš-Šām und insbesondere die Stadt Damaskus bieten sich für eine Studie der Buchkultur in besonderem Maße an. Sie ist durch eine ganze Reihe von zu großen Teilen edierter Chroniken und Biographiensammlungen eine der prosopographisch am besten erschlossenen Regionen der arabischen Welt. Die Autoren dieser Quellen maßen dem schrift- lichen Ausdruck naturgemäß eine große Bedeutung zu, die meisten von ihnen gehörten zu einer Bildungselite, deren nahezu alltäglicher Umgang mit Texten, Büchern und Bibliotheken vorausgesetzt werden kann. Die von ihnen gegebe- nen Informationen können also oft direkt für die Erforschung von intellektuel- len Aktivitäten, in deren Rahmen auch die Buchkultur zu verorten ist, nutzbar gemacht werden. Diese reichhaltigen literarischen Quellen könnten außerdem in selten erreichbarer Form mit dokumentarischen Quellen in Verbindung gebracht werden, da die syrischen historischen Gerichtsarchive besser zugäng- lich und daher von der Forschung auch ausgiebiger verwertet wurden, als dies in anderen Regionen der Fall ist. Für die vorliegende Arbeit sind jedoch in ers- ter Linie die im Folgenden ausführlich zu besprechenden Sekundärvermerke in Handschriften wichtig. So kann gerade das Zusammenspiel literarischer und dokumentarischer Quellen mit den Büchern als eines ihrer Ziele ange- sehen werden. Dadurch sollen nicht nur diese Bücher selbst aus verschiede- nen Blickwinkeln beleuchtet werden. Im Mittelpunkt sollen vielmehr die Menschen und Strukturen hinter den Büchern stehen. Diese Menschen spielen aber in den Handschriften nicht nur der Rifāʿīya eine äußerst prominente Rolle. Sie haben als Besitzer, Leser, Entleiher, Stifter oder Händler ganz bewußt ihre Spuren in den Büchern hinterlassen. Allein die erhaltenen – also ohne die große Zahl mutwillig oder durch Abnutzung zerstörter – Sekundärvermerke in den weniger als 500 Handschriften der Rifāʿīya belaufen sich auf etwas mehr als 1.000 Einzelnotizen. Hinter jeder die- ser Notizen steckt eine Persönlichkeit, eine Buchgeschichte, ein Leseerlebnis. Viele der großen Schriftkulturen kennen diese Formen der Verewigung, seien es die Stempel ­chinesischer imperialer oder Privatbibliotheken oder die Ex-Libris europäischer Buchbesitzer bis zum heutigen Tag. Doch die Fülle und 20 Einleitung

Überlieferungsdichte des in den hier untersuchten hauptsächlich arabischen Handschriften anzutreffenden Materials ist ebenso herausragend wie die Möglichkeit, die so dokumentierten Personen und Institutionen anhand einer sehr ausgeprägten zeitgenössischen biographischen Sammeltätigkeit auch zu identifizieren. Kaum eine andere vormoderne Buchkultur dürfte sich prosopo- graphisch so detailliert rekonstruieren und analysieren lassen, wie es diejenige weiter Teile des Nahen und Mittleren Ostens mit Hilfe der Sekundäreinträge verspricht. Während wir etwa über das kommerzielle System für die Verbreitung gedruckter Bücher in Europa insgesamt eine Masse an Informationen besitzen, gilt das gleiche nicht für deren Rezeption durch den individuellen Leser. Bereits bei Darnton galt: „Reading remains the most difficult stage to study in the cir- cuit followed by books“.64 Hier kann hingegen der Historiker des arabischen Buches aus den Vollen schöpfen. Nicht zuletzt die überschaubare Menge an Textzeugen erlaubt eine relativ systematische Erfassung: Eine ganze Sammlung arabischer Handschriften wie die Rifāʿīya, aber sogar so gewaltige Massen wie die im 19. Jahrhundert zusammengetragenen Bibliotheken in der Berliner Staatsbibliothek, komplett durchzugehen und nach Spuren ihrer Benutzung und Geschichte zu durchsuchen, ist nach menschlichem Ermessen auch für einen einzelnen Forscher eine lösbare Herausforderung.

Sekundäreinträge Wie auf vielen arabischen Handschriften so finden sich auch auf denen der Rifāʿīya große Mengen an Textzeugnissen, die nicht zu dem in ihnen überlieferten literarischen Werk gehören: Schreibübungen, Verse, Sprüche, Rechnungen, Rezepte, Biographisches zum Autor, Nachrichten von Geburten und Sterbefällen, Ereignisse des eigenen Lebens oder der Umwelt, Dokumentationen zur Überlieferung des Werkes sowie zur Benutzung des Buches durch den jeweiligen Schreiber. Der im Rahmen des Refaiya-Projektes geprägte und im Folgenden benutzte Begriff Sekundärvermerke meint in Abgrenzung davon jedoch all jene Notizen, welche direkte Aussagen zur Benutzung und Transmission sowie biographischen Daten der mit dem Buch in Kontakt gekommenen Menschen machen. Dies sind Besitzer-, Leser-, Kopisten-, Überlieferungs-, Dedikations-, Auftrags- und Stiftereinträge, dazu Geburts- und Sterbevermerke und im Einzelfall auch nicht direkt auf das Buch bezogene Dokumentationen etwa von Verträgen und Abrechnungen, sofern sie Hinweise auf dessen Umfeld enthalten.65 Sie wurden, ausgehend von

64 Darnton: What is the history of books, S. 74. 65 Überblick über das zu findende Material bei Görke / Hirschler: Introduction, S. 15–16. Einleitung 21 dem im Rahmen des Leipziger Refaiya-Projektes erhobenen und auf dessen Datenbank präsentierten Materials,66 für diese Studie systematisch gesammelt, im Volltext erfasst und ausgewertet. Verse und Sprüche, Auszüge aus anderen Werken (etwa zur Biographie des Autors), Kommentare zum oder Lob des Textes (taqrīẓ) sowie die verbreiteten kulinarischen, medizinischen und alche- mistischen Rezepte fallen hingegen aus dem Rahmen dieser Untersuchung, sofern sie nicht von der sie hinterlassenden Person unterschrieben wurden oder anderweitige Hinweise auf die Geschichte der Handschrift zulassen. Das Titelblatt, das Kolophon oder die Schmutzblätter am Beginn und Ende einer Handschrift waren der bevorzugte Platz für die Anbringung die- ser Sekundärvermerke. In besonderen Fällen können sich hier mehr als ein Dutzend Einträge befinden, der Rekordhalter in der Rifāʿīya versammelt auf einer Seite nicht weniger als 17 erhaltene Besitz- und Leseeinträge (Vollers 593). In Sammelhandschriften kann jedes neue Titelblatt, in mehrteiligen Werken der Beginn eines jeden ǧuz’ neue Sekundärvermerke aufnehmen. Nur sehr selten wurden Einträge hingegen an beliebiger Stelle marginal im lau- fenden Text hinterlassen, wenn man einmal von Stiftungseinträgen absieht,

Abb. 1 Auf dieser Seite finden sich Einträge von 17 Besitzern und Lesern der Handschrift. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 593, fol. 2r

66 http://www.refaiya.uni-leipzig.de/content/main/search-secentry.xml. 22 Einleitung die neben einem kompletten Text am Beginn der Handschrift eine Kurzform (meist schlicht waqf li-llāh, nur selten auch mit Nennung der Bibliothek) oder Stempel durch das gesamte Buch verteilen. Bloße Kuriositäten sind schließ- lich Fälle, in denen ein Sekundärvermerk auf der Klappe oder dem Schnitt des Buches angebracht wurde. Ebenso groß wie den Wert des erhaltenen Materials muss man aller- dings auch die Verluste an Sekundäreinträgen einschätzen. Wo sich mehrere Einträge auf einer Seite befinden, sind nicht selten zumindest ein paar von ihnen durchgestrichen, geschwärzt oder ausgekratzt. Obwohl der systemati- sche Vergleich mit anderen erhaltenen Einträgen oder die Untersuchung im Gegenlicht oder unter einer UV-Lampe auch die Identifizierung vieler der zer- störten Einträge erlaubt, muss eine Masse an unschätzbarem Material doch als unwiederbringlich verloren gelten. Besonders die Tatsache, dass so viele Handschriften ihre originalen Titelblätter oder Kolophone als die bevorzugten

Abb. 2a + b Sehr selten findet sich ein Besitzeintrag auf dem Schnitt des Buches. STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Wetzstein II 1883 Einleitung 23

Anbringungsorte verloren haben und andere durch alte Reparaturen großflä- chig überklebt wurden, lässt das Ausmaß des Verlustes erahnen. Eine historische Typologie der Sekundärvermerke ließe sich mit dem heute verfügbaren Material lediglich in Umrissen skizzieren. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie sich trotz fehlender bekannter literarischer Vorlagen bei einer weiten geographischen Verbreitung durch eine erstaunliche formale Einheitlichkeit seit sehr früher Zeit auszeichnen. Man konnte also einen gleich formulierten Besitzeintrag in einer indischen Handschrift des 17. Jahrhunderts und einer ägyptischen des 14. Jahrhunderts finden. Ein paar Hinweise zu regionalen und zeitlichen Besonderheiten oder Vorlieben lassen sich den- noch geben. Demnach waren die ersten Besitzvermerke meist sehr schlicht formulierte Notizen, in welchen auf ein ṣāra li- oder einfaches li- der Name des Besitzers folgte und die sich ansonsten jeglicher weiteren Informationen enthielten. Eines der wenigen erhaltenen Beispiele dieses „Urtyps“ eines Besitzervermerkes findet sich in der ältesten Handschrift der Rifāʿīya, Vollers

Abb. 3 Sehr viele Einträge sind durch Zerstörung verloren gegangen. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 15, fol. 1r 24 Einleitung

Abb. 4 Die ältesten Besitzeinträge in der Rifāʿīya aus dem späten 4. / 10. bis frühen 5. / 11. Jahrhundert. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 505, fol. 56r

505, einer Sammlung dreier poetischer Dīwāne, die im Jahr 380 / 990 in Bagdad kopiert wurde. Hier findet sich auf fol. 56r der Eintrag von Ṭāhir b. Muḥammad b. ʿAbd ar-Raḥīm b. Muḥammad Ibn Nubāta: ن م� ن �ص�ا ر �ل��ط�ا �هر ب�� ح�م�د ب�� � بع���د ا �لر�يح�����م ن م� ن ن ت ة ف ق ت ب�� ح�م�د ب�� ��ب��ا ��� و�����ه ا �ل��ل�ه �ل��ط�ا �ع���ه

Als Enkel des berühmten Predigers ʿAbd ar-Raḥīm b. Muḥammad Ibn Nubāta al-Ḥuḏāqī al-Fāriqī (335 / 946–47 – 374 / 984–85)67 wäre die Lebenszeit des mir sonst nicht nachweisbaren Mannes in die Frühzeit dieser Handschrift anzusetzen, also Ende des 4. und Beginn des 5. islamischen Jahrhunderts. Solcherart gestaltete Einträge weisen demnach auf einen extrem frühen Entstehungszeitraum hin, doch ist noch nicht sicher, wann diese Form außer Gebrauch kam und ob dies in allen Regionen etwa zur gleichen Zeit passierte. Gleichzeitig gibt es bereits sehr frühe Beispiele für eine klassische und langlebige Formulierung von ebenfalls großer Einfachheit, die bis in die Zeit der Rifāʿīya unverändert Anwendung fand: fī + Ausdruck des Besitzes + Name. Bereits aus dem Jahr 407 / 1016–17 haben wir ein besonders prominentes Beispiel dieser Art, als der Arzt und Philosoph Ibn Sīnā (Avicenna) den Besitz eines Bandes mit zwei Traktaten Galens in der Übersetzung Ḥunain Ibn Isḥāqs und seines Schülers Ḥubaiš (Paris BNF Arabe 2859, fol. 1r)68 mit den folgenden Worten bezeugt:

67 Vgl. Ibn Ḫallikān: Wafayāt al-aʿyān III, S. 156–158; Ṣafadī: al-Wāfī bi-l-wafayāt XVIII, S. 388–390. 68 Ich beziehe mich auf die Abbildungen der Titelseite in Pormann / Savage-Smith: Medieval Islamic medicine, S. 42; Lumiére de la sagesse, S. 101. Einleitung 25 ّٰ ف� � ز � ف ق � ن � ن � � �ي� حو � ا ل������� �ي�ر ح�� يس��� ب � بع���د ا ل��ل�ه � ن ��س��� ن��ا ا �ل���م�ت���ط���� ب ف� ي ة ب ب ة � �����سن���� �����س�� ا ��ع���م�ا ��� ي� بع و ر ب ي Dabei ist die Benutzung des Wortes ḥauz – ebenso wie die etwas häufigere Ableitung ḥiyāza – zur Anzeige des Besitzes sehr selten, jedoch kein Zeichen für eine frühe Abfassung. Auf der gleichen Seite befindet sich der ebenfalls sehr früh anzusetzende Eintrag eines weiteren Arztes aus der berühmten Familie Buḫtīšūʿ: ف � � م�� ا �ل� ف������ق �� �خ�ت����� ش�� ي� ل�ك ير ب ي� وع ا � � ا � ت ل���م�����س��ي��حي� ل���م���� بط��� ب� Beide Einträge verraten ihr Alter nicht durch stilistische oder formale Kriterien. In der Folge sollte sich das Formular der verschiedenen Eintragstypen jedoch weiterentwickeln und ausdifferenzieren und konnte einen Umfang erreichen, den es so in der Frühzeit der soeben gegebenen Beispiele wohl nicht gegeben haben dürfte. Ein idealer Eintrag konnte demnach aus folgenden Elementen zusammengesetzt sein: einleitende, selbsterniedrigende Devotionsformeln aus dem semantischen Bereich der Armut, Schwachheit oder Unwissenheit (al-ʿabd, al-faqīr, al-ḥaqīr, aḍ-ḍa‌ʾīl, al-ġabīr) – Name oder Namen von Leser, Käufer, Verkäufer, Buchhändler, Ver- und Entleiher etc. – Ort und/oder Institution – Datum – Preis – Segensformeln (für den Verfasser, meist die Eltern, alle Muslime, Leser und Besitzer des Buches). Das besessene oder ­gelesene Buch konnte gepriesen werden als al-mubārak oder al-mustaṭāb. Gängige Einleitungsformeln von Besitzeinträgen waren aus den Wurzeln m-l- k, n-w-b oder seltener ḥ-w-z abgeleitet, etwa: malakahū – tamallakahū – inta- qala ilā mulk – ṣāra fī nauba – intaqala bi-ḥiyāza. Er konnte auch die Freude über oder Ehre des Besitzes ausdrücken, etwa tašarrafa bi-mulk. Oder der Besitzer war bemüht, seine Demut dadurch zu zeigen, dass er es von sich wies, im Anbetracht von Gottes Allmacht überhaupt von seinem Besitz zu reden: kaifa aqūlu hāḏā mulkī wa-l-mulk li-llāh. Der gleiche Ansatz steht hinter der häufigen Umgehung des Besitzausdruckes, indem man sein Buch als Leihgabe der Ewigkeit – min ʿawārī ad-dahr – darstellt. Leseeinträge begannen vor allem mit Ableitungen der Wurzeln n-ẓ-r und ṭ-l-ʿ: naẓarahū – ṭālaʿahū. Dabei konnte ich keinen Unterschied in der Verwendung von naẓara und ṭālaʿa feststellen,69 ja beide Begriffe kommen zuweilen in einem Eintrag synonym vor.

69 Dieser angebliche Unterschied spielt eine Rolle bei den vielen verfehlten Interpretationen von Daaїf / Sironval: Marges et espaces blancs. 26 Einleitung

Für literarisch ambitionierte Schreiber machte es sicher einen gewis- sen Reiz aus, das sehr begrenzte Repertoire an Formeln kreativ neu zusam- menzustellen. Der Reim mit dem eigenen Namen war ein recht beliebtes Stilmittel, wobei es meist die Selbstqualifizierung als arm oder Sklave in Bezug zu Gott war, welche den Reim lieferte. Wer aus der Familie Usṭuwānī stammte, bezeichnete sich mitunter als „vergänglichen Sklaven“ (al-ʿabd al-fānī), die sehr seltene Selbstbezeichnung als „al-ʿabd al-ġabī“ weist auf den folgenden Eigennamen ʿAbd al-Ġanī. Dieses Reimschema kann also, bei eini- ger Vertrautheit mit dem Material, Hinweise auf einen eventuell zerstörten Namen geben. Die Möglichkeit, immer elaboriertere Einträge zu schreiben wurde allerdings immer wieder gebrochen durch sprachlich sehr schlichte Varianten. Ein bedeutender Damaszener Gelehrter wie ʿAbdallāh al-Buṣrawī (1097 / 1686 – 1170 / 1757), der eine außerordentlich reiche Bibliothek sein eigen nennen konnte, verzichtete in seinen sehr kleinen Besitzeinträgen auf jegli- chen sprachlichen Schmuck und schrieb durchgehend nur: min kutub al-faqīr ʿAbdallāh al-Buṣrawī (in der Rifāʿīya Vollers 296, 301, 320, 505). Manch ein pom- pös anmutender Eintrag wurde hingegen von einem Mann verfasst, den seine Zeitgenossen keiner Erwähnung für wert hielten. Auch die Einträge in arabischen Büchern aus den osmanischen Kernlanden wurden meist auf Arabisch abgefasst. Auf der Ebene des Formulars findet sich die in den arabischen Provinzen seltene Konstruktion min mutamal- lakāt bzw. min mumtalakāt hier sehr viel häufiger. Auffallend ist zudem die häufigere Verwendung von Stempeln. Diese konnten auch in Verbindung mit handgeschriebenem Text auftreten, wobei der Stempel dann zuweilen den handgeschriebenen Namen ersetzte. Da ein Großteil der einfachen Stempel den gleichen Mustern und Formular folgte sowie dabei oft nur den einfachen ism, etwa Aḥmad, nannte, sind sie für eine sichere Identifizierung der Person nicht immer geeignet, können aber auch in diesem Fall Hinweise auf die Herkunft der Handschrift oder des Besitzers geben. Elaborierte Bibliotheksstempel mit sehr viel Text erscheinen ebenfalls hauptsächlich, jedoch keineswegs aus- schließlich, als ein Merkmal der osmanischen Kernlande.70 Es erscheint also perspektivisch möglich, bestimmte Einträge und Formulare einer bestimmten Zeit oder Region zuzuweisen, was gemeinsam mit anderen kodikologischen Hinweisen zur Bestimmung von Alter und Herkunft einer Handschrift verwendet werden kann.

70 Zu Stempeln vgl. Déroche: Islamic codicology, S. 335–344; Gacek: Ownership state- ments; Porter: Arabic and Persian seals and amulets; Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī II, S. 448–450; sowie die Seite der Islamic Seals Database an der Chester Beatty Library, Dublin: http://www.cbl.ie/islamicseals. Einleitung 27

Die Existenz dieser großen Zahl von Sekundärvermerken bezeugt ein unmit- telbares Interesse auf Seiten des Schreibers an der durch sie ermöglichten Dokumentation von Besitz oder Rezeption des markierten Buches. Sie könn- ten also vor allem für die Zeitgenossen bestimmt gewesen sein, ohne bereits an die Nachwelt zu denken. Aber auch als historische Quelle haben sie schon früh interessiert. Provenienz spielte auch für die zeitgenössischen Leser und Besitzer von Büchern zuweilen eine Rolle.71 Dies dürften schon Fälle zeigen, in denen die Einträge berühmter Vorbesitzer eingerahmt, Kurzformen von Namen aufgelöst und identifiziert oder als Lüge bezeichnet werden.72 Ein in der Literatur überlieferter Werktitel scheint zu suggerieren, dass Abū l-Ḥasan ʿAlī Ibn al-Qifṭī einen ganzen – jedoch wohl verlorenen – Traktat über dieses Thema geschrieben hat.73 Besonders im Falle von Stiftungseinträgen sind auch vereinzelte Fälle überliefert, die noch nach sehr langer Zeit zur Einziehung eines Buches führen konnten.74 Im 19. Jahrhundert hat dann der Damaszener Priester Anṭūn Būlād (gest. 1871) nach der Plünderung der von ihm verwalteten

71 Taouati: L’Armoire, S. 75 bringt einige zweifelhafte Beispiele an: Er beruft sich auf die Edition von al-Ǧarrāḥ: Kitāb al-Waraqa (Ed. ʿAzzām / Farrāǧ. Kairo 1953), nach welcher sich auf der dieser Edition zugrundeliegenden Handschrift ein Eintrag fand, nach dem der Käufer eines Tages das Titelblatt und die Provenienzen studieren wollte, fand, dass diese ausgekratzt waren, und mit Mühe den eigentlichen Werktitel und diese Provenienzen entzifferte. In dieser Edition findet sich davon jedoch nichts. Dort ist nur das Titelblatt mitsamt Besitzvermerken nach der Grundhandschrift transkribiert. 72 Eine Abbildung mit den nachträglich eingerahmten Einträgen bekannter Gelehrter fin- det sich etwa in Sayyid: Les marques de possession, S. 21. Die Auflösung eines Namens z.B. durch al-Ḥasan al-Būrīnī, welcher den Namen Aḥmad b. Aḥmad al-muqriʾ aus dem Jahr 944 / 1537–38 in Berlin Landberg 435 als den seinerzeit bekannten Gelehrten Walī Allāh aṭ-Ṭaiyibī identifiziert. Der Vorwurf der Lüge (kaḏb wa-llāh) findet sich unter einem Eintrag des Historikers Šaraf ad-Dīn Mūsā Ibn Aiyūb (gest. nach 1003 / 1595) in der Rifāʿīya (Vollers 593, fol. 2r). 73 Yāqūt al-Ḥamawī: Muʿǧam al-udabāʾ V, S. 2028–2029: der genannte Titel lautet Nuzhat al-ḫāṭir wa-nuzhat an-nāẓir fī aḥāsin mā nuqila min ʿalā ẓuhūr al-kutub. 74 Ibn Ṭauq: Taʿlīq II, S. 906: Als der Erbe eines um 894 / 1489 verstorbenen Tuchhändlers (ǧūḫī) dessen Koran verkaufen will, wird darin der Stiftungseintrag einer Frau aus dem Jahr 760 / 1359 in Balḫ gefunden und der Band daraufhin eingezogen. Über die Schande, die es mit sich bringt, beim eigenen Tod gestiftete Bücher im Nachlass zu haben, berichtet offenbar Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 351, jedoch in einer mir nicht restlos klaren Passage: wa-yataʿaiyanu fī hāḏihī l-aiyām an lā yuḫallifu l-maiyit ḫalfahū kutuban, fa-innahā tūǧibu ʿadam at-taraḥḥum ʿalaihī, wa-ḫuṣūṣan in kānat waqfan. Wetzstein berichtet im 19. Jahrhundert, dass die Titelblätter wertvoller Handschriften oft zerstört werden, wenn sich auf diesen Stiftungsvermerke befinden, um ihren Handel nicht zu gefährden; vgl. Wetzstein: Catalog der arabischen Handschriftenbibliothek, S. 4. 28 Einleitung

Abb. 5 Dieser Eintrag oder sein Schreiber, Šaraf ad-Dīn Mūsā Ibn Aiyūb (gest. nach 1003 / 1595), wird durch einen späteren Zusatz der Lüge bezichtigt. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 593, fol. 2r

Bibliothek des Klosters Dair al-Muḫalliṣ bei Ṣaidā im Jahr 1860 die Rückkehr der Bücher erreichen wollen, indem er einen Katalog als eine Art Steckbrief ausstellte. Als Mittel, um einzelne Handschriften genau identifizierbar zu machen, gab er teilweise charakteristische Besitzvermerke an.75 Auch die neuere Forschung hat mehrmals auf die Wichtigkeit der verschie- denen Sekundärvermerke hingewiesen,76 ohne dass dies je zu einer systema- tischen Sammlung oder Katalogisierung, geschweige denn einer Auswertung geführt hätte. Auch heute noch ist es durchaus üblich, die Sekundärvermerke bei der Erstellung von Handschriftenkatalogen nicht oder nur sporadisch zu berücksichtigen und auch bei der kritischen Edition von Texten, für welche die Handschriftengrundlage eine hervorragende Bedeutung haben muss, wird der so dokumentierten Geschichte ihrer jeweiligen Textzeugen meist kein Gewicht beigemessen. Verschiedene Faktoren können diese Vernachlässigung erklären. Zuerst ist vom Verfasser eines Kataloges kaum zu erwarten, dass er unter dem Zeitdruck sei- nes oft begrenzten Arbeitsauftrages eine immens große Zahl sperriger, schlecht geschriebener, nicht punktierter, durch Gebrauch abgeriebener oder gar mutwil- lig zerstörter Texte entziffert und die darin erwähnten Personen identifiziert. Dann mussten die kleinen Texte vielen Forschern auf den ersten Blick sicherlich auch wenig informativ erscheinen. Während etwa ein Besitzeintrag

75 Vgl. Būlād: Muḏakkirāt, S. 97. 76 Vgl. v.a. Šašan (Şeşen): Ahammīyat ṣafḥat al-ʿunwān; Saiyid: Les marques de pos- session; Gacek: Ownership statements; Déroche: Islamic codicology, S. 311–344; Liebrenz: Lese- und Besitzvermerke. Einleitung 29 im Idealfall durchaus einen ganzen Katalog an Informationen aufnehmen kann (Käufer, Verkäufer oder Vorbesitzer, Datum, Ort und Preis des Kaufes, Büchhändler, Beziehungen von Käufer zu Verkäufer, Verse etc.) beschränkten sich die meisten von ihnen auf ein reduziertes religiöses Formular, den eige- nen Namen, oft in einer Kurzform, und gaben nicht einmal durchgängig ein Datum an. Desweiteren ist in der starren Formelhaftigkeit, durch welche die Sekundäreinträge meist geprägt sind, kein großer Platz für das von Historikern so oft gesuchte Individuelle. Tatsächlich entfaltet diese Quellengattung ihr volles Potential erst bei systematischer Sammlung großer Textmengen und Identifikation der Personen, die sich zudem, anders als bei der Katalogisierung literarischer Werke, die mit den gängigen Hilfsmitteln sehr gut erschlossen sind, sehr viel schwieriger gestaltet. Außerdem hat die Forschung lange die hohe Gelehrsamkeit der vorosmanischen Zeit deutlich bevorzugt. Nicht umsonst haben die aus dem Lehrbetrieb entstandenen Überlieferungsvermerke (iǧāzāt, samāʿāt) als erste eine verstärkte Aufmerksamkeit der Arabistik und eine syste- matische Behandlung erfahren.77 Doch gerade diese letzte Quelle wird für die Geschichte der Rifāʿīya nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Zwar gibt es in ihren Büchern auch eine ganze Reihe, oft sehr alte und ausgesprochen umfangreiche, durch ihre dokumentierten Teilnehmer hochinteressante und für die Textgeschichte immens wichtige Überlieferungsvermerke. Aber diese Quelle ist in ihrer Überlieferung stark auf die vorosmanischen Jahrhunderte und inhaltlich auf wenige Genres, besonders die Traditionswissenschaft, wenn auch nicht beschränkt, so doch konzentriert. Die große Rolle, welche sie für die Erschließung des öffentlichen Unterrichtes in dieser Periode besitzt, kann sie für die Bibliotheks- und Lesegeschichte nicht spielen. Die Arbeit an der Leipziger Rifāʿiya hat zum ersten Mal die Möglichkeit erbracht, Sekundäreinträge aus verschiedenen Sammlungen arabischer Handschriften im Volltext aufzunehmen und zu analysieren. Das so gewon- nene Material konnte bisher – im Volltext und aufbereitet mit umfangreichen Metadaten – in zwei Datenbanken für die Handschriften aus Leipzig78 und Berlin79 überführt werden, denen bei Abfassung dieser Zeilen eine dritte für die aus den mehr als 3.000 arabischen, persischen und türkischen Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha gesammelten Einträge in Kürze folgen soll. Die vorliegende Studie kann dabei jedoch nicht mehr als ein Anfang sein. Ihre Datengrundlage geht zwar weit über alle bisher zur Verfügung stehenden

77 Vgl. die Pionierarbeiten von Munaǧǧid: Iǧāzāt as-samāʿ; Vajda: Les certificates de lec- ture et de transmission; Leder: Eine neue Quelle; MacKay: Certificats of transmission. 78 http://www.refaiya.uni-leipzig.de. 79 http://orient-digital.staatsbibliothek-berlin.de. 30 Einleitung

Sammlungen hinaus und kann auf ein Handschriftenkorpus recht homogener Provenienz aufbauen. Dennoch ist die Erfassung einiger tausend Handschriften nur die Spitze eines in seinen Ausmaßen noch gar nicht absehbaren Eisberges in Anbetracht der nach konservativer Schätzung noch vielen hunderttausen- den nicht ausgewerteter Bände.

Methodische Anmerkungen zu Sekundärvermerken Doch auch der bisher erreichte Stand erlaubt eine zuvor nicht dagewesene Rekonstruktion von historischen Bibliotheken und Lesebiographien. Der Aussagewert der Quellen ist dabei entscheidend für die Ergebnisse dieser Studie und muss hier daher kritisch hinterfragt werden. Eine Bibliothek ist mitnichten ein getreues Abbild der intellektuellen Ambitionen ihres Besitzers. Zum einen konnte man darauf angewiesen sein, was sowohl der Markt als auch unter Umständen die eigenen finanziellen Resourcen hergaben. Zum anderen konnte man eben durchaus vieles rezipieren, was man nicht selbst besaß – hier helfen die Lesevermerke und Lehrbefugnisse, die Lücke zu füllen, stoßen aber im Bereich der oralen Tradition an ihre Grenzen. Leser können sich an vielen Orten bedient haben: Moscheen und Madrasen, öffentliche und private Bibliotheken anderer Buchbesitzer, öffentliche Lesungen im akademischen­ oder privaten Raum. Schließlich mag man auch nicht immer Herr über die Zusammenstellung der eigenen Sammlung gewesen sein, etwa wenn man Bücher vererbt bekam. Außerdem waren Bücher in bestimmten Fällen durch- aus vor allem ein Statussymbol, und ob jeder besessene Band gelesen wurde, ist unsicher und bisweilen fraglich. Wenn wir zum Beispiel lesen, dass der Rifāʿīya- Band Vollers 853 durch seinen Kopisten, den Mystiker Ṭāhā al-Kurdī (1136 / 1723–24 – 1214 / 1799–1800)80 im Jahr 1174 / 1763 für einen anderen Damaszener Mystiker, Asʿad Ibn Kūlūh (gest. 1194 / 1780), bestimmt wurde, bekommt diese Widmung durch die literarisch überlieferte Nachricht von Asʿads Unfähigkeit, zu lesen und zu schreiben, eine ganz andere Dimension.81 Die Widmung bleibt ein wichtiger Hinweis auf die soziale Praxis der Buchkultur, das Knüpfen intel- lektueller Netzwerke, doch der mit ihr Geehrte ist kein Leser. So bleiben viele dunkle Stellen notwendigerweise bestehen. Aber die eigenen Bücher zeigen eben doch in aller Regel, wofür jemand bereit war, Geld auszugeben und wel- chen Besitz man durch einen Eintrag hervorheben wollte und ein Leseeintrag zeugt zumindest von dem Versuch, sich mit einem Text auseinanderzusetzen.

80 Vgl. Baiṭār: Ḥilyat al-bašar II, S. 752; Šaṭṭī: Aʿyān, S. 151; Qasāṭlī: ar-Rauḍa al-ġannāʾ, S. 85. 81 Vgl. Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 222: maʿa annahū kāna ummīyan, lā yaqra‌ʾu wa-lā yaktub. Einleitung 31

Die Handschriften der Rifāʿīya enthalten Sekundäreinträge verschiedenster Regionen und Epochen: es finden sich Hörerzeugnisse aus dem Bagdad des 4. / 10. Jahrhundert, Lesevermerke mamlukischer Militärs, Bestände bekannter osmanenzeitlicher Bibliotheken aus Istanbul und Kairo, Besitzer aus den gro- ßen Städten wie auch kleinen Dörfern, Stiftungen an Moscheen und Madrasen aus tausend Jahren. Doch das Material ist keineswegs gleichmäßig verteilt. Ein besonderer Glücksfall für diese Arbeit ist im Gegenteil die besonders dichte Überlieferung von Sekundäreinträgen im historischen Bilād aš-Šām. Die Dokumentation der eigenen Büchergeschichten erscheint nach dem von mir eingesehenen Material zwar kein Alleinstellungsmerkmal, aber eine bemer- kenswert sorgfältig geachtete Vorliebe vormoderner syrischer Leser gewesen zu sein. Die Fülle der hier zu findenden Informationen wird in den von mir eingesehenen Büchern ägyptischer oder zentralosmanischer Provenienz nicht erreicht, obwohl diese ebenfalls viel Material liefern. Meine, freilich auf sehr viel geringere Materialfülle gestützten, Eindrücke der Handschriften Irans und des indischen Subkontinents enthalten demgegenüber vor allem eine gewisse Zahl von herrscherlichen Bibliotheksstempeln, geben aber verhältnismäßig sehr wenige Hinweise auf privaten Buchbesitz oder Lesung. Auch in chronologischer Hinsicht zeigen sich recht klare Schwerpunkte durch eine in fortlaufender Chronologie zunehmende Dichte des Materials. In der für diese Studie zentralen osmanischen Periode erreicht sie ihren Höhepunkt, wenn auch immer noch sehr reiches Material aus den vorher- gehenden Epochen vorhanden ist. Die Gründe dafür sind jedoch nicht in einer im chronologischen Verlauf zunehmenden Dokumentationspraxis zu suchen, sondern in den generellen Überlieferungstendenzen arabischer Handschriften. Zu viele der alten Textzeugen sind nicht auf uns gekommen, zu viele Sekundäreinträge im Laufe der Jahrhunderte zerstört. Das Titelblatt, der bevorzugte Ort für die Dokumentation der Geschichte seiner Benutzung, war leider immer auch der gefährdetste Ort eines Buches. Die so gesammelten, trotz aller Verluste immer noch sehr zahlreichen Quellen bieten sich für eine Vielzahl von Einzeluntersuchungen an. Sie kön- nen für einen Zugang zur Produktions- und Rezeptionsgeschichte eines spe- zifischen Werkes herangezogen werden, wie es vor kurzem Noah Gardiners Aufsatz Forbidden knowledge? für al-Būnīs okkulte Werke demonstriert hat.82 Analog lässt sich die Geschichte einer einzelnen Handschrift über

82 Kolophone, Lese- und Besitzvermerke werden diskutiert in Gardiner: Forbidden know- ledge, S. 111–123. Ein gravierender Kritikpunkt muss bei dieser verdienstvollen Diskussion jedoch die Identifizierung eines großen Teiles der Leserschaft als Sufis allein durch die Selbstreferenzierung als „ faqīr“ oder ähnlichem sein („identified themselves as Sufis, 32 Einleitung die Jahrhunderte nachvollziehen, wobei Sekundärvermerke auch wichtige Hinweise zu deren Datierung und Lokalisierung geben.83 Bei einem größeren Korpus von Handschriften wiederum kann es gelingen, ganze Bibliotheken zu rekonstruieren, von deren Existenz die literarische Überlieferung zuwei- len gar nichts weiß.84 Abseits der konkret auf Bücher bezogenen Arbeit sind Sekundärnotizen auch eine wichtige prosopographische Quelle, die in Bezug auf Daten, Namen, Titel, Posten, Netzwerke, Lebenswege oder ähnliche Informationen nicht selten die literarischen Quellen bestätigen, korrigieren oder ergänzen kann. Im Lichte der oben skizzierten Fokussierung der reichen biographischen Literatur auf die Welt der Gelehrten, sind die Informationen über Ärzte, Soldaten oder Händler besonders zu schätzen. Auf sie soll auch in dieser Arbeit ein spezielles Augenmerk gerichtet werden. Sekundärvermerke haben also das Potential, der Buch- und Biblio­ theksforschung eine neue Qualität zu geben. Während die bereits mehrfach fruchtbar angewandte Auswertung von Nachlassregistern die Untersuchung von Besitz, nicht jedoch der Benutzung der Bücher erlaubt85 und auch die materielle und ästhetische Dimension des Buchbesitzes in den blo- ßen Titellisten dieser Quelle verlorengehen muss, kann ein Blick in die Handschriften selbst hier Hinweise geben. Was die Forschung von dieser Quelle jedoch nicht erwarten darf, ist ein Blick in den Kopf des Lesers, seine Meinungen und Reaktionen bei der Lektüre eines literarischen Werkes. Eine vornehme oder sprachlose Zurückhaltung ist das verbindende Element dieser Notizen über jegliche zeitliche, regionale und soziale Grenzen hinweg. Einzig das Bekenntnis, dass ein Buch gesegnet (mubārak, in der Rifāʿīya 71 Mal), edel (šarīf, in der Rifāʿīya 1 Mal), wertvoll (nafīs, in der Rifāʿīya 2 Mal) oder angenehm (mustaṭāb, in der Rifāʿīya nicht vertreten, sonst jedoch nicht selten) sei, muss als der einem Kommentar nächste Ausdruck gelten. Wo schon diese stereoty- pen Epitheta vergleichsweise selten sind, wird literarische Kritik fast nie geäu- ßert. Man musste wohl schon ein so eminenter Literat wie Amīn al-Muḥibbī

most commonly through inclusion of the title al-faqīr or some variant thereof prior to their name“); vgl. ebd., S. 112. Die Identifizierung durch Begriffe aus dem semantischen Feld von „arm“ oder „schwach“ (faqīr, ḥaqīr, ḍaʿīf, qalīl, ḏaʾīl‌ etc.) gegenüber Gott ist eine so universale Ausdrucksform von Frömmigkeit und Ehrfurcht, dass sie zur Identifizierung einer sufischen Neigung nur in bestimmten Kontexten und Textgattungen, wie etwa Chroniken, taugen kann. 83 Vgl. etwa Soucek / Çağman: A royal manuscript; Daaїf / Sironval: Marges et espaces blancs; Brinkmann: Die kulturelle Biographie. 84 Vgl. Liebrenz : The library. 85 Vgl. diese Einschränkung bereits bei Establet / Pascual: Les livres des gens, S. 145; Salati: Libri, lettori, bibliofili, S. 58. Einleitung 33 sein, um zumindest eine solch selbst- bewusste Einschätzung abzugeben, wie er es in der Rifāʿīya-Handschrift Vollers 553 getan hat: hier gibt er an, das Gedicht in einer Nacht durchgele- sen und eine gewisse Ähnlichkeit zu einem anderen Werk ausgemacht, es aber insgesamt frei von Künstelei und Kaprizen gefunden zu haben (wa-bi- l-ǧumla fa-hiya ḫāliya min at-taṣannuʿ wa-t-takalluf ). Als ʿAbd al-Bāsiṭ al-ʿAl- mawī (907 / 1502 – 981 / 1573) im Jahr 962 / 1554 Vollers 708 durchlas und in seinem Leseeintrag bedauert, dass er in der Kürze der Zeit keine Anmerkungen mehr machen konnte,86 bezieht sich dies sicherlich auf Marginalglossen.87 Negative Kritik ist vollends eine Rarität und war wahrscheinlich auch verpönt. Denn zumindest in der Theorie wurde das Schreiben von Einträgen durch die gleichen Regeln der Etikette geregelt wie andere soziale Kommunikationen. Ein Kommentar, der die Sīrat al-malik Badrnār (Leipzig Vollers 627) als „nutzlose Geschichte“ (sīra bi-lā fāʾida) bezeichnet Abb. 6 Der Literat und Historiker und anscheinend mit den Nächten eines Amīn al-Muḥibbī gibt in diesem langen, eisigen Winters vergleicht, ist Eintrag eine der seltenen Bewertungen des von ihm bezeichnenderweise anonym.88 ­gelesenen Textes. (Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 553, fol. 43r)

86 Leipzig Vollers 708, fol. 198v: „wa-lam [yatayassar] lī minhū at-taʿlīq li-mā fī l-waqt [min] aḍ-ḍaiq.“ 87 al-ʿAlmawī könnte mit dem taʿlīq jedoch auch eine Abschrift des Textes gemeint haben. Diese nicht lexikalisierte Bedeutung von ʿ-l-q II als Anfertigen einer Kopie findet sich regelmäßig in den Kolophonen arabischer Handschriften. 88 Hinweise auf einige negative Kommentare in epischen osmanisch-türkischen Handschriften gibt Schmidt: First-person narratives, S. 164–165. 34 Einleitung

Korpus Als Hintergrund dieser Studie dienen einerseits selbst gesammelte Sekundäreinträge – aus den Sammlungen Beirut (American University), Berlin (Staatsbibliothek: Sammlungen Wetzstein I + II, Sprenger, Landberg), Halle (Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft), Leipzig, Tübingen, im Internet zugängliches digitalisiertes Material aus Princeton,89 Riyad,90 Harvard,91 Michigan,92 Dublin (Chester Beatty Library)93 – ­andererseits in Handschriftenkatalogen mehr oder weniger systematisch erfasstes Material, hauptsächlich aus Damaskus, Oxford und Princeton. Wenn in dieser Studie der Versuch einer statistischen Repräsentation des gesammelten Materials gemacht wird, bezieht sich dieser Versuch sofern nicht explizit anders angegeben immer auf ein eingeschränktes Korpus dieses Materials, nämlich neben den Handschriften der Rifāʿīya selbst, jene aus Berlin und Tübingen mit einer Gesamtzahl von 6.500 Einträgen. Diese Sammlungen wurden alle etwa im gleichen Zeitraum und hauptsächlich im gleichen geo- graphischen Umfeld, dem historischen Syrien, erworben, was die Auswertung einer sehr homogenen Datenmenge erlaubt. Außerdem sind die Texte dieser Sekundäreinträge durch mich vollständig erfasst, was, anders als im Falle der sonst im Rahmen dieser Studie wichtigen Handschriften der Ẓāhirīya von Damaskus, eine statistische Verzerrung durch zufällige Funde ausschließt. Für die Behandlung von Einzelfällen, wie auch für den Aufbau der Datenbank, wurde allerdings auf alle verfügbaren Quellen zurückgegriffen.

Literarische Quellen: Chroniken und biographische Sammlungen Viele der in diesem Korpus überlieferten Menschen können nicht durch lite- rarische Quellen identifiziert werden, ihre Biographie bleibt dunkel und der in einem Buch hinterlassene Eintrag in vielen Fällen der einzige bisher gefun- dene Nachweis ihrer Existenz. Auch in diesen Fällen lassen systematische Auswertungen durch Hinweise auf den sozialen Hintergrund oder die regi-

89 http://library.princeton.edu/projects/islamic. 90 http://makhtota.ksu.edu.sa. 91 http://ocp.hul.harvard.edu/ihp/manuscripts.html. 92 http://www.lib.umich.edu/islamic. 93 http://www.cbl.ie/islamicseals/. Hier ist jeweils nur die Seite digitalisiert, auf der sich ein Stempel findet. Das zahlreiche Material aus der Forschungsbibliothek Gotha, Schloss Friedenstein, welche ich nach Abfassung der Dissertation aufnehmen durfte (mehr als 2.300 Einträge), konnte in die Überarbeitung dieser Dissertation nur noch punktuell und nicht mehr systematisch einfließen. Einleitung 35 onale und zeitliche Verortung von Lesern und Buchbesitzern viele wertvolle Erkenntnisse zu. Um bloße Namen aber in einen fruchtbaren Dialog mit den Büchern und deren Inhalten zu bringen, kann es sehr hilfreich sein, biogra- phische Hintergründe zu kennen. Daher sind chronistische und biographi- sche Werke eine zweite grundlegende und systematisch ausgewertete Quelle dieser Arbeit. Auch sie muss freilich viele unserer Fragen unbeantwortet lassen. Als ein- heitlich strukturierte Texte mit vergleichbaren Ordnungsprinzipien sind vor allem die biographischen Sammlungen für statistische Erfassungen und seri- elle Auswertungen mehr geeignet, als andere literarische Textgattungen.94 Die Frage, ob diese Auswertung einen besonderen Erkenntnisgewinn verspricht, ist jedoch kontrovers beantwortet worden.95 Seit Bulliets Pionierarbeit The patricians of Nishapur hat der Ansatz denn auch sehr selten Anwendung gefun- den, was jedoch nicht zuletzt mit technischen Beschränkungen erklärt wer- den muss. Deren Überwindung propagiert in jüngster Zeit Maxim Romanov mit bemerkenswerten Ergebnissen.96 Deutlich ist, dass wir in diesen Quellen keine repräsentative Auswahl, sondern eine systematische Zusammenstellung vor uns haben, in der die Hand des Autors erkennbar bleibt und deren sozi- ale wie konfessionelle Auswahlkriterien ihre statistisch erfassbaren Aussagen kritisch zu hinterfragen machen. So zeigen viele der im Folgenden vorgestell- ten Werke bereits im Titel, dass es ihnen um die aʿyān, die Notabeln97 ihrer Gesellschaft geht, zu denen ihre Autoren meist selbst zu zählen waren. Für Fragen der Buch- und Bibliotheksgeschichte in der hier behandelten Periode zeigt die Auswertung der literarischen Überlieferung klare Lücken und Ungleichgewichte: kaum eine der durch Besitzeinträge zu identifizierenden Bibliotheken wird in ihr überhaupt erwähnt, geschweige denn erfährt sie eine über die topische Nennung von Buchbesitz oder Bibliophilie hinausgehende Darstellung.

94 Bulliet: A quantitative approach, S. 195: „sheer volume of relatively standardized bio- graphical information“. Zur Typologie der Quelle vgl. auch Martel-Thoumian: Le dic- tionnaire biographique; Abiad: Origine et développement. 95 Vgl. den guten Überblick bei Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 7–8. 96 Vgl. Romanov: Computational reading. 97 Der schillernde Begriff der aʿyān oder Notabeln hat in der historischen Betrachtung vor- moderner muslimischer Gesellschaften seit den Arbeiten Albert Houranis eine zentrale Rolle gespielt und ist charakterisiert durch eine je nach Quelle jeweils mehr oder weniger akzentuierte Konzentration von politischer, militärischer, sozialer oder intellektueller Macht; vgl. den profunden Überblick bei Sajdi: Peripheral visions, S. 8–10. 36 Einleitung

Da die in den Handschriften überlieferten Sekundäreinträge aus den unterschiedlichsten Epochen und Regionen stammten, war auch für die Identifizierung der in ihnen genannten Personen ein sehr breites Spektrum an literarischen Quellen zu konsultieren. Durch die regionale Konzentration sowohl des in diesem Korpus überlieferten Materials an Sekundäreinträgen als auch vor allem den Fokus dieser Studie auf Bilād aš-Šām in der osmani- schen Periode sind deren Hauptquellen jedoch die einschlägigen Werke von Autoren dieser Region des 10. / 16. bis 13. / 19. Jahrhunderts.98 Zwei Textformen verdienen in diesem Zusammenhang besonderes Interesse: die alphabetische Aufreihung von Biographien und das in fortlaufender Chronologie nach Tagen gegliederte Geschichtswerk, in welches wiederum nicht selten ein starker Anteil an Biographien eingearbeitet wurde. Beide konnten in der zeitgenös- sischen Terminologie als tārīḫ, Geschichtswerk, bezeichnet werden. Die im Folgenden besonders relevanten Werke sollen hier kurz vorgestellt werden. Šams ad-Dīn Muḥammad Ibn Ṭūlūn aṣ-Ṣāliḥī (gest. 953 / 1546)99 war ein Autor, dessen chronistisches Werk den Übergang von der mamlukischen zur osmanischen Herrschaft umspannt. Seine umfangreiche Bibliographie zeigt einen der fleißigsten und thematisch vielseitigsten Autoren der Zeit, wenngleich viele seiner Werke Kompilationen oder gar über weite Strecken Kopien älterer Texte darstellen. Das historiographische oeuvre umfasst Biographiensammlungen von Damaszener Gouverneuren, eine Geschichte des Damaszener Vorortes Ṣāliḥīya und auch eine Autobiographie. Die hier besonders interessierende umfangreiche Chronik Mufākahat al-ḫillān ist zum großen Teil in der mamlukischen Epoche verortet, ist aber eine der grundle- genden Quellen für die ersten Jahre der osmanischen Herrschaft in Syrien. Obwohl Ibn Ṭūlūn selbst auch Bibliothekar war, erfahren wir in seinen Werken nicht besonders viel über Bücher und praktisch nichts über seine eigene bib- liothekarische Arbeit. Das biographische Werk ar-Rauḍ al-ʿāṭir von Mūsā b. Yūsuf Ibn Aiyūb al-Anṣārī (um 948 / 1541 – nach 1003 / nach 1595)100 ist einer der lebendigsten Texte des Genres, ein Umstand, der dem Autor in den Augen der zeitgenössi- chen Quellen wahrscheinlich einen etwas anrüchigen Beigeschmack gegeben

98 Ein exzellenter Überblick über einschlägige, auch viele nur handschriftlich überlieferte historiographische Texte, findet sich bei Sajdi: Peripheral visions, S. 16–33, welche auch auf eine Reihe unpublizierter Dissertationen zurückgreifen kann. 99 Vgl. zur Biographie zuletzt Conermann: Ibn Ṭūlūn. 100 Vgl. Ġazzī: Kawākib III, S. 194, Nr. 1539. Güneş (Hrsg.): Das Kitāb ar-rauḍ al-ʿāṭir, S. 2–6. Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 26–29. Einleitung 37 hat.101 Ibn Aiyūb kam aus guter Familie, deren Mitglieder häufig Richterposten bekleideten, verkehrte in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen und war etwa mit dem berühmten Emir und Poeten ʿAbd al-Laṭīf Ibn Manǧak befreun- det. Neben den literarischen Ambitionen verfolgte er eine juristische Karriere, die ihn bis zum schafiitischen Richter am größten Damaszener Gerichtshof brachte. Der Jurist al-Ḥasan b. Muḥammad al-Būrīnī (963 / 1556 – 1024 / 1611)102 war vor allem als Dichter und großer Stilist geschätzt. Seine Tarāǧim al-aʿyān min abnāʾ az-zamān sind in erster Linie eine Sammlung der mit Būrīnī selbst bekannten Männer aus der zweiten Hälfte des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts, hauptsächlich von in Damaskus und seltener auf Reisen gemachten Bekanntschaften. Demgegenüber arbeitet Naǧm ad-Dīn al-Ġazzī (977 / 1570 – 1061 / 1651)103 mit seinen al-Kawākib as-sāʾira bi-aʿyān al-mīʾa al-ʿāšira einen Jahrhundertüberblick aus. Darüber hinaus hat der diese Sammlungstätigkeit in einem weiteren Werk, dem Luṭf as-samar wa-qaṭf aṯ-ṯamar, bis in seine eigene Lebenszeit fortgeführt. Wie viele der hier versammelten Autoren gehörte Muḥammad Amīn al-Muḥibbī (gest. 1111 / 1699)104 einer der geachtetsten Damaszener Familien mit engen Bindungen nach Istanbul an. Neben einer geographisch weit aus- greifenden Sammlung der besten Poeten seiner Zeit, der Nafḥat ar-raiḥāna, die jedoch mehr eine literarische Anthologie und an biographischen Fakten denk- bar arm ist, verfasste er mit der Ḫulāṣat al-aṯar fī aʿyān al-qarn al-ḥādī ʿašar eine umfangreiche Sammlung der prominenten Männer des 11. Jahrhunderts. Muḥammad b. ʿĪsā Ibn Kannān aṣ-Ṣāliḥī (1074 / 1663–64 – 1153 / 1740)105 deckt in seiner Chronik al-Ḥawādiṯ al-yaumīya min tārīḫ aḥad ʿašar alf wa-mīya die Jahre von 1111 / 1699 bis 1153 / 1740 ab. Wenn Sajdi in seinen Schriften auch eine ständige Unzufriedenheit mit seiner sozialen Lage, ein ständiges Streben nach Anerkennung in Form von Lehrerposten an renommierten Institutionen aus- machen will, so steht Ibn Kannāns relativ hohe gesellschaftliche Stellung doch

101 Vgl. die Einschätzung bei Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 26, die sich auf das auffallende Schweigen der meisten Quellen und auf die abschätzige Charakteristik bei Ġazzī stützt. 102 Vgl. Ġazzī: Luṭf I, S. 355–390; Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 45–50; Muḥibbī: Ḫulāṣat II, S. 50–62; Ziriklī: Aʿlām II, S. 219; Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 29–35; El-Rouayheb: Ḥasan b. Muḥammad al-Būrīnī. 103 Vgl. Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 35–41; Winter: al-Ġazzī. 104 Vgl. Murādī: Silk IV, S. 100–105; Ziriklī: Aʿlām VI, S. 41; GAL II, S. 293–294 und S II, S. 403–404; Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 42–45. Biographisches zur Familie bereits zusamengestellt bei Wüstenfeld: Die Gelehrten-Familie Muḥibbí. 105 Vgl. Sajdi: Peripheral visions, S. 90–112; Dies.: Ibn Kannān. 38 Einleitung nicht in Zweifel. Soziales Prestige war Ibn Kannān durch seine Position an der Spitze des Ḫalwatīya-Ordens, die bereits sein Vater eingenommen hatte, in die Wiege gelegt, wenn dieser in Damaskus auch nie sonderlich weit verbreitetet war. Somit war er ein relativ bedeutender Mystiker in der Stadt, ohne dass dies in seinem chronistischen Werk einen besonders prägenden Eindruck hinter- lassen hätte. Was die Chronik aber deutlich zeigt, ist Ibn Kannāns wenn nicht luxuriöser, so doch komfortabler Lebensstil, der es ihm erlaubte, neben einer sehr großen Familie auch ein großes Haus zu finanzieren. Chronologisch direkt an Ibn Kannān schließt sich die Chronik Aḥmad Ibn Budairs (gest. nach 1175 / 1762)106 an. Dieser Autor fällt weniger durch die generelle Konzeption seines Werkes als in sozialer Hinsicht auf. Als Barbier (ḥallāq) ist er das Paradebeispiel für Sajdis Konzept der im 18. Jahrhundert verstärkt bezeugten „Commoner Chronicles“107 bzw. eines „nouveu literate“.108 Seine offensichtlichen Ansprüche auf formale Bildung109 unterstreicht die Komposition einer Chronik in Anlehnung an die literarisch etablierte Form des Journals, seine Ḥawādiṯ Dimašq al-yaumīya. Der gesellschaftliche Platz Ibn Budairs ist mit unseren Quellen jedoch schwer einzuschätzen. Sicher gehörte er einer Berufsgruppe an, die traditionell keine literarische Stimme hatte. Einen direkten Rückschluss auf seine wirtschaftliche Stellung lässt diese Tatsache aber ebensowenig zu wie der auffallend genaue Blick auf die Entwicklung von Preisen oder die ständige Klage über deren Ansteigen. Weit entfernt davon, ein Panorama des Alltags „einfacher“ Menschen zu sein ist der Blick dieses Chronisten oft auf die traditionelle Oberschicht gerichtet. Für den durch diese beiden Chroniken abgedeckten Zeitraum des 12. / 18. Jahrhunderts existiert wiederum auch eine alphabetische

106 Vgl. Sajdi: A room of his own; Dies.: Shihābaddīn Aḥmad Ibn Budayr; Dies.: The barber of Damascus. 107 Vgl. Sajdi: Peripheral visions; wichtig ist aber auch Sajdis eigene Einschränkung, bei ihrem Untersuchungsgegenstand handele es sich, als nicht-gelehrte Schreiber von histo- rischen Texten, um „uncommon commoners“, ebd., S. 56. 108 Vgl. Sajdi: The barber. 109 Vgl. Sajdi: Peripheral visions, S. 72–74, wo die Autorin Textstellen aufzählt, in denen Ibn Budair von Lehrern spricht und bei ihnen durchgenommene Lektüre nennt. Inwieweit die von ihm etwa aufgezählten Genres (ʿilm at-tauḥīd, fiqh, badīʿ) ein wirkliches Studium repräsentieren, wie es Sajdi annimmt („studied fiqh with“, ebd., S. 73) oder die sporadi- sche Teilnahme an öffentlichen Lesungen, wie sie besonders die ayyubiden- und mamlu- kenzeitlichen samāʿāt für nicht-Gelehrte en masse dokumentieren (vgl. Hirschler: The written word, S. 32–81), muss zumindest bis zu einer Edition des ursprünglichen Textes dahingestellt bleiben. Einleitung 39

Biographiensammlung. Über deren Autor Ḫalīl al-Murādī (1173 / 1759–60 – 1206 / 1791)110 ist in biographischer Hinsicht kaum Substantielles bekannt, doch mit ihm sind wir wieder auf der höchsten Ebene der Notabelngesellschaft von Damaskus. Als Sproß einer erst im 17. Jahrhundert nach Damaskus gelang- ten, jedoch extrem reichen und einflußreichen Familie bekleidete er wie viele seiner Verwandten das prestigeträchtige Amt des ḥanafitischen Muftis von Damaskus, dessen Amtsträgern er auch eine eigene Biographiensammlung widmete. Sein umfassendstes biographisches Werk, das Silk ad-durar, versam- melt die Biographien von Notabeln des 12. / 18. Jahrhunderts. Zuletzt gibt es für das 13. / 19. Jahrhundert alphabetisch geordnete Sammlungen von Biographien durch den salafitischen Gelehrten ʿAbd ar-Razzāq al-Baiṭār (1253 / 1837–1335 / 1917)111 mit dem Ḥilyat al-bašar fī tārīḫ al-qarn aṯ-ṯāliṯ ʿašar und in seiner Nachfolge, jedoch mit sehr engem Fokus auf Damaskus, durch seinen Schüler und ḥanbalitischen Richter und Mufti Muḥammad Ǧamīl aš-Šaṭṭī (1300 / 1882 – 1379 / 1959) mit dem Rauḍ al-bašar, der vieles aus Baiṭārs Werk übernimmt. Weitere, meist kürzere historiographische Werke wurden in Syrien ver- fasst und sind für die Datenbank herangezogen worden, doch spielt ihr Material für diese Arbeit keine bedeutende Rolle. Kaum ergiebig für biogra- phische Daten sind insbesondere Sammlungen von Dichterbiographien, wie al-Muḥibbīs Nafḥat ar-raiḥāna wa-rašḥat tilāʾ al-ḫāna über die Dichter des 11. / 17. Jahrhunderts oder Muḥammad al-Kanǧīs Bulūġ al-munā fī tarāǧim ahl al-ġunā über diejenigen des 12. / 18. ebenso wie die Sammlungen von Spezialbiographien von Muftis, Richtern oder Gouverneuren. Die hier vorgestellten Quellen spannen einen Zeitraum von mehr als 3 Jahrhunderten. Sie unterscheiden sich teilweise erheblich in Stil, Auswahl- und

110 Vgl. bereits die spärlichen autobiographischen Angaben in Murādī: ʿArf al-baššām, S. 144–152. Außerdem ebd., S. ṭāʾ-yāʾ; Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 45–48. Zur Familie vgl. Barbir: All in the family. Eine trotz offensichtlicher Missverständnisse sehr interessante Ergänzung der spärlichen arabischen Quellen ist die kurze Nachricht, welche der deutsche Reisende Ulrich Jasper Seetzen (1767–1811) bereits 1805 notierte: „Ein sehr interessantes Werk muss das Werk des hier gewesenen Müfty, Chalîl Efendy Múraly [sic!], eines grossen Gelehrten, seyn. Es ist eine allgemeine Weltgeschichte, zu deren Ausarbeitung er eine Menge kostbarer Werke benutzte, deren Anschaffung ihm viel Geld kostete. Seines Reichthums wegen wurde ihm von Dschessár Pascha nach dem Leben getrachtet. Er entfloh nach Halep, wo er vor etlichen Jahren starb.“ Vgl. Seetzen: Reisen I, S. 307. 111 Vgl. seine Biographie von der Hand seines Enkels Muḥammad Bahǧat al-Baiṭār in Baiṭār: Ḥilyat al-bašar I, S. 9–20. 40 Einleitung

Ordnungskriterien, literarischem Anspruch und Interessen. Einige bemerkens- werte Charakteristika sollen dennoch übergreifend skizziert werden, denn sie bestimmen auch den Quellenwert der hier besprochenen Werke: Nachdem im mamlukischen Reich Ägypten nicht nur der Mittelpunkt politischer Macht war, sondern auch die Mehrzahl der biographischen Sammlungen hervorbrachte, wird das Genre in der osmanischen Epoche eine vorwiegend syrische, sogar eine Damaszener Angelegenheit. Von den einst vorhandenen Werken aus Aleppo ist uns dagegen nur ein Bruchteil überliefert, obwohl Manches noch am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts in den Kompilationen Nahr aḏ-ḏahab Kāmil al-Ġazzīs und Iʿlām an-nubalāʾ von Rāġib aṭ-Ṭabbāḫ (1293 / 1877 – 1370 / 1951) verarbeitet wurde. Noch weniger wissen wir von den marginalen Zentren wie Tripoli, Beirut, Ḥamāh oder Ḥimṣ. Da sich die regionale Verteilung der Quellen mit dem Fokus dieser Untersuchung auf Damaskus deckt, wiegt der Verlust vergleichsweise gering. Fast alle hier genannten Autoren gehören wich- tigen und einflussreichen Gelehrtenfamilien der Stadt an. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich von allen auch besessene oder gelesene Bücher im Handschriftenkorpus dieser Studie finden. Sogar Ibn Budair, dessen Bibliothek nicht allzu groß gewesen sein dürfte, hat einen Besitzeintrag in einer Berliner Handschrift hinterlassen. Erstaunlich vieles findet sich sogar in der überschau- baren Rifāʿīya-Bibliothek, dem Ausgangspunkt dieser Untersuchung: so haben Ibn Aiyūb, al-Ġazzī, al-Muḥibbī und Ibn Kannān einst jeweils eines oder meh- rere Bücher der Rifāʿīya besessen, kopiert oder gelesen. Ferner waren alle hier angeführten Autoren Muslime und soweit ersichtlich nur sunnitische Muslime. Die Mechanismen der thematischen Auswahl kön- nen also auf regionaler, sozialer und konfessioneller Ebene gesucht werden und tatsächlich finden sich in den hier besprochenen Werken vor allem Gelehrte, genauer Religionsgelehrte und dies in überwiegender Zahl aus den syrischen Provinzen. Dagegen finden sich praktisch keine Frauen, Nicht-Muslime oder Händler bzw. ein potentielles Äquivalent zum in einigen Regionen des zeit- genössischen Europa oft besonders literatur- und bildungsaffinen Bürgertum. Auch Militärs sind nur sehr sporadisch verzeichnet. Dabei wird nicht nur das für diese Studie untersuchte Material den soeben skizzierten marginalisierten Gruppen einen nicht unerheblichen Raum in der Welt der Bücherrezeption zuweisen, auch als Autoren sind sie bereits gewürdigt worden, und zwar besonders für das osmanische Bilād aš-Šām. Für Dana Sajdi sind sowohl die konfessionelle wie die soziale Vielfalt der historisch schreiben- den Männer ein entscheidendes Charakteristikum des von ihr untersuchten 18. Jahrhunderts und sie kann eine beeindruckende Liste von orthodoxen und katholischen Priestern und Mönchen, schiitischen Farmern, ­samaritanischen Einleitung 41

Bürokraten, christlichen Händlern und sunnitischen Soldaten anführen. Zeitgenössische Geschichtsschreibung wird für Sajdi so zu einem „alterna- tive textual space that allowed them into the discourses of history.”112 Doch so interessant das Phänomen der commoner chronicles auch nicht nur für die Geschichtsschreibung, sondern ebenso für die Buchkultur der Zeit zweifel- los ist – finden wir in den Autoren dieser Werke doch gerade auch das so oft gesuchte Lesepublikum vertreten, das den Schritt in die aktive Textproduktion vollzog – so wenig konnten diese von Sajdi behandelten Texte die Fragen der vorliegenden Arbeit erhellen.

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten, „Die Bibliothek: Ihre Geschichte und Inhalte“, soll die Rifāʿīya als Ausgangspunkt in historischer und inhaltlicher Perspektive vorgestellt werden. Die Darstellung der Umstände ihrer Erwerbung und der daran beteiligten Personen geben Aufschlüsse über den gesellschaftlichen Kontext, in der sie ein preußischer Konsul in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorfand. Eine detaillierte Auswertung der in der Bibliothek zu findenden Inhalte soll Anhaltspunkte liefern, um sich dem intellektuellen Horizont ihrer Besitzer anzunähern. Um das so erarbeitete Profil der Rifāʿīya als Teil einer umfassenderen Buchkultur verstehen zu können, soll in Teil 2 „Die Umwelt der Rifāʿīya“ die Geschichte, Organisation und Öffentlichkeit von institutionellen wie pri- vaten Bibliotheken mit einem besonderen Fokus auf Damaskus und die Region beleuchtet werden. Insbesondere geht es hier um die rechtlichen Normen und die Praxis der Bücherstiftung, das inhaltliche Profil der verschie- denen Bibliotheken, das Personal, die Ausleihe und den Zugang potentieller Leser zu den Beständen. Eine wichtige Frage für die Bewertung der Inhalte dieser Sammlung in der uns vorliegenden Form ist die nach den Möglichkeiten der Bestandsentwicklung von Bibliotheken, also besonders der Praxis von Kopie, Erbe und Buchmarkt. Auch sollen durch dieses Kapitel die beachtli- chen Lücken in unserer Kenntnis der Geschichte und Organisation der Rifāʿīya selbst wenn nicht geschlossen, so doch aus dem Blickwinkel zeitgenössischer und möglicherweise paralleler Befunde beleuchtet werden. Der letzte Teil wird dann „Die Leser“, also das Publikum der Bücher in den Blick nehmen. Hier ist zu fragen, welche für uns in den Quellen greifbaren

112 Sajdi: Peripheral visions, S. 33. 42 Einleitung gesellschaftlichen Gruppen einen Zugang zu Büchern hatten und ob dieser Zugang sich in jeweils gruppenspezifischer Weise als ein markantes Leseprofil wiederspiegelt. Ebenfalls nachgegangen wird der Frage, ob im hier behandel- ten Zeitraum Veränderungen im Lesepublikum ausgemacht werden können? Daneben wird versucht, konkreten Lesepraktiken (Leseorte, öffentliches oder privates Lesen, Lesegeschwindigkeit etc.) nachzuspüren. Kapitel 1 Die Bibliothek Ihre Geschichte und Inhalte

1.1 Die Erwerbung der Rifāʿīya1

Bereits kurz nach dem Erwerb der Rifāʿīya fasste Heinrich Leberecht Fleischer die ihm durch Johann Gottfried Wetzstein mitgeteilte Geschichte der Bibliothek und ihres Verkaufes in seinem 1854 erschienenen Artikel „Die Refâïya“ zusammen. Fleischer ließ in seiner Darstellung viele Fragen offen, teilweise aus Mangel an Informationen, teilweise aber auch in ganz bewusster Verschleierung. So erfahren wir, dass die Sammlung „vor ein paar Jahren“ bereits die Begehrlichkeiten von „Herr[n] Pr., ein[es] englische[n] Orientalist[en]“ geweckt hatte, dessen voller Name Fleischer durchaus bekannt war. Dessen Identität immerhin, damit aber auch die Datierung des gesamten Vorgangs, kann im Folgenden aufgelöst werden. Auch die Frage nach der Person ʿUmar ar-Rifāʿīs, des letzten Aufsehers und Verkäufers der Bibliothek, kann nun mit größerer Entschiedenheit beantwortet werden. Vieles liegt jedoch weiterhin im Dunkeln, und dies könnte sich wohl auch erst ändern, wenn Wetzsteins eigene Aufzeichnungen, besonders sein verlorenes Tagebuch aus den Damaszener Jahren, auftauchen sollten.

1.1.1 Der Käufer: Johann Gottfried Wetzstein Dass der preußische Konsul in Damaskus sich für die Erwerbung einer Bibliothek arabischer Handschriften interessierte war kein kurioses und zufäl- liges Seitenstück seiner diplomatischen Karriere. Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905)2 kam auf seine Stelle als ein vielversprechender, 1846 in Berlin als Privatdozent habilitierter Orientalist, der seine gründliche philologische Ausbildung in Leipzig bei einer der größten Autoritäten des Faches, Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888), erhalten hatte. Eine akademische Karriere

1 Vgl. Döring: Der Erwerb der Rifāʿīya-Handschriften; Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, S. 87–89. 2 von Mülinen: Des Nomaden Abschied; Huhn: Der Orientalist; Gustav Jahns Beurteilung seines wissenschaftlichen Wirkens im Vorwort der 1906 aus dem Nachlass herausgegebenen Wetzstein: Die Liebenden von Amasia.

© koninklijke brill nv, leiden, ���6 | doi ��.��63/9789004314894_003 44 Kapitel 1

Abb. 7 Johann Gottfried Wetzstein (1815–1905), der Käufer der Rifāʿīya. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachl. Wetzstein II, K. 5, Mp. D9

blieb ihm im Folgenden zwar versagt, doch dies sowie seine vergleichsweise recht wenigen Publikationen spiegeln nicht den Respekt wieder, der ihm in Fachkreisen besonders als ausgewiesener Experte für die syrischen Verhältnisse allgemein entgegengebracht wurde. Folgerichtig nutzte er seine 1848 angetre- tene Stellung in Damaskus auch sofort, um neben den zahlreichen administra- tiven Verpflichtungen seines Amtes eine eigene Sammlung von Handschriften aufzubauen. Diese wuchs bis zu seinem Abgang zu einer der bedeutendsten Privatbibliotheken hauptsächlich arabischer Manuskripte der damaligen Zeit, welche er in drei Abteilungen an die königlichen Bibliotheken in Berlin und Tübingen verkaufte. Wie Wetzstein seine gewaltige Sammlung zusammenstellen konnte, ist für uns heute leider nicht mehr im Detail nachvollziehbar. Welche Kontaktpersonen hatte er? Ging er nur auf den Buchmarkt, schickte er Vertreter zu gerichtlichen Nachlassversteigerungen? Kaufte er ganze Sammlungen wie die der Rifāʿīs von ihren Besitzern? Als Konsul hatte er enge Kontakte zu vielen der hochgestellten Gelehrtenfamilien der Stadt und sein Einfluss in Politik und Gerichtsbarkeit machten seine Freundschaft sehr erstrebenswert. Wetzstein beschreibt seinen Einfluss in diesen Kreisen in einem Brief an Fleischer mit den Worten: „(. . .) ich ins Besondere, bei dem die moslemischen Scheichs wie in einer Moschee aus und ein gehen, bin vielleicht selbst eine Art Muselman. Die Bibliothek 45

Abb. 8 Auf dieser prächtigen Titelseite hat Johann Gottfried Wetzstein einen arabischen Besitzeintrag hinterlassen. STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Wetzstein I 38, fol. 1r

Dazu ist es hier zu Lande ein gar köstlich Ding, sich einem Consul zu verbin- den, der bei allen Vorkommnissen eine sichere Zuflucht ist.“3 Wie schon diese Passage zeigt konnte sich Wetzstein, dessen persönliche Liebenswürdigkeit von Bekannten stets hervorgehoben wurde, eines gewissen Hanges zum Selbstlob durchaus nicht immer erwehren. Dennoch können wir vermuten, dass die zitierte Aussage grundsätzlich korrekt und demnach die Möglichkeiten des gelehrten Konsuls, sich Handschriften zu guten Konditionen zu beschaffen, viel besser waren als die anderer Reisender. Genauere Auskunft

3 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853. 46 Kapitel 1 hätten sicherlich Wetzsteins Tagebücher liefern können, die aber gerade für die Damaszener Amtszeit verloren sind. Nur im handschriftlich erhaltenen Katalog seiner zweiten, zwischen 1852 und 1858 zusammengetragenen Sammlung, gibt er einen kurzen Einblick in einige Kontakte, indem er es „seinen freund- schaftlichen Beziehungen zu vielen damascener Patrizierfamilien“ zuschreibt, „in den Besitz mancher werthvollen Autographien“ gekommen zu sein, „die sich in den Familien der Autoren fortgeerbt hatten.“4 Namentlich genannt werden autographe Werke von Murādī, Aiyūbī, Ibn Ḥamza und Ibn Kannān. Hier sind es also direkte freundschaftliche Kontakte zu Bücherbesitzern, die dann zu den willkommenen Geschäften geführt haben. Ein ungutes Licht auf seine geschäftlichen Methoden oder zumindest die seiner Kontakte wirft aller- dings ein späterer Bericht des syrischen Journalisten Muḥammad Kurd ʿAlī (1876–1953):

Eine vertrauenswürdige Quelle erzählte mir, dass ein Buchhändler im letzten Jahrhundert in die Häuser einiger Gelehrter von Damaskus ebenso wie zu den Bibliotheksaufsehern von Madrasen und Moscheen zu gehen pflegte, um von dort alle Bücher die er wollte zu sehr niedri- gen Preisen zu kaufen und das meiste weiterzuverkaufen. Das meiste aus den nicht-traditions- und rechtswissenschaftlichen Feldern ging an den damaligen preußischen Konsul und zwar so billig als wäre es weißes Papier. Dies ging über viele Jahre so, in denen er aus allen Teilen Syriens Handschriften aufkaufte und daraus eine gewichtige Bibliothek zusam- menstellte, mit der er in seine Heimat zurückkehrte. Dort wurde sie von seiner Regierung übernommen, die ihn dafür entschädigte. Die meisten arabischen Handschriften in der Berliner Staatsbibliothek sind so syri- schen Ursprungs.5

Wenn er auch nicht namentlich genannt wird, so ist doch kein Zweifel mög- lich, dass der hier beschriebene Konsul niemand anderes als Wetzstein sein

4 Wetzstein: Catalog der arabischen Handschriftenbibliothek, S. 2. 5 Kurd ʿAlī: Ḫiṭaṭ aš-Šām VI, S. 199: ة ن ة ت ف ن ض ن ز ئ ف ح�د ث� ن� ا ��لث��ق�� ا ا ح�د ��س ��س � ا �ل�ك��� � ا �ل���ق� ا لم�ا �� ك�ا � غ���ش�� � نم���ا ��ع ض��� ا ��ا ا �ل� � � ي� � ما ر ب� ي� ر � ي� � ي ي� � ل ب � ر ب ب� عما م ي� ش ق �خ ت ف ت خ ز ئ ن ت ف� �ل ف� ت ن ن ت د �م����، و ي������ل� ا لى �م��و ل� ��ا �� ا �ل�ك��� ب� �� ا لم�د ا ر��س وا ج�وا �م ، �ي���ب����ا �م�� �ه�ا �م�ا ط�ا ب� �ل�ه �م�� ا �ل�ك��� ب� أ ي ي أ ث ف ع ع خ� ة ث� ن ز ة ن غ � � غ � ف ق �ل� ث ن �ق ن ا لم�����طوط�� ب�� م�ا � � � يه���د � وك�ا � ي���ب�ي���ع�ه�ا ع��لى ا لا ��ل� ب� ، و� ك��ر �ه�ا �ي� �ي�ر ع��لو ا ل������� �ه وا ح�د ي���� ، � م�� ������ص�ل ذ ذ ث ق ض ق ذ أ م ف خ ة أ ف � �����س���ا ا � � ا ك �م�ا ���س�ا � �م� ن ���ه�ا ا ������ ، ����� �ه�� ا �����سن���� ن ����ت��ا ا ل� ��س� �ا ا لم�����ط ط�� �م� ن � ط ا �� ب ر و ي ب ي و ي� � و ر � بي � و ب ي� أ ي� ي ب ع ر أ و � ر ش ف� �ت ن خ ز ن ة ة ف� خ ذ ت ت ن ف� ت غ ا �ل����ا ��ا ج ���م �ل�ه �م�� �ه�ا ��ا ��� ��م�ه���م�� رح�ل ب� �ه�ا ا لى ب��لا د ه �� �� � �ه�ا ح�كو�م���ه �م���ه وك�ا �� ��ه ع���لي��ه�ا، وا �ل���ا �ل� ب� ن م ظ عت ة ف ظ ة ف ة ة ف ا �م�ع��� ا �ل�ك���� ا �ل�ع ����� ا لم���ح���� �� � خ� ز ا ن��� ا لا �م�� � � �ل�� ن �ه �م� ن �� ا د ا �ل�ش���ا . � م ب ربي و ي� � ي� ب ر ي� ي� � بل م Die Bibliothek 47 konnte. Er war der einzige langjährige preußische Konsul des 19. Jahrhunderts in Damaskus, der eine bedeutende Handschriftensammlung aufgebaut und diese an die Berliner Bibliothek verkauft hatte. Kann man aber die hier vor- gebrachten Anschuldigungen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen? Die Art der Darstellung scheint erst einmal nicht allzu vertrauenswürdig: als Quelle der eine Generation nach den Ereignissen überlieferten Nachricht wird lediglich „eine vertrauenswürdige Person“ (ṯiqa) genannt. Das muss aber nicht dage- gen sprechen, hier zumindest einen Kern von Wahrheit vor sich zu haben. Die Anekdote zeigt zumindest, dass Wetzstein und sein Händler einen ent- sprechenden Ruf genossen. Und dass der in ständigen Geldnöten steckende Konsul seine Handschriftensammlung nicht nur als ein Geschenk für die Forschung ansah, sondern sich auch legitimiert fühlte, aus seinen Mühen Profit zu schlagen, kann ebenfalls nicht abgestritten werden. Zwar konnte er sich über die Praktiken eines Constantin von Tischendorf nur aufregen, der recht wertlose arabische Handschriften stark überteuert weiterverkaufte.6 Seine eigene Sammlung als eine der bedeutendsten Europas auch zu einem guten Preis abzugeben, mag ihm demgegenüber jedoch nicht unethisch vor- gekommen sein. Es ist leicht einzusehen, welchen Anreiz die Aufseher öffentlicher Bibliotheken in Madrasen und Moscheen gehabt haben könnten, im Sinne der obigen Anschuldigungen zu handeln. Sie verkauften Bücher, die ihnen gar nicht gehörten und wirtschafteten damit höchstwahrscheinlich auf betrügerische Art in die eigene Tasche. Mit welchen Argumenten der in Kurd ʿAlīs Anekdote als

6 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, 22. September 1853: „(. . .), denn H. ذ ت ن zu verkaufen. Ich wäre trostlos wenn uns � �ه� ب� als ��ب�� Tischendorff versteht das Geschäft die hiesige Bibliothek durch diesen Escamo[fleur?] aus der Hand gespielt würde, der ganz bestimmt seine letzte Reise nur in der Absicht gemacht hat, einen ganzen Haufen Bücher und Fetzen, die er auf seiner ersten Reise irgendwo gesehen, um einen Spottpreis zu kau- fen, und damit ein Geschäft zu machen. Da er von der arab. Sprache u. Literatur so wenig versteht wie ich von der Sprache der Hottentotten, so wäre es absurd, wollte man andere Früchte von seiner Reise erwarten. Aber dabei begreife ich immer noch nicht, wie er den Handel mit einer ihm fremden Literatur so vorzügl. versteht. Ich bitte Ew. Hochwürden inständig, diesmal mit dem ganzen Gewicht ihrer Stellung als ersten Repräsentanten des sächsischen Orientalismus einem Betruge und Attentate Tischendorfs an unserem gemein- samen Vaterlande vorzubeugen.  In Constantinopel hat man es mehrfach versucht gegen Tischendorff wegen eines an einem auf d. Prinzeninsel befindlichen Msc. verübten gemeinen Diebstahls die Criminalklage zu erheben, und ich weiß auch daß eine Gesandtschaft dies mit allen Kräften verhindern suchte, damit nicht der deutsche Name hier gebrandmarkt werde. Wie ist er neuerdings zum Albrechtsorden gekommen?“ 48 Kapitel 1

Wetzsteins Quelle angeführte simsār jedoch die arbāb al-ʿamāʾim (Turbanträger = Gelehrte) überzeugt haben soll, ihre Privatbibliotheken zu einem billigen Preis zu plündern, sich also selbst zu betrügen, ist allerdings nicht ersichtlich. Doch auch hier mag es immerhin stimmen, dass ein einheimischer Buchhändler sich auf eine zahlungskräftige Klientel wie Wetzstein spezialisierte und private wie öffentliche Bibliotheken durchstreifte, um dort möglichst bil- lig Bücher zu erwerben ohne den Besitzern die mögliche Gewinnspanne durch den Verkauf an Ausländer offenzulegen. Wer aber war der genannte simsār, der das betrügerische Geschäft erst möglich machte? Ein einziger Name ist uns im Zusammenhang mit Wetzsteins Handschriftenkäufen bekannt: Anṭūn Būlād.

1.1.2 Der Konkurrent: Anṭūn Būlād, Priester und Geschäftsmann Būlād (1794–1871)7 war Melkit, also Anhänger der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche, seit 1815 Mönch und seit 1822 Priester8 der Erlöserkongregation (Salvatorianer). Gleichzeitig hatte er aber auch schrift- stellerische Ambitionen, versuchte sich zumindest in einem Fall auch als Übersetzer eines naturwissenschaftlichen Werkes aus dem Französischen (das er im Übrigen nicht verstanden haben soll),9 und war daneben anscheinend besonders aktiv im Handel. Seine seelsorgerische Funktion kommt zumindest in den spärlich fließenden Quellen niemals besonders stark zum tragen. Der gebürtige Damaszener wird von westlichen Reisenden, besonders auch sol- chen aus Wetzsteins Umkreis, gelegentlich als Antikenhändler oder Quelle für historische Informationen über seine Heimatstadt erwähnt. Mit dem preußischen Konsul hatte Būlād nachweislich engere Kontakte. In Wetzsteins Nachlass finden sich Hinweise auf weitergehende Geschäftsverbindungen der beiden im Tuchhandel im Jahr 1851,10 eine naheliegende Verbindung, denn

7 Ausführlichste Biographie in Būlād: Tārīḫ al-funūn, S. 222–227; vgl. außerdem Graf: Geschichte III, S. 290–291; Ziriklī: Aʿlām II, S. 26. Für dokumentarische Quellen zu sei- nen Verbindungen mit Wetzstein vgl. NL Wetzstein Berlin II – Kasten 13 A Konsulat: I Datierte Schreiben, 1851 1+2, an Wetzstein 18. Tišrīn I 1851, betreffend sein Textilgeschäft; an W, 16. Tišrīn II 1851, Quittung zur Ausleihe zweier Bände der Leipziger Baiḍāwī-Edition; NL Wetzstein Berlin II – Kasten 13 A Konsulat, 1862, zur Witwe seines Bruders Faḍl; NL Wetzstein Berlin II – Kasten 14, VII Historie, 8. Bruchstück eines großen Geschichtswerkes in fol., geschr. den 16. Oct. 1849 zu Damaskus durch Anton Bulad [Būlād ist hier jedoch nicht der Kopist], 1 Bl. Vgl. die Nachweise der Dokumente in Huhn: Der Nachlass, S. 171, 176, 210. 8 Aus diesem Jahr datiert auch bereits sein Siegelring, der ihn als Priester (al-Qiss) ausweist. 9 Graf: Geschichte III, S. 291. 10 NL Wetzstein Berlin II – Kasten 13 A Konsulat: I Datierte Schreiben, 1851 1: Būlād an unbe- kannt, 18. Tišrīn I 1851, betrifft das Textilgeschäft des in diesem Jahr verstorbenen Ḥannā Die Bibliothek 49

Mitglieder der Familie Būlād, darunter Anṭūns Brüder Ḥannā und Faḍl Allāh, waren Pioniere der Textilproduktion mit modernen Jacquard-Webstühlen in Damaskus.11 Bereits ein Brief an Fleischer von 1849 erwähnt Anṭūn als Autorität in einer lexikalischen Frage.12 Ebenfalls 1849 erhielt Wetzstein Einblick in eine umfangreiche, sonst aber anscheinend verlorene Weltgeschichte aus Būlāds Feder, von der sich ein Blatt heute noch im Berliner Nachlass befindet.13 1851 bestätigt Būlād Wetzstein den Empfang eines Buches. 1853 nennt ihn Wetzstein in einem Brief an Fleischer den „hiesigen Antiquitätenhändler Anton Bulad (griech. kathol. Geistlicher)“.14 Kurz darauf kauft sein Gast Aloys Sprenger bei Būlād ein seltenes Buch.15 Noch vor 1851 muss Būlād ein Buch „zur Erinnerung bei seiner Rückkehr aus dem Orient“ an Wetzstein geschenkt haben.16 Auch als Stifter von Büchern an das libanesische Kloster Dair al-Muḫalliṣ ist er bekannt.17 Būlād war

Būlād, eines Pioniers moderner Webtechniken in Syrien, der bis nach Konstantinopel, Irak oder Mosul handelte. Es wird erwähnt, dass Wetzstein nach Wegen für den weiteren Vertrieb der Stoffe sucht (ʿalā amal fatḥ bāb al-matǧar), doch ist der Brief nicht an ihn gerichtet, sondern scheint eine Art Werbetext für die Textilien zu sein. 11 Vgl. für die Rolle der Familie in der Textilproduktion Būlād: Tārīḫ al-funūn. 12 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 14. September 1849. „Das ف� ن ة � ذ hätte Wetzstein gerne mitgeschickt, aber der Verfasser “ �ي� ح�د و د �����س�� �� ك�� ا fatwa über Meschaka ist gerade abwesend. Letzten Freitag hätten ihn Šākir Nābulusī, ein muslimi- scher Gelehrter, und der lateinische Priester Anton Bulad besucht, der erstere meinte, es hieße fī qurb „um“, der zweite fī aṯnāʾ „innerhalb“. Es geht dabei um eine Frage, die Fleischer auf Betreiben Gustav Flügels an verschiedene seiner im Orient weilenden Bekannten weiterleitete und auch nach syrischer Autorität entschieden haben wollte. Dabei ist die Angewohnheit arabischer Chroniken gemeint, etwa Todesdaten fī ḥudūd sana zu datieren, was in der Tat verwirrend ist. Vgl. als Ergebnis dieser Bemühungen ف� ن ة . �ي� ح�د و د �����س���� . . . Flügel: Über die Bedeutung des Ausdrucks 13 NL Wetzstein Berlin II – Kasten 14, VII Historie, 8. Bruchstück eines großen Geschichtswerkes in fol., geschr. den 16. Oct. 1849 zu Damaskus durch den Priester Anton Bulad, 1 Bl. 14 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853. 15 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 15. Dezember 1854: „Die ver- Anton Bulad für den billigen Preis von 500 Piaster eine sehr قgangene Woche hat er von “.gekauft ( ا لم�����د ��س� alte Geographie (von ت ن ن ي �م��ل�ك�ه ا �ل���ق��� ا ���ط � لا د ا �ل�د �م�ش���ق� ا �ل ا �ه� ا لم�� خ���ل��ص / ا �ه���ه س و � ب و ي� ر ب� � ي� و و ب :Berlin Wetzstein I 183, fol. 1v 16 ت ف� ش ت ن �ق ن ش ق ت ذ ً ن ن ش ق Interessant .لم��س�� ر ك�ود �ر وا و�ي��������ي��� �و���سو�لو��س / ب�ر و�����سي���ا ب��د �م���� ���ك�ا ر ا �ع���د اي��ا ب��ه �م�� ا �ل���ر � ist die Anrede als Mister, die Schreibung von Namen (Kūdfruwā = Godefroi) und Titeln (qūnsūlūs). Abb. in Klemm (Hrsg.): Rifāʿīya 1853, S. 24. 17 Paris BNF Arabe 5082; American University Beirut MS 230 C615kA v.12 und MS 492.76 K451mA. 50 Kapitel 1

Abb. 9 Dieses Buch schenkte Anṭūn Būlād an Wetzstein „zur Erinnerung bei seiner Rückkehr aus dem Orient.“ STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Wetzstein I 183, fol. 1v sicherlich selbst Besitzer einer ansehnlichen Bibliothek, dass er diese jedoch in den Massakern von 1860, als das Christenviertel von Damaskus brannte, verloren haben soll, dürfte auf eine Fehlinterpretation seiner erhaltenen Aufzeichnungen zum Verlust der Klosterbibliothek zurückzuführen sein.18

18 Diese Nachricht nach einem fragmentarisch erhaltenen Werk von Būlād: Muḏakkirāt. Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al-kutub II, S. 440–441, aus dessen Besitz das Fragment an die Bibliothek Die Bibliothek 51

Und wie die Trennung zwischen einem kommerziell genutzten Bücherlager und einer reinen Privatbibliothek ausgesehen haben mag, ob beides vielleicht untrennbar vermischt war, geht aus unseren Quellen nicht hervor. Besonders wichtig im Zusammenhang der Erwerbungsgeschichte der Rifāʿīya ist, dass Būlād im Auftrag eines englischen Orientalisten bereits vor Wetzstein versuchen sollte, die Bibliothek zu erwerben. Damit brachte er – so zumindest lesen wir es in der Darstellung Wetzsteins – deren Verwalter ʿUmar efendī al-Ḥamawī überhaupt erst auf die Idee zum Verkauf und war somit indirekt dafür verantwortlich, dass die Rifāʿīya in Leipzig endete. Es zeigt auch, dass Būlād zumindest in diesem Fall genau das tat, was Kurd ʿAlīs Gewährsmann seinem simsār unterstellte, nämlich in die Häuser von muslimi- schen Gelehrten zu gehen und diesen ihre Bücher abzukaufen oder sie – nach der Interpretation Kurd ʿAlīs – um ihre Bibliotheken zu betrügen. Būlād passt also perfekt auf die Beschreibung des simsārs bei Kurd ʿAlī. Er arbeitete für westliche Kunden, besonders auch für Wetzstein und seine Gäste, und bewegte sich im Bereich muslimischer Privatbibliotheken. Vieles spricht demnach dafür, in ihm den betrügerischen simsār aus der Anekdote Kurd ʿAlīs zu sehen, wenn wir dieser Quelle einen identifizierbaren wahren Kern zusprechen­ wollen. Im Fall der Rifāʿīya waren er und Wetzstein jedoch Konkurrenten und Būlād hätte wohl auch das Geschäft gemacht, doch sein kirchliches Amt sollte sich als entscheidender Nachteil herausstellen.

1.1.3 Chronologie der Erwerbung Neun Monate nach Abgang des Briefes mit der ersten Erwähnung der Rifāʿīya von Wetzstein aus Damaskus stand die Sammlung in Kisten verpackt in den Räumen der Universitätsbibliothek Leipzig. Was wie eine lange Geburt klingt, war im Gegenteil Ergebnis eines äußerst schnellen und effizienten Verkaufsprozesses. Man muss sich die Schwierigkeiten vor Augen halten, mit denen alle Beteiligten zu kämpfen hatten: Die langen Kommunikationswege von Damaskus nach Leipzig und Dresden bei gleichzeitigem Drängen des Verkäufers, die indirekt über Wetzstein und Fleischer laufenden Verhandlungen, die Bereitstellung von

von aš-Šarfa gelangte, spricht noch richtig von 1088 Bänden, die Būlād als Verlust von 1860 aufgelistet hatte. Graf: Geschichte III, S. 291, der Būlāds Manuskript ebenfalls, die Arbeit Dī Ṭarrāzīs aber nicht kannte, schreibt von 167 aufgelisteten Handschriften. Er hat diese Zahl wahrscheinlich übernommen aus dem Katalog Armala: aṭ-Ṭurfa, S. 492. Tatsächlich beschreibt Būlād in dem Werk den Verlust der Klosterbibliothek von Dair al-Muḫalliṣ bei Ṣaidā, wo auch einige seiner eigenen Bücher, aber nicht seine gesamte Bibliothek lagerte. Die unterschiedlichen Zahlen sind zum einen 167 in dem Werk katalogisierte und 1088 insgesamt als verloren genannte Bücher. 52 Kapitel 1

Geldern, welche im Budget der Ministerien gar nicht vorgesehen waren und wel- sogar den Jahresetat für außerplanmäßige Aufwendungen der Königlichen Bibliothek in Dresden sprengten. All dies zu überwinden wäre ohne die persön- liche Anteilnahme aller Beteiligten und der engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik wohl nicht möglich gewesen. Auch dass die Rifāʿīya am Ende in Leipzig aufgestellt wurde, war am Beginn der Verhandlungen noch überhaupt nicht absehbar. Mochten Wetzstein19 und Fleischer dies auch gehofft haben, eine so teure Erwerbung konnten sie vom sächsischen Staat wohl nur schwer erwarten und dieser wiederum hatte den Ankauf bis zuletzt eigentlich für die Königliche Bibliothek in Dresden betrieben. Am 20. März 1853 schrieb Wetzstein einen langen Brief an Fleischer, an des- sen Ende er auch zum ersten Mal die damals noch namenlose spätere Rifāʿīya erwähnt:

Zum Schluß eine wichtige Nachricht. Vorgestern habe ich bei dem alten Omar Efendi Elhamawy eine ganz unvergleichliche, nahe an 500 Bände starke arab. Biblioth. gesehen, nachdem ich schon Jahre lang von ihr gehört hatte. Sie ist vor mehrern Jahrhunderten gesammelt worden ش für den �ع���ر und war vor der (wegen der Bestimmung des gesetzlichen Kadhi) gesetzlichen Subhestation bei dem jedesmaligen Tode der frühern geschützt gewesen, daß sie vom ersten Sammler zum قفBesitzer dadurch erklärt worden war. Mit Genehmigung der Behörden hat و����-Familien der jetzige Besitzer der Sammlung einen Baumgarten substituiert, den er um 32,000 Piaster gekauft hat, und will nun die Sammlung verkaufen. Er verlangt 70,000 Piaster. Ich kann natürlich nicht daran denken, eine Summe von circa und mehr denn 4000 rf. auszugeben, aber ich erkläre Ihnen, daß die Bibliothek bei der Menge höchst kostbarer Werke eine Korane und Koraninterpretation ف.Zierde für jede europ. Bibl. seyn würde von Samachschari in 5 Bänden �ك��ش���ا �� sind außer einem Exemplar des nicht darunter. Es dürfte in ganz Syrien eine gleiche Sammlung nicht existieren. ف ق -ist höchstens in 25 bis 30 Bänden repräsentiert, die aber größ ا �ل������� �ه Der tentheils sehr werthvoll sind und zur Bearbeitung eines großen Werkes

19 Nachlass Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853: „Je mehr es bei mir zur fixen Idee geworden ist, mich nach meiner Rückkehr aus dem Orient bei Leipzig anzukaufen um in heiterm Privatleben an Ihrer Seite ganz unserer Wissenschaft zu leben, desto angenehmer wurde das mir (. . .?), diese reiche und werth- volle Bibliothek so nahe zu haben.“ Die Bibliothek 53

Abb. 10 Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888). Universitätsarchiv Leipzig N06241-055

über „Gesetz des Islam“ völlig ausreichen. Die Tradition ist durch ein vollständiges Exemplar des Buhari und nur noch höchstens durch 8–10 ش �ل ث ن ف� .vom Jahr 459) vertreten ,�م����ك�ل ا �ح�د ي���� لا ب�� �و ر ك Bücher (worunter Die Poesien sind meist Commentare. Darunter der Diwan von drei vor- ن ذ ذ ��س�ح� �ع���د �� ا �ل�ح��س���ح�ا �� ، ا � ا لا ��س د ا �ل�� ���ل ]�ك�� ا[ ا � ط�ا �ل��) muham. Dichtern يم ب ب ي� س بو و ي� بو ب ّٰ ي �ع ��س ا � ل�ه .Diese kostb. Handschrift ist vom Jahr 380 .( م ر و ل ل�� Der histor. u. biograph. u. literat. histor. Werke sind sehr viele, desglei- chen der astronomischen. Von Grammatik habe ich nur einen Folianten, �ش�� � م� ف�� ص� ا �ل ز م�خ� ش�� � bemerkt. Würde eine deutsche Regierung an den , رح ���� ل � � ر ي� Ankauf denken, so bin ich gern bereit, einen Katalog anzufertigen oder durch einen Scheich gegen mäßige Vergütung anfertigen zu lassen. Der vorhandene Katalog, der mit eingeschickt würde, ist nicht sehr brauchbar. Der Besitzer hat mir versprochen, innerhalb der nächsten 10 Wochen die Bibliothek Niemandem zum Verkauf anzubieten. Glauben Sie von dieser Mittheilung wirksamen Gebrauch machen zu können, so thun Sie es; Sie erwerben sich dadurch ein Verdienst um die orientalische­ Literatur. Ich 54 Kapitel 1

finde mich außer Stande, jetzt etwas weiteres selbst zu thun. Nachdem die k. preußische Regierung meine eigene Sammlung angekauft und auf mein abgegebenes Gutachten den Prof. Petermann zu wissenschaftlichen Untersuchungen in den Orient geschickt hat, scheue ich mich derselben für denselben Wissenszweig neue Opfer anzusinnen.

Dieser Brief erreichte Fleischer mit ungewöhnlicher Verzögerung erst am 17. Juni 1853, also nach fast drei Monaten und vor allem bereits nach Ablauf der 10-wöchigen Frist, welche ʿUmar ar-Rifāʿī Wetzstein zu geben zugestimmt hatte. Fleischer erkannte also den Zeitdruck und setzte gleich ein Schreiben an das königliche Cultusministerium auf, in dem er auf die „Wichtigkeit für das von mir vertretene Literaturfach“ verwies und auch nicht zu erwähnen ver- gaß, dass Wetzstein „ein geborener Sachse und ehemaliger Zuhörer von mir“ sei.20 Darüber hinaus zitiert Fleischer hauptsächlich den Brief Wetzsteins. Dieses Schreiben ging am 22. Juni 1853 ab und traf schon am 23. Juni in Dresden ein.21 Bereits am nächsten Tag wandte sich das Cultusministerium an das Ministerium des Inneren, mit der Bitte um Übernahme der Kosten, wel- che für das Cultusministerium nicht aufzubringen seien, „die zunehmende Wichtigkeit der orientalischen Literatur den Kauf einer so bedeutenden Bibliothek aber sehr wünschenswert“ erscheinen ließe.22 Ein vom 7. Juli 1853 datierendes „Incommunicat“ des Innenministeriums lehnte allerdings eine finanzielle Beteiligung ab: „Die der Königlichen Bibliothek jährlich angewie- senen Dispositionssumme von nur 3000 Thalern“ reiche nur für die von der Bibliothek normalerweise gesammelten Wissenszweige.23 Inzwischen hatte sich eine zweite, von Fleischer ins Auge gefasste Option bereits wieder zerschlagen: Am 22. Juni hatte er nicht nur seine eigene Regierung von dem Angebot aus Damaskus unterrichtet, er informierte auch die entsprechenden habsburgischen Stellen in Österreich. Ob ihn dies bei einer positiven Antwort aus Wien gegenüber dem anscheinend niemals in diese Unterhandlungen mit einer ausländischen Regierung eingeweihten Ministerium in Dresden in Erklärungsnot gebracht hätte, wissen wir nicht.

20 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2: Fleischer an Cultusministerium, Entwurf, Leipzig 22. Juni 1853. 21 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 127r. 22 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 129r. 23 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 131r. Die Bibliothek 55

Man stelle sich vor, das Cultusministerium hätte nach Aufbringung der finan- ziellen Mittel und bei echtem Kaufinteresse erleben müssen, wie die österrei- chische Behörde sie nach dem Hinweis eines sächsischen Staatsbediensteten ausbooten würde. Zu einer echten Konkurrenzsituation kam es jedoch gar nicht erst, denn der Schreiber des Antwortschreibens aus Österreich erklärte sich und seine ungenannte Behörde für nicht befugt, leitete die Angelegenheit an das Hofmeisteramt – dem die Hofbibliothek unterstand – weiter und wir lesen von dieser Seite nie wieder ein Wort.24 Später wird der große österrei- chische Orientalist Josef von Hammer-Purgstall dazu an Fleischer schreiben: „übrigens ist es mehr als zweifelhaft, ob die Hofbibliothek, deren Vorsteher und Kustoden für orientalische Litteratur wenig Interesse haben, je sich zu die- ser Ausgabe hätten entschließen können, welche Ihrer Regierung die größte Ehre macht und wozu Sie gewiss das meiste beigetragen haben.“25 Welche Hoffnungen Fleischer wirklich an diese Adresse geknüpft hatte, ist schwer zu sagen. Mit allzu großer Energie hat er diesen Weg jedenfalls nicht verfolgt. Das sächsische Ministerium des Cultus und des öffentlichen Unterrichts, ohne noch eine sichere Finanzierungsgrundlage zu haben, gab indes nicht auf und beauftragte Fleischer am 12. Juli 1853 offiziell in einer Verordnung, Unterhandlungen mit dem Bibliotheksinhaber aufzunehmen. Er sollte dies, um den Preis möglichst nicht in die Höhe zu treiben, auf seinen eigenen Namen tun und zuerst einen Katalog der Sammlung anfordern.26 Als diese offizielle Anordnung am 19. Juli bei Fleischer eintraf, wusste dieser freilich schon, was er zu tun hatte, denn bereits am 28. Juni hatte der Minister Johann Paul von Falkenstein (1801–1882) Fleischer persönlich in Leipzig aufgesucht, um ihn von der bevorstehenden Antwort des Ministeriums in Kenntnis zu set- zen und mit der „Anknüpfung von Unterhandlungen zum Zwecke des Ankaufs der bewussten Sammlung für die sächsische Regierung jedoch mit einstwei- liger Geheimhaltung derselben“ zu beauftragen.27 Falkenstein und Fleischer entstammten demselben Jahrgang und der Minister hatte lange Zeit in Leipzig verbracht, wo er in den 1830er Jahren als Regierungskommissar auch für die staatliche Aufsicht der Universität zuständig war. In dieser Funktion war er bereits ein steter Förderer seiner ehemaligen Alma mater, deren Innenleben er als Student und Dozent gründlich kennengelernt hatte, und blieb dies auch

24 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2: Österreichische Behörde an Fleischer, Wien 27. Juni 1853. 25 NL Fleischer Kopenhagen, Hammer-Purgstall an Fleischer, Wien 2. Februar 1854. 26 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 136r–137v. 27 NL Fleischer Leipzig 267.6.4.1. „Chronologie der Erwerbung“. 56 Kapitel 1

ABB. 11 Johann Paul Freiherr von Falkenstein (1801–1882). wikimedia in seiner neuen Stellung als Minister. Dies dürfte die in dieser Begegnung zu sehende enge und persönliche Zusammenarbeit zwischen Forschung und Politik, durch welche das ganze Unternehmen des Erwerbs erst ermög- licht wurde, sehr befördert haben. Fleischer reagierte auf diese mündliche Mitteilung sofort und schickte noch am 28. Juni einen Brief mit dem Auftrag zur Übernahme der Verhandlungen an Wetzstein. Dieser Brief erreichte Damaskus wiederum erst am 30. Juli. Auch Wetzstein verlor nun keine Zeit, musste aber durch die Abwesenheit des Bibliotheksbesitzers einen Aufschub erdulden und antwortete am 22. September:

Indem ich Ew. Hochwürden für die zeitherigen Bemühungen in dieser Angelegenheit herzlich danke, wünschte ich Sie gern zu überzeugen, daß auch ich hier meine Pflich gethan habe. Bei Ankunft Ihrer Briefe befand sich Omar Efendi auf seinem Landgut bei Hama, um seine Erndte einzu- bringen. Den 8ten August kam er zurück und den 10ten früh gieng ich zu ihm, um mir die Bücher genauer anzusehen, die ich vorher nur zweimal­ flüchtig gesehen hatte. Ich fand die Bibliothek in 6 Wandschränken auf- gestellt, und zählte 470 Bände, von denen ich mir ein oberflächliches Verzeichnis machte. Einen Haufen Blätter und Documente packten wir in einen Sack und versiegelten diesen mit meinem Ring. Den 11. August Die Bibliothek 57

brachte ich von Morgen bis Abend und den 12. bis Mittag im Hause des Efendi zu, um die Bibliothek, zur Bestimmung ihres Werths, genauer zu mustern, u. ich war mit dem Ergebnis völlig zufrieden.28

Dann fuhr er jedoch fort:

Jetzt aber begann meine Noth. Als meine Musterung zu Ende war, meinte der Mann, der Handel könne nun sofort abgeschlossen, das Geld gezahlt werden. Wie erstaunte er, als er hörte, daß ich noch einen Catalog machen und diesen dem Käufer zusenden müsste. Nach langem Schweigen brach er in die Worte aus: „So rächt sich der Religions Haß. Hätte ich dem Kasîs (Priester) Gehör gegeben, so hätte ich schon lange mein Geld.“ Es reiste nämlich vor mehrern Jahren ein Herr Briston (?)29 ein vornehmer Engländer, hier durch, welcher in Gesellschaft des hie- sigen Antiquitätenhändlers Anton Bulad (griech. kathol. Geistlicher) die Bibliothek gesehen und letzterem den Auftrag gegeben hatte, die- selbe wo möglich für ihn anzukaufen, und die Versuche Bulad’s, sei- nen Auftrag zu erfüllen, hatten in dem Besitzer den Gedanken erzeugt, genährt und zur Ausführung gebracht, die Mss, welche seit 1188 der Higra Familienstiftung – waqf30 – waren, durch Tausch in sein freies und recht- liches Eigenthum zu verwandeln, und dann zu verwerthen. Welch eine Summe dem Priester zu diesem Zweck zur Verfügung stand, ist mir unbe- kannt, und ich habe absichtlich darüber mit ihm nicht sprechen wollen, damit er meine Absichten nicht vermuthe, (. . .).31

28 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1r. 29 Anmerkung Fleischer: „Wahrscheinlich Preston, jetzt an der Universität Cambridge ange- stellt. Fl.“ 30 Fußnote durch Wetzstein: „Nach des Besitzers Mittheilung war dieser waqf ursprüngl. 400 Bände stark, mit der Zeit sind Bücher davon, andere dazu gekommen. Bei dem Tode seines Vaters fanden sich 425 Bände vor, und das jetzige Plus ist neuerdings dazu gekom- men. Der vorhandene Catalog ist unvollständig und schlecht geschrieben, doch hat mir der Efendi zugesagt, ihn mir in guter Copie bei dem Empfang der Gelder zugleich mit der Quittung auszuhändigen. – Die Verwaltung der hiesigen waqf-Bibliotheken ist äußerst gewissenlos. Ich habe Cataloge von Moscheebibliotheken gesehen, die Tausende von Nummern zählten, während in der Tat nur noch Dutzende davon vorhanden sind. Die Omawy hatte gegen 15.000 Bände, jetzt sind noch 364 vorhanden. Der Staat hat bloß die Verwaltung der waqf-Grundstücke sich angeeignet, wovon er zeither 10 % der Revenüen für seine Mühwaltung nahm. Seit 2 Jahren werden die Revenüen der waqf-Grundstücke gar nicht mehr gezahlt!“ 31 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 58 Kapitel 1

Bereits Fleischer bemerkte in einer Randnotiz im Brief, dass es sich bei dem von ʿUmar ar-Rifāʿī genannten Herren Briston um den jungen Theodore Preston handeln musste, mit dem er selbst spätestens seit 1851 in brieflichem Kontakt stand.32 Preston war Fellow am Trinity College in Cambridge und aussichtsrei- cher Kandidat auf einen dortigen Arabisch-Lehrstuhl. Auf Reisen in der Levante konnte er eine bedeutende Sammlung von Handschriften zusammentragen und hatte offenbar auch die finanziellen Mittel für ein so großes Projekt wie die Erwerbung der Rifāʿīya. Wieder in Cambridge hatte er sich, nach Meinung der Fachwelt recht erfolgreich, an nichts geringerem als der Übersetzung von al-Ḥarīrīs Sprachkunstwerk der Maqāmāt versucht. Obwohl er den renom- mierten Arabisch-Lehrstuhl seiner Universität in der Folge tatsächlich erhal- ten sollte, war sein wissenschaftlicher Eifer anscheinend vollkommen erlahmt. Im Jahr 1853 veröffentlichte Preston noch einen lateinisch verfassten Katalog der orientalischen Handschriften in Cambridge.33 Danach konnte ich keine einzige Publikation unter seinem Namen mehr ausfindig machen. Die spürbare Resignation ʿUmar efendīs war für Wetzstein gefährlich, denn er hätte sich immer noch jederzeit an Anṭūn Būlād wenden können, um das Geschäft sofort abzuschließen. Aber auch in Wetzsteins Augen war der gefor- derte Kaufpreis etwas zu hoch und er versuchte mehrmals, einen besseren auszuhandeln, wie er es ja auch anfangs in seinen Schreiben nach Sachsen angekündigt hatte: „Seitdem ich jenen ersten Brief geschrieben, ist der Mann oft bei mir gewesen, und ich habe wiederholt Veranlassung genommen, mit ihm über eine nothwendige Ermäßigung des geforderten Preises zu sprechen, aber mich auch dabei überzeugt, daß wie früher so später die 70000 Piaster sein einziges Wort blieben.“34 Erst die Aussicht auf weitere Verzögerungen durch die Anfertigung, Einsendung und Prüfung eines Kataloges ließen ihn dermaßen verzweifeln, dass er nach Wetzsteins Schilderung schließlich ausrief: „Laß mich nicht länger warten, nimm die Bücher für 66000 P. wie du neulich geboten hast, aber gegen sofortige Zahlung.“35 Das Drängen des Besitzers und seine offenbar zunehmende Verzweiflung ob des zeitraubenden Briefverkehrs erklärt Wetzstein mit Mentalitätsunterschieden – „das Zuwarten

32 Ein im Kopenhagener Nachlass erhaltener Brief, der Fleischer am 10. Mai 1851 erreichte, bezieht sich bereits auf ein vorhergehendes Schreiben Fleischers. Vgl. zu Preston auch Roper: Aḥmad Fāris al-Shidyāq, S. 246. 33 Catalogus Bibliothecae Burckhardtianae cum appendice librorum aliorum orientalium in Bibliotheca Academiae Cantabrigiensis asservatorum. Cambridge 1853. Zur Kritik an diesem Katalog vgl. Roper: Aḥmad Fāris al-Shidyāq, S. 237–238. 34 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 35 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. Die Bibliothek 59 ist dem Araber schrecklich“36 heißt es – aber auch mit handfesten finanziellen Gesichtspunkten:

Doch muss man auch gerecht seyn, das baare Capital verzinst sich hier bei 24 %, selbst bei sicherer Hypothek, und obgleich die Türkische Regierung im vergangenen Jahre den Zinsfuß für Syrien auf 12 % festgestellt hat, so hat sie vor 3 Monaten doch selbst 1000 Beutel zur Mobilisierung der großen Pilgerfahrt bei den hiesigen europ. Juden zu 24 % aufgenom- men. Indem also der Efendi von der Zeit an, wo ich den ersten Brief an Ew. Hochwürden in dieser Sache geschrieben, bis nach Eintreffen einer letzten Antwort mindestens ½ Jahre sich gedulden muß, so geht ihm an Zinsen an 8000 Piaster verloren.37

Die gefährliche Situation der oben beschriebenen Begegnungen vom 10. bis zum 12. August, „der Schmerz getäuschter Hoffnung“ auf Seiten des Verkäufers, konnte durch Vermittlung von Wetzsteins Kanzler38 noch einmal entschärft werden. Dieser, ein extrem reicher jüdischer Großgrundbesitzer,39 besuchte den Bibliotheksbesitzer am nächsten Tag und handelte einen Kompromiss aus:

Die ganze Bibliothek wird ohne Aufsehen zu erregen behufs der Katalogisierung ins Consulat gebracht – denn in der Wohnung des Efendi hätte ich bei dem Argwohn der fanatischen Bevölkerung den Katalog nimmermehr anfertigen können – dagegen wird dem Besitzer eine von mir u. meinem Canzler unterzeichnete Obligation über 70000 Piaster als Pfand eingehändigt, die in 3 Monaten, vom 1. October an gerechnet, ent- weder durch Zahlung des Betrags oder Rückgabe der Bibliothek eingelöst wird. Noch denselben Abend schickte mir Omar Efendi die ersten 50 Mss. in zwei Kistchen, denen nach u. nach alle übrigen folgten, so daß gegen- wärtig die ganze Sammlung bei mir ist.40

Woher kam aber diese Angst vor dem Bekanntwerden des vollkommen lega- len Geschäftes? Schließlich hatten westliche Käufer auf dem syrischen Markt bereits seit langer Zeit eine herausragende Rolle gespielt und Tausende von

36 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 37 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 38 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 39 Nach Huhn: Juden, S. 77–80 war dies Šaḥāda Islāmbūlī, einer der reichsten Männer der Stadt, der mehr als 80 Dörfer besaß. 40 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 60 Kapitel 1

Handschriften – allein Wetzstein erwarb neben der Rifāʿīya noch fast 2.500 Bände – mit in ihre Heimat genommen. Auf der einen Seite mag finanziel- ler Neid eine Rolle gespielt haben, denn ʿUmar ar-Rifāʿī machte ein sehr gutes Geschäft mit seiner Bibliothek. Allerdings sollte dies nicht zu hoch bewertet werden, denn nicht nur war ʿUmar wohl auch vorher nicht arm, der Erwerb von Reichtum war auch keinesfalls gesellschaftlich geächtet. Auf der ande- ren Seite dürfte aber der Umstand, diesen Gewinn durch den Verkauf seines kulturellen und vor allem religiösen Erbes erzielt zu haben, eine viel größere Rolle gespielt haben. Gerade die Korane, in der Rifāʿīya immerhin drei an der Zahl, und die vielen zur religiösen Wissenschaft gehörigen Texte innerhalb der Bibliothek waren ein Politikum. So berichten einige Reisende davon, dass der Buchmarkt Nicht-Muslimen gegenüber argwöhnisch war und nach religiöser Literatur besser nicht zu fragen sei, wollte man nicht den Zorn der Buchhändler bis hin zu Handgreiflichkeiten auf sich ziehen. Der Kauf solcher Literatur fand demnach nur im Geheimen statt, eben so wie es zwischen ʿUmar ar-Rifāʿī und Wetzstein der Fall war.41 Wetzsteins Brief vom 22. September ging wiederum am 22. Oktober in Leipzig ein. Eine Woche später, den 29. Oktober, hielt Wetzstein den nächsten Brief aus Leipzig in der Hand. Fleischer hatte ihm darin zwischenzeitlich mit- geteilt, dass an der Erwerbung, auch ohne offizielle Formulierung einer Zusage durch das Ministerium, nicht mehr gezweifelt werden könne. Und auch ein Brief des durch Wetzstein mit der Abwicklung der möglichen Überweisung des Kaufpreises beauftragten Handelshauses Herrmann und Sohn aus Bischofswerda kam mit der gleichen Post und ähnlich positiver Botschaft an. Letztere waren Tuchfabrikanten und hatten für bereits gelieferte Waren noch hohe ausstehende Rechnungen bei Wetzsteins jüdischem Handelspartner Menahem Fārḥī. Also sollte dieser die Bezahlung der Bibliothek übernehmen und gegen seine Schulden verrechnen, während die sächsische Firma das ihr zustehende Geld von der sächsischen Regierung erhalten würde. Die Schreiben erreichten Wetzstein schon nicht mehr in Damaskus, sondern bereits in Beirut, denn er hatte die Bibliothek in der Zwischenzeit auf eigene Faust ver- packen und unter seinem persönlichen Geleit in die libanesische Hafenstadt transportieren lassen. Die Gründe dieses riskanten Manövers – wäre den Büchern unterwegs etwas zugestoßen, so wäre das an ʿUmar ar-Rifāʿī gegebene Pfand durch den Kaufpreis einzulösen gewesen – waren zweierlei Natur: Die internationale Politik der großen Mächte machte sich auch in einer so abge- legenen Provinz des osmanischen Riesenreiches bemerkbar. Der kommende Krimkrieg zwischen Russland, England und dem Osmanischen Reich kündigte

41 Vgl. Kapitel 2.11.2 „Buchmarkt“. Die Bibliothek 61 sich ­deutlich an und drohte, die Verkehrsverbindungen in Syrien unsicher zu machen. Gerade das oft im Zentrum regionaler Konflikte liegende Gebiet der Drusen, zu denen Wetzstein nach eigenen Angaben ansonsten sehr gute Beziehungen unterhielt,42 konnte schnell unpassierbar werden. Gleichzeitig scheint er aber dieses große Risiko an Sicherheit und Finanzen nicht einzig wegen der Bibliothek eingegangen zu sein. Sein Weg führte ihn sowieso nach Beirut, da er dort seine aus Berlin kommenden zukünftigen Schwiegereltern abholen musste.43 Darüber hinaus fühlte sich Wetzstein nun auch im weltoffenen Beirut nicht sehr sicher. Sehr alarmierend schrieb er noch am 17. Oktober aus Damaskus, er hielte es durchaus für möglich, dass eine „Erhebung des Islam“ gegen die Christen und Franken gerade in Beirut beginnen könnte, da diese dort beson- ders hochmütig aufträten. Er empfahl daher bereits damals einen schnellen Bescheid für den Ankauf.44 Gleichzeitig steuerte das Dampfschiff des öster- reichischen Lloyd Beirut nur zwei Mal im Monat an. So kamen Wetzstein die beiden Nachrichten aus Sachsen sehr gelegen und er hielt es für geraten, der Zusagen seines Lehrers und seiner Handelspartner zu vertrauen und die Bücher, „mit 8000 Th. preußisch courrant assecuriert“,45 auch ohne formale Zusage der sächsischen Regierung abzuschicken. Von nun an gab es keinen Weg mehr aus dem Geschäft heraus. In Sachsen klärte man derweil ganz grundsätzliche Fragen, welche für die Zukunft der Bibliothek, so banal sie auch in der Rückschau klingen mögen, von entscheidender Bedeutung waren. Bisher hatte diese Bibliothek nämlich noch keinen Namen, man schrieb von einer Büchersammlung. Im November über- mittelte Fleischer die Bitte ʿUmar efendīs an das Ministerium in Dresden, seine Bibliothek als Einheit in gesonderter Aufstellung bestehen zu lassen.46 Und hier kam zum ersten Mal der Familienname ar-Rifāʿī ins Spiel, nach dem die

42 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v: Für den sicheren Transport der Bibliothek nach Beirut kann Wetzstein garantieren, da „die Drusen mir ergeben sind“ und er die Sendung persönlich begleiten würde. 43 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 165r: Abschrift des Briefes Wetzstein an Fleischer, Damaskus 17. Oktober 1853. 44 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, Nr. 165r: Abschrift des Briefes Wetzstein an Fleischer, Damaskus 17. Oktober 1853. 45 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Beirut 29. Oktober 1853. 46 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 163r: Abschrift Brief Fleischer an Ministerium des Cultus, Leipzig 21. November 1853. 62 Kapitel 1

Sammlung nun also die Rifāʿīya heißen sollte. Wäre dies nicht passiert, wäre eine Rekonstruktion der Rifāʿīya heute unmöglich gewesen! All dies wurde mit einem Schreiben vom 29. November durch Dresden bestätigt mit dem für Fleischer erfreulichen Zusatz, dass die Bücher doch nicht in Dresden, sondern in Leipzig ihren Platz finden sollten:

Das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts ist auf Ihr Schreiben vom 21sten dieses Monats, damit einverstanden, daß die von Omer Efendi erkaufte Handschriften=Sammlung mit dem zeitherigen Namen „Refaïya“ bezeichnet und als eine besondere Abtheilung der Handschriften=Sammlungen in der Universitäts=Bibliothek zu Leipzig aufbewahrt werde und haben Sie solches dem Consul Dr. Wetzstein zur weiteren Mittheilung an Omer Efendi bekannt zu machen, wobei dem- selben zugleich in Beziehung auf sein Anerbieten eröffnet werden mag, daß Man, wenn er noch einige der von Dr. Wetzstein ausgeschossenen Schriften ohne Erhöhung des Kaufpreises überlassen wolle, solche mit Dank annehmen werde.

Aber nicht nur waren die Handschriftenkisten noch nicht in Sachsen angekom- men, auch in Damaskus gab es noch einiges zu tun, bis Wetzstein die Akte Rifāʿīya endgültig schließen konnte. Der Konsul hatte die große Zahl von 38 Büchern – also etwa 8 % der ganzen Bibliothek! – als wertlos aus dem Kaufgeschäft aus- geschlossen und für sie Ersatz in Form von 15 guten Handschriften gefordert. ʿUmar ar-Rifāʿī war nach allen überwundenen Schwierigkeiten über das schließliche Zustandekommen des Geschäftes anscheinend sehr erleichtert. Zumindest zeigte er sich im Folgenden erstaunlich zuvorkommend. Nachdem er sich in den Verhandlungen um den Kaufpreis so unbeugsam gezeigt hatte und von seiner ursprünglichen Forderungen nach 70.000 Piastern kein biss- chen abgegangen war, bot er nun an, die von Wetzstein aussortierten und von ihm zu ersetzenden Handschriften, von denen Fleischer einige wieder in die Bibliothek eingegliedert haben wollte, doch noch und ohne Erhöhung des Kaufpreises nachzusenden. Auch soll er nach Wetzsteins Aussage sehr erfreut über die ihm erst am Schluss offenbarte Identität des Käufers, nämlich der sächsischen Regierung, gewesen sein.47 Am 7. Dezember setzte die Firma Cloetta und Schwarz in Triest einen Brief an Fleischer auf, um diesem die Ankunft von „5 Kisten Arabische Manuscripten“

47 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 165r: Abschrift des Briefes Wetzstein an Fleischer, Damaskus 17. Oktober 1853. Die Bibliothek 63 mit dem letzten Dampfer aus Beirut anzuzeigen.48 Die Fracht sei sogleich an das „Hohe koenigl. Sächsische Ministerium des Cultus in Dresden“ versendet­ worden. Von der Änderung des Bestimmungsortes nach Leipzig hatte die Spedition zu diesem Zeitpunkt noch nichts mitbekommen. Während die Bücher also noch auf dem Weg nach Sachsen waren, kam der Prima-Wechsel von Herrmann und Sohn in Damaskus an und Menahem Farhi konnte den Kaufpreis an ʿUmar efendī gegen die bereits erhaltenen Tuche von der Bischofswerdaner Firma am 8. Dezember ausbezahlen.49 Vom 22. Dezember 1853 findet sich im Nachlass Fleischers schließlich ein Handbillet von Ernst Gotthelf Gersdorf (1804–1874), damals Direktor der Universitätsbibliothek mit der ersehnten Nachricht, dass die in fünf Kisten verpackten Bücher am Abend des 21. Dezember in Leipzig angekommen waren und nun ihrer Inspektion harrten. „Nachnahme und Spesen“ wurden von der Bibliothek zwar nur „vorläufig und bis auf weitere Anordnung“ beglichen, doch Gersdorf wollte die Ungeduld Fleischers nicht übermäßig strapazieren und bot an, die Kisten noch vor Eintreffen der ministeriellen Genehmigung öffnen zu lassen. Fleischer reagierte dementsprechend schnell und vermerkte: „beantw[ortet] dens[elben] T[ag]“.50 Ende 1853 stand die Rifāʿīya also als eigenständige Untersammlung in einem Schrank in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig. Die Nachwehen des Geschäftes zogen sich jedoch noch weit in das Jahr 1854 hinein. Am 10. März 1854 berichtet Wetzstein, der Efendi habe bereits 9 der 15 Ersatznummern geliefert.51 Doch erst am 21. Juni 1854 kann er nach Leipzig das Eintreffen aller Ersatzhandschriften berichten: „Somit wäre denn die Angelegenheit d. Rifāʿīya geendet.“ Gute Handschriften oder solche, die Wetzsteins Ansprüchen genügten, zu erwerben, war offenbar nicht allzu ein- fach in Damaskus. Mit dieser Nachlese war er denn auch nicht vollkommen zufrieden: „Ich hätte gerne einige kostbare Mss unter den 15 gehabt, aber diese sind rar, u. ich gebe zu, daß ich dem Efendi wenigstens 40 Mss. die ich nicht habe annehmen wollen, zurückgegeben habe.“52 Doch auf diese Nachlieferung von 23 Handschriften – 15 Nachträge, einige in der ersten Sendung verges- sene, vier von den ausgesonderten und durch Fleischer nachverlangte sowie ein Konvolut mit Zetteln – musste man in Leipzig ebenfalls noch bis Ende August 1854 warten, als ein Brief der Speditionsgesellschaft Fleischer und die

48 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2, Cloetta & Schwarz an Fleischer, Triest 7. Dezember 1853. 49 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 29. November 1853. 50 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2, Gersdorf an Fleischer, Leipzig 22. Dezember 1853. 51 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 10. März 1854. 52 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 21. Juni 1854. 64 Kapitel 1

Universitätsbibliothek darüber informierte, dass eine „Kiste Arab. Mss.“ in Triest angelangt und sofort nach Leipzig weiterversendet worden sei.53 Und auch jetzt war das Kapitel Erwerb der Rifāʿīya noch nicht endgültig beendet. Einem Brief vom 5. Dezember 1854, der erst ein halbes Jahr später, am 6. Juni 1855 sein Ziel erreichte und in dem Wetzstein eine Bestätigung für die Ankunft der letzten Sendung der Nachträge verlangte, legte er auch „Omars letztes Geschenk an die Refaiya“, eine Handschrift des von Fleischer gesuchten Fiqh al-luġa aus dem Jahre 1143 / 1730–31 mit vielen marginalen Varianten bei (Vollers 548).54 Dem Brief beigelegt waren auch Dankschreiben an den Minister Falkenstein und den sächsischen König, denn seine Bemühungen um den Erwerb der Rifāʿīya hatten dem preußischen Konsul auf Antrag Falkensteins in der Zwischenzeit den kurz zuvor gestifteten sächsischen Albrechts-Orden ein- gebracht. Mit großer Bescheidenheit hebt Wetzstein dennoch die Rolle seines ehemaligen Lehrers Fleischer hervor, als er das Geschäft reümiert:

Ich bin sehr zufrieden, daß die Sache zu Stande gekommen ist, aber ich bekenne, daß Sie die bei weitem größere Hauptsache gethan haben. Meine die R. betreffenden Papiere sind incl. des Katalogs ein sehr kleines Päckchen, und ein Gummibändchen vom Ärmel meiner Schönen hält sie zusammen. Welchen Umfang mögen Ihre Acta haben! Es ist eine unbe- strittene Thatsache, daß durch Sie die Mss. nach Leipzig gekommen sind, nicht durch mich.55

Für Fleischer musste es nun daran gehen, den Schatz zu sichten und die frohe Botschaft in der Gemeinde der Fachöffentlichkeit zu verbreiten. Er tat dies zum einen im noch jungen Zentralorgan der deutschen Orientwissenschaft mit seinem detaillierten Aufsatz „Die Refaїya“ und zum anderen in einem Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, damals eine der angesehens- ten Publikationen der deutschsprachigen Presselandschaft. Und wie bei den Verkaufsverhandlungen war auch hierbei Fingerspitzengefühl gefragt. Denn wie Wetzstein noch kurz nach dem Geschäft, „wenn es nicht schon zu spät ist“, an Fleischer mitteilte, wurden beide Publikationen zumindest indirekt auch in Damaskus rezipiert. Sollte der Verkauf der Bibliothek in der Stadt bekannt werden, würde dies bei ʿUmar ar-Rifāʿīs „Muselmanischen Glaubensgenossen“ gar nicht gut ankommen, „was mir um den armen Teufel leid seyn würde.“56 Die

53 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 1 „Chronologie der Erwerbung“. 54 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 5. Dezember 1854. 55 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 5. Dezember 1854, fol. 2r. 56 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 13. Mai 1854, S. 8. Die Bibliothek 65

Warnung kam zwar zu spät, doch der inkriminierende Name von Fleischers Artikel blieb zum Glück unbemerkt.57 Ein organisatorisches Problem, das die gesamten Verhandlungen begleitete war die Bezahlung des Kaufpreises. Für einen deutschen Kleinstaat wie Sachsen ohne nennenswerte diplomatische Kontakte an die Hohe Pforte war es nicht alltäglich, eine große Menge Geldes in eine osmanische Provinz zu ­überweisen. Da es in diesen Jahren noch kein international operierendes Bankhaus in der Region gab, musste man in diesem Fall auf die Bezahlmechanismen des Fernhandels zurückgreifen. Netzwerke von Händlern verbanden Syrien mit der gesamten Mittelmeerregion, syrische Familien konnten sich sogar bis nach Großbritannien etablieren. Hier konnte Wetzsteins langjährige Erfahrung in der Abwicklung solcher Handelsgeschäfte weiterhelfen. Er hatte neben konsulari- schen Tätigkeiten immer auch die Interessen deutscher – und bei weitem nicht nur preussischer – Firmen vertreten, die ihre Produkte in Damaskus absetzen wollten. Eine dieser Firmen war das sächsische Handelshaus F. C. Herrmann und Sohn aus Bischofswerda in der Lausitz, deren Tuche Wetzstein bereits seit 1849 vermittelte.58 Sie hatte selbst allen Grund über den Zahlungsverkehr mit Damaskus unzufrieden zu sein, beklagte sich noch im April 1853 über Ausstände und verlangte von Wetzstein für zukünftige Geschäfte eine Garantie.59 Die Bezahlung der Bibliothek konnte mit alten Ausständen und neuen Geschäften verrechnet werden und war somit sicherlich ein willkommener und siche- rer Schritt sowohl für Wetzstein als auch für das sächsische Handelshaus.60 Wetzstein hatte diese Möglichkeit bereits in einem Brief vom 8. August ins Spiel gebracht, da er sowohl Tuche der Firma in Beirut liegen als auch den Betrag von 40.000 für Herrmann und Sohn bestimmte Piaster bar von seinem Damaszener Abnehmer Menāḥīm Fārḥī erhalten hatte, beides jedoch wegen der unsische- ren Lage im Drusengebirge nicht transportieren konnte: „In 6 Wochen ist der Postcourier 3 Mal getötet worden.“61 Dem anscheinend skeptischen sächsi- schen Ministerium erläuterte die Firma Herrmann und Sohn das Verfahren und seine Praktikabilität in einem Brief vom 9. November dann nochmals

57 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 21. Juni 1854. 58 Vgl. zum Handelshaus und Wetzsteins Geschäften auch Huhn: Der Orientalist, S. 115–117. 59 Ebd., S. 117. 60 Ebd., S. 117 konnte die Zahlung des sächsischen Cultus-Ministeriums vom 5. November 1853 mit den ihr zur Verfügung stehenden Dokumenten noch nicht einordnen und speku- lierte: „offenbar hatte sich Wetzstein mit der Bitte um finanzielle Hilfe an das Ministerium gewandt.“ 61 HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 148r: Wetzstein an Handelshaus Herrmann in Bischofswerda, Damaskus 8. August 1853. 66 Kapitel 1 ausführlich, freilich ohne die eigenen Schwierigkeiten in der Vergangenheit zu erwähnen.62 Der bargeldlose­ Zahlungsverkehr musste die Form eines Wechsels annehmen und funktionierte in diesem Fall über mehrere Partner: Einer der Hauptabnehmer der Bischofswerdaner Tuche in Damaskus war Menāḥīm Fārḥī aus einer der bedeutendsten jüdischen Händler- und Finanzdynastien Syriens, die ihren wirtschaftlichen und politischen Zenit um die Mitte des 19. Jahrhunderts freilich bereits überschritten hatte.63 Er hatte sich erboten, die Bibliothek ganz oder teilweise zu bezahlen, wogegen er von der Bezahlung erhaltener Tuche durch Tratten bzw. Rimessen (vom Zahler ausgestellter Wechsel) freigestellt werden würde. Deren Betrag würde stattdessen durch die Überweisung des Ministeriums aus Dresden gedeckt. Dies hatte den Vorteil, dass für die Bezahlung der Stoffe keine Wechsel von Syrien nach Sachsen und für die Bezahlung der Bibliothek keine in die umgekehrte Richtung wandern mussten. Damit musste auch der geldwerte Wechsel selbst nicht transportiert werden. Bargeld floss stattdessen jeweils direkt vor Ort.

1.2 Der Verkäufer: Wer war Omar Efendi Elhamawy?

So minutiös der Gang der Erwerbung dokumentarisch nachverfolgt werden kann, so schwierig gestaltet sich auf der anderen Seite die Suche nach dem Verkäufer der Bibliothek. An anderer Stelle64 hatte ich bereits mit einiger Zuversicht versucht, den von Fleischer in seinem Artikel genannten ʿUmar ar-Rifāʿī al-Ḥamawī mit einem literarisch bezeugten ʿUmar al-Ḥarīrī ar-Rifāʿī, Oberhaupt des Rifāʿīya-Ordens der Stadt Ḥamāh und verstorben 1280 / 1863 in Damaskus, in Verbindung zu bringen.65 Was mir damals selbst noch als etwas wackelige Hypothese erschien, hat sich durch neu herangezogene archivalische Quellen nun durchaus erhärtet, wenn Zweifel auch weiterhin angebracht sind. Vor allem aus Wetzsteins bisher noch nicht ausgewerteten Briefen kristal- lisiert sich ein zumindest grobes Charakter- und Lebensbild ʿUmars heraus. Demnach war ʿUmar zur Zeit des Verkaufs an Wetzstein ein alter Mann.66 Dies

62 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2, Handelshaus Herrmann und Sohn an das Königliche Ministerium des Cultus und des öffentlichen Unterrichts, Bischofswerda 9. November 1853. 63 Vgl. v.a. zur politischen Geschichte der Familie Philipp: The Farhi family. 64 Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, S. 92–94. 65 Ṣaiyādī: Rauḍ al-bassām, S. 134; Ders.: Tanwīr al-abṣār, S. 117–118; Baiṭār: Ḥilyat II, S. 1142–1143: ʿUmar b. Ḥasan b. Muḥammad b. Abī Bakr b. Muḥammad b. Aḥmad b. ʿAbd al-Bāsiṭ b. Maḥfūẓ b. ʿAbd al-Bāsiṭ b. ʿAbd ad-Dāʾim al-Ḥarīrī. 66 „bei dem alten Omar Efendi Elhamawy“. Die Bibliothek 67 passt sehr gut mit dem bei von Abū l-Hudā aṣ-Ṣaiyādī und den ihm folgenden arabischen Quellen beschriebenen Mann zusammen, der nur wenige Jahre nach dem Geschäft, nämlich 1280 / 1863 verstarb. Wetzstein erwähnt einige Jahre später auch, dass ʿUmar einst Richter (qāḍī) war.67 Einer meiner gewichtigsten Zweifel an der Identifizierung ʿUmar al-Ḥarīrīs mit dem Besitzer der Rifāʿīya erwuchs aus dem Namen. Schließlich war ʿUmar al-Ḥarīrī zwar auch Rifāʿī-Scheich, aber trug in der Biographie nach Baiṭār diese nisba eben nicht als veritablen Familiennamen, während sie allein schon aus der Benennung der Bibliothek als Rifāʿīya als der Familienname von deren Besitzern erschien. Nun waren Familiennamen nicht nur im osmanischen Syrien der Zeit eine komplizierte, auf eine soziale Oberschicht begrenzte, vor allem aber sich auch ständig und teilweise recht willkürlich ändernde Art der persönlichen Identifizierung. Meist hatte eine Person mehrere Möglichkeiten, sich aus dem eigenen Beruf (etwa al-Ḫarrāṭ, al-ʿAṭṭār), Herkunft- oder Wohnort (etwa an-Nābulusī), prominenten Vorfahren (etwa al-Murādī, abgeleitet von einem Vorfahren Murād), der Zugehörigkeit zu einem religiösen Orden oder einer Rechtsschule (etwa al-Qādirī aš-Šāfiʿī), seine bevorzugte Identifikation auszuwählen, die nach Ausweis dokumentarischer Quellen nicht immer mit dem Namen übereinstimmen muss, unter dem eine Person in der Literatur hauptsächlich bekannt war. Man konnte sogar versuchen, fest etablierte und sehr bekannte Familiennamen zu manipulieren: Einen bekannteren Namen als Aḥmad Muʾaiyad al-ʿAẓm (1221 / 1806–07 – 1306 / 1888–89) aus der Familie, wel- che die politischen Geschicke der zentralsyrischen Provinzen im 18. Jahrhundert bestimmte wie keine andere, konnte man nicht haben. Dennoch wollte er es noch posthum durchsetzen, dass seine Nachkommen einen neuen Zweig begründen und zur Familie al-Muʾaiyadī werden, und zwar „in Ausführung sei- nes Vermächtnisses, durch welches er sein Andenken erhalten wollte.“68 In diesem Zusammenhang ist es höchst aufschlussreich, zu sehen, wie Wetzstein von ʿUmar ar-Rifāʿī in der Korrespondenz zuerst ausschließlich als Elhamawy (al-Ḥamawī) spricht. Offenbar kannte er ihn unter diesem Namen, da der Mann in seiner Damaszener Umgebung für seine Beziehung zur nordsy- rischen Stadt Ḥamāh bekannt gewesen sein muss, was eine Identifikation mit Baiṭārs ʿUmar al-Ḥarīrī bekräftigen würde. Und tatsächlich musste Wetzstein ja auf seinen ʿUmar einmal zur Erntezeit mehrere Tage warten, weil dieser seine Landgüter bei Ḥamāh bestellte. Der Name ar-Rifāʿī kommt erst sehr spät ins Spiel, als ʿUmar wünscht, dass die Bibliothek in Leipzig zu seinem Andenken unter dem Namen Rifāʿīya aufgestellt werden solle. ʿUmar könnte versucht gewesen

67 Wetzstein: Catalog arabischer Manuscripte, S. 1 des unpaginierten Vorwortes. 68 Šaṭṭī: Aʿyān, S. 335: ʿamalan bi-waṣīyatihī al-latī arāda bi-hā iḥyāʾ ḏikrihī. 68 Kapitel 1 sein, ähnlich wie Aḥmad Muʾaiyad al-ʿAẓm seinen Familienzweig in einer eige- nen und eigenständigen Linie zu etablieren, die er dann ganz speziell mit seiner Verbindung zum Rifāʿīya-Orden legitimierte. Einen Siegelring auf den Namen ʿUmar ar-Rifāʿī hatte er aber auf jeden Fall bereits, wie es auf der von Fleischer sehr detailliert wiedergegebenen Quittung des Geschäftes zu sehen ist.69 Auch ʿUmars religiöse Seite wird von Wetzstein kurz und anekdotisch illust- riert, als er aus Enttäuschung über die stockenden Verhandlungen mit Bezug auf Anṭūn Būlād in die Worte ausgebrochen sein soll: „So rächt sich der Religions Haß. Hätte ich dem Kasîs (Priester) Gehör gegeben, so hätte ich schon lange mein Geld.“ Man sollte daraus nun keinesfalls auf einen allgemeinen Hass auf Nicht-Muslime schließen. Und zwar nicht nur, weil Wetzstein betont, dass er selbst als „Frengi“ gar nicht in gleichem Masse wie die einheimischen Christen wahrgenommen würde und ʿUmar mit ihm als Käufer somit keine Probleme hätte. ʿUmars Bibliothek stand immerhin auch Theodore Preston offen, welcher von eben jenem Anṭūn Būlād – der sie demnach schon kennen musste – in sie eingeführt wurde. Auch vor der Autorität von Wetzsteins Kanzler, einem rei- chen Juden, scheint ʿUmar ar-Rifāʿī Respekt gehabt zu haben.70 Aber Būlād war ja auch nicht irgendein Christ und ein Misstrauen, eine gewisse Grenzsetzung gegenüber religiösen Würdenträgern scheint hier deutlich hervor. Eine Neigung zum Sufismus wiederum, die Aura eines heiligen Mannes gar, lässt sich aus Wetzsteins Briefen gar nicht ableiten. Und doch ist es gerade die- ser Aspekt, der den Biographen besonders wichtig ist. Baiṭār und Ṣaiyādī geben in fast identischem Wortlaut eine Wundergeschichte wieder, nach der ʿUmar al-Ḥarīrī in religiöser Verzückung das Angesicht des Propheten kontempliert und darauf so lange wächst, bis er einen ganzen Saal (qāʿa) ausfüllt.71 Und Abū l-Hudā aṣ-Ṣaiyādī berichtet auch, dass das Grab ʿUmar al-Ḥarīrīs in Ṣāliḥīya „besucht wird“ (yuzār), sich die Leute von diesem Besuch also Segenswirkungen erwarten.72 Hier mag sich nicht viel mehr spiegeln, als die profane Erkenntnis, dass die biographischen Quellen eine Heiligkeit konstruierten, die das alltäg- liche Leben bewusst ausblenden oder überhöhen musste, verbunden mit der Tatsache, dass man durchaus verschiedene gesellschaftliche Rollen spielen und leben konnte, ohne in einer von ihnen unaufrichtig zu sein. Gerade eine religiöse Stellung des Besitzers könnte für einige der geschilder- ten Schwierigkeiten beim Verkauf der Bibliothek verantwortlich gewesen sein.

69 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 1; Abb. in Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, zw. S. 86–87. 70 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 71 Ṣaiyādī: Tanwīr al-abṣār, S. 118. 72 Ṣaiyādī: Rauḍ, S. 134. Die Bibliothek 69

Schon die Katalogisierung durch Wetzstein, welche für die sächsische Seite die Grundlage der Kaufentscheidung liefern sollte, gestaltete sich schwierig. Der Konsul konnte sie offenbar nicht ganz offen betreiben, indem er immer wieder das Haus ʿUmar ar-Rifāʿīs besucht hätte. Erst unter Vermittlung von Wetzsteins Kanzler73 konnte das Prozedere geregelt werden: „Die ganze Bibliothek wird ohne Aufsehen zu erregen behufs der Katalogisierung ins Consulat gebracht – denn in der Wohnung des Efendi hätte ich bei dem Argwohn der fanatischen Bevölkerung den Katalog nimmermehr anfertigen können (. . .).“74 Und auch noch nach dem Verkauf hatte ʿUmar ar-Rifāʿī offensichtlich Angst um seinen Ruf und Wetzstein musste nach Sachsen zur Vorsicht mahnen. An Fleischer richtete er daher die Bitte:

Wenn es nicht schon zu spät ist, so möchte ich Sie bitten, so wohl in der Augsb[urger] [Allgemeine] Z[ei]t[un]g als der Zeitschrift[75] bei Berichterstattung über die Rifāʿīya den Namen des Omar Ef. el Rifai nicht zu nennen, denn die Beiruter und Damascener amerikanischen Missionare erhalten die Zeitschrift, und die Augsb. Allgemeine Ztg. wird im hies[igen] österr[eichischen] Consulat u. von einigen hiesi- gen Offizieren (ungarischen und deutschen Renegaten) der Ordi (?) u. Arabisten gelesen. Es wäre die Folge davon, daß Omar Ef. bei seinen Muselmanischen Glaubensgenossen in Mißkredit käme, was mir um den armen Teufel leid seyn würde.76

Wäre demnach die in den Biographien zentrale religiöse Persona ʿUmar al-Ḥarīrīs in Wetzsteins Bericht ausgeblendet, so ist umgekehrt wiede- rum der von Wetzstein gebrauchte Titel efendī in den Biographien Baiṭārs und aṣ-Ṣaiyādīs abwesend. Wetzstein beschreibt die – in der historischen Entwicklung regional und zeitlich schwankende – Bedeutung dieses Ausdrucks für Damaskus einmal folgendermaßen: Früher hießen die „gelehrten Patricier der Stadt“ šaiḫ, jetzt bekämen sie aus Istanbul den Titel „Effendi, was in den meisten Fällen mit einem deutschen ‚Rath‘ gleichbedeutend ist.“77 ʿUmar al-Ḥarīrī war ein šaiḫ, es spricht also nichts dagegen, dass er nach neuester

73 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 74 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 13. Mai 1854, S. 8. 75 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. 76 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 13. Mai 1854, S. 8. 77 Wetzstein: Der Markt von Damaskus, S. 486. Eine Definition nach sozialen Kriterien für das Aleppo des 18. Jahrhunderts bei Marcus: The Middle East on the eve of modernity, S. 60: “positions in the courts and the great colleges”, “good income”, “generous patronage”. 70 Kapitel 1 osmanischer Mode auch den Titel efendī angenommen haben sollte. Es ist auch literarisch bezeugt, dass Führer des Rifāʿīya-Ordens diesen Titel trugen.78 Einzig die wichtige von Wetzstein vorgebrachte Identifikation als ehema- liger Richter macht nun noch größere Schwierigkeiten, denn solch eine wich- tige Position wird in den Biographien tatsächlich nicht erwähnt und wäre auch kaum mit diesen vereinbar. Denn mir zumindest sind keine Fälle bekannt, in denen ein Richter auch die Funktion eines Ordens-Scheichs ausgeübt hätte. Auch für ʿUmar al-Ḥarīrīs Ausbildung werden freilich Studien im fiqh ange- führt. Andererseits wird ʿUmars Vorgeschichte als qāḍī von Wetzstein auch in keinem Brief erwähnt, sondern erst zehn Jahre später beiläufig in einer Publikation,79 was einen Irrtum zumindest denkbar erscheinen lässt. Wenn man nun trotz der beschriebenen Unsicherheiten die Identifikation ʿUmar ar-Rifāʿī al-Ḥamawīs mit ʿUmar al-Ḥarīrī ar-Rifāʿī aus Ḥamāh zumindest als Arbeitshypothese gelten lässt, ergibt sich aus den verschiedenen Quellen in etwa die folgende Lebensbeschreibung: ʿUmar al-Ḥarīrī dürfte am Ende des 18. Jahrhunderts in Ḥamāh in eine regi- onal einflussreiche Familie geboren worden sein, die in der Provinzstadt die Leitung des lokalen Rifāʿīya-Ordens innehatte. Die Verbreitung der Rifāʿīya in diesem Teil Syriens soll im 7. / 13. Jahrhundert auf den Begründer der Familie, Muḥammad ʿAlī al-Ḥarīrī (gest. 645 / 1268) zurückgehen. Unter Umständen gab es auch – auf den ersten Blick jedoch eher zweifelhafte – Verbindungen der Familie zum Richteramt in Personalunion mit der Ordensleitung, denn der Wetzstein bekannte ʿUmar ar-Rifāʿī soll dieses Amt ausgeübt haben. In Ḥamāh stand sowohl der Orden der Rifāʿīya wie auch die Familie Ḥarīrī im Schatten des Qādirīya-Ordens, der von der Familie al-Kīlānī geführt wurde. Erst lange nach dem Verkauf der Rifāʿīya begann der Aufschwung des Ordens auf Reichsebene durch den Einfluss, den sich Abū l-Hudā aṣ-Ṣaiyādī (1850– 1909), der sowohl noch ʿUmar al-Ḥarīrī als auch besonders dessen Sohn Muḥammad gut kannte,80 beim Sultan erarbeitete. Einhergehend mit diesem Aufschwung ging ein Programm der dogmatischen „Säuberung“ und genealo- gischen Aufwertung. Somit sind auch die aus der Rückschau vom Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts geschriebenen Berichte über ʿUmar oder die Familie al-Ḥarīrī wenig aussagekräftig. Der Rifāʿīya-Orden wurde zwar immer wieder mit sehr drastischen und extravaganten Praktiken assoziiert – das Essen lebender Schlangen und glühender Kohlen oder das Durchstechen

78 Ṭabbāḫ: Iʿlām VII, S. 159. 79 Wetzstein: Catalog arabischer Manuscripte, S. 1 des unpaginierten Vorworts. 80 Eich: Abū l-Hudā, S. 29, 109. Die Bibliothek 71 der Wangen mit Messern sind hier die gängigen Topoi81 – doch weder in der Biographie noch Wetzsteins Berichten noch der Bibliothek selbst finden sich Spuren dieser Praktiken. Die Ḥarīrīs hatten offenbar in ihrer Funktion als Führer des Rifāʿīya-Ordens weiter zurückreichende Verbindungen nach Damaskus, denn ʿUmar al-Ḥarīrī wird im Vorort Ṣāliḥīya in einer „zāwīyat Banī l-Ḥarīrī“ beigesetzt. Somit ist anzunehmen, dass ʿUmar immer wieder in dieser Stadt ist, auch bevor er wahrscheinlich am Ende seines Lebens tatsächlich hierin übersiedelt. Und vielleicht ist es im Umkreis dieser zāwīya, dass ein Vorfahre ʿUmars im Jahr 1188 / 1774 eine Art Familienbibliothek gestiftet haben könnte. Zumindest im Zusammenhang mit seinem Landbesitz ist auch Wetzsteins ʿUmar immer wieder für längere Zeit in Ḥamāh, so dass ein Pendeln und eine weitere Wahrnehmung der Ordensleitung in Ḥamāh wie sie Abū al-Hudā und Baiṭār berichten nicht erstaunlich wären. Wann ʿUmar ar-Rifāʿī die Aufsicht über die Stiftung von seinem Vater über- nommen hat, wissen wir nicht. Wenn aber tatsächlich Theodore Preston den Anstoß zum Verkauf gegeben haben sollte und der Entschluss dazu also nach seinem Aufenthalt in Damaskus gefasst wurde, kann man zumindest diese letzte Phase von ʿUmars bibliothekarischer Arbeit recht sicher datieren. Denn Preston befand sich noch Anfang 1847 in Aleppo82 und erst später in diesem Jahr, spätestens jedoch im August, in Damaskus, wo er dann bis 1848 blieb.83 Zurück ließ er den Auftrag zum Kauf der Sammlung und dieser Auftrag soll ʿUmar die Augen für deren geschäftliche Potentiale geöffnet haben. Da er die Stiftung nicht veräußern konnte, musste er sie erst durch Tausch (istibdāl) des Stiftungsgutes (ʿain) in seinen Besitz überführen, was er durch Substituierung eines Obstgartens tat, für den er wiederum 32.000 Piaster aufgewendet haben soll.84 Danach war ʿUmar also Besitzer einer bedeutenden Bibliothek, doch mit dem erklärten Ziel, es nicht lange zu bleiben. Warum aber wollte sich ʿUmar überhaupt des so lange gepflegten Vermächtnisses seiner Familie entledigen. Könnte ein befürchtetes Aussterben der Familienlinie der Grund dafür gewesen sein, dass der alte Mann in deren

81 Bosworth: Rifāʿiyya; Trimingham: The sufi orders in Islam, S. 39–40, 267, 280. 82 Ausweislich seines Kaufs der Handschrift London British Museum Or. 1617 in diesem Jahr (vgl. die Angaben bei Rieu: Supplement, S. 303). 83 John-Rylands 121 [681] im August 1847 für 400 Piaster (Mingana: John Rylands, Sp. 196). Auch John-Rylands 289 [678] hat er in Damaskus gekauft, den Kauf aber nicht datiert (ebd., Sp. 460). Der Kauf von London BM Or. 1278 erfolgte dann im Jahr 1848 in Damaskus (vgl. Rieu: Supplement, S. 400). 84 Fleischer: Die Refaїya, S. 573. 72 Kapitel 1

Bewahrung keinen gesteigerten Nutzen mehr sah? ʿUmar al-Ḥarīrī hinterließ mindestens zwei Söhne und die Führung des Ordens in Ḥamāh blieb eben- falls in der Hand der Familie. Aber dies war im Jahr 1270 / 1853 bzw. als ʿUmar fünf Jahre vorher den Entschluss zum Verkauf fasste vielleicht noch nicht abzusehen. Sein jüngerer Sohn Muḥammad – der in der Folge die Führung des Ordens in Ḥamāh übernehmen sollte85 – war beim Tod des Vaters erst drei Jahre alt, also erst einige Jahre nach dem Verkauf der Bibliothek geboren.86 Der ältere Sohn Aḥmad hingegen starb 1305 / 1887–88 in Istanbul, war also vielleicht bereits von Syrien weg orientiert.87 Wetzstein erwähnt von der Familiensituation seines Geschäftspartners nichts. Viel eher jedoch müssen wir in den übergroßen Gewinnmöglichkeiten, welche ein europäischer Interessent für den Verkäufer versprach, und nicht in einem Desinteresse an seinen Büchern den eigentlichen Grund für den Verkauf durch ʿUmar ar-Rifāʿī suchen.

1.3 Der Wert einer Bibliothek – Der Wert von Büchern

Mit dem Verkauf seiner Bibliothek realisierte ʿUmar ar-Rifāʿī einen Aspekt sei- nes kulturellen Erbes, der in der Welt der Bücher selten in den Vordergrund gerückt wird, aber doch immer mit bedacht werden muss: Er wandelte kul- turelles Kapital in harte Währung um. Denn dass ein gutes Buch mit Gold nicht aufzuwiegen sei, wie es ein populärer Vers in vielen Handschriften in unterschiedlichsten Variationen immer wieder beschwört, ist nur die halbe Wahrheit. Weniger idealistische Betrachter sahen das Buch zumindest auch als Ware, wenn nicht gar als Beute. So waren Handschriften auch für Räuber attraktiv, die in einem literarisch überlieferten Fall eben nicht nur relativ leicht zu transportierende Gold- und Silbermünzen entwendeten, sondern sich auch die Mühe machten, die ­sperrigen Bücher ihres Opfers mitzunehmen.88 Das ist umso erstaunlicher, als

85 Ḥarīrī: Natīǧat al-mufāḫara, fol. 1v. 86 Ebd., fol. 31r. 87 Ebd., fol. 31r–v. 88 Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 216: Der große Prediger Šams ad-Dīn al-Bilbīsī al-Maqdisī lebte in einem Raum (ḫalwa) der Sumaiṣātīya-Madrasa neben der Umayyadenmoschee und war linksseitig gelähmt. So musste er hilflos zusehen, als im Jahr 935 / 1528 zwei Räuber in seine Behausung eindrangen und sowohl sein Geld und sein Gold als auch einige seiner Bücher stahlen, welche ihnen demnach wertvoll genug erschienen um sie, trotz ihrer grö- ßeren Unhandlichkeit, neben den Münzen mitzunehmen. Die Bibliothek 73 es nicht unbedingt einfach gewesen sein muss, solche gestohlene Ware wieder an den Mann zu bringen: Da jede Handschrift ein Unikat mit sehr individuellen Merkmalen (Datum, Kopist, Ausstattung, Besitzeinträge) und der Buchmarkt ebenso wie der Kreis potenzieller Käufer ziemlich übersichtlich war, musste der Verkäufer eines gestohlenen Buches befürchten, entdeckt zu werden. Besonders deutlich zeigt sich der große Wert von Büchern auch in den zahlreichen Fällen von Notverkäufen, welche in der Literatur immer wie- der die jeweiligen Protagonisten aus finanziellen Schwierigkeiten befreien müssen.89 Hier geschieht die Umwandlung kulturellen in pekuniäres Kapitel auf ganz unmittelbare Weise. Sei es wegen Krankheit,90 Armut,91 Straf-92 oder Bestechungszahlungen,93 die Bibliothek stellte einen immer wieder genutzten Schatz und eine potente finanzielle Reserve dar. Auch dokumentarische Quellen belegen das Bild solcher Anekdoten. So konnte bei der Auswertung von Nachlassregistern und den darin enthalte- nen Büchern gezeigt werden, dass größere Büchersammlungen einen ent- scheidenden Anteil der mobilen Besitztümer ausmachten; dass der Besitz vieler Bücher mit dem Vorhandensein größerer Nachlässe zusammenhängt; und dass Verstorbene mit vergleichbaren Titeln oder Appellationen bei vor- handenem Buchbesitz regelmäßig auch reicher waren als der Durchschnitt

89 Frühere Literaturbeispiele bei Touati: L’armoire, S. 51–52. 90 Šihāb ad-Dīn Aḥmad aṭ-Ṭībī (gest. 994 / 1585; Būrīnī: Tarāǧim I, 16–24). 91 Aḥmad b. Muḥammad al-Bānī (gest. 932 / 1525–26; Ġazzī: Kawākib I, S. 131, Nr. 254): ṣan- nafa tafsīran min Sūrat Yāsīn ilā āḫir al-Qurʾān wa-bāʿahū maʿa baqīyat kutubihī li-faqrihī wa-fāqatihī. Aḥmad al-Falāqinsī (gest. 1173 / 1759; Murādī: Silk I, S. 161–165) musste seine Bücher verkaufen nach dem Fall seines Bruders, Gefangenschaft und Folter: wa-lammā qutila aḫūhu uhīna wa-ḥubisa wa-uḫiḏa minhū mablaġ min ad-darāhim, fa-baʿdahā lam yakun ka-auwalihī ḥattā bāʿa kutubahū al-laḏī iḥtawā ʿalaihā wa-tamallakahā wa-kānat min nafā’is al-kutub. 92 Taqī ad-Dīn Ibn Qāḍī ʿAǧlūn (841 / 1437–38 – 928 / 1522) nach Ġazzī: Kawākib I, S. 115– 119, Nr. 224: wa-ṭuliba huwa wa-s-saiyid [Kamāl ad-Dīn b. Ḥamza] wa-ǧamāʿa ilā l-Qāhira bi-hāḏā s-sabab wa-ġurima bi-sabab ḏālika amwālan kaṯīratan ḥattā bāʿa akṯar kutubihī bi-hāḏā s-sabab.  Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 235: als Folge einer Überprüfung (taftīš) der Amtsführung des Richters Walī ad-Dīn Ibn al-Furfūr im Jahr 936: wa-kullamā uṯbita ʿalaihī šaiʾ yubīʿu min amlākihī ṯumma kutubihī wa-ṯiyābihī wa-ḫailihī wa-yūfī ṯumma stamarra fī l-qalʽa. 93 Wahrscheinlich sind es auch im Fall des Sulaimān b. Aḥmad al-Maḥāsinī (1139 / 1726– 27 – 1189 / 1775; Murādī: Silk II, S. 161–165) Bestechungszahlungen, welche bei sei- nen Bemühungen um Posten in Konstantinopel die großen Kosten verursacht haben: wa-rtaḥala ilā Dār al-Ḫilāfa fī r-Rūm wa-ṣarafa bi-hā mablaġan min ad-darāhim wa-bāʿa kutuban ǧalīla. 74 Kapitel 1 ihrer Standesgenossen.94 Die Preise, welche von Besitzern und Buchhändlern in den Handschriften selbst hinterlassen wurden, sind hier eine vorzügliche Ergänzung, jedoch leider keine allzu reichlich sprudelnde Quelle. Die wenigs- ten Besitzer notierten den Preis, den sie für ein Buch zahlten, und wenn sie es taten, war diese Information eine der am häufigsten wieder getilgten.95 Eine generelle Klassifikation von Handschriften als „teuer“ oder „günstig“ ist zwar zu kurz gegriffen, denn natürlich variierten die Preise einzelner Bücher rela- tiv stark, stärker aber noch die finanziellen Möglichkeiten der Käufer. Dennoch habe ich in einer separaten Studie zu zeigen versucht, dass der Besitz von Büchern durchaus eine soziale Barriere darstellte und es für viele potentielle Leser uner- schwinglich gewesen sein dürfte, sich eine größere Büchersammlung zuzule- gen, ganz zu schweigen von einer Bibliothek mit mehreren hundert Bänden, wie sie die Rifāʿīya darstellt.96 Nach dieser Hypothese stand die relativ geringe

Abb. 12 In diesem Kaufeintrag ist der Preis von 10 qurūš klar benannt. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 880, fol. 1r

94 Vgl. für Damaskus Establet / Pascual: Les livres, S. 153: ǧalabīs mit Büchern sind durchschnittlich um einiges reicher als solche ohne, ein šaiḫ mit Büchern ist durch- schnittlich sogar doppelt so reich wie einer ohne; der Forschungsstand für Studien, die Nachlassregister auswerten und dabei Bücher berücksichtigen wird gut zusammenge- fasst bei Sievert: Verlorene Schätze, S. 201–202. 95 Vgl. neben meinem eigenen Versuch einer Sammlung in Liebrenz: Mit Gold nicht aufzuwiegen, auch die Ausführungen zu Preisen in samaritanischen Handschriften ­hauptsächlich des 13. bis 15. Jahrhunderts, von denen viele aus Damaskus stammen, in Crown: Samaritan scribes and manuscripts, S. 127–144. 96 Liebrenz: Mit Gold nicht aufzuwiegen. Die Bibliothek 75

Verbreitung von Buchbesitz, wie ihn besonders die Nachlassinventare spiegeln,97 direkt mit deren Preis in Verbindung. So wird verständlich, dass Nachlässe mit Büchern durchschnittlich reicher waren als solche ohne Buchbesitz.98 Und nicht umsonst machten die Bücher, wo sie denn vorhanden waren, einen erstaunlich großen Anteil vom Wert des Nachlasses aus.99 Augenfällig wird dieser Zusammenhang auch in einer Episode, die mit dem Barbier Aḥmad Ibn Budair gerade keinen Erzähler aus der gesellschaftlichen Elite hat. Der Chronist gibt eine Begebenheit aus dem Jahr 1164 / 1751 wieder, in der man im Nachlass eines nach außen vollkommen asketisch lebenden Sufis, Muḥammad Abū Qamīṣ al-Kurdī, Unmengen an Wertsachen wie Geld, Nahrung oder Textilien gehortet fand. Auch eine Anzahl von Büchern hält Ibn Budair für erwähnenswert: „Dann fand man noch an die hundert Bücher, die man auf einen sehr hohen Preis schätzte. Sieh nur solch eine Askese, der Fromme und der Verruchte gehen Hand in Hand!“100 Armut und substantieller Buchbesitz, auch wenn er nur die aus heutiger Sicht vergleichsweise geringe Zahl von „an die hundert Bücher“ betrug, schlossen sich in den Augen dieses Chronisten anscheinend aus. Die Preisbestimmung einer Handschrift erfolgte durch eine Mischung materieller und ideeller Kriterien. Kalligraphische Perfektion, Illustrationen oder ein edler Einband konnten ein Buch ebenso teuer machen wie ein selte- ner Text, dem man seinen hohen Wert auf den ersten Blick nicht ansah. Der als etwas leichtgläubig dargestellte Richter ʿAbd al-Wahhāb Ibn Tāǧ ad-Dīn

97 Establet / Pascual: Les livres, S. 147–148: 18 % der Nachlässe enthielten zwischen 1 und 20 Büchern; hier ist allerdings zu beachten, dass sich dieser Prozentsatz allein auf die männlichen Nachlässe bezieht und bei Einbeziehung der Frauen, die praktisch keine Bücher besaßen, sehr viel niedriger aussehen müsste. Auch in Jerusalem waren Bücher nach ’evi recht selten und fanden sich praktisch nur in Nachlassregistern von Gelehrten (ʿulamāʾ) und „governors“, zudem waren alle dort genannten Bücher aus dem Bereich Religion, meist fiqh; Ze’evi selbst führt dies bereits auch auf den hohen Preis von Büchern zurück, welche sich selbst bei Lesefähigkeit die wenigsten leisten konnten; vgl. Ze’evi: An Ottoman century, S. 32. 98 Establet / Pascual: Les livres, S. 153. 99 Establet / Pascual: Les livres, S. 152. Aus den Gerichtsakten von Ḥamāh im Zeitraum von etwa 1170 / 1756 – 1200 / 1786 konnte ich vier Nachlässe mit Bücherbesitz identifizieren, in denen jedoch nur in zwei Fällen der ermittelte oder erzielte Preis der Bücher genannt wird: Ḥamāh siǧill 44 / waṯīqa 512 / 21. Ǧumādā I 1184 (12.9.1770) Nachlass Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir al-Kīlānī, Gesamtwert des Nachlasses: 1580 qirš, davon 82 Bücher zu 190 qirš, demnach 12 Prozent des Nachlasses; Ḥamāh siǧill 45 / waṯīqa 526 / 20. Ḏū l-Qaʿda 1198 (5.10.1784), Nachlass ʿAbd ar-Razzāq b. ʿAbd al-Wahhāb al-Bakrī, Gesamtwert des Nachlasses: 255 ½ qirš, davon 13 Bücher zu 26 ¾ qirš, demnach 10,4 Prozent. 100 Budairī: Ḥawādiṯ, S. 205. 76 Kapitel 1 glaubte bei einer Nachlassversteigerung das seltene Lexikon Ǧamharat al-luġa des berühmten Philologen Ibn Duraid (223 / 837 – 321 / 933) zu erwerben. Doch als sein späterer Biograph Naǧm ad-Dīn al-Ġazzī ihn aufklärt, er habe ja viel zu viel geboten für die Ǧamharat an-nasab von Ibn Qutaiba (213 / 828 – 276 / 889),101 die er tatsächlich erworben hatte, bereut er, so viel Geld ausgegeben zu haben.102 Der inhaltliche Wert der in der Rifāʿīya versammelten Texte ist nicht zu beziffern, vom materiellen Wert hingegen hatte ʿUmar ar-Rifāʿī sehr klare, ja ungewöhnlich strikte Vorstellungen. Seit Beginn der Verhandlungen stand eine Summe von 70.000 Piastern im Raum und obwohl Wetzstein sich anfangs noch sicher war, dass diese Zahl nicht mehr als ein Startgebot war und sich im weiteren Verlauf noch verringern müsste, war ʿUmar von diesem Betrag nicht abzubringen: „ich habe wiederholt Veranlassung genommen, mit ihm über eine nothwendige Ermäßigung des geforderten Preises zu sprechen, aber mich auch dabei überzeugt, daß wie früher so später die 70000 Piaster sein einziges Wort blieben.“103 Nur ein einziges Mal, als er das Scheitern des Verkaufs vor Augen sieht willigt er offensichtlich resigniert ein, von Wetzstein früher gebo- tene 66.000 Piaster zu akzeptieren. Es ist im Lichte der Formalitäten des Geschäfts tatsächlich sonder- bar, wie starr ʿUmar an dieser Zahl festhält. Schließlich ließ er es zu, dass Wetzstein mit 38 Handschriften einen sehr großen Teil der Bücher aussor- tierte und über die Annahme von 15 auf ʿUmars Kosten nachzuliefernden Handschriften selbst entscheiden konnte. Dadurch hatte ʿUmar die Kosten dieser Ersatzhandschriften gar nicht in der Hand. Dabei zeigte er sich auch überhaupt nicht knauserig, sondern im Gegenteil höchst freigiebig, lieferte zuerst aussortierte, dann nachgeforderte Bücher ohne Preiserhöhung nach und legte sogar noch eine sehr schöne Handschrift als letztes Geschenk oben drauf. Demgegenüber nimmt sich das Verhandeln um wenige Piaster am Grundpreis sonderbar kleinlich aus, wenn man die geforderte Summe als beliebige Zahl versteht. Vielleicht war ʿUmar jedoch durch in seiner Bibliothek

101 Dieses Werk dürfte im Übrigen eine falsche Zuschreibung sein, denn in der Bibliographie von Ibn Qutaiba findet es sich meines Wissens nicht. 102 Ġazzī: Luṭf as-samar II, S. 544–545, Nr. 212: wa-waqaʿa la-nā maʿahū annahū kāna fī mabīʿ kutub as-saiyid al-muṣāriʿ al-qāḍī Šihāb ad-Dīn Aḥmad aš-Šāfiʿī fa-waqaʿat Ǧamharat an-nasab li-Ibn Qutaiba fa-taġālā bi-hā al-qāḍī Tāǧ ad-Dīn wa-štarāhā bi-aḍʿāf ṯamanihā wa-starḫaṣahā fa-qultu lahū: yā afandī ġālaita fī hāḏā l-kitāb. fa-qāla: lau zāda ṯamanuhū akṯar min ḏālika la-štaraituhū. fa-qultu: laʿallakum ḥasabtumūhu Ǧamharat al-luġa li- Ibn ad-Duraid. qāla: balā innahū Ǧamharat al-luġa. qultu lahū: bal Ǧamharat an-nasab. fa-nadima ʿalā širāʾihī. 103 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. Die Bibliothek 77 vorhandene Schriften, wie die in Vollers 873g erhaltene Tašnīf as-samʿ bi-taʿdīd as-sabʿ von as-Suyūṭī (gest. 911 / 1505) oder die gleich zwei Mal (Vollers 616 sowie 667–1) vorhandene Anthologie Sukkardān as-sulṭān des Ibn Abī Ḥaǧala (gest. 776 / 1375) beeinflusst, welche u.a. das Vorkommen der Siebenzahl in Koran und Tradition sowie deren geheime Kräfte besonders in Bezug auf die Geschichte Ägyptens beleuchtet. Wir wissen, dass solcherlei Zahlenmagie gerade in der Welt der Bücher ihren festen Platz hatte und die Zahlen 4 und 7 für die Darstellung von Buchbesitz in der Literatur eine sehr große symbolische Rolle spielte.104 In diesem Fall könnte sie auch eine handfeste geschäftliche Realität angenommen haben. Doch war der geforderte Preis berechtigt? Entsprach er den Markt­ gegebenheiten? Die im Verlauf der vorliegenden Arbeit zusammengetrage- nen Daten lassen hier Zweifel angebracht erscheinen: Die Summe der 70.000 Piaster durch die ursprüngliche Zahl von 470 Bänden geteilt ergibt sich ein durchschnittlicher Preis von 149 Piastern pro Band. Diese Zahl ist in der Tat sehr hoch.105 Ich konnte nur zwei Bücher aus Damaskus finden, die nach- weislich einen Preis dieser Größenordnung erzielten. Davon ist eines (Berlin Sprenger 5, Preis: 500 Piaster) nicht nur selten, alt und hochwertig gearbeitet, sondern mit Aloys Sprenger außerdem an einen Ausländer verkauft worden. Preise im niedrigen zweistelligen oder sogar einstelligen Piaster-Bereich waren in den Jahren des Ankaufs der Bibliothek die Regel, ja die von Wetzstein selbst in elf seiner Handschriften notierten Preise ergaben bei einer Spanne von drei bis 20 Piastern einen Durchschnitt von nur 11 Piastern. Außerdem sollte man erwarten, dass der Verkauf einer ganzen Sammlung den durchschnittlichen Preis eher drücken würde. Vergleichsmaterial ist selten, doch ein Beispiel aus Beirut zeigt, dass man ähnliche Büchersammlungen auch für deutlich weniger Geld erwerben konnte. Nur ein Zehntel mussten die Mitglieder der Syrischen Gesellschaft der Künste und Wissenschaften (al-Ǧamʿīya as-Sūrīya li-l-Funūn wa-l-Ādāb) 1848 für eine Familienbibliothek zahlen, die mit 514 Büchern sogar noch etwas umfangreicher war als die Rifāʿīya.106

104 Zusammenstellung bei Hirschler: The written word, S. 128–129. Vielleicht kann man einen ähnlich symbolischen Verkaufspreis im Fall der Bibliothek ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs (1050 / 1641 – 1143 / 1731) erkennen, die mit anderen Besitztümern pauschal­ für 4.000 qirš an einige Nachkommen des Verkäufers weitergegeben wurden; vgl. Šaʿbān: Amlāk. 105 Die Zahlen zu den folgenden Bewertungen sind zusammengestellt in Liebrenz: Mit Gold nicht aufzuwiegen. 106 Robinson: Neuere biblische Forschungen, S. 34; Anonymus: Gesellschaft der Künste und Wissenschaften, S. 387. Der Verkäufer hieß Niʿmat Allāh Ṯābit. Der durchschnittliche Preis (514 Bücher für 7.000 Piaster) beträgt hier nur 13 ½ Piaster! 78 Kapitel 1

Hier wird der Büchersammler also vor unseren Augen zum Geschäftsmann. Natürlich entsprachen die 70.000 Piaster auch nicht ʿUmars Reingewinn. Er hatte durch die Auslösung der Bibliothek aus der Stiftung bereits große Ausgaben getätigt und musste auch für die aussortierten Handschriften Ersatz erwerben. Ob und wie hohe Abgaben er auf den Reingewinn von etwa der Hälfte des Kaufpreises zahlen musste, wissen wir ebenfalls nicht. Aber es bleibt festzuhalten, dass der Verkauf der Rifāʿīya für ihren letzten Besitzer ʿUmar ein höchst einträgliches Geschäft war.

1.4 Zwischen universal und regional: Inhaltliche Dimensionen der Rifāʿīya

Für die Entscheidung der sächsischen Interessenten zum Kauf der Rifāʿīya spielte ihre inhaltliche Zusammensetzung eine große argumentative Rolle. Bereits in seinem ersten Brief an Fleischer geht Wetzstein auf diesen Punkt ein:

Korane und Koran=Commentare sind außer einem Exemplar von Samachschari’s Kasschâf in 5 Bänden nicht darunter. Die Rechtslehre ist höchstens in 25 bis 30 Bänden repräsentiert, die aber größtentheils sehr werthvoll sind und zur Ausarbeitung eines großen Werkes über moham- medanisches Recht völlig ausreichen. Die Tradition ist durch ein vollstän- diges Exemplar des Buhari und nur noch höchstens durch 8–10 Bücher (worunter Ibn-Fûrak’s Erklärung dunkler Wörter in der Tradition, vom J.d.H. 459) vertreten. Die Poesien sind meist mit Commentaren verse- hen; darunter der Diwan der vormuhammedanischen Dichter, eine kost- bare Handschrift vom J.d.H. 380. Der historischen, biographischen und literargeschichtlichen Werke dagegen, desgleichen der astronomischen, sind sehr viele. Von Grammatik habe ich nur einen Folianten, einen Commentar zu Samachschari’s ausführlicher Syntax, bemerkt.107

Die Abwesenheit spezifisch theologischer und juristischer Inhalte wird also als etwas höchst Positives gesehen, besonders in Abgrenzung zu anderen Sammlungen. Dass sich diese Verhältnisse letztlich nicht ganz bestätigten, soll

107 Dies ist der Wortlaut in der Abschrift Fleischers an das Ministerium in HStA Dresden: Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 127v: Fleischer an Ministerium des Cultus, Leipzig 23. Juni 1853; Original in NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 20. März 1853 weicht im Wortlaut doch nicht im Inhalt etwas ab. Die Bibliothek 79 im Folgenden noch gezeigt werden. Und auch Fleischer hob in seinem ers- ten Brief an das Cultusministerium in Dresden besonders hervor, dass in den bisher in Sachsen zusammengetragenen Handschriftensammlungen anders als bei der der Rifāʿīya „das scholastische, mystische und erbauliche Element entschieden überwiegt, geschichtlicher und wissenschaftlicher Realismus ­hingegen, also gerade diejenige Seite der muhammedanischen Literatur, welche ihren absoluten Werth und ihre stete Unentbehrlichkeit auch für uns begründet, numerisch und qualitativ nur unvollkommen vertreten ist.“108 In seinem Artikel „Die Refaїya“ formuliert er den Sachverhalt dann auch gegen- über der gelehrten Öffentlichkeit mit ähnlicher Schwerpunktsetzung:

Hinsichtlich ihres inneren Charakters unterscheidet sich die Refaïya von den gewöhnlichen Bibliotheken der Moscheen und Gelehrtenschulen vortheilhaft schon dadurch, dass die in den letztern sich gewöhnlich so breit machende Koran- und Religionswissenschaft mit ihren vielfachen Unterordnungen, Ausläufern und Auswüchsen, wie auch die divinatori- sche, astrologische, alchymistische und andere Geheimniskrämerei, in angemessenen Schranken gehalten sind. Man kann nicht wohl anders als annehmen, dass die Sammler in der Fernhaltung des Andranges sowohl wie in der Zulassung einer Auswahl derartiger Werke planmässig zu Werke gegangen sind.109

Einige Einschränkungen dieser Einschätzung sind angebracht. Es muss gleich gefragt werden, warum Fleischer mit den ihm zur Verfügung stehen- den Informationen etwa gerade „divinatorische, astrologische, alchymistische und andere Geheimniskrämerei, in angemessenen Schranken“ sieht, wo doch bereits Wetzstein einen Teil dieser Reihe als eine beträchtliche Portion der Bibliothek ausgemacht hatte und schrieb „desgleichen der astronomischen, sind sehr viele“. Zusammen bilden Traumdeutung, Geheimwissenschaften und Astronomie sogar die beachtliche Gruppe von 47 Werken im Originalbestand.110 Und auch das unter Medizin katalogisierte al-Ibtihāǧ Ibn Ṭūlūns (Vollers 843) geht zwar von Körperteilen aus, beschreibt diese aber nicht anatomisch, son- dern ihre Rolle in der Divinatorik.

108 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 2: Entwurf Fleischer an Ministerium des Cultus und des öffentlichen Unterrichts, Leipzig 22. Juni 1853, S. 1. 109 Fleischer: Die Refaїya, S. 575. 110 57 Werke nach der modernen Katalogisierung. Über den Unterschied zwischen moder- nem und originalem Bestand vgl. das Kapitel „Bestandsgeschichte“. 80 Kapitel 1

Auch dürfte Fleischer kaum eine wirkliche Möglichkeit gehabt haben, die von ihm angeführten „gewöhnlichen Bibliotheken“ und deren Bestände mit der Rifāʿīya zu vergleichen. Er selbst hat nie eine dieser Bibliotheken von innen gesehen, literarische Beschreibungen etwa von Reisenden sind beklagenswert selten oder uninformiert, und zu eventuell vorhandenen Katalogen dieser Sammlungen hatte er ebenfalls keinen Zugang. Die in der Rifāʿīya enthaltenen Werke wurden bei ihrer modernen Katalogisierung durch Beate Wiesmüller 40 thematischen Einheiten zuge- wiesen. Eine Visualisierung der numerischen Relationen dieser inhaltlichen Einheiten zueinander ergibt Abb. 13. Diese Zahl von 40 thematischen Kategorien verdeutlicht die große inhaltli- che Bandbreite einer offensichtlich mit universalem Bildungsanspruch zusam- mengestellten Sammlung. Dennoch ist, wie bei jeder statistischen Auswertung einer so individuellen Quelle wie literarischen Werken, auch hier im Detail große Vorsicht geboten, um nicht durch moderne Kategorienbildungen falsche Ideen von den inhaltlichen Interessen der Leser dieser Werke zu gewinnen. Zuerst einmal könnten viele Werke natürlich mehr als einer Kategorie zugeordnet werden. Wer sich nach diesem Schema die mystischen Werke der

83 81

65 58 52 4848 43

33 31 27 28 24 2020 21 15 17 11 889 4444556 666 1111222233 t e e e e e a x eit orik Jagd ech t esen ratur oesi e Ethik Pros Logi k R P Metrik Mystik te rantex Erotika graphi enlehre Medizi n Rhet Zoologie Erbauung Ko ko Dokumen t Biographie Geschich te Anthologie Genealogi e Geographie Philosophi e Mineralogie eisebericht Mathematik wissenschaft wissenschaft wissenschaft wissenschaft aumdeutung osmographie Lehrbefugnis R Enzyklopädie Gebetsbücher P­€icht Lexi K Glaubenslehr Tr lksfrömmigk ran Vo olitik Disputationslehr Ko P Hadith christliche Li Grammatik / Synta Stilistik / Briefw Geheim Astronomie / Astrologi Abb. 13 Inhalte nach dem Katalogmodell der Rifāʿīya-Datenbank. Die Bibliothek 81

Rifāʿīya anschauen möchte, wird in der entsprechenden thematischen Gruppe Mystik nicht auf die zahlreich vorhandene mystische Poesie Ibn al-Fāriḍs oder Ibn al-ʿArabīs stoßen, die nach ihrer Form unter die Poesie eingereiht sind. Der Ibtihāǧ Ibn Ṭūlūns (Vollers 843) findet sich zwar in der Medizin, doch medizinisch verwertbare Informationen finden sich darin eigentlich nicht: Sollte jemand an Zuckungen leiden, findet er hierfür keine Heilung, sondern eine Erklärung ihrer jeweiligen divinatorischen Bedeutung. Und da diese Informationen in inhaltlich vollkommen eigenständigen Versen nur durch Hervorhebung bestimmter Worte und deren Verknüpfung kenntlich gemacht werden, ist dieses Buch auf einer ganz anderen inhaltlichen Ebene auch als Gedichtband zu lesen und müsste demzufolge ebenfalls unter Poesie einge- ordnet werden. Möchte man aber seine Zukunft nicht aus Zuckungen, sondern aus Buchstaben erkennen, wird man in der Kategorie „Geheimwissenschaften“ fündig. Die fünf Werke unter der Überschrift Erotika andererseits wären teil- weise in die Naturwissenschaften (pharmakologisch-kosmetisch-hygienische Traktate), teilweise auch in den Bereich unterhaltender adab-Anthologien einzuordnen. In diesem Kapitel stellt sich die schematische Einteilung eines Werkes in jeweils nur ein Genre also sehr problematisch dar, da deren Grenzen keineswegs immer eindeutig bestimmbar sind oder sich einem modernen Kategorisierungsverständnis bewusst entziehen können. Manch andere Kategorie ist voll von Werken, deren Inhalt nur sehr ober- flächlich sowohl mit dem modernen wie dem zeitgenössischen Verständnis ihrer jeweiligen Kategorien, sofern es ein solches eindimensionales Verständnis überhaupt gegeben haben sollte, verknüpft ist: Drei von vier Werken aus dem Bereich der „Geographie“ sind Pilgerwegweiser, die höchstens eine sak- rale Topographie beschreiben, deren Zweck jedoch noch nicht einmal in der Verortung von Heiligengräbern oder deren Interaktion mit ihrer räumlichen Umwelt liegt, sondern in der Kenntlichmachung ihrer spirituellen und histori- schen Bedeutung sowie der in ihnen ruhenden Heiligen.111 Darüber hinaus sind in dieser schematischen Darstellung auch die angegebe- nen Zahlen teilweise höchst irreführend. Das Kapitel Ḥadīṯwissenschaft ist nicht nur aufgeblasen durch die Zählung einer Zusammenstellung von Fragmenten des Ṣaḥīḥ al-Buḫārī (Vollers 305) als 19 Nummern, diese Handschrift gehörte als Nachtrag nicht einmal zum ursprünglichen Bestand der Bibliothek. Weiterhin sind die beiden separat gezählten Ḥadīṯ-Bände Vollers 311 I und II als zusam- mengehörig zu betrachten. Bereits dieser ­inhaltlichen Gruppe müssten also

111 Vgl. zur Literaturgattung in Syrien v.a. Meri: The cult of saints. Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass diese Texte als Quelle moderner anthropologischer Ansätze der Humangeographie dienen können. 82 Kapitel 1

20 im obigen Schema gezählte Nummern wieder abgesprochen werden! Auch die drei separat aufgenommenen (Vollers 26, 27, 28) Prophetenbiographien Insān al-ʿuyūn von Nur ad-Dīn al-Ḥalabī (gest. 1044 / 1635) geben den falschen Eindruck, als wäre das Werk in dreifacher Ausführung vorhanden und nicht – wie es tatsächlich der Fall ist – in einer dreibändigen Kopie. Vollkommen irreführend ist hingegen die Kategorie Dokument mit ihren 33 Nummern, da es sich dabei um eine von einer Hand kopierte Zusammenstellung in nur einer Handschrift (Vollers 663) handelt. Damit haben wir es also nicht mit juristisch relevanten Rechtsurkunden im Sinne eines Archivs dokumen- tarischer Quellen, sondern Vorlagen von Kanzleischreiben (inšāʾ) zu tun. Ein Unterschied zur Kategorie Stilistik / Briefe ist demnach nicht zu erkennen und beide sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Die Notwendigkeit einer Neuordnung des Materials für die hier zu unter- nehmende Auswertung ist evident. Dafür sind mehrere Arbeitsschritte not- wendig. Für die folgende Aufstellung sollen daher alle Bücher aus der nicht ursprünglich zur Bibliothek gehörenden Signaturengruppe Nachtrag syste- matisch erfasst und aussortiert werden. Demgegenüber sollen die vier von Wetzstein zuerst ausgeschossenen, dann jedoch nachgelieferten und heute in der Signaturengruppe Ausschuß nachweisbaren Werke, welche in die neueste Katalogisierung nicht integriert werden konnten, in die Statistik aufgenom- men werden.112 Ebenfalls integriert werden muss der Rest der 38 von Wetzstein aussortierten Bände. Von ihnen sind nur die Titel nach dem handschriftlichen Katalog Wetzsteins bekannt, diese sollen also den jeweiligen inhaltlichen Kategorien zugeordnet und zumindest als virtueller Bestandteil der Bibliothek in die Tabelle integriert werden. Daraufhin sollen die mehrbändigen aber für jeden Band mit einer eigenständigen Signatur versehenen Werke nur noch als ein Werk gezählt werden. Für die daraus resultierende Tabelle ergäbe sich demnach folgendes Bild (Abb. 14). Während an der Spitze Poesie und Biographie die Plätze tauschen, jedoch immer noch sehr nahe beieinander liegen, hat vor allem die Kategorie Prosa einen viel höheren Stellenwert bekommen. Dagegen haben die Ḥadīṯwissenschaften nach dieser Zählung relativ an Gewicht innerhalb der Rifāʿīya verloren. In einem nächsten Schritt ließen sich auch einige getrennt aufgeführte Gruppen bequem zu größeren Einheiten zusammenfassen. So ergäben die im weiteren Sinne sprachwissenschaftlichen Untergruppen Lexikographie, Rhetorik, Metrik, Stilistik und Grammatik / Syntax mit 64 Titeln eine neue

112 Dabei handelt es sich um Ausschuß 1, 3, 6, 10; vgl. Wetzstein: Catalog der „Refaiya“, S. 50–54. Die Bibliothek 83

82 78

65

50 51 4445 38 39 31 26 23 24 2020 16 17 11 889 444 5555556 1111222233 t e e e e e a x eit orik Jagd ech t ratur oesi e Ethik Pros Logi k R P Metrik Mystik te rantex Erotika graphi enlehre Medizi n Rhet Zoologie Erbauung Ko ko Biographie Geschich te Anthologie Genealogi e Geographie Philosophi e Mineralogie eisebericht Mathematik wissenschaft wissenschaft wissenschaft wissenschaft aumdeutung osmographie Lehrbefugnis R Enzyklopädie Gebetsbücher P ­icht Lexi K Glaubenslehr Tr lksfrömmigk Stilistik / Briefe ran Vo olitik Disputationslehr Ko P Hadith christliche Li Grammatik / Synta Geheim Astronomie / Astrologi Abb. 14 Inhalte nach bereinigter Zählung.

Gruppe, deren Umfang die tatsächliche Bedeutung dieser Wissenschaften innerhalb der Rifāʿīya besser abbilden könnte. Die der Unterhaltung dienen- den Werke hohen formalen und literarischen Anspruchs, also hauptsächlich Prosa und Poesie, könnten als Belles Lettres / schöne Literatur zusammenge- fasst werden. Geschichte und Biografie können wiederum eine einzige Gruppe Geschichte bilden. Ein Versuch, neue Gruppen zu abstrahieren, könnte also aussehen wie Abb. 15. Wenden wir uns nun also im vollen Bewusstsein der großen Schwierigkeiten einer inhaltlichen Analyse der Rifāʿīya zu. Dabei können naturgemäß nur Schlaglichter auf bestimmte Aspekte geworfen werden. Diese Schlaglichter basieren auf Kategorisierungen, die nicht nur aus heutiger Sicht immer wie- der mit anderen Akzenten neu betrachtet werden könnten, sondern vor allem meist auch nicht die Sichtweise der damaligen Leser und Besitzer der Bücher repräsentieren dürften. Die „angemessenen Schranken“, in denen Fleischer die von ihm mit kaum verhohlener Verachtung gestraften „Koran- und Religionswissenschaft mit ihren vielfachen Unterordnungen, Ausläufern und Auswüchsen“ sehen will, 84 Kapitel 1

253

155

104

72 64 51 44

1112223 4 555 8 r e en en Jagd ech t ratu ratur Ethik Logi k R eligion te te R Geschich te Genealogi e Philosophi e eisebericht wissenschaft wissenschaft aumdeutung osmographie Lehrbefugnis issenschaft R Enzyklopädie K Tr schöne Li hw olitik P christliche Li Geheim Naturwissenschaft Sprac Abb. 15 Inhalte nach neuer Zusammenstellung.

muss man sich in der Tat sehr weiträumig vorstellen. Die vereinfacht unter die große Überschrift Religion gestellten Titel dominieren das Feld bei weitem mit 253 Titeln gegenüber den 155 Titeln der ebenso vereinfacht als schöne Literatur bezeichneten Kategorie. Der Vorsprung wächst noch deutlich, wenn man bedenkt, dass der große Bereich der Propheten-Verehrung, zu finden unter Geschichte und schöner Literatur, oder der mystischen Dichtung hier noch gar nicht eingerechnet ist. Und natürlich muss man auch im stark vertretenen Feld der Sprachwissenschaften nicht nur die Lust an der Sprache sehen, hatte die genaue Beschäftigung mit dem Arabischen doch auch den Status als exegeti- sche Hilfswissenschaft zum möglichst exakten Verständnis von Korantext und Tradition. Religion war in den meisten dieser Werke kein abstraktes Studium einer Wissenschaft von theologischen Dogmen und Überlieferungen, das dem Curriculum der Gelehrtenausbildung an einer Hochschule entsprochen hätte. Auch diese Aspekte finden sich zwar durchaus in der Bibliothek Die Bibliothek 85

­wieder. Die Rifāʿīya nahm aber viel größeren Anteil an einer sehr populären Frömmigkeitskultur, deren bekannteste und verbreitetste Vertreter sich auch in ihren Schränken fanden, allen voran al-Ǧazūlī und al-Maqqarī. Ǧazūlīs (gest. 870 / 1465) Dalāʾil al-ḫairāt etwa durfte anscheinend in keiner Bibliothek fehlen.113 Diesem Gebetbuch war ein ungeheurer und zählbarer Erfolg beschie- den. Seine überaus hohe Wertschätzung lässt sich nicht nur in den vielen erhaltenen Exemplaren ablesen, sondern auch in der Rolle, welche ihm in den Stiftungen Sulaimān Bāšā al-ʿAẓms und ʿAbdallāh al-ʿAẓms zugemessen wird. Hier werden vom Stifter jeweils Lesungen der Dalāʾil stipuliert. In ersterer erhält der Vorleser jeden Tag 3 dirham, der Leser des Korans dagegen nur zwei!114 In der zweiten Stiftung erhält der Vorleser der Dalāʾil dann 24 ġurš im Jahr, und damit mehr als der Imam (18) oder der Bibliothekar (15).115 Al-Maqqarīs (gest. 1041 / 1631–32) Fatḥ al-mutaʿāl (Vollers 41) hingegen war ein sehr viel jüngeres Werk und machte seinen Autor weit über Gelehrtenkreise hinaus zu einem Star-Autor, wovon nicht zuletzt der überwältigende Empfang zeugt, der ihm bei einem Besuch in Damaskus im Jahr 1037 / 1628 zuteil wurde.116 Die Geschichte nimmt im obigen Schema mit 104 Werken den dritten Platz ein. Formal machen den Großteil der historischen Werke die Biographien und Biographiensammlungen aus. Doch wie ist das daraus abzuleitende, starke his- torische Interesse zu verstehen? Handelt es sich dabei um eine Reflexion der politischen und kulturellen Vergangenheit und wie ist der räumliche Horizont dieser etwaigen Reflexion zu bewerten? Bei 24 der so kategorisierten Werke handelt es sich um Prophetenbiographien. Sie musste zwar für jede islami- sche Historiographie der zentrale Fixpunkt des Geschichtsverständnisses als

113 Establet / Pascual: Les livres, S: 160 zählen es nur generell zu den populärsten Werken, ohne konkret zu werden. In den von mir untersuchten Gerichtsakten von Ḥamāh kom- men nur drei größere Büchersammlungen in Nachlässen vor, alle drei besitzen die Dalāʾil; Ḥamāh siǧill 44 / waṯīqa 227 / 22. Rabīʿ I 1180 (28.8.1766) Nachlass ʿAbd ar-Raḥmān b. Muḥammad al-Maġribī al-Ḥanbalī; siǧill 44 / waṯīqa 512 / 21. Ǧumādā I 1184 (12.9.1770), Nachlass Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir al-Kīlānī; siǧill 45 / waṯīqa 526 / 20. Ḏū l-Qaʿda 1198 (5.10.1784) Nachlass ʿAbd ar-Razzāq b. ʿAbd al-Wahhāb al-Bakrī. In diesen drei Nachlässen findet sich demgegenüber übrigens nur ein Fragment (qiṭʿa) eines Korans verzeich- net! Jeweils nur ein Koran und Dalāʾil al-Ḫairāt finden sich gemeinsam in Ḥamāh siǧill 46 / waṯīqa 454 / 15. Ḏū l-Ḥiǧǧa 1208 (14.7.1794) Nachlass Muḥammad Bāšā al-ʿAẓm, und Ḥamāh siǧill 46 / waṯīqa 445 / (. . .?) 1208 (1794), Nachlass Muṣṭafā aġā. 114 Badrān: Munādamat, S. 269: Im Text wird von qurūš gesprochen, doch ist diese größere Währungseinheit als täglicher Lohn einer solchen Lesung sicherlich zu hoch gegriffen und beruht auf dem viel späteren Erfahrungshorizont des Autors. 115 Ebd., S. 270. 116 Vgl. Ibn Šāhīn: Faṣl, bes. fol. 173r; auch Elger: Adab and historical memory, S. 292. 86 Kapitel 1

Heilsgeschichte sein. Für einen modernen Begriff von Geschichtsschreibung sind die meisten hier vertretenen Titel jedoch eher als Hagiographie zu betrach- ten. Auffällig sind die starken populären und erzählerischen Schwerpunkte in diesem Bereich. Nicht nur die Produkte der ʿulamāʾ fanden hier Anklang und einiges mehr zur Prophetengeschichte wäre somit auch unter der Kategorie Prosa zu finden. Auch andere Geschichten biblischer Propheten (Joseph und Hiob) finden sich. Ein klar ausgeprägter regionaler Fokus ist in den historischen Werken nicht zu erkennen, doch der Horizont der durch ihre Geschichte beschriebenen­ Welt ist sehr begrenzt. Als einzige umfangreicher erhaltene regionale Geschichtswerke decken eine Chronik Aleppos117 und eine Chronik Ägyptens118 die mamlukische Zeit ab. Biographiensammlungen aus osmanischer Zeit können in Einzelfällen weniges Material aus entfernteren Gegenden, etwa Indien oder dem Jemen, enthalten. Doch Qazwīnīs Āṯār al-bilād (Vollers 737) bleibt der einzige globale Ausblick auf die Welt. In dieser Beschränkung der Bibliothek kann man durchaus Marktmechanismen am Werk sehen. Die arabi- sche Literaturgeschichte kennt bis in die Zeit der Rifāʿīya kaum Darstellungen nicht-islamischer Dynastien und Länder und die Besitzer der Rifāʿīya hatten somit auch kaum eine Gelegenheit dahingehende Werke zu erwerben. Es gibt in dieser Bibliothek jedoch auch keine Universalgeschichte, die von der Schöpfung bis zur Gegenwart zumindest den Anspruch hätte, ein historisches Panorama der gesamten islamischen Welt zu geben. Wenige fragmentarisch überlieferte Werke waren zwar als solche angelegt, etwa einige der großen mamlukenzeitlichen chronistischen Werke, darunter auch das Unikat von az-Zamalkānīs ʿUqūd al-ǧumān fī tārīḫ az-zamān (Vollers 662). Doch keines ist auch nur annähernd komplett. Demgegenüber sind keine Chroniken der osmanischen Epoche vertreten. Doch viel schwerer wiegt eine andere literarische Fehlstelle: In der Rifāʿīya kann man sich nicht über die zeitgenössischen Notabeln der Stadt und der Provinz Damaskus oder der syrischen Länder informieren und auch die neuere politische Geschichte der Region ist praktisch nicht vorhanden. Würde man versuchen, aus den historiographischen Werken der Bibliothek Schlüsse über ein darin abgebildetes regionales und soziales Zugehörigkeitsgefühl zu zie- hen, würde man keine direkten Verbindungen zum syrischen Lebensumfeld ihrer Besitzer herstellen können. Wenn es in der Rifāʿīya schwache Hinweise auf eine konkrete Identitätsbildung mit zeitgenössischem Bezug durch die Vergegenwärtigung biographischer Literatur gibt, dann ist diese

117 Die Ibn aš-Šiḥna zugeschriebene Durr al-ḥabab (Vollers 656). 118 Suyūṭīs Ḥusn al-muḥāḍara fī aḫbār Miṣr wa-l-Qāhira (Vollers 667b). Die Bibliothek 87

­erstaunlicherweise gar nicht in einem syrischen Rahmen angesiedelt. Man könnte diese Funktion vielmehr dem Projekt einer literarischen Beschreibung und Hierarchiesierung der osmanischen Rechtsgelehrten zuschreiben, wie sie die ṭabaqāt-Literatur der ḥanafitischen Rechtsschule exerziert und von der zentrale Texte in die Rifāʿīya gelangt sind. So sind neben Ibn Quṭlūbuġās (gest. 879 / 1474) berühmter Tāǧ at-tarāǧim fī ṭabaqāt al-Ḥanafīya die in besonders vielen Handschriften überlieferten Šaqāʾiq an-nuʿmānīya fī ʿulamāʾ ad-daula al-ʿuṯmānīya von Ṭāšköprü-zāde (gest. 968 / 1560–61) sowie mit ʿAlī b. Bālī Manqs (gest. 992 / 1584–85) al-ʿIqd al-manẓūm fī ḏikr afāḍil ar-Rūm auch eine dessen wichtigster arabischer Fortschreibungen in der Rifāʿīya zu finden. Das kürzlich von Guy Burak beschriebene Projekt einer Inkorporation lokaler Rechtstraditionen in den imperialen Rahmen des Osmanischen Reiches nicht zuletzt mit Hilfe dieser Werke119 findet sich also in erstaunlich kompletter Weise auch in der Rifāʿīya abgebildet. Gerade im Hinblick auf die sonst sehr wenigen direkten literarischen und personellen Verbindungen zum osmani- schen Zentrum in der Rifāʿīya könnte das Vorhandensein dieser Literatur als Zeichen eines provinziellen Erfolges des imperialen Projektes gelesen wer- den. Wenn Burak spekuliert, dass die Abfassung dieser Werke auf Arabisch eine bewusste Hinwendung zum Dialog mit den Gelehrten der arabischen Provinzen darstellte, so wäre dieses Kalkül zumindest im Falle der Rifāʿīya sehr erfolgreich aufgegangen.120 Näher zu prüfen wäre, inwieweit die genannten Werke in den öffentlichen Bibliotheken der Zeit vorhanden waren. Gewisse Hinweise für eine weite Verbreitung gibt es durchaus. Die Stiftung ʿAbdallāh Bāšā al-ʿAẓms etwa besaß gleich zwei Kopien der Šaqāʾiq an-nuʿmānīya.121 Insgesamt kommt der Rechtswissenschaft mit ihren 47 Titeln nicht nur wegen dieser beachtlichen Größe eine zentrale Rolle für die inhaltliche Auswertung der Rifāʿīya zu. Wenn ʿUmar ar-Rifāʿī nämlich tatsächlich ein ehe- maliger Richter gewesen sein sollte, wie sich Wetzstein ja einige Jahre später erinnert, dann sollte man diesen Teil seiner Büchersammlung auch vor jenem professionellen Hintergrund betrachten. Es wird allerdings noch gezeigt wer- den, dass kaum Werke aus diesem Spektrum der absoluten Spätphase in der Entwicklung der Rifāʿīya und damit der wahrscheinlichen Verantwortung ʿUmars zugeordnet werden können. In diesem Fall müsste der letzte Verwalter bereits ein sehr breites Literaturangebot vorgefunden haben. Gleichzeitig ist das Recht die einzige Literaturgattung, bei der die Rechtsschulenzugehörigkeit des jeweiligen Autors unmittelbare Relevanz für

119 Vgl. Burak: The Abū Ḥanīfa of his time, S. 9–10, 114. 120 Vgl. edb., S. 114. 121 Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 26. 88 Kapitel 1 die verfassten Werke hat und damit eine ebenso aussagekräftige wie leicht fassbare Kategorisierung erlaubt. Deutlich an der Spitze der Aufteilung fin- den sich die 22 Werke der šāfiʿitischen Rechtsgelehrten. Die ḥanafitische Rechtsschule hingegen, von den osmanischen Machthabern offiziell präfe- riert und in Form des ḥanafitischen Oberrichters den anderen anerkannten Rechtsschulen vorangestellt, nimmt mit nur 9 Werken weit abgeschlagen den zweiten Platz ein. Sie ist damit nur unwesentlich stärker vertreten als die ḥanbalītische Rechtsschule. Auch biographische Lexika zu den Gelehrten bestimmter Rechtsschulen finden sich gleichermaßen für Šāfiʿiten (706, 709a, 861a), Ḥanafiten (716 a+b, 717) und Ḥanbaliten (708). Können daraus also Rückschlüsse auf die Rechtsschule ʿUmar ar-Rifāʿīs gezogen werden? Nach den angeführten Zahlen müsste man wohl davon aus- gehen, dass er ein Šāfiʿī war. Hier eine ganz geradlinige Kausalität anzuneh- men, erscheint jedoch äußerst schwierig. Die in den Büchern zum Ausdruck kommenden Interessen sind zumindest schulübergreifend. Alle Rechtsschulen sind in der Bibliothek vertreten, Ḥanbaliten (5 Werke) und Mālikiten (1 Werk) jedoch nur sehr spärlich. Dies entspricht auch durchaus ihrer jeweils geringen Repräsentation in der Damaszener Bevölkerung. Und auch wenn die ḥanafiti- sche Rechtsschule offiziös protegiert122 wurde und diese Protektion über den langen Zeitraum der osmanischen Herrschaft auch den Rechtsschulwechsel einer großen Zahl von Gelehrten und ganzen Gelehrtenfamilien in der syri- schen Provinz zur Folge hatte – die Nābulusīs, ehemals Šāfiʿīs, dann Ḥanafīs, sind eines der prominentesten Beispiele – so blieb die starke Position der alt- eingesessenen šāfiʿītischen Schule doch weiterhin bestehen. Demzufolge stellt sich auch die Rechtsschulzugehörigkeit für die Gesamtheit der in der Rifāʿīya vertretenen Autoren nicht wesentlich anders dar. Auch hier dominieren die Šāfiʿīs mit 199 Werken das Feld und lassen die Ḥanafīs mit 43 und die Ḥanbalīs mit 40 Werken weit hinter sich. Identifizierbare Mālikīs verfassten nur 18 Werke in der Bibliothek. Dies wäre der Verteilung der Rechtsschulzugehörigkeit in den Sekundäreinträgen gegenüberzustellen, die weitaus harmonischer ausfällt und wahrscheinlich bereits auf deutliche Verschiebungen in der Gelehrtenwelt der osmanischen Zeit hinweist: Als Šāfiʿīs finden sich hier zwar mit den Verfassern von 135 Einträgen weiterhin eine große Mehrheit der Benutzer von Handschriften ausgewiesen, doch ent-

122 Peters: What does it mean to be an official madhhab?; besonders Guy Burak hat dafür plädiert, in der Bevorzugung eines bestimmten Zweiges der ḥanafitischen Schule “not merely acts of patronage” zu sehen, sondern “active attempts by the ruling dynasty to regulate the school’s structures, authorities, and doctrines”, vgl. Burak: The second for- mation of Islamic law, S. 580. Die Bibliothek 89 fallen nicht weniger als 32 dieser Einträge auf einen einzigen Mann, Aḥmad ar-Rabbāṭ, mit insgesamt 88 šāfiʿītischen Einzelpersonen. Demgegenüber haben 63 Ḥanafīs bereits 80 Einträge hinterlassen, 33 Ḥanbalīs 49 Einträge, während Mālikīs nur ganze 4 Mal bezeugt sind. Der große Anteil der Ḥanbalīs dürfte die überproportional große Rolle spiegeln, welche diese Gemeinschaft in den Gelehrtenkreisen der Stadt, besonders in den Studien der Rechts- und Traditionswissenschaften gespielt hat. Tatsächlich führen die Ḥanbalīs die Liste der als Lehrer, Vorleser oder Schreiber genannten Männer in den Überlieferungszeugnissen mit 14 gegenüber jeweils 11 Ḥanafīs und Šāfiʿīs an. Vieles spricht also dafür, dass die vorliegenden Zahlen eine besondere Beziehung von seiten der Verwalter und Besitzer der Rifāʿīya zur šāfiʿitischen Rechtsschule bedeuten. Besonders unterscheiden sie sich auch von den durch Establet und Pascual ermittelten Proportionen unter den in Damaszener Nachlassregistern um 1700 enthaltenen Rechtswerken, wo die Autoren sogar einen leichten Vorsprung der ḥanafitischen Bücher ausmachen konnten.123 Die Zahlen könnten aber auch schlicht eine Reflexion der demographischen Gegebenheiten und des Literaturbetriebes des syrischen Raumes spiegeln. Zur Bewertung der intellektuellen Positionierung der Bibliothek und ihrer Besitzer ist auch das Kontroverspotential der Texte in der Rifāʿīya auszuloten. Gab es Texte, deren Besitz ein Risiko bedeutete oder zumindest gerechtfertigt werden musste? Vollkommen inkriminierende Werke sind hier kaum auszu- machen. Es findet sich immerhin als vollkommen marginale Kuriosität und sehr späte Erwerbung (nach 1265 / 1849) in Vollers 262 eine Biographie des Drusen-Scheichs al-Fāḍil al-Mifḍāl (gest. 1050 / 1640).124 Bücher der Drusen galten als geheimnisumwoben, nicht nur, weil sie in den Augen der sunniti- schen Gelehrten voller abscheulicher Häresien steckten, sondern auch, weil ihre Verbreitung selbst innerhalb der drusischen Gemeinschaft stark einge- schränkt war. Sie kamen normalerweise wohl nur als Kriegsbeute in die Hände von Nicht-Drusen.125

123 Establet / Pascual: Les livres, S. 161. Die Zählung der Autoren erfasst jedoch nur die populärsten Autoren der untersuchten Register, also solche, die mehr als vier Mal in den Nachlässen auftauchen. 124 Eine persische Glaubenslehre soll laut Katalog zwölfer-schiitischer Prägung sein (Vollers 903). Man findet in dem Buch zwar durchaus ein starkes Gewicht auf der Verehrung ʿAlīs, aber neben vielen anderen sunnitischen Quellen auch das ehrenvolle Gedenken an die ersten drei Kalifen Abū Bakr, ʿUmar und ʿUṯmān (vgl. fol. 42r). 125 Einen solchen Fall beschreibt Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 162, für das Jahr 930 / 1524, als Ḫurram Bāšā nach einem erfolgreichen Feldzug gegen die Drusen des Libanon „muǧalladāt min kutub ad-Durūz“ mit nach Damaskus bringt. Auch ʿUrḍī: Maʿādin aḏ-ḏahab, S. 295–298. Offenbar wurden diese Bücher von Gelehrten wie Ibn Ṭūlūn und 90 Kapitel 1

Die unter der Kategorie Geheimwissenschaften zusammengefassten Titel haben tatsächlich wenig Konspiratives an sich, enthalten also Wissen, für des- sen Verständnis bestimmte Fähigkeiten notwendig waren, welches jedoch bei korrektem Erwerb durch einen geeigneten Lehrer keineswegs geheim gehalten werden musste. Sie befassen sich teilweise mit Zahlen- und Buchstabenmagie, Physiognomie oder dem esoterischen Inhalt des Korans. Problematisch konn- ten hier jedoch die alchemistischen Werke sein. Ein einziges kleines Traktat und ein Dīwān handeln vom Stein der Weisen, also dem kontroversen Teil des alchemistischen Lehrgebäudes: al-Ġamrīs (gest. 905 / 1499) Ḥall aṭ-ṭilasm wa-kašf as-sirr al-mubham fī ḥall al-kīmīyāʾ (Vollers 877c) und al-Ǧildakīs (gest. 743 / 1342–43) Ġāyat as-surūr fī šarḥ Šuḏūr aḏ-ḏahab (Vollers 836). Die Beschäftigung mit der Alchemie wurde auch in osmanischer Zeit immer wieder stark kritisiert. Und wenn auch von vielen Autoren die theoretischen Grundlagen der Herstellung von Edelmetallen aus unedlen Metallen gar nicht bestritten wurden, so wurden die mit der rastlosen Suche nach die- sen Geheimnissen einhergehenden schlechten Eigenschaften von Gier und Verschwendung in allen Quellen klar negativ dargestellt.126 Auch einige andere Autoren hatten nicht nur Freunde in Damaskus. Umstritten war besonders der ganze elf Mal – davon sieben Mal in

al-ʿUrḍī dann auch tatsächlich gelesen. Später wird von den Kämpfen al-Ǧazzārs im Drusengebirge auch berichtet, er habe drusische Bücher erbeutet, doch könnte hier anti- drusische Propaganda im Spiel sein; vgl. [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 339. Für ein Exemplar des drusischen Kanons (Rasāʾil al-ḥikma) im Besitz des Wesirs des abbasidischen Kalifen al-Muʿtaṣim (640 / 1242 – 656 / 1258) vgl. de Smet: Les Épitres sacrées, S. 115–117. 126 Zusammenstellung von Belegen aus osmanischer Zeit bei Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 270–271. Hier sollte jedoch klargestellt werden, dass Bergers Darstellung, der Dichter Ibn Šāhīn (995 / 1587 – 1053 / 1643–44) habe „viel Geld in derartigen Versuchen verloren“ und dies hätte auch den Biographen Muḥibbī zu negativen Versen verleitet, auf einer Verlesung der Quelle beruht. Tatsächlich zitiert Muḥibbī Verse al-Ḫafāǧīs, in denen Ibn Šāhīns gefeierte, aber materiell erfolglose Dichtung mit dem Elixier der Alchimisten verglichen wird: Wie dieses sei sie zwar sehr edel, man könne aber keinen Gewinn aus ihr schlagen. In seiner folgenden, positive und negative Meinungen zitierenden Diskussion über das Elixier bestreitet Muḥibbī die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von dessen Existenz nicht, zeigt aber die negativen Folgen der Beschäftigung mit der Alchimie auf. Diese Passage ist freilich ein Exkurs und nicht direkt auf Ibn Šāhīn bezogen. Vgl. Muḥibbī: Ḫulāṣat I, S. 241–249, Nr. 158. Vgl. außerdem für einen interessanten Traum ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs, in welchem diesem durch niemand geringerem als Ibn al-ʿArabī die Zweifel bezüglich der Erlaubtheit der Alchemie aufgeklärt werden, Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 442–443. Die Bibliothek 91

Sammelhandschriften – vertretene Muḥyī ad-Dīn Ibn al-ʿArabī (gest. 638 / 1240), dessen Grab sich in Ṣāliḥīya – und damit in unmittelbarer Nähe der zāwiya der als mögliche Rifāʿīya-Besitzer ausgemachten Ḥarīrī-Familie – befand. Ibn al-ʿArabī und sein Grab wurden durch die osmanischen Eroberer seit dem 16. Jahrhundert stark aufgewertet und er hatte immer einflussreiche Anhänger in der Stadt. Der Besitz seiner Werke war also keineswegs gefährlich, aber er war immer noch ein Bekenntnis, welches die Besitzer der Bibliothek als umstrittenen mystischen Ideen gegenüber aufgeschlossen ausweisen konnte. Der inhaltliche Komplex der mystischen Schriften insgesamt stellt mit 52 Werken zudem eine numerisch extrem wichtige Komponente der Bibliothek dar. Diese Zahl würde sich noch einmal erhöhen, denn auch die mystische Poesie etwa eines Ibn al-Fāriḍ, ʿAlawān b. ʿAṭīya al-Ḥamawī und Ibn al-ʿArabī selbst oder die Mystikerbiographien in ʿAbd al-Wahhāb aš-Šaʿrānīs (gest. 973 / 1565–66) Lawāqiḥ al-anwār (Vollers 254, 255, 873c) und al-ʿAidarūsīs (gest. 1038 / 1628–29) an-Nūr as-sāfir (Vollers 867b) muss man diesem Bereich zurech- nen. Ohne Zweifel war die Beschäftigung mit mystischen Ideen daher ein zentraler Bestandteil der Gedankenwelt der Besitzer der Rifāʿīya-Bibliothek. Gegenüber dem Recht erscheint sie von numerisch gleichwertiger Bedeutung. Dies ist besonders interessant, da letzterem durch die von Wetzstein überlie- ferten Tätigkeit ʿUmar ar-Rifāʿīs als Richter mit dem damit einher gehenden juristischen Bildungshintergrund ein logischer Platz in dessen Biographie zugewiesen werden könnte. In gleichem Maße gewinnt auch die Mystik noch einmal an Wichtigkeit für diese Untersuchung, wenn man bedenkt, dass ʿUmar ar-Rifāʿī nach der vorgestellten Arbeitshypothese Führer eines mystischen Ordens gewesen sein muss, nämlich der Rifāʿīya in Ḥamāh, auf welche sowohl sein eigener Name als auch jener der Bibliothek verweisen. Auch das einzige speziell auf den Rifāʿīya-Orden und seinen Gründer Aḥmad b. ʿAlī b. Yaḥyā al-Ḥusainī ar-Rifāʿī al-Anṣārī (gest. 578 / 1182) verwei- sende Werk in der Bibliothek, Aḥmad b. Ǧalāl ad-Dīn al-Lārīs biographisch-­ hagiographisches Ǧalāʾ aṣ-ṣadā fī manāqib imām al-hudā as-saiyid Aḥmad ar-Rifāʿī (Vollers 226) ist als Biographie kategorisiert. Daneben zeigt mit den Ǧawāhir as-sanīya fī n-nisba wa-l-karāmāt al-Aḥmadīya (Vollers 237) eine weitere Biographie, diesmal die des höchst umstrittenen Aḥmad al-Badawī (gest. 675 / 1276), Gründer des besonders in Ägypten verbreiteten Rifāʿīya- Ablegers der Aḥmadīya, eine gewisse Nähe zur Rifāʿīya. Doch tritt diese gegenüber einer generellen und nicht auf eine ṭarīqa festgelegten Tendenz in den Hintergrund. Sogar vom allgemein als Gegner sufischer Praktiken und Gedanken ­bekannten – und missverstandenen – Aḥmad Ibn Taimīya (gest. 728 / 1328) 92 Kapitel 1

­findet sich mit Vollers 223 ein äußerst positiver Kommentar der Futūḥ al-ġaib des ʿAbd al-Qādir al-Ǧīlānī (gest. 561 / 1166) in einer sehr alten Kopie von 740 / 1339. Die Kategorie Enzyklopädie weckt bei heutigen Lesern vielleicht falsche Erwartungen.127 Sie bezieht sich auf die systematisch-schematische Anordnung des Materials, nicht auf eine umfassende Vermittlung vollständigen Wissens aus einem Wissensbereich oder der Gesamtheit der Wissenschaften. So kann man von den drei in der Rifāʿīya verzeichneten Werken dieses Genres einzig Ibn al-Akfānīs (gest. 749 / 1348–1349) Iršād al-qāṣid (Vollers 2) nachvollzieh- bar eine Enzyklopädie der Wissenschaften nennen. Dieses Buch ist aller- dings auch erst sehr spät, nämlich aus dem Vorbesitz des Aḥmad ar-Rabbāṭ (gest. nach 1254 / 1838) in die Rifāʿīya gelangt. Zakarīyāʾ al-Anṣārīs (gest. 926 / 1520) al-Luʾluʾ an-naẓīm fī raum at-taʿallum wa-t-taʿlīm (Vollers 879d) jedoch ist als Enzyklopädie auf 8 Blättern mit der von Ahlwardt gebrauch- ten Einordnung „Wissenschaftskunde“ viel besser erklärt, da es sich um eine pädagogisch-­propädeutische Einführung in die Systematik der traditionellen Wissenschaften und ihrer Lehre handelt. Der große Bereich schöne Literatur, mit 155 Werken nur von der in erster Linie religiösen Literatur übertroffen, gibt uns einen starken Hinweis darauf, wie wir uns wohl die Funktion dieser Bibliothek zu denken haben. Denn bei aller inhaltlichen und formalen Disparität bediente dieses Segment nicht zuvorderst die Wissensaufnahme und das Studium, sondern in erster Linie die Lust an der Unterhaltung und Freude an der Sprache. Besonders die Kapitel Poesie und Prosa bestreiten diesen Teilbereich der Bibliothek. Jedoch überneh- men auch viele der historischen Werke erzählerische Elemente. Die zentrale Rolle der Poesie in der Bibliothek kann kaum überraschen. Sie war wohl die alltäglichste literarische Erfahrung im Leben eines einigerma- ßen gebildeten Damaszeners. Ständig war man mit Versen als Mittel sozialer Interaktion konfrontiert: sie waren in den besseren Häusern auf die Paneele der prächtigen Empfangszimmer eingeschrieben, auf dem benutzten Geschirr gaben sie moralisierende Sinnsprüche zum besten, wurden auf der Straße von Jedermann und im Kaffeehaus von professionellen Interpreten gesungen und vor allem in Gesellschaften vorgetragen. Und zwar nicht allein von professi- onellen Poeten, sondern von gebildeten Männern jeden Hintergrundes. Und nicht nur die Rezeption, sogar eine ständige ephemere poetische Produktion konnte erwartet werden, wollte man in der Welt der Gelehrsamkeit beste- hen. Eine auch nur oberflächliche Durchsicht der Chroniken oder biographi-

127 Vgl. zur Problematik des Begriffs in der arabischen Literatur zuletzt Muhanna: Why was the fourteenth century a century of Arabic encyclopaedism?, S. 344–347. Die Bibliothek 93 schen Sammlungen der Zeit zeigt Anlässe zu poetischer Produktion in jeder Lebenssituation: wollte man Beziehungen aufbauen, musste man Personen von Einfluss poetisch loben, viele Lebensabschnitte eines Menschen forderten Verwandte und Bekannte zum Gedicht heraus (Geburt, Beschneidung, erster Bartflaum, Phasen des Studiums, Heirat, Tod etc.), Bitten jeglicher Art – auch solche nach Büchern – wurden in Versen ausgedrückt, deren Nichterfüllung ebenso in Versen getadelt und vieles mehr. Und auf all diese Verse musste wie- derum geantwortet werden. Höchst interessant ist also weniger die große Anzahl poetischer Werke als vielmehr einige Sammlungsschwerpunkte. Als zweitgrößter Einzelposten enthält die Poesie große osmanenzeitliche Dīwāne und poetische Werke der berühmtesten Damaszener Dichter von ʿAlawān b. ʿAṭīya al-Ḥamawī (gest. 936 / 1530), Māmayah ar-Rūmī (gest. 987 oder 988 / 1579–81), den poetischen Briefwechsel Darwīs Ibn Ṭālūs (950 / 1543 – 1014 / 1606), die Sammlungen des Aḥmad b. Šāhīn (995 / 1587 – 1053 / 1643–44) oder ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1050 / 1641 – 1143 / 1731). Doch die Poesie dürfte der in der zeitlichen Verteilung heterogenste Bereich der ganzen Bibliothek sein. Es finden sich bereits sehr wertvolle Textzeugen vor- und frühislamischer arabischer Dichtung. Die älteste datierte Handschrift der Rifāʿīya (Vollers 505), bereits 380 / 990 in Bagdad kopiert, enthält sowohl einen vorislamischen Dīwān als auch zwei frühislamische Sammlungen. Und in diesem Segment erstreckt sich die zeitli- che Verteilung der Autoren mit ʿAlī b. ʿAbdallāh al-ʿAẓms (gest. um 1285 / 1868– 69) Kommentar einer Lāmīya von Abū l-ʿAlāʾ al-Maʿarrī (gest. 449 / 1057; Vollers 523) sogar bis in das 19. Jahrhundert zu einem Zeitgenossen der Rifāʿīya. Hinter der homogenen Fassade der metrischen Form zeigt sich eine große inhaltliche Bandbreite von Herrscherlob, Liebe und Erotik oder Mystik. Der Emir Ibn al-Mušidd (gest. 656 / 1258), ebenfalls ein Damaszener Dichter, erhebt die inhaltliche Vielfalt gar zum dichterischen Programm und brüstet sich – natürlich in einem Gedicht – über seinen Diwan, darin eine Vielzahl von Wissenschaften versammelt zu haben: Medizin und Sternkunde, Grammatik und Prosodie, Recht, Traditionswissenschaften, Philosophie und Logik.128 Metrisch gefasste Texte finden sich aber auch in anderen inhaltlichen Kategorien, besonders als Lehrgedichte. Besonders viele der Gedichtsammlungen haben einen stark mystischen Hintergrund. Ibn al-ʿArabī wurde bereits erwähnt. Auch der ungemein popu- läre Ibn al-Fāriḍ (gest. 632 / 1234–35) mit seinem deutlich kleineren poetischen Oeuvre hat starke Spuren hinterlassen. Sein vollständiger Dīwān (Vollers 534) ist zwar erst als Nachtrag nach Leipzig geliefert worden, war aber darüber hinaus­

128 Vollers 545, fol. 2v. 94 Kapitel 1 bereits in fünf Kommentaren entweder des gesamten Dīwān (Vollers 535, 536) oder einzelner Gedichte (Vollers 538, 539, 542) in der Rifāʿīya zu finden. In der Mitte des 19. Jahrhunderts berichtet Alfred von Kremer über die Popularität der oft gesungenen Verse in Syrien.129 Dass diese poetischen Rezitationen den Unmut der traditionellen Gelehrtenkreise ausgelöst hätten, wie dies noch in spätmamlukischer Zeit der Fall war,130 hören wir meines Wissens aus osmani- schen Quellen nicht mehr. Was es in der Rifāʿīya allerdings nicht gibt, sind zeitgenössische Sammlungen umgangssprachlicher Texte, wie sie in dieser Zeit durch eine steigende Menge handschriftlicher Zeugen belegt sind.131 In den zahlreichen in Berlin erhalte- nen safīnas Aḥmad ar-Rabbāṭs finden sich viele Beispiele dafür. Die Bücher waren auf dem Markt sehr präsent und Wetzstein sowie seine Gäste Sprenger und Petermann konnten einige Exemplare erwerben. Doch obwohl ar-Rabbāṭs Bibliothek die Quelle für einen erstaunlich großen Teil der Rifāʿīya darstellt, blieb dieser Aspekt seiner Sammlung unberücksichtigt. Besonders hinter der auch formal unglücklichen Überschrift Prosa132 ver- stecken sich eine ganze Reihe von Werken, deren Auftauchen in der hier als Gelehrtenbibliothek betrachteten Rifāʿīya überraschender ist, als es dieser „prosaische“ und ganz auf formale Kriterien abzielende Titel vermuten lässt. Es handelt sich um zahlreiche, der Einfachheit halber oft als „populär“ bezeich- neter Epen oder sīra-Werke, wobei der Begriff populär auf ein geringes soziales Prestige ebenso wie auf ein niedrigeres, wenn auch nicht umgangssprachliches sprachliches Register anspielt. Tatsächlich wäre dieser Teil der Rifāʿīya sogar noch etwas umfangreicher gewesen, hätte Wetzstein nicht eine ganze Reihe Titel dieser Art von vornherein als „wertlos“ aussortiert. Unter den 38 ausge- schossenen Büchern enthielten die Nummern 14 bis 25, also 12 Bände, aben- teuerliche oder phantastische Erzählungen des sīra-Genres, wozu Wetzstein lapidar notierte: „Legende; werthlos.“133 Diese Einschätzung muss erstaunen, kommt sie doch von einem Mann, der in seinen privat zusammengestellten Sammlungen unzählige dieser epischen Werke erwarb und damit wohl mehr für den Erhalt dieser Bücher tat als jeder andere Handschriftensammler, so wie er auf diese Weise auch den allergrößten auf uns gekommenen Teil der Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs für die Nachwelt bewahrte. Immerhin erfah-

129 Von Kremer: Mittelsyrien, S. 140–141. 130 Vgl. die Kontroversen bei Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 470, 484; ebd. II, S. 851, 853–854. 131 Hanna: In praise of books, 128–136. 132 Vgl. Bauer: In search, S. 149, der aufgrund der oft zwischen Prosa, Reimprosa und Versen wechselnden Texte überzeugend den Begriff prosimetrisch vorschlägt. 133 Wetzstein: Catalog der „Refaiya“, S. 52. Die Bibliothek 95 ren wir durch den Katalog, dass ʿUmar ar-Rifāʿī in seiner Bibliothek auch die Ġazwat al-ʿankabūt (14), Ġazwat al-Ḥaǧǧāǧ (15), Kitāb Futūḥ al-ḥuṣūn (16), acht Hefte der Sīrat Ḥamza Qarrān (17–24)134 und einen Band mit teilweise aus dem Zyklus der 1001 Nacht übernommenen Erzählungen besaß, jeweils in dünnen Bändchen moderneren Datums – eine Beschreibung, die durchaus sehr stark an die Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs erinnert und vielleicht weitere in die Rifāʿīya gelangte Teile davon darstellte. Wenn das Interesse an „populären“ Werken auch nicht direkt verwerf- lich war, so war es doch zumindest ungewöhnlich für einen ʿālim, ein sol- ches Interesse auch zu zeigen. Ibn Ṭūlūn hatte im 10. / 16. Jahrhundert unter Heranziehung älterer normativer Texte den Kopisten noch das Abschreiben135 und den Buchhändlern den Verkauf136 dieser „nutzlosen“ Texte untersa- gen wollen. Dass epische Werke wie die Sīrat ʿAntar(a) als Lügen und nutz- lose Zeitverschwendung eines Gelehrten nicht würdig, ja seiner Bildung und Entwicklung schädlich waren, ist der allgemeine Subtext, falls diese weit ver- breitete Literatur in den Zeilen der Gelehrten überhaupt einmal Erwähnung findet.137 Es war zwar kein geringerer als der große Literat al-Ḥasan al-Būrīnī (gest. 1024 / 1615), dessen Kommentar der mystischen Poesie Ibn al-Fāriḍs sich auch in der Rifāʿīya findet (Vollers 536), der diese soziale Schranke durchbrach und ein erstaunliches Interesse am literarischen Leben der „ʿawāmm“ zeigte: „Er war bei den einfachen Leuten beliebt (maqbūl), weil er sich dazu herabließ, sie zu besuchen und mit den literarisch interessierten unter ihnen (ahl al-adab minhum)138 zusammenzukommen. Er war bei ihren Zusammenkünften dabei

134 Hierzu schreibt Wetzstein: Catalog der „Refaiya“, S. 53: „Das vorliegende ist umso werthloser als der Rest dieses langen Romans kostspielig zu beschaffen seyn würde, d.h. man müßte sich ihn besonders abschreiben lassen.“ 135 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 178. 136 Ebd., S. 190. 137 Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 268: zur Versteigerung der Bücher des amīr kabīr Ǧānim bemerkt er, „das meiste davon war leeres Geschwätz (fušārāt), darunter die Sīrat ʿAntara“. Vgl. die Überblicke zur Kritik an dieser Literaturgattung in Canova: Critical Attitudes; Grotzfeld: 300 Jahre 1001 Nacht, S. 171–172; Ott: Metamorphosen, S. 45–47; Reynolds: Popular prose, S. 254; Rosenthal: A history, S. 46–47. Bereits für den abbasidischen Hof des frühen 4. / 10. Jahrhunderts berichtet aṣ-Ṣūlī (gest. 335 / 946) über die Erziehung des Thronfolgers, dass populäre Geschichten von seiner Lektüre streng ferngehalten wurden; speziell genannt werden : „(. . .) les Merveilles de la mer, l‘Histoire de Sindbad ou celle du Chat et de la Souris.“ Vgl. Touati: Pour une histoire de la lecture, S. 21 (nach einer Übersetzung von Marius Canard). 138 Zur Bestimmung des literarischen Feldes des adab im osmanischen Syrien vgl. Elger: Einige Überlegungen. 96 Kapitel 1 und sie trugen ihm ihre Gedichte (azǧāl) vor, die er verbesserte und deren Vorzüge und Wortspiele er herausstellte.“139 Būrīnī rief mit dieser öffentlich bekundeten Wertschätzung jedoch die Verwunderung seines Biographen her- vor und es ist somit kaum anzunehmen, dass er darin viele Nachahmer gefun- den haben wird. Gemeinhin wird die Rezeption der epischen Literatur und der populä- ren Poesie mit dem sozial geächteten Milieu des Kaffehauses in Verbindung gebracht.140 Dieser Ort kann auch den Kreisen gelehrter Männer nicht unbe- kannt gewesen sein, löste der Kaffee doch im Laufe des 16. Jahrhunderts das Zuckerwasser (sukkar) als das Getränk der Gastfreundschaft ab und hatte mit seiner den Schlaf vertreibenden Wirkung auch gewichtige Vorteile für all diejenigen, welche die Nacht zum Lesen nutzen wollten.141 Aber als nicht standesgemäßer Ort ist seine Erwähnung in einer Biographie höchstens als Kuriosität zu werten. Das Vorlesen in Kaffeehäusern etwa taucht nur als bio- graphischer Bruch und zur Verdeutlichung eines besonders schlimmen sozia- len Abstiegs auf.142 Zumindest für das 12. / 18. und 13. / 19. Jahrhundert ist diese Gleichsetzung von der Rezeption populärer Literatur mit dem Kaffeehaus zwar deutlich zu kurz gegriffen, wie wir aus den zahlreichen Lesevermerken

139 Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 355–390, Nr. 141: „wa-kāna maqbūlan ʿinda l-ʿawāmm li-annahū kāna yatanazzalu ilā ziyāratihim wa-kāna yuḫāliṭu ahl al-adab minhum wa-yaḥḍuru ǧumūʿahum wa-yaʿruḍūna ʿalaihī azǧālahum fa-yuḥassinuhā wa-yubaiyinu maḥāsinahā wa-nikātahā“. 140 Für Aleppo Aigen: Sieben Jahre in Aleppo, S. 53–54; Callier: Mémoire, S. 96–99. Zum Kaffeehaus in Syrien und die Kontroversen um damit assoziierte Verhaltensweisen vgl. Rafeq: The socioeconomic and political implications, bes. S. 128–132; außerdem Sajdi: The barber, S. 74–76. Die Kontroverse um die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit von Kaffee (vgl. dazu Berger: Ein Herz wie ein trockener Schwamm) hat auch in den Büchern der Rifāʿīya einen kleinen Niederschlag gefunden: ein Abū Bakr, Prediger in Damaskus (al-wāʿiẓ bi-Dimašq) hinterließ in Vollers 389 eine Notiz, in welcher er die Positionen zu Erlaubtheit und Unerlaubtheit von Kaffee diskutiert und beiden Vertretern bescheinigt, keinen kufr zu begehen. 141 Als eine Bande Verworfener (ašqiyāʾ) den Scheich Aḥmad al-Ḥalabī Ibn al-Munlā ermorden wollen, finden sie ihn lesend über nützlichen Büchern, sein abessinischer Sklave bereitet ihm gerade Kaffee, um wach zu bleiben; stattdessen trinkt er nun sein Todesgeschick (ka‌ʾs al-himām); Būrīnī: Tarāǧim I, S. 180–185. 142 Vgl. etwa Šākir al-Ḥamawī (1121 / 1709–10 – 1193 / 1779), der nach schweren Schicksalsschlägen „die schönsten Perlen an den häßlichsten Orten“ vortragen musste, Murādī: Silk I, S. 153–161. Für den Sufi und feinen Dichter ʿAlī Ibn Ṣadaqa (gest. 975 / 1567–68) ist der Umgang mit dem Pöbel (ʿawāmm, fuqarā, ḍuʿafāʾ, ahl al-baṭalāt wa-l- lahw) eher eine Übung in Demut, nichtsdestotrotz handelt er sich dafür den Tadel seiner Freunde ein; vgl. Ġazzī: Kawākib III, S. 171–172, Nr. 1487. Die Bibliothek 97 der Leihbibliotheken noch sehen werden (vgl. Kapitel 2.8 „Kommerzielle Leihbibliotheken“), aber eine soziale Konnotation ist eindeutig. Der Kaffee und das Kaffeehaus wiederum hatten seit ihrer Einführung in den arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches am Beginn des 16. Jahrhunderts eine besondere Nähe zu sufischen Kreisen.143 So findet sich noch im 18. Jahrhunderts mit Abū l-Wafāʾ Ibrāhīm ein Abkömmling aus der hochan- gesehenen und vermögenden Sufi-Dynastie der Banū Saʿd ad-Dīn al-Ǧibāwī, der viel Zeit in Kaffeehäusern verbringt und auch sonst viele Dinge tut, die eines Mannes seines Ranges unwürdig erscheinen, was den Biographen Murādī zur Erklärung veranlasst, er habe „mehr Glück als Verstand“ gehabt (fa-ḥaẓẓuhū akṯar min ʿaqlihī).144 Was einen ʿālim wie Murādī ebenso wie die anderen gelehrten Biographen aus der Oberschicht mit ihrem geschärften Blick auf soziale Distinktion abschrecken musste, die Orientierung auf die niederen Klassen der Gesellschaft, hatte im Kontext mancher Sufi-Orden frei- lich positive Konnotationen. Für den Barbier Aḥmad Ibn Budair al-Ḥallāq, der in seiner Chronik ebenfalls vom Tod Ibrāhīm al-Ǧibāwīs berichtet, bedeu- tet sein Verhalten vielmehr: „Er erlangte einen sehr hohen (sufischen) Rang und war dabei doch äußerst bescheiden (maʿa tawāḍuʿ kullī), indem er in den Kaffeehäusern saß und Groß wie Klein grüßte.“145 Und in diesem Kontext muss gerade der mystische Orden der Rifāʿīya genannt werden. Die Saʿdīya- Ǧibāwīya des oben genannten Abū l-Wafāʾ Ibrāhīm war die in Damaskus am weitesten verbreitete Untergruppe der Rifāʿīya. Generell wurden die verschie- denen Gruppierungen der Rifāʿīya mit dem „Pöbel“ in Verbindung gebracht.146 Und wenn ʿUmar ar-Rifāʿī und seine Vorfahren tatsächlich als Scheichs dieses Ordens angesehen werden müssen, dann müsste man das verstärkte Auftreten dieser Literatur vielleicht gerade vor diesem Hintergrund als einen besonde- ren Ausdruck dieser speziellen Dimension ʿUmars ansehen, der sich in seinen Büchern sonst so schwer fassen lässt. Ebenso interessant wie die Frage nach den vorhandenen Büchern könnte die Frage nach der Literatur sein, die wir in der Rifāʿīya nicht finden. Auch in Damaskus nach verschiedenen Quellen offensichtlich sehr weit ­verbreitete

143 Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit dieser Verbindung durch Geoffroy: La diffu- sion du café. 144 Murādī: Silk I, S. 45–46. 145 Budairī: Ḥawādiṯ, S. 236. Vgl. für einen früheren Bericht des 16. Jahrhunderts über einen Aleppiner Wafāʾī-Scheich ʿUrḍī: Maʿādin aḏ-ḏahab, S. 83: ein aus Konstantinopel kom- mender Richter findet den Aufenthalt eines bedeutenden Sufis im Kaffeehaus, wo dieser Musik (ālāt al-malāhī) lauscht, empörend. 146 Bosworth: „Rifāʿiyya“. 98 Kapitel 1 und grundlegende Werke waren abwesend. So findet sich keine Kopie von al-Ḥarīrīs Maqāmāt. Um hieraus jedoch weitergehende Schlüsse ziehen zu können, müsste man einen bewussten Ausschluss dieser Werke nachwei- sen. Stattdessen sind den Marktgegebenheiten, also das Vorhandensein oder die Erschwinglichkeit einzelner Titel, wohl ein viel größerer Einfluss auf die erworbenen Titel zuzuschreiben als einem bewussten Ausschluss.

1.4.1 Zeitliche und räumliche Dimensionen der rezipierten Autoren und Werke 560 der in der Rifāʿīya erhaltenen Werke konnte ein Autor mitsamt Lebensdaten zugewiesen werden. Herausfallen mussten naturgemäß autorlos konzipierte Werke wie die epischen Romane oder der Koran, Werke, die mythischen oder historischen Personen nur zugeschrieben wurden (etwa Hermes Trismegistos oder Aristoteles) und schließlich Werke, deren Autor unbekannt oder dessen Lebensdaten nicht zu ermitteln waren. Die große Konzentration von Autoren aus den Zeiträumen 1300 – 1399 und 1400 – 1499 ist teilweise irreführend, da in der Katalogisierung die Aussteller von mehr als 60 in Vollers 663 enthaltenen Dokumenten, mamlukische Sultane und hohe Würdenträger, als Autoren gezählt werden. Doch auch nach deren Subtraktion bleibt die mit diesen Jahrhunderten umschriebene Phase der Mamlukenherrschaft eine der Epochen, die zum literarischen Gesamtbild der Rifāʿīya am entschiedensten beigetragen haben. Denn zu den in diesem Zeitraum verstorbenen Autoren sind auch noch die Kairiner Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (gest. 911 / 1505) und Zakarīyāʾ al-Anṣārī (gest. 926 / 1520) mit ihren 18

Anzahl der im Zeitraum verstorbenen Autoren ohne Lehrbefugnisse

90 80 82 72

52 5149 51 38 30 24 12 5 3

9 00 799 00‒7 7 800‒899 900‒999 00‒1 1000‒1099 1100‒1199 1200‒1299 1300‒139 1400‒1499 1500‒15991600‒1699 17 1800‒1899 Abb. 16 Autoren in der Rifāʿīya: zeitliche Verteilung. Die Bibliothek 99 in der Rifāʿīya katalogisierten Werken zu zählen. Diese Autoren starben zwar erst am Beginn des 16. Jahrhunderts und werden somit diesem Jahrhundert zugerechnet, gehören aber als zwei ihrer bedeutendsten Literaten eindeutig der mamlukischen Epoche an. Dem absoluten numerischen Höhepunkt zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert schließt sich, wenngleich auf etwas niedrigerem Niveau, eine über- raschend konstante Rezeption der Literatur der folgenden zwei Jahrhunderte an, die erst im von der Rifāʿīya nur zur Hälfte durchlebten 19. Jahrhundert rapide abfällt. Der sich hier aufdrängende Eindruck eines bedeutenden Interesses an zeitgenössischer Literaturproduktion muss jedoch gleich stark relativiert werden. Bereits für das Jahrhundert 1600–1699 ist die Zahl von 51 Werken etwas zu hoch angesetzt.147 Unter den 51 „Werken“ von Autoren, deren Todesdaten in den Zeitraum zwischen 1700 bis 1799 fallen, finden sich dann allein 21 Überlieferungszeugnisse (iǧāzāt). Und auch unter den verbleibenden 30 Werken sind zuweilen nur wenige Verse, die in eine Sammelhandschrift oder als Anhang hinter andere Werke geraten sind. Dennoch ist eine gute Repräsentation von Autoren aus osmanischer Zeit zu beobachten und dabei gerade auch von Werken Damaszener Autoren. Viele der wichtigsten Literaten der Stadt finden sich hier, von Māmayah ar-Rūmī und Darwīš Ibn Ṭālū über ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī zu Amīn al-Muḥibbī. Einige – wie etwa Ibn Kannān – sind sogar sowohl als Autoren wie auch als Leser oder Besitzer von Handschriften nachweisbar. Diese erstaunlich gute Repräsentation geht im folgenden Jahrhundert dann jedoch vollkommen verloren. Aus dem 19. Jahrhundert sind drei Autoren aus- gewiesen, wobei es sich in einem Fall um einen kleinen Studienlauf (ṯabat) handelt und bei ʿAlī b. ʿAbdallāh al-ʿAẓms Marāqī l-ʿulā um den Kommentar eines Gedichtes von Abū l-ʿAlāʾ al-Maʿarrī (gest. 449 / 1057; Vollers 523). Dazu kommt ad-Dāmūnīs (gest. nach 1215 / 1800–01) aš-Šihāb al-qabasī (Vollers 269), eine Verteidigung des Damaszener Mystikers ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, die mit ʿAbd al-Ǧalīl an-Nābulusī (1184 / 1770–71 – 1252 / 1836) auch einem Ur-Enkel des Verteidigten gehörte. Beide genannten Autoren sind Damaszener. Dies ist auch bereits ein deutliches Indiz für eine sehr lokale Prägung der Rifāʿīya. Sie setzt einen prägnanten Kontrapunkt zu der kosmopolitischen und grenzüberschreitenden Natur, welche der islamischen Gelehrtenwelt oft – und durchaus nicht zu Unrecht – bescheinigt wird. Die arabische Welt und

147 2 der Werke sind iǧāzas; daneben gibt es drei eigene Einträge für drei zusammengehö- rige Bände von Ibn al-Ḥalabīs Sīra und zwei Einträge für die beiden zusammengehörigen Bände von Muḥibbīs Iʿlām; demnach müssten also immer noch sehr starke 46 Nummern gezählt werden. 100 Kapitel 1 darüber hinaus auch die globale islamische Gelehrtenkultur vom subsahari- schen Afrika, über das gesamte Osmanische Reich bis in seine europäischen Besitzungen, Persien und Zentralasien bis hin zum Mogulreich des indischen Subkontinents, all diese gewaltigen und in vielen Punkten so disparaten Kulturräume waren doch virtuell geeint durch die Verwendung des Arabischen als dominanter oder zumindest einer der von den Gelehrten idealerweise zu beherrschenden Literatursprache. Diese sprachliche Barrierefreiheit wurde ergänzt durch Potentiale rea- ler Vernetzung durch weite Studienreisen, unpersönliche Lehrkontakte in Form von brieflich erwirkten und erteilten Lehrbefugnissen, oder dem Zusammentreffen von muslimischen Pilgern aus weiten Teilen der Welt in religiösen Zentren wie besonders den Heiligen Stätten des Ḥiǧāz. In Mekka oder Medina konnte ein Damaszener zu Füßen eines indischen oder maghre- binischen Scheichs Studien in unterschiedlichen Wissenschaften absol- vieren, wofür einige durchaus auch einen mehrjährigen Studienaufenthalt (muǧāwara) absolvierten. Einige Bereiche haben von diesen Vernetzungen nachweislich literarische Anregungen erhalten. Im syrischen Sufismus bei- spielsweise haben sich im 18. Jahrhundert verstärkt die Einflüsse neuerer intellektueller Entwicklungen indischer und zentralasiatischer Bewegungen innerhalb des Naqšbandīya-Ordens fühlbar gemacht. Diese gingen mit der nachweislichen Rezeption von und produktiven Auseinandersetzung mit besonders einflußreichen Werken148 ebenso einher wie mit einer teilweise nicht unbedeutenden Immigration dann in Damaskus prominent tätiger Sufis.149 Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, wenn Establet und Pascual in ihrer Auswertung der in Damaszener Nachlassregistern um 1700 verzeichneten Bücher eine kosmopolitische Ausrichtung, eine „pensée- monde“ entdecken, die „d’un bout à l’autre du monde musulman“ reichte.150 Und tatsächlich findet sich ja auch in der Rifāʿīya immerhin ein Leser mit nachweislich zentralasiatischem Hintergrund, ʿAbd al-Muḥsin al-Kāšġarī at-Turfānī al-Bakrī (Vollers 172).151

148 Vgl. Pagani: Renewal before reformism, für die Rezeption des Inders Aḥmad Sirhindī (gest. 1642) durch den Damaszener ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī. 149 Das bekannteste Beispiel im 19. Jahrhundert ist der šaiḫ Ḫālid an-Naqšbandī; vgl. Baiṭār: Rauḍ III, S. 210–215; de Jong / Witkam: The library. 150 Establet / Pascual: Les livres, S. 154–155. 151 Er nennt sich in Vollers 172 al-Kāšġarī aṣlan wa-t-Turfānī baladan, und könnte vielleicht auf der Pilgerfahrt nach Damaskus gelangt sein, da auch ein zweites seiner Bücher (Berlin Wetzstein II 1603) hier zu finden war. Die Bibliothek 101

Dass diese Potentiale des Austauschs in der Literatur, so wie wir sie in der syrischen Bibliothekslandschaft vor uns sehen, aber relativ wenig ­realisiert wurden, zeigen die Bücher der Rifāʿīya sowohl inhaltlich wie materiell. Der Fokus der literarischen Welt, an welcher sie Anteil nahm, lag eindeutig auf Bilād aš-Šām, ihr regionaler Rahmen war damit also recht eng begrenzt. Die großen urbanen Zentren wie Damaskus, Aleppo oder Beirut mögen über Netzwerke von Handel, Gelehrsamkeit und Politik mit den entferntesten Gegenden der islamischen und außerislamischen Welt verbunden gewesen sein, die in der Rifāʿīya sich abzeichnenden literarischen Netzwerke spiegeln diesen Horizont nicht wieder: ihre Besitzer lasen überraschend regional. So finden sich unter den 76 Werken, deren Autoren im Zeitraum zwischen 1600 und 1850 lebten und von denen bisher 61 regional verortet werden können kein einziger Gelehrter aus dem subsaharischen Afrika, nur zwei wirkten in Indien, wobei einer davon ein Jemenit war. Werke von Autoren aus dem Maghreb haben es zwar häu- figer bis in die syrische Bibliothek geschafft, doch nur eines von diesen hat in der Rifāʿīya auch einen tatsächlich maghrebinischen Hintergrund: die bei- den Werke Maqqarīs (Vollers 41, 669 / 1) wurden dagegen in Ägypten verfasst und sein Nafḥ aṭ-ṭīb geht sogar maßgeblich auf Damaszener Erlebnisse ihres Autors zurück; der Reisebericht Ibn aṭ-Ṭaiyibs (gest. 1170 / 1756–57; Vollers 746) ist letztlich das Produkt eines Autors mit zwar maghrebinischem Hintergrund, der jedoch seinen großen Einfluss als Autor und Lehrer auch einer ganzen Reihe Damaszener Schüler in Medina ausübte. Die Kernzone literarischer Rezeption war somit eindeutig der syrisch-­ ägyptische Raum. Dies deckt sich mit dem Befund der biographischen Literatur,

1400–1499 1500–1599 1600–1699 1700–1850 38 34

20 15 13 13 12 11 5 5 3 33 3 1 1 112211 2

en b Irak Iran Syrien Indien Ägypt ernländer Maghre Zentralasien

Arabische Halbinsel Osmanische K Abb. 17 Autoren in der Rifāʿīya: räumliche Verteilung. 102 Kapitel 1 wo die Reisen der syrischen Porträtierten hauptsächlich drei Richtungen haben und sehr spezifisch zweckgebunden sind:

1) nach Mekka und Medina zur Pilgerfahrt und möglicherweise einem mehrjährigen Aufenthalt zum Zwecke des Studiums oder um der Segenswirkung des Ortes teilhaftig zu werden (muǧāwara) 2) nach Istanbul aus politischen Gründen, v.a. um sich die vom Mufti von Istanbul, dem šaiḫ al-islām zentral verteilten Posten in der Heimat zu sichern oder – jedoch sehr viel seltener – um in die formale und hierar- chisierte Gelehrtenlaufbahn der osmanischen Zentrale einzusteigen 3) nach Kairo zum Studium, etwa an der prestigeträchtigen Moschee- Hochschule al-Azhar. Eine Reihe von in der Rifāʿīya erhaltenen Lehrbefugnissen (iǧāzāt), welche der syrische Student ʿAlī al-Bairūtī um die Wende zum 18. Jahrhundert von seinen Lehrern an der Azhar ausge- stellt bekam, verdeutlicht diesen letzten Punkt (Vollers 729).

Daneben gab es eine sehr viel weiter reichende Handelsmobilität, die jedoch nach dem Ausweis der erhaltenen Handschriften aus Syrien in der Regel nicht zu literarischen Kontakten geführt zu haben scheint. Dabei war es gerade die syrische Diaspora in der ägyptischen Hafenstadt Damietta, von deren Bemühungen um literarische und naturwissenschaftliche Entwicklungen an der Wende zum 19. Jahrhundert berichtet wird. Sie ist nicht zuletzt durch die Rezeption europäischer Literatur in Form von Übersetzungen ins Arabische hervorgetreten und bildet einen der frühen Vorläufer der nahḍa.152 Wir kön- nen also in diesem kosmopolitischen und literarisch interessierten Umfeld der Händler einen idealen Multiplikator für literarische Einflüsse und Entwicklungen anderer Regionen der arabischen Welt sehen. Doch vielleicht war es die Tatsache, dass dieser Kreis maßgeblich von christlichen Händlern als Patron und christlichen Geistlichen als Übersetzer bestimmt wurde, wel- che der Rezeption in einer muslimischen Bibliothek wie der Rifāʿīya zu diesem Zeitpunkt noch im Wege stand. Die erdrückende Dominanz des syrisch-ägyptischen Kulturraumes ist in der obigen Aufstellung zur regionalen Herkunft der Autoren evident und es fällt nicht schwer, hierfür politische Entwicklungen und anhand politi- scher Konstellationen gewachsene Kommunikationswege verantwortlich zu machen. Die kulturelle Ausstrahlung auf Syrien durch das Mäzenatentum

152 Vgl. [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 178–179; Reichmuth: Mündlicher und schriftlicher Wissenstransfer, S. 35–37; Liebrenz: The library of Aḥmad al-Rabbāṭ, S. 49. Die Bibliothek 103 der bis 1516 über Ägypten und Bilād aš-­Šām herrschenden mamlukischen Herrschaftsschicht sind in dieser Tabelle noch bis zu den am Beginn des 16. Jahrhunderts gestorbenen Autoren ablesbar. Nicht umsonst sind von den 38 ägyptischen Werken dieses Jahrhunderts mit 11 Mal as-Suyūṭī (gest. 911 / 1505) und 7 Mal Zakarīyāʾ al-Anṣārī (gest. 926 / 1520) zwei noch ganz der Mamlukenzeit angehörige Autoren für fast die Hälfte dieser erstaunlich großen Zahl ver- antwortlich. So fällt mit der beginnenden osmanischen Epoche und der Reorientierung des politischen Zentrums von Ägypten nach Istanbul auch ein Erstarken in der Repräsentation und Rezeption syrischer Literaturproduktion gegenüber der immer noch wichtigen ägyptischen auf. Bei einem allgemeinen Rückgang der Autoren aus dem 17. Jahrhundert konnte sich die Zahl der syri- schen Schriftsteller nicht nur relativ, sondern sogar absolut steigern. Demgegenüber hat die literarische Produktion der Autoren aus dem zen- tralosmanischen Raum, hier vereinfacht etwa mit dem Gebiet der heutigen Türkei gleichgesetzt, kaum Spuren in der Rifāʿīya hinterlassen, obwohl hier nun das politische Zentrum des Reiches lag und auch die syrischen Gelehrten immer wieder persönliche Kontakte in dieses Zentrum suchen mussten, da hier über die Vergabe der Posten an Moscheen, Madrasen und ande- ren Bildungseinrichtungen entschieden wurde. Diese spärliche Rezeption erstaunt umso mehr, als die persönlichen Kontakte auch in umgekehrter Richtung, durch Beamte und vor allem Richter aus dem Zentrum des Reiches in die Provinzen, sehr zahlreich und regelmäßig waren.153 Dass diese gelehrten Männer immer wieder kleine und große Mengen an Handschriften aus den Provinzen in das Zentrum gebracht haben dürften, kann nicht verwundern. Umgekehrt scheinen die vergleichsweise riesigen Bibliotheken Istanbuls in der Rifāʿīya und weiteren Sammlungen gleicher Provenienz kaum nennens- werte Spuren hinterlassen zu haben. Einige prominente Ausnahmen stechen hervor, fallen aber mit jeweils nur einem oder zwei Bänden kaum ins Gewicht. Der bibliophile Richter ʿAlī b. Amr Allāh, bekannt als Qīnālī-zāda (916 / 1510 – 979 / 1571)154 scheint Vollers 688 beim Verlassen seines Postens als Oberrichter in Damaskus, den er 971 / 1563 antrat, nicht einmal mitgenommen zu haben, denn bereits 979 / 1571–72 findet sie sich im Besitz des Damaszeners Ismāʿīl an-Nābulusī (937 / 1530–31 – 993 / 1585) wieder. Tatsächlich aus einer der gro- ßen Sammlungen der Metropole gereist sind offenbar die beiden von ʿĀṣim Ismāʿīl Ǧalabī-zāda (gest. 1173 / 1760)155 im 18. Jahrhundert besessenen Bände

153 Vgl. als Überblick Winter: Ottoman Qadis in Damascus. 154 Vgl. Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 35, 48; GAL II, S. 521; Ziriklī: Aʿlām IV, S. 264–265. 155 Vgl. mit weiterführender Literatur Sievert: Zwischen arabischer Provinz und hoher Pforte, S. 156–164, 334 (hier zu seinen Bücherschenkungen an Rāġıb Paşa), 522. 104 Kapitel 1

(Vollers 316 und 592). Auch aus der an Umfang und Inhalt anscheinend ein- zigartigen Bibliothek Abū Bakr b. Rustam aš-Širwānīs (gest. 1135 / 1723),156 die nach dessen Tod tatsächlich in alle Winde und heute über die ganze Welt ver- streut ist, findet sich nur eine Handschrift (Vollers 763) in der Rifāʿīya. Natürlich haben Damaszener auch in Istanbul Bücher erworben, wie es in den Handschriften der Rifāʿīya jedoch einzig der Damaszener muʾaḏḏin Muṣṭafā ar-Raiyis157 1086 / 1675–76 mit Vollers 230 und im Jahr 1098 / 1686–87 der Imam der Umayyadenmoschee, Ḫalīl b. Muḥammad Ibn al-Ḥimṣānī (gest. 1123 / 1711) mit Vollers 86 dokumentiert haben. Man könnte sich sehr gut vor- stellen, dass beide in der Hauptstadt waren, um ihre genannten Posten gegen Konkurrenten zu verteidigen oder neue zu erlangen. Zumindest in diesen beiden Fällen, einem Traktat des Mystikers Ibn al-ʿArabī und einem Teil des Korankommentars al-Kaššāf von az-Zamaḫšarī (gest. 538 / 1143–44), scheint es sich bei ihren Erwerbungen aber weniger um die Erzeugnisse einer in der Provinz noch unbekannten Literaturproduktion der Metropole, sondern um Altbekanntes oder Vertrautes gehandelt zu haben. Wir hören durchaus von Strategien einzelner Autoren, ihre Werke gezielt über Netzwerke von Schülern und Gelehrten auch in einem überregionalen Kontext zu verbreiten. Paradebeispiel und besonders gut erforscht ist Murtaḍā az-Zabīdī (1145 / 1732 – 1205 / 1791), von dem ein Überlieferungszeugnis (iǧāza) in der Rifāʿīya liegt (Vollers 880g).158 Ein weiterer in der Rifāʿīya vertretener Autor, Aḥmad al-Maqqarī (gest. 1041 / 1631–32), berichtet ebenfalls über die systematische Verbreitung eines Werkes. Im Kolophon seines Fatḥ al-mutaʿāl (Vollers 41) führt er aus, dass nach Fertigstellung der ersten Version des Buches im Jahr 1030 / 1621 mehrere Abschriften davon genommen wurden, um sie in die osmanischen Kernlande zu bringen (wa-kutiba [sic.!] minhū ʿiddat nusaḫ wa-ḥumilat ilā bilād ar-Rūm).159 Die Strategien der beiden genannten Autoren waren augenscheinlich tatsächlich sehr erfolgreich, denn ihre Werke gehören zu den am weitesten verbreiteten und am meisten kopierten des osmanischen Reiches. Beide operierten außerdem von Ägypten aus und es wäre zu untersu- chen, wie die Netzwerke der jeweiligen Provinzen sich in ihrer Intensität und Durchschlagskraft unterschieden haben könnten. In der Regel scheinen litera- rische Werke jedoch nur äußerst langsam gewandert zu sein.

156 Vgl. zu ihm Süreyya: Sicill-i ʿoṯmānī I, S. 170; Sayyid: Les marques de possession, S. 22. 157 Der Name könnte als ar-ra‌ʾīs auch auf den Posten des ra‌ʾīs al-muʾaḏḏinīn verweisen. 158 Vgl. Reichmuth: The world, S. 71–73. 159 Vollers 41, fol. 115r. Die Bibliothek 105

1.5 Bestandsgeschichte: Ansätze einer Bibliotheksarchäologie160

Bevor man sich einer Analyse der historischen Entwicklung der Rifāʿīya zuwen- den darf, gilt es zu klären, welcher Bestand überhaupt Gegenstand dieser Analyse sein kann. In der Vergangenheit kursierten einige sehr unterschiedli- che Zahlen zur Größe der Rifāʿīya. Dies war nicht nur auf die Vergabe zweier Signaturengruppen nach unterschiedlichen Kriterien zurückzuführen – die ursprüngliche Signatur der Leipziger Universitätsbibliothek erfasste jeden Band einzeln, die Signatur nach dem Katalog von Karl Vollers fasste oft, jedoch keineswegs immer, zusammengehörige Bände zu einer Signatur zusammen – sondern auch auf die irreführende Verteilung der Rifāʿīya auf ursprünglich meh- rere Signaturengruppen. In der Vergangenheit wurde der von Fleischer in seinem Aufsatz Die Refaїya mitgeteilten Angabe von 487 Handschriften gefolgt,161 während von mir vorgeschlagene Zählungen anhand der ursprünglich auf die Rifāʿīya verweisenden Signaturen D.C. und D.C. Nachtrag162 später hinzuge- kommene Handschriften bewusst vom Grundbestand unterscheiden wollte, dabei jedoch noch ohne Kenntnis einiger Zusammenhänge der ursprüngli- chen Katalogisierung erfolgte und somit zwar das Problem bereits benannte, eine abschließende Klärung aber noch nicht erreichen konnte. Wetzsteins erste Briefe und der überlieferte Text der Quittung für das Kaufgeschäft meldeten einen ursprünglichen Bestand von 470 Handschriften nach Leipzig.163 Von diesem ihm eingangs präsentierten Grundstock der Bibliothek hatte Wetzstein 38 Bände als für den Ankauf wertlos aussortiert, gleichzeitig aber einen Stapel mit teils sehr umfangreichen Fragmenten, den er ohne eine Trennung seiner Inhalte in einem Sack versiegelte und der wei- terhin Teil des Kaufes blieb, nicht gezählt. In Leipzig bekamen dann die 432 nicht als Fragmente gekennzeichneten Bände die Signaturengruppe D.C., also Damascenae Catalogus, zugewiesen, da diese Signatur in fortlaufender Zählung dem von Wetzstein noch in Damaskus angefertigten Katalog folgte. Das waren die Bände, die mit der ersten Lieferung vom Dezember 1853 bereits in Leipzig angelangt waren. Später dann kamen als Ersatz für die 38 ­aussortierten ­weitere 15 Bände hinzu, begleitet von 4 in der ersten Lieferung vergessenen,

160 Teile dieses Kapitels basieren auf Passagen von Liebrenz: Die Rifāʿīya, S. 271–279, die hierfür jedoch fundamental überarbeitet und erweitert wurden. 161 Fleischer: Die Refaїya, S. 363. 162 Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, S. 88; Ders.: Die Rifāʿīya, S. 273. 163 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / c), fol. 1v (arabischer Text) und fol. 2r (Fleischers Übersetzung). 106 Kapitel 1 die nun nachgeschickt werden konnten. Zusammen bilden letztere die 19 Bände der Signatur D.C. Nachtrag. Damit wäre man bei 451 Handschriften, während die überlieferte Quittung des Kaufgeschäfts noch 452 Handschriften plus Fragmente (aurāq wa-šaqaf) angibt.164 Fleischer selbst erwähnt dann jedoch 487 Nummern,165 welcher Zahl sich Döring166 und Müller167 anschlie- ßen. Diese Differenz erklärt sich dadurch, dass zur Rifāʿīya auch noch die ganze Signaturengruppe Fragmente mit 33 Nummern (35 Nummern mit zwei Leerstellen) hinzuzurechnen ist. Über 100 Jahre war diese Signaturengruppe nicht als Teil der Rifāʿīya zu erkennen, denn diese Zugehörigkeit war weder aus der Signatur noch aus dem Katalog von Vollers ersichtlich. Nur durch den Vergleich mit dem zweiten, erst kürzlich durch Detlef Döring beschriebenen168 handschriftlichen Katalog Wetzsteins konnte die Verbindung der Handschriften wieder sichtbar werden. Doch auch damit ist es noch nicht ganz getan, denn so wären wir ja erst bei 484 Nummern. Wie der spätere Katalog Wetzsteins jedoch zeigt, sind auch 4 der 38 ursprünglich aussortierten Handschriften von Fleischer nachverlangt und später tatsächlich mitgeliefert worden. Sie finden sich in der Signaturengruppe Ausschuß, wiederum ohne irgendeinen Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zur Rifāʿīya. Diese Signaturengruppe hat kurioser- weise tatsächlich 33 Nummern, also fast exakt die ursprünglich aussortierten, doch kommt sie auf diese Zahl nur durch einige Lücken in der fortlaufenden Nummerierung und es sind tatsächlich nachweisbar nur die 4 Handschriften dieser Gruppe aus der Rifāʿīya während der Rest später aus nicht mehr nach- vollziehbaren Gründen mit einer Ausschuß-Signatur versehen wurde. Somit haben wir am Ende tatsächlich 488 Handschriften vor uns. Die Differenz von einer Nummer gegenüber der von Fleischer in seinem Aufsatz genannten erklärt sich durch das verspätete Eintreffen von Vollers 458, welche Wetzstein erst mit einem Brief vom 5. Dezember 1854 abschicken konnte und darin „Omars letztes Geschenk an die Refaiya“ nannte.169 Diese Sendung kam wiede- rum erst am 6. Juni 1855 in Leipzig an und konnte somit für Fleischers Zählung in seinem Aufsatz von 1854 nicht mehr berücksichtigt werden. Für die inhaltliche und statistische Auswertung der Bibliothek gemahnt diese Bestandsgeschichte zur Vorsicht, denn die 488 Nummern bilden nur teilweise den ursprünglichen Bestand der Rifāʿīya, wie sie in Damaskus stand,

164 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / c), fol. 1v (arabischer Text) und fol. 2r (Fleischers Übersetzung). 165 Fleischer: Die Refaїya, S. 363. 166 Döring: Der Erwerb, S. 19. 167 Müller: Orientalische Handschriften, S. 141. 168 Döring: Die neuzeitlichen Handschriften, S. 9. 169 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 5. Dezember 1854. Die Bibliothek 107 ab, während einige ihrer ursprünglichen Teile durch Wetzsteins Aussortierung nun nicht mehr in diese Betrachtung einfließen können. Eine der wichtigsten Informationen, welche Wetzstein und – auf seiner Grundlage – Fleischer zur Geschichte der Rifāʿīya gaben, war die des hohen Alters ihres Kernbestandes. Diese Nachricht gab einer Büchersammlung aus dem 19. Jahrhundert gleichsam historische Wurzeln. Vielleicht wurde sie sogar mit Kalkül betont. In einer Zeit, welche die Entwicklung des Orients insge- samt seit dem Mittelalter als einen ständigen, besonders auch intellektuel- len Niedergang verstand, mochte es nicht ganz unwichtig gewesen sein, den Eindruck zu erwecken, dass diese Sammlung das Produkt einer längst vergan- genen Epoche intellektueller Hochleistungen war. Diese Information erhöhte so in den Augen nicht nur der Fachwelt neben den in ihr enthaltenen Texten sicher ihre Attraktivität. Nach Wetzstein war die Rifāʿīya also „vor mehrern Jahrhunderten gesammelt worden“.170 Kann diese Aussage einer gründli- chen Überprüfung der Handschriften standhalten? Kein einziger Vermerk in einem Buch der Rifāʿīya stammt von deren eponymen Besitzern oder berich- tet über seine Erwerbung für diese Bibliothek. Einige der vielen Vermerke von Vorbesitzern tragen allerdings ein Datum. Sie bieten also, ebenso wie die von den Kopisten genannten Daten der Abschrift, das heißt der Entstehung eines Buches, einen Terminus post quem für dessen Übernahme in die Rifāʿīya. Für die statistische Auswertung bereiten beide Termini – Kauf und Kopie – dennoch Schwierigkeiten: Denn die überwiegende Mehrzahl der Besitzeinträge ist undatiert, in vielen anderen ist das Datum heute zerstört oder unleserlich, und bei weitem nicht jeder Kopist hat das Datum seiner Abschrift angege- ben. In manchen Fällen kann trotzdem ein Terminus post quem sehr genau rekonstruiert werden. Dies kann mit Hilfe von Paralleleinträgen geschehen, etwa im Fall des mir anderweitig nicht nachweisbaren Muṣṭafā b. Muḥammad al-Ḥalabī,171 Besitzer der sonst nur unzureichend datierbaren Handschriften Vollers 41, 420 und 581. Er hat in vielen weiteren Leipziger und Berliner Handschriften datierte Besitzeinträge hinterlassen, welche 1238 / 1822 ­einsetzen und in den Berliner Einträgen bis 1274 / 1857 – also sogar nach dem Verkauf der Rifāʿīya 1270 / 1853 – reichen. Zuletzt ist er als Kopist noch im Jahr 1279 / 1862–63 greifbar.172 Von sechs seiner in die Rifāʿīya gelangten Büchern

170 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 20. März 1853, fol. 1v. Vgl. auch Fleischer: Die Refaïya (wie Anm. 5), S. 573. 171 Aus seinen zahlreichen Besitzeinträgen lässt sich der folgende komplette Name rekonstru- ieren: Muṣṭafā b. Muḥammad b. Aḥmad b. ʿUmar al-Ḥalabī ad-Dimašqī al-ʿUrḍī al-Ḥusainī al-Muṭṭalabī aš-Šāfiʿī aš-šahīr bi-Ibn al-Ḥamawī. Nach Berlin Sprenger 885 war er zu einem unbekannten Zeitpunkt Prediger (ḫaṭīb) an der Aleppiner Umayyadenmoschee. 172 Ẓāhirīya 8432, vgl. Murād / Sauwās: Adab II, S. 178. 108 Kapitel 1

(Vollers 41, 240, 255, 256, 420, 581) sind drei von ihm auf die Jahre 1243 / 1827, 1263 / 1847 und 1267 / 1851 datiert worden. Daher kann das Jahr 1267 / 1851 mit aller Vorsicht, das Jahr 1230 / 1815 mit ziemlicher, das Jahr 1210 / 1795–96 aber mit absoluter Sicherheit, auch als der Terminus post quem für die übrigen drei Handschriften gelten. In der folgenden Statistik werden diese Bücher daher in der Kategorie „Terminus post quem nach 1210“ auftauchen. Ähnlich kann die Identifizierung eines undatierten Besitzers durch Sekundärliteratur funktionieren. ʿAbd al-Ǧalīl Ibn an-Nābulusī, Ur-Großenkel des berühmten Mystikers ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, hat seine beiden Besitzeinträge in Vollers 269 und 392 nicht datiert. Er lebte aber, wie wir aus den einschlägigen biographischen Lexika wissen, von 1184 / 1770 bis 1252 / 1836.173 Für beide Handschriften kann also vielleicht das Jahr 1252 / 1836, mit großer Sicherheit aber das Jahr 1210 / 1795–96 als Terminus post quem ange- sprochen werden. Sie sollen also im Folgenden in der Kategorie „nach 1210“ gezählt werden. Noch schwerer für die statistische Erfassung wiegt aber, dass sich viele Besitzer überhaupt nicht in ihre Bücher eingetragen haben. Nicht zuletzt ist dies bei den Rifāʿīs selbst der Fall, die in keiner einzigen ihrer Handschriften eine Spur hinterließen. Lückenlose Besitzgeschichten lassen sich also keines- falls rekonstruieren. Die im Folgenden angeführten Zahlen späterer Zuwächse zur Bibliothek können demnach nicht mehr als die Spitze eines Eisberges von sicherlich nicht ganz unbeachtlicher aber eben nicht quantifizierbarer Größe darstellen. In vielen Fällen schließt ein willkürlich gewählter Terminus post quem auch viele Besitzeinträge aus, die nach aller Wahrscheinlichkeit in dessen Grenzen fallen würden. Hat beispielsweise jemand im Jahr 1195 / 1781 ein Buch gekauft und nachweislich noch weitere zwanzig Jahre gelebt, so ist es unwahrscheinlich – wenn auch sicher nicht ausgeschlossen – dass dieses selbe Buch bereits vor einem Terminus post quem 1200 / 1785–86 Teil der Rifāʿīya wurde. Hier wird einem im Besitzeintrag explizit genannten Datum immer der Vorzug gegeben, etwa beim 1265 / 1849 gestorbenen Muṣṭafā aṣ-Ṣalāḥī,174 des- sen Kauf der Handschrift Vollers 589 aus dem Jahr 1224 / 1809 datiert und auch dementsprechend eingeordnet wurde. Schließlich können auch Lesevermerke durchaus Besitz anzeigen, den- noch sollen sie in der folgenden Statistik nicht auftauchen, um nicht auf Spekulationen zu verfallen.

173 Baiṭār: Ḥilyat al-bašar II, S. 786; ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 155. 174 Baiṭār: Ḥilyat al-bašar III, S. 1539. Die Bibliothek 109

Mit dieser Methode lassen sich, ähnlich einer archäologischen Grabung, verschiedene Schichten der Rifāʿīya freilegen. Der Inhalt jeder Schicht ließe sich dann – mit aller Vorsicht – wie die stratigraphische Momentaufnahme einer historischen Epoche innerhalb der Geschichte dieser Bibliothek ­analysieren. Anders als archäologisch fassbare Kulturschichten sind die hier untersuchten jedoch willkürlich, indes nicht ohne die begründete Hoffnung auf einen heuristischen­ Wert für die historische Auswertung definiert. Die jeweiligen Schritte von 20 Jahren sollen die Daten einheitlich ordnen und nicht signifikante historische Veränderungen andeuten. Dieses Verfahren soll zudem nur bis zu dem Jahr zurückgeführt werden, in dem die Rifāʿīya nach Aussage ihres letzten Verwalters als Stiftung etabliert wurde, dem Jahr 1188 / 1774–75. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich der Terminus post quem für den Grundbestand in folgendem Schema Abb. 18 dar.

500

sschuβ ) 450

400 e + 4 x Au 350 agment

Fr 300

250 en ( . . +

200

150

100

50 Gesamtzahl der Handschrift 0 Refaiya 1250 100 1230 20 1210 20 1188 19 Restbestand 310

Abb. 18 Terminus post quem des Erwerbs der Rifāʿīya-Handschriften. 110 Kapitel 1

Zum Zeitpunkt ihrer offiziellen Konstituierung als Stiftungsbibliothek im Jahr 1188 / 1774 konnten vom jetzt noch greifbaren Grundbestand von 469 Handschriften (Signaturengruppen D.C. + Fragmente + vier Nummern Ausschuß) nicht mehr als 310 Bände überhaupt Teil der Rifāʿīya gewesen sein. 157 Nummern waren definitiv nicht auf ihren Regalen zu finden und wurden erst in den folgenden 82 Jahren ihres Bestandes erworben. Ein besonders gro- ßer Teil lässt sich sogar der absoluten Spätphase ihrer Entwicklung zuweisen, den letzten zwanzig Jahren vor dem Verkauf. Nicht weniger als 100 Bände, d.h. etwa 21 Prozent oder mehr als der fünfte Teil des Gesamtbestandes,175 wurden in dieser Zeitspanne erworben. Als einziger mit einem Terminus post und ante quem der Erwerbung greifbarer Teil der Bibliothek soll er im nächsten Kapitel eingehender untersucht werden. Sehr erstaunlich sind die Fälle, in denen sich ein Buch noch ein oder zwei Jahre vor dem Verkauf der Rifāʿīya außerhalb von deren Reihen findet. Aus der Bibliothek ʿAbd al-Qādir b. ʿAbdallāh al-Usṭuwānīs (1249 / 1833–34 – 1314 / 1896–97)176 haben elf Bände den Weg in die Rifāʿīya gefunden. Neun von ihnen haben Besitzeinträge, die zwischen 1263 / 1847 und 1268 / 1851 datieren, bei drei weiteren Besitzeinträgen ist das Datum zerstört, aber aufgrund der Lebensdaten sicher der post-1250 Gruppe zuzuordnen. Wahrscheinlich sind also alle elf Bücher erst nach 1268 / 1851 in die Rifāʿīya gelangt, doch sicher kann dies nicht gesagt werden. Auch aus dem Jahr 1269 / 1852–1853, also tat- sächlich höchstens ein Jahr vor dem Erwerb durch Wetzstein, finden sich noch zwei datierte Besitzeinträge in Vollers 118 und 669. In der Tat hat der ehemalige Kanzleisekretär Muṣṭafā Šams ad-Dīn al-Būsnawī seinen Erwerb von Vollers 118 am selben Tag, dem 20. März 1853, dokumentiert, an dem Wetzstein die erste Nachricht von der noch namenlosen Rifāʿīya an Fleischer niederschrieb. Das bedeutet nicht nur, dass dieses Buch niemals Teil der gestifteten Bücher der Rifāʿīya war, sondern auch, dass sein Besitzer al-Būsnawī und die Rifāʿīs es zusammen genommen höchstens ein halbes Jahr, jeder also höchstens

175 Da in der Grundsignatur jeder Band eines mehrbändigen Werkes eine eigene Nummer erhielt, entsprechen die 453 D.C.-Handschriften nur 403 Signaturen im Katalog von Karl Vollers, wo mehrbändige Werke meist – doch nicht immer – eine einzige Nummer erhielten. Die hier angestellten statistischen Berechnungen sollen allerdings auf der Grundlage der Grundsignatur, also der Gesamtheit der Bände vollzogen werden. Dies kann vereinzelt – wie auch im umgekehrten Fall – zu Verzerrungen führen. Nimmt man die Signaturen des Vollers-Kataloges zur Grundlage, würde die hier etablierte Gruppe von Handschriften mit dem Terminus post quem 1250 / 1833 68 Signaturen umfassen, was immer noch 15,4 Prozent des Gesamtbestandes von 440 Vollers-Signaturen ausmacht. 176 Šaṭṭī: Aʿyān, S. 366. Die Bibliothek 111

Abb. 19 Die heute in Leipzig befindlichen Handschriften ʿAbd al-Qādir b. ʿAbdallāh al-Usṭuwānīs (1249 / 1833–34 – 1314 / 1896–97). wenige Monate besessen haben können. Bis zur letzten Minute, als der Plan zum Verkauf der Sammlung bereits gefasst und gewaltige Investitionen zum istibdāl / Austausch der gestifteten Bibliothek getätigt waren, veränderte diese immer noch ihr Gesicht und blieb eine lebendige Institution. Dass ein großer Anteil der Handschriften der späten oder sogar sehr späten Entwicklung dieser Bibliothek sicher zugewiesen werden kann, lässt die von Wetzstein tradierte Aussage ʿUmar ar-Rifāʿīs kaum glaubhaft erscheinen, dass es sich um einen Bibliotheksbestand handelt, der Jahrhunderte des kontinu- ierlichen Bestands oder gar Wachstums abbilden soll. Denn die 157 sicher der originalen Stiftungsbibliothek abzusprechenden Bände dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. Es ist daher sogar zumindest fraglich, ob sich überhaupt der größte Teil der ursprünglich gestifteten Sammlung über die etwa 80 Jahre ihres Bestehens erhalten hat. Wir sehen hier vielleicht das letzte Abbild einer jahrhun- dertelangen Entwicklung vor uns, einer Entwicklung aber, die sich innerhalb einer Bibliothekslandschaft vollzog, welche weniger­ durch kontinuierliches­ Wachsen als durch ständige Veränderung und Neuorientierung gekennzeich- net gewesen zu sein scheint. 112 Kapitel 1

Abb. 20 Noch ein halbes Jahr vor dem Verkauf der Bibliothek war diese Handschrift nicht in der Rifāʿīya zu finden. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 118, fol. 0v

1.5.1 ʿUmar ar-Rifāʿī als Sammler: Inhalte und Quellen der Rifāʿīya Gleichzeitig scheint es durch die Betrachtung der letzten greifbaren Entwicklungsschicht eine Möglichkeit zu geben, der schwer fassbaren Person und Persönlichkeit des letzten Bibliotheksverwalters ʿUmar ar-Rifāʿī al-Ḥamawī etwas näher zu kommen. Wie in der Grafik deutlich zu sehen, kristallisiert sich durch den Terminus post quem ein sehr großer Sammelschwerpunkt in den letzten zwanzig Jahren der Rifāʿīya, also ab dem Jahr 1250 / 1833 heraus. Da der letzte Verwalter und schließlich Besitzer der Bibliothek, ʿUmar efendī ar-Rifāʿī al-Ḥamawī, zum Zeitpunkt ihres Verkaufes bereits ein sehr alter Mann war, dürfte zumindest diese – freilich willkürlich gewählte – Periode mit der Zeit seiner Verantwortlichkeit über die Sammlung einhergehen. Hier sollte sich also die „Handschrift“ ʿUmar ar-Rifāʿīs als Büchersammler und sein Einfluss auf die Bestandsentwicklung abzeichnen. Dass ʿUmar eine zentrale Rolle bei Die Bibliothek 113 der Bestandsentwicklung der Rifāʿīya spielte und ein recht großer Teil ihrer Bände auf diesen Mann zurückging, wird auch von Wetzstein bereits klar, wenn auch nur beiläufig in einer Fußnote, benannt. Nach seiner Auskunft umfasste die Rifāʿīya beim Tod von ʿUmars Vater noch 425, an den preußi- schen Konsul verkaufte er aber 432 Bände, nachdem 38 bereits aussortiert waren,177 „das jetzige Plus ist neuerdings dazu gekommen.“178 Daher müssten 45 Bände bereits nach dieser Information notwendigerweise ʿUmars eigener Initiative angerechnet werden. Andererseits belegt diese Aussage ganz klar den Befund der Handschriften, nämlich dass ʿUmar sich beim Aufbau des Bestandes auch von vielen der alten Handschriften getrennt hat. Denn aus dem für seine Verwaltungstätigkeit angenommenen Zeitraum stammen weit mehr als diese Differenz von 45 Bänden. Er war also bei weitem nicht nur ein Verwalter und Bewahrer, sondern durchaus ein kritisch aussortierender und neu ordnender Gestalter. Die 69 Signaturen des Vollers-Kataloges mit ihren 91 individuellen Werken verteilt auf 100 einzelne Bände mit einem sicheren terminus post quem 1250 / 1834, teilen sich nach ihrer jüngsten Katalogisierung in die folgenden thema- tischen Gebiete auf:179 Biographie 10; Prosa 9; Glaubenslehre 8; Erbauung 7; Lehrbefugnis 7;180 Medizin 7; Geschichte 5; Mystik 5; Poesie 5; Astronomie / Astrologie 4; Ḥadīṯwissenschaft 3; Anthologie 2; christliche Literatur 2; Geographie 2; Grammatik 2; Recht 2; Stilistik / Briefe 2; Enzyklopädie 1; Ethik 1; Gebet 1; Genealogie 1; Lexikographie 1; Metrik 1; Reise 1; Zoologie 1; Rhetorik 1; ein weiterer Band enthält vermischte fragmentarische Notizen. Das auf den ersten Blick bestimmende Element dieser Übersicht ist die thematische Breite. Als Käufer – und damit wohl auch als Leser – war ʿUmar ar-Rifāʿī anscheinend an ziemlich jedem Fachgebiet interessiert, ­dessen

177 Fragmente gingen in die Berechnung des Umfangs der Bibliothek von Seiten Wetzsteins und ʿUmar ar-Rifāʿīs nicht ein. 178 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 179 Die Zahlen der Gruppe von Handschriften mit einem terminus post quem 1250 richten sich im Folgenden nicht nach den Vollers-Signaturen und auch nicht nach der aktuel- len Bandanzahl. Andernfalls hätte etwa der Roman Badr-Nār mit seinen zwölf dünnen Bändchen unter den insgesamt 100 Bänden der Gruppe fälschlicherweise den Eindruck eines Übergewichtes der volkstümlichen Erzählliteratur erweckt. Vielmehr soll es in die- sem Fall um die Anzahl der Werke gehen. 180 Viele der hier vertretenen Werke sind mit dem noch von Vollers verwendeten Titel Studienläufe (ṯabat) besser gefasst. Nicht in jedem Fall beinhalten sie tatsächlich die Befugnis zur Lehre, sondern sind eine Art intelektuelle Autobiographie, welche besuchte Lehrer und deren Biographie sowie die Lehrstoffe aufzählt. 114 Kapitel 1 er habhaft werden konnte, von Unterhaltung zu tiefgehendem theologi- schen Diskurs, von Medizin zu christlich-hagiographischer Literatur. Einige ­thematische Schwerpunkte und Besonderheiten fallen dennoch auf, beson- ders wenn man auch hier das starre Korsett der sekundären Kategorienbildung zu Katalogisierungszwecken zuweilen abstreift. So behandeln aus den Bereichen Biographie, Geschichte, Genealogie und Prosa gleich sechs Werke das Leben Muḥammads. Dieses profunde und vor allem vielschichtige Interesse an der zentralen Figur islamischer Frömmigkeit kann nicht überraschen. Dabei bewegen sich die Werke allerdings auf ganz unterschiedlichen inhaltlichen und stilistischen Ebenen. Die Fatḥ al-mutaʿāl al-Maqqarīs befasst sich aus philologischer, traditionswissenschaftlicher und literarischer Perspektive speziell mit den Sandalen des Propheten. Sie sind das Produkt eines klassisch ausgebildeten Gelehrten. Vollers 30 und Vollers 32–36, zwei autorlose Zusammenstellungen nach Art des epischen sīra-­Genres, behandeln demgegenüber das Leben des Propheten in der Art öffentlicher Erzähler (qaṣṣāṣ). Das erste Werk bezieht sich als Autorität auf den von Gelehrten oft als Lügendichter geschmähten Abū l-Ḥasan Aḥmad b. ʿAbdallāh b. Muḥammad al-Bakrī, der oder dessen historisches Vorbild im 7. / 13. Jahrhundert gelebt haben dürfte.181 Dem gleichen Autor zugeschrieben wer- den die Episoden in Vollers 40, welche die Razzia von Ḥunain, die Flucht nach Medina und den Tod des Propheten behandeln. Sprachlich und im äußeren kodikologischen Erscheinungsbild ist bei diesen Werken kein Unterschied zu den epischen Erzählungen einer Sīrat ʿAntar oder Sīrat aẓ-Ẓāhir Baibars auszu- machen. Bezeichnenderweise sind die Texte von Vollers 40 mit einer Geschichte zusammengebunden, die sich auch in den Sammlungen der 1001 Nacht findet, die Liebesgeschichte der Wesirstochter al-Ward fī l-akmām.182 Schließlich fin- det sich in Vollers 649 eine Abhandlung über die Genealogien der Familie des Propheten, Muḥammad as-Samarqandīs Tuḥfat aṭ-ṭālib bi-maʿrifat man yanta- sibu ilā ʿAbdallāh wa-Abī Ṭālib. Auch andere, inhaltlich in Geschichte oder Erbauung eingeordnete, for- mal unter die Kapitel Prosa und Poesie verteilte, oft aber tatsächlich beides mischende Werke lassen sich adäquat unter dem Begriff adab fassen. Nach dieser Einteilung wäre die größte Gruppe mit acht Werken in 14 Bänden die- ser schwer fassbaren Gattung zuzuordnen, unter der eine große Bandbreite von – meist mit Versen durchsetzter – Kunstprosa historisch-moralisch

181 Rosenthal: al-Bakrī. 182 Vgl. zu dieser Geschichte zuletzt Garcin: Enquête d’historien. Die Bibliothek 115

­belehrendem oder unterhaltendem Anspruchs verstanden werden soll.183 Auch die hier angenommenen Ankäufe ʿUmar ar-Rifāʿīs schöpfen die ganze Bandbreite des Genres aus. Vollers 606 beinhaltet einen Teil des ersten Bandes der adab-­Anthologie Durar al-ādāb wa-maḥāsin ḏawī l-albāb des Ayyubiden- Prinzen Nāṣir ad-Dīn von Ḥamāh (gest. 617 / 1220–21) mit moralisierendem Inhalt, der eine ganze Sittenlehre ausbreitet. Andere haben einen mehr ero- tischen Charakter, wie die prosometrische Anthologie Lauʿat aš-šākī (Vollers 612, hier aṣ-Ṣafadī zugeschrieben), welche auf der Beschreibung aufreizen- der Jünglinge aufgebaut ist.184 Wieder andere können romanhaftere Züge annehmen, wie die Iʿlām an-nās von al-Itlīdī (Vollers 622), eine Geschichte der abbasidischen Kalifen mit besonderer Berücksichtigung der berühmten Wesirsfamilie der Barmakiden. Diese große Gruppe konnte also durchaus sehr unterschiedliche inhaltliche Interessen befriedigen. Eines verbindet aber alle Werke, nämlich der Vorrang und Anspruch der sprachlichen Feinheit in Kombination mit Unterhaltung. Die inhaltliche Abwechslung ist dabei gera- dezu Programm dieser Literaturgattung, denn thematische Eintönigkeit, das betonen viele adab-Autoren in den Vorreden ihrer Werke, ermüde den Leser nur. Insgesamt macht der von Vollers ursprünglich in das Kapitel adab ein- geordnete, in der modernen Katalogisierung jedoch nach unterschiedlichen Kriterien aufgeteilte Bestand der Rifāʿīya mit 18 Werken in 23 Bänden einen beachtlichen Teil der Bibliothek aus. Davon gehen mindestens 8 Werke in 14 Bänden auf die letzten 20 Jahre der Rifāʿīya und damit wohl auf ʿUmar ar-Rifāʿī zurück. Großes Interesse hat ʿUmar anscheinend auch naturwissenschaftlichen Fragen entgegengebracht. Gleich sieben medizinische, darunter zwei phar- makologische Werke, daneben einige astronomische Tabellen (zīǧ) und Lehrbücher, auch eine Raubvogelkunde finden sich unter den sehr späten­ Erwerbungen. Gerade die medizinischen Werke – darunter gleich zwei Mal aṣ-Ṣunburīs ar-Raḥma fī ʿilm aṭ-ṭibb – könnten durchaus einem prakti- schen Zweck gedient haben als reine Nachschlagewerke bei der häuslichen

183 Definitionen verschiedener Ausprägungen des Adab u.a. bei Elger: Einige Überlegungen zum adab; historisierender Adab bei Haarmann: Auflösung und Bewahrung, S. 53–54; Horst: Die Entstehung der Adab-Literatur; Kilpatrick: Adab. 184 In der Tat ist auch der Bereich al-Bāh (oder die Liebeskunst) im Katalog von Vollers bzw. Erotika nach der neuesten Katalogisierung aus Werken zusammengesetzt, die zwar inhaltlich unter die Sexualkunde subsumiert werden können, sich aber ebenso gut in die Bereiche Pharmakologie (Handbücher für Kosmetika und Aphrodisiaka) oder erotische Adab-Anthologie einreihen lassen. Dies zeigt die Grenzen und Gefahren einer solch star- ren schematischen Einordnung, wie sie hier dennoch versucht werden muss. 116 Kapitel 1

Behandlung einer Krankheit. Darüber hinaus sind diese Bücher aber sicherlich auch Zeugnis eines universellen Bildungsanspruches. Auch die Enzyklopädie Iršād al-qāṣid des ägyptischen Arztes Ibn al-Akfānī (Vollers 2), kann inhaltlich diesem naturwissenschaftlichen Interesse zugeordnet werden. Dass aber das islamische Recht mit nur zwei Bänden so eine untergeord- nete Rolle in ʿUmar ar-Rifāʿīs Ankäufen zu spielen scheint, erstaunt auf den ersten Blick. Schließlich war er nach einer späteren Information von Wetzstein ein ehemaliger Richter, und die Bibliothek war auch sonst nicht überfrach- tet mit Rechtsliteratur. Vollers 375, noch im Jahr 1264 / 1847 von einem Muḥyī ad-Dīn al-Ḥabašī gekauft, enthielt das šāfiʿītische Rechtskompendium Taisīr al-fatāwī min taḥrīr al-Ḥāwī von Ibn al-Bārizī (gest. 738 / 1338) in einem qua- litativ sehr hochwertigen Exemplar aus dem 8. / 14. Jahrhundert. Außerdem definitiv erst nach 1252 / 1836–37 angekauft wurde Ibn al-Maǧdīs (gest. 850 / 1447) Kommentar eines Lehrgedichtes im Erbrecht, Šarḥ al-Manẓūma al-Ǧaʿ- barīya. Vielleicht war es gerade ʿUmars professionelle Vorbildung welche es ihm erlaubte, auf Zukäufe in diesem Gebiet zu verzichten, oder sich eventu- ell sogar von in der Bibliothek vorhandenen Werken zu trennen. Studieren musste er im hohen Alter nicht mehr. Neben dem Vorhandensein nur einer einzigen reinen Gedichtsammlung in dieser Gruppe – al-ʿUṣfūrīs (gest. 1103 / 1691–92) recht modernen Damaszener Dīwān Wasāʾil as-sāʾil (Vollers 581) – stehen drei Kommentarwerke zu berühm- ten Gedichten von al-Maʿarrī (Vollers 522), Ibn al-Fāriḍ (Vollers 539) und at-Tauzarī (Vollers 872a). Das bereits erwähnte und als Poesie katalogisierte Lauʿat aš-šākī ist dagegen als prosometrisches adab-Werk eine Mischform. Gedichte spielten generell auch innerhalb des so gut vertretenen adab (in der modernen Katalogisierung oft als Prosa aufgenommen) eine gewichtige Rolle. Vielleicht hat der sehr große bereits vorhandene Bestand an umfangreichen Gedichtsammlungen besonders auch von Damaszener Autoren dem Käufer hier zumindest eine relative Zurückhaltung auferlegt, denn die nach unse- ren Erkenntnissen beliebtesten Titel des Marktes waren zu großen Teilen ja in der Rifāʿīya verfügbar. Schließlich kann die Poesie, je nach Zählweise, mit insgesamt 43 Bänden oder fast 10 Prozent des Gesamtbestandes als die größte Einzelkategorie innerhalb der Rifāʿīya betrachtet werden. Der Großteil dieses gerade beschriebenen spätesten Segmentes der Bibliotheksgeschichte geht auf Aḥmad ar-Rabbāṭ (vgl. Kapitel 2.8 „Kommerzielle Leihbibliotheken“) zurück. Mindestens 49 der 469 ursprüng- lichen Signatur-Nummern waren einmal in seinem Besitz, das entspricht 25 von 440 Vollers-Signaturen. Sein Anteil an der Gesamtbibliothek beläuft sich also je nach Zählung auf 10,5 oder 5,6 Prozent. Der Grund dürfte sein, dass die Bibliothek dieses Damaszener Volks-Dichters eben in jenen Jahren und wohl Die Bibliothek 117 erst sehr kurz vor dem Ende der Rifāʿīya zum Verkauf stand. Rabbāṭ war näm- lich noch im Jahr 1254 / 1838 am Leben.185 Auf dem Damaszener Büchermarkt, der wahrscheinlich nicht allzu groß war, muss diese Sammlung sehr präsent gewesen sein. Aber nicht nur diese enorme Präsenz hebt die Bücher Aḥmad ar-Rabbāṭs aus der Masse heraus. Auch inhaltlich und materiell sind sie beson- ders. Die hier skizzierte inhaltliche Zusammensetzung der Zukäufe aus den letzten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz spiegelt sich nicht zuletzt in dieser bemerkenswerten Privatbibliothek wider, die – soweit es für uns ersichtlich ist – mehr zum Bestand der Rifāʿīya beigetragen hat als jede andere in sie inkorporierte Sammlung. Wie noch zu zeigen sein wird, befanden sich unter ar-Rabbāṭs Büchern – ­entgegen früherer Darstellungen, die in ihr nur ein Vehikel „populärer“ Literatur sehen konnten – auch sehr wertvolle Handschriften von ausgesuchter materi- eller und literarischer Qualität. Es scheinen aber gerade nicht diese besonders wertvollen Teile der Bibliothek gewesen zu sein, welche ʿUmar ar-Rifāʿī kaufte oder die ihm zugänglich waren, sondern die schöngeistige, populäre und erbauliche Literatur in meistenteils eher schlichten Kopien. Das oben vorge- stellte Segment der Prophetenbiographien mit ihrem starken Fokus auf episch-­ populären Erzählwerken und einem weniger gelehrten Charakter verdeutlicht dies sehr gut. Auch literarisch hochklassige Texte wie die homoerotische adab-Anthologie Lauʿat aš-šākī (Vollers 612), 1252 / 1836 von Aḥmad ar-Rabbāṭ noch in hohem Alter selbst kopiert, sind in ihrer physischen Erscheinung sehr simpel und im Schriftbild oft unansehnlich. Fällt der Blick des Betrachters auf Romane wie die Sīrat al-Badr Nār (Vollers 627) oder Saif Ḏī Yazan (Vollers 630), so darf mit Recht gefragt werden, warum ein ehemaliger Richter, mithin ein etablierter und studierter Rechtsgelehrter, gerade diese Werk in die altehrwür- dige Bibliothek seiner Vorfahren integriert haben sollte. Wie lässt sich also – mit aller gebotenen Vorsicht – ʿUmar ar-Rifāʿīs Einfluss auf die Bibliothek seiner Vorväter bewerten? Werden die formal unter dem Begriff der religiösen Wissenschaften zu summierenden Untergruppen der modernen Katalogisierung (Glaubenslehre, Erbauung, Mystik, Gebete, Ḥadīṯwissenschaft) zusammengefasst, so entfallen auf diese 24 Nummern der Handschriften. Auf das literarisch-geschichtliche Feld (Biographie, Prosa, Geschichte, Poesie, Anthologie, Grammatik, Stilistik, Lexikographie, Metrik, Rhetorik) entfallen dagegen zusammengenommen 38 Nummern. Auch der mit 14 Nummern sehr hohe Anteil der naturwissenschaftlichen Literatur (Astronomie / Astrologie, Medizin, Zoologie, Geographie) scheint

185 Freundliche Mitteilung von Dr. Claudia Ott (Erlangen), welche ein chronologisches Gedicht in einer Berliner Safīna ar-Rabbāṭs dementsprechend identifizieren konnte. 118 Kapitel 1

­vergleichsweise bedeutend. Die so skizzierten inhaltlichen Schwerpunkte von ʿUmar ar-Rifāʿīs angenommener Wirkung für die Bestandsvermehrung decken sich mit der allgemeinen Ausrichtung der Bibliothek. Fleischer betont den besonderen „innern Charakter“ der Rifāʿīya, welche die sonst so stark ver- tretenen Koran- und Religionswissenschaften „in angemessenen Schranken gehalten“186 habe. Das in der obigen Aufschlüsselung vergleichsweise große Schwergewicht auf schöner Literatur und Naturwissenschaften gegenüber dem dezent zurückgenommenen theologischen Bereich scheint dies auf den ersten Blick auch in Bezug auf ʿUmar ar-Rifāʿīs Bücherkäufe zu bestäti- gen. Doch eine differenziertere Betrachtung der einzelnen Themenbereiche ist notwendig. Eine andere Gegenüberstellung könnte weniger die grobe formale Einteilung als die Inhalte und ihre literarische Präsentation in den Mittelpunkt rücken und käme so zu ganz anderen Ergebnissen. Die über viele literarisch-historische Felder verteilten Prophetenbiographien wurden bereits erwähnt, ein Wallfahrtshandbuch unter den geographischen Werken hat mit naturwissenschaftlichem Wissen kaum etwas zu tun. Religion setzt also im Gegenteil überaus deutliche Akzente. Doch Fleischer könnte durch- aus Recht behalten, wenn man beim postulierten geringen Anteil der Koran- und Religionswissenschaften den Aspekt der Wissenschaft betont. Nicht dass ʿUmar ar-Rifāʿī Prophetenbiographien für seine Bibliothek kaufte wäre dem- nach entscheidend, sondern dass er innerhalb dieses Genres Werke auswählte, die nicht dem traditionellen Lehrbetrieb der Gelehrten, sondern dem Bereich populärer Frömmigkeit und Unterhaltung entstammten. Die dokumentier- ten Leser dieser Bände, fast ausschließlich aus der Leihbibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs stammend, verkörpern diese deutliche Akzentverschiebung: Militärs und über ihre als Berufsbezeichnung zu lesenden Namen wahr- scheinlich als Händler und Handwerker zu identifizierende Männer, aber gerade keine Richter und Gelehrten finden wir hier in großer Zahl.187 Weniger Wissenschaft und Studium als schöne Literatur, Unterhaltung und Erbauung scheinen seine Leitfäden gewesen zu sein. Dabei stand Religion ganz selbst- verständlich im Mittelpunkt, angepasst aber an die Interessen eines frommen Mannes und nicht die eines studierenden Gelehrten. Dieser Aspekt der Rifāʿīya scheint sich demnach nicht zuletzt den speziellen Vorlieben und der gezielten Sammeltätigkeit ʿUmar ar-Rifāʿīs zu verdanken.

186 Fleischer: Die Refaïya, S. 575. 187 Vgl. einen Überblick in Liebrenz: The library, S. 34. Die Bibliothek 119

1.6 Fazit: Was für eine Bibliothek war die Rifāʿīya?

In Auswertung der bisher herausgearbeiteten Aspekte, lässt sich die Rifāʿīya unter den folgenden Stichpunkten charakterisieren: Die Rifāʿīya war eine Universalbibliothek. Das bedeutet nicht, dass ihre Besitzer und Stifter die Möglichkeiten hatten, auch nur das auf dem Damaszener Buchmarkt zur Verfügung stehende Wissen einigermaßen lücken- los zusammenzustellen. Doch es wurde anscheinend auch kein Wissenszweig aus konfessionellen oder inhaltlichen Gründen bewusst ausgeschlossen. Die Rifāʿīya war zu einem gewissen Teil eine fragmentarische Bibliothek. 235 der katalogisierten Texte, also weit mehr als ein Viertel des Bestandes, werden als Fragmente geführt. Dies war offensichtlich ein prägender Aspekt in einer Handschriftenkultur. Teilweise sind dies umfangreiche Bände, die einmal Teil mehrbändiger Werke waren, teilweise aber auch nur wenige Lagen oder Blätter, die in eine Sammelhandschrift integriert wurden. Auch einige der Dubletten im Bestand erklären sich auf diese Weise. Muḥammad aṣ-Ṣanaubarīs / aṣ-Ṣunburīs188 (gest. 815 / 1412–13) Werk zur Prophetenmedizin ar-Raḥma fī ʿilm aṭ-ṭibb wa-l-ḥikma etwa ist ganze drei Mal vertreten. Neben einem sehr alten Fragment (Vollers 767) besaß die Rifāʿīya auch zwei – erst sehr spät erworbene – komplette Kopien (Vollers 758, 759). Eine von beiden könnte also als der Versuch gesehen werden, einen unvollständigen Text zu ergän- zen. Die zweite, Vollers 758, wird jedoch auf dem Titel fälschlich dem Abū Ḥāmid al-Ġazālī zugewiesen und mag deshalb den Käufer getäuscht haben. Auch hierin kann also ein Grund für die recht zahlreichen Dubletten liegen. Das gleiche lässt sich denn auch für Ibn Sūdūns (gest. 868 / 1463–64) zwei Mal vorhandene Qurrat an-nāẓir wa-nuzhat al-ḫāṭir (Vollers 567, 568) annehmen. Vollers 568 trägt in diesem Fall den falschen Titel Nuzhat an-nufūs wa-muḍḥik al-‘abūs, dessen Überarbeitung die Qurrat an-nāẓir darstellt.189 Die Rifāʿīya war eine arabische Bibliothek. Sehr verloren wirken wenige persische und osmanisch-türkische Werke, meist Fragmente innerhalb von hauptsächlich arabischen Sammelhandschriften190 oder arabische

188 Über den Namen herrscht keine Einigkeit und sehr viel mehr als die hier angegebenen zwei Versionen sind im Umlauf; vgl. Savage-Smith: Catalogue, S. 734; Daiber: Neue Handschriften, S. 662. 189 Andere Beispiele von Dubletten sind etwa 3 Mal die ʿAqīdat al-Ġazālī; 3 Mal Zakarīyāʾ al-Anṣārīs al-Aḍwāʾ al-bahiǧa fī ibrāz daqāʾiq al-Munfariǧa; oder 2 Mal Ibn Zuqqāʿas Dīwān. 190 Vollers 254b, 775b, 879c, 883l, 1047b. 120 Kapitel 1

Werke mit Erläuterungen in der jeweiligen Sprache.191 Das eine größere ­osmanisch-türkische Werk, Naẓmī-zādas (gest. zw. 1133 / 1720–21 und 1136 / 1723–24) Sammlung von Biographien frommer Männer aus dem Irak (Vollers 1040) ist hier als Nachtrag nicht einzurechnen. Das einzige größere persi- sche Werk war eine anonyme Glaubenslehre (Vollers 903). Jedoch befand sich ein persischer Gulistān von Saʿdī unter den von Wetzstein aussortierten Handschriften. Während diese Werke zeigen, dass ʿUmar ar-Rifāʿī und sicher- lich auch dessen Vorgänger sich zu einem gewissen Grad dem Ideal der „drei Sprachen“ (al-alsuna aṯ-ṯalāṯa) als Bildungskanon der Elite verpflichtet fühl- ten, scheinen sie doch auch zu verdeutlichen, wie oberflächlich das Bemühen darum oft ausfallen musste. Die allermeisten dieser Werke und Fragmente waren mystische und Gebetstexte. Da sich dieser sprachliche Fokus auch in den sonstigen zahlreichen­ Bücherkäufen Wetzsteins aus Damaskus sowie in den bekannten Biblio­ thekskatalogen und Nachlassregistern wiederfindet, wäre zu fragen, ob hierin eine regionale Charakteristik von Damaskus, ein größerer Konservatismus im Vergleich zu anderen, weniger periphären arabischen Regionen zu sehen ist? Einige Schlaglichter beleuchten die Notwendigkeit, diese Annahme näher zu untersuchen. Während Wetzstein, sein zeitweiliger Gast Aloys Sprenger und der etwas später in der Stadt weilende Graf Carlo Landberg (1848–1924) in Damaskus kaum ein persisches oder türkisches Werk kauften, erwarb Ulrich- Jasper Seetzen in Aleppo eine beachtliche Anzahl von Büchern in diesen Sprachen. Und auch als nicht unbedeutendes Zentrum hebräischer, syrischer und armenischer Buchproduktion ist die Stadt bekannt.192 Aleppo erscheint durch diese größere sprachliche Vielfalt in ihren Handschriften als kosmopoli- tischer Ort verschiedener kultureller Einflüsse. In Damaskus hingegen beklagt sich der Chronist Amīn al-Muḥibbī im 17. Jahrhundert, dass kein Kopist in seiner Zeit Persisch und Türkisch beherrschte,193 der Buchmarkt Werke die- ser Literaturen also auch nicht bedienen konnte. Dennoch waren sie natür- lich vorhanden und machten in der zeitgleich mit der Rifāʿīya in Damaskus ­bestehenden Sammlung des Sufi-Scheichs Ḫālid an-Naqšbandī einen sehr

191 Vollers 205 enthält hauptsächlich Auszüge aus dem Koran, die teilweise mit persi- schen Interlinearkommentaren versehen sind. Jeweils türkische Einleitungen hatten die arabischen Texte in Vollers 846a, eine Liste der an der Schlacht von Badr beteiligten Prophetengenossen, die Auszüge aus dem Koran in Vollers 846c, das Gebet ʿAlī b. Abī Ṭālibs in Vollers 846d. 192 Vgl. Beispiele bei Rogers: Safavids versus Ottomans, S. 127; Río Sánchez: The study of Syriac in an arabized community. 193 Vgl. Muḥibbī: Ḫulāṣat al-aṯar I, S. 197. Die Bibliothek 121 hohen Anteil aus. Mit 68 Titeln bestand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immerhin fast ein Zehntel seiner Bibliothek aus persischen Werken.194 Gerade im Fall des Zugereisten Ḫālid lässt sich dieser relativ große Anteil jedoch leicht mit seiner eigenen zentralasiatischen Herkunft erklären und kann, nach allem, was wir wissen, als Sonderfall gelten. Auch in dem Inschriftenprogramm des um 1600 datierten Berliner Aleppo- Zimmers finden sich, anders als in Damaskus, persische Inschriften,195 und dessen zahlreichen Abbildungen von Menschen und Fabelwesen weisen direkten oder indirekten stilistischen Einfluss osmanischen und persisch-­ safavidischen Stils auf.196 Zwar verhindern große Lücken in der Forschung wie den zur Verfügung stehenden Quellen weiterhin fundierte Aussagen, doch in den angeführten Besonderheiten der beiden großen syrischen Metropolen ist zumindest ein Hinweis darauf zu sehen, dass die literarisch-künstlerische Welt in den verschiedenen urbanen Regionen von Bilād aš-Šām durchaus sehr unterschiedlichen Einflüssen und Traditionen ausgesetzt gewesen sein kann. Die Rifāʿīya war geprägt durch eine Zerstreutheit ihrer Texte: Mit 443 finden sich weit mehr als die Hälfte der Werke in Sammelhandschriften, die teilweise Dutzende von Werken enthalten. Demgegenüber stehen 352 Einzelhandschriften. Dies wirft nicht zuletzt organisatorische Fragen auf. Wetzstein bemerkt zwar, dass die Rifāʿīya durch einen Katalog erschlos- sen war, doch nennt er ihn „unvollständig und schlecht geschrieben“197 und wir erfahren nicht, wie er genau aussah. Wir wissen von einigen der großen Stiftungsbibliotheken, dass etwa Sammelhandschriften ohne weitere Details nur als solche in einer speziellen Kategorie maǧmūʿ geführt wurden. Die rela- tiv geringe Größe der Rifāʿiya könnte ein Überblicken der Inhalte gerade noch erlaubt haben. Die Rifāʿīya war auch eine antiquarische Bibliothek: Ihr Fokus bzw. der lite- rarische Horizont ihrer Besitzer ist deutlich auf die Vergangenheit gerichtet. Dabei hat sich die osmanische Epoche insgesamt stark vertreten gezeigt, doch kaum ein Werk, das in den letzten 100 Jahren vor ihrem Verkauf entstanden ist, befand sich in den Bücherschränken der Rifāʿīya. So sind auch Beiträge zur zeitgenössischen Geschichte nicht vorhanden. Auch hier muss wieder auf die Gegebenheiten eines Buchmarktes ohne Druck und ohne Verlagswesen als ein möglicher Grund für diesen Fokus hingewiesen werden. Das akademische

194 Vgl. de Jong / Witkam: The library, S. 71. 195 Vgl. Ott: Wer sich fürchtet, verliert, S. 85. 196 Vgl. etwa Rogers: Safavids versus Ottomans. 197 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853, fol. 1v. 122 Kapitel 1

Leben wiederum als eine Hauptquelle der Buchproduktion und –nachfrage diente einem Lehrbetrieb, dem Tradierung wichtiger war als Forschung. Die Rifāʿīya war schließlich eine lokale Bibliothek. Dies beginnt bereits auf der Ebene der Autoren. Establet und Pascual hatten hier im Damaskus des 18. Jahrhunderts noch einen großen Kosmopolitismus als entscheidendes Merkmal identifiziert,198 jedoch die zeitliche Verteilung der Autoren nicht berücksichtigt. Und auch die Kopien selbst sind zu einem großen Teil ent- weder in den syrischen Provinzen entstanden oder befanden sich schon sehr lange in Damaskus. Anzeichen für einen umfangreichen Import von Büchern und Texten aus anderen Regionen gibt es hingegen nicht.

198 Establet / Pascual: Les livres des gens, S. 154 meinen, die Damaszener spiegelten in ihren Büchern „une pensée-monde“. kapitel 2 Die Umwelt der Rifāʿīya Der Kontext arabischer Bibliotheken und Buchproduktion in der osmanischen Periode

2.1 Umwege zur Geschichte der Rifāʿīya

Über die Funktion und das Funktionieren der Rifāʿīya hat uns Wetzstein ­bedauernswert wenig überliefert. Von dem Ort und der Art ihrer Aufstellung, ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und ihrer Benutzung durch diese, den Lesern, etwaigem Personal oder Arbeitsabläufen hören wir nur sehr fragmentarische Informationsbrocken aus denen sich kaum ein klares Bild zusammensetzen lässt. Zusätzlich hatte Fleischers Bearbeitung der spärlichen brieflichen Informationen für seinen Artikel „Die Refaїya“ noch einmal wich- tige Details gefiltert. Eine beiläufige briefliche Bemerkung Wetzsteins deutet auf eine gewisse öffentliche Rolle der Bibliothek hin. Nach Abschluss der Katalogisierung resümiert er: „So läge Ihnen dann (. . .) der vollständige Katalog einer Büchersammlung vor, die hier einen hohen Ruf hatte.“1 Und dieser Ruf scheint zumindest einige der bekannten gesellschaftlichen Grenzziehungen über- wunden zu haben. Der englische Reisende Preston hatte von der Bibliothek durch einen lokalen Priester gehört und sie in dessen Begleitung gesehen. Ob Menschen wie dieser Priester Anṭūn Būlād, dessen klerikales Amt dann für den Verkauf der Bibliothek eine so große Hürde darstellte, die Bibliothek regelmäßig benutzen konnten, werden wir aber wohl niemals mit Sicherheit erfahren können. Im Folgenden muss daher ein langer Umweg genommen werden, auf wel- chem die zeitgenössische Bibliothekstopographie im Umfeld der Rifāʿīya, und damit insbesondere diejenige von Damaskus, erkundet werden soll, um einen Einblick in deren generellere Gesetzmäßigkeiten und Charakteristika zu erhalten und diese wiederum mit unseren wenigen Informationen zur Rifāʿīya selbst in Beziehung zu setzen.

1 Abschrift im Sächsischen HStArch Dresden, „Universität Leipzig: Verwaltung der Bibliothek“: Lfd.Nr. (1851–53) 10145/42 und (1854–58) 10145/43, fol. 165r: Wetzstein an Fleischer, Damaskus 17. Oktober 1853.

© koninklijke brill nv, leiden, ���6 | doi ��.��63/9789004314894_004 124 kapitel 2

2.2 Das gestiftete Buch

Einer der wenigen Fixpunkte für unser Verständnis von der Funktion und Geschichte der Rifāʿīya stellt die von Wetzstein mitgeteilte Information dar, dass die Bibliothek im Jahr 1188 / 1774 als Familienstiftung (waqf ahlī)2 einge- richtet wurde und dies bis kurz vor ihrem Verkauf blieb. Damit war ihre Existenz eingebettet in einen Rahmen von Traditionen und juristischer Normen, denen auch wir uns folglich nähern können und sollten, um mehr über den Kontext, die Funktionen und Motivationen dieser Bibliotheksgründung zu erfahren. Die islamische juristische Literatur ist einer der reichsten Zweige des ara- bischen Schrifttums. In schier grenzenloser Detailfreude wurden alle erdenk- lichen theoretischen Grundlagen und abstrakten Fälle in umfangreiche Kompendien gebracht und diese mit noch umfangreicheren Kommentaren, Superkommentaren und Glossen versehen. Es ist schwierig, sich in diesem Universum zurechtzufinden, vor allem wenn man sich nicht als versierter Rechtshistoriker an dieses Thema heranwagt. Daher ist es umso bedauerli- cher, dass sich meines Wissens kein zeitgenössischer Rexhtsgelehrter mono- graphisch mit der Problematik und der Organisation von waqf-Bibliotheken befasst zu haben scheint. Dabei bot die Stiftung in den vormodernen islamisch geprägten Gesellschaften – und darunter natürlich auch der osmanischen vor den großen Reformen des 19. Jahrhunderts – mit dem nur sehr rudimentär entwickelten „staatlichen“ Sektor quasi die einzige Möglichkeit, Bibliotheken dauerhaft und vor allem mit einer gewissen Öffentlichkeit zu etablieren.3 Ein moderner Autor nennt den waqf gar „asās binyat al-maktaba al-ʿarabīya“,4 was sicherlich zutrifft, sofern – anders als mit seiner Aussage beabsichtigt – dauer- haft operierende öffentliche Bibliotheken gemeint sind. Die Anwendung des waqf-Rechts auf Bücher war aus juristischer Sicht jedoch nicht unumstritten. Das Buch stellt in seinem Rahmen durchaus einen Sonderfall dar, welcher den Rechtsgelehrten immer wieder, und in Detailfragen bis in das 19. Jahrhundert hinein, Grund zum Kopfzerbrechen bereitet hat. Die Positionen waren dabei lange vor der osmanischen Zeit bezogen, die

2 Adam Sabra spricht sich gegen die herkömmliche Dichotomie von öffentlicher (waqf ḫairī) und Familienstiftung (waqf ahlī) aus: „many awqāf served both groups“; vgl. Sabra: Public policy or private charity, S. 101. Für Bibliotheken wie die Rifāʿīya scheint mir zwar nicht der Begriff Familienstiftung, wohl aber die Gegenüberstellung von ḫairī und ahlī weiterhin ange- messen, da die Stiftung an eine Institution auch die Möglichkeit einer Benutzung durch die Öffentlichkeit impliziert, während die Stiftung einer Privatbibliothek für die eigenen Nachkommen an der bisherigen Benutzung nichts ändern muss. 3 Éche: Les bibliothèques, S. 301. 4 Sāʿātī: al-Waqf, S. 130 u.ö. Die Umwelt der Rifāʿīya 125

Argumente ausgetauscht. Wie so vieles musste aber auch die Bücherstiftung in der Praxis – der ʿUmar ar-Rifāʿī als möglichwerweise ehemaliger Richter ebenfalls angehört haben könnte – immer wieder neu verhandelt und bestä- tigt werden. Die Rifāʿīya steht somit in der Folge und fast am Abschluss einer langen historischen Entwicklung. Wollte man im osmanischen Syrien seine Bücher als Stiftung etablieren, musste man kein versierter Jurist sein, um diesen Wunsch zu rechtfertigen und auch zu verwirklichen. Die Praxis war durch langen Gebrauch etabliert und außerhalb gelehrter juristischer Kasuistik auch nicht mehr grundsätzlich kontrovers. Und so finden sich in wenigen Überblicken zum waqf-Recht expli- zite Erwähnungen von Büchern, noch seltener gehen die Autoren detailliert auf spezielle Probleme ein. Glücklicherweise ist eine Ausnahme gerade einer der eminentesten Damaszener Juristen seiner Zeit und ein Zeitgenosse der Rifāʿīya, Muḥammad Amīn Ibn ʿĀbidīn (1198 / 1784 – 1252 / 1836),5 der daher im Folgenden verstärkt herangezogen werden wird. Doch wird die Frage nach den rechtlichen Grundlagen des Stiftungswesens dadurch keineswegs banal. Der waqf war eine Institution, welche das Leben besonders eines Stadtbewohners entscheidend prägte. Häuser, Land, Brunnen, Schulen, Läden und vieles mehr konnten ganz oder teilweise einem waqf gehö- ren. Vielleicht entrichtete man seine eigene Miete an einen waqf, vielleicht war man zu Naturalabgaben verpflichtet, vielleicht stand das eigene Haus auf waqf-Land, vielleicht erhielt man eine Besoldung oder eine Unterstützung von einem waqf – in einer Metropole wie Damaskus konnte man der alltäglichen Dynamik dieses keineswegs abstrakten Rechtsinstitutes nicht entkommen.6 Gleichzeitig konnte man aber jeden Tag sehen, wo die Grenzen der Ewigkeit lagen, welche eine Stiftung für ihr Wirken immer anstreben musste. So wenig man ein Genie sein musste, um einen waqf zu errichten, so wenig musste man anscheinend eines sein, um diesem Institut wieder zu entkommen oder den intendierten, ja sogar explizit ausgesprochenen Zweck des Stifters zu entfrem- den. Die Stifter der Rifāʿīya waren sich dieses Umstandes natürlich vollkommen bewusst: Mindestens zwölf Handschriften aus früheren Stiftungen finden sich unter ihren Büchern, davon sieben aus einer Moschee oder Madrasa.7 Immer

5 BaiṬĀr: Ḥilyat al-bašar III, S. 1230–1239; ḤāfiẒ: Faqīh al-ḥanafīya; Weismann: Taste of modernity, S. 67–75; Nagel: Autochthone Wurzeln. 6 Nach ḤiṢnī: Muntaḫabāt, S. 300, gehörten die meisten Gebäude der Stadt in irgendeiner Weise zu einem waqf. 7 Vollers 84 und 880,4 aus der Ḍiyāʾīya-Madrasa; Vollers 118 aus der Nūr-Aḥmadīya, Aḥmad Bāšā al-Ǧazzārs Madrasa in ʿAkkā; Vollers 220 aus al-Ǧāmiʿ al-ʿatīq in Kairo im Jahr 677; Vollers 389 aus der Ṣumaiṣāṭīya-Madrasa; Vollers 663 aus der Ǧāmiʿ aš-šarīf in Damaskus, womit sicher die Umayyadenmoschee gemeint ist; Vollers 685 aus der Umayyadenmoschee. 126 kapitel 2 wieder gingen Stiftungen ein – an korrupten oder unfähigen Verwaltern, an sich verändernden Konsumgewohnheiten, welche seine Aufgaben obsolet mach- ten, am Verfall der ökonomischen Grundlage durch Inflation, am Profitstreben der eigenen Nachkommen – und wer seiner Bibliothek die Möglichkeit einer langen Dauer geben wollte, musste die juristischen Spielregeln sehr genau beherrschen. Deshalb seien diese Spielregeln und ihre Entwicklung in der Literatur hier kurz umrissen.

2.2.1 Theoretische Grundlagen: Bücherstiftungen im islamischen Recht Nach einer vereinfachten Definition hatten Stiftungen im sunnitischen islami- schen Recht so wie es sich über die Jahrhunderte ausprägte, ein großes gemein- sames Ziel: den verstetigten, theoretisch auf Ewigkeit angelegten Nutzen aus einem ehemals im privaten Besitz befindlichen Gut für einen frommen und zumindest in letzter Konsequenz der Allgemeinheit zugedachten Zweck.8 Lässt man sich auf juristische Feinheiten ein, muss freilich auch diese Erklärung komplizierter ausfallen. So war für die malikitische Schule das Gebot der Ewigkeit (ta‌ʾbīd) keineswegs bedingungslose Voraussetzung eines waqf.9 Vor allem ergaben sich aber für alle sunnitischen Rechtsschulen in Bezug auf die Stiftung von vergänglichen oder beweglichen Gütern Probleme. Mobilien (manqūl) nämlich waren als leicht vergängliche Güter im Sinne der oben gegebenen Definitionen eigentlich von vorneherein als Stiftungsgut ausge- schlossen. In diese Kategorie fielen aber naturgemäß auch Bücher, die leicht transportiert – und damit der Stiftung entwendet – oder auch zerstört werden konnten. In Darstellungen der Geschichte von Bücherstiftungen ist auf diesen Umstand immer wieder hingewiesen worden.10

8 Überblicke zum waqf in Krcsmárik: Das Waḳfrecht; zum Forschungsstand Hoexter: Waqf studies; Pahlitzsch: Memoria und Stiftung. Besonders zum osmanischen Syrien Kaiser: Islamische Stiftungen, Meier: Art. „Waḳf. II.2. In Syria“, van Leeuwen: Waqfs and urban structures und El-Zawāhreh: Religious endowments. 9 Literaturhinweise bei Meier: Für immer und ewig?, S. 191. 10 Sāʿātī: al-Waqf, S. 31; Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ, S. 421ff. folgt ihm mit teilweise demselben Wortlaut. Beide verweisen nicht auf Originalquellen und Rechtstexte. Kurzer Überblick fast ohne Quellenangaben bei Binnebīn: Ẓāhirat waqf al-kutub, S. 36–38. Eine Darstellung der “Waqf law on books”, allerdings recht oberflächlich nur nach Marġīnānīs al-Hidāya sowie Texten des 20. Jahrhunderts, gibt die Dissertation von Liechti: Books, book endowments, and communities of knowledge, S. 48–56. Die juristische Diskussion um die Erlaubnis der Bücherstiftungen ist noch immer am besten dargestellt bei Èche: Les Bibliothèques, S. 68–74, sowie 368ff. Eine überzeugende und quellennahe Darstellung des juristischen Diskurses über Bücherstiftungen in ihrer historischen Entwicklung aus Die Umwelt der Rifāʿīya 127

Dabei wird den maßgeblichen Mālikiten, Šāfiʿiten und Ḥanbaliten in der Forschung eine positivere Einstellung zur Stiftung von Mobilien attestiert. Für sie sollte sich als akzeptierte Lehrmeinung herauskristallisieren, dass jedes Ding, welches einen verwertbaren Ertrag bzw. Nutzen (manfaʿa) brachte und dessen Verkauf gestattet war, auch gestiftet werden konnte.11 Doch auch hier finden sich die im Allgemeinen zitierten positiven Stimmen erst relativ spät. Vergleichsweise lange brauchten auch die Bücher, um als eigenständiges juristisches Objekt einen Platz in den Überblicksdarstellungen zum waqf zu erlangen. Die frühesten Handbücher ab dem 3. Jahrhundert AH schweigen über sie noch vollkommen.12 Die Praxis war hier der Theorie wohl einige Zeit voraus. Ein erster Papyrus mit dem Verzeichnis einer Bücherstiftung soll bereits aus der Mitte des 3. Jahrhunderts datieren.13 Und als Amāǧūr, der abba- sidische Gouverneur von Damaskus in den Jahren 256 / 870 bis 264 / 878, im Jahr 262 / 875–76 seinen durch die Forschung François Déroches mittlerweile berühmten Koran in Ṣūr (Tyrus) stiftete, konnte er für die Abfassung des län- geren waqf-Eintrages wohl nicht auf dezidierte Hinweise oder gar Vorlagen aus den genannten Handbüchern zurückgreifen.14 Nicht nur im Falle der Bücher konnten juristische Theoretiker trotz erheb- licher Kontroversen immer wieder Wege finden, flexibel auf neue Praktiken und gesellschaftliche oder ökonomische Bedürfnisse zu reagieren. Sogar die Stiftung von etwas so mobilem wie Bargeld wurde begründet und ermöglicht, nicht zuletzt von osmanischen Juristen,15 wenn diese Praxis auch in den syri- schen Provinzen nicht so weit verbreitet war wie in Anatolien.16 In diesem Umfeld konnte nicht zuletzt der waqf von Büchern mit guten Argumenten vertreten werden. Dem praktischen Bedürfnis kam auch die normative Literatur im Laufe der Zeit mehr und mehr nach. Als autoritative Quelle und

rechtshistorischer Perspektive ist bisher allerdings noch nicht unternommen worden und kann auch im Folgenden nicht angestrebt werden. 11 Éche: Les bibliothèques, S. 73; El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 65. 12 Cahen: Reflexions, S. 40, FN 2. 13 Ebd., S. 40, FN 2: „M. J. David-Weill a bien voulu me dire qu’il en conaissait un, du milieu du IIIe s., portant sur des livres, cas d’autant plus interessant qu’à cette époque les Traités dont nous parlerons n’envisagent pas encore le cas des livres, plus tard si courant.“ Das Dokument konnte ich bisher nicht ausfindig machen, kann also auch über die Korrektheit der Identifizierung David-Weills keine Aussage treffen. 14 Déroche: The Qurʾān of Amāǧūr. 15 Vgl. dazu Mandeville: Usurious piety; Çizakça: Cash waqfs of Bursa; El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 63–64, 174; van Leeuwen: Waqfs and urban structures, S. 110– 111; Bilici: Les waqfs monétaires; Knost: Die Stadtviertelstiftungen in Aleppo, S. 218. 16 Zu Geldstiftungen in Damaskus vgl. Meier: Für immer und ewig?, S. 199–200. 128 kapitel 2

Ausgangspunkt eines Großteils der Diskussionen wurde von den Autoren der juristischen Literatur wie auch der Stiftungsdokumente oft ein Propheten- ḥadīṯ herangezogen: „Wenn ein Mensch stirbt, endet sein Wirken, außer auf drei Arten: fortlaufende fromme Gaben (ṣadaqa ǧāriya), nützliches Wissen oder ein frommes Kind, das für ihn betet.“17 Der hier verwendete Begriff ṣadaqa wurde in der Folge unter anderem zum Oberbegriff für fromme Gaben, zu denen auch die Stiftung nach ḥabs bzw. waqf gezählt wurde, somit bot sich eine Interpretation im Sinne der Aufforderung zur Stiftung an. Und die Erwähnung von Wissen / ʿilm schuf die willkommene Verbindung zur Welt der Bücher als Mittel zu seiner Überlieferung. Dieser Ausspruch ist denn auch immer wieder von den Bücherstiftern in ihren Dokumenten herangezogen worden und wird im Folgenden noch öfter begegnen. Für viele Autoren und in allen der im Laufe der Zeit sich herauskristallisie- renden vier dominanten sunnitischen Rechtsschulen (Ḥanafiten, Ḥanbaliten, Mālikiten, Šāfiʿiten) scheint der Weg zur Bücherstiftung dann einem argumen- tativen Dreischritt gefolgt zu sein, der für die Rechtsfindung durchaus typisch war. Zuerst nahm man die Praxis einiger Prophetengenossen, deren Handeln über jeden Zweifel erhaben war, als Ausgangspunkt. Diese hatten nach den herangezogenen Quellen in der Frühzeit der muslimischen Expansion die militärischen Grundlagen für Krieger, welche sich nicht selber mit Waffen, Rüstungen oder Pferden versehen konnten, dadurch schaffen wollen, dass sie diese stifteten. Hier war die Stiftung der Mobilie erlaubt, weil sie dem höhe- ren, gar dem höchsten Zweck diente, nämlich der Ausbreitung des Glaubens im ǧihād. In Analogie (qiyās) dazu erklärten einige Autoren dann den Koran (muṣḥaf) ebenso für stiftungsberechtigt, da er der Ausbreitung des Glaubens mindestens in gleichem Maße diente. In einem nächsten Schritt mochte man- cher Rechtsgelehrte dann die Grenze noch weiter ziehen und neben dem Koran alle religiösen Bücher zu potentiellem Stiftungsgut erklären. Schließlich galt anderen dann jedes Buch, da es Wissen verbreite, auch als der Religion dienlich und somit stiftbar. Die durch die osmanische Dynastie und die ihr verpflichtete Gelehrtenhier- archie – auch in der Provinz Bilād aš-Šām – offiziös protegierte und durch- gesetzte Rechtsschule der Ḥanafiten war hingegen für ihre besondere Skepsis gegenüber der Stiftung von Mobilien bekannt. Da sie in der Hierarchie der osmanischen Justizpraxis den anderen Rechtsschulen vorangestellt war, soll die Entwicklung der schulinternen Argumentationslinien zur Bücherstiftung

17 Iḏā māta l-insān inqaṭaʿa ʿanhū ʿamaluhū illā min ṯalāṯa: ṣadaqa ǧāriya au ʿilm yuntafaʿu bihī au walad ṣāliḥ yadʿū la-hū; vgl. Muslim: Ṣaḥīḥ, Kitāb al-waṣīya, Kap. 3/14, No. 1631 (nach Meier: Für immer und ewig?, S. 191). Die Umwelt der Rifāʿīya 129 hier kurz verfolgt werden. Zuerst soll jedoch auf einige besondere Einstellun- gen Abū Ḥanīfas und seiner sich entwickelnden Schule hingewisesen werden, deren osmanische Praxis sich wohl weiter von den dokumentierten Vorstellun- gen ihres Eponyms entfernte als die der anderen Schulen. Nach seiner Meinung war eine Stiftung nämlich wiederrufbar, nur vollkommen rechtsgültig, wenn sie im Moment des Todes ausgesprochen wurde, nur für die zum Zeitpunkt der Stiftung lebenden Nachkommen einzusetzen und auf höchstens ein Drittel des Vermögens des Stifters zu beschränken.18 Zu all dem kommt weiterhin eine dezidierte Ablehnung der Stiftung von Mobilien. Die Tatsache, dass all diese Bestimmungen oder Meinungen in der späteren Praxis durch weniger restrik- tive Regelungen ersetzt werden konnten, zeigt die bedeutende Rolle, welche die Schülergeneration für die Herausbildung in diesem Falle der ḥanafitischen Schule spielte ebenso wie die Flexibilität, mit welcher nachfolgende Genera- tionen von Juristen auf die Bedürfnisse der Stifter reagieren konnten.19 Obwohl die auf Abū Ḥanīfa zurückgeführte Skepsis dieser Schule gegenüber mobilen Stiftungen noch im 19. Jahrhundert bei der Stiftung des Šāfiʿiten Ḫālid an-Naqšbandī die Sorge um den Erhalt seiner – wohlgemerkt šāfiʿitischen! – Bücherstiftung bestimmt haben soll,20 lässt sich diese Angst des Stifters anhand der juristischen Literatur nur theoretisch begründen. So waren sich die Schulautoritäten (al-mašāʾiḫ) in der Angelegenheit der manqūlāt nach den Angaben von Qāḍī Ḫān (gest. 592 / 1195–96) in seiner in vielen Kopien auch in Syrien verbreiteten Fatwa-Sammlung zwar anfangs noch uneinig: Abū Ḥanīfas Schüler Abū Yūsuf (gest. 182 / 798) etwa wollte dem rigide mobile Stiftungen verbietenden Diktum seines Lehrers demnach nicht folgen, sprach sich jedoch strikt gegen die Bücherstiftung aus; Muḥammad (aš-Šaibānī, gest. 189 / 805), neben Abū Yūsuf die zweite maßgebliche Autorität der Schule, wollte „dem Herkommen nach gestiftete Mobilien“ wie namentlich Korane hingegen erlaubt wissen. Und bereits im 4. Jahrhundert, so erfahren wir von Qāḍī Ḫān, erklärte Abū l-Laiṯ as-Samarqandī (gest. um 383 / 993) das Stiften von Büchern generell für erlaubt, und nach dessen Autorität sollte sich seiner Meinung nach eine Fatwa in dieser Frage richten.21 Dass es gegenläufige und keineswegs dele- gitimierte Stimmen, namentlich den so wichtigen Abū Yūsuf, gab, wird hier

18 Vgl. Hennigan: The birth of a legal institution, S. XIX. 19 Für eine Charakterisierung des ḥanafitischen maḏhab als einer „pedagogy focused on the conflict of opinions“, welche ihrem Eponym bewusst andere Autoritäten gegenüber- stellte, vgl. Wheeler: Identity in the margins. 20 Vgl. de Jong / Witkam: The library, S. 69. 21 QāḌī Ḫān: Fatāwā III, S. 311; vgl. dazu auch Krcsmárik: Das Waḳfrecht, S. 531. 130 kapitel 2 nicht mehr als kurz erwähnt, nur die positive Meinung aber einfach als korrekt (ṣaḥīḥ) bezeichnet. Ähnlich verfährt auch eine der ausführlicheren Darstellungen der Bücherstiftung aus der ḥanafitischen Schule, ʿAlī b. Abī Bakr al-Marġīnānī (530 / 1135 – 593 / 1197) in der Hidāya, dem in unzähligen Kopien überlieferten, demnach offenbar sehr erfolgreichen Kommentar zu seinem eigenen Werk al-Bidāya:22 Ebenfalls ausgehend von der überlieferten Praxis einiger Muslime der ersten Generation wie dem nun namentlich genannten Prophetengenossen Ṭalḥa, notwendige Gebrauchsgegenstände für den ǧihād wie Rüstungen und Waffen, aber auch Pferde oder Kamele zu stiften, leiteten einige Rechtsgelehrte die weitergehende Analogie (istiḥsān) ab, nach der alle Mobilien (manqūlāt), welche nach herkömmlicher Praxis (taʿāmul) gestiftet würden, als Stiftung erlaubt seien. Als eminente Gegenstimme zu dieser Ableitung wird auch von Marġīnānī wieder Abū Yūsuf angeführt,23 doch werde dessen Meinung von „den meisten Rechtsgelehrten der großen Städte“ (akṯar fuqahāʾ al-amṣār) nicht akzeptiert. Das hauptsächliche Sprachrohr dieser Mehrheit, Muḥammad (=aš-Šaibānī), führt in Marġīnānīs Darstellung weiterhin das Exempel Nuṣair b. Yaḥyās an, welcher seine Bücher – nach dieser Darstellung anscheinend ganz ohne inhaltliche Einschränkung – nach dem Beispiel des Korans / muṣḥaf gestiftet habe, denn diese Bücher seien der Religion „durch Lehre, Lernen und Lesung“ (taʿlīman wa-taʿalluman wa-qirāʾatan) zuträglich.24 Die Polarität die- ser beiden, Abū Yūsuf und Muḥammad aš-Šaibānī, prägt die Argumentation der späteren Literatur bis in die Gerichtsurteile des 19. Jahrhunderts.25 Dabei ist es bezeichnend, wie die ständige Erwähnung von Abū Yūsuf und seiner

22 Zur Prominenz des Werkes in Damaszener Nachlässen vgl. auch Establet / Pascual: Les livres, S. 162. 23 Die Rolle und Meinung Abū Yūsufs scheint zwiespältig rezipiert worden zu sein. Denn sowohl in den heftigen Diskussionen um die Erlaubtheit der Bargeldstiftung wie auch in späteren Gerichtsentscheidungen und Stiftungsurkunden wird auf ihn und Muḥammad aš-Šaibānī als den beiden eminenten Befürwortern der Stiftung von Mobilien, explizit auch von Büchern, hingewiesen. Die beiden ebneten so nach dieser Darstellung den Weg, über die kategorische Ablehnung durch Abū Ḥanīfa hinwegzugehen. Vgl. etwa Mandeville: Usurious piety, S. 295. Auch im 1270 / 1854 angestrengten Prozess der Erben Ḫālid an-Naqšbandīs um seine 1242 / 1827 gemachte Bücherstiftung zitiert der Richter beide Autoritäten, um die Stiftung für rechtmäßig zu erklären; vgl. de Jong / Witkam: The library, S. 69. 24 Marġīnānī: Hidāya, fol. 210v. 25 Dieselbe Argumentationsfolge unter Hinzuziehung derselben Autoritäten findet sich auch im vom Stifter der Aḥmadīya in Aleppo angestrengten Scheinprozess; vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 305–306. Die Umwelt der Rifāʿīya 131 ablehnenden Einstellung zur Bücherstiftung zwar nie ausgelassen wird, sein Beispiel aber mit Verweis auf Muḥammad aš-Šaibānī niemals ein argumen- tatives Problem für die Juristen darstellte. Sein Name fungiert offensichtlich mehr als eine Strohpuppe, die einen Scheinkampf austrägt, den sie im Fall der Bücherstiftungen offenbar gar nicht gewinnen kann oder soll. Ibrāhīm b. Mūsā aṭ-Ṭarābulusī (853 / 1449 – 922 / 1516) fasste kurz vor der osmanischen Eroberung des Mamlukenreiches in seinem al-Isʿāf fī aḥkām al-auqāf die bis dahin ent- standene Literatur zum waqf-Recht systematisch und handlich zusammen. Auch hier findet sich Abū Yūsufs Meinung nur kurz referiert, woraufhin Muḥammad aš-Šaibānī mit seiner expliziten Erlaubnis von „al-maṣāḥif wa-l- kutub“ schlicht als „korrekt / ṣaḥīḥ“ bezeichnet wird, ohne über die Geschichte und Problematik von deren beider gegensätzlichen Aussagen weitere Worte zu verlieren.26 Und schließlich geht auch ein Damaszener Zeitgenosse der Rifāʿīya, Muḥammad Amīn Ibn ʿĀbidīn (1198 / 1784 – 1252 / 1836), in seinem Werk kaum auf den Streit der beiden ein, erwähnt zwar die unterschiedli- chen Meinungen kurz und ohne selbst explizit Stellung zu beziehen, befasst sich dann aber in seiner umfangreichen Behandlung der Bücherstiftungen mit Detailfragen, die einen Zweifel an der grundsätzlichen Erlaubnis dieser Stiftungen, ja von manqūlāt im Allgemeinen, nicht aufkommen lassen.27 Man sieht an der Ableitung aus der Koranstiftung und dem expliziten Hinweis auf den religiösen Wert der Bücher bei Muḥammad aš-Šaibānī aber, dass die ḥanafitische Rechtsschule hier – zumindest nach den herangezogenen norma- tiven Quellen – einen größeren Wert auf den Inhalt der gestifteten Bücher und deren religiöse Ausrichtung legt. Es wird zu untersuchen sein, ob sich dieser inhaltliche Vorbehalt in der Praxis wiederfindet. Ein Mufti hatte theoretisch immer die Möglichkeit, die Bandbreite unter- schiedlicher Meinungen innerhalb seiner Schule auszuschöpfen und auch eine Minderheitenmeinung zu akzeptieren. Daher standen auch im Falle der Bücherstiftungen die genannten Stimmen der Gegner und Befürworter theoretisch gleichberechtigt nebeneinander. Dennoch gab es offensichtli- che narrative Strategien, bestimmte Meinungen zu favorisieren, etwa wenn man, wie in den oben angeführten Fällen, nur eine von mehreren legitimen

26 Ṭarābulusī: Isʿāf, S. 24. 27 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 362–363: „wa-waqf al-manqūl ka-l-bināʾ bi-dūn arḍ wa-l-kutub wa-l-muṣḥaf manaʿahū Abū Yūsuf wa-aǧāzahū Muḥammad.“ Ibn ʿĀbidīn zitiert als seine autoritativen Quellen die Fatwa-Sammlungen zweier Ḥanafiten, seines Damaszener Landsmanns Ibrāhīm b. ʿAlī aṭ-Ṭarsūsī (721 / 1321 – 758 / 1357) Anfaʿ al-wasāʾil ilā taḥrīr al-masāʾil sowie den Ägypter Aḥmad Ibn aš-Šalabī (gest. 1021 / 1612) mit seinen Fatāwā. 132 kapitel 2

Rechtsmeinungen als ṣaḥīḥ bezeichnet, eine als aṣaḥḥ hervorhebt oder erklärt, sie sei es, welcher die eigenen Lehrer oder die Gelehrten der eigenen Region folgten. Ein offiziell im Namen der Obrigkeit eingesetzter Richter oder Mufti hatte in osmanischer Zeit zudem nicht die gleichen Freiheiten wie ein ein- zig duch die Anerkennung seiner Zeitgenossen und Anhänger agierender Gelehrter, der aus seiner Autorität heraus Rechtsgutachten ausstellte. Wie Guy Burak gezeigt hat, kann man von dem aus dem Zentrum des Reiches ausge- henden Versuch einer Kanonisierung der Rechtsliteratur sprechen, welche die mögliche Bezugnahme eines Mufti auf bestimmte Standardwerke und Autoritäten zu beschränken suchte. Die gerichtliche Rechtsfindung war somit geprägt durch erfolgreiche Strategien der Durchsetzung bestimmter Praktiken auf der Ebene der vom Zentrum bestallten Gerichte, selbst wenn diese von einer provinziellen Mehrheit der Gelehrten abgelehnt wurden.28 Demzufolge hätte auch eine versierte Klage gegen eine von der Obrigkeit abgesegnete Praxis wie die Bücherstiftung wohl kaum eine Chance der gerichtlichen Durchsetzung gehabt. Dennoch war die theoretische Gefahr für die Stiftung von Mobilien lebendig genug, sie in der ḥanafitischen Rechtsschule mit einem Scheinprozess (ruǧūʿ) gegen spätere juristische Herausforderungen absichern zu wollen. Diese – auch in anderen Zusammenhängen üblichen29 – Scheinprozesse vollzogen im Falle der Bücherstiftung die eben geschilderte Debatte in der hanafitischen Rechtsliteratur prozesshaft nach. Sie wurden nach Etablierung einer Stiftung durch den Stifter angestoßen. Unter Verweis auf Abū Yūsuf und die Meinung, dass die erfolgte Stiftung aufgrund der Stellung von Mobilien im Stiftungsrecht nicht rechtsgültig sei, gab dieser vor, nun ängstlich geworden zu sein und seine Stiftung annulieren zu wollen. Hiergegen führte dann eine dritte Partei – in der Regel der zuvor eingesetzte Verwalter – die Autorität Muḥammad aš-Šaibānīs für die Stiftung von Büchern an, welche den Richter natürlich auch tatsächlich überzeugte.30 Wir wissen nicht, ob die Besitzer der Rifāʿīya Ḥanafiten waren

28 Vgl. Burak: The Abū Ḥanīfah of his time, S. 32, 94. 29 Schwarz / Winkelhane: Ḫoǧa Saʿdeddīn, S. 58–60; El-Zawāhreh: Religious endow- ments, S. 43–44; van Leeuwn: Waqfs and urban structures, S. 109. 30 Éche: Les bibliothèques, S. 304–306. Er zitiert vier Fälle aus den – heute in Damaskus verwahrten – Gerichtsakten von Aleppo, darunter die berühmte und im Folgenden näher untersuchte Aḥmadīya-Bibliothek. Auch der weiter unten zu behandelnde Sulaimān Bāšā al-ʿAẓm strengt solch einen Scheinprozess an (MSD siǧill 94 / waṯīqa 58 / S. 33–38), beruft sich bei seiner Anfechtung aber zuerst auf Abū Ḥanīfa, welcher die luzūm, also die Rechtsverbindlichkeit und Unumkehrbarkeit eines etablierten waqf verneint habe, woge- gen der Verwalter der Stiftung noch die beiden Autoritäten Abū Yūsuf und Muḥammad aš-Šaibānī gemeinsam gegen den Eponym der Rechtsschule ins Feld führt. Erst in einem Die Umwelt der Rifāʿīya 133 oder nicht. In jedem Fall hätten sie einen hanafitischen Richter anrufen kön- nen und hätten sich wohl auch vor einem solchen verantworten müssen, wenn jemand ihre Stiftung tatsächlich juristisch angezweifelt hätte. Da es keine Hinweise darauf gibt, dass sie sich zur Errichtung ihrer Stiftung überhaupt an ein Gericht gewandt hätten, haben die Stifter der Rifāʿīya auf dieses juristische Instrument vielleicht nie zurückgegriffen. Einzelne Spezialfälle von Stiftungen haben weiterhin die Aufmerksamkeit der Juristen erregt und dürften sich in noch nicht bekanntem Ausmaß in Fatāwā-Werken, also den Sammlungen von Rechtsgutachten, erhalten haben. Eine diesbezügliche Anfrage findet sich etwa auch auf einer Handschrift der Rifāʿīya wieder. Am Ende von Vollers 260 (fol. 160r) wird einem Rechtsgelehrten die Frage gestellt, was das islamische Recht in Bezug auf einen Mann sagt, der nicht lesen kann, sich aber dennoch ein Buch zu eigenem Gebrauch stiftet. Die Validität der Stiftung wird hier bejaht, da sich der Stifter durchaus auch eines Vorlesers bedienen könne.

2.2.2 Der Stiftungsakt: Praxis und Dokumentation Die hier vorgestellten Grundzüge der juristischen Theorie machen also deut- lich, dass die Stiftung von Büchern oder einer ganzen Bibliothek im Rahmen der etablierten juristischen Institutionen in osmanischer Zeit kein allzu gro- ßes Problem mehr gewesen sein sollte. Rechtsliteratur war jedoch nicht nur das Abbild einer gesellschaftlichen Realität, sie wollte die Rechtspraxis auch formen und beeinflussen. Was wissen wir also von dieser Praxis? Welche kon- kreten Schritte unternahmen die Stifter, um ihre Stiftung zu errichten und vor allem auch für die kommenden Generationen abzusichern? Und nicht zuletzt: welchen Gefahren sahen sich gestiftete Bücher ausgesetzt bzw. wie groß waren die Chancen, dass sie ihren vorgesehenen Zweck auch erfüllten? Der Stiftungsakt konnte auf verschiedene Arten dokumentiert werden. Recht häufig zu finden ist die Niederschrift im Buch selbst. Eine seltene und sehr aufschlussreiche literarische Beschreibung dieses Vorgangs findet sich in der Biographie des Naqšbandī-Scheichs Ḫālid (gest. 1242 / 1827).31 Dieser aus Zentralasien nach Damaskus zugewanderte und dort sehr erfolgreich wirkende Sufi hatte sich in der großen Pest von 1242 / 1827 angesteckt und wollte, den Tod vor Augen, sein Testament machen. Zeuge war dabei unter

zweiten Prozess wird dann die Frage der Mobilien/manqūlāt, explizit der Bücher aufge- worfen, für die nun Muḥammad aš-Šaibānī gegen Abū Yūsuf den Sieg davonträgt. Vgl. auch das gleiche Prozedere in der Anfechtung der Stiftung des Ilyās al-Kurdī al-Kūrānī, MSD siǧill 49 / waṯīqa 617 / S. 202–203. 31 Vgl. zu seiner Bibliothek und deren Geschichte de Jong / Witkam: The library. 134 kapitel 2 anderem der šāfiʿītische Muftī ʿAbd al-Ġanī al-Ġazzī, von dem die Anekdote auch überliefert wird. Beim Thema seiner Bücher angelangt gab Ḫālid zu Protokoll, dass er diese bereits zwei Jahre zuvor zum waqf erklärt habe, was in diesem Zusammenhang nichts anderes heißt, als dass sie dem normalen Erbgang ­entzogen waren. Daraufhin fragt er ʿUmar efendī al-Ġazzī, Bruder des Berichterstatters: „Wie machen wir das mit den Büchern? Ein Richter könnte einen Verkauf befehlen, weil minderjährige Erben vorhanden sind und die Stiftung von Mobilien (waqf al-manqūl) bei den Hanafiten nicht statthaft ist.“ Ġazzī antwortete ihm darauf: „Schreib mit deiner eigenen Hand eine waqfīya auf die Titelseite der Bücher und verfluche den, der den waqf verändert – und sei es auch nur um einen einzigen Traktat – oder den waqf aufhebt.“ Weiterhin sagt al-Ġazzī zu ihm: „Ich denke nicht, dass irgendjemand einen Fluch von Eurer Exzellenz (ḥaḍratikum) auf sich nehmen möchte.“ Ḫālid folgt diesem Rat, bittet um den Qāmūs,32 schreibt darauf die waqfīya und verflucht wie beschrieben.33 Dann bittet er noch um die Maǧmaʿ al-fawāʾid, schreibt eine kurze waqfīya, verflucht dieses Mal jedoch nicht. Der Muftī fragt nun, warum er denn hier anders gehandelt habe und Ḫālid antwortet: „Du willst also, dass ich einen Fluch auf jedes meiner Bücher schreibe? Ein Fluch reicht für den, der meinen waqf verändert oder aufhebt, ich bin doch kein laʿʿān!“34 Signifikant an dieser – freilich literarisch gefärbten – Schilderung ist, dass sich die Dokumentation des Stiftungsaktes offenbar außerhalb des Gerichts abspielt. Zwar wird die zufällige Anwesenheit eines Mufti, jedoch nicht die eines Richters oder Notars erwähnt, schon gar nicht als handelnde Person. Das Gespräch fällt auf den Gegenstand der Bücher und der Stiftungsakt wird spon- tan an Ort und Stelle in den Handschriften vollzogen. Dies wäre noch nicht weiter verwunderlich, denn die Arbeit eines Notars und der Zeugen konnte natürlich an jedem Ort geschehen, und diesem Akt musste nicht notwendiger- weise auch die Registrierung (ṯubūt) im Gerichtsregister (siǧill) folgen. Doch bereits zwei Jahre zuvor will Ḫālid seine Bibliothek zum waqf erklärt haben, was nichts anderes bedeuten würde, als dass es vor diesem Zeitpunkt über- haupt keine schriftliche Dokumentation gegeben haben dürfte, nicht einmal in den Büchern! Natürlich darf man in diesem Szenario die Stellung des Stifters und die ihn anscheinend ans Bett fesselnde Krankheit nicht vergessen, die einerseits ein Erscheinen vor Gericht verhinderten, andererseits eine ganze

32 Es ist wohl kein Zufall, dass mit dem Lexikon al-Qāmūs von Fīrūzābādī zuerst ein lexika- lisches Werk gewählt wurde, dass uns im Kapitel „Der Wert einer Bibliothek“ bereits als synonym für wertvolle und teure Bücher begegnet ist. 33 Der Text der waqfīya ist abgedruckt in Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ II, S. 447–448. 34 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 15–16. Die Umwelt der Rifāʿīya 135

Reihe juristisch bewanderter Gelehrter anwesend sein ließen. Die Stiftung hätte durchaus in der Folge in einem Gerichtsregister verzeichnet worden sein können, doch spielte das für die Rechtswirksamkeit in den Augen der Beteiligten keine erkennbare Rolle. Überhaupt fällt auf, dass die zur Abwehr möglicher gerichtlicher Anfechtungen gewählten Mittel selbst gar nicht juri- stischer Natur waren. Einzig die Vorstellung, vom mächtigen Sufi-Scheich ver- flucht zu werden, sollte jeden Übergriff auf die Bibliothek verhindern. Und tatsächlich hielt die Stiftung der juristischen Anfechtung im Gericht durch eine Nachfahrin Ḫālids stand, welche die Bibliothek unter Hinweis eben auf die fehlende Dokumentation in den Gerichtsakten als ihr Eigentum betrachtet sehen wollte.35 Zwar hatte die Klägerin in dieser Frage die Meinung des wichtigsten zeitgenössischen ḥanafitischen Juristen ihrer Stadt, näm- lich Ibn ʿĀbidīns auf ihrer Seite. Dieser hatte ein Dokument, welches nicht im siǧill registriert war, kategorisch von der Beweisführung ausgeschlossen.36 Der Richter entschied aber gar nicht auf dokumentarischer Grundlage, son- dern nutzte den allgemein höher geschätzten Zeugenbeweis. Besonders inter- essant ist dabei, dass er seine Entscheidung explizit auf der Grundlage der ḥanafitischen Lehrmeinung mit Verweis auf die beiden größten Autoritäten dieser Schule, Abū Yūsuf und Muḥammad aš-Šaibānī, traf, und zwar obwohl der Stifter seinen waqf wiederum explizit nach der šāfiʿītischen Rechtsschule gegründet hatte. Er folgt somit auch der oben bereits dargelegten Herleitung innerhalb dieser Rechtsschule, nach der die grundsätzliche Ablehnung von manqūlāt in bestimmten Fällen, nämlich dem allgemein akzeptierten Herkommen (taʿāmul wa-taʿāruf ) aufgehoben wird. Anders als man nach der Lektüre etwa von Marġīnānīs oben angeführter Hidāya vermuten könnte, fin- det sich hier kein Hinweis auf irgendeine inhaltliche Einschränkung der zu stiftenden Bücher.37 Weiterhin wird in dem zitierten Text zwar von Zeugen gesprochen, doch diese sind für die Aufnahme des Testamentes anwesend, bei der Stiftung der Bücher leisten sie anscheinend keine dokumentarische Hilfe durch ihre Unterschrift bzw. Siegelung des waqf-Eintrages in den Handschriften. Zeugen in diesen in den Handschriften dokumentierten Stiftungen wurden nach Éche generell für die Bibliotheksstiftungen aus der Ober- bzw. Herrscherschicht ­herangezogen.38 Tatsächlich findet man dieses komplette Formular am häu- figsten in den Stiftungen etwa der mamlukischen Sultane und anderer hoher

35 de Jong/Witkam: The library, S. 69. 36 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 413. 37 de Jong/Witkam: The library, S. 69. 38 Éche: Les bibliothèques, S. 310. 136 kapitel 2

Abb. 21 Umfangreicher Stiftungseintrag ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAbdallāh al-Ḥāʾik aš-Šāmīs aus dem Jahr 1145 / 1733. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 254, fol. 1r

Militärs. Ein interessanter Fall in der Rifāʿīya zeigt aber, dass auch jenseits der großen Stiftungsbibliotheken mit solch großer Sorgfalt gearbeitet wurde. Er soll daher hier zur Illustration dienen. In der Handschrift Vollers 254 stiftet ein ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAbdallāh al-Ḥāʾik aš-Šāmī im Jahr 1145 / 1733 Šaʿrānīs (gest 973 / 1565–66) Mystikerbiographien Lawāqiḥ al-anwār fī ṭabaqāt al-aḫyār an Muḥammad b. al-munlā Sālim b. Walī ad-Dīn at-Turkumānī. Dieser soll in der Aufsicht über das Buch uneingeschränkte Gewalt haben (lā yušārikhū fī-hā mušārik). Außerdem wird er als Empfänger der Stiftung von seinen Kindern und Kindeskindern sowie seinen Nachkommen im weitesten Sinne (naslihī wa-ʿaqabihī wa-ḏurrīyatihī) nachgefolgt. Ein zweites gestiftetes Buch, Naǧm ad-Dīn al-Ġaiṭīs (910 / 1504 – 981 / 1573) Werk über den Prophetengeburtstag, ist ebenfalls in dem Eintrag erwähnt. Es war wohl durchaus nicht ungewöhn- lich, einige wenige Bücher einer respektierten und zumeist sicher religiös legitimierten Person aus dem näheren Umfeld zu stiften.39 Der sprachliche Ausdruck war hier – zumindest in den mir bekannten Fällen – waqafa bzw. dessen Synonyme + ʿalā + Name der bedachten Person. Diese Bücher wurden

39 Zwei weitere Damaszener Fälle sind mir bekannt: Maḥmūd ad-Dāġistānī stiftet im 19. Jh. für das Seelenheil seines verstorbenen Vaters Saʿīd b. ʿAbd ar-Raḥmān ad-Dāġistānī eine Nuzhat aṭ-ṭālibīn wa-tuḥfat ar-rāġibīn (Michigan Isl. Ms. 639) an Qāsim b. ʿAlī Daqqāq ad-Dūda (gest. um 1260 / 1844; vgl. ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 224–225), auch hier mit einem Zeugen, Amīn al-Ḫaiyāt. Bereits im 17. Jh. erhält Taqī ad-Dīn al-Ḥiṣnī (1053 / 1643 – 1129 / 1717) eine Sammelhandschrift mit ḥadīṯ-Literatur (Berlin Wetzstein II 1344) für die zāwiya seines gleichnamigen Urahnen gestiftet, hier ohne Zeugen, aber ausgefertigt durch den Damaszener Mufti der Šāfiʿiten, Aḥmad aṣ-Ṣaffūrī. Die Umwelt der Rifāʿīya 137 dadurch aber zumindest formal nicht Teil einer Familienbibliothek sondern die bestifteten Personen fungierten als oder wie ihr Aufseher (nāẓir). Das Buch war vielleicht innerhalb einer von dieser Person verwalteten Institution zugänglich. Der genannte Muḥammad b. Sālim at-Turkumānī war denn auch Imam und Verwalter einer Viertels-Moschee im Damaszener Vorort Mīdān.40 Sein Sohn Muḥammad al-Amīn, der als Kopist in der Rifāʿīya nachweisbar ist (Vollers 503, kopiert 1150 / 1738), folgte ihm nach Ausweis des Kolophons auf diesem Posten nach und könnte das Buch nach dem Tod des Vaters weiter bewahrt haben. Nach der Erwähnung des Stifters, des gestifteten Werkes und der bestifteten Person folgt im Eintrag ʿAbd ar-Raḥmān al-Ḥāʾiks die spirituelle Motivation für den Stiftungsakt, nämlich der Wunsch nach Gottes Lohn und Vergebung am Tag der Auferstehung. Außerdem findet sich der bereits in der Literatur oft begegnete Ausspruch des Propheten: „Wenn ein Mensch stirbt, endet sein Wirken, außer auf drei Arten (. . .)“ Es ist wohl kein Zufall, dass genau dieser ḥadīṯ, wie oben gesehen, auch in der juristischen Argumentation regelmäßig die Legitimation für die potentiell kontroversen Stiftungen von Mobilien ein- leitet. ʿAbd ar-Raḥmān wollte hier anscheinend nichts dem Zufall überlassen. Dies ist wohl auch der Grund, warum sich der Eintrag in einem solchen Maße sklavisch an das etablierte Formular halten möchte, dass er sich an einem Punkt tatsächlich selbst widerspricht: So soll das Buch zuerst nicht länger als zehn Tage ausgeliehen werden und das auch nur an einen dem Aufseher bekannten und vertrauenswürdigen Mann. Gleich darauf wird aber in der gängigen und hier offenbar ohne Reflexion kopierten Weise festgelegt, dass das Buch weder verkauft, noch verschenkt und eben auch nicht ausgeliehen werden dürfe. Wie in fast jedem längeren waqf-Vermerk findet sich auch hier als höchst autoritative Schutzformel die koranische, eigentlich auf das Vermächtnis (waṣīya) gemünzte Warnung „Wer es aber abändert, nachdem er es vernom- men hat: Die Schuld lastet einzig auf denen, die es abändern. Und Gott hört alles und weiß alles.“ („ fa-man baddalahū baʿda mā samiʿahū fa-innamā iṯmuhū ʿala l-laḏīna yubaddilūnahū inna llāha samīʿun ʿalīmun“, Koran 2/181). Den Eindruck eines im juristischen Sinne vollgültigen Dokuments komplet- tiert eine beeindruckende Zeugenliste unter diesem Stiftungsvermerk. In ihr werden nicht weniger als 11 Männer aufgeführt, von denen ganze sechs einen militärischen Titel tragen (4 × bāša / beše, 2 × aġā), zwei weitere Söhne von Militärs sind und nur ein einziger als Imam anscheinend einem gelehrten

40 Freundliche Mitteilung von Astrid Meier (Halle). 138 kapitel 2

Abb. 22 Ausschnitt mit den Unterschriften der, hauptsächlich militärischen, Zeugen der Stiftung al-Ḥāʾiks. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 254, fol. 1r

Hintergrund hat. Damit wird die Liste zu einem beredten Zeugnis des gesell- schaftlichen Umfelds dieser Stiftung. Der Stiftungsvermerk al-Ḥāʾiks füllt mit diesem ausgefeilten Formular den größten Teil des Titelblattes der in Frage stehenden Handschrift. Eine solch umfangreiche Form war in einer großen Sammlung ganz praktisch schwer oder nur unter großem Aufwand – man bedenke allein die jeweilige Bezeugung durch in diesem Falle elf Personen – durchzuhalten und wurde vielleicht nur auf die wertvolleren Stücke angewandt.41 Die Überlieferung zur unten näher zu behandelnden Bibliothek des Naqšbandī-Scheichs Ḫālid im Damaskus des 19. Jahrhundert hat gezeigt, wie dieser eine volle waqfīya nur auf einem herausra- genden Buch seiner Sammlung anbrachte und dieses im Folgenden aus Furcht vor Übertreibung unterließ. In dieser ihrer umfangreichsten Form war der im Buch zu findende Stiftungsvermerk ein vollgültiges Rechtsdokument, soweit man das von einem Dokument im islamischen Recht mit seiner Präferenz des oralen Beweises sagen kann.42 Er machte hier auch die Bedingungen (šurūṭ) des Stifters in aller Deutlichkeit klar. Doch längst nicht alle Stifter konnten oder wollten diese aufwendige Prozedur befolgen. In osmanischer Zeit machte der sich weiter verbreitende Bibliotheksstempel die lückenlose Dokumentation in jedem einzelnen Band einfacher. Er hatte im Kontext des Osmanischen Reiches seine weiteste Verbreitung auch für Privatbibliotheken offensichtlich in den osmanischen Kernlanden, war aber in den syrischen Provinzen ebenfalls zu finden, wofür der große, auch in der Rifāʿīya zu findende Stempel aus der Bibliothek al-Ǧazzārs ein ideales Beispiel

41 So auch Éche: Les bibliothèques S. 311. 42 Wie aber Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 413, hervorhebt, konnte theoretisch nur ein beim Gericht registriertes Dokument zur Beweisführung in waqf-Angelegenheiten akzep- tiert werden. Die Umwelt der Rifāʿīya 139 ist.43 Siegelringe waren auch außerhalb des Bibliotheksgebrauches weit ver- breitet. Gerade die Ausüber politischer Gewalt, aber auch Gelehrte, die als Richter, Mufti oder in einer anderen offiziellen Funktion Dokumente beglau- bigen mussten, brauchten ihn. Dennoch bediente man sich des Siegelringes in seinen Büchern in Damaskus anscheinend nicht so häufig wie etwa in Istanbul, wo der Stempel zuweilen in den handgeschriebenen Besitzeintrag an Stelle des Namens aufgeprägt wurde. Für gestiftete Sammlungen wurden spe- zielle Stempel angefertigt, doch konnte das durchaus erst einige Jahre nach der Etablierung der Bibliothek passieren, wie wiederum Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār zeigt: Seine spätestens seit 1197 / 1783 auch dokumentarisch als waqf nachge- wiesene Stiftung für die von ihm errichtete Madrasa an-Nūr al-Aḥmadīya in ʿAkkā erhielt erst im Jahr 1205 / 1790–91 ihren imposanten Stempel. Solche speziellen waqf-Stempel konnten beachtliche Größe entwickeln und dementsprechend viel Text aufnehmen. Sie stehen der großen Masse an gestif- teten Büchern gegenüber, die nicht mehr als das Wort waqf auf zumeist meh- reren Seiten groß und deutlich an deren Kopf platziert haben, ohne auch nur anzudeuten, welche Institution denn mit dieser Stiftung bedacht sei. Neben der Registrierung im Buch selbst war der zweite und durchaus kom- plementäre Weg, die Stiftung in einer separaten Urkunde zu dokumentieren und unter Umständen auch bei Gericht zu registrieren. In dieser Urkunde soll- ten dann auch die gestifteten Bände aufgezählt werden. Vor allem wird in die- sen Dokumenten versucht, gerade mit Blick auf die problematische juristische Lage von Bücher- bzw. Mobilienstiftungen, eine Begründung und Verteidigung der Stiftung gegen mögliche juristische Angriffe zu liefern. Asʿad Bāšā al-ʿAẓm – oder vielmehr wohl diejenigen Gelehrten, welche mit der Formulierung seiner Stiftungsurkunde beauftragt waren – ließ eine solche Urkunde ausfertigen und ging darin zwar nicht direkt auf die Problematik der Stiftung von Mobilien ein, machte aber seinen Standpunkt in dieser Frage sehr deutlich: Die besten frommen Taten (qurubāt) seien diejenigen, welche von Dauer seien. Scheint dies auf den ersten Blick sogar gegen vergängliche

43 Zu Bibliotheksstempeln vgl. Déroche: Islamic codicology, S. 335–344; Gacek: Ownership statements, passim; Porter: Arabic and Persian seals and amulets; Sayyid: al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ II, S. 448–450. Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 126–127 führt als verbreitetstes Mittel zur Besitzanzeige mamlukischer Bibliotheken den Stempel auf, doch die von ihm als Referenzen angeführten angehängten Abbildungen zeigen, sofern überhaupt sichtbar, nur spätere Stempel. Und auch der einzige explizit genannte – jedoch nicht referenzierte – Stempel, der des ʿAlī al-Ibšādī, gehört nach dem gegebenen Text nicht zu dessen 919 / 1513 eingerichteter Stiftung, sondern der Privatbibliothek und mag der osmanischen Periode angehören. In meinem Korpus finden sich trotz vieler Stiftungen von Sultanen, Emiren und anderen Militärs keine mamlukischen Bibliotheksstempel. 140 kapitel 2

Bücher zu sprechen, so wird in einem zweiten Schritt unmissverständlich klar- gemacht, dass es gerade die immer wieder kopierten Bücher seien, welche das Religionssystem (niẓām ad-dīn) bewahrten. Die Urkunde vergisst auch nicht, den ḥadīṯ „Wenn ein Mensch stirbt (. . .)“ anzuführen.44 Noch offensiver verfährt im 12. / 18. Jahrhundert etwa der Stifter der Aḥmadīya-Madrasa und ihrer Bibliothek in Aleppo, der nach Etablierung des waqf den Richter mit Hinweis auf die Illegalität der Stiftung von manqūlāt bittet, diese wieder zu annulieren. Mit diesem oben bereits beschriebenen Scheinprozess wurde das Gericht dazu gebracht, die Stiftung nicht nur zu regi- strieren, sondern ausdrücklich für legal und unauflöslich zu erklären.45 Im Falle derjenigen Registrierungen von Stiftungen – sei es bei Gericht oder in separaten Urkunden –, die durch die Aufzählung der gestifteten Titel bereits einen festgeschriebenen Bestand etablierten, stellt sich die Frage, wie mit den natürlichen Schwankungen in diesem Bestand der Bibliothek umgegangen wurde. So hat etwa die Rifāʿīya in den weniger als hundert Jahrens ihrer Existenz als Stiftung einen großen Teil ihres Bestandes eingebüßt, während gleichzei- tig sehr viele neue Handschriften in die Bibliothek integriert wurden und die Sammlung auf diese Weise sogar wuchs. Die großen Stiftungsbibliotheken hatten mit ihren offiziellen Stempeln ein Werkzeug, jedes Buch eindeutig und ohne großen Aufwand auch im Nachhinein noch als zu ihrer Stiftung gehö- rig zu identifizieren. Da diese Stempel unter Umständen auch erst angefer- tigt wurden, als die eigentliche Sammlung bereits bestand, lässt sich das in manchen Fällen sehr gut nachvollziehen. So ist es etwa geschehen mit Berlin Landberg 9, London BM Or. 1206 und BM Or. 4706, welche Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār in den Jahren 1197 / 1783 und 1199 / 1785 für seine Madrasa an-Nūr al-Aḥmadīya in ʿAkkā stiftete und die erst nachträglich mit dem 1205 / 1790–91 angefertigten Bibliotheksstempel versehen wurden. In der Rifāʿīya wurde aber keine Markierung in den Handschriften selbst angewendet. Wer wollte nach- weisen, dass ein bestimmter Band zu ihr gehörte, wenn weder eine eventuelle registrierte Urkunde noch ein Vermerk im Buch selbst dies belegten? Viele, wenn nicht die meisten Bücherstiftungen spielten sich wohl ohne Einbeziehung der Gerichte ab und es stellt sich die Frage, warum man auf die- ses zusätzliche Mittel der Rechtssicherheit verzichtet haben sollte? Besonders wenn man bedenkt, mit welchen Manipulationsmöglichkeiten der einfache Stiftungsvermerk im Buch verbunden war. Dabei ging es nicht nur darum, ein gestiftetes Buch wieder aus dieser Stiftung zu lösen. Auch der umgekehrte Weg

44 Kitāb waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm, S. 10. 45 Éche: Les bibliothèques, S. 305–306. Éche führt hier noch drei weitere so verteidigte syri- sche Stiftungen an, ohne jedoch Details zu nennen. Die Umwelt der Rifāʿīya 141 war möglich, wie die Bibliothek des ägyptischen Gelehrten und šaiḫ al-Azhar, Ḥasan al-ʿAṭṭār (gest. 1250 / 1835), zeigt. Nach seinem Tod soll sein Haus mit- samt der Bibliothek von feindlich gesinnten Gelehrten der Azhar geplündert worden sein. Diese hätten danach fälschlich erklärt, dass al-ʿAṭṭār seine Bücher dem Riwāq al-Maġāriba gestiftet hätte, brachten auch dahingehende waqf- Vermerke in den Handschriften an und schafften es so tatsächlich, die Erben ʿAṭṭārs um ihre wertvolle Sammlung zu betrügen.46 Eine Erklärung für die Marginalisierung der Gerichte zumindest in spätosmanischer Zeit scheint Ibn ʿĀbidīn zu geben, wenn er schreibt: „Die späteren Rechtsgelehrten sind darin übereingekommen, dass es in unserer Zeit besser sei, den Richter nicht (von einem zu errichtenden waqf ) in Kenntnis zu setzen, wegen der bekannten Gier (ṭamʿ) der Richter auf die Gelder der Stiftungen.“47 In der gleichen Weise könnte man annehmen, dass daneben auch eventuelle für die Registrierung anfallende notarielle Gebühren eine Rolle gespielt haben. Die Gefahren für eine nicht-öffentliche Familienstiftung erwuchsen einzig aus der Familie selbst und wären damit, nach dieser Interpretation, immerhin überschaubarer als die von den Gerichten ausgehenden. Eine gestiftete Sammlung war nicht etwa automatisch bis in alle Ewigkeit in ihrem Bestand konserviert und dadurch statisch und ohne Perspektive auf eine neuen Lektürebedürfnissen angemessene Entwicklung. Individuelle An-Stiftungen, also solche, welche die bestehende bibliothekarische Infrastruktur einer früheren Stiftung nutzten und diese erweiterten, waren eine Möglichkeit des organischen Wachstums, deren Wahrnehmung aller- dings heute meist nicht mehr abzuschätzen ist. In den Madrasa-Bibliotheken der Gouverneure Sulaimān Bāšā und ʿAbdallāh Bāšā al-ʿAẓm finden sich auch separat verzeichnete Büchersammlungen. In der ersteren macht die Stiftung mullā ʿUṯmān al-Kurdīs48 mit 313 der insgesamt 414 Bände sogar den größ- ten Teil der Bibliothek aus.49 In einem Falle wie der Umayyadenmoschee, die über keine zentrale, gemeinsam mit der Stiftung der Institution etablierte Sammlung verfügte, wurde aber nicht im eigentlichen Sinne eine Bibliothek erweitert, sondern einem der vielen über den Komplex dieser Institution ver- streuten Bücherschränke ein neuer hinzugefügt oder ein bestehender mit

46 Vgl. Gran: Islamic roots, S. 128–129. 47 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 422. 48 Riyad King Saud University 3642, Princeton Garrett no. 191Y, Garrett no. 416Y und Garrett no. 730Y, vier grammatische Kommentare, das mystische Gedicht Princeton Third Series no. 181, sowie das schafiitische Rechtswerk München Cod. arab. 1650 stammen aus dieser Stiftung. 49 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 9. 142 kapitel 2 einem oder wenigen neuen Bänden bestückt. Zumindest in einigen erhaltenen Stiftungsurkunden war darüber hinaus als eine der Aufgaben des Bibliothekars neben der Ausbesserung beschädigter Bücher die Erweiterung der Sammlung durch Kauf oder Kopie explizit vorgesehen.50 In wieder anderen jedoch wurde die Möglichkeit einer Erweiterung des gestifteten Bestandes explizit verboten.51

2.2.3 „Öffentliche“ Stiftungsbibliotheken52 Als die Rifāʿīya im Jahr 1188 / 1774 zu einem waqf erklärt wurde, war diese Praxis gesellschaftlich längst keine kontroverse Handlung mehr und durch jahrhun- dertelangen Gebrauch vollkommen legitimiert. Die Rifāʿīya war dabei eine Familienstiftung und somit sicherlich auch nur für einen kleinen Kreis von Mitgliedern der Familie ar-Rifāʿī und ihres Umfeldes zugänglich. Gestiftete Bibliotheken treten uns in den literarischen und dokumentarischen Quellen jedoch vor allem dann entgegen, wenn sie an eine Öffentlichkeit gerichtet sind. Von öffentlichen Bibliotheken zu sprechen ist dennoch auch in diesen Fällen problematisch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die typische, an eine Öffentlichkeit gewandte Stiftungsbibliothek in isla- misch geprägten Gesellschaften ist seit frühester Zeit Teil einer größeren Institution, welche selbst ebenfalls als waqf organisiert war. Es kann somit nicht überraschen, wenn sie grundsätzlich den Zielen dieser Institution und deren inhaltlicher Ausrichtung verpflichtet war. Traditionell treten hier vier Institutionen in Erscheinung: Die Moschee, die Madrasa oder Hochschule, die zāwiya bzw. Sufi-„Kloster“, und das Krankenhaus, wobei im hier behandelten Zeitraum meines Wissens nur die ersten drei von Relevanz sind oder über-

50 Kitāb waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm, S. 23 nennt die Ausbesserung der Bände aus den Einnahmen des waqf seiner Madrasa. Éche: Les bibliothèques, S. 271, merkt allerdings an: „le développement de la bibliothèque par ses propres moyens et très rarement prévu.“ Er kann nur das Dār al-Ḥadīṯ al-Ašrafīya und das fatimidische Dār al-ʿIlm von al-Ḥākim als literarisch belegte Beispiele anführen. Die Stipulationen der Stiftung im Dār al-Ḥadīṯ al-Ašrafīya vom Jahr 632 / 1234–35 wurden in einer Fatwa-Sammlung des Damaszener Richters Taqī ad-Dīn as-Subkī (gest. 756 / 1355) überliefert (vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 214–215) und sind abgedruckt in Ṭabbāʿ: al-Maḫṭūṭāt ad-dimašqīya, S. 360. Die Inhalte dieser Sammlung anhand eines Kataloges, der wohl aus dem 7. / 13. Jahrhundert datiert, analysiert Hirschler: The written word, S. 147–150. 51 Hirschler: The written word, S. 140. 52 Generelle Überblicke in Sibai: Mosque libraries; darauf basierend Laugu: The roles of mosque libraries. Die umfassendste Darstellung für die vorosmanische Zeit, wenn auch durch die geographische und zeitliche Breite des Gegenstandes notwendigerweise teil- weise beliebig, bleibt Éche: Les bibliothèques, passim; der neueste Stand der Forschung bei Hirschler: The written word, S. 124–163. Die Umwelt der Rifāʿīya 143 haupt vorkommen. Für die Inhalte der Stiftungen ist dies nicht ganz belanglos, denn die Bibliotheken bestimmten nicht nur das intellektuelle Leben in die- sen Institutionen, sie wurden selbst natürlich auch durch deren Bedürfnisse geformt. Und sowohl die immer mit Vorsicht zu behandelnden Berichte west- licher Reisender als auch der keinesfalls unvoreingenommene, scharfe Blick der Reformer des 19. Jahrhunderts ließen in der Regel kein gutes Haar an den Hohen Schulen der Zeit. Die Russells nennen die Madrasen von Aleppo am Ende des 18. Jahrhunderts mehr “seminaries of pedantry and superstition, than of science.“53 Der Aleppiner aṭ-Ṭabbāḫ nennt am Beginn des 20. Jahrhunderts dieselben Institutionen im Rückblick – und man wird dieses Urteil sicher auf reformorientierte Stimmen anderer Städte übertragen können – „seit langer Zeit schon eine Zuflucht für die Faulen und ein Versteck für die Unfähigen.“54 In Damaskus malt der Käufer der Rifāʿīya, Wetzstein, gegenüber seinem Lehrer Fleischer aus, wie in Syrien “der Niedergang der Wissenschaften alles Gute zerstört“ habe.55 Auch wenn die neuere Forschung diese Behauptungen sehr viel differenzierter betrachtet,56 die Bibliotheken waren Ausdruck eines intel- lektuellen Profils und einer Gelehrtenpraxis, welche die genannten kritischen Stimmen als rückwartsgewandt und stagnierend wahrnahmen und darstellten. Und egal, ob man in ihnen Stätten des Lernens oder des geistigen Niedergangs sieht, die Frage nach dem Einfluss dieses Profils auf die Büchersammlungen bleibt bestehen. Daneben besaßen auch die religiösen Institutionen der religiösen Min- derheiten, also vor allem Kirchen, Klöster und Synagogen, ihre Büchersamm- lungen, die ebenfalls den Namen waqf tragen konnten. Ob sie aber mit dem gleichen juristischen Verständnis von Stiftung organisiert wurden, bleibt dahin- gestellt. Unabhängige Einrichtungen, deren alleiniger oder doch Hauptzweck darin bestand, eine der Öffentlichkeit zur Verfügung stehende Bibliothek für sich zu sein, scheinen erst im Zentrum des Osmanischen Reiches im Laufe des

53 Russell: Natural history II, S. 94. 54 ṬabbāḪ: Iʿlām III, S. 264: munḏu mudda ṭawīla malǧa‌ʾ li-l-kasālā wa-maʾwā‌ li-l-ʿaǧza. Eine weitere negative Rückschau auf diese Periode in Qāsimī: Dictionaire, Bd. II, S. 7 des fran- zösischen Teiles: „La vie culturelle était inexistante, ou presque; pas d’écoles, de collèges, ni d’universités. L’imprimerie et la presse, débiles, ne fournissaient aucune nourriture substantielle. Les petites écoles, les kuttâb, les cercles des mosquées, les leçons privées dans les maisons particulières, constituaient les seules ouvertures, encore n’étaient-elles dévolues qu’a une minorité de citoyens. Les illettrés faisaient masse. (. . .)“ 55 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 4. Juni 1854. 56 Zu einem sehr viel milderen Urteil kommt vor allem Tamari: Between the “golden age” and the Renaissance; Ders.: Ottoman madrasas. 144 kapitel 2

18. Jahrhunderts entstanden zu sein und blieben auch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Sonderentwicklung der Metropole Konstantinopel.57 Wie eingeschränkt man sich die Öffentlichkeit vor dieser Zeit vorzustellen hat, tritt bereits in den Formulierungen der Stiftungseinträge oder –urkunden deutlich hervor: Meist findet sich als Zielgruppe eine Variante der Formel ʿalā ṭalabat al-ʿilm genannt. Was wie die sehr inklusive Freigabe für all diejeni- gen anmutet, „die nach Wissen streben“, hatte tatsächlich eine sehr exklusive institutionelle Funktion. Denn als die ṭalabat al-ʿilm konnten, etwa wie bei den heutigen Universitäts-Angehörigen, nur die als Lernende oder Lehrende einer Lehranstalt zugeordneten Studenten und Gelehrten angesehen wer- den. Doch auch hier muss nach Ibn ʿĀbidīn, der hanaftitischen Autorität in Damaskus zur Zeit der Rifāʿīya, noch weiter eingeschränkt werden. Einige Autoritäten seiner Rechtsschule, so Ibn ʿĀbidīn, hätten die Designation der Stiftung an die ṭalabat al-ʿilm nämlich nur gutgeheißen, weil diese Gruppe generell durch faqr / Armut gekennzeichnet sei. Es verstehe sich, dass innerhalb dieser Gruppe dann tatsächlich nur die wirklich Mittellosen als Nutznießer der Stiftung in Betracht kämen.58 Andere Stimmen hätten dage- gen darauf hingewiesen, dass auch mit Geld nicht jedes Buch zu jeder Zeit verfügbar sei und deshalb ein konkreter Bedarf entscheidendes Kriterium bei der Benutzung einer Bibliothek sein solle.­ 59 Das gleiche juristische Problem kann man sicher für die Formulierung „ilā muṭālaʿat al-ʿulamāʾ “60 annehmen, für welche Muḥyī ad-Dīn b. Saʿīd al-Ḥabašī eine heute in Berlin befindliche sufische Sammelhandschrift bestimmt. Denn diese soll, nachdem sie zuerst in der Familie weiterzugeben ist, in letzter Instanz an eine bestimmte Moschee gelangen. Und auch Moscheen hatten nach Ibn ʿĀbidīn ihre „Mitglieder“ bzw. ihre zur Benutzung der Bücherbestände berechtigte Gemeinde, die sich für diesen Autor im Zweifelsfall daraus bestimmte, dass man von seinem Wohnort den Gebetsruf eben dieser Moschee lauter hören konnte als den einer anderen Moschee.61

57 Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 404–431. 58 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 366. 59 Ebd. 60 Berlin Sprenger 851, 1r+127r. 61 Zum Konzept der Moscheegemeinde vgl. Knost: Die Stadtviertelstiftungen in Aleppo, S. 214. Da die hier gestifteten Bücher tatsächlich in einer Moschee benutzt werden soll- ten, gilt in ihrem Fall sicherlich nicht die in der Rechtsliteratur zu findende Meinung, die Stiftung für eine solche Gemeinde komme allen in deren Umkreis Lebenden, also auch etwa den Nicht-Muslimen zugute, vgl. ebd. Die Umwelt der Rifāʿīya 145

Oft sind die Stifter bei der Formulierung der Nutznießer denn auch explizi- ter. So verfügt Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār die Berliner Handschrift Landberg 9 im Jahr 1197 / 1783 „li-ṭalabat madrasatihī “, an die Studenten seiner Madrasa. Der in Damaskus berühmte Sufi mullā Ilyās (1047 / 1637–38 – 1138 / 1726)62 gibt ein Werk „ʿalā ṭalabat al-ʿilm bi-Ǧāmiʿ al-ʿAddās“ (Berlin Sprenger 872), also an die Studenten einer Moschee, in der er selbst lehrte und eine Klause bewohnte. Etwas weniger konkrete Vorgaben hatten die zukünftigen Verwalter der Hinterlassenschaft von Muḥammad b. Saʿīd Ṣādiq al-ʿIšš,63 der seine Bücher in der Mitte des 19. Jahrhunderts „ʿalā ṭalabat al-ʿilm min ahālī Dimašq aš-Šām“ stiftete (u.a. Berlin Wetzstein II 309) – freilich erst nachdem sie in seiner Familie bis zu deren Aussterben weitergegeben wurden. Hier wird also kein spezifischer Aufstellungsort benannt, aber die Nutznießer sind klar bezeich- net. Es wäre zu fragen, ob die Formulierung etwa solche zeitlich begrenzt in Damaskus studierenden Gelehrten ausschließen sollte, die nicht aus der Stadt kommen. Aber nicht nur örtlich definierte Gruppen konnten bedacht sein, auch eine Formulierung wie „an die Gelehrten der Ḥanbaliten“ begegnet in den Stiftungseinträgen und wirft ganz eigene Fragen an die Verwahrung der Handschrift auf.64 Auch die sprachlich vordergründig offensten Formen müssen daher keine universal zugängliche Sammlung beschreiben. Selbst wenn dies im Sinne des Stifters gelegen haben sollte, gaben solche Formulierungen den Verwaltern doch ein Mittel in die Hand, den Zugang zu Büchern zu beschränken oder ganz zu verwehren. Man musste wohl schon so explizit sein, wie Ibrāhīm, bekannt als Naqīb-zāda ar-Ruhāwī, welcher 1197 / 1783 die Berliner HS Ms.or.oct. 1469 in seine persönliche Bibliothek (etwas pompös als dār kutubī bezeichnet) stif- tete. Zwar sollte das Werk die Bibliothek auf keinen Fall verlassen, aber der Stifter stellte klar: „niemand soll an der Benutzung oder der Kopie innerhalb der Bibliothek gehindert werden.“65 Auch Asʿad Bāšā al-ʿAẓm machte klar, dass er als Nutznießer seiner ḫizāna zwar durchaus an erster Stelle die Studenten

62 Dies war mullā Ilyās b. Ibrāhīm al-Kurdī; vgl. Murādī: Silk I, S. 266–268; Ṣiddīqī: as-Suyūf al-ḥidād, S. 288, Ziriklī: al-Aʿlām, Bd. II, S. 8. 63 Zur im 19. Jahrhundert hauptsächlich im Handel hervorgetretenen Familie ʿIšš vgl. Ṣauwāf: Mausūʿat al-usar II, S. 703–707. 64 Berlin Landberg 422, 1r: ʿalā ʿulamāʾ al-ḥanābila (Gebete an den Propheten von Ibn Qaiyim al-Ǧauzīya, Stifter war Ṭauq b. Saif, undatiert). 65 Berlin Ms.or.oct. 1469, fol. 1r. 146 kapitel 2 seiner Madrasa vorsah, daneben aber auch in seltsam unbestimmter Form „andere“ Nutznießer nicht ausschloss.66 Im Falle der Familienstiftungen sind solche öffentlichen Institutionen frei- lich erst der letzte Nutznießer einer Stiftung. Hier kommen zuerst noch exklu- sivere, jedoch nicht weniger problematische Formulierung zum Zuge, etwa die eigenen Nachkommen (ḏurrīya, nasal).

2.3 Beispiele „öffentlicher“ Stiftungsbibliotheken aus der Zeit der Rifāʿīya

Die folgenden Beispiele sollen nicht nur exemplarisch verschiedene „Typen“ von öffentlichen Stiftungsbibliotheken in der direkten Umwelt der Rifāʿīya, namentlich der Region Bilād aš-Šām veranschaulichen. Sie sollen vielmehr auch die institutionalisierte Bibliothekslandschaft porträtieren, mit welcher interessierte Leser konfrontiert waren, um ihre literarischen Ansprüche zu befriedigen. Vor diesem Hintergrund erst lässt sich ermessen, welchen Wert eine Privatbibliothek wie die Rifāʿīya für ihre Besitzer hatte, welche Anreize es für die Sammlung der eigenen Bücher geben konnte. Die Auswahl der por- trätierten Institutionen ist dabei vor allem durch drei Punkte geleitet und beschränkt: den Forschungsstand, die Ergebnisse eigener Forschung, und wenn möglich einen Zusammenhang mit der Rifāʿīya. Dabei soll die Einbeziehung von Sammlungen unterschiedlicher Träger, Größe, Regionen und Zeiten ein Panorama liefern, das keine beliebige Aneinanderreihung zur Bestimmung der osmanischen Bibliothek ist, sondern neben den Gemeinsamkeiten auch Individuelles hervorhebt, was letztendlich zur Bestimmung regionaler, zeitli- cher und sozialer Unterschiede beitragen wird. Die Bestände der großen Stiftungsbibliotheken sind auf drei Wegen zu rekonstruieren: Stiftungsurkunden, Bibliotheksstempel oder –vermerke in überlieferten Handschriften und historische Kataloge. Hier sollen Beispiele für alle drei gebracht werden. Dabei ist zu beachten, dass eine öffentliche Stiftungsbibliothek einen anderen Aussagewert hat, als eine private, zum Gebrauch der eigenen Familie in einen waqf umgewandelte Sammlung. Beide können aus vollkommen anderen Beweggründen entstanden sein. Dies kann

66 Kitāb waqf, S. 22: ṭalabat al-ʿilm min ahl al-madrasa al-mazbūra wa-ġairihim. Der syn- taktische Bezug des Personalsuffixes –him ist nicht sicher auf die Studenten oder die Gemeinde der Madrasa zu beziehen. Es könnte also bedeuten, „ṭalabat al-ʿilm und andere“ oder „ahl al-madrasa und andere“, in letzterem Falle also auch Interessierte außerhalb dieser Institution, die sich unter dem weitgefassten Begriff ṭalabat al-ʿilm wiederfanden. Die Umwelt der Rifāʿīya 147 sogar vordergründig bildungsferne Interessen beinhalten. So beschreiben unsere Quellen die angeblich beste Bibliothek der mamlukischen Territorien in Ägypten und Syrien im 14. und 15. Jahrhundert, diejenige der Madrasa al-Maḥmūdīya, als einen reinen Prestigekauf. Der ustādār Ǧamāl ad-Dīn Maḥmūd b. ʿAlī (gest. 799 / 1396) erwarb sie aus dem Nachlass des Gelehrten al-Burhān Ibn Ǧamāʿa und stiftete sie daraufhin seiner Madrasa.67 Mit dem Aufbau der Sammlung hatte ihr Stifter demnach inhaltlich nichts zu tun. Es ging hier also nicht in erster Linie um persönliche Vorlieben, noch spie- gelt der Textbestand unbedingt das eigene Bildungsniveau oder auch nur ein tatsächliches Interesse von Seiten des Stifters an den gestifteten Stoffen. Die Stifter oder ihre gelehrten Helfer wussten zu trennen zwischen den lite- rarischen Bedürfnissen der von ihnen bedachten Institutionen und denen der eigenen privaten Bibliothek. So ist von einem berühmten osmanischen Bibliotheksstifter bekannt, dass er nicht einfach seine eigene Bibliothek öff- nete, sondern eine neue Auswahl nach anderen Kriterien traf und auch nach Etablierung der Stiftung weiterhin Bücher für den eigenen Gebrauch erwarb.68 Welche Besonderheiten die öffentliche Bibliothekslandschaft des osma- nischen Bilād aš-Šām im Vergleich mit anderen Provinzen des osmanischen Reiches oder anderer Länder unter muslimischer Herrschaft aufweist, können nur zukünftige Forschungen ergeben. Bisherige Untersuchungen sind sehr punktuell, leiden unter einer unsystematischen Verfügbarkeit der genannten substanziellen Quellen und ergeben daher noch kein kohärentes Bild. Besonders profiliert durch eine kontinuierliche und vergleichsweise fun- dierte Forschungsgeschichte erscheinen die Kernlande des Osmanischen Reiches (West-Anatolien, Istanbul, Ost-Balkan) und hierbei besonders die Metropole Konstantinopel.69 Eine hervorstechende und andernorts nicht

67 Vgl. zum Stifter und weiteren erhaltenen Werken dieser Bibliothek Éche: Les biblio- thèques arabes, S. 259–260. Éche liest das Datum 767, rechnet es allerdings nicht kor- rekt um. Weiterhin Saiyid: Naṣṣān qadīmān fī iʿārat al-kutub, S. 127–128; Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī: ad-Durar al-kāmina II, S. 329. Weitere erhaltene Handschriften Ms Princeton Garrett no. 42B Boyd Room; MS Berlin Sprenger 41. 68 Der Mufti von Konstantinopel, Faiḍ Allāh efendī (gest. 1115 / 1703), mag keine Zeit mehr gehabt haben, die kurz vor seiner Hinrichtung im Jahr 1115 erworbene Handschrift Berlin Sprenger 5 noch in seine Stiftung zu integrieren; zu den Umständen seines Falls vgl. Abou-El-Haj: The 1703 rebellion. Im Fall Rāġıb Bāšās sind sowohl nicht gestiftete Bücher bekannt wie auch die Nachricht, dass nach seinem Tod noch etwa 200 ungestempelte, also eigentlich nicht als Stiftung gekennzeichnete Bände in seinem Privathaus gefunden wurden; vgl. Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 411. 69 Die Bibliotheksgeschichte des osmanischen Reiches ist geprägt durch die Forschung Ismail Erünsals; vgl. Erünsal: Türk Kütüphaneleri Tarihi; zusammengefasst in ders.: 148 kapitel 2 belegte Besonderheit des Zentrums war seit dem 17. Jahrhundert der unab- hängige Bibliotheksbau. Er gab der Emanzipation der bibliothekarischen Arbeit von einer Hilfsfunktion für die Institutionen des Kultus und der Religionslehre einen architektonischen Ausdruck. Eine weitere architektoni- sche Entwicklung des 18. Jahrhunderts, die in den Provinzen offenbar keine Nachahmer gefunden hat war ein konischer, zuweilen erhöhter Bau in der Mitte des Bibliothekssaales, dessen begehbarer Innenraum das Bücherlager enthielt und dessen Platzierung, Form und Inschriften an die Kaaba in Mekka erinnern sollten.70 Neben diesen Fragen von Funktion und Organisation war es der gewaltige Umfang der heute in wenigen zentralen Sammlungen zusam- mengeführten Handschriften der ehemaligen Stiftungsbibliotheken, wel- che von der Sonderstellung der Metropole Istanbul zeugen. Nach allem was wir wissen überragte dieser Umfang denjenigen der Provinzmetropolen des Reiches um ein Vielfaches. All diese Aspekte sind exemplarisch und am umfas- sendsten erforscht im Fall des Literarbürokraten Rāġıb Bāšā (gest. 1176 / 1763).71 Rāġıb Bāšā gilt als ein neuer Typus des osmanischen Staatsmannes, für den im 18. Jahrhundert eine breite literarische und theologische Bildung gegenüber den zuvor essenziellen militärischen Fertigkeiten zentrale Qualifikationselemente wurden und den Sievert treffend als Literarbürokrat bezeichnet. Er war nicht nur eifriger Büchersammler und studierte bei großen Gelehrten seiner Zeit, sondern trat auch als erfolgreicher Schriftsteller her- vor. Somit kann es nicht verwundern, dass die von ihm gestiftete Bibliothek in großem Maße Produkt eigener Sammeltätigkeit ist und damit quasi seine Handschrift trägt. Die Bibliothek wurde mit etwa 1.100 Bänden aus Rāġıb Bāšās Privatbesitz ausgestattet. Doch deckte sich der Bestand der Stiftung nicht voll- kommen mit seiner Privatbibliothek. Nach seinem Ableben entdeckte man in Rāġıbs Haus noch etwa 200 Bände, die nicht als Stiftung ausgewiesen waren.72 Andererseits wurden offenbar einige speziell für die Bedürfnisse einer öffent- lichen Bibliothek notwendige Werke erst angekauft, und zwar auch in mehr- facher Ausführung.73 Der Bestand sollte zwar nicht aus eigenen Mitteln der

The development of Ottoman libraries; ders.: The expansion and reorganisation; ders.: Ottoman foundation libraries; ders.: Ottoman libraries; guter Überblick auch in Sievert: Zwischen arabischer Provinz und Hoher Pforte, S. 404–408. 70 Sezer: Pilgrimage to the library. 71 Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 404–431; Erünsal: Ottoman libraries, S. 64–65. 72 Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 411, hier auch der Hinweis auf eine Handschrift, die Rāġıb einst besessen, aber nicht in die Stiftung gegeben hatte. 73 Ebd., S. 413. Wie die Rifāʿīya jedoch zeigt, sind Dubletten auch in einer Privatbibliothek nicht selten. Die Umwelt der Rifāʿīya 149

Stiftung erweitert werden, wuchs aber durch Anstiftungen verschiedenster Seiten im Laufe der Zeit. Die eigentlich bibliothekarische Arbeit übernahmen gleich zwei hauptamtliche Bibliothekare (ḥāfıẓ-ı kütüb). Sie sollten ausrei- chend bezahlt werden, durften dafür aber auch keine Nebentätigkeit ausüben. Ihnen wurde außerdem noch jeweils ein Gehilfe zur Seite gestellt.74 Die auffällige sprachliche Verteilung mit über 90 Prozent arabischer Werke muss auch in anderen öffentlichen Bibliotheken in Konstantinopel nichts ungewöhnliches gewesen sein, doch sind die Daten dazu noch ungenügend. Auf jeden Fall gibt es keine auch nur annähernd große Repräsentation tür- kischer Werke in den mir bekannten öffentlichen Bibliotheken der arabi- schen Provinzen. Inwieweit die Inhalte typisch für die Stiftungsbibliotheken Konstantinopels sind, muss ebenfalls noch untersucht werden. Gegenüber den weiter unten behandelten Bibliotheken aus den syrisch-arabischen Provinzen zeichnen sich einige Besonderheiten ab. Die mit großem Abstand stärksten Themenfelder sind Recht ( fiqh und uṣūl al-fiqh mit gemeinsam 19,7 Prozent) und Koranexegese (tafsīr) mit 13,1 Prozent. Demgegenüber steht die in den syri- schen Bibliotheken so starke Prophetentradition (ḥadīṯ) mit 7,9 Prozent relativ zurück. Die Mystik ist mit 4,4 Prozent zwar nicht sehr hervorgehoben, aber vergleichsweise stark vertreten und bewegt sich eher in den Regionen einer Privatbibliothek wie der Rifāʿīya. Neben diesem dominanten Segment der Religionswissenschaften setzt als drittgrößter Einzeltitel die adab-Literatur einen deutlichen und ungewöhnlichen Akzent. Dieses Genre der raffinierten Sprachkunst im Zusammenspiel mit Belehrung und Unterhaltung stand auch für den Literaten Rāġıb im Mittelpunkt seiner schriftstellerischen Aktivität. In dieser interessanten Schwerpunktsetzung können wir vielleicht den Umstand greifen, dass ein genuin an umfassender literarischer Bildung interessierter Mann seine persönliche Bibliothek zur Grundlage einer Stiftung gemacht hat. Nach einigen Schwierigkeiten beim Bau konnte die Bibliothek im Jahr 1763 ihre Arbeit aufnehmen. Rāġıb selbst erlebte diese Fertigstellung noch, starb jedoch nur wenige Tage nach Abschluss der Bauarbeiten. Wie vorgesehen wurde die Bibliothek gleichzeitig sein Grab. Untergebracht wurden die Bücher in einem Gebäudekomplex mit Grabbau des Stifters, Koranschule, Brunnen und Wohnungen für das Personal, in dessen Mittelpunkt die Bibliothek als frei- stehender Zweckbau steht. Dieser überkuppelte Bau beherbergte den Lesesaal mit dem durch ein Gitter umgebenen kubischen Bücherdepot in seiner Mitte.75 Hier sehen wir eine seit dem 17. Jahrhundert immer mehr zu beobachtende

74 Ebd., S. 410. 75 Abbildung in d’Ohsson: Tableau général I, Abb. 33; Beschreibung in Browne: Travels in Africa, Egypt, and Syria, S. 422. 150 kapitel 2

Besonderheit der Bibliotheken der osmanischen Kernlande. Dieser zentrale Würfel, in dessen Inneren sich die Bücherschränke befanden, sollte an die Kaaba von Mekka erinnern.76 Eine daran anschließende architektonische Entwicklung wurde in den arabischen Provinzen des Reiches allem Anschein nach nicht übernommen. Rāġıbs Bibliotheksstiftung war an Umfang, Organisation und architektoni- scher Ausführung keinesfalls eine Besonderheit, sondern stand bereits in einer etablierten Tradition. Die Entwicklung in Istanbul zeigt also entscheidende Neuerungen, die dort bereits im 17. Jahrhundert begannen, die Struktur der Bibliothekslandschaft zu verändern und besonders im 18. Jahrhundert mit zahlreichen bedeutenden Neugründungen voll zum Tragen kamen. Natürlich wurden die neuen Entwicklungen in Istanbul auch von den zahlreichen gelehrten Besuchern aus der Provinz wahrgenommen. Und vielleicht ist dies der Grund, warum der Damaszener Gelehrte Ḫalīl al-Murādī (gest. 1206 / 1791) die für mich erste nachweisbare Benutzung des modernen Begriffs maktaba durch einen muslimischen arabischen Autor einer eigenständigen und nicht an eine andere Institution angeschlossenen Bibliothek aus der Hauptstadt vorbehält, war er als ein Besucher aus der Provinz hier doch mit einem für ihn neuen Typus von Bibliothek konfrontiert, für den es womöglich galt, einen neuen Begriff zu finden.77 Gleichzeitig konnten hohe Würdenträger aus dem Zentrum, die in der Peripherie Ämter versahen neue Moden in die Provinzen tragen. Wenn es diese Arten von Bibliotheken also in Damaskus und den ande- ren urbanen Zentren der Region nicht gab, stellt sich auch die Frage, warum das so war? Die Istanbuler Bibliothek des Großwesirs Rāġıb steht für eine Bibliothekskul- tur auf höchster Reichsebene, an der die Rifāʿīya keinen Anteil haben konnte. Ganz ohne Verbindungen zur kleineren syrischen Bibliothek und ihrer Umwelt ist freilich auch sie nicht. Ihr Stifter befand sich vor der Erlangung der Großwe- sirswürde als Gouverneur von Aleppo und Damaskus einige Zeit in Syrien und hat auch hier natürlich versucht, interessante Handschriften zu erwerben oder Texte durch Kopien zu erlangen, die er dann mit nach Konstantinopel brachte. Seine eigene Bibliothek ist durch die sehr langlebige Stiftung in Istanbul zwar nicht wieder zerstreut worden, doch zwei Bücher seines Schützlings und spä- teren šaiḫ al-islāms ʿĀṣım Ismāʿīl Ǧalabī-zāda (gest. 1173 / 1760) sind in die

76 Sezer: Pilgrimage to the library. 77 Murādī: Silk III, S. 184 (in der Biographie des ʿUmar b. Muṣṭafā al-Waḥīd in einer Nachricht über dessen Vater Muṣṭafā ʿĀṭif und die von ihm gestiftete Bibliothek). Vgl. zur 1741 errichteten Bibliothek des daftardār ʿÂṭıf Muṣṭafā efendi Erünsal: Ottoman libra- ries, S. 60–61. Die Umwelt der Rifāʿīya 151

Rifāʿīya gelangt.78 Dass diese personelle Verbindungslinie vom Zentrum in die Peripherie aber in den Handschriften syrischer Provenienz im Allgemeinen und der Rifāʿīya im Besonderen so vergleichsweise rar dokumentiert ist, macht dieses Detail wohl mehr zu einem Ausdruck assymetrischer Aneignung von Kulturgütern denn gegenseitigen Austausches. Obwohl eine genauere Unter- suchung anhand Istanbuler Handschriftenbestände noch aussteht, dürfte der bibliophile Wesir auf seiner Tour durch die Provinzen weit mehr Bücher in das Zentrum befördert, als umgekehrt die großen Bibliotheken Istanbuls wieder an die arabischen Provinzen abgegeben haben. Die Wege dieser Ströme nach- zuzeichnen bleibt ein großes Forschungsdesiderat. Neben dem osmanischen Zentrum wäre die reiche Bibliothekslandschaft von Ägypten als Vergleich zur benachbarten syrischen Bibliothekslandschaft näher zu betrachten, doch bleibt sie chronologisch sehr viel uneinheitlicher erforscht.79 Nach Istanbul ist es auch hier mit Kairo wiederum die alles über- schattende Metropole als Ort großer und prestigeträchtiger architektoni- scher Komplexe, die es in dieser Konzentration auf ein urbanes, politisches und wirtschaftliches Zentrum in Syrien allem Anschein nach nicht gab, wel- ches die meisten Informationen über öffentliche Bibliotheken liefert. Nicht nur war Kairo der Sitz der Moschee al-Azhar, welche in osmanischer Zeit zu einem der wichtigsten Zentren muslimischer Lehre wurde und die eine hohe Anziehungskraft auch auf syrische Studenten ausübte. Im Zusammenhang mit den gestifteten Institutionen wurden auch ständig neue Orte für Bibliotheken geschaffen. Ob man hierin einen Effekt größerer ökonomischer Spielräume der mamlukischen Elite ausmachen kann oder etwa deren größere machtpo- litische Unabhängigkeit gegenüber der osmanischen Zentralgewalt, die sich immer wieder in Rebellionen, Phasen praktischer Unabhängigkeit und sogar militärischem Ausgreifen auf andere Provinzen niederschlug und damit archi- tektonische Ausdrücke machtpolitischer Propaganda nach sich zog, wäre zu untersuchen. In dem für diese Arbeit ausgewerteten Material zeichnet sich im Bereich der für eine Öffentlichkeit gestifteteten Bibliotheken eine mögli- che Tendenz zu einer größeren und breiteren Stiftungsaktivität ab. Obwohl

78 Vollers 316, 592 (datiert 1148). 79 Punktuelle Einblicke in die osmanenzeitliche Bibliotheksgeschichte Ägyptens finden sich in der mir nicht zugänglichen Sammlung von Ibrāhīm: Dirāsāt fī l-kutub wa-l-maktabāt; außerdem Behrens-Abouseif: The waqf of a Cairene notable; Veselý: Bibliothek eines ägyptischen Arztes. Zur historischen Einordnung der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung Ägyptens vgl. Hanna: Culture in Ottoman Egypt; Dies.: In praise of books; Dies.: Making big money; Raymond: Artisans et commercants; Crecelius: Egypt in the eighteenth century; Reichmuth: The world, S. 39–42. 152 kapitel 2 weitergehende Untersuchungen nötig wären, dieses Bild zu erhärten, ist ein auffälliges Ungleichgewicht an dokumentierten gestifteten Büchern zwischen den Provinzen Ägypten und Bilād aš-Šām zu greifen. Exemplarisch kann dies der Bestand der Forschungsbibliothek Gotha zeigen, deren bei weitem größte Bestandssegmente aus Aleppo und Kairo stammen. Obwohl in der gleichen Zeit durch den gleichen Reisenden, Ulrich Jasper Seetzen (1767–1811), ange- kauft, stammen fast alle dokumentierten Stiftungen in Gotha aus Kairo. Mehr noch: fast alle diese Stiftungen waren, soweit datiert oder datierbar, nur rela- tiv kurz in den Institutionen, für die sie bestimmtt waren, zu finden. Gotha A 1430 etwa wurde an die Moschee ʿUṯmān Katḫudās in al-Azbakīya (errich- tet 1147 / 1734) gestiftet und 1807 von Seetzen erworben. Allein sechs seiner Erwerbungen waren einst an die Azhar gestiftet, davon sind drei Stiftungen auf nach 1154 / 1741 (A 1046), 1171 / 1757–58 (Gotha orient. A 757) und sogar erst 1213 / 1798–99 (Gotha orient. A 551) datierbar. Insgesamt kann vielen Stiftungen aus dem 18. Jahrhundert durch den Ankauf Seetzens zwischen 1807 und 1809 jeweils ein schnelles Wiederauftauchen auf dem Buchmarkt zuge- wiesen werden. Hier können die politischen Unruhen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gipfelnd in der Besetzung des Landes durch eine französi- sche Expedition unter Napoleon in 1798, als Ursache vermutet werden. Diesen Zusammenhang beschreibt auch Seetzen Ende 1808 in seinem Tagebuch über die von ihm besuchte Moschee al-Azhar:

Vorhin hatte überdies jeder Saal seine besondere Bibliothek; allein bey der Invasion der Franzosen und nach dem Aufruhr in Kahira sollen die mei- sten verloren gegangen seyn, und die Studenten glauben, dass man sie zer- rissen und verbrannt habe. Allein da ich unterschiedliche Manuscripte aus dieser Moschee bey Privatpersonen und unter andern bey einem mohammedanischen Buchhändler fand, wovon ich viele kaufte: so ver- muthe ich, dass die Mohammedaner selbst bey dieser Gelegenheit mehr raubten, als die französischen Soldaten, und dass man noch eine Menge davon versteckt bey hiesigen Bürgern antreffen dürfte.80

Die enge Verknüpfung der Geschichte einer Sammlung mit den politischen Schicksalen ihrer Stifter und des Landes gilt auch für die am besten unter- suchte ägyptische Stiftungsbibliothek der Epoche. Im selben Jahr (1188 / 1774) wie die Rifāʿīya in Syrien wurde in Ägypten diese weitaus umfangreichere Bibliothek durch den šaiḫ al-balad Muḥammad Bey Abū Ḏahab ins Leben

80 Seetzen: Reisen III, S. 379–380. Die Umwelt der Rifāʿīya 153 gerufen. Ihre etwa 2.000 Bände81 waren Teil eines monumentalen Komplexes der die Architektur eines ganzen Kairiner Viertels von Grund auf umgestal- tete. Abū Ḏahab war erst kurz zuvor, nach einer 1772 gescheiterten Revolte sei- nes Vorgängers ʿAlī al-Kabīr gegen die osmanische Oberhoheit über Ägypten, an die Macht gekommen,82 die er bis zu seinem Tod 1775 wiederum nur kurz in den Händen halten konnte. Danach war auch der so großzügig ausgestat- tete waqf den Angriffen und Begehrlichkeiten nicht zuletzt seiner engsten Vertrauten ausgesetzt. Innerhalb nur eines Jahres sollen die Erträge der haupt- sächlich Madrasa und takīya finanzierenden Stiftungen bereits umgeleitet wor- den und beide praktisch nicht mehr in Betrieb gewesen sein.83 Wie lange es in der Madrasa noch eine funktionierende Bibliothek gegeben hat, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. In den 1840er Jahren berichtet der englische Reisende Andrew Archibald Paton nur noch in der Vergangenheit, „[t] mos- que of Mohammed Bey had eleven hundred volumes (. . .).“84 Ein undatierter, jedoch vor 1850 entstandener Katalog der Bibliotheken der Azhar sowie ihrer benachbarten Institutionen – besonders der beiden Madrasen Muḥammad Bey Abū Ḏahabs und Ibn Šaiḫūns – listet insgesamt nur 1.099 Nummern,85 wel- che nicht nach den jeweiligen Sammlungen gegliedert sind.86 Will man die- ser Quelle Glauben schenken, so scheint die Bibliothek Abū Ḏahabs um 1850 keine namhaften Bestände mehr besessen zu haben. Einige der exquisiten Teile der Sammlung haben bei den Zeitgenossen gro- ßen Eindruck hinterlassen und zeigen, welche Investitionen Abū aḏ-Ḏahab in seine Bibliothek zu investieren bereit war. So förderte er den großen Gelehrten

81 Crecelius: The waqf, S. 69: „more than 2.000 individual volumes“. Tatsächlich zählt die Übersicht ebd., S. 70 aber nur 671 „copies“ in 1.004 „volumes“ auf, was ich mir dadurch erkläre, dass letztere eben nur einen Überblick über die anhand des Kataloges thematisch identifizierten Bücher gibt und auch etwa Sammelwerke auslässt. 82 Diese Macht war die faktische Macht des militärisch stärksten Mamluken, gegen den die weiterhin von der Zentralregierung in Istanbul entsandten Gouverneure in den Hintergrund treten mussten. 83 Crecelius: The waqf, S. 71. 84 Paton: A history, Bd. II, S. 247. Die verschiedenen Referenzen auf einen „makhzanjī“, wel- che Crecelius: The waqf, S. 73, als Beweis für das Fortbestehen der Bibliothek auffasst, kann ich nicht so interpretieren. Der Titel eines Bibliothekars lautete auch in Ägypten anders, ein maḫzan scheint eher ein Lager als eine Büchersammlung (ḫizāna) zu sein. 85 Vielleicht war diese Nummer die Quelle für Paton? Dieser hatte seinen Bericht erst 1863 drucken lassen, also nach Erscheinen des VII. Bandes von Ḥāǧǧī Ḫalīfa (1858), den er somit rezipiert haben könnte. 86 Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf, Bd. VII, S. 3–22. 154 kapitel 2

Murtaḍā az-Zabīdī (1145 / 1732 – 1205 / 1791)87 und erwarb das Manuskript sei- nes monumentalen lexikalischen Werkes Tāǧ al-ʿArūs für 100.000 Dirham!88 Insgesamt bot die Bibliothek jedoch keine inhaltlichen Überraschungen. Naturwissenschaften etwa waren praktisch nicht vertreten. Bemerkenswerte Charakteristika Ägyptens und speziell Kairos waren also ein allem Anschein nach reges Stiftungswesen im 18. Jahrhundert, dabei aber verbunden mit prekären Überlebenschancen potentiell bedingt durch politi- sche und gesellschaftliche Instabilität am Ende des 18. Jahrhunderts. Besonders gegenüber der Situation in Istanbul fällt die traditionelle Anbindung der Bibliotheken an eine Lehrinstitution auf. Dieser letzte Befund deckt sich aller- dings vollkommen mit der im Folgenden zu skizzierenden Situation im osma- nischen Syrien.

2.3.1 Die Stiftung eines Rechtsgelehrten: Die Aḥmadīya von Aleppo Auch Aleppo erlebte im 18. Jahrhundert die Gründung zweier bedeutender öffentlicher Bibliotheken.89 Zuerst errichtete 1142 / 1729–30 der Gouverneur ʿUṯmān Bāšā ad-Dūrkī mit der nach ihm benannten Madrasa al-ʿUṯmānīya die größte und architektonisch anspruchsvollste Lehranstalt der Stadt, ja nach Meinung einiger Quellen sogar ganz Syriens.90 Teil dieser Stiftung war auch eine wertvolle Bibliothek, von der wir aber nicht viel mehr wissen, als dass sie bald durch die Unachtsamkeit der Verwalter stark dezimiert worden sein soll. Diese Verwalter sollen, entgegen dem ausdrücklichen Stifterwillen, bedenken- los Bücher sogar an Ortsfremde verliehen haben. Einmal soll einem Student ein besonders wertvoller, reich vergoldeter Korankommentar des Baiḍāwī mit auf sein direkt an die Straße grenzendes Zimmer gegeben worden sein. Der Student ließ es auf der Fensterbank liegen und ein Passant konnte das Werk einfach mitnehmen.91 Ganz anders sah das Schicksal der etwa zwei Jahrzehnte später ins Leben gerufenen Aḥmadīya-Bibliothek aus.92 Sie gehörte noch nach dem Untergang

87 Vgl. Reichmuth: The world. 88 Vgl. Crecelius: The waqf, S. 69; Reichmuth: The world, S. 91. 89 Eine ganze Reihe weiterer Namen, von denen wir allerdings kaum mehr wissen, als dass sie im 12. / 18. Jahrhundert in unbekannter Größe existierten, zählt QaṬāya: al-Maktabāt fī Ḥalab, S. 182–183, auf. 90 TabbāḪ: Iʿlām III, S. 264; QaṬāya: al-Maktabāt fī Ḥalab, S. 196–198. 91 TabbāḪ: Iʿlām III, S. 264. 92 Ebd., V, S. 69–78; hauptsächlich darauf aufbauend QaṬāya: al-Maktabāt fī Ḥalab, S. 184– 191; auch Marcus: The Middle East, S. 238, projiziert die späteren Zahlen von Ṭabbāḫ auf das 18. Jahrhundert zurück. Zur Madrasa auch Knost: Die Organisation des religiösen Raums, S. 238. Die Umwelt der Rifāʿīya 155 des Osmanischen Reiches zu den besten Bibliotheken Syriens. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Familie des Stifters Aḥmad efendī Ṭāhā- zāda auch weiterhin eine starke lokale Machtposition innehatte. Dessen, Sohn Muḥammad efendī Ṭāhā-zāda (gest. 1786), entwickelte sich zu einer der reichsten, mächtigsten, wohl auch korruptesten Persönlichkeiten der Stadt.93 Gestiftet hatte die Bibliothek Aḥmad efendī Ibn Ṭāhā-zāda, bekannt als al-Ǧalabī (etwa 1110 / 169994 – 1177 / 1763),95 ein weit gereister Gelehrter, der seine Posten als Richter von Jerusalem (1159 / 1746 – 1161 / 1748) und Bagdad (1163 / 1750 – 1164 / 1751) dazu genutzt haben soll, eine besonders wertvolle Büchersammlung aufzubauen. Im Jahr 1165 / 1752 begann er mit dem Bau einer nach ihm benannten Madrasa und aus dem Jahr 1166 / 1753 datiert bereits der erste Katalog der ebenfalls gestifteten Bibliothek. Zur rechtlichen Absicherung der Bücherstiftung bediente sich auch Aḥmad Ṭāhā-zāda des bei den Ḥanafiten üblichen Scheinprozesses.96 Bereits bei ihrer Gründung erregte die neue Schule mit ihren Büchern die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen. So berichten die Brüder Patrick und Alexander Russell, als Ärzte der englischen Kolonie in der Stadt angeschlos- sen, in ihrer Natural History of Aleppo über den Neubau: „About the year 1765 [sic.!],97 a new Middrase was built by Ahmet Effendee, near the Mosque of his brother Omar Effendee. He had collected a number of books at a considerable expense, which he intended for the library.“98 Um 1805 weiß dann der deutsche Reisende Ulrich Jasper Seetzen, dass in dieser Bibliothek eines von nur zwei in Aleppo vorhandenen Exemplaren des großen bibliographischen Lexikons Kašf aẓ-ẓunūn Ḥāǧǧī Ḫalīfas (1017 / 1609 – 1067 / 1657) zu finden sei. „Diese Bibliothek“, berichtet er, „ist ein Waqf oder Fideicommiss und wird von den Ölemá fleissig besucht.“99 Ihm selbst als Nicht-Muslim sei freilich der Zutritt zu den Bibliotheken der Madrasen und Moscheen versagt.

93 Marcus: The Middle East, S. 83–84. 94 Dieses Datum rekonstruiert Ṭabbāḫ aus der im Jahr 1130 / 1718 überlieferten Heirat Ṭāhā-zādas. 95 TabbāḪ: Iʿlām V, S. 69–78; Wilkins: The self-fashioning, speziell zur Bibliothek S. 400–411. 96 Éche: Les bibliothèques, S. 305ff. Er gibt allerdings das Datum dieses Prozesses nicht an. 97 Februar 1765 ist tatsächlich das Datum der dritten und letzten Stiftung für diese Madrasa, deren Umfang den Stiftungsakt im Gericht jedoch zu einem außergewöhnlichen öffent- lichen Spektakel unter Beteiligung und Anteilnahme vieler Notabeln der Stadt machte, was die Russells wiederum beeindruckt haben dürfte; vgl. Wilkins: The self-fashioning, S. 394. 98 Russell: Natural History II, S. 94. 99 Seetzen: Tagebuch eines Aufenthalts in Aleppo, S. 249. 156 kapitel 2

Im Jahr 1841 erlangte der englische Reisende Andrew Archibald Paton den- noch Einblick in die Bibliothek und berichtet ausführlich über seine Eindrücke:

In Aleppo gibt es zwei öffentliche Bibliotheken: die eine gehört zur Osmanieh Moschee, die andere zu einer Lehranstalt, genannt Ahmedieh, und heißt manchmal die Bibliothek des Tschelebi Efendi. Ich besuchte die letztere, die unter der Aufsicht des Omar Effendi steht, eines Urenkels des Gründers. Als ich bei ihm durch einen gemeinschaftlichen Freund eingeführt wurde, fand ich ihn in seinem Selamlik sitzen (so nennen die Aleppinen nach türkischer Manier das Sprechzimmer); er beklagte sich daß er beinahe ganz sein Gesicht verloren habe, obwohl seine Augen kein ungewöhnliches Aussehen hatten. Ein ungeheurer Schlüssel wurde her- beigebracht, und wir traten in das Seminarium. Im ersten Hofe waren die Grabmäler des Gründers und seiner Familie. Der innere Hof war mit einer Arcade umgeben, die mit Matten bedeckt war, wo bei gutem Wetter die Lectionen gegeben werden, sowie im Winter in anstoßenden Zimmern. Eine Marmorfontäne nahm den Mittelpunkt des Hofes ein. Wir nahmen unsre Schuhe ab und traten in eine kleine Moschee und von da durch ein inneres Gemach kamen wir an die Thüre und den Vorhang der Bibliothek. Diese Thüre ist für den Liebhaber von Arabescenschnitzerei in Holz eine große Merkwürdigkeit, indem jedes Fach des Gitters in der Zeichnung von dem nächsten abweicht. Es ist dies die beste Bibliothek in Syrien, möge aber der geneigte Leser sich keine Bodleiana oder biblio- thèque du Roi100 darunter denken; sie würde eher für die dämmerige Arbeitsstube eines Gerichtsmanns von Lincolns Inn gelten. An den Mauern eines Zimmers von gewöhnlicher Größe101 waren starke Schränke ange- bracht, worin die Bücher sich befanden, nicht aufrecht aufgestellt, sondern flach auf einander liegend, indem die Titel in großen Charakteren mit Dinte auf den Bücherschnitt geschrieben waren.102

Aber nicht nur Bücher standen den Lesern der Bibliothek zur Verfügung. Aḥmad Ṭāhā-zāda stellte laut der Stiftungsurkunde auch „seltene astronomi- sche Geräte (al-ālāt al-falakīya an-nādira)“103 in der Bücherkammer auf, über

100 Beide Bibliotheken hatten zu diesem Zeitpunkt bereits weit größere Bestände arabischer Handschriften. 101 Im publizierten Katalog (Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 30), heißt der Bücherraum „ḥuǧrat al-kutub“. 102 [Paton]: Die heutigen Syrier, S. 173–174. 103 ṬabbāḪ: Iʿlām V, S. 70. Die Umwelt der Rifāʿīya 157 die sich aber Paton weniger begeistert zeigt: „In der Ecke des Zimmers waren ein paar altfränkische englische Globen mit einem Zettel, auf welchem stand daß sie unter dem Zeichen des Atlas und Herkules in der Poultry zu London verkauft wurden.“104

Als ich den Aufseher fragte wo das Lesezimmer sey, wies er auf die Arcaden des Vierecks, durch das wir geschritten waren. Ich erkundigte mich, ob sich viele Leser fänden, aber die Antwort ließ nicht auf viel lite- rarischen Sinn der Aleppiner schließen. ‚Einige Wochen werden wir um Bücher angegangen, oft aber liegen sie wochenlang ungestört auf ihren Gesimsen.‘

Nach dem Aleppiner Historiker Ṭabbāḫ lag dies am Ende des 19. Jahrhunderts allerdings sowohl daran, dass der Aufseher, entgegen den Bestimmungen des Stifters, keine geregelten Öffnungszeiten garantierte, sondern den Schlüssel einem Moscheebediensteten übergab, damit dieser auf Anfrage den Bücherraum öffne.105 Zum anderen gab es auch bis an das Ende der osma- nischen Zeit keine modernen Kataloge der Bestände. Ṭabbāḫ hätte solche durchaus anfertigen wollen, sei aber vom Verwalter (qaiyim) immer wieder mit leeren Versprechungen hingehalten worden. Eben dies ist auch ein halbes Jahrhundert vorher bereits Paton passiert: „Man versprach mir einen Katalog der Bücher dieser Bibliothek, wofür ich den Abschreiber freigebig zu entschä- digen zusagte; obwohl ich mich später öfters darnach erkundigte, kam er doch nie zum Vorschein.“106 Über die ursprünglich gestifteten Inhalte der Aḥmadīya sind wir jedoch durch einen 1173 / 1759–60, also noch zu Lebzeiten des Stifters, ange- fertigten Katalog, den Gustav Flügel im Anhang seiner Edition des Kašf aẓ-ẓunūn ediert hat, sehr gut unterrichtet. Die thematisch gegliederte Aufstellung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Tradition: 52 Bände; Sprachwissenschaften: 51; Recht: 50; sonst. Religion (Theologie, Dogmatik, Gebete): 42; Koran und Koranwissenschaften: 41; Literatur und Geschichte: 14;

104 Auch noch QaṬāya: al-Maktabāt fī Ḥalab, S. 182 beschreibt das zu seiner Zeit immer noch erhaltene Astrolabium und die beiden englischen Globen (kurratān qadīmatān) unter den größten Schätzen der Bibliothek. Eine italienische Expertin habe ihm mitgeteilt, dass es in europäischen Museen kaum noch etwas Vergleichbares gäbe. 105 ṬabbāḪ: Iʿlām V, S. 76. 106 [Paton]: Die heutigen Syrier, S. 173–174. 158 kapitel 2

Naturlehre: 7; Logik: 6; persische und türkische Werke: 6.107 Wie in den fol- genden Beispielen noch zu sehen sein wird, ist die Zusammenstellung mit ihrer fast ausschließlichen Ausrichtung auf die Religionswissenschaften nicht erstaunlich. Die Traditionsstudien führen das Feld an, der sehr große Bestand an Sprachwissenschaft ist aber keineswegs einem schöngeistigen Unterricht geschuldet, sondern bildet vielmehr traditionell die Grundlage zur grammatischen und lexikalischen Erschließung der ersten Gruppe. Einige Überraschungen kann aber auch das kleine literarisch-geschichtliche Feld bie- ten, wo sich ein Werk über Musik neben persischen und türkischen Chroniken und Diwanen findet. Letztere könnten auf den breiten Horizont des weit gerei- sten Stifters deuten, sind aber auch in der kosmopolitischen Handelsmetropole Aleppo kein ganz unerwarteter Fund. In sehr vielen Fällen sind hier, wie auch in den anderen mir zur Verfügung stehenden Katalogen, von größeren Werken, auch Standardwerken, nur einzelne Teile oder Bände angegeben. Dies könnte zeigen, wie sehr die Zusammenstellung auch einer gut ausgestatteten Einrichtung wie der Aḥmadīya von der bloßen Verfügbarkeit auf dem Buchmarkt abhängig war. Die Bestandsentwicklung der Bibliothek ist erstaunlich, da sie zur Zeit aṭ-Ṭabbāḫs am Beginn des 20. Jahrhunderts noch fast vollständig erhalten gewe- sen sein soll. Statt der 269 Werke, welche der Katalog auflistet, spricht Ṭabbāḫ aber sogar von etwa 3.000 Büchern in der Aḥmadīya, was also den Umfang gegen Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt!108 Da Aḥmad Ṭāhā- zāda nach Abfassung des Kataloges noch einige Jahre lebte, könnte er seine Bibliothek durchaus noch selbst weiter bedacht haben. Denkbar ist auch, dass die persönliche Bibliothek des Stifters nach dessen Tod in die Sammlung seiner Madrasa übernommen wurde, wie das bei Rāġıb Bāšā in Istanbul offenbar der Fall gewesen war.109 Auch spätere Generationen können die Stiftung natürlich bereichert haben. Dass es spätere Additionen gab, legt der Bericht über einen der wenigen bekannten bedeutenden Verluste der Bibliothek nahe. So soll ein

107 Meine thematischen Gruppierungen beruhen auf den folgenden Überschriften bei Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 31–37: Koranexegese: 37; Koranlesung: 4; Tradition: 52; Gebete: 1; Rechtsgrundlagen: 12; Recht: 36; malikitisches Recht: 2; Dogmatik: 19; Mystik: 12; Sprache 10; Grammatik: 26; Flexion: 15; Logik: 6; adab: 6; Geschichte: 8; Naturlehre: 1; Astronomie: 3; Zahlen- und Buchstabensymbolik: 7; Persisch und Türkisch: 6; Zukunftsvorhersage: 3; Chemie / Alchemie: 2; Arithmetik: 1. 108 ṬabbāḪ: Iʿlām V, S. 70. Marcus: The Middle East, S. 238, scheint irrigerweise von dieser Passage auszugehen, wenn er schreibt, die Aḥmadīya hätte bei ihrer Stiftung 3.000 Bände besessen. Nach Anameric / Rukanci: Libraries, S. 147, wurden 1467 Bücher gestiftet (ohne Quelle!). 109 Sievert: Zwischen arabischer Provinz und Hoher Pforte, S. 411. Die Umwelt der Rifāʿīya 159

äußerst wertvolles Manuskript der Genealogie Baḥr al-ansāb zur Kopie an Abū l-Hudā aṣ-Ṣaiyādī (1850–1909) in Konstantinopel verschickt worden sein, der es nicht wieder zurück gab.110 Dieser Titel findet sich im ursprünglichen Katalog jedoch noch nicht. Dass die Sammlung bereits zur Zeit der Rifāʿīya solche für syrische Verhältnisse gewaltigen Ausmaße angenommen haben sollte, scheint der nüchterne Bericht Patons von 1841 allerdings nicht nahezulegen.

2.3.2 Militärs und Politiker Wenn man über große öffentliche Stiftungsbibliotheken in der Levante redet, sollte man in osmanischer Zeit wohl hauptsächlich an die politisch-militäri- sche Elite denken. Finanzielle Mittel, politisches Durchsetzungsvermögen – etwa im Falle von notwendigen Konfiskationen für die Bauten von Madrasen und Moscheen – als auch das offensichtliche Bedürfnis nach einer öffentlichen Darstellung ihrer guten bzw. Verschleierung etwaiger schlechter Taten kamen in ihrem Fall vielleicht in einer besonders günstigen Konstellation zusammen. Der Aspekt propagandistischer Selbstdarstellung scheint zumindest in der Tatsache durch, dass Gouverneure immer wieder ihre eigenen Moscheen und Madrasen gründeten, anstatt ältere Anstalten mit neuen Stiftungen zu berei- chern oder vor dem Verfall zu bewahren.

2.3.2.1 Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār und seine Madrasa an-Nūr al-Aḥmadīya in ʿAkkā Einen direkten Bezug zur Rifāʿīya kann eine herausragende levantinische, genauer palästinensische Sammlung des späten 18. Jahrhunderts aufweisen. Denn aus ihr hat zumindest ein Manuskript (Vollers 118), und zwar ohne sein Dasein als Gouverneursstiftung lange genießen zu dürfen, den Weg in die ganz anders geartete Familienstiftung der Rifāʿīs gefunden. Es entstammte der Bibliothek eines Mannes, dessen Name für arabische Chronisten wie europä- ische Reisende zum Inbegriff des orientalischen Despotismus geworden ist, Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār (gest. 1219 / 1804).111 Ǧazzār war auf politischer und militärischer Ebene für seine Brutalität gefürchtet und als erster Bezwinger von Napoleon bei dessen Versuch einer Invasion in Palästina bewundert, auf wirtschaftlicher Ebene für seine Monopolpolitik, die er mit eben dieser Brutalität durchsetzte, bekannt. In seinem Herrschaftsgebiet machte er die Gesetze und sowohl dort als auch in den Gegenden, die er in kriegerischer Absicht durchzog, waren Plünderungen

110 ṬabbāḪ: Iʿlām V, S. 76. 111 BaiṬār: Ḥilyat al-bašar I, S. 127–132; ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 38–43. Mišāqa: Murder, Mayhem, Pillage, and Plunder, S. 13–16, 53. Philipp: Acre, S. 48–61. 160 kapitel 2 und Raub nach vielen Informanten ebenso an der Tagesordnung wie Folter, Verstümmelung und Mord. Die ubiquitären Menschen mit abgeschnittenen Nasen und Ohren oder ausgestochenen Augen in ʿAkkā sind ein immer wie- derkehrender Topos in den Beschreibungen von Reisenden in al-Ǧazzārs Territorien. Über die so feingeistige Fürsorge des Gouverneurs um die Errichtung einer der besten Bibliotheken der Region schweigen sich die Chronisten hinge- gen aus, seine Biographen erwähnen die bedeutende Einrichtung nicht. Angeblich blieb sich der harte Militär aber auch in der Sphäre der Bücher in gewisser Weise treu. Es verwundert nach dem geschilderten Charakterbild nicht, wenn Ǧazzārs Bibliothek ein Produkt von Raub und Plünderung gewe- sen sein soll. Der französische Reisende Volney (1757–1820) berichtet explizit von der Bibliothek des Klosters Dair al-Muḫalliṣ bei Sidon / Ṣaidā welche von al-Ǧazzār geplündert wurde.112 Für ihn, der die Gegend 1783 bereiste, passierte dies „etwa vor acht Jahren“, also um 1775 und somit am Beginn von al-Ǧazzārs Regierung in ʿAkkā. Und vielleicht können wir in eben dieser geplünder- ten Klosterbibliothek daher den Kern von Aḥmad Bāšās Sammlung sehen. Interessanterweise befanden sich unter den Werken dieses Klosters auch Druckschriften. Und natürlich wird ein wichtiger Teil des Bestandes einer sol- chen christlichen Institution aus explizit christlichen Texten bestanden haben. Ob al-Ǧazzār hier eine Auswahl traf oder treffen ließ, entzieht sich unserer Kenntnis. Volney hatte die Bibliothek jedoch nicht selbst gesehen, er gibt viel- mehr den Eindruck zweier Augenzeugen wieder. Nach diesen sollen sich nicht mehr als 300 Bände in der Madrasa befunden haben.113 Mit Charles Lewis Meryon (1783–1877) gibt ein weiterer europäischer Reisender, der zeitweilige Leibarzt der schillernden Lady Hester Stanhope (1776–1839), nur eine einzeilige Notiz der “most splendid library, collected by El Gezzàr,“114 wobei es recht wahrscheinlich ist, dass er sie bei seinem Besuch in ʿAkkā um 1820 nicht selbst gesehen hat. Seine exzentrische Auftraggeberin Lady Hester hingegen durfte die Sammlung besichtigen und ist in einem Brief etwas weniger schmallippig: „I was even admitted into the library of the famous mosque, and fumbled over the books at pleasure – books that no Christian dare to touch, or even cast his eyes upon.“115 Mit dieser dramatischen Einschätzung lag Lady Hester aber wohl nicht ganz richtig. Bereits 1787 konnte der schwedi- sche Orientalist und spätere Diplomat Johan David Åkerblad (1763–1819) die Bibliothek der Moschee für seine Studien nutzen, wenn er wohl auch nicht so

112 Volney: Travels II, S. 449. 113 Ebd. 114 [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope, vol. I, S. 262. 115 Ebd., vol. II, S. 35. Die Umwelt der Rifāʿīya 161 einen privilegierten Zugang gehabt haben dürfte wie die englische Reisende, welche allgemein für eine mächtige englische Prinzessin gehalten wurde.116 Spätere Berichte in arabischen Quellen beruhen auf mündlich überlieferten Nachrichten und lassen die von Ǧazzārs Truppen geplünderten Bibliotheken offenbar auf phantastische Weise anschwellen. So sollen nach einer bedeuten- den Schlacht – nämlich der von Bārūn117 im Jahr 1195 / 1781 oder nach ande- ren Quellen 1209 / 1794–95 – im Norden Palästinas die reichen Bibliotheken der geschlagenen Koalition regional bedeutender Familien in die Hände von al-Ǧazzārs Truppen gefallen sein. Darunter soll als eine der prächtigsten die Sammlung der Familie al-Ḫātūn – genauer Mahdī Ḫātūn – alleine 4.000 Bände enthalten haben. Mag schon diese Größe verwegen erscheinen und die Zahl stark an die in historischen Berichten zu Bibliotheken oft gebrauchten sym- bolischen Nummern erinnern,118 so ist es erst recht die Versicherung, die ins- gesamt erbeuteten Handschriften hätten den Öfen ʿAkkās drei Tage lang als Brennmaterial gedient, bevor al-Ǧazzār einen kleinen Teil seiner Moschee und Madrasa stiftete.119 Zum ersten Mal greifbar wird die Bibliothek für uns im Jahr 1196 / 1782, als mit einer heute in Damaskus aufbewahrten Handschrift und drei der bis heute in ʿAkkā verbliebenen Bänden die frühesten der bisher identifizierten Reste der Sammlung gestiftet wurde. Dies geschah also nur sieben Jahre nach al-Ǧazzārs Machtübernahme im Jahr 1775. Gleichzeitig ist es etwa das Jahr, in dem die Informanten des französischen Reisenden Volney die Bibliothek gesehen haben wollen. Diese berichteten nur von etwa 300 Bänden, allerdings haben sie die Bibliothek auch nur in ihrer frühesten Entwicklung kennenge- lernt, nämlich irgendwann vor 1783 und damit lange vor der „Schlacht von Bārūn“, welche ja den Bestand ganz entscheidend erweitert haben soll. Auch der große Bibliotheksstempel, wie er etwa in der Rifāʿīya-Handschrift Vollers 118 zu sehen ist, stammt aus späterer Zeit, genauer dem Jahr 1205 / 1790. Dies bedeutet aber nicht, dass das Buch der Rifāʿīya sich nicht auch vorher bereits in der Bibliothek Ǧazzārs befunden haben könnte. Auch 300 Bände wären in

116 Vgl. Thomasson: The life of J. D. Åkerblad, S. 79. 117 Ich möchte hier einen Druckfehler vermuten und statt des mir unbekannten Bārūn den Ort Bārūk im libanesischen Šūf erkennen. 118 Vgl. zu diesen symbolischen, auf Exponenten von 4 und 7 aufgebauten Zahlen und ihre Rolle Hirschler: The written word, S. 128–129. 119 Ḍāhir: Ṣilat al-ʿilm baina Dimašq wa-Ǧabal ʿĀmil, S. 352. Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al- kutub III, S. 1033. Dī Ṭarrāzī beruft sich bei seinen offensichtlich altbekannte Topoi repro- duzierenden Aussagen nur auf mündliche Auskunft durch Aḥmad ʿĀrif az-Zain, Besitzer der Zeitschrift al-ʿIrfān, also mehrere Generationen nach den Ereignissen. 162 kapitel 2 dieser Zeit freilich eine beachtliche Sammlung gewesen und über den Wert der einzelnen Handschriften sagt diese nackte Zahl natürlich nichts aus. Die Größe von Ǧazzārs Bibliothek mag Volneys Informanten nicht beein- druckt haben. Aber der bis heute identifizierte Bestand von 17 in der ganzen Welt verstreuten Handschriften120 sowie fünf in ʿAkkā verbliebenen Bänden121 spricht für eine nach zeitgenössischen Maßstäben zumindest sehr wertvolle Sammlung. Der wichtigste Textzeuge des Fihrist von Ibn an-Nadīm (Dublin CBL Ar 3315), eine sehr frühe und prächtige Kopie, war einst im Besitz des Historikers al-Maqrīzī (gest. 855 / 1442), dessen berühmte Topographie Kairos, die Ḫiṭaṭ, al-Ǧazzār, zumindest in einem von ursprünglich zwei Bänden, eben- falls stiftete (Princeton Garrett Collection 3516). Weitere Geschichtswerke waren die Biographiensammlung Wafayāt al-aʿyān von Ibn Ḫallikān (608 / 1211 – 681 / 1282; Princeton Mach 4620 / Garrett 3415 Y), der Bericht über die osmanische Eroberung des Jemen (al-Barq al-yamānī fī l-fatḥ al-ʿuṯmānī; London BM Or. 1183) oder die – interessanterweise schiitische! – Version der frühislamischen Eroberungszüge al-Futūḥ von Muḥammad b. ʿAlī Aʿṯam al-Kūfī (gest. ca. 314 / 926; Dublin CBL Ar. 3272). Ob der kriegerische Inhalt dieser beiden letzteren Werke ein Charakteristikum der Bibliothek des zeit- lebens aktiv an Krieg und Eroberung beteiligten Aḥmad al-Ǧazzār war, kann noch nicht mehr als interessante Spekulation sein. Die Studenten konnten auch schöngeistigere Literatur, etwa eine Maqāma des mamlukenzeitlichen Autors Aḥmad Ibn ʿĀqil im Autograph (Princeton Garrett 4691) ebenso lesen wie Taqī ad-Dīn at-Tamīmīs (gest. 1010 / 1601–02) im Jahr 1043 / 1633 vom

120 Beirut AUB MS 920.05 I65bA; Berlin Landberg 9 (1197 / 1782–83); London BM Or. 1183, 1206 (1197 / 1782–83), 4706 (1199 / 1784–85); Princeton, Garrett Collection 2996Y, 3415Y, 3516Y, 3959Y, 4691Y; Damaskus Ẓāhirīya 11008 (1196 / 1781–82); Dublin CBL Ar. 3236, 3272, 3294, 3315, 3316; Leipzig Vollers 118. 121 Die nur 54 in der Nūr Aḥmadīya bzw. Ǧazzār-Moschee ʿAkkā aufbewahrten Handschriften sind mithilfe der Digitalisierung durch das Endangered Archives Programme konsultier- bar (http://eap.bl.uk/database/results.a4d?projID=EAP 399). Die durchweg vollkommen fehlerhaften und unsystematischen Informationen der Katalogisatoren geben keine Originalsignatur an, die es vielleicht nicht gegeben haben wird. Nach den Signaturen der Digitalisierung handelt es sich bei Ǧazzārs Stiftungen um die Nummern EAP 399/1/2 (gestiftet 17. Muḥarram 1197), EAP 399/1/3 (gestiftet ḎḤ 1196), EAP 399/1/14, EAP 399/1/34 (gestiftet 20. ḎḤ 1196), EAP 399/1/56 (gestiftet 21. Šauwāl 1196). Allgemein scheinen nur die weniger wertvollen, sehr jungen Kopien in ʿAkkā verblieben zu sein. Der größte Teil des heutigen Bestandes der Moschee-Bibliothek wurde dagegen am Ende des 19. oder dem Beginn des 20. Jahrhunderts gestiftet, auch vom Damaszener Ṭāhir al-Ǧazāʾirī, der demnach nicht nur für die Einrichtung der Ẓāhirīya in Damaskus Sorge trug. Die Umwelt der Rifāʿīya 163

Abb. 23 Auch diese wichtige Handschrift von Ibn an-Nadīms Fihrist wurde durch Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār an seine Madrasa gestiftet. Dublin, Chester Beatty Library Ar 3315, fol. 1r. © The Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin 164 kapitel 2 bekannten ­ägyptischen Arzt Madyan al-Qūṣūnī (969 / 1562 – nach 1044 / 1634)122 in Auftrag gegebene Biographiensammlung hanafitischer Rechtsgelehrter aṭ-Ṭabaqāt as-sanīya fī tarāǧim as-sāda al-ḥanafīya (Berlin Landberg 9) oder den Dīwān des frühislamischen Dichters Ǧarīr (London BM Or. 1206). Diese und alle anderen gefundenen Handschriften sind sorgfältige und teilweise prächtige Kopien oder sogar Autographen. In keiner von ihnen konnte ich eine Spur der oben beschriebenen Plünderungen finden, also einen Hinweis auf einen der genannten Vorbesitzer. Inhaltlich lassen sich die Werke in die Kategorien Tradition, Glaubenslehre, Grammatik, Prosaliteratur, Bibliographie und Geschichte einordnen. Allesamt waren nicht unüblich für die Bedürfnisse einer Madrasa. In dieser kleinen Zusammenstellung scheint sich dennoch ein ungewöhnlich starkes historisch-literarisches Interesse anzudeuten. Die nach ihrer mittelalterlichen Glanzzeit nunmehr recht kleine Siedlung ʿAkkā, welche im 18. Jahrhundert einen so kometenhaften Aufstieg vom Fischerdorf zu einem der bedeutendsten Häfen der Levante erlebte, sank bis 1830 wieder zu relativer Bedeutungslosigkeit herab. Die imposante Struktur der Nūr Aḥmadīya Madrasa mit ihrer ebenso imposanten Bibliothek sah sich sicherlich bald mit dieser Bedeutungslosigkeit konfrontiert, denn es ist unwahrscheinlich, dass sich eine größere Anzahl von überregionalen Studenten in der einstigen Handelsmetropole einfand und eine entsprechende Bibliothek benötigte. Die biographischen Lexika verzeichnen keine bedeuten- den Gelehrten, die an der Madrasa lehrten oder gelernt hatten, die wenigen heute identifizierten Handschriften fanden sich bald an anderen Orten wieder. Dennoch hat die Moschee mitsamt ihrer Bibliothek den Zeitläuften trotzen können. Sie existiert bis zum heutigen Tag im mittlerweile israelischen Akko und soll immer noch zumindest 87 Handschriften besitzen,123 deren Mehrzahl jedoch nicht der ursprünglichen Stiftung ihres Gründers angehört.

2.3.2.2 Exkurs: Gouverneursstiftungen Es hat sich zu Recht eingebürgert, den Besitz und die Organisation von Bildung und Gelehrsamkeit als Kapital auf einem nicht zuletzt sehr weltlichen Markt der Macht zu verstehen. Gouverneure wie Abū Ḏahab und Aḥmad al-Ǧazzār förderten eine Welt der Gelehrsamkeit, an der sie meist keinen aktiven Anteil hatten, deren Nutzen aber im gesellschaftlichen Diskurs über jeden – offen

122 MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 325–327, Nr. 1157; GAL II, S. 364; GAL S I, S. 826, S II, S. 492; Ziriklī: Aʿlām VII, S. 198; zur Frage des Stammbaums der Familie vgl. Veselý: Neues zur Familie al-Qūṣūnī, S. 440. Ein Autograph (datiert 1039 / 1630) befindet sich in der Rifāʿīya unter Vollers 764. 123 Ǧuʿba: Fihris maḫṭūṭāt, S. 24. Die Umwelt der Rifāʿīya 165 ausgesprochenen – Zweifel erhaben war. Als Stifter und Verwalter hatten sie Einfluss oder Entscheidungsgewalt über die Vergabe der Posten an bestimmte Gelehrte. Diese waren, etwa über Predigten, Preisgedichte oder die Vergabe von baraka, Vehikel auch der politischen Legitimation und hatten somit einen konkreten weltlichen Nutzen für jeden Herrscher. Nicht zuletzt scheinen die bei der Einrichtung einiger Lehranstalten und Bibliotheken zur Anwendung gekommenen Praktiken – Nötigung, Enteignung, Diebstahl – dem hehren Zweck der frommen Gabe oft geradezu diametral entgegen zu stehen. Jedoch sollte nicht übersehen werden, dass die Rechnung für Politiker und Militärs auch auf eine ganz andere Ebene zielen konnte. Machtstreben und aufrichtige Frömmigkeit müssen sich keinesfalls ausschließen. Gerade die Verstrickung in zweifelhafte weltliche Angelegenheiten könnte ein star- kes Bewusstsein für die Schuld hergestellt haben, die man mit Handlungen auflud, welche im Kontext des politisch-militärischen Überlebenskampfes zwar absolut notwendig und als wichtige soziale Praktiken – das verbreitete Trinken von Wein unter Militärs ist eine dieser Praktiken – kein Verstoß gegen gruppenspezifische Normen, jedoch im Feld der Religion eindeutig negativ zu werten waren. Und diese Schuld durch gute Taten auszugleichen war nicht einfach nur zynisch, es setzte auch einen aufrichtigen Glauben in den Wert der vollbrachten guten Taten, in diesem Fall also der Förderung von (religiöser) Bildung, voraus. Wie viel Einsicht in die gestifteten Inhalte bei jedem einzelnen Stifter vorhan- den war und wie groß sein jeweiliger Einfluss auf deren Zusammenstellung sein konnte, ist oft nicht mehr nachvollziehbar. Es gibt Berichte von Gouverneuren, die Analphabeten waren,124 wohingegen Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār immerhin des Lesens mächtig gewesen sein soll,125 während anderen sogar eine hohe Bildung nachgesagt wird.126 In vielen Fällen waren es aber wohl die Konventionen der religiösen Einrichtungen, welche die Inhalte mehr bestimmten, als ihre Stifter. Die hier vorgestellten Gouverneursstiftungen waren gekennzeichnet durch großes finanzielles Potential. So hoben sie sich gegenüber den ­meisten

124 Vgl. Russell: Natural History II, S. 91–92. 125 Ǧazzār soll auch ein Anhänger von Murtaḍā az-Zabīdī gewesen sein; vgl. Reichmuth: The world, S. 77. 126 In Damaskus wird für ʿAbdallāh bāšā al-Čitta čī / Ǧittaǧī (1115 / 1703–04 – 1174 / 1760–61) Gelehrsamkeit und eine Vorliebe für feine Kalligraphie hervorgehoben; vgl. Russell: Natural history II S. 92; Murādī: Silk I, S. 99–108. Gründliche Bildung wird auch ʿAbdallāh al-ʿAẓm bescheinigt; vgl. Seetzen: Reisen I, S. 281. Beispiele aus Ägypten von zahlreichen Gouverneuren des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, welche durch die Ausbildung in der Palastschule hohe Bildung genossen, bei Behrens-Abouseif: Egypt’s adjustment to Ottoman rule, S. 54. 166 kapitel 2

­anderen Bücherstiftungen oft schon dadurch hervor, dass sie nicht nur einen Bücherschrank, sondern die dazugehörigen Institutionen ins Leben riefen. Eine Ausnahme von dieser Regel werden wir in Asʿad al-ʿAẓm kennenlernen, der die Madrasa seines Vaters durch eine Stiftung ergänzte. Sie waren allerdings nicht sonderlich herausgehoben durch eine besondere Größe des Bestandes und zumindest im Kontext der osmanisch-arabischen Provinzen auch nicht durch Langlebigkeit.

2.3.3 Die Bibliothekslandschaft von Damaskus Auch in Damaskus gab es die skizzierten Formen der Gelehrten- und der Gouverneursstiftung. Ein reiner Bibliotheksbau in der Art Rāġıb Bāšās war hier, wie auch sonst außerhalb Istanbuls, jedoch nicht zu finden. Institutionell sah die osmanische Epoche Zeichen bemerkenswerter Kontinuität. Viele der noch während der gesamten osmanischen Herrschaft wichtigsten Bibliotheken wur- den bereits in mamlukischer oder gar früherer Zeit gegründet.127 Neue Impulse bekam die Bibliothekslandschaft dann vor allem im 18. Jahrhundert. Treibende Kraft mit gleich vier Stiftungen war dabei die Familie al-ʿAẓm. Doch eine Bibliotheksgeschichte kann nicht allein die Addition alter und neuer Sammlungen sein. Wie viele der für Damaskus in vorosmani- scher Zeit nachgewiesenen und den Studierenden zur Verfügung stehen- den Büchersammlungen in osmanischer Zeit und besonders im 18. und 19. Jahrhundert noch die Bibliothekslandschaft darstellten, neben und in der die Rifāʿīya existierte, und weiterhin in welchem Zustand diese noch existieren- den Bestände sich befanden, ist eine nur sehr schwierig zu beantwortende Frage. Die osmanische Eroberung ging für viele altehrwürdige Kollektionen in den arabischen Provinzen sicherlich mit einem großen Verlust an Büchern einher.128 Die Logik des neuen Machtungleichgewichtes machte auch und gerade vor den prestigeträchtigen Büchern nicht halt. Wie bereits bei frühe- ren Eroberungen und Plünderungen durch die Mongoleneinfälle bedeutete dies keinen vollkommenen Verlust.129 Auch geschah die Aneignung sicherlich

127 Zu den Bibliotheken von Damaskus in vorosmanischer Zeit vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 202–242; und Ghanem: Zur Bibliotheksgeschichte, passim (hauptsächlich basierend auf Éche ohne neues Material). 128 Für die osmanische Eroberung Ägyptens und den zeitgenössischen Bericht Ibn Iyās’ vgl. Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 242–243. Neuerdings wendet sich jedoch Erünsal: Fethedilen, explizit gegen den immer wieder zu lesenden Vorwurf der Plünderung regio- naler Bibliotheken durch die osmanischen Eroberer. 129 Zur Wiederlegung der oft behaupteten Zerstörung von Bibliotheken in eroberten Ländern durch die Mongolen vgl. Hirschler: The written word, S. 130. Die Umwelt der Rifāʿīya 167 nicht nur durch kriegsbedingte Gewalt. Die Entwicklung Konstantinopels zum imperialen Zentrum bedeutete eine enorme Anziehungskraft für Güter aus dem gesamten Reich und so wanderten auch Massen von Büchern auf ganz legalen Wegen in dessen Bibliotheken. Dies konnte etwa durch die Kaufkraft der Verwaltungselite um Gouverneure und Richter geschehen, welche in die Metropolen der arabischen Provinzen ausgeschickt wurden und die von ihnen erworbenen Luxusgüter wieder in die Hauptstadt brachten. Es gab aber tatsächlich auch unrühmliche Geschichten willkürlicher Plünderung. Am Beginn des Jahres 937 / 1530 berichtet Ibn Ṭūlūn davon, wie der osmanische Oberrichter von Damaskus eine systematische Durchsicht der für die Studenten gestifteten Büchersammlungen (ḫazāʾin al-kutub al-mauqūfa ʿalā ṭalabat al-ʿilm) vornahm – erwähnt werden zwei der Sammlungen, denen Ibn Ṭūlūn selbst als Bibliothekar vorstand, die ḫizānat Zain ad-Dīn Ibn al-ʿAinī, und die ḫizāna der Madrasa al-ʿUmarīya – und „er nahm sich daraus, was er wollte.“130 Dadurch sollen in der Folge nur noch die „Türken“ selbst und ihre Anhänger (illā li-ǧamāʿat al-Arwām wa-man yalūḏu bi-him) von diesen Büchern profitiert haben. Doch war es nichts vollkommen Unerhörtes, dass Eroberer die Ressourcen ihrer neu unterworfenen Länder für sich in Anspruch nahmen. Mit den von Ibn Ṭūlūn beschriebenen Übergriffen standen die neuen Herrscher in einer langen Tradition. Die großen Plünderungen, aber auch Brände und Erdbeben haben über die Jahrhunderte immer wieder riesige Verluste herbeigeführt. Aber was zerstört war, konnte wieder aufgebaut, was verloren war, konnte ersetzt werden. Doch die einheimischen Chronisten schreiben keine Bibliotheksgeschichten und die zahlreicher werdenden Verfasser von Reiseberichten aus dem Westen haben nur einen sehr beschränkten Zugang zu den Sammlungen, wie es noch in einer Zeit großen europäischen Einflusses der Missionar Porter bedauert.131 Demnach kann man wohl für jede existente Madrasa oder Moschee eine irgendwie geartete Büchersammlung annehmen, selbst wenn keinerlei litera- rische Quellen darüber Auskunft geben. Die šāfiʿītische Madrasa al-Bāḏrāʾīya etwa wurde durch ihren Stifter Naǧm ad-Dīn al-Bāḏrāʾī (597 / 1200–01 – 655 / 1257) mit einer reichen Bibliothek ausgestattet. Schon bald sollen jedoch „die Flügel des Verlustes damit in aller Herren Länder geflogen“ sein, wie es

130 Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 238–239. 131 Porter: Five years in Damascus I, S. 142: “Small libraries of manuscripts are attached to the more important of these schools; and here some rare and valuable works may often be found, though they are guarded with such extreme care that it is difficult to obtain access to them.” 168 kapitel 2

Badrān im 19. Jahrhundert poetisch ausdrückt.132 In seiner Zeit gab es zwar die Madrasa selbst noch, aber die Bücher waren verloren. Und da eine Bibliothek der Bāḏrāʾīya von Zaiyāt auch nicht unter den in die Ẓāhirīya übernommenen Beständen aufgeführt wird, könnte man annehmen, dass es sie in osmanischer Zeit einfache nicht mehr gegeben haben dürfte. Doch noch im 18. Jahrhundert wurde eine 1057 / 1647 von Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī angefertigte Kopie von Ibn Nubātas Sarḥ al-ʿuyūn fī šarḥ Risālat Ibn Zaidūn an diese Madrasa gestiftet.133 Mit der bloßen Addition von Bibliotheksnamen – wie es in den einschlägi- gen Darstellungen zur Bibliotheksgeschichte meist geschieht – ist freilich noch keine Beschreibung des intellektuellen Lebens geleistet, für welches diese Institutionen vielen Beobachtern stehen. Besonders im 19. Jahrhundert sollen sich die öffentlichen Stiftungsbibliotheken nach übereinstimmender Meinung von Reisenden und einheimischen Kennern in äußerst schlechtem Zustand befunden haben und ihrer bescheidenen Rolle nicht mehr gerecht gewor- den sein. „Es ist zu bedauern,“ findet etwa Alfred von Kremer in den 1840er Jahren, „dass gar keine Sorgfalt zur Aufbewahrung dieser Bücher verwendet wird.“134 Einen guten Überblick über die wichtigsten öffentlichen Bibliotheken der Stadt am Ende des Untersuchungszeitraumes bietet die von az-Zaiyāt zusammengestellte Liste der wichtigsten 1295 / 1879 durch die Initiative Ṭāhir al-Ǧazāʾirīs (1852–1920) und des Gouverneurs Midḥat Bāšā (1238 / 1822 – 1301 / 1884) in die Ẓāhirīya überführten Sammlungen. Alle von ihm erwähnten Stiftungen zusammengezählt gelangt man zu einem Bestand von 2363 Bänden in den wichtigsten öffentlichen Bibliotheken der Stadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts.135 Erst dadurch versteht man also, warum die mit weniger als 500 Bänden doch recht klein anmutende Rifāʿīya nach den Informationen Wetzsteins einen so guten Ruf hatte.

2.3.3.1 Die ʿAẓms von Damaskus In Damaskus haben mehrere Mitglieder der ursprünglich aus Ḥamāh stam- menden Dynastie der ʿAẓms in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur die Politik, sondern auch die Bibliothekslandschaft entscheidend geprägt. Die

132 Badrān: Munādamat, S. 88. 133 Damaskus Ẓāhirīya 4131, vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 305. 134 von Kremer: Mittelsyrien, S. 143; vgl. auch die ähnliche Einschätzung von Wetzstein in NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853; und Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 5. 135 Selbst wenn man alle Schreckensgeschichten über korrupte Aufseher und den Raub der wertvollsten Bestände für bare Münze nimmt und den Bestand etwa verdoppelt oder ver- dreifacht, ändert sich an der grundsätzlichen Interpretation dieser Zahl nichts. Die Umwelt der Rifāʿīya 169

Familie bietet mindestens vier Beispiele für öffentliche Stiftungsbibliotheken durch Damaszener Gouverneure, und zwar von der Mitte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Alle vier Stiftungen haben auch bis zur Zentralisierung der Damaszener Stiftungsbibliotheken in der Ẓāhirīya im Jahr 1878 mehr oder min- der gut überlebt. In einem Fall, der von Asʿad Bāšā al-ʿAẓm 1165 / 1752 für die Madrasa sei- nes Vaters Ismāʿīl gestifteten Bibliothek, besitzen wir die von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid edierte Stiftungsurkunde. In einem anderen – der in der 1193 / 1779 gegründeten Madrasa ʿAbdallāh Bāšā al-ʿAẓms aufbewahrten Bücher dieses vier- ten und letzten Gouverneurs der Familie sowie der seines Vaters Muḥammad Bāšā – hilft Flügels Edition eines 1263 / 1848 vom Bibliotheksaufseher (nāẓir) Salīm Ṭībī-zāda angefertigten Kataloges. Im Falle der Stiftung Sulaimān Bāšā al-ʿAẓms für seine 1150 / 1737 gegründete Madrasa existiert neben literarischer Überlieferung eine unpublizierte Stiftungsurkunde. Ob Asʿad Bāšā bei seiner Stiftung von 1165 / 1752 bereits auf eine Sammlung oder gar Stiftung seines Vaters Ismāʿīl Bāšā aufbauen konnte, ist nicht bekannt. Es wäre allerdings zu erwarten, dass der Stifter einer Madrasa auch für eine, wenn auch vielleicht kleine, Bibliothek Sorge getragen hätte. Zudem könnte Ismāʿīl sicher auch privat Bücher besessen haben. Denn sowohl in Nachlässen136 als auch in den Handschriften selbst treten uns Mitglieder der ʿAẓm-Familie als Besitzer entgegen. Es ist etwa bezeugt, dass Asʿads Onkel und Vorgänger im Amt des Gouverneurs von Damaskus, Sulaimān Bāšā al-ʿAẓm, auch privat Bücher besaß. Im Jahr 1145 / 1732–33 erwarb er das Geschichtswerk Tārīḫ al-Qaramānī aus dem Nachlass eines der Damaszener Nachfahren des Verfassers, doch dessen Neffe wiederum fand die Handschrift bereits 1173 / 1759–60 auf dem Buchmarkt wieder (Dublin CBL Ar 3109). Solch ein Geschichtswerk wäre durchaus ein passender Bestand für eine Madrasa-Bibliothek gewesen, wie sie Sulaimān tatsächlich 1151 / 1738 für die im Vorjahr von ihm gegründete Madrasa stiftete.137 Diejenigen von Sulaimān al-ʿAẓms Büchern, welche nicht an diese Madrasa gestiftet wurden, dürften der gründlichen Sequestrierung (tarsīm) all seines Besitzes durch die osmanischen Behörden nach seinem Tod 1156 / 1743 nicht entgangen sein.138

136 Nachlass Muḥammad Bāšā al-ʿAẓm in Ḥamāh (ein Koran und Dalāʾil al-Ḫairāt); MSH siǧill 46 / waṯīqa 454 / 15. Ḏū l-Qaʿda 1208 (14.6.1794). 137 Marino: Les investissement, S. 217; Badrān: Munādamat, S. 266. 138 Vgl. zur Sequestrierung Budairī: Ḥawādiṯ, S. 164–165. 170 kapitel 2

Die Bestände der Madrasa Sulaimān al-ʿAẓms wiederum sind literarisch und dokumentarisch kaum bezeugt.139 Allein die ersten zwanzig Bücher, gestif- tet 1151 / 1738 und aufgezählt in der Registrierung der waqf-Urkunde, welche Sulaimān Bāšā mithilfe eines Scheinprozesses vor Gericht erreichte,140 sind namentlich bekannt. Mit Ausnahme eines medizinisch-pharmakologischen Werkes (Ibn al-Baiṭārs Mufradāt) gehören sie alle den Bereichen Traditions- und Koranwissenschaften, Dogmatik, Sufik, Grammatik und Recht an. Ihnen müssen in den nächsten hundert Jahren aber einige gefolgt sein. Zaiyāt berich- tet, dass in den 1870er Jahren noch 127 Bände in die Ẓāhirīya überführt werden konnten.141 Und eine Kopie der Maqāmāt al-Ḥarīrīs stiftete der Gouverneur ebenfalls zu einem ungenannten Zeitpunkt.142 Der erste Bibliothekar mit einem täglichen Gehalt von 6 dirham (4 ½ qurš pro Monat) ist ein in der Stiftungsurkunde genannter šaiḫ Ibrāhīm b. ʿAbbās, bekannt als al-Ḥāfiẓ, welcher daneben aber auch noch die Ämter des Imams, Oberrezitators (šaiḫ al-qurrāʾ) und Lesers des Koranzehntels (qirāʾat al-ʿušr) übertragen bekommt und für 2 qurš im Monat zwei Mal den vollen Koran rezitieren soll.143 In der Folge wird in der Literatur nur ein einziges Mal – und zwar als eben dieser Bibliothekar Ibrāhīm b. ʿAbbās fälschlich beschuldigt wird, Bücher entwendet zu haben144 – die ḫizānat al-kutub erwähnt. Auf die Art der Erwerbungen Asʿad Bāšās für seine Bibliothek kann eine von Murādī überlieferte Anekdote ein gewisses Licht werfen. Sie berichtet über Angehörige der Familie al-Falāqinsī, deren Mitglieder in der ersten Hälfte des

139 Badrān: Munādamat, S. 266, zählt nur neun Werke auf, die er für erwähnenswert hält, alle anderen seien zu seiner Zeit (Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts) bereits gedruckt. 140 MSD siǧill 94 / waṯīqa 58 / S. 34–38. Wie die Perspektiven unserer Quellen das Bild einer Bibliothek verzerren können, zeigt die Sulaimānīya geradezu exemplarisch. Marino: Les investissement, S. 217, spricht aufgrund der waqfīya richtig von zwanzig Büchern; Badrān: Munādamat, S, 266, der die gleiche Stiftungsurkunde gesehen hat, spricht dagegen von „vielen Büchern (wa-ǧaʿala la-hā ḫizānat kutub wa-auqafa ʿalaihā kutuban kaṯīratan“), was im Lichte der tatsächlichen Zahlen doch reichlich verwegen anmutet. 141 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 9. 142 Damaskus Ẓāhirīya 3172 adab 1; vgl. Murād / Sauwās: Qism al-adab II, S. 245–246. 143 MSD siǧill 94 / waṯīqa 58 / S. 36; Badrān: Munādamat, S. 268. 144 Ibrāhīm b. ʿAbbās b. ʿAlī aš-Šāfiʿī ad-Dimašqī al-Ḫalwatī (1110 / 1698–99 – 1186 / 1772–73), bester Koranleser von Damaskus, wird aufgrund dieser Anschuldigungen aus der Madrasa herausgeworfen, später wird jedoch der wahre Dieb gefasst; vgl. Murādī: Silk I, S. 12–13. Interessanterweise bekommt die Episode einen ganz anderen Geschmack, wenn man aus der Stiftungsurkunde lernt, dass dieser Mann auch Bibliothekar der Madrasa war, was Murādī jedoch nicht erwähnt. Die Umwelt der Rifāʿīya 171

18. Jahrhunderts über mehrere Jahre das Amt des daftardārs von Damaskus innehatten und es verstanden, diese einflussreiche Position zur eigenen Bereicherung auszunutzen. Als der berühmt-berüchtigte daftardār Fatḥī efendī al-Falāqinsī durch seinen Einfluss auf die lokalen Janitscharentruppen dem neuen starken Mann Syriens, Asʿad Bāšā al-ʿAẓm, ein Dorn im Auge wird, beseitigt dieser zusammen mit der rebellischen Truppe im Jahr 1159 / 1746 auch ihren Anführer al-Falāqinsī.145 Sein Untergang bedeutete auch das Ende für viele Anhänger und Verwandte. Unter den letzteren traf es den Bruder Aḥmad (gest. 1173 / 1759),146 der gefan- gen und gefoltert wurde und obendrein noch einen hohen Geldbetrag zahlen musste. Murādī erzählt, dass Aḥmad al-Falāqinsī freigelassen wurde, danach jedoch „nicht mehr der alte war, bis er sogar die Bücher, die er besessen hatte, verkaufen musste. Diese gehörten zu den wahren Preziosen und geistreich- sten Büchern.“ Wie durch eine bittere Ironie sollen die meisten dieser Bücher, welche ihm das finanzielle Überleben sichern sollten, dann zusammen mit denen seines Onkels ʿĀṣim al-Falāqinsī (gest. 1170 / 1756–57)147 in die neu gegründete Bibliothek ihres Peinigers Asʿad Bāšā im Sūq al-Ḫaiyāṭīn gekom- men sein, ­dürften sich also heute überwiegend in der Ẓāhirīya in der Syrischen Nationalbibliothek befinden. Zumindest drei Bände sind in den 1850er Jahren auch durch Wetzstein in Damaskus angekauft worden, zwei davon inner- halb der Rifāʿīya. Sie erzählen vielleicht auf ihre Art durchaus die Geschichte Aḥmads: Das Lexikon Fiqh al-luġa von aṯ-Ṯaʿālibī (Vollers 458) hatte er noch im Jahr 1145 / 1732–33, also vor dem Sturz seines Bruders, für sich kopieren las- sen (istaktabahū li-nafsihī). Der Schreiber war, in einem weiteren ironischen

145 Murādī: Silk IV, S. 7–15; Budairī: Ḥawādiṯ, S. 141–142. 146 Murādī: Silk I, S. 161–165. 147 Ebd. II, S. 231–232, der besonders über seine Lektüre von Geschichts- und adab-Werken berichtet. Besitzer von Berlin Wetzstein I 41 (1144 / 1731–32); Damaskus Ẓāhirīya 3177 adab 6 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab II, S. 167, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3182 adab 11 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I 259), 3197 adab 26 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I 402, dann Stiftung Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3198 adab 27 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab II 50, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3206 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab II 238, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3342 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I 440), 3395 (vgl. Martel-Thoumian: Catalogue, S. 264; Name ist hier fälschlich als Ġalāqinsī angegeben), 7053 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab II 183); Princeton Garrett Collection 220B. Im Jahr 1130 / 1718 lässt er ein Exemplar von al-Maqqarīs Nafḥ aṭ-Ṭīb durch Aḥmad b. Muḥammad al-Ḥamawī al-ʿAṭṭār kopieren (diese Kopie befand sich um 1968 in Bagdad in Privatbesitz; vgl. Maqqarī: Nafḥ aṭ-Ṭīb, S. 22–23, jetzt in Riyad, King Saud University, MS 1057). 172 kapitel 2

Abb. 24 Aḥmad al-Falāqinsī ließ diese Handschrift wenige Jahre vor seinem Ruin kopieren. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 458, fol. 1r

Detail, Muḥammad b. ʿUṯmān Ibn aš-Šamʿa (1109 / 1698 – 1187 / 1774),148 des- sen Sohn ʿAlī (1158 / 1745–46 – 1219 / 1804–05) später Bibliothekar (waẓīfat muḥāfaẓat al-kutub) an der Madrasa Ismāʿīl al-ʿAẓms werden sollte, wo auch Asʿad al-ʿAẓms Stiftungsbibliothek aufgestellt war.149 Die Musikerbiographien ʿUnwān al-murqiṣāt wa-l-muṭribāt von Ibn Saʿīd al-Maġribī (gest. 673 / 1274–75 oder 685 / 1286–87) und das biographische Werk über andalusische Literaten und Notabeln Maṭmaḥ al-anfus wa-masraḥ at-ta‌ʾannus fī mulaḥ ahl al-Andalus von Ibn Ḫāqān (gest. 529 / 1134–35 oder 535 / 1140–41), vereint in Vollers 546, zei- gen hingegen wohl, dass al-Falāqinsī auch nach seinem Ruin und dem Verlust der Bibliothek nicht aufhörte, Bücher zu sammeln. Doch diesmal beauftragte er niemanden, sondern war es selbst, der die Kopien im Jahr 1162 / 1748 und 1164 / 1750–51 anfertigte.150 Nicht alle Werke aus den Sammlungen der beiden Falāqinsīs waren für die Bibliothek einer Madrasa gleich interessant oder brauchbar. Daher könnte Asʿad Bāšā auch nur die inhaltlich weitgehend opportunen Werke in seine Stiftung integriert haben. Dazu zählte zur damaligen Zeit vielleicht nicht das musiktheoretische Werk al-Mudḫil ilā ʿilm al-mūsīqā von Abū Naṣr Muḥammad al-Fārābī im Besitz ʿĀṣim al-Falāqinsīs (heute Princeton, Garrett Collection 220B), denn der Stempel der ʿAẓm-Bibliothek ist hier abwesend. Aber auch

148 Vgl. Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 181–186. 149 ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 206–208. 150 Insgesamt war er Besitzer von Berlin Wetzstein II 212; Damaskus Ẓāhirīya Ms. 3223 adab 52 (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 304). Auftraggeber der Abschrift von Leipzig Vollers 458. Kopist von Leipzig Vollers 546. Die Umwelt der Rifāʿīya 173 so klassischer Madrasen-Stoff wie die Sprachwissenschaft in Form zweier Handschriften Aḥmad al-Falāqinsīs blieb von Asʿad Bāšā ­unberücksichtigt.151 In jedem Fall ließ sich Asʿad anscheinend viel Zeit mit der Integration dieser Bestände in seine ḫizāna. Denn ein Band ʿĀṣim al-Falāqinsīs der tatsächlich den Stempel der Bibliothek Asʿad Bāšās trägt – interessanterweise gerade das anonyme historische Werk Maurid al-laṭāfa fī-man wulīya as-salṭana wa-l- ḫilāfa152 – ist in der sechs Jahre nach den Ereignissen um Fatḥī al-Falāqinsī entstandenen Stiftungsurkunde noch nicht erwähnt. Die mit der von Munaǧǧid edierten Urkunde dokumentierte Stiftung war demnach nicht das letzte Wort für den Bestand der Bibliothek. Und in der Tat konnten 1295 / 1878 nicht weniger als 376 Handschriften in die neu gegründete Ẓāhirīya überführt werden.153 Trotz dieser Steigerung des Bestandes liest man in einer modernen Darstellung die Klage, der Aufseher (nāẓir) hätte sich nicht nur der Einziehung seiner Bibliothek widersetzt, sondern auch die wertvoll- sten Stücke aussortiert.154 Die machtpolitische Glanzzeit der ʿAẓm-Dynastie war bereits überschritten, als an der Wende zum 19. Jahrhundert mit ʿAbdallāh Bāšā155 noch ein letztes Mal ein Nachkomme aus der Familie mehrere Male das Amt des Gouverneurs von Damaskus erlangen konnte (amtierte 1205 / 1790–91 – 1212 / 1797–98, 1214 / 1799–1800, 1219 / 1805 – 1222 / 1807). Herausgefordert wurde er immer wieder von Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār, dem er 1799 beim Angriff Napoleons auf die syrische Küste weichen, vor dem er später bis nach Belgrad fliehen musste, um nach dessen Tod wieder auf den Damaszener Posten zurückzukehren. Auch dieser ʿAẓm hielt es – und zwar noch vor seiner Ernennung zum Gouverneur – für

151 Berlin Wetzstein II 212 (Sammelband mit Diwanen von Damaszener Dichtern aus dem 11. und 12. Jh.); Leipzig Vollers 458, ein Exemplar des lexikographischen Fiqh al-luġa des aṯ-Ṯaʿālibī (350 / 961 – 429 / 1038). Diese letztere Handschrift gehörte schon nach dem Ausweis ihrer Grundsignatur (D.C. 19 Nachtrag) nicht ursprünglich zum Bestand der Rifāʿīya-Bibliothek, sondern war als Ersatz für ausgesonderte Bände erst 1855 in diese inkorporiert worden. Wetzstein bezeichnet sie in einem Brief als „Omars [des letzten Besitzers der Bibliothek] letztes Geschenk an die Refaiya“, NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 5. Dezember 1854, fol. 1r. 152 Martel-Thoumian: Catalogue, S. 264. Der Name ist hier fälschlich als Ġalāqinsī ange- geben. Der Stiftungseintrag Asʿad Bāšās aus dem Jahr 1165 / 1751–52 findet sich ebenfalls dort verzeichnet. 153 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 10; Kitāb waqf, S. 5. Allerdings wäre auch zu bedenken, ob es nicht bereits durch den Erbauer der Madrasa, Asʿads Vater Ismāʿīl al-ʿAẓm, eine nicht dokumen- tierte Bücherstiftung gegeben haben mag. 154 ʿUlabī: Ḫiṭaṭ aš-Šām, S. 269–270. 155 Vgl. Seetzen: Reisen I, S. 280–281; Schatkowski-Schilcher: Families in politics, S. 32. 174 kapitel 2 sinnvoll, auf dem prestigeträchtigen Feld der Bildung aktiv zu werden. Bereits im Jahr 1193 / 1779 errichtete er eine nach ihm benannte Madrasa, in welche er auch eine Bibliothek integrierte.156 Dabei war sein eigener inhaltlicher Beitrag zu dieser Bibliothek recht bescheiden, denn den Großteil der Bücher über- nahm er aus einer früheren Stiftung seines Vaters Muḥammad Bāšā al-ʿAẓm (gest. 1197 / 1783), der bereits in den 1770er Jahren Gouverneur von Damaskus gewesen war.157 Muḥammad Bāšā soll in seiner Jugend, also vor seinem Eintritt in offizielle Positionen, nicht näher bezeichnete Studien in Damaskus betrie- ben haben, kam also durchaus von einem gelehrten Horizont und nicht als Außenseiter in die Welt der Bibliotheken. Und Seetzen erfuhr 1805: „Man ver- sichert, er besitze eine große Belesenheit, eine ansehnliche Bibliothek, ausge- zeichnete Kenntnisse, sey aber sehr bigott.“158 Muḥammad Bāšās Bücher zählten nach einem überlieferten Katalog im Jahr 1263 / 1847 immerhin noch 373 Nummern.159 Erstaunlicherweise sind gerade in seine Stiftung Bücher der beiden Falāqinsīs eingegangen, deren Bibliotheken ja bereits von Asʿad Bāšā für dessen waqf geplündert wurden.160 Insgesamt ist der edierte Katalog leider durch den Schreiber nicht thema- tisch geordnet, so dass meine Aufteilung anhand der unsicheren Titelangaben vorsichtig bewertet werden muss.161 Bei aller Unsicherheit der Zuordnung und den großen Lücken in der Identifikation (nur 278 der 373 Nummern konnten identifiziert werden, einige Bände sind einfach nur als maǧmūʿ / Sammelhandschrift oder ähnlich schwammige Begriffe bezeichnet) zeichnen sich doch deutliche Schwerpunkte in der Sammlung ab: Der engere Bereich der Religionswissenschaften (3 Koranexemplare, 29 Mal Koranrezitation und -exegese, 8 Gebete, 13 Mal Dogmatik und Erbauung, 19 Werke zu Biographie

156 ʿUlabī: Ḫiṭaṭ aš-Šām, S. 273–275. 157 Zu Muḥammad Bāšā vgl. Rafeq: The province, S. 286–319; Murādī: Silk IV, S. 111–116. 158 Seetzen: Reisen I, S. 281. 159 Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 22–29. Auch hier sind natürlich Verluste vorauszusetzen. Nicht erwähnt wird im Katalog etwa eine erhaltene Ausgabe Sarḥ al-ʿuyūn fī šarḥ Risālat Ibn Zaidūn von Ibn Nubāta (Ẓāhirīya 3223 adab 52; vgl. Murād / Sauwās: Qism al- Adab I, S. 304). 160 Ẓāhirīya 3223 adab 52 aus dem Besitz Aḥmad al-Falāqinsīs (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 304) und Ẓāhirīya 3342 aus dem Besitz ʿĀṣim al-Falāqinsīs (vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 440). 161 Es ist generell schwierig, Werke anhand der meist nur sehr kurzen Titelangaben in den Bibliothekskatalogen zu identifizieren. Oftmals sind mehrere gleichnamige Werke, auch aus verschiedenen Themenfeldern bekannt. Außerdem entziehen sich viele Werke grundsätzlich einer eindeutigen Klassifikation. Ist etwa der Dīwān des Sufis Ibn ʿAidarūs formal als Poesie oder inhaltlich unter Mystik einzuordnen? Die Umwelt der Rifāʿīya 175 des Propheten, 16 Traditionswerke, 1 Mal Sektenkunde) führt das Feld mit 89 Bänden klar an, was durch 12 weitere Bände aus der Sufik weiter unterstrichen wird; der Komplex Recht ist mit 61 Bänden besonders akzentuiert, wobei die ḥanafitische Rechtsschule ein starkes Übergewicht hat (33 sicher ḥanafitische gegenüber 6 šāfiʿītischen und 3 mālikitischen, aber keinem ḥanbalitischen Werk); die Sprachwissenschaften (Grammatik, Lexik, Rhetorik, Stilistik, Metrik, Poesie), traditionell auch als Hilfswissenschaften der exegetischen Disziplinen angesehen, sind mit insgesamt 53 Bänden ebenfalls sehr stark vertreten; dane- ben kommt ein relativ kleiner Anteil den Belles Lettres zu mit 17 Bände adab, 11 Bände Poesie, wozu noch einmal 2 Kunstgedichte zum Prophetenlob (badīʿ) zu rechnen sind; auch Geschichte und Biographie hat noch einen beachtli- chen Anteil von 13 Bänden, unter denen wegen ihrer regionalen Verbindung die Damaszener Biographiensammlungen al-Kawākib as-sāʾira von Ġazzī zum 10. Jahrhundert d.H.162 und diejenige Muḥibbīs zum 11. Jahrhundert d.H. (Ḫulāṣat al-aṯar, gleich 2 Mal genannt) besonders hervorzuheben sind. Gleich zwei Mal sind aber auch Ṭāšköprü-zādes aš-Šaqāʾiq an-nuʿmānīya verzeichnet, ein weiterer deutlicher Hinweis auf den provinziellen Erfolg dieses Projektes imperialer Identitätsstiftung der ḥanafitischen Gelehrtenhierarchie durch die literarischen Mittel der biographischen Sammlung. Daneben haben zwei Reisebeschreibungen, drei medizinische Werke (davon eines aus dem Genre der Prophetenmedizin bzw. ṭibb nabawī, also eigentlich ein Zwitter zwischen Medizin und Tradition), oder zwei zoologische Bücher kaum eine Rolle für das Profil der Bibliothek gespielt. Wie in der Rifāʿīya, so ist auch in der Bibliothek des Gouverneurs fast ausschließlich arabische Literatur vertreten. Wenige tür- kische Bände werden vom Katalog nur als „maǧmūʿa turkīya“ oder „kitāb turkī “ bezeichnet. Ein Band Maṯnawī scheint das einzige persische Werk zu sein. ʿAbdallāh Bāšā selbst hat der Stiftung seines Vaters anscheinend wenig hin- zugefügt. Nur 29 Nummern zählt der Katalog auf. Er hat ihr aber auf jeden Fall eine sichere finanzielle Grundlage geben können. Der protestantische Gelehrte Mišāqa zählt die Madrasa ʿAbdallāh Bāšās noch in einem 1848 geschriebenen Aufsatz unter die lediglich fünf gut ausgestatteten und funktionstüchtigen Bildungsanstalten der Stadt. Jeder der in ihr wohnenden Studenten würde – je nach der Ernte der die Stiftung finanzierenden Dörfer – eine jährliche Zuwendung von 1.300 bis 1.500 Piaster bekommen, eine – schon im Hinblick

162 Diese HS der Kawākib as-sāʾira, zusammen mit dem zweiten biographischen Werk des Autors, dem Luṭf as-samar, die den waqf-Stempel von 1190 / 1776 trägt, befindet sich heute in der Asad-Bibliothek in Damaskus (ʿāmm 3406). Sie kam jedoch sonderbarerweise nicht aus der Stiftung der ʿAẓms, sondern über die ʿUmarīya-Madrasa in die Ẓāhirīya. Vgl. Ġazzī: Luṭf I, S. 157. 176 kapitel 2 auf die zeitgenössischen Buchpreise – beachtliche Summe.163 Und auch der österreichische Orientalist von Kremer erkennt etwa zur gleichen Zeit an, hier „eine recht hübsche Bibliothek“ gesehen zu haben.164 Zu den genannten Teilbeständen von Muḥammad und ʿAbdallāh Bāšā kommen noch 8 Nummern aus der An-Stiftung eines ʿUmar efendī al-Qūnyalī sowie 11 Nummern, welche nach Ausweis des Bibliothekars gar kein waqf gewesen sein sollen. Insgesamt zählte die Bibliothek in der Madrasa ʿAbdallāh Bāšā al-ʿAẓms 1263 / 1847 und damit 6 Jahre vor dem Verkauf der Rifāʿīya 423 Nummern, war also an Umfang etwa mit dieser vergleichbar. 1878 können aber 458 Handschriften aus dieser Madrasa in die neugegründete Ẓāhirīya überführt werden. Der Bestand hat sich also zum Ende noch etwas vermehrt. Dennoch muss sich der letzte Verwalter von Zaiyāt den Vorwurf gefallen lassen, etwa 400 Bände verloren bzw. veruntreut zu haben.165

2.3.3.2 Die großen Moschee- und Madrasa-Bibliotheken Der älteste waqf, aus dem ein Buch – und in diesem Falle sogar zwei – in die Rifāʿīya integriert wurde, stammt aus der Madrasa aḍ-Ḍiyāʾīya, die sich am Fusse des Berges Qāsyūn im Vorort aṣ-Ṣāliḥīya direkt an die Moschee der Ḥanbaliten anschloss.166 Ihre reichen Bestände, als deren besonderes Kuriosum sogar eine wertvolle Evangelienhandschrift in Estrangelo und eine Thora erwähnt wer- den, sollen lange die beste Bibliothek der Stadt gebildet haben. Auch aus der Ḍiyāʾīya sind bereits vor ihrem faktischen Ende eindeutige Verluste bezeugt. Drei an sie gestiftete Bücher gelangten etwa in die Bibliothek des 909 / 1503 ver- storbenen Yūsuf Ibn ʿAbd al-Hādī Ibn Mibrad,167 der auch in einem Werk der Rifāʿīya ein Überlieferungszeugnis hinterlassen hat (Vollers 303). Mit diesem Wissen liest sich nun eine von diesem hochgeschätzten Traditionsgelehrten mitgeteilte Information besonders pikant, in der uns von vielen anderen bedeutenden Gelehrten berichtet wird, welche sich aus der Ḍiyāʾīya mit ­vollen

163 Fleischer / Mišāqa: Michael Meschâka’s Cultur-Statistic, S. 350. Vergleichsmaterial für Buchpreise, Lebensmittel und Immobilienpreise aus diesen Jahren habe ich gesammelt in Liebrenz: Mit Gold nicht auzuwiegen, S. 677–681. 164 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142: „Hingegen hat eine Medrese, die ziemlich neuen Ursprungs ist, nämlich die Medreset-Aʾbd-Allâh-Pascha [=al-ʿAẓm], eine recht hübsche Bibliothek, deren Cataloge ich zum Theil kopiert habe; allein auch hier bemerkt man einen großen Mangel an historischen Werken.“ 165 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 8. 166 Éche: Les bibliothèques, S. 217–235, 295, 297; Ibn Ṭūlūn: al-Qalāʾid al-ǧauharīya, S. 82. 167 Vajda: Trois manuscrits. Die Umwelt der Rifāʿīya 177

Abb. 25 Teilweise zerstörter Stiftungseintrag für die Madrasa aḍ-Ḍiyāʾīya am Fuße des Berges Qāsyūn. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 84, fol. 1r

Händen bedienten168 – ohne dass der Autor seine eigene „Mittäterschaft“ erwähnenswert hielte.169 Am Beginn der osmanischen Herrschaft schreibt sich dann Muḥammad Ibn Ṭūlūn zusammen mit dem Bibliothekar der Ḍiyāʾīya, Mūsā al-Kinānī al-Ḥanbalī, die Rettung der Bibliothek nach gefährlicher Verwahrlosung zu. In dramatischen Worten spricht er von etwa 2.000 Büchern, welche er aus der verstreuten Stiftung sichern und in die Bücherkammer (ḫalwat al-kutub) zurückbringen konnte.170 Die Bibliothek muss also am Beginn des 16. Jahrhunderts noch über große Bestände verfügt haben, doch hören wir danach nichts mehr über sie. Und so ist nicht klar, inwieweit sie noch in die Zeit der Rifāʿīya hineinwirkte. Irgendwann im 19. Jahrhunderts

168 Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852 / 1449) etwa hätte mehrere Kamelladungen (aḥmāl) mit- genommen, nach ihm hätten auch al-ḥāfiẓ Šams ad-Dīn b. Nāṣir ad-Dīn, Quṭb ad-Dīn al-Ḫaiḍarī, und schließlich der Richter Nāṣir ad-Dīn Ibn Zuraiq „der zweite“ (aṯ-ṯānī ) die wertvollsten Stücke für sich herausgesucht. Mit dem letzteren soll die Misswirtschaft im 15. Jahrhundert angefangen haben, nachdem unter der Bibliotheksaufsicht durch die Banū l-Muḥibb einige Ordnung geherrscht hätte. Die Banū Zuraiq hatten vor allem auch administrative Funktionen in einer anderen Madrasa mit einer bedeutenden Bibliothek, der ʿUmarīya. In der Rifāʿīya findet sich der Bruder des letztgenannten Nāṣir ad-Dīn, Šihāb ad-Dīn Ibn Zuraiq (gest. 891 / 1486), „nāẓir Madrasat šaiḫ al-islām Abī ʿUmar“ (Besitzer von Vollers 406, undatiert); vgl. zu seiner Rolle Ibn Ṭūlūn: al-Qalāʾid al-ǧauharīya, Bd. I, S. 179. 169 Der Bericht Ibn ʿAbd al-Hādīs ist widergegeben durch seinen Schüler Ibn Ṭūlūn: al-Qalāʾid al-ǧauharīya, S. 82. 170 Ebd., S. 77–79, 82. 178 kapitel 2 muss das, was von ihr noch übrig war, komplett in die ʿUmarīya integriert wor- den sein,171 und gelangte mit dieser kurz darauf in die neue Zentralbibliothek der Ẓāhirīya. Ein Katalog dieser Bibliothek, der speziell die Handschriften der Ḍiyāʾīya umfasst, beschreibt noch 153 Bände mit hauptsächlich traditionswis- senschaftlichen Traktaten.172 Zumindest scheinen die bedeutenden Gelehrten von Ṣāliḥīya der Verwaltung der Ḍiyāʾīya ihre Privatsammlungen nicht mehr in dem gleichen Maße anvertraut zu haben wie zuvor. Ibn ʿAbd al-Hādī war nur einer von vielen, als er seine mehr als 600 Werke in 1.000 Bänden umfas- sende Bibliothek – zusammen mit den drei ehemals an die Ḍiyāʾīya gestifteten Büchern – dann selbst an die ʿUmarīya stiftete.173 Die ʿUmarīya wurde indes nach unserer Quellenlage zur wichtigsten Bibliothek der Stadt bis in das 19. Jahrhundert hinein. Sie erthielt die wert- vollen Stiftungen so bedeutender Gelehrter der spätmamlukischen und frühosmanischen Periode wie Ibn Ṭūlūn und Yūsuf Ibn ʿAbd al-Hādī Ibn Mibrad. Nach Ibn Ṭūlūns eigenem Zeugnis scheint es am Beginn des 16. Jahrhunderts neben der Hauptbibliothek eine spezielle Bibliothek für jede der vier Rechtsschulen gegeben zu haben – er selbst war Bibliothekar der ḥanafitischen Sammlung – welche wir uns möglicherweise als ganz auf den Unterricht zugeschnittene Studiensammlung vorstellen dürfen.174 Und auch vom selben Autor berichtete Übergriffe der neuen osmanischen Machthaber in Form von Beschlagnahmungen durch den Oberrichter der Stadt175 haben ihrer Bedeutung keinen Abbruch getan. Am Beginn des 18. Jahrhunderts preist sie Ibn Kannān in seiner Chronik und beschreibt sogar in seltener Detailliertheit einige der bibliothekarischen Vorgänge. Demnach gab es zu seiner Zeit zwei Bücherschränke (ḫizānatain), welcher jeder etwa 1.000 Bände fasste. Sie wurden offenbar regelmäßig zur Reinigung der Bücher geöffnet.176

171 Der Damaszener Historiker Duhmān: Fī riḥāb Dimašq, S. 54, setzt die Zusammenführung der beiden Bibliotheken „wahrscheinlich etwa 40 oder 50 Jahre vor dem Untergang der ʿUmarīya“, also um die Mitte des 19. Jahrhunderts an, begründet diese Vermutung jedoch nicht. 172 Sauwās: Fihris maǧāmīʿ al-Madrasa al-ʿUmarīya. 173 Der Katalog dieser Stiftung findet sich in einem durch Ibn ʿAbd al-Hādī eigenhändig angefertigten „Fihrist al-kutub a-mauqūfa“, der mit den Büchern der ʿUmarīya dann in der Ẓāhirīya aufbewahrt wurde (Marthel-Toumian: Catalogue, S. 193). Dieser Katalog war aber nicht das letzte Wort, da er die Stiftung vom 13. Ramaḍān 896 / 20.7.1491 verzeichnet, Ibn Mibrad jedoch auch die später von ihm erworbenen oder kopierten Bücher an die ʿUmarīya stiftete (etwa Ebd., S. 194, kopiert 903 / 1498). 174 Ibn Ṭūlūn: Fulk, S. 23; Duhmān: Fī riḥāb Dimašq, S. 52. 175 Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 238–239. 176 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 16. Die Umwelt der Rifāʿīya 179

Die Entleihe von Büchern war nach Aussage des Chronisten möglich – beim Abfassen seiner Beschreibung lagen Ibn Kannān zwei aus der ʿUmarīya gelie- hene Bände vor177 – und die Entleiher sollten vom Verwalter in ein Verzeichnis (daftar) eingetragen werden.178 Auch in einer weiterhin in Damaskus befind- lichen Handschrift wurden mindest zwei Ausleihvorgänge dokumentiert. Im ersten leiht ʿAlī b. ʿImād ad-Dīn aš-Šāfiʿī einen Band des Korankommentars al-Kaššāf von Zamaḫšarī über (ʿalā yad) einen Professor der Madrasa, Mūsā al-Ḥiǧāwī (gest. 960 / 1553) aus; im zweiten Fall ist nach Ausweis des Kataloges kein Funktionär der Institution involviert, sondern der Oberrichter der Stadt, Kamāl ad-Dīn Ṭāšköprü-zāde, welcher im Jahr 1005 / 1596–97 die Ausleihe an den hier als „ḫādim at-tafsīr fī l-Ǧāmiʿ al-kabīr“ bezeichneten Dichter und Historiker al-Ḥasan al-Būrīnī (963 / 1556 – 1024 / 1611) verzeichnet.179 Erneut von Ibn Kannān wird aber auch geschildert, wie die Stiftung immer wieder Opfer von Diebstahl werden konnte: Als die Bücher des verstorbenen naqīb al-ašrāf und Aufsehers der Madrasa, Ibrāhīm Ibn Ḥamza al-ʿAǧlānī (gest. 1120 / 1708),180 wie üblich zur Versteigerung in die Umayyadenmoschee gebracht werden, dauert der Verkauf etwa einen Monat. An vorderster Stelle bedient sich Ṣādiq Ibn al-Ḫarrāṭ (gest. 1143 / 1730), Schwiegersohn von ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, eminenter Büchersammler und auch Vorbesitzer einiger Nummern in der Rifāʿīya, der hier gleich 300 Bände ersteigert haben soll. Diese sollen nach Ibn Kannān aber alle aus dem waqf der ʿUmarīya stammen, aus deren Beständen sich ihr Aufseher ohne Skrupel bedient habe. Daneben gingen der Bibliothek laut dieser Quelle auch noch durch seine sorglose Ausleihpolitik viele Bücher verloren.181 Dennoch blieb die ʿUmarīya nach allem was wir wissen auch in der Zeit der Rifāʿīya die größte und wichtigste Bibliothek der Stadt, wenn die Nachrichten über sie nun auch wieder verstummen. Ihr Ende soll aber besonders unrühm- lich gewesen sein. Der letzte Aufseher der Stiftung soll um 1250 / 1834, also kurz bevor auch die Rifāʿīya verkauft wurde, durch die Bestechungen einiger nicht näher bezeichneter Fremder aus dem Naǧd getrieben, wertvolle Teile der Sammlung im Umfang von 4 Kamelladungen in sein Haus gebracht und diesen

177 Ebd., S. 17. 178 Ebd., S. 139. 179 Damaskus Ẓāhirīya 7048; vgl. Ḫaimī: ʿUlūm al-qurʾān III, S. 374. Laut Katalog sollen hier noch mehr Ausleihnotizen vorhanden sein, sie werden jedoch nicht näher benannt. 180 Murādī: Silk I, S. 26–28. 181 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 139. Vollkommen verdreht wird die Geschichte bei MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 183–184, 187, der annimmt, hier wäre tatsächlich die Bibliothek der ʿUmarīya verkauft worden. 180 kapitel 2 dann die Hälfte verkauft haben, während er die andere Hälfte selbst behielt.182 Auch der bekannte ägyptische Buchhändler Muḥammad Amīn al-Ḫānǧī soll sich auf diese Weise aus der ʿUmarīya bedient und die Bücher dann in alle Welt weiterverkauft haben. Von den auqāf, so Zaiyāt, soll aber auch vorher nicht mehr viel übriggeblieben sein, da sie einfach ausgelöscht wurden oder „in den Besitz der Leute übergingen“, wie das so oft in Damaskus geschehen sei. Als Midḥat Bāšā sein „Komitee zur Errichtung einer öffentlichen Bibliothek“ aufstellte und die auqāf einziehen wollte, habe der seinerzeitige Vorsteher es unternommen, die wertvollsten Stücke auszusortieren, und ließ nur den kümmerlichen Rest an ihrem Ort. Dieser soll mit 614 Bänden plus Fragmenten und Blättern nur noch einen Bruchteil der alten Größe dargestellt haben. Und selbst diese können nicht ohne Gegenwehr übernommen werden. Der Scheich verriegelt die Tore, sorgt auch irgendwie dafür, dass in Ṣāliḥīya keine Träger mehr zu finden sind. Erst die Packtiere einiger Müllsammler (zabbālīn) können dann die Bücher abtransportieren. Auf vielen der so geretteten Handschriften der ʿUmarīya sieht man zudem noch den waqf der Ḍiyāʾīya.183

2.3.3.3 Die kleinen Bibliotheken Die zufällige Überlieferung und die vielen Lücken unserer Quellen machen Aussagen über die sicherlich nicht wenigen kleinen Bibliotheken von Damaskus schwierig und eine adäquate Auflistung alles vorhandenen sicher unmöglich. Ohne die Chronik Ibn Kannāns hätten wir sogar von der bedeu- tenden ʿUmarīya zwischen dem frühen 16. und dem späten 19. Jahrhundert kei- nerlei literarische Information. Hätte ein Chronist bei der Yāġūšīya-Madrasa gelebt und in ihr gelehrt oder gelernt, dann wüssten wir dementsprechend vielleicht mehr über deren Bibliothek, denn ein Bibliothekar mit einem Tagesgehalt von drei dirham ist uns aus dem Jahr 1151 / 1738 dokumentarisch überliefert.184 Die Vermutung liegt nahe, dass er ursprünglich mehr als die 11 Bände betreut haben sollte, welche etwa eineinhalb Jahrhunderte später in die Ẓāhirīya überführt wurden.185 Eine altehrwürdige Bibliothek war auch im Ḫānqāh as-Suamaisāṭīya (Varianten Ṣumaiṣāṭīya, Šumaisātīya etc.) aufgestellt, welches einst als Sufi- Konvent gegründet wurde, diese Funktion aber im Laufe der osmanischen Periode eingebüßt zu haben scheint. Und auch aus ihren Reihen hat ein Buch seinen Weg zuletzt offenbar in die Rifāʿīya gefunden (Vollers 389). Über ihre

182 ʿUlabī: Ḫiṭaṭ aš-Šām, S. 248. Duhmān: Fī riḥāb Dimašq, S. 54. 183 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 7. 184 MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 185. 185 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 11–12. Die Umwelt der Rifāʿīya 181

Bestände gibt es kaum Nachrichten. Éche hat aus der Literatur fünf Werke identifizieren können, die sich in der Bibliothek dieser Institution befunden haben.186 Außerdem muss sich hier die autographe Urschrift der ʿAwārif des Mystikers as-Suhrawardī (gest. 563 / 1168) befunden, wie man aber nur aus einer späteren Abschrift weiß, deren Kollationsvermerk diese Handschrift erwähnt.187 Im 19. Jahrhundert sollen dagegen die alten Bestände längst nicht mehr existiert haben. Die 78 Handschriften, welche in die Ẓāhirīya übergegan- gen sind, sollen daher alle neuere Stiftungen gewesen sein.188 Neueren Datums war die Bibliothek der Madrasa al-Murādīya al-kubrā al-ǧuwānīya beim Bāb al-Barīd neben der Umayyadenmoschee.189 Sie wurde 1108 / 1696–97190 durch einen Neuankömmling in der Stadt gegründet, Murād al-Buḫārī an-Naqšbandī (1050 / 1640–41 – 1132 / 1719–20) aus Samarqand, Ur-Großvater des Historikers Ḫalīl al-Murādī. Sie war, wie die Aḥmadīya in Aleppo, ein Beispiel für die Bibliotheksstiftung eines Gelehrten. Trotz einer frü- hen Lähmung bereiste dieser für seine Studien Indien, den Ḥiǧāz, Bagdad und Kairo, und wurde während seines Damaskus-Aufenthaltes zum Stammvater einer der großen Notabeln-Familien der Stadt. Murād soll sich besonders in Koran- und Traditionswissenschaften hervorgetan und mehr als 10.000 Überlieferungen verinnerlicht haben. Diese Übereinstimmung von Lehranstalt und Interessen des Stifters gibt vielleicht einen Hinweis auf die zu erwarten- den Beständen der Bibliothek, von denen wir sonst fast gar nichts wissen. Sein bescheidenes Auftreten – er lief immer barhäuptig – sollte nicht darüber hin- wegtäuschen, dass er als einflussreiche Persönlichkeit aus gutem Haus – der Vater war naqīb al-ašrāf in Samarqand – über die nötigen finanziellen Mittel oder potente Unterstützer verfügt haben wird, seine Madrasa und Bibliothek zu finanzieren. Murād machte einen engen Vertrauten, ʿAbd ar-Raḥmān al-Manīnī,191 und dessen Nachkommen zum Aufseher der Bauarbeiten, Verwalter der Stiftung und Bibliothekar. Die Bibliothek soll so prächtig gewesen sein, dass man sie die „Azhar von Damaskus“ nannte.192 Doch sollen auch die

186 Vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 238. 187 Hartmann: Bemerkungen zu Handschriften, S. 124; Ritter: Philologika IX. Die vier Suhrawardī, S. 40. 188 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 11. 189 Murādī: Silk IV, S. 141–143; Badrān: Munādamat, S. 264–265; Zaiyāt: Ḫazāʾin al-kutub, S. 10; ʿUlabī: Ḫiṭaṭ aš-Šām, S. 268–269. 190 Murādī: Silk III, S. 134, 136. 191 Ebd., S. 134, 136, in der Biographie seines Bruders Aḥmad b. ʿAlī. ʿAbd ar-Raḥmān war noch 1151 / 1738 an der Stiftung Sulaimān Bāšā al-ʿAẓms, und in deren Rahmen auch des- sen Bibliothek, als Zeuge beteiligt, vgl. MSD siǧill 94 / waṯīqa 58 / S. 38. 192 Badrān: Munādamat, S. 264; ʿUlabī: Ḫiṭaṭ aš-Šām, S. 268. 182 kapitel 2

Verwalter aus dem Hause Manīnī in der Folge viele Bücher verkauft haben. In die Ẓāhirīya konnten dann zumindest noch 246 Bände überführt werden. Ich selbst konnte bisher nur fünf Bände dieser Stiftung identifizieren,193 doch ver- deutlichen sie eine bewegte Bestandsgeschichte. Während Princeton Garrett 3994Y keine weiteren Benutzungsspuren aufweist, war Damaskus Ẓāhirīya 3441 bereits 1161 / 1748 wieder aus der Stiftung ausgeschieden und im Besitz von Muḥammad b. Ḫalīl al-Baġdādī (1125 / 1713 – 1173 / 1759–60), Sammler einer großen Privatbibliothek und auch in der Rifāʿīya als Besitzer vertreten.194 Damaskus Ẓāhirīya 3309 adab 387, eine erst 1136 / 1723–24 kopierte Ausgabe der Maqāmāt al-Ḥarīrīs, wurde um das Jahr 1200 / 1785–86 von Ismāʿīl al-Ǧarrāʿī an seinen Sohn ʿAbd al-Karīm – Besitzer und Entleiher jeweils einer Handschrift der Rifāʿīya – in einen Familien-waqf überführt.195 Je nachdem, ob die Stiftung an die Murādīya früher oder später erfolgte, war also entweder der öffentli- chen oder der privaten Stiftung keine lange Dauer beschert. Die Damaszener Handschriften Ẓāhirīya 3472 und 1822 ʿāmm hingegen wurden noch 1282 / 1865 von ʿAbd al-Qādir b. Aḥmad aš-Šaṭṭī in die Murādīya gestiftet.196 Kurz darauf soll das intellektuelle Leben in der Madrasa jedoch vollständig zum Erliegen gekommen sein.197 Kurz nach der Stiftung der Murādīya muss auch die Bibliothek der Ǧāmiʿ al-ʿAddās außerhalb der Stadtmauern im Viertel al-Qanawāt, von der es zuvor keine Nachrichten gab, eine starke Aufwertung erfahren haben. Dies hatte offenbar auf verschiedene Weisen mit dem Wirken des angesehenen Sufis Ilyās al-Kurdī (1047 / 1637–38 – 1138 / 1726) zu tun, welcher nach einer Lehrtätigkeit an der Bādrāʾīya im Jahr 1102 / 1690–91 an die Ǧāmiʿ al-ʿAddās wechselt.198 Auf der einen Seite waren es die Handschriften des Meisters selbst, welche nun den Studenten der Einrichtung zugute kommen sollten. 1137 / 1724, im Jahr vor seinem Tod, stiftete er für sie an die 100 seiner Handschriften, darunter Berlin

193 Vgl. jedoch die kleine Liste ausgeliehener Bücher bei Sobieroj: Arabische Handschriften, Bd. 2, S. 452, die vielleicht zu dieser Bibliothek gehört haben könnte. Sobieroj gibt an, „(e)iner der Entleiher scheint mit einer Einrichtung namens Murādīya verbunden gewe- sen zu sein“. 194 Murādī: Silk III, S. 7–9; die Handschrift aus der Rifāʿīya ist Vollers 678. Zur Damaszener Handschrift vgl. Marthel-Thoumian: Catalogue, S. 117. 195 Vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab II, S. 247. Die hier angeführte Jahresangabe 1205 / 1790–91 für die Stiftung kann wohl nicht zutreffen, da der Vater bereits 1202 / 1787–88 gestorben sein soll (vgl. ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 63–65). 196 Marthel-Thoumian: Catalogue, S. 219; ḤimṢī: Naḥw, S. 226. 197 Badrān: Munādamat, S. 264. 198 Vgl. Murādī: Silk I, S. 266–268; Ṣiddīqī: as-Suyūf al-ḥidād, S. 288. Die Umwelt der Rifāʿīya 183

Sprenger 872.199 Daneben könnten zumindest einige Bücher auch durch den Einfluß des verehrten Mystikers bei den Mächtigen in die Bibliothek gelangt sein. Deren Umgang soll er zwar ostentativ vermieden haben, nichtsdestotrotz achteten und suchten sie seine Fürsprache. Einer seiner großen Verehrer war auch Raǧab Bāšā, der Gouverneur der Stadt, welcher einmal Ilyās’ Fürsprache für sich erbitten wollte doch zur Antwort bekam, seine Fürsprache würde nicht einmal zum Dach aufsteigen, wenn all die in den Kerkern des Gouverneurs gefangenen Unterdrückten (maẓlūmūn) gegen ihn anbeten würden. Auch als der Gouverneur ihm 100 Dinar anbieten will, lehnt Ilyās natürlich ab.200 Doch nicht nur mit Geld wollte Raǧab Bāšā den Meister offenbar für sich gewinnen. Ein in der Columbia University aufbewahrter, zweibändiger Korankommentar (Jeffery Ms. 40) trägt den Stiftungsvermerk Raǧabs für die Studenten der Ǧāmiʿ al-ʿAddās mit seinem 1119 / 1707–08 datierten Siegel. Er tritt hier jedoch nicht mehr als Gouverneur von Damaskus, sondern von Kairo (muḥāfiẓ madīnat Miṣr) auf. Wir sehen hier also wohl einen Stifter, der überregionale Netzwerke und Beziehungen durch das Medium der Handschriften aufrechterhält. Auch in einer Takīya as-Salīmīya außerhalb der Stadtmauern201 soll es nach Alfred von Kremer in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Bibliothek gegeben haben: „endlich ist auch noch in dem Derwisch-Kloster Tekkîjet-Sultan-Selîm eine Bibliothek, ob zahlreich oder nicht, bin ich nicht im Stande anzugeben.“202 Erwartungsgemäß sollte auch die Umayyadenmoschee als wichtig- ste religiöse Institution von Damaskus eine herausragende Rolle für deren Bibliothekslandschaft spielen.203 Eines der einst an sie gestifteten Bücher ist auch in die Rifāʿīya eingegangen (Vollers 685). Zwar befanden sich viele der bedeutendsten Madrasen mit ihren Bibliotheken sowie der Buchmarkt in ihrer direkten Nachbarschaft, doch die Hauptmoschee der Stadt selbst, architektonisch­ und spirituell das Herz von Damaskus, hatte in

199 Vgl. die Stiftungsurkunde MSD siǧill 49 / waṯīqa 617 / S. 202–203. 200 Vgl. Murādī: Silk I, S. 268. 201 Hierbei könnte es sich entweder um eine entsprechende Takīya in Ṣāliḥīya oder eine ebenso benannte, direkt neben der bekannten Takīya as-Sulaimānīya verortete Institution handeln; vgl. al-Rihawi / Ouechek: Les deux takiyya de Damas; zur letzteren Takīya im Marǧ vgl. auch Weber: Damascus II, S. 240. 202 von Kremer: Mittelsyrien, S. 143. 203 Vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 202–208; Ghanem: Zur Bibliotheksgeschichte, S. 40–57; MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 182–183. Die wohl früheste bekannte Stiftung eines Buches an die Große Moschee von Damaskus ist auf einem noch vor kurzem im Syrischen Nationalmuseum in Damaskus ausgestellten Koran-Fragment dokumentiert, vgl. D’Ottone: Frammenti coranici antichi, S. 219; Ush / Joundi / Zouhdi: A concise guide, S. 209–210. 184 kapitel 2

­bibliothekarischer Hinsicht in osmanischer Zeit offenbar nicht mehr viel zu bieten. Ihre Bestände sollen in vorosmanischer Zeit einmal sehr breit gefä- cherte Literatur und die kompletten Bibliotheken vieler Gelehrter beinhaltet haben, an Werken z.B. Ibn Abī Uṣaibiʿas Tārīḫ al-aṭibbāʾ (=ʿUyūn al-anbāʾ fī ṭabaqāt al-aṭibbāʾ) oder al-Iṣfahānīs monumentale Gedicht-Anthologie Kitāb al-aġānī.204 Am 22. September 1853 schreibt Wetzstein jedoch an Fleischer: „Die Verwaltung der hiesigen waqf-Bibliotheken ist äußerst gewissenlos. Ich habe Cataloge von Moscheebibliotheken gesehen, die Tausende von Nummern zählten, während in der Tat nur noch Dutzende davon vorhanden sind. Die Omawy hatte gegen 15.000 Bände, jetzt sind noch 364 vorhanden.“205 Ähnlich äußert sich kurz davor bereits Alfred von Kremer: „Ehemals war zwar die große Moschee reich an Büchern, doch sind diese alle verschleudert worden, so dass an Büchern kaum etwas anderes vorhanden ist als Korane.“206 Was am Ende des 19. Jahrhunderts noch übrig war, wurde wahrscheinlich im verheerenden Brand von 1893 vernichtet.207 Vor allem beim Grab Johannes des Täufers sollen Bücherschränke aufgestellt gewesen sein.208 Aber die individuellen Stiftungen konnten letztlich überall aufbewahrt werden und sind sicherlich auch kontinuierlich geschehen, ohne dass wir davon dokumentarische Zeugnisse überliefert hätten. Zu den klei- nen Stiftungen gehörte etwa die des ʿAbd al-Wahhāb Ibn al-ʿĀnī. Er war der Umayyadenmoschee als Zeitmesser (muwaqqit) und Gebetsrufer (muʾaḏḏin) verbunden. Im Jahr 1093 / 1682 stiftet er neben seinen zahlreichen Sanduhren zumindest auch seine Fachbücher, jene sechs Werke, die mit der Astronomie zusammenhängen. Da die Stiftung nach seinem Tod von den Kollegen des Verstorbenen bezeugt wird, dürften sie deren Nutznießer gewesen sein. Stipulationen über den Aufstellungsort sind allerdings nicht bekannt.209 Noch 1263 / 1847 stiftet ein Scheich Aḥmad efendī eine Sammelhandschrift mit mystischen Texten in die „ḥuǧrat aš-šaiḫ Aḥmad efendī“ (MS Leiden Or.11.073 = Ar. 3309), also anscheinend seine eigene Kammer.210

204 Éche: Les bibliothèques, S. 205. 205 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, 22. September 1853, fol. 1v. 206 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142. 207 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 2. 208 Ebd. 209 Die Stiftung wird nach seinem Tod in einem Erbfall durch seine Kollegen bezeugt im Dokument MSD 16 / waṯīqa 69 / S. 37. Das Dokument wurde bereits erwähnt bei El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 189; Einblick in den Text verdanke ich Astrid Meier (Beirut). 210 Witkam: Inventory, vol. 12, S. 35. Die Umwelt der Rifāʿīya 185

In die Umayyadenmoschee integriert war auch eine eigenständige Bibliothek im Bait al-Ḫiṭāba, dem für die Prediger reservierten Raum. Gestiftet hatte sie ein 1018 / 1609 verstorbener ʿAlī ad-Daftarī, der Anfang des 11. Jahrhunderts zwei Mal daftardār, also Finanzverwalter der Provinz Damaskus war. Er war ein besonderer Verehrer der Lehren Ibn al-ʿArabīs, des von der Osmanendynastie und den von ihnen geförderten Gelehrten im Allgemeinen hochgeschätz- ten, an seinem Sterbeort Damaskus aber lange sehr kontrovers betrachteten Mystikers.211 ʿAlī ad-Daftarīs verhältnismäßig große Büchersammlung bestand nicht zuletzt aus Werken dieses umstrittenen Mannes, und daher ist es nicht uninteressant, dass sie innerhalb der Umayyadenmoschee aufgestellt werden konnte. Sie war in einem Raum, der als ḥuǧrat al-ḫiṭāba bekannt war und neben dem maqṣūra lag, aufbewahrt. Bereits Muḥibbī berichtete am Anfang des 12. / 18. Jahrhunderts jedoch, dass ein Mufti von Damaskus, dem das Amt des Aufsehers über die Bibliothek übertragen wurde, sich dieser bemächtigt hätte.212 Dennoch lebten Reste der Einrichtung noch bis in das 19. Jahrhundert fort. Offenbar ist dann nur ein Teil (73 Handschriften) der in dieser Bibliothek aufbewahrten Bücher in die Ẓāhirīya gekommen, der Rest aber im großen Feuer von 1893 verbrannt.213

2.3.3.4 Sonderfälle Der Geniza-artige Fund von Büchern und Dokumenten verschiedenster Sprachen und Epochen im sogenannten Schatzhaus (qubbat al-ḫazna) der Umayyadenmosche kann nicht als Bibliothek gewertet werden. Er war auch in

211 Vgl. zu verschiedenen Kontroversen unter den Mamluken Geoffroy: Le soufisme, S. 370–385 neben vielen weiteren Stellen im gesamten Werk. Besonders prägnant sind mehrere auch juristische Auseinandersetzungen zwischen Šams ad-Dīn al-ʿUmarī sowie Burhān ad-Dīn al-Biqāʿī als Verehrer Ibn ʿArabīs auf der einen und Taqī ad-Dīn Ibn Qāḍī ʿAǧlūns, der sie der bidʿa bzw. des kufr bezichtigt auf der anderen Seite; vgl. dazu Ġazzī: Kawākib I, S. 115–119. Zur „offiziellen“ Aufnahme Ibn al-ʿArabīs durch die Osmanen – aus- gedrückt etwa durch Fatwas des šaiḫ al-islām, Bauwerke oder Ibn ʿArabī zugeschriebene Prognostiken zur Legitimierung der osmanischen Dynastie – existiert eine ungedruckte Dissertation von Ahmed Zildžić: Friend and foe: The Early Ottoman Reception of Ibn ʿArabī. Unveröffentl. Dissertation, University of California, Berkley. 2012; vgl. dazu die Rezension von Emin Lelić (http://dissertationreviews.org/archives/7584), eingesehen am 27.01.2014. 212 MuḤibbī: Ḫulāṣat III, S. 191. Zur Person und Stiftung auch Ġazzī: Luṭf as-samar II, S. 581–583. Der Bericht der Quellen ist falsch dargestellt in El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 85. 213 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 13. 186 kapitel 2

Abb. 26 Im Schatzhaus auf dem Hof der Damaszener Umayyadenmoschee wurden entsorgte Dokumente und nicht mehr benötigte Bücher verwahrt.

der Moschee selbst kaum jemandem bekannt und die so bewahrten Schriften wurden wohl nicht genutzt.214 Eine ähnliche „Bibliothek“ hat auch der deutsche Reisende Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) in den 1830er Jahren bei seinem Besuch auf der Damaszener Zitadelle (qalʿa) gesehen. „Ehe ich – Damaskus verliess, begab ich mich noch mit Clot Bey nach dem sogenannten Castell, welches man ohne specielle Erlaubnis nicht sehen kann. – Die noch zum Theil vorhandenen und sorgsam verschlossenen Rüstkammer entsprach in ihrem desolaten Zustande vortrefflich türkischer Verfahrensweise. Nachdem wir in ein zum Theil ver- mauertes Loch hineingekrochen und eine schwankende Treppe in dunkler Nacht hinaufgetappt waren, auf der, wie wir beim Öffnen der Rüstkammer erst gewahr wurden, eine Menge halb vermoderter und zerrissener Manuscripte lagen, traten wir in einen schönen gewölbten Saal, dem noch mehrere andere folgten. Der Boden dieser Gemächer war einige Fuss hoch mit Büchern,

214 Ebd., S. 4. Die Umwelt der Rifāʿīya 187

Papieren und Rüstungsstücken aller Art bedeckt, die sich freilich vermischt neben einander befanden, aus denen aber bei jeder Berührung sehr feindli- che Wolken schwarzen Staubes emporflogen.“215 Auch hier ist nach dieser Schilderung davon auszugehen, dass die Bibliothek keine Öffentlichkeit hatte, sie ist auch literarisch nicht weiter bezeugt. Vielleicht handelte es sich bei den Büchern um archiviertes Verwaltungsschriftgut.

2.3.4 Bibliothekarische Parallelwelten: Kirchen und Klöster Eine ganze demographische Gruppe war in den Texten der meisten waqf- Vermerke explizit – und implizit sicher generell – von der Benutzung der gestifteten Bücher ausgenommen: die religiösen Minderheiten. Ein Beispiel aus der Rifāʿīya ist die an die Madrasa aḍ-Ḍiyāʾīya in Damaskus gestiftete Handschrift Vollers 84, welche explizit schreibt: „waqf ʿalā l-muslimīn“. Es war im islamischen Stiftungsrecht zwar durchaus nicht allgemein ausgeschlos- sen, Christen oder Juden zu Nutznießern einer Stiftung zu machen, solange das Stiftungsgut keine islamischen Normen verletzt, wie etwa den Umgang oder den Handel mit Wein. Nach der Auffassung zumindest vereinzelter Rechtsgelehrter hätte ein muslimischer Philanthrop sogar durchaus eine Bibel für eine Kirche stiften können,216 doch wären nicht viele Juristen diesem Punkt gefolgt.217 Und ob dies jemals geschehen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Innerhalb der mit Bücherstiftungen bedachten religiösen Institutionen aber waren Andersgläubige – bereits aus Gründen der rituellen Reinheit – gene- rell nicht willkommen. Eine Ausnahme könnten vielleicht Stiftungen an Krankenhäuser218 gewesen sein, an denen zu allen Zeiten auch christliche Ärzte wirkten.219 Leider sind wir über die Bestände und die Benutzung die- ser Krankenhaus-Bibliotheken nur sehr unzureichend informiert und können noch nicht einmal sagen, welche von ihnen in osmanischer Zeit überhaupt noch über nennenswerte Büchersammlungen verfügten.

215 Pückler-Muskau: Die Rückkehr II, S. 377–378. 216 Eine dahingehende mālikitische Stimme aus dem 10. / 16. Jh. ist ḤaṬṬāb: Mawāhib al-Ǧalīl VI, S. 23. 217 Explizite Gegenstimmen aus der Frühzeit angeführt von Cahen: Reflexions, S. 53. 218 Éche: Les bibliothèques, S. 235–236; Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī II, S. 426; zum mamluki- schen Ägypten vgl. Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 101–103. 219 Die mamlukische Zeit scheint für das nicht-muslimische Personal der Krankenhäuser tat- sächlich ein Bruch gewesen zu sein und muslimische Ärzte beginnen, diese Institutionen zu dominieren. Doch in osmanischer Zeit finden sich nach dokumentarischen Quellen offenbar weiterhin oder wieder ḏimmīs als Ärzte an syrischen Krankenhäusern, vgl. Rafeq: The integration, S. 104. 188 kapitel 2

Europäische Christen hatten in vielen Punkten einen ganz anderen Status. Dass der schwedische Reisende J. D. Åkerblad die Bibliothek der von Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār in ʿAkkā gegründeten an-Nūr al-Aḥmadīya aber bereits 1787 für seine Arbeit nutzen konnte, ist ein große Ausnahme.220 Erst ab dem 19. Jahrhundert konnten zumindest europäische Reisende und Wissenschaftler vereinzelt die Benutzung von Stiftungsbibliotheken erwirken, besonders in den osmanischen Kernlanden aber auch in den arabischen Provinzen. Ignaz Goldziher (1850–1921), ein aus Ungarn gebürtiger jüdischer Schüler Fleischers, konnte sogar als wahrscheinlich erster Jude am Unterricht der Kairiner Azhar teilnehmen. Und am Ende des Jahrhunderts durfte eine deutsche Gruppe das sogenannte Schatzhaus (qubbat al-ḫazna) in der Umayyadenmoschee – eine damals in Vergessenheit geratene Deponie alter Schriften – öffnen, freilich nicht, ohne vorher über die Vermittlung Kaiser Wilhelms II., wel- cher die Umayyadenmosche mit seiner Frau besucht hatte, eine dahinge- hende Anweisung des Sultans erwirkt zu haben.221 Ob sich diese freizügigere

220 Thomasson: The life of J. D. Åkerblad, S. 79. 221 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 4; Violet: Ein zweisprachiges Psalmfragment aus Damascus; die ver- lorene Spur dieser Forschung Violets ist erst vor kurzem wieder aufgegriffen worden von Mavroudi: Arabic words in Greek letters; den besten Überblick über Geschichte und Bedeutung der Sammlung bietet D’Ottone / Radiciotti: I frammenti; überarbeitet in D’Ottone: Manuscripts as mirrors; sowie Bandt / Rattmann: Die Damaskusreise Bruno Violets; wobei aber jeweils die etwas weitergehenden Angaben zur Vorgeschichte, etwa zur ersten Besichtigung der Sammlung durch den englischen Konsul Edward Thomas Rogers (1831 – 1884) bereits gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in Zayyāt: Ḫazāʾin, S. 3 zu berücksichtigen wären. Auf alten Fotographien wird das Schatzhaus (qubbat al-ḫazna) auch fälschlich als „bibliothèque“ bezeichnet. Dies ist wohl auf die anhaltenden und auch etwa bereits Albert Socin: Palästina und Syrien, S. 384 bekannten Gerüchte zurückzuführen, das „kleine Gebäude soll nur alte Bücher und Kostbarkeiten enthalten und nie (?) geöffnet werden.“ Der Inhalt des Schatzhauses ist für uns heute nicht mehr vollständig greifbar, die Schriften wurden hauptsächlich nach Istanbul überführt und ihre Zahl teilweise mit mehr als 150.000 Fragmenten angegeben. Hauptsächlich enthielt der Bestand literari- sche Schriften in den unterschiedlichsten Sprachen – Griechisch, Armenisch, Aramäisch, davon einiges als Palimpsest unter späteren arabischen Überschreibungen, aber auch Lateinisch in griechischer und lateinischer Schrift, Altfranzösisch, Koptisch oder Georgisch. Unter den dort verwahrten Dokumenten befanden sich allerdings auch die einzigen in großer Zahl überlebenden vor-mamlukischen dokumentarischen Quellen aus Damaskus (Papyri, hauptsächlich aber Pergament und Papiere), von denen einige ediert wurden; vgl. zuletzt und mit weiterführender Bibliographie Sourdel-Thoumin / Sourdel / Mouton: Un acte notarié [dort umfangreiche Bibliographie]; Sourdel: Certificats de pèlerinage. Auch der berühmte Koran des Amāǧūr befand sich anscheinend in diesem Schatzhaus. Die Umwelt der Rifāʿīya 189

Handhabung des Zugangs und Zugriffs auch auf die einheimischen Nicht- Muslime erstreckte, entzieht sich unserer Kenntnis. Damit kommt den konfessionell abgeschlossenen bibliothekarischen Anstrengungen der religiösen Minderheiten eine große Bedeutung zu. Da diese Bedeutung in der Forschung nur sehr lückenhaft aufgearbeitet ist, kann sie auch hier nicht befriedigend dargestellt werden. Unter den großen Darstellungen zur arabischen Bibliotheksgeschichte geht einzig Philippe Dī Ṭarrāzīs drei- bändige Bibliotheksgeschichte Ḫazāʾin al-kutub al-ʿarabīya fī l-ḫāfiqain auf die Sammlungen von Kirchen und Klöstern näher ein. Der Organisator und erste Direktor der libanesischen Nationalbibliothek hatte selbst sehr enge Verbindungen zum – syrisch-katholischen – Klerus und verschiedenen Klosterbibliotheken, ja vermachte seine eigene Handschriftensammlung schließlich dem Kloster Dair aš-Šarfa nördlich von Beirut. Der syrische Raum und besonders der heutige Libanon war mit seinem bis in unsere Zeit sehr hohen christlichen Bevölkerungsanteil eine besondere Region sowohl für die Interaktion der verschiedenen Religionsgemeinschaften wie auch für die Ausprägung einer eigenen literarischen Kultur.222 Dennoch wis- sen wir verhältnismäßig wenig über diese Bibliotheken, ihre Leser, Bestände und Verwaltung, da es kaum zeitgenössische Berichte über sie gibt und ihre Bestände ohne eine ausstehende Analyse der Stiftungseinträge noch schwer über das 19. Jahrhundert zurück verfolgt werden können. Besonders im Fall Damaskus scheint dies unmöglich zu sein, wurde doch das Christenviertel mitsamt der darin befindlichen Bibliotheken im Zuge des Massakers von 1860 fast komplett durch Feuer zerstört. Wetzstein berichtet, dass „unschätzbare im Besitze der alten, christlichen Patrizierfamilien gewesene Sammlungen ­untergingen“ und sogar von einer allgemeinen Preissteigerungen von Handschriften in der Folge dieser Ereignisse.223 Auch Ḥabīb az-Zaiyāt, der am Ende des 19. Jahrhunderts noch so viel zu den Bibliotheken der Madrasen und Moscheen zu sagen hat, hört über die ehemaligen Bestände der christlichen Kirchen nur von deren verschiedenen Bischöfen und Patriarchen, dass sie wohl einst reiche Bibliotheken gehabt haben müssen.224 Im Kloster Dair as-Saiyida in Ṣaidnāyā bei Damaskus etwa soll es eine rei- che Bibliothek gegeben haben, besonders an syrischen Handschriften, doch zumindest diese sind ebenfalls einem ganz besonderen Feuer zum Opfer ­gefallen.225 Die Nonnen des Klosters hatten angeblich Angst, dass eine so

222 Die libanesischen Bibliotheken, jedoch hauptsächlich aus der Zeit nach dem Verkauf der Rifāʿīya, werden behandelt in Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al-kutub II, S. 413–455. 223 Wetzstein: Catalog arabischer Manuscripte, S. 1–2 des unpaginierten Vorwortes. 224 Zaiyāt: Ḫazāʾin, S. 91–96. 225 Ebd., S. 113–117. 190 kapitel 2 große Anzahl syrischer Handschriften den behaupteten Ansprüchen der syrisch-orthodoxen Kirche auf das Kloster Nahrung geben würden. Daher beschloss man, die Bücher, viele auf uraltem Pergament geschrieben, zu ver- brennen. Am Ende blieben so als Ertrag einer jahrhundertealten Bibliothek ein paar über deren Asche gebackene Brote.226 Demgegenüber blieb aber die alte Bibliothek der Patriarchen von Antiochia, welche ihren Sitz in Damaskus hat- ten, zwar intakt, aber der Öffentlichkeit gegenüber vollkommen abgeschlos- sen. Als der russische Arabist Ignaz Kratschkowski am Ende des Jahrhunderts Zugang zu ihr erlangen wollte, fand er einen Patriarchen, der die Bücher wie sein Privateigentum hütete.227 Wir erfahren noch von einigen weiteren Institutionen, die über verhält- nismäßig bedeutende Sammlungen verfügt haben müssen. Bereits erwähnt wurde das Kloster Dair al-Muḫalliṣ bei Ṣaidā, dessen Bücher nicht nur durch al-Ǧazzārs Plünderung leiden mussten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gab es im Kloster offenbar wieder oder immer noch eine beachtliche Bibliothek. Verantwortlich für die Sammlung war niemand anderes als der umtriebige Anṭūn Būlād, den wir als Mitbewerber um die Erwerbung der Rifāʿīya kennen- gelernt haben. Unter seiner Ägide wuchs der Bestand auf mehr als 1.000 Bände an, war auf mehrere Räume verteilt und durch einen rudimentären Katalog erschlossen. Von vielen Seiten wurden Bücher für das Kloster gestiftet, darun- ter nicht zuletzt von Būlād selbst,228 aber auch von dem bekannten­ ­britischen Diplomaten, Biographen ʿAbd al-Qādirs und Chronisten der Aufstände im Libanongebirge, Colonel Charles Henry Churchill (1807–1869),229 und ebenso von Wetzstein,230 der ein Exemplar der Baiḍāwī-Edition seines Lehrers Fleischer stiftete. Doch sieben Jahre nach dem Verkauf der Rifāʿīya musste Būlād erleben, wie die Bibliothek des Klosters im Zuge der Massaker von 1860 von lokalen Drusen geplündert wurde.231

226 Ebd., S. 117; zumindest eine arabische Handschrift, die dem Kloster gestiftet war (Beirut AUB MS 240.2 S22sA) ist dem Feuer entkommen. Vielleicht wurden tatsächlich nur die syrischen Bücher vernichtet. 227 Kratschkowski: Über arabische Handschriften gebeugt, S. 48–51. 228 Beirut AUB MS 492.76 K451mA, ein Werk über Metrik von ʿAbdallāh al-Ḫazraǧī. 229 Zu ihm Lewis: Churchill of Lebanon. 230 Būlād: Muḏakkirāt, S. 102. 231 In Būlād: Muḏakkirāt, beschreibt Anṭūn Būlād die Plünderung der Bibliothek sowie seine Bemühungen beim osmanischen Gouverneur und dem Oberhaupt der vatikani- schen Propaganda-Presse um Drucklegung seines Kataloges der Bibliothek. Dieser sollte dazu dienen, bei Bücherkäufern und –händlern ein Bewusstsein für die geraubten Bände zu wecken und so einige von diesen gegen Finderlohn wiederzuerlangen. Die Umwelt der Rifāʿīya 191

Abb. 27 Dieses Buch wurde durch Anṭūn Būlād an das Kloster Dair al-Muḫalliṣ gestiftet. Beirut, AUB MS 492.76 K451mA, fol. 1r

In Aleppo hatte der Grammatiker, Dichter und Bischof Ǧarmānus Farḥāt (1081 / 1670 – 1145 / 1732) seine große Privatbibliothek zum Grundstock einer Stiftung an seinem Amtssitz gemacht. Bei einem Gelehrten, der sich so sehr um die Pflege der Arabisch-Studien in seiner Gemeinschaft kümmerte, ist es nicht verwunderlich, wenn wir in seinem Fall einen Schwerpunkt auf 192 kapitel 2

­arabischen Werken finden. Doch auch an syrischen Büchern mangelte es in dieser Sammlung nicht.232 Außergewöhnlich ist jedoch die Provenienz, denn der spätere Bischof soll viele der arabischen Handschriften 1711 und 1712 auf einer Reise in Spanien erworben haben.233 In den erhaltenen Kodizes findet man den eigenhändigen arabischen Stiftungseintrag des Bischofs neben sei- nem Amtssiegel. Genaue Informationen zur Benutzung und Öffentlichkeit der Sammlung in der Frühzeit erhalten wir leider nicht. Aber Ulrich Jasper Seetzen konnte hier 1804 einen Folio-Band der Fabelsammlung Kalīla wa-Dimna aus- leihen und fand darin auch den Stempel des Bischofs, dessen Stiftungseintrag er auf Arabisch widerzugeben versucht. Dieser Band gehörte demnach zu den 1727 von Ǧarmānūs Farḥāṭ – er nennt sich hier mit seinem als Mönch ange- nommenen Namen Ǧibrāʾīl – gestifteten.234 Zu einem späteren Zeitpunkt beschreibt Seetzen die Bibliothek, die er sehr positiv der kleinen und unge- nutzten Sammlung der „altgriechischen“ Kirche gegenüberstellt. Demnach sei die Sammlung zwar nicht sonderlich groß (600 arabische, 200 syrische und karšūnische Manuskripte, daneben 200 europäische oder libanesische Drucke), jedoch sehr aufgeräumt und offensichtlich gut organisiert. Ihr Aufstellungsort war „ein zwar nicht grosses, aber helles und luftiges Zimmer, wo die Bücher nach europäischer Art aufgestellt waren. (. . .) Von den Kirchendienern haben vier die Obliegenheit, die Bibliothek beständig proper zu halten, den vorhan- denen Katalog zu revidiren, die ausgeliehenen Bücher zu notiren und einzu- fordern u.s.w.“235 Nach Johann Ludwig Burckhardt (1784 – 1817) soll auch die maronitische Schule von ʿAin Warqa eine große Bibliothek syrischer Handschriften enthalten haben. Diese Bibliothek blieb ihm aber verschlossen. Burckhardt sah nur ein großes syrisches Lexikon „von Ǧirǧis el Kerem Seddany“, der es 1619 geschrie- ben hatte. Es wäre in Syrien sicher 800 bis 1000 Piaster wert, spekuliert er.236 Im syrisch orthodoxen Kloster von an-Nabak kann Ulrich Jasper Seetzen nur von einer syrischen Chronik und den heiligen Schriften hören,237 während er im Maronitenkloster Mār Ilyās eine kleine Bibliothek gezeigt bekommt, „worin aber die syrischen und arabischen zum Theil in Rom gedruckten Werke der

232 Vgl. dazu Río Sánchez: The study of Syriac in an arabized community. 233 FarḤāt: Bulūġ al-arab, S. 21. Razzūq: Ǧarmānūs, S. 37, 45; Manaš: al-Mustaṭrafāt, S. 106–108. 234 Seetzen: Tagebuch des Aufenthalts in Aleppo, S. 230. 235 Ebd., S. 277–278. 236 Conder: The modern traveler. Syria and Asia Minor I, S. 160 (nach Ludwig Burckhardt). 237 Seetzen: Reisen durch Syrien I, S. 24. Die Umwelt der Rifāʿīya 193

Kirche nichts besonderes waren.“238 Gerade durch ihre griechischen und syri- schen Bestände erregten die Klosterbibliotheken das Interesse der europäischen Wissenschaft außerhalb der Arabistik und weckten Erwartungen, die oftmals nicht gehalten werden konnten. Über die libanesische Küstenmetropole Tripoli berichtet der schwedische Reisende Åkerblad 1787 ernüchtert: „Around Tripoli are several Greek and Maronite monasteries, some of which I visited in the hope of finding manuscripts. (. . .) I can now explain to Sir that the ­learned have little new to expect of that kind from here. I have minutely surveyed almost all of the book collections on the Lebanon; they only contain Syriac and Arabic breviaries and a few Arabian poets long known in Europe.”239 Die gleichen Anschuldigen von Vernachlässigung und Verfall, welche die Bibliotheken der muslimischen Bildungseinrichtungen über sich ergehen lassen mussten, treffen auch ihre christlichen Pendants. Vom Kloster der Franziskaner in Nazareth berichtet der Leibarzt von Lady Hester Stanhope am Beginn des 19. Jahrhunderts: „The appartment assigned to me was the library, where about fifty shelves of books, dusty from neglect, and worm-eaten for want of use, bore doubtful evidence to the studious propensities of the fathers. (. . .).“240 Bisher erlauben die literarischen Nachrichten kein fundiertes Bild, scheinen aber auf einige Besonderheiten zu verweisen: namentlich eine oft sehr geringe Größe der Sammlungen, deren Verschlossenheit für auswärtige Besucher, sowie das Vorhandensein von nicht-arabischer Literatur und Drucken. Diese literarisch überlieferten Informationen können von mir, anders als im Fall der muslimischen Stiftungsbibliotheken, bisher kaum durch doku- mentarische Quellen, besonders aus den Handschriften selbst bereichert werden. Bereits die Tatsache, dass christliche oder jüdische Institutionen und Stiftungen im für diese Studie untersuchten Korpus arabischer Handschriften des historischen Bilād aš-Šām praktisch keine Rolle spielten, deutet auf konfes- sionelle Grenzziehungen und bestimmte Besonderheiten dieser Bibliotheken hin. Die erste Grenzziehung war sprachlicher Natur: Die Benutzung verschie- dener religiös legitimierter Sprachen und Schriften wie Syrisch-Aramäisch, Hebräisch oder Griechisch für Liturgie und theologische Studien markierte eine scharfe Verständnis-Barriere für ein potenziell breiteres, Arabisch spre- chendes Publikum. Für heutige Forschungsbemühungen bedeutet die von den Einrichtungen des Klerus gepflegte Buchtradition, die bei der Durchsicht arabischer Handschriftenbestände immer unsichtbar bleiben muss, eine

238 Ebd., S. 148. 239 Brief J. D. Åkerblad von 28. Dezember 1787 zitiert in Thomasson: The life of J. D. Åkerblad, S. 77. 240 [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 269. 194 kapitel 2

Einschränkung des Blickfeldes. Für das literarische Umfeld dieser Institutionen von Minderheiten war die Sprachbeherrschung ein Ausschlusskriterium, und das gilt sowohl für Muslime wie für die weniger gut ausgebildeten Mitglieder der eigenen Gemeinschaften. Dagegen machten gerade diese Sprachen sowie die konfessionelle Nähe und damit ein manchmal leichterer Zugang diese Bibliotheken besonders inter- essant für europäische Reisende und wir erfahren von ihnen mehr über die christlichen als über die muslimischen Bibliotheken. Wie sehr diese konfessio- nelle Grenze die Zulässigkeit und damit sogar die Sichtbarkeit der verschiede- nen Sammlungen bestimmte zeigt die vollkommen falsche Aussage Volneys, eine Klosterbibliothek sei neben derjenigen Ǧazzārs in ʿAkkā die einzige in ganz Syrien.241 Aber die Bücher in Kirchen und Klöstern sind durchaus nicht nur in den sakral aufgeladenen Sprachen der jeweiligen Konfession geschrieben, sie haben mindestens ebenso große Bestände in arabischer Sprache. Auch Ǧazzār soll seine kostbare arabische Bibliothek ja nicht zuletzt aus dem Kloster Dair al-Muḫalliṣ geplündert haben. Und damit ist auch schon gesagt, dass es inhaltlich große Übereinstimmungen mit dem Literaturkanon gegeben haben muss, der für die Bibliothek einer Madrasa angemessen erschien. Volney gibt einen kleinen Katalog der Bibliothek des melkitischen Klosters Mār Yuḥannā in Šuwair, die neben den in der eigenen Druckerei verlegten Titeln nur 15 arabische­ Werke aufzählt.242 Man war offensichtlich besonders um eine gute Beherrschung der arabischen Sprache bemüht. So finden sich mit dem Lexikon Qāmūs von Fīrūzābādī oder mit der Alfīya, dem grammatischen Lehrgedicht Ibn Māliks, Standardwerke der Sprachwissenschaft. Als Anschauungsmaterial waren Werke universal hochgeschätzter Literatur und Sprachkunst vorhan- den, zu nennen wären Ibn al-Fāriḍs Dīwān und die Maqāmāt von al-Ḥarīrī. Doch im ganzen Kloster soll nur ein Mönch das letztere Buch überhaupt ver- standen haben (wobei wir uns fragen müssen, wie Volney selbst das beurteilen könnte).243 Neben vor allem sprachwissenschaftlichen und einigen medizi- nischen Werken finden sich eine arabische Version der Jüdischen Geschichte (wohl De bello Judaico) von Flavius Josephus (etwa 37 – 100) und ein Koran. Inhaltlich sehen wir also zu einem gewissen Grad eine Duplikation der mus- limischen öffentlichen Bibliotheken. Doch einiges, was an verbreiteten arabi- schen Werken in den Klosterbibliotheken vorhanden war, konnte trotzdem

241 Volney: Travels II, S. 206, 448 (die Bibliothek von Mār Yuḥannā soll die einzige neben der al-Ǧazzārs gewesen sein). 242 Ebd., S. 205–206. 243 Ebd., S. 207. Die Umwelt der Rifāʿīya 195 nicht von jedem gelesen werden. Das Kloster Dair as-Suryān in Jerusalem etwa besaß zwar eine Kopie von Dāʾūd al-Anṭākīs (gest. 1007 / 1599) medizinischem Kompendium Taḏkirat ūlī l-albāb in arabischer Sprache, doch geschrieben war sie wie so vieles aus dem Umfeld der Klöster in syrischer Schrift, dem soge- nannten Karšūnī.244 Wo die Sammlungen eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen, wird oft der konfessionelle Charakter deutlich. Denn natürlich findet sich als zweite große greifbare Abgrenzung zu den muslimischen Bibliotheken auf inhaltlicher Ebene eine ausgesprochene christliche Prägung. Christliche Gebetsbücher, Dogmatiken und Geschichtswerke haben außerhalb dieser Institutionen in muslimischen Sammlungen schlicht keinerlei Parallelen, die über eine zufällige Kuriosität hinausgingen. Die dritte Grenzziehung zeigt sich in einer oft größeren institutionel- len Beständigkeit, aber auch Abgeschlossenheit dieser Bibliotheken: Was einmal ins Kloster oder die Kirche kam, wanderte wohl schwerer wieder auf den Buchmarkt zurück. Dabei spielte auch ein anderes Verständnis des Stiftungsbegriffs eine Rolle. Da Mönche keinen Privatbesitz haben durften, fiel alles, was ihnen im Leben gehört hatte nach dem Tod dem jeweiligen Kloster als waqf zu. Dasselbe Wort beschrieb hier also durchaus einen unterschiedli- chen rechtlichen Sachverhalt. Der Mönch Makārīyūs ʿAkkāwī spricht dies in einem von ihm erworbenen Buch (Beirut AUB MS 242 T11) deutlich aus: Nach seinem Tod sollte es als „waqf rahbana“ an sein Kloster gehen. Und mit Blick auf die Leserschaft war die Stiftung in eine christliche Institution eine kon- fessionelle Einbahnstraße. Während man also in den Klosterbibliotheken die berühmten arabischen Grammatiken, Gedichtsammlungen, Lexika, ja sogar Kompendien des islamischen Rechts, Theologie oder den Koran selbst finden konnte, waren die literarischen Erzeugnisse der Bischöfe, Priester und Mönche sowie die frühen Übersetzungen aus europäischen Sprachen für muslimische Leser entweder nicht erreichbar oder uninteressant. Die grammatischen und lexikalischen Werke eines Ǧarmānus Farḥāt, seine oder seines Schülers Niqūlā aṣ-Ṣāʾiġ (1103 / 1692 – 1179 / 1752) Gedichtsammlung wurden von den geistli- chen Autoren an die kirchlichen Bibliotheken gestiftet und von dort auch immer wieder kopiert und verbreitet. Doch verließen sie die Sphäre klerikaler Bücher nun offenbar nicht mehr. Es entwickelte sich vielmehr eine Art litera- rische Parallelwelt. Das klerikale Personal erfüllte Funktionen im Bereich der Bildung und der Vervielfältigung von Wissen, wie es seine europäischen Pendants seit

244 MS Jerusalem, Dair as-Suryān 235; beschrieben im Internet unter folgender Adresse: http://hmmlorientalia.wordpress.com/2012/04/02/a-curse-in-arabic-against-book- thieves-in-a-copy-of-da%CA%BEud-al-an%E1%B9%ADakis-ta%E1%B8%8Fkirat. 196 kapitel 2 dem Hochmittelalter nicht mehr in gleicher Weise taten. Die Mönche von Dair al-Muḫalliṣ bei Ṣaidā etwa waren im 18. und 19. Jahrhundert auch sehr aktive Kopisten für andere christliche Auftraggeber.245 Wenn wir die sprung- hafte Zunahme von Handschriften aus einem christlichen Umfeld seit dem 17. Jahrhundert anschauen, die Heyberger gar eine „renaissance du manuscrit chez les chrétiens arabes“ nennen möchte,246 so waren dessen Träger Mönche und Priester oder gar Bischöfe und Patriarchen. Im 19. Jahrhundert beginnt sich dann eine säkulare Schicht aus Händlern und in der Verwaltung arbeiten- den Sekretären als neue Triebkraft literarischer Entwicklungen herauszubil- den. Am besten fassbar ist dieses Phänomen für uns bislang in der ägyptischen Hafenstadt Damietta, wo eine sehr große Gemeinde von Christen aus Bilād aš-Šām hinter den kulturellen Anstrengungen steht. Diese Bewegung steht immer noch im engen Kontakt mit geistlichen Kreisen und baut auf deren Arbeit auf – der Priester ʿĪsā Bītrū etwa übersetzt und kopiert für Bāsīlī Faḫr und die Händler von Damietta – das Programm ihrer literarischen Unternehmungen wird jedoch nicht mehr von klerikaler Seite bestimmt.247 Gleichzeitig rückt damit auch die Rolle der Bibliotheken an dezidiert christlichen Institutionen in den Hintergrund. Der Versuch, seit den ausgehenden 1840er Jahren im Rahmen neuer wissenschaftlicher Gesellschaften Bibliotheken zu etablieren – ein Versuch, aus dem sich dann die ersten Universitäten des Libanon entwic- keln sollten – hatte bereits einen dezidiert überkonfessionellen Charakter und weist in eine neue Zeit.248 Eine Besonderheit der christlichen Bibliotheken ist sicher das Vorhandensein gedruckter Bücher. In den Klöstern des Libanon begannen die ersten Ansätze einer Druckerpresse mit einem in Quzḥaya gedruckten Psalter bereits 1610, mit größerer Ernsthaftigkeit dann ab 1734 in Šuwair.249 Und europäische Besucher konnten hier zuweilen Produkte der heimischen Presse finden: Der britische Arzt Meryon findet Anfang des 19. Jahrhunderts in einem Kloster in Nazareth

245 Aus dem hier behandelten Korpus stammen von der Hand der Mönche dieses Klosters: Beirut AUB MS 160 M99mbA (1836 von Mīṭrūfānus walad Niʿma Baiṭār), MS 282.092 K1332kA (1845 von Dīmitrī al-Maʿlūlī), MS 492.75 F438fLA (o.D. von Ǧirǧis), die Vorlage von MS 909 K82aA hatte ein Priester des Klosters angefertigt; Tübingen MA VI 47 (1797 von Mīḫāʾīl Ḥamawī). 246 Heyberger: Livres, S. 217. 247 Vgl. [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 178–179; Reichmuth: Mündlicher und schriftlicher Wissenstransfer, S. 35–37; Liebrenz: The library of Aḥmad al-Rabbāṭ, S. 49. 248 Anonymus: Gesellschaft der Künste und Wissenschaften. 249 Volney: Travels II, S. 196–197; Heyberger: Livres et lecture, S. 6–7. Die Umwelt der Rifāʿīya 197 die arabische Grammatik von Erpenius,250 im Kloster Mār Sarkīs nahe dem libanesischen Ort Bšarrī findet Ulrich Jasper Seetzen wenige Jahre zuvor „eine kleine treffliche ausgesuchte Bibliothek von europäischen Werken, worin unter andern die französische Encyclopaedie befindlich ist.“251 Die missiona- rischen Aktivitäten der verschiedenen europäischen, später auch nordameri- kanischen Kirchen, zielte ganz auf die Verbreitung der eigenen dogmatischen Standpunkte beim Kampf um die einheimischen christlichen Kirchen. Die zu diesem Zweck unter Klerus und Gemeinde verteilten Bücher müssen in die Tausende gegangen sein.252 Auch der griechische Patriarch von Jerusalem lässt im 17. Jahrhundert in Bukarest eine arabische Geschichte des Patriarchats der Heiligen Stadt drucken, um sie gratis zu verteilen.253 Die entlegenen Klöster ohne urbane Anbindung konnten sicherlich keine große Ausstrahlungs- und Anziehungskraft entfalten. Viele von ihnen waren vor allem für die Mönche des jeweiligen Konvents zugänglich und wohl auch nur für sie gedacht. Die publizierten Kataloge der Handschriften von Dair aš-Šarfa, einem syrisch-katholischen Kloster im libanesischen Kisrawān, wel- che Vorbesitzer und Leser zumindest berücksichtigen, nennen unter letzteren nicht einen einzigen Muslim. Vielmehr bekleidete die große Mehrheit der Genannten hohe bis höchste kirchliche Ämter bis hinauf zum Patriarchen. Akuter stellt sich die Frage nach der Öffentlichkeit der städtischen Bibliotheken, wie sie etwa der Patriarch von Antiochia in Damaskus gehütet aber anschei- nend auch verschlossen hatte.254 Daneben hatten die christlichen Stifter mit den gleichen Sorgen vom Verlust ihrer Bücher zu kämpfen wie ihre muslimischen Zeitgenossen. Und

250 [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 269. 251 Seetzen: Reisen durch Syrien, Bd. I, S. 159. 252 Heyberger: Livres et lecture, S. 211–212 teilt ein Dokument aus dem vatikanischen Archiv mit, das die Lagerbestände der Propaganda-Presse an arabischen und syrischen Büchern im Jahr 1660 aufzählt. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt 12.586 Bände auf Lager! Bei dem Großteil dieser Bücher handelte es sich um liturgische (1.988 Bände) und katechistische Werke (8.240 Bände), die sicher nur zu einem sehr kleinen Teil für den europäischen Markt gedacht gewesen sein können. Sehr stark sind auch noch sprach- wissenschaftliche Werke wie Grammatiken, Lehrbücher und Lexika (6.643). Große Büchersendungen begleiteten etwa die Investiturschreiben neu eingesetzter Patriarchen, 1705 waren es 264 Bände, die auf diesem Weg an den Patriarchen Ǧibrāʾīl Blūzānī zur Verteilung in der Gemeinde gelangten; Ebd., S. 215. Auch die in Rom ausgebildeten maro- nitischen Kollegiaten erhielten nach Abschluss ihrer Ausbildung ein Buchpaket mit auf dem Weg nach Hause; Ebd. 253 Ebd., S. 214. 254 Kratschkowsky: Über arabische Handschriften gebeugt, S. 48–51. 198 kapitel 2 sie reagierten darauf ähnlich, nämlich mit Strafdrohungen durch göttlichen Beistand für all jene, die den waqf einmal entwenden sollten. Nur haben diese Strafdrohungen hier natürlich einen klar christlichen Bezug, meist soll der Übeltäter das Schicksal des Judas teilen, während ein mit der nötigen Autorität ausgestatteter Kirchenfürst auch die Exkommunikation androhen konnte.255 Wenn diese wenigen verstreuten Nachrichten über die Bibliotheken christ- licher Institutionen bereits wenig befriedigend erscheinen, gilt dies in noch viel größerem Maße von den jüdischen. Bei den sehr viel kleineren jüdischen Gemeinden darf man sicherlich nicht die gleiche Vielfalt voraussetzen. Aber die folgende, vom Orientalisten Julius Heinrich Petermann (1801–1876) auf sei- nem Damaskus-Besuch von 1853, wo er als Gast von Wetzstein weilte, gefällte Ansicht muss in dieser Pauschalisierung überraschen: „Von wissenschaftlichen Werken, von alten Handschriften überhaupt findet man, so viel ich mich aller Orten erkundigt habe, bei den orientalischen Juden nichts. Sie ermangeln jetzt durchgehends aller Bildung, wissen diese nicht zu schätzen, und haben daher auch nichts aus alter Zeit aufbewahrt.“256 Und drei Jahre später pflichtet ihm der österreichische Reisende Ludwig August Frankl (1810–1894) offenbar bei: „Eine Bibliothek besitzt die Gemeinde nicht, auch keine Handschriften; (. . .).“257 Aber eine im Besitz der Familie Stambulī befindliche Sammlung mehrerer hundert „moderne Druckwerke“ scheint dann doch eine gewisse öffentliche Funktion, zumindest für die lokalen Rabbiner gespielt zu haben: „In dem Saale, wo sie aufgestellt sind, versammeln sich täglich alle Rabbinen von Damaskus, um zu studieren und gelehrte Besprechungen zu halten.“258 Die Inhalte der Druckwerke dürften dementsprechend auf die Bedürfnisse des traditionel- len theologischen Studiums zugeschnitten, wenn nicht sogar beschränkt gewesen sein.

2.4 Öffentlichkeit, Verwaltung und Ausleihe der Bestände von Stiftungsbibliotheken

Für Taouati hat die Stiftung von Bibliotheken „une étonnante modernité“, da sie die Bücher öffentlich und für jedermann zugänglich gemacht habe.259 Wir

255 Der „Bruder“ Makārīyūs ʿAkkāwī warnte als Besitzer der Handschrift Beirut AUB MS 242:T11 mit dialektalen Anklängen: „damm kull man aḫaḏahā wa-mā ʿāda yarudduhā yakūn ḥaḍḍuhū [= ḥaẓẓuhū] maʿa Yūḍas al-laʿīn.“ 256 Petermann: Reisen, S. 143. 257 Frankl: Nach Jerusalem I, S. 371. 258 Ebd. 259 Taouati: L’armoire, S. 57. Die Umwelt der Rifāʿīya 199 haben bereits gesehen, dass der Wille zur Öffentlichkeit nicht automatisch aus der Stiftung folgte. Doch auch da, wo dieser Wille vorhanden war, gilt es, die Frage seiner praktischen Umsetzung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Der Damaszener Gelehrte Ḫalīl al-Murādī (gest. 1206 / 1791) berichtet in seiner Biographiensammlung Silk ad-durar aus eigener, ganz anderer Erfahrung von Besuchen in drei gestifteten Bibliotheken in Konstantinopel: „Diese Bibliothek [die des ʿĀṭif efendī] ist bewahrt vor dem Weben der Spinne durch die Anwesenheit eines aus der Familie des Stifters, der sich um ihre Angelegenheiten kümmert. Die Öffnung der Bibliothek des Bašīr aġā hingegen verhindert ein mächtiges Schloss, womit sie der Bibliothek in der Šahzāde- Moschee gleicht.“260 Murādī spricht hier zwar über Konstantinopel, doch beschreibt er mit den genannten Bibliotheken die positiven wie negativen Extremfälle der Verwaltung. Eine Sammlung konnte vollkommen verschlossen blei- ben oder sehr liberal geführt werden. Das Fehlen der Spinnweben, also des Verstaubens durch Nichtbenutzung, scheint für den Damaszener Murādī jedoch eine neue Erfahrung dargestellt zu haben. Doch auch der völlige Verschluss einer Büchersammlung hat ihn offenbar empört. Beides hatte weniger mit festgeschriebenen Regeln zu tun als mit deren Auslegung durch Bibliotheksangestellte. Es ist also zu fragen, welche Verwaltungspraktiken und welches Personal die Öffnung und den Betrieb einer Bibliothek sicherstellen sollten. Im Normalfall hatte jede Stiftung eine doppelte institutionelle Kontrolle, welche in der Regel bereits vom Stifter bestimmt wurde: die Aufsicht (naẓr) und die Verwaltung (tawallī). Dies war auch für Bücherstiftungen, sowohl öffentliche wie Familienstiftungen, nicht anders. Zwar gab es eine Arbeitsteilung nach Erledigung des Tagesgeschäfts und allgemeiner Kontrolle. Kompetenzstreitigkeiten waren für eine solche Doppelspitze allerdings wohl nicht ausgeschlossen, besonders da sich die Stifter und deren Nachkommen in der Regel eines der Ämter vorbehielten. Im Falle der Bibliotheken kamen noch spezielle bibliothekarische Aufgaben hinzu, die zumindest in den Augen der Stifter in der Regel aber nicht mehr als einen Bibliothekar (ḫāzin al-kutub / amīn al-kutub / ḫādim al-kutub / nāẓir al-kutub) erforderten. Normative Texte geben einen Eindruck von den idealen Aufgaben und der gewünschten Amtsführung eines Bibliothekars.261 Aus osmanischer Zeit hat sich solch ein Text nur aus der Frühzeit in Form des Naqd aṭ-ṭālib Ibn Ṭūlūns (gest. 953 / 1546) erhalten, eines Querschnittes durch die Berufswelt

260 Murādī: Silk III, S. 184. 261 Eine ideale Beschreibung findet sich in al-Wakīl: Āṯāṯ al-muṣḥaf, S. 298–302. 200 kapitel 2

­verschiedenster Gesellschaftsschichten vom Hofbeamten bis zum Handwerker und einer Zusammenstellung aller mit diesen Berufen zusammenhängenden Pflichten. Bezeichnenderweise und ganz dem kompendienhaften Charakter einer großen Zahl der Schriften dieses Damaszener Polyhistors entsprechend besteht der Text hauptsächlich aus den wortwörtlichen und durchaus nicht immer auch angegebenen Zitaten eines Vorgängerwerkes, nämlich Tāǧ ad-Dīn as-Subkīs (gest. 771 / 1370) Muʿīd an-niʿam wa-mubīd an-niqam. Ibn Ṭūlūn, der selbst Bibliothekar dreier Sammlungen war, hat also seine eigenen Erfahrungen vollkommen ausgeblendet und man wird daran zweifeln müssen, dass wir es hier mit einem getreuen Abbild der Verhältnisse aus seiner Lebenswirklichkeit zu tun haben. Der Fokus seiner Ausführungen liegt auf der Überwachung der Ausleihe der Bücher nach den Maßgaben ihres Stifters. Insbesondere muss der Bibliothekar darauf achten, kein Buch ohne angemessenes Pfand abzugeben. Außerdem soll bei der Ausleihe auf die Bedürfnisse der jeweiligen Leser Rücksicht genommen werden, das heißt insbesondere sollten die armen Leser gegenüber den reichen bevorzugt werden. Neben dem Schutz der Bücher sollte der Bibliothekar wenn nötig auch für deren Reparatur (tarmīm) Sorge tragen.262 Häufig benutzte Bücher beanspruchten natürlich ein großes Maß an Pflege. Der Aufseher (mutawallī) der ʿUmarīya am Beginn des 12. / 18. Jahrhunderts, Ibrāhīm efendī Ibn Ḥamza, lässt nach der Schilderung Ibn Kannāns die beiden Bücherschränke der ʿUmarīya, die unter seiner Aufsicht standen (bi-naẓāratihī), zur Reinigung der Bücher (li-aǧl nafḍ al-kutub) öffnen.263 Anwesend und unterstützend waren dabei einige Gelehrte und Studenten, die sich diese seltene Gelegenheit zur unmittelbaren Ansicht des gesamten Bestandes womöglich nicht entge- hen lassen wollten. Von bestandserweiternden Maßnahmen hingegen hören wir in dieser Anekdote ebenso wie davor bei Ibn Ṭūlūn gar nichts. Dass nicht alle Bibliothekare diesen idealen Anforderungen entspra- chen, wird anekdotisch immer wieder überliefert. Nach vielen Stimmen war der korrupte Aufseher die größte Gefahr für seine Bücher.264 Der oben als Organisator der großangelegten Reinigung der Bücher in der ʿUmarīya vorge- stellte Ibrāhīm Ibn Ḥamza war auch Besitzer einer in seiner Zeit gewaltigen Büchersammlung, deren Verkauf sich nach seinem Tod über einen Monat hin- zog. Ṣādiq Ibn al-Ḫarrāṭ, dessen Bücher teilweise auch in die Rifāʿīya gelang-

262 Ibn Ṭūlūn: Naqd, S. 157. 263 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 16. 264 Zusammenstellung von Anekdoten in Sāʿātī: al-Waqf, S. 179–182; Bericht eines Kairiner Buchhändlers von 1846 in [Paton]: A Cairo bookseller, S. 429; vgl. für Damaskus auch Badrān: Munādamat, S. 87–88, 113. Die Umwelt der Rifāʿīya 201 ten, erwarb besonders viel aus diesem Nachlass, nämlich etwa 300 Bände. Sie alle waren jedoch – zumindest nach dem Bericht Ibn Kannāns – eigentlich aus dem waqf der ʿUmarīya, der Sammlung also, deren Bestände Ibn Ḥamza hätte schützen und erhalten sollen.265 Und es ist auch leicht vorstellbar, dass die riesigen im 19. Jahrhundert nach Europa und Nordamerika gelangten Mengen von Handschriften nicht alle legal auf dem Buchmarkt gekauft wur- den. Doch sofern es hier dubiose Geschäfte gegeben hat, dürfte man schwer- lich etwas darüber erfahren. Der von Kurd ʿAlī an Wetzstein gerichtete Vorwurf des planmäßigen Betruges wurde bereits zitiert. Und Wetzstein selbst gibt in einem Brief zu erkennen, dass es Geschäfte gegeben hat, von der eine breitere Öffentlichkeit besser nicht erfahren sollte.266 Unsere literarischen Quellen haben eine Vorliebe für Skandale. Man sollte also über den relativ vielen Anekdoten von Korruption und Vernachlässigung nicht vergessen, dass es sicher auch sehr engagierte Bibliothekare und Aufseher gegeben hat. Ibn Ṭūlūn beschreibt sich selbst als einen solchen, als er die etwas phantastisch anmutende Zahl von 2.000 entliehenen Bänden der Ḍiyāʾīya gerettet haben will.267 Und das dokumentarisch überlieferte Beispiel des großen Büchersammlers Ḥāmid al-ʿImādī (1103 / 1692 – 1171 / 1758) scheint zu zeigen, dass ein säumiger Buchentleiher in Damaskus sich im schlimm- sten Fall auch vor Gericht verantworten musste. Der Gelehrte, der auch Mufti der Stadt war und in der Rifāʿīya als Besitzer von Vollers 399 bezeugt ist, ließ nämlich einen säumigen Entleiher nach mehrfacher erfolgloser Aufforderung schließlich vor den Richter bringen.268 Die Aufsicht über die Bücher konnte aber auch in Personalunion beim mutawallī der Institution liegen, wie dies nach Ibn Kannān bei der ʿUmarīya der Fall war.269 Diese Lösung brachte offensichtliche Nachteile mit sich, der schwerwiegendste wohl, dass der mutawallī im Gegensatz zum hauptamt- lichen Bibliothekar oft nur einen kleinen Teil seiner Zeit für diese Aufgaben

265 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 139. Bei MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 183–184, 187 wird die Geschichte reichlich mißverstanden als Verkauf der Bibliothek der ʿUmarīya. 266 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 10. März 1853: „Die zeither. Erwerbungen Petermanns sind außer 4 kostbaren Kufischen Koranen (da die Bücher aus خ� ز ن (.sind, so eignet sich diese Notiz zu keiner öffentl. Mittheilung ��ي����ه einer uralten heiligen und einer kleinen Sammlung Antiken nicht sonderlich gewesen.“ 267 Ibn Ṭūlūn: al-Qalāʾid al-ǧauharīya, S. 82. 268 MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 186; der Autor zitiert unveröffentlichte „Aurāq Āl al-ʿImādī“. 269 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 16. 202 kapitel 2

­aufwenden konnte und der Zugang zu den Büchern somit beschränkt war.270 Doch auch ein hauptamtlicher Bibliothekar dürfte in den seltensten Fällen täg- lich in der Bibliothek präsent gewesen sein, da für diesen Posten meist Gelehrte mit anderen Aufgaben ausgewählt wurden. Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī etwa, der die berühmte Sammlung der Kairiner Maḥmūdīya als ḫāzin verwaltete, versah sein Amt einen Tag pro Woche.271 Im 10. / 16. Jahrhundert war Ibn Ṭūlūn unter anderem Bibliothekar dreier Sammlungen, wird also für jede nicht allzu viel Zeit gehabt haben.272 Viel besser hatten es die Besucher der 1173 / 1759 von Aḥmad Ṭāhā-zāda gestifteten Aḥmadīya aus Aleppo, sofern die Stipulationen des Stifters tatsächlich befolgt wurden. Sie konnten an vier festgelegten Tagen der Woche – Sonntag, Montag, Mittwoch und Donnerstag – die Bibliothek in ihren Räumlichkeiten frei benutzen.273 Doch haben spätere Besucher beschei- nigt, dass diese liberale Einrichtung schon sehr bald von den Verwaltern unterlaufen wurde. Im 19. Jahrhundert brauchte man nach Paton bereits eine Erlaubnis vom Verwalter, der Schlüssel musste herbeigeschafft werden und der Aufwand für den Besuch der Bibliothek vergrößerte sich dadurch zusehends.274 Die typischen Biographien arrivierter Gelehrter berichten von eifrigen Titel- und Postensammlern. Oft wurden die tatsächlichen Amtsgeschäfte daher auch durch einen Vertreter (nāʾib) ausgeführt. Als ein neuer Verwalter der Stiftungen der Umayyadenmoschee am Ende des 16. Jahrhunderts tatsächlich einmal die eigenständige Amtsführung (mubāšara) verlangt, löst dies Irritationen aus.275 Die Bezahlung der Bibliothekare, wo wir etwas davon hören, ist dementspre-

270 Ganz ähnliche Probleme hatten Bibliotheksbenutzer auch in Europa teilweise noch im 19. Jahrhundert, wie das Leipziger Beispiel der prestigeträchtigen Ratsbibliothek zeigt. Mit der im 19. Jh. einsetzenden Professionalisierung des Wissenschaftsbetriebes galten solch eingeschränkte Nutzungsbedingungen allerdings längst nicht mehr als zeitgemäß. Vgl. Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, S. 76–79. 271 Saiyid: Naṣṣān, S. 128. 272 Ibn Ṭūlūn: Fulk, S. 23; er bezeichnet seine Tätigkeit jeweils als ḫidmat al-kutub, woraus man sicher auf die Amtsbezeichnung ḫādim al-kutub schließen kann; die Sammlungen waren im einzelnen die Bücher der Ḥanafīten in der ʿUmarīya, die in der Ḫātūnīya- Madrasa in Ṣāliḥīyas al-Ǧāmiʿ al-Ǧadīd aufbewahrten Bücher seines 893 / 1488 verstorbe- nen šaiḫs ʿAbd ar-Raḥmān Ibn al-ʿAinī, und schließlich diejenigen ʿAlāʾ ad-Dīn al-Buḫārīs im Mašhad ʿUrwa östlich der Umayyadenmoschee. Letzteres Amt tritt er 926 / 1520 an, nachdem er es aber bereits mehrere Jahre stellvertretend (niyābatan) für seinen Onkel ausgeführt hatte. Man sieht, dass zwei der Sammlungen im Vorort Ṣāliḥīya, eine aber in der Innenstadt von Damaskus lagen, eine gemeinsame Ausübung der Amtsgeschäfte also sehr schwierig gewesen sein muss. 273 Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 30; ṬabbāḪ: Iʿlām V, S. 70. 274 [Paton]: Die heutigen Syrier, S. 173–174. 275 Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 331–333, Nr. 125. Die Umwelt der Rifāʿīya 203 chend innerhalb der gestifteten Ämterhierarchie nicht allzu niedrig angesetzt, dürfte aber auch kaum für eine hauptamtliche Amtsführung vorgesehen gewe- sen sein.276 Am Beginn des 17. Jahrhunderts bemerkte der französische Bibliothekar Gabriel Naudé in seinem Advis pour dresser une Bibliothèque treffend, eine Sammlung von 50.000 Büchern könne nicht automatisch eine Bibliothek genannt werden, „ebensowenig wie eine Ansammlung von 30.000 Menschen eine Armee“ genannt werden könne.277 Der Ordnung ihrer Inhalte kommt daher auch eine zentrale Rolle für deren Benutzbarkeit zu. Dies geschieht nicht nur in Form von Katalogen, sondern beginnt bereits bei der Aufstellung. Nach allem, was wir wissen, waren die Stiftungsbibliotheken in der Regel durch Kataloge erschlossen, die zwar nicht alphabetisch geordnet waren, doch einer mehrstufigen inneren Systematik folgten.278 Diese mehrgliedrige Sytematik sollte sich nach normativen Vorstellungen, wie sie in Ġazzīs Durr an-naḍīd279 aus dem 16. Jahrhundert zum Ausdruck kamen, auch in der Aufstellung der Bücher spiegeln. Demnach sollte eine Systematik immer eine Hierarchie des Wissens abbilden, die natürlich vom Koran und den Koranwissenschaften angeführt wurde. Und auch innerhalb der einzelnen inhaltlichen Einheiten sind die Autoren und Werke nach Prestige zu ordnen, so dass der beste nach oben zu liegen käme. Bei Grenzfällen entschieden dann etwa das ältere Werk und die ältere oder korrektere Kopie. Diese Ordnung war nicht nur schwer zu bewerten, sondern zusätzlich durch die Vorgabe durchbrochen, die Bücher nach aufsteigener Größe möglichst so übereinander zu stapeln, dass kein kleineres unter einem größeren Format zu liegen kam.280 Eine gezielte Suche

276 Stiftung Asʿad al-ʿAẓms, vgl. Kitāb waqf, S. 32: ḫāzin 7 dirham ʿuṯmānī / Tag, nāẓir der Bibliothek 3 dirham ʿuṯmānī/Tag. Der nāẓir scheint hier allerdings mehr eine reine Pfründe gewesen zu sein und keine bibliothekarische Funktion ausgeübt zu haben, denn Asʿad Bāšā übertrug es sich selbst zu Lebzeiten und nach seinem Tod dem jeweiligen nāẓir der Gesamtstiftung, deren Teil die Bibliothek war. Dies waren aber in der Regel die Nachkommen des Stifters. Zur Stiftung Sulaimān Bāšā al-ʿAẓms: ḫāzin 6 dirham pro Tag (nach Badrān: Munādamat, S. 268). Zur Stiftung ʿAbdallāh al-ʿAẓms: ḫāzin 1 ¼ qurš pro Monat (nach Ebd., S. 270). Einen Überblick über die Bezahlung des Bibliothekars nach ägyptischen Stiftungen der mamlukischen Zeit gibt Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 132–135. 277 Zitiert nach Nerdinger: Von Alexandria zum digitalen Babel, S. 240. 278 Zu Katalogen arabischer Bibliotheken und speziell eines Damaszener Beispieles aus dem 7. / 13. Jahrhundert vgl. Hirschler: ‚Catching the eel‘. 279 Ebenso, liesse sich ergänzen, in dessen Kurzfassung durch einen weiteren frühosmani- schen Damaszener, ʿAbd al-Bāsiṭ al-ʿAlmāwīs al-Muʿīd fī adab al-mufīd wa-l-mustafīd. 280 Ġazzī: ad-Durr an-naḍīd, S. 520–521. 204 kapitel 2 kann durch eine solche Aufstellung offensichtlich sehr erschwert werden. Es wäre zu fragen, ob sich die katalogisatorische Arbeit mehr an den Bibliothekar oder die Benutzer der Bibliothek richtete. Einen direkten Zugang hatten die Benutzer der jeweiligen Sammlung in Damaskus wahrscheinlich sowieso nur in den seltensten Fällen. Lassen die beiden bereits herangezogenen normativen Quellen Ibn Ṭūlūn und Badr ad-Dīn al-Ġazzī keine grundsätzlichen Zweifel, dass eine Bibliothek auch zum Ausleihen der Bücher besteht, wenn sie es auch nicht expli- zit einfordern,281 sprechen dokumentarische Quellen oft eine ganz andere Sprache. Die Ausleihe von Handschriften aus der Bibliothek wurde in der Stiftungsurkunde oder dem Stiftungsvermerk, wenn sie erwähnt wurde, meist abgelehnt oder nur unter hohen Auflagen gestattet. Dies war in osmanischer Zeit nicht anders als in vorhergehenden Epochen. Bereits im 14. Jahrhundert schreibt der ägyptische Dichter Muḥammad Ibn Nubāta (686 / 1287 – 768 / 1366) über die Damaszener Bibliotheken, dass man (zumindest nach seiner Erfahrung) aus ihnen keine Bücher ausleihen könne – eine Praxis, die er offen- bar nicht ablehnte.282 Es gab auch abgestufte Rechte, etwa im Fall der Aḥmadīya aus Aleppo im 12. / 18. Jahrhundert. Hier hatte der Stifter für Leser außerhalb seiner Madrasa festgelegt, dass sie sich zu den festgesetzten Öffnungszeiten in der Bibliothek einfinden mussten. An Studenten der Aḥmadīya, die ja auf dem Komplex der Madrasa lebten, durfte der Verwalter aber je nach Bedarf auch Bücher ausleihen.283 Die Realität sah oft anders aus und es gibt Klagen über die laxe Handhabung der Verwalter, die freigebig und ohne Dokumentation Bücher verliehen284 ebenso wie umgekehrt Klagen, dass Verwalter die Ausleihe

281 Ibn Ṭūlūn: Fulk, S. 26 bedauert es zumindest, als er bei der Aufzählung seiner Werke eines davon folgendermaßen kommentiert: „Danach stieß ich auf einen Kommentar zu diesem Werk, den ein Maghrebiner verfasst hatte und dessen Zusätze ich noch ein- gearbeitet haben würde, hätte Gott mir die Ausleihe des Buches ermöglicht.“ Für eine Auflistung normativer Regeln zur Bücherausleihe – jedoch nicht als Rekonstruktion histo- rischer Praxis, sondern als moderner Diskurs basierend auf traditionellen Rechtsquellen geschrieben – vgl. gleich zwei neuere Monographien Rašīd: Iʿārat al-kutub; Yūsuf / Yazdī / as-SuyūṬī: Ādāb iʿārat al-kitāb fī t-turāṯ al-islāmī. 282 Ǧamāl ad-Dīn Ibn Nubāta in der Vorrede zu seinem Sarḥ al-ʿuyūn fī šarḥ risālat Ibn ن ت ف ض خ ز ئ ن ش ق ق ف ة ف ً �ك���� ا �عر �� ب��ب��ع���� �� ا �� د � م���� ا �لو����� ي���� ا ��س� �ا ر ا :Zaidūn, zitiert nach Zaiyāt, Ḫazāʾin, S. 2 أ ُأ ت ف� ن ف ن ة ذ ت ن ف ف� ت ن ن ً ن ��ي� �ه�ا �ل��ل�م��ط�ا �ل �م���� ج���� و �ل�لا ���ه�ا ا ��ل��ا �����سي���� � ك�ر �ى ����� ���ل ي����هي���� ا � � ع�ا ر �م�� �ه�ا �ك�ا ب��ا و لا ا ر ا ج���� �م�� أ ن ة عف خ ع م ع م ع � �ل�����س���� ح�ر و�� �ه�ا ����ط�ا ب��ا . 283 Ḥāǧǧī Ḫalīfa: Kašf VII, S. 30; TabbāḪ: Iʿlām V, S. 70. 284 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142: „Es ist zu bedauern, dass gar keine Sorgfalt zur Aufbewahrung dieser Bücher verwendet wird. Es werden vielmehr an jeden Studenten der Medrese und jeden Bekannten des Aufsehers Bücher ausgeliehen, ohne dass dafür Die Umwelt der Rifāʿīya 205 entgegen dem Willen des Stifters nachträglich einzuschränken versuchten.285 Kein geringerer als der Kairiner Polyhistor Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī hat im 10. / 15. Jh. in seinem Traktat Baḏl al-ǧuhūd fī ḫizānat Maḥmūd darüber nachgedacht, wie man den Willen eines Stifters – in diesem Falle Maḥmūd b. ʿAlī Ustādār al-ʿĀlīya al-Malikī aṭ-Ṭāhirī (gest. 799 / 1396)286 – umgehen konnte, sollte der seine Bücher nicht zur Ausleihe freigegeben haben.287 Der Damaszener Ibn ʿĀbidīn führt im 13. / 19. Jahrhundert gar die Lehrmeinung an, nach der ein Aufseher vom Richter abgesetzt werden könne, wenn er sich der Ausleihe der gestifteteten Bücher in den Weg stellen sollte.288 Er berichtet aber auch von einer sehr eigenwilligen Auslegung der Regelung, die ihm ein Aufseher (baʿḍ quwām, sg. qaiyim) mitgeteilt habe: Der Stifter seiner Madrasa habe das Verbot der Ausleihe nicht etwa geschrieben, um diese Praxis generell zu verbieten. Vielmehr wollte er mit diesem Kniff (ḥīla) dem Aufseher ein Mittel in die Hand geben, die Ausleihe an nicht vertrauenswürdige Personen abzulehnen.289 Mit dieser Interpretation erlaubte es sich der Aufseher demnach, das Verbot zu ignorieren. Ob er mit dieser Haltung alleine stand wissen wir nicht, aber Ibn ʿĀbidīn zitiert seinen Fall nicht als Kuriosität. Der interessante, wohl einem Aḥmad b. Ibrāhīm Āl ʿAbd ar-Razzāq zuzuord- nende und in den Beginn des 13. / 19. Jahrhunderts zu datierende290 Katalog

ein Rezepisse oder ein Pfand verlangt würde; auf diese Weise gehen die Bücher allmälig verloren.“ 285 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 366; zur Aḥmadīya in Aleppo, welche der Verwalter gar nicht mehr öffnete, TabbāḪ: Iʿlām V, S. 76. 286 Éche: Les bibliothèques arabes, S. 259–260; Saiyid: Naṣṣān qadīmān, S. 125–136, hier S. 127–128; Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī: ad-Durar al-kāmina II, S. 329. 287 Saiyid: Naṣṣān qadīmān, S. 126. Einige Handschriften aus der Bibliothek, in welche sich Suyūṭī durch sein Rechtsgutachten Zugang verschaffen wollte, haben sich erhalten. Der auf den Büchern der Stiftung angebrachte waqf-Vermerk, welcher die üblichen Formeln gegen das Ausleihen enthält, ist reproduziert in Bonebakker: Notes on some old manu- scripts, S. 180 (nach MS Istanbul Köprülü 1334). 288 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 380. 289 Ebd., S. 366. Éche: Les bibliothèques, S. 385 hat diese Stelle offensichtlich ganz anders, wenn auch mit dem gleichen Ergebnis für die Leser verstanden: Demnach hätten „cer- tains bibliothècaires ḥanafites“ jegliche Ausleihe verbietende waqfīyas auf die von ihnen verwalteten Bücher geschrieben, auf die aber immer nur dann verwiesen wurde, wenn einer nicht vertrauenswürdigen Person ihr Ausleihwunsch abgeschlagen werden sollte. Als nicht bei Gericht registriert hätten sie keinen eigentlichen juristischen Wert gehabt. 290 Der angenommene Verfasser des Kataloges, Aḥmad b. Ibrāhīm Āl ʿAbd ar-Razzāq, der als Besitzer von Sprenger 51 auftritt und dort ebenfalls Sūrt als den Ort des Kaufs der Handschrift nennt, hinterließ in Sprenger 146 sowohl einen datierten Stempel (1214 / 1799–1800) als auch das Kaufdatum 1229 / 1814, wiederum in Sūrt. 206 kapitel 2 einer stattlichen Reisebibliothek von 24 Titeln (Berlin Sprenger 51), mit welcher der Schreiber seine „gelobte Reise in Sūrt“ – wahrscheinlich ein Ort südlich von Kairo – angetreten ist, bezeugt eine rege Ausleihtätigkeit sogar für mobile Leser: höchstens 4 der Bücher werden als eigener Besitz (lanā ḫāṣṣa) gekenn- zeichnet, während einigen explizit der Name eines anderen Besitzers zugeord- net, eine ganze Gruppe als „ausgeliehen“ (al-laḏī ʿindanā ʿāriya) bezeichnet und für einen Band auch der gezahlte Preis der Ausleihe genannt wird. Wenn diese Bände wohl auch allesamt private oder kommerzielle Ausleihen darstel- len, so ist ein Buch, das Rechtswerk Šarḥ Dalīl aṭ-ṭālib, doch explizit als aus einer Stiftung stammend bezeichnet: waqf min kutub aš-šaiḫ Muḥammad b. Fairūz. Andererseits konnte in seltenen Fällen das Ausleihen im Stiftungsvermerk sogar ausdrücklich gewünscht werden. So tat es im Jahr 1187 / 1173–74 ʿAbdallāh b. Abū Bakr b. Muṣṭafā Ibn al-Qabbānī, als er eine Anthologie Ibn Ḥaǧar al-Haiṯamīs (Berlin Landberg 458) zuerst an sich selbst, dann an seine Nachkommen (ḏurrīya) und danach die Nachkommen seines Bruders stiftete, „damit sie ausgeliehen und für uns die Eröffnungssure des Koran gelesen werde“ (li-aǧl an yuʿār wa-yuqra‌ʾ la-nā al-fātiḥa). Nach dem englischen Reisenden Paton im 19. Jahrhundert gab es zumindest an großen ägyptischen Bibliotheken ein eigenes Amt für den Ausleiher, genannt muġaiyir.291 Und wenn auch nicht das Amt selbst, so doch der damit zusammenhängende Fachausdruck für die Bücherausleihe, taġyīra, ist in einem erhaltenen Ausleihejournal wohl auch für eine Damaszener Stiftungsbibliothek, die Murādīya, bezeugt.292 Eine Zwischenposition neben dem kategorischen Verbot und der expliziten Erlaubnis des Ausleihens nimmt die oft stipulierte Ausleihe gegen ein Pfand (rahn) ein. In der juristischen Literatur werden gegen diese Praxis durchaus Einwände vorgebracht. So zitiert Ibn ʿĀbidīn mit Ibn Nuǧaims (gest. 970 / 1563) al-Ašbāh wa-n-naẓāʾir und einem nicht näher benannten Werk Tāǧ ad-Dīn as-Subkīs (gest. 771 / 1370) zwei Quellen – die erstere ein Ḥanafit, die zweite ein Šāfiʿit – positiv, für welche eine solche Praxis nicht hinnehmbar war, da – ­verkürzt gesagt – ein bestimmtes gestiftetes Buch nicht durch etwas ersetzt werden konnte, was bei Verlust genau dieses Buch nicht gleichwertig erset- zen konnte.293 Im Hintergrund dieser Argumentation steht offensichtlich die

291 Paton: A history II, S. 247. 292 Vgl. die Ausführungen von Sobieroj: Arabische Handschriften, Bd. 2, S. 452, wo der Text des Ausleihjournals auszugsweise wiedergegeben wird: ʿinda š-šaiḫ Salīm al-ʿAṭṭār taġyīratan min at-Taǧrīd ʿalā l-Muḫtaṣar k[urrās] 2. 293 Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muḥtār IV, S. 352. Die Umwelt der Rifāʿīya 207

Vorstellung von einem handschriftlich tradierten Text, dessen Textzeugen sämtlich Unikate sind. Inwieweit auch Familienstiftungen bibliothekarische Funktionen vorsahen, ist nicht bekannt. Sehr große Privatbibliotheken vermögender Personen kön- nen wohl durchaus einen eigenen Bibliothekar angestellt haben. So berichtet es Muḥibbī von Muḥammad b. Luṭf Allāh al-ʿArabī (1039 / 1629–30 – 1102 / 1690–91), einem šaiḫ al-islām der auf seinem Weg zu den höchsten Ämtern der Religionsverwaltung in Konstantinopel auch Richter in Damaskus war. Als er eines Tages die Malḥamat Dānyāl nicht mehr findet, ordert er seinen Bibliothekar (ḥāfiẓ kutubihī) in der Abteilung der mathematischen Traktate zu suchen, was schließlich drei volle Tage in Anspruch nehmen wird.294 Dies spricht neben ungenügenden Findmitteln auch für eine Größe der Sammlung, welche in Damaskus schlicht nicht vorhanden gewesen zu sein scheint und namentlich die der Rifāʿīya bei weitem übertrifft. Es kann bei einer Sammlung in der Größenordnung der Rifāʿīya wohl davon ausgegangen werden, dass der Verwalter der Stiftung, die ja in nichts anderem als der Bibliothek selbst ohne diese unterhaltende Immobilien bestand, auch der Bibliothekar war. Klar ist, die Ausleihe stellte eine reale Gefahr für Bibliotheksbestände dar und zwang die jeweiligen Aufseher und Bibliothekare zu einer sorgfälti- gen Abwägung der Risiken einer Öffnung. Taqī ad-Dīn Abū Bakr al-Balāṭinsī (851 / 1447 – 936 / 1529–30) muss als einer, „der von den Stipulationen und Festlegungen [der Stiftungen] nicht abrückte“ eine rühmliche Ausnahme gewesen sein und erregte so die Verwunderung seines Biographen: Immer wenn er ein Buch mit einem waqf-Vermerk und dem Hinweis, dass dieses Werk nicht ausgeliehen werden durfte, bei sich fand, dann brachte er das Buch an seinen angestammten Platz zurück.295

2.5 Wer hat gestiftet?

Das Instrument der Stiftung stand jedem offen, der ein Buch besessen hat. Jeder, der ein Buch geerbt oder geschenkt bekam, kopierte, verfasste oder der finan- ziell dazu in der Lage war, eines zu erwerben, konnte auch dessen rechtlichen­

294 MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 132–143, Nr. 1023. Es ist nicht ganz klar, ob diese Episode, welche Muḥibbī als Student des Richters selbst erlebt hatte, in Damaskus oder Konstantinopel stattfand. 295 Ġazzī: Kawākib II, S. 89–90, Nr. 829: wa-kāna waqqāfan ʿinda š-šurūṭ wa-l-ḥudūd. iḏā raʾā‌ kitāban mauqūfan maktūban ʿalaihī an lā yuḫraǧu min mauḍiʽ kaḏā raddahū wa-lā yubqīhi ʿindahū. 208 kapitel 2

Status bestimmen. Offensichtlich haben auch viele Schriftsteller von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre autographen Texte einem institutionel- len Umfeld anzuvertrauen und damit deren Erhalt und Rezeption in sicherere Bahnen zu lenken. Ibn Ḫaldūns Stiftung seines berühmten Geschichtswerkes al-ʿIbar an die große Moschee in Qairawān ist ein oft angeführtes Beispiel.296 Auch in Damaskus werden ähnliche Fälle immer wieder erwähnt. Bereits im 10. / 16. Jahrhundert finden wir Ibn ʿAbd al-Hādī und Ibn Ṭūlūn, die mitsamt ihren Bibliotheken auch ihre autographen Werke an die ʿUmarīya-Madrasa geben. Daneben haben viele weniger bekannte Schriftsteller auf diese Art ihr Publikum zu erreichen versucht: Ein gewisser ʿAbd ar-Razzāq b. Ḫalīl b. Ǧunaid ar-Rūmī, ein Türke, der sich anfang des 12. / 18. Jahrhunderts in Damaskus in der sonst auch als takīya und ḫānqāh bekannten, gegenüber der Zitadelle gele- genen Madrasat Šamsī Aḥmad Bāšā297 niedergelassen hatte, stiftet auf diese Weise seinen 9-bändigen Kommentar zum mystischen Werk at-Tanwīr an diese Schule.298 Es mussten also, je nach den Möglichkeiten der Stifter, keine großen Sammlungen sein. Gerade die viel kopierten, aber auch etwa in einer Moschee besonders viel benötigten Grundtexte, allen voran der Koran selbst, dürften durch ständige fromme Einzelgaben vermehrt worden sein wie im Fall eines gewissen Ḫaṭṭāb aḍ-Ḍarīr (gest. 968 / 1561). Der šaiḫ al-iqrāʾ, also erster Rezitator in der ʿUmarīya von Ṣāliḥīya, welche ja selbst eine der besten Bibliotheken von Damaskus beherbergte, lebte ein spartanisches Leben, doch „immer wenn er ein paar Dirham erhielt, kaufte er davon einen muṣḥaf und stiftete ihn.“299 Aber nicht nur durch den für viele Menschen kostspieligen Erwerb konn- ten Bücher in das Privateigentum übergehen und dadurch gestiftet werden. Auch die eigene Arbeitskraft als Kopist konnte man dem frommen Zweck zugutekommen lassen. Dadurch erhielt die Umayyadenmoschee eine vierbän- dige Kopie der Fatāwā at-Tātārḫānīya, welche der – nach Ibn Ṭūlūn ansonsten nicht sonderlich gebildete – Oberrichter Isḥāq Ǧelebī (gest. 944 / 1537–38) in Damaskus abschrieb.300 Auch die kleinen Damaszener Bibliotheken, welche

296 Vgl. zur Geschichte dieser Stiftung mit Abbildung und Widergabe des Stiftungseintrages Binnebīn: Ẓāhirat waqf al-kutub, S. 39–42. 297 Vgl. zum Stifter, ehemaliger amīr al-umarāʾ in Damaskus und später Begleiter der Sultane Selim und Murād, Būrīnī: Tarāǧim I, S. 188–190. 298 Murādī: Silk III, S. 22. Vgl. auch El-Zawāhreh: Religious endowments and social life, S. 161–162; zum Madrasa-Komplex vgl. besonders Boqvist: Building an Ottoman city. 299 Ġazzī: Kawākib III, S. 132, Nr. 1412. 300 Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 309–310. Die Umwelt der Rifāʿīya 209

Ḥasan al-Kurdī (gest. 1048 / 1638–39)301 und der Richter ʿAbd al-Laṭīf b. Muḥibb ad-Dīn (966 / 1559 – 1023 / 1614)302 stifteten, sollen größtenteils eigenhändig kopiert worden sein, ebenso wie die Bücher – u.a. 50 eigenhändig kopierte Korane – welche Abū l-Ǧūd al-Aʿzāzī (gest. 968 / 1560–61),303 Richter in Aleppo, für sich zusammenstellte und zumindest teilweise stiftete. Sogar Menschen, die selbst gar nicht lesen konnten, waren nicht vom Stiften ausgeschlossen und werden sich dieses Mittels sicherlich auch bedient haben – wenn auch die Quellen zu diesem Punkt nicht sehr gesprächig sind, denn Analphabeten waren im hier behandelten Zeitraum in der Regel – jedoch nicht immer – nicht-Gelehrte und damit kaum ein Thema für die bio- graphischen Lexika und in den dokumentarischen Quellen wird man diesen Umstand kaum erwähnt finden. Man kann dies aber etwa für die eine oder andere der großen Stiftungen von Gouverneuren oder Militärs annehmen. Frauen waren sowohl Stiftende als auch Bestiftete und Verwalter von Bücherstiftungen.304 In der Rifāʿīya zeigen das gleich zwei Beispiele: Fāṭima bt. aš-šaiḫ Ḥiǧāzī schrieb nicht nur als einzige Frau in diesem Korpus einen Besitzeintrag in Vollers 26–28 ein, sie stiftete das Buch danach auch an einen nicht mehr zu identifizierenden Ort. Eine weitere Fāṭima, Tochter des amīn al-fatwā Aḥmad al-Ḥarastī (1040 / 1630–31 – 1115 / 1703–04), sollte hingegen für die Verwahrung der Stiftung eines šaiḫ al-Aġwānī zuständig sein (Vollers 214). Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī (1019 / 1610 – 1095 / 1684) setzte seine damals noch minderjährige Tochter Fāṭima als Nutznießerin der Stiftung ein, ließ die Verwaltung aber von einem Vertreter übernehmen und schien eher darauf bedacht zu sein, die Bibliothek in der Zukunft zu Geld zu machen und damit in Immobilienbesitz zu wandeln.305 Ähnlich verfuhr im 18. Jahrhunderr dann der osmanische Wesir Rāġıb Bāšā in Konstantinopel, der seine Töchter als Verwalter der von ihm gegründeten Bibliothek einsetzte, ihnen aber die Bürde ersparte, diese Aufgabe selbst auszuüben, sondern das tatsächliche Geschäft mit Gerichten und Bibliotheksverwaltung vielmehr an einen männlichen Stellvertreter (wakīl) delegierte.306 In beiden Fällen scheint die Wahl der weib- lichen Nachkommen und ihre Rolle in der Verwaltung der Bücherstiftungen damit zusammenzuhängen, dass es keine männlichen Nachkommen gab,

301 MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 77–78, Nr. 364. 302 Ebd. III, S. 19–20, Nr. 641. 303 Ġazzī: Kawākib III, S. 11, Nr. 1208. 304 Berlin Sprenger 648. 305 MaḤāsinī: Ṣafaḥāt, S. 99; MSD siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301, datiert 15.6.1095 / 30.5.1684. Für den Hinweis auf dieses Dokument danke ich Astrid Meier (Beirut). 306 Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 409. 210 kapitel 2

Abb. 28 Eine Frau soll dieses gestiftete Buch verwahren, bevor es an eine takīya gelangt. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 214, fol. 1r welche diese Rolle hätten übernehmen können.307 Die Bibliothek erscheint so vor allem als materieller Besitz und weniger als ein Kapital, von dem die so Bestifteten auch in intellektueller Weise hätten profitieren können oder sol- len. Das muss natürlich nicht ausschließen, dass es diese Fälle auch gegeben haben kann. Frauen spielten im Gelehrtenleben der osmanischen Zeit kaum eine Rolle, doch hochangesehene weibliche Gelehrte – besonders im Bereich

307 Dies ist in einem weiteren Fall, Ibrāhīm b. ʿAbd ar-Raḥmān as-Suʾālātī (gest. 1095 / 1684), nicht sicher, wird aber durch den Text der Stiftung nahe gelegt. Der Poet und Jurist hinter- ließ seiner Tochter eine umfangreiche und inhaltlich breite (fī kull fann) Sammlung (vgl. das medizinische Werk Tübingen Ma VI 75 aus seinem Besitz) als waqf; vgl. MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 41–42, Nr. 20. Der Gouverneur ʿUṯmān Bāšā stipuliert die tauliya über die von ihm gegründete ʿUṯmānīya in Aleppo an seine Frau; vgl. TabbāḪ: Iʿlām III, S. 261. Die Umwelt der Rifāʿīya 211 der Traditionslehre – hat es vereinzelt immer wieder gegeben. Doch gerade im Angesicht des oft sehr hohen Anteils, den Frauen als Stifterinnen in vielen Regionen während der osmanischen Epoche im allgemeinen Stiftungswesen besaßen, muss ihre vergleichsweise marginale Repräsentation in den Bücherstiftungen überraschen. Die Masse des Stiftungsbestandes ging auf den lebenslangen Sammeleifer von männlichen Bibliophilen und Gelehrten oder das finanzielle Potential der politischen und militärischen Oberschicht zurück.

2.6 Fazit: „öffentliche“ Stiftungsbibliotheken

Aus den behandelten Beispielen lassen sich einige Grundzüge der öffentlichen Stiftungsbibliotheken ableiten. Ihr vorrangiges Merkmal und, wie zu zeigen sein wird, deutlichster Unterschied zu den Familienstiftungen ist auf der Ebene der Verwaltung zu suchen. Allen ist eine institutionelle Verankerung an einer religiösen Lehreinrichtung eigen, die wiederum durch Abgaben erbringende Stiftungen von Agrarland oder Immobilien erhalten wurden. Daneben ermög- lichten die Stiftungen jeweils die Finanzierung von bibliothekarischen Posten an diesen Institutionen, welche jedoch kaum über einen nebenamtlichen Bibliothekar hinausgingen. Dieser minimalen personellen Ausstattung ent- sprach das Aufgabenfeld des Bibliothekars, der kaum mehr als ein Aufschließer und Aufpasser war. Einen Auftrag zum eigenständigen und systematischen Wachstum beinhaltete keine der Stiftungen. Wo man die Bibliothek über meh- rere Etappen beobachten kann, konnten sich die Bestände aber durchaus auch vergrößern. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein: weitere Anstiftungen, Zukäufe aus der Stiftung, Kopien, oder die Tatsache, dass die Verwalter wohl doch nicht immer so korrupt waren, wie es ihrem Berufsstand allgemein vor- geworfen wird. Inhaltlich scheinen die öffentlichen Stiftungsbibliotheken nicht allzu eingeschränkt gewesen zu sein. Aber, besonders im Vergleich mit privaten Bibliotheken, waren die Bereiche Recht – Religion – Sprache doch erdrückend überrepräsentiert, während etwa Medizin, Reisebeschreibungen, Alchemie, oder Zoologie eher am Rande vorkamen oder gar Kuriositäten darstellen. Einzig Geschichtswerke und Biographien haben in den hier untersuchten Beispielen eine auffallend starke Nische. Bemerkenswert ist das vereinzelte Auftreten „moderner“ regionaler Autoren in einigen dieser Bibliotheken, deren Mutterinstitutionen ja nach einer oft vorgebrachten Ansicht als verstaubt klas- sifiziert werden: „fossilisation de tout ce qui était ancien; livres à feuilles jaunes: seuls manuels des élèves d’alors, textes souvent récités sans comprendre, notes et commentaires augmentant encore l’incohérence et la confusion dans l’esprit 212 kapitel 2 des élèves.“308 Diese mag die Lehre an einer solchen Hochschule tatsächlich korrekt beschreiben. Aber man konnte in einer Madrasa-Bibliothek auch die literarischen und poetischen Werke von ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1050 / 1641 – 1143 / 1731) und Aḥmad al-Ḫafāǧī (977 / 1569 – 1069 / 1659) finden, ebenso wie die Damaszener Biographiensammlungen von Naǧm ad-Dīn al-Ġazzī (gest. 1061 / 1651), Amīn al-Muḥibbī (gest. 1111 / 1699) oder Ḫalīl al-Murādī (gest. 1206 / 1791), allesamt Hauptquellen unseres Wissens um die hier behandelte Zeit. Für die Frage nach der Öffentlichkeit von neuerer Literatur ist dies nicht unwichtig. Anzeichen für die Etablierung eines rudimentären Kanons, eine gewisse Abhängigkeit von standardisierten Curricula, können sich anhand der ausge- werteten Bibliotheksbestände allerdings nicht feststellen lassen. Es gibt kaum Werke, die sich als absolut notwendiger Besitz einer gestifteten Bibliothek her- auskristallisieren. Die drei hier analysierten Bibliotheken der ʿAẓms können dies im Vergleich mit der Rifāʿīya veranschaulichen. Die gestiftete Sammlung Asʿad al-ʿAẓms weist nur 9 Werke als direkte Übereinstimmungen mit der Rifāʿīya aus, 4 Mal besitzt die Rifāʿīya einen abweichenden Kommentar zum gleichen Grundtext. Mit der Bibliothek seiner Nachfahren ʿAbdallāh Bāšā und Muḥammad Bāšā al-ʿAẓm verbinden Asʿads Sammlung allerdings auch nicht mehr als insgesamt 24 besessene Werke. Nur 5 Werke wurden von allen diesen Bibliotheken, den öffentlichen wie der privaten Stiftung, zumin- dest in Teilen besessen: die Prophetenbiographie des Nūr ad-Dīn al-Ḥalabī, as-Suyūṭīs Einführung in die Koranwissenschaften al-Itqān, die Iḥyāʾ ʿulūm ad-Dīn al-Ġazālīs, die kanonische ḥadīṯ-Sammlung Ṣaḥīḥ des al-Buḫārī sowie Zamaḫšarīs Korankommentar al-Kaššāf. Gerade dieses letzte Werk sticht aus der Liste heraus, war es doch ob der muʿtazilitischen Ausrichtung seines Autors ein durchaus verdächtiger Text und man hätte wohl eine Verdrängung durch die handlichere und theologisch konformere Bearbeitung Anwār at-tanzīl al-Baiḍāwīs erwarten können. Doch nach Ausweis der vorhandenen Handschriften und Kataloge war es nicht in erster Linie diese „orthodoxe“ Bearbeitung, welche in den großen Stiftungsbibliotheken der Stadt zu finden war, sondern der Grundtext. Auffällig ist ein Übergewicht der Kommentar- und Superkommentarliteratur gegenüber dem Grundtext (matn). Statt, wie oft behauptet, ein Anzeichen geistiger Erstarrung und blinden Überlieferns zu sein, könnten solche Kommentare durchaus ein Mittel dargestellt haben, überlieferte Texte etwa

308 Qāsimī: Qāmūs II, S. 8 (französischer Teil). Die Umwelt der Rifāʿīya 213 aus dem Bereich des Rechts der jeweiligen Lebenswirklichkeit anzupassen.309 Leider wissen wir über diese Literatur immer noch zu wenig, um in diesem Punkt eine Wertung ihrer literarischen Strategien und ihres Umgangs mit dem Grundtext zu wagen. Die größeren Bibliotheken sind hauptsächlich in der Nähe der Umayyaden- moschee angesiedelt, teilweise deren direkte Nachbarn oder in die Haupt- moschee integriert. In nicht allzu weiter Entfernung finden sich auch die Neugründungen der ʿAẓm-Familie im 12. / 18. Jahrhundert. Die ʿUmarīya in Ṣāliḥīya stellt hier die wichtigste Ausnahme dar, war aber ebenfalls direkt vor dem Tor der zentralen Moschee dieses am Qāsyūn-Berg gelegenen Vorortes, der Ǧāmiʿ al-Muẓaffarī gelegen, an welche wiederum auch die zweite große Bibliothek des Viertels, die Ḍiyāʾīya, angrenzte. Ein Vorort wie der Mīdān mit seiner stark militärisch und von einem ruralen Hintergrund geprägten Einwoh- nerschaft wurde hingegen gar nicht mit uns bekannten Bibliotheken bedacht. Christen- und Judenviertel werden auch ihre mehr oder minder großen Biblio- theken in Kirchen und Synagogen gehabt haben. Formal unterscheiden sich diese Bibliotheken nicht von ihren muslimischen Pendants, auch sie bauen auf Stiftungen nach dem waqf-Recht auf, welches jedoch durchaus auch als das Recht der kirchlichen Institutionen am Besitz ihrer verstorbenen Angehörigen verstanden werden konnte. Statt einer koranischen Warnung drohten Stifter in diesem Kontext naturgemäß mit der Exkommunikation oder mit Verweis auf Heilige und das schlechte Beispiel des Judas Ischariot.310 Auch christli- che Autoren, die generell aus den Reihen der kirchlichen Hierarchien kamen, benutzten die ihnen nahestehenden Institutionen, um ihre Autographen zu stiften, wie es etwa Ǧarmānus Farḥāt am Beginn des 18. Jahrhunderts mit der maronitischen Kirche seiner Heimatstadt Aleppo tat.311 Leider wissen wir über die Bücher-Stiftungen der religiösen Minderheiten in der hier behandelten Zeit nur sehr wenig.312

309 Am wirkungsvollsten hat diese Behauptung Peter Gran aufgestellt, jedoch nicht an fundierten Beispielen belegt, in Gran: Islamic roots. Vgl. jedoch jüngst die eingehende Studie von Saleh: The gloss as intellectual history. 310 In der HS der maronitischen Kirche von Aleppo Nr. 510, vgl. FarḤāt: Bulūġ al-arab, S. 48 (allerdings an vielen entscheidenden Stellen verlesen und hier nach der Abb. S. 61 kor- rigiert): „wa-man yuġaiyir ʿan al-waqfīya bi-aiya ḥāl kānat yakun maḥrūman maqṭūʿan min šarikat al-masīḥīyīn wa-l-wail la-hū in raḍiya li-nafsihī ḏālika. sana 1733.“ Stifter ist der Autor Ǧarmānūs Farḥāt selbst, was die Herausgeberin nicht bemerkt, da er sich als Bischof von Aleppo hier weiterhin mit seinem Geburtsnamen Ǧibrāʾīl nennt. 311 Bsp. im Überblick seiner Werke durch FarḤāt: Bulūġ al-arab, S. 25–36, etwa Nr. 85, 86. 312 Vgl. den Artikel Troupeau: Les actes de waqf des manuscrits arabes chrétiens. Das Thema wird hier nicht analytisch behandelt, sondern die Übersetzung von 15 waqf- 214 kapitel 2

Überraschend ist die Größe der hier behandelten Stiftungen. Die bisheri- gen Studien zu islamischen und arabischen Bibliotheken konzentrieren sich auf vor allem literarisch überlieferte Sammlungen der „klassischen“ Zeit mit tatsächlich phantastischen, weil symbolischen Nummern.313 Fünf- bis sie- benstellige Bestandszahlen sind dabei eher die Regel als die Ausnahme. Im Gegensatz dazu stellen die hier vorgestellten Bibliotheken, obwohl sie teil- weise zu den berühmtesten ihrer Zeit gehörten, wohl den Normalfall dar. Sehr wenige der hier vorgestellten Bibliotheken mit ihren oft illustren und finanzkräftigen Stiftern und gefeierten Sammlungen erreichten oder über- stiegen an Umfang die Rifāʿīya. Abū aḏ-Ḏahabs Stiftung etwa soll anfangs um die 2.000 Bände umfasst haben, fällt aber in einem späteren Katalog bereits deutlich kleiner aus. Insgesamt betrug der 1878 in der zentralen Ẓāhirīya zusammengeführte Bestand der großen Bibliotheken von Damaskus weniger als 3.000 Handschriften, worunter sich zu großen Teilen die immer gleichen Standardwerke befanden. Dies verdeutlicht, wie wenig man von einem funktionierenden System öffentlicher Bibliotheken sprechen kann oder wie sehr deren Funktion doch von den sehr eingeschränkten Bedürfnissen des lesenden und studierenden Publikums abhängig war. Privatbibliotheken wie die Rifāʿīya müssen daher für den intellektuellen Austausch in der Stadt immens wichtig gewesen sein, konnten aber noch viel weniger als Moschee- und Madrasenbibliotheken für ein offenes bibliothekarisches Umfeld sorgen.

2.7 Private Stiftungsbibliotheken / Gestiftete Familienbibliotheken

Noch viel weniger als bei den an Institutionen der Lehre angeschlossenen Büchersammlungen kann bei den gestifteten Familienbibliotheken irgendeine Aussage über deren Verbreitung oder Umfang gegeben werden. Die Rifāʿīya ver- deutlicht dies auf besonders plastische Weise: Wäre sie nicht im 19. Jahrhundert nach Europa verkauft, sondern auf dem üblichen Wege dem Buchmarkt zuge- führt worden, wüssten wir durch das Fehlen von Stiftungsvermerken, doku- mentarischen oder literarischen Nachrichten von ihrer Existenz heute gar nichts mehr, selbst wenn wir all ihre Manuskripte vor uns hätten. Wie in den

Vermerken aus der Bibliothèque Nationale in Paris gegeben. Unter den Beipielen findet sich eine Stiftung an eine Damaszener Kirche die des Heiligen Ananias am Bāb Šarqī (Kanīsat al-qiddīs Ḥanāniyā), das Evangeliar Paris BnF Arabe 52, gestiftet 1535 durch den Patriarchen von Antioch, dessen Sitz sich in Damaskus befand. 313 Zur Zahlensymbolik vgl. Hirschler: The written word, S. 128–129. Die Umwelt der Rifāʿīya 215 folgenden Beispielen zu sehen sein wird, kann von einer lückenlosen Praxis der Registrierung oder einer Pflicht dazu nicht die Rede sein. Die Praxis der Bücherstiftung muss recht häufig gewesen sein, wie die vielen kleinen waqf- Einträge in Handschriften über die Stiftung etwa nur eines Bandes zeigen. Trotzdem tauchen beurkundete Stiftungen von Büchern in den Gerichts- Registern kaum auf. Auch für die nicht bei Gericht registrierten Urkunden gab es jedoch die Möglichkeit, in einer späteren juristischen Auseinandersetzung vor diesem Anerkennung zu finden, wie das bereits oben behandelte Beispiel Ḫālid an-Naqšbandīs verdeutlicht hat. Die Familienstiftungen dokumentierenden Einträge in den Handschriften unterscheiden sich in Form und sprachlicher Formulierung nicht erkennbar von denjenigen der öffentlichen Bibliotheken. Der entscheidende Unterschied liegt vielmehr im Publikum und der Verwaltung. Die Nutzung blieb in der Familie, ja die Sammlung eines Familienmitgliedes wurde durch die Stiftung an seine Nachkommen im eigentlichen Sinne erst zu einer Familienbibliothek. Denn sowohl gemeinsame Verantwortung und Zugang als auch der theoreti- sche Zusammenhalt der Sammlung über mehrere Generationen hinweg konn- ten nun, je nach Ausgestaltung des Stiftungstextes, klar geregelt werden. Auch Familienstiftungen mussten aber ultimativ der Öffentlichkeit zugutekom- men. Dieses theoretische Diktum finden wir jedoch nur selten so ausformu- liert, wie es in einem Fall aus der Rifāʿīya (Vollers 256), dem Korankommentar al-Qurṭubīs, stipuliert wurde. Ḥāmid b. Aḥmad aġā al-Qauwāf stiftete das Buch ebenso wie eine Berliner Handschrift (Sprenger 437) im Jahr 1219 / 1804 zuerst an seine Nachkommen und bestimmte auch den Aufseher (nāẓir) aus deren Reihen. Es sollte immer der gelehrteste (aʿlam) unter ihnen dieses Amt übernehmen. Sollten aber keine Nachkommen mehr existieren, welche diese Stiftung verwalten könnten, so sollte das Werk „in irgendeine funktionierende Madrasa in Damaskus gegeben werden.“314 In letzter Instanz fiel diese Aufgabe wie überhaupt die oberste Kontrolle über sämtliche Stiftungen und deren korrekte Verwahrung dem Oberrichter (qāḍī) zu. Es ist aber kaum anzunehmen, dass dieser – bzw. seine Verwaltung – sich um jedes innerhalb einer Familie gestiftete Buch in den Häusern von Damaskus kümmerte. Im Fall der Stiftung Ḥāmid al-Qauwāfs spricht der Band aus der Rifāʿīya dagegen: Der Stiftungseintrag ist zugeklebt, stattdessen liest man auf der folgenden Seite einen späteren Besitzeintrag des Enkels ʿAbd

314 “wa-in lam yūǧad aḥad yūḍaʿ fī aiy madrasa kānat ʿāmira fī š-Šām”. Außerdem scheint der folgende, jedoch jeweils schwer zerstörte und schwer lesbare Abschnitt zu verlangen, dass dieser Ort, also wohl der Bücherschrank oder der Bibliotheksraum, verschlossen werden konnte. 216 kapitel 2 al-Ḫāliq al-Qauwāf. Die Stiftung, die einmal eine ganze Familienlinie über- leben sollte um wenigstens noch an „irgendeine funktionierende Madrasa in Damaskus“ gelangen sollte, überdauerte kaum 20 Jahre,315 landete kurzzeitig wieder in einer Stiftung, der Rifāʿīya, und endete schließlich nur 50 Jahre nach ihrer Etablierung in Leipzig. Kontinuität war tatsächlich aus vielen Gründen schwer zu erreichen. Es ent- stand durch die Familienstiftung keine festgefügte Institution mit professio- nell oder halb-professionell wahrgenommenen bibliothekarischen Aufgaben. Ein weiteres Problem war die Bereitstellung einer Örtlichkeit. Eine Madrasa oder Moschee hatte ihren definierten Platz mit einer Immobilie, welche mit der Institution identisch war. Eine Familie ist eine soziale Organisationsform, deren lokale Einheit nicht immer garantiert ist. Was tat man also, wenn eine Familie sich in mehrere Zweige aufspaltete und etwa über mehrere Häuser verteilt lebte? Tatsächlich ist als einer der Gründe für die Etablierung einer Familienstiftung anzunehmen, gerade der gesetzlich vorgeschriebenen Zersplitterung von Familienbesitz durch das Erbrecht entgegenzuwirken. Die Ansprüche der jeweiligen und theoretisch über die Generationen wachsenden Zahl von Nutznießern mussten demnach wohl immer wieder neu verhandelt werden. Waren dies rechtliche und organisatorische Probleme, so stellt sich in Bezug auf den Stifter die Frage, was er eigentlich mit seiner Stiftung bezweckte? Welchen Nutzen brachte in seinen Augen das Rechtsinstitut des waqf sei- nen Büchern? Er wollte damit in der Regel wohl keine öffentliche Bibliothek errichten und musste sich gleichzeitig auch darüber im Klaren sein, dass der Sammlung durch eine Stiftung wohl keine ewige Dauer geschenkt sein würde. Seine Familie und sich selbst als Nutznießer der Bücher einzusetzen erscheint auf den ersten Blick ebenso sinnlos, da er ja auch zu Lebzeiten und seine direk- ten Erben nach seinem Tod von der Verfügungsgewalt profitieren konnten. Und dennoch ist wohl gerade im Erbrecht der Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen zu sehen. Denn über den Stiftungsakt konnte der Stifter aktiv in die Erbfolge eingreifen, sie manipulieren oder außer Kraft setzen. So konnte Besitz auf einen bestimmten Nachkommen gelenkt, die Teilhabe der weibli- chen Nachkommen außer Kraft gesetzt oder gestärkt werden. Und Wetzstein führt in diesem Zusammenhang für den speziellen Fall der Rifāʿīya noch eine weitere interessante Erklärung an: „Sie [die Rifāʿīya] ist vor mehrern Jahrhunderten gesammelt worden und war vor der (wegen der Bestimmung

315 ʿAbd al-Ḫāliq hat den Eintrag in Vollers 256 zwar nicht datiert, ist aber aus anderen Leseeinträgen aus dem Jahr 1237 / 1821–22 und 1238 / 1822–23 bekannt (Berlin Wetzstein II 691 und 732). Die Umwelt der Rifāʿīya 217 ش -für den Kadhi) gesetzlichen Subhestation bei dem jedes �ع���ر des gesetzlichen dadurch geschützt gewesen, daß sie vom قفmaligen Tode der frühern Besitzer erklärt worden war.“316 Der eigentliche و����-ersten Sammler zum Familien Nutzen der Stiftung der Rifāʿīya scheint nach dieser Einschätzung also ein erbrechtlicher und finanzieller gewesen zu sein. Darin wird man wohl auch den Grund dafür sehen können, warum die Bibliothek eines der prominentesten Gelehrten von Damaskus im 18. Jahrhundert, ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1050 / 1641 – 1143 / 1731), nicht gestiftet wurde. Denn es gab durchaus andere Strategien, eine Büchersammlung über Generationen in einer Familie zu bewahren und trotzdem die Gefahren des isla- mischen Erbrechts zu umgehen. ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī hatte sowohl seine Bücher als auch umfangreichen Immobilienbesitz an seinen Sohn Ismāʿīl sowie dessen Söhne Muḥammad Ṭāhir und Muṣṭafā verkauft.317 Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, aber anzunehmen wäre der Versuch, durch die Auswahl von drei direkten männlichen Nachkommen den Besitz vor seinem Tod an bestimmte Erben zu leiten, damit praktisch die islamischen Erbteilungsregeln zu umgehen – eine Praxis, die besonders für den Ausschluss weiblicher Erben von der Erbfolge Anwendung fand – und so die Zersplitterung des Erbes zu verhindern. Weiterhin gibt es in manchen Handschriften Hinweise darauf, dass Nachkommen Bücher aus dem Nachlass ihrer Eltern kaufen mussten,318 was durch einen Verkauf zu Lebzeiten wie diesen ebenfalls umgangen werden

316 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 20. März 1853, fol. 1v. Die bei Erbteilung vor Gericht anfallenden Abgaben werden nach Angaben aus Gerichtsakten der jahre 1766–74 aufgezählt von Barbir: Wealth, privilege, and family structure, S. 183– 184. Ein ʿušr wird dort nicht genannt, doch die insgesamt 8 aufgeführten Abgabenarten addieren sich zu einem substanziellen Negativposten bei einer jeden Nachlassaufnahme. 317 Šaʿbān: Amlāk aš-šaiḫ ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, S. 165–184. Ich danke Astrid Meier (Beirut) für den Hinweis auf diese Edition und eine Kopie derselben. 318 Berlin Wetzstein I 174, 0r: „tamallakahū ʿAbd ar-Razzāq bi-š-širāʾ aš-šarʿī min tarikat wālidihī sanat 15“. In Berlin Wetzstein II 1382, 1r finden sich zwei Besitzeinträge von Muḥammad Saʿīd al-Usṭuwānī (1238 / 1822 – 1305 / 1888), nachdem sich das Werk bereits im Besitz seines gleichnamigen Großvaters befand. Im ersten, wohl von ihm selbst zerstörten, schreibt er: „ṯumma min baʿdihī ʿalā walad waladihī al-faqīr as-saiyid / Muḥammad Saʿīd b. al-marḥūm as-saiyid Muḥammad Amīn Efendī / Ibn al-maḏkūr aʿlāhu [=Muḥammad Saʿīd der Großvater] / fī 1253 / qīmatuhū (6.)“. Im diesen ersetzenden Eintrag ist nun von einem Preis nicht mehr die Rede, sondern der Besitzwechsel wird nun als „bi-l-irṯ min al-wālid“ beschrieben. Dieser Vater Muḥammad Amīn ist tatsächlich im Jahr 1253 gestor- ben. Außerhalb des Untersuchungszeitraumes dieser Arbeit, im Jahr 1296/1879, erwarb Muṣṭafā b. Muḥammad Ṣādiq al-ʿUmarī das Ms. Princeton, Garrett Collection 3393Y für 20 ġurš „bi-š-širāʾ aš-šarʿī min tarikat wālidī“. 218 kapitel 2 konnte. Denn den Preis setzte nun der Besitzer selbst und nicht nach seinem Ableben der Richter fest. Von den in der Verkaufsurkunde aufgelisteten Büchern an-Nābulusīs kön- nen einige in Berlin und Leipzig nachgewiesen werden. Zwei Handschriften tragen einen Eintrag ʿAbd al-Ġanīs, die den berühmten Besitzer durch ihre Schlichtheit aber nur im Zusammenhang mit weiteren Informationen erken- nen lassen. In Berlin Wetzstein II 1166 findet sich der Besitzername als ʿAbd al-Ġanī Ibn an-Nābulusī. Dieser könnte auch für ein anderes Mitglied der gro- ßen Familie stehen, aber die Handschrift trägt auf dem Titelblatt den falschen Titel Kitāb fī l-ḫail wa-faḍlihā – statt des korrekten aber weniger aussagekräf- tigen al-Aqwāl al-kāfiya wa-l-fuṣūl aš-šāfiya – welcher in der Kaufurkunde so übernommen wurde und damit eine sichere Identifizierung des Buches erlaubt. Wetzstein II 1474 wiederum, ein Exemplar der Fatāwā al-Ḫāṣṣī aṣ-ṣuġrā, wel- che auch in der Verkaufsurkunde aufgeführt wird, gelangt zuerst im Jahr 1100 in den Besitz Yūsuf an-Nābulusīs, eines Bruders von ʿAbd al-Ġanī, in dessen Besitz diese Fatwā-Sammlung danach übergeht. Er identifiziert sich hier aber ohne Verweis auf seine Familie einfach als „al-faqīr ʿAbd al-Ġanī al-mudarris bi-s-Salīmīya bi-Ṣāliḥīyat Dimašq“. ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī war tatsächlich Professor an der Salīmīya und wer sich hinter dem Inhaber dieses bedeuten- den Postens verbarg, war den Zeitgenossen sicher ohne weiteres klar. Ob sich in dem Eintrag also eher Stolz oder Zurückhaltung äußern, ist hier nicht zu entscheiden. Viele andere Handschriften tragen Besitzeinträge von Kindern, Enkeln oder Urenkeln ʿAbd al-Ġanīs, welche sich bei der Aufzählung ihrer Abstammung in der Regel voller Stolz auf ihren berühmten Ahnen beziehen. Einige dieser Titel finden sich auch in der Verkaufsurkunde ʿAbd al-Ġanīs und können mit einer gewissen Sicherheit seiner Bibliothek zugeordnet werden, auch wenn sich nicht einmal so spärliche Besitzvermerke wie die oben angeführten darin finden.319

319 Berlin Wetzstein I 51, der Dīwān des jemenitischen Mystikers al-ʿAidarūs (in Šaʿbān: Amlāk, S. 174), wurde 1253 von Muḥammad (Beše), einem Nachfahren ʿAbd al-Ġanīs gelesen, während kein früher datierter Eintrag einen Besitzer außerhalb der Familie an-Nābulusī anzeigt; das genealogische Werk Nuzhat ḏawī l-ʿuqūl fī nasab āl ar-rasūl, Berlin Wetzstein II 320 (in Ebd., S. 175), wurde von Muḥammad Saʿīd b. Muḥammad Ṭāhir, einem Sohn des in der Urkunde als Käufer genannten Enkels von ʿAbd al-Ġanī, gelesen ebenso wie von seinem eigenen Sohn Muḥammad Ṣāliḥ, und war noch 1208 im Besitz von ʿAbd al-Ġanīs Ur-Urenkel Muḥyī d-Dīn; Berlin Wetzstein II 1639 enthält eine Sammelhandschrift, deren Hauptbestandteil die Mīmīya des ʿAlawān al-Ḥamawī ist, was mit dem in der Verkaufsurkunde (in Ebd., S. 176) als „wa-Mīmīyat aš-šaiḫ ʿAlawān wa-mā maʿahā“ beschriebenen Werk gleichzusetzen ist, ein Besitzer des Buches war ʿAbd al-Ǧalīl Die Umwelt der Rifāʿīya 219

Einige Formulierungen erhielten in einer Familienstiftung mehr Gewicht als in einem öffentlichen waqf. Auch in letzterem blieb die Aufsicht und Verwaltung zwar oft innerhalb der Nachkommen des Stifters weitergegeben, was jedoch durch die Einrichtung professioneller oder halb-professioneller Ämter wie im Falle der Bibliothek das Amt des Bibliothekars relativiert werden konnte. In einer Familienstiftung wird die Nachkommenschaft oder ḏurrīya als Adressat und Nutznießer des Stiftungsgutes hingegen zur entscheidenden Vokabel, deren Qualifikation über das Schicksal etwa einer Bibliothek ent- scheiden konnte. Meist wird bei der Stiftung für diese ḏurrīya nämlich kein Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Kindern gemacht. In eini- gen Fällen konnte dies aber dennoch vorkommen. So stiftete Taqī ad-Dīn Ibn Qāḍī Šuhba (779 / 1377 – 851 / 1448) ein Exemplar seines Geschichtswerkes „Tārīḫ Ibn Qāḍī Šuhba“ (Istanbul, Maktabat Asʿad Efendī, Nr. 2345) ausdrück- lich und ausschließlich an seine männlichen Kinder und deren männliche Nachkommen.320 Andere nannten hingegen ausdrücklich beide Geschlechter, etwa der offenbar ägyptische Stifter Aḥmad al-Ašmūnī, der seinen Kindern und Kindeskindern, sowohl männlichen als weiblichen (ḏukūran wa-ināṯan), eine Sprichwörtersammlung stiftet (Berlin Landberg 552). Einige für die Verwaltung zentrale Formulierungen scheinen kommende juristische Konflikte geradezu herausgefordert zu haben. So soll die Aufsicht über eine Familienstiftung innerhalb der Nachkommen regelmäßig an den „klügsten bzw. urteilsfähigsten (al-aršad)“, zuweilen auch „den gelehrtesten (al-aʿlam)“ unter ihnen gehen, doch gab es kein rechtlich anerkanntes Mittel, darüber zu befinden, wem diese Ehre denn zustehen würde. Man kann sich also lebhaft vorstellen, wie unterhalb den berechtigten Nachkommen des Stifters um diesen Platz gerungen worden sein mag.321 Wie viele Familienstiftungen es in Damaskus und den anderen Städten der Region neben der Rifāʿīya gegeben haben mag, ist heute schlicht nicht mehr zu rekonstruieren. Wie bereits angedeutet kann man in ihrem Fall nicht von

Ibn an-Nābulusī; Vollers 852, ein Šarḥ ar-Rāmiza des as-Sabtī (in Ebd., S. 174, wohl vom Schreiber verlesen als das gängigere Werk „Šarḥ az-Zāyirǧa li-s-Sabtī“) war 1251 im Besitz Muḥammad Rašīd Ibn an-Nābulusīs; weitere Handschriften mit Besitzern aus dem Haus an-Nābulusī, besonders Sammelhandschriften, können mit weniger Sicherheit zugeord- net werden. 320 Saiyid: al-Kitāb al-ʿarabī II, S. 439. Diese Praxis war nach Meinung einiger Rechtstheoretiker – in deren Reihen freilich auch Ibn Qāḍī Šuhba zu verorten ist – nicht legal; vgl. ḤaṬṬāb: Mawāhib al-Ǧalīl VI, S. 24, 33; Ibn Rušd: al-Bayān wa-t-taḥṣīl XII, S. 204–206. 321 Diese Frage wird im Kontext des osmanischen Aleppo diskutiert in Knost: Die Organisation des religiösen Raums, S. 94–99. 220 kapitel 2 einer regelmäßigen Registrierung ausgehen. Ḫālid an-Naqšbandī schrieb eine ausführliche waqfīya nur auf einen Band seiner Bibliothek. Vielleicht gab es einen ähnlichen Referenz-Band auch einmal in der Rifāʿīya. Besonders für die westlichen Reisenden waren diese privaten Stiftungen noch in einem viel größeren Maße unsichtbar als die öffentlichen und Nachrichten darüber sind dementsprechend wesentlich seltener. Der Österreicher Alfred von Kremer ist hier nur wenige Jahre vor dem Verkauf der Rifāʿīya eine Ausnahme und zeigt mit den wenigen Informationen, die er liefert auch die Beschränkung, die wir von diesen Quellen zu erwarten haben:

Von gelehrten Männern findet man in Damascus sehr wenige; als Sprachkenner und Dichter ist nur der einzige Mahmûd Efendi zu erwäh- nen; derselbe hat aber seine Berühmtheit vielmehr durch seine schöne Schrift erlangt. Er schrieb den Harîrî mit herrlicher kleiner Neskhischrift und ebenso den Commentar des Koran von Baid’âwî in einem mäßigen Hefte von so kleiner Schrift, dass man fast ein Vergrößerungsglas nothwendig hatte, sie zu lesen; eines seiner gewöhnlichsten Kunststücke ist, die Fâtiha auf ein Reiskorn zu schreiben. Historische wie literarische Kenntnisse besitzt derselbe gar nicht, obwohl er in seiner Bibliothek manche gute Bücher hat, worunter ich nur das arabische Wörterbuch von Sejjid-el-Himjarî, betitelt Schems-ol-U’lûm, und mehrere Bände der großen Geschichte Ibn-A’sâkir’s von Damascus nenne. Diese Bücher sind aber Gesammteigenthum der Familie und als Wakf, d.i. Stiftung unverkäuflich.322

Der hier genannte Mahmûd Efendi323 kann sicher mit Maḥmūd b. Muḥammad Nasīb Ibn Ḥamza al-Ḥusainī (1236 / 1821 – 1305 / 1887), dem Verfasser einer Vielzahl von Werken sowie späteren Mufti von Damaskus identifiziert werden.324 Das Kunststück mit dem Reiskorn – es soll sogar nur ein Drittel davon sein – wird auch in den arabischen Quellen genannt. Von einer gestifteten Bibliothek

322 von Kremer: Mittelsyrien, S. 141. 323 Auch Porter: Five years in Damascus I, S. 142 erwähnt den Mann mit ebenjener ver- kürzten Namensform, hat jedoch eine viel positivere Meinung von seinen intellektuellen Fähigkeiten: „Few of the Muslems advance beyond the first rudiments of education, yet there are some in the city who are pretty well acquainted with their own literature, and possess a considerable knowledge of the state of science in Europe. Among the latter, the first place must be given to Mahmûd Effendi, and Sheikh Abd Ullah el Haleby. These gentlemen are both deeply versed in the mysteries of their own language; and the former, in addition to his learning, is a man of refined manners and great liberality.” 324 Ziriklī: Aʿlām VII, S. 185. Die Umwelt der Rifāʿīya 221

Abb. 29 Ein Buch aus der Bibliothek des Muḥammad Nasīb Ibn Ḥamza in der Rifāʿīya. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 554, fol. 2r

seiner Familie lesen wir in den übrigen Quellen jedoch kein Wort. Von Kremer hat uns also einen interessanten Hinweis gegeben. Über die Geschichte die- ser Bibliothek, die ja von einer der seit Jahrhunderten angesehensten Familien des osmanischen Damaskus behütet worden sein und demnach wohl eine lange Geschichte gehabt haben soll, erfahren wir hingegen nichts. Was aber nicht zuletzt aus den Handschriften der Rifāʿīya ersichtlich wird, ist, dass das etwaige Vorhandensein einer solchen Stiftungsbibliothek nicht als zentrale Büchersammlung, als „Gesammteigenthum der Familie“ gedeutet werden kann. Sowohl von Maḥmūds Vater Muḥammad Nasīb (1201 / 1786 – 1265 / 1849) wie auch von seinem Bruder Muḥammad Salīm (1224 / 1809 – 1301 / 1884) ist jeweils ein Buch noch kurz vor ihrem Verkauf in die Rifāʿīya gelangt (Vollers 543 und 554) und sie lassen sich auch – ebenso wie die Bücher sehr vieler anderer Mitglieder der Familie – in vielen anderen Sammlungen nachweisen.325 Von Kremers Eindruck, dass die vielen wertvollen Handschriften Maḥmūd efendīs als waqf nicht verkäuflich gewesen seien dürfte also nur die halbe Wahrheit gewesen sein. Als bemerkenswertes Beispiel einer gut dokumentierten privaten Stiftungs- bibliothek soll hier eine in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Sammlung näher beleuchtet werden. In der Rifāʿīya findet sich mit Vollers 795 der autographe – und damit ursprünglich sicher zu seiner eigenen Bibliothek gehörende – Ṯabat

325 Muḥammad Nasīb: Besitzer von Berlin Sprenger 530 (244); Berlin Wetzstein II 202 (1260), 1089 (1263), 1786 (1238); Damaskus Ẓāhirīya 5216 (1243, vgl. al-Ḥāfiẓ: Fiqh ḥanafī I, S. 217), 6215 (1251, vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 76), 6872 (1251, vgl. Murād / Sauwās: Qism al-Adab I, S. 374); Leipzig Vollers 554 (1244). Muḥammad Salīm: Besitzer von Beirut AUB MS 039:M23e (1256), MS 349.1767:Su941jA (1254), MS 349.297:I13hA (1255); Berlin Landberg 182 (77); Berlin Sprenger 530 (1266); Berlin Wetzstein II 74 (1260), 382 (1265), 1270 (1273), 1453 (1253), 1775 (1269); Damaskus Ẓāhirīya 5788 (1277); Leipzig Vollers 534 (1266); Princeton Yahuda 4181 (1274); Tokio Daiber Collection 131. 222 kapitel 2

Abb. 30 Der autographe Ṯabat des Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī in der Rifāʿīya. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 725

bzw. die Zusammenstellung der Lehrer, Lehrinhalte und Lehrbefugnisse Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifīs (1019 / 1610–11 – 1095 / 1684).326 ʿUṭaifī war ein angesehener Gelehrter in Damaskus, studierte bei bedeutenden Lehrern, hin- terließ aber kein umfangreiches literarisches Werk. Vor allem seine Reisebe- schreibung nach Tripoli hat verstärkt Beachtung gefunden, daneben hat er etwa seine eigenen Gedichte gesammelt oder einen Traktat über die korrekte Verwendung des miswāk zur Zahnpflege verfasst. Auch bedeutende Posten in der Stadt scheint er nicht bekleidet zu haben. Bemerkenswerter als ʿUṭaifīs Karriere war anscheinend seine Büchersammlung. Im Laufe eines langen Lebens konnte er eine umfangreiche Bibliothek zusammentragen. Kurz vor seinem Tod 1095 / 1684 übertrug er der einzigen Tochter neben einem Haus und Immobilienbesitz auch diese Bücher als Stiftung.327 Erstaunlich an der Bibliothek ist der große Anteil, den die eigenhändi- gen Kopien ʿUṭaifīs in ihrem Aufbau spielten. Bereits der Biograph Muḥibbī notierte neben seiner Leidenschaft des Sammelns wertvoller Bücher aus allen Wissenschaftsbereichen seinen Hang zur Kopie.328 Daneben findet sich

326 MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 164–166, Nr. 429; GAL S II, S. 666; KaḤḤāla: Muʿǧam al-udabāʾ IV, S. 172; Ziriklī: al-Aʿlām III, S. 33. 327 MaḤāsinī: Ṣafaḥāt, S. 99. Auf die Stiftung ʿUṭaifīs hatte bereits El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 82, 83, 174 hingewiesen. 328 MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 164–166: „wa-kataba al-kaṯīr bi-ḫaṭṭihī wa-ǧamiʿa nafāʾis al-kutub min kull fann“. Die Umwelt der Rifāʿīya 223

Abb. 31 Damaszener Gerichtsregister mit einer Klage gegen die Stiftung des Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī. MSD siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301

Ramaḍāns Name als bloßer Besitzer und Leser weit weniger häufig. Insgesamt konnte ich bisher 37 heute über viele Sammlungen in Europa, Nordamerika und den Nahen Osten verstreute Handschriften identifizieren, die er entweder selbst kopiert, besessen oder gelesen hat. Von den 32 Büchern aus seinem Besitz hat er 22 eigenhändig kopiert, darunter sind auch vier Autographen eigener Werke zu rechnen. Auf keiner dieser Handschriften findet sich ein waqf-Ver- merk ʿUṭaifīs! Es gab aber offenbar eine waqf-Urkunde, deren Vorhandensein in einer späteren Gerichtsverhandlung erwähnt wird.329 ʿUṭaifīs Bibliothek – sofern sie bis jetzt rekonstruiert werden kann – spiegelt ebenso wie seine anderweitige Lektüre330 vor allem die poetisch-literarisch-­ historischen Interessen ihres Besitzers, wie auch Muḥibbī sie bereits

329 MSD Siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301, datiert 15.6.1095 / 30.5.1684. 330 Die bislang nicht korrekt katalogisierte Princeton Garrett 196b konnte unlängst von Kristina Richardson als eine Sammlung verschiedener autographer Fragmente des Damaszeners Ibn Ṭūlūn identifiziert werden. Es enthält demnach Teile der ʿArf az-zaharāt; 224 kapitel 2 besonders hervorhebt: Poesie (šiʿr), Heldenerzählungen der frühen Araber (aiyām al-ʿarab), Nachrichten der Herrscher und Dichter (aḫbār al-mulūk wa-š-šuʿarāʾ) – mit anderen Worten brotlose Kunst – hätten ihn demnach besonders gefesselt. Er scheint die finanzielle Freiheit besessen zu haben, diesen schöngeistigen Neigungen nachzugehen und nicht um jeden Preis auf dem umkämpften Markt um Posten bestehen zu müssen. Obwohl auch seine Studien als muslimischer Gelehrter natürlich vor allem die gängigen Traditions- und Rechtswissenschaften umfassten, wie es der Ṯabat dokumen- tiert, hat er sie offenbar niemals als Qualifikation für seinen Lebensunterhalt auf einem Lehr- oder Gerichtsposten gebraucht. Unter ʿUṭaifīs Büchern finden sich viele der großen adab-Sammlungen und Gedichtwerke. Bereits 1051 / 1641 kopierte er Ibn Nubātas Sarḥ al-ʿuyūn fī šarḥ Risālat Ibn Zaidūn (Damaskus Ẓāhirīya 4131). Den Dīwān des Autors kannte er zumindest als Leser (Berlin Wetzstein I 40). Vom ʿIqd al-farīd Ibn ʿAbd Rabbihīs besaß ʿUṭaifī eine sehr alte Kopie aus der Bibliothek seines Vaters (Damaskus Ẓāhirīya 2208 adab 27). Außerdem fand sich Zamaḫšarīs Rabīʿ al-abrār (Berlin Wetzstein II 15) in seiner Bibliothek. Von der Ḫazīnat/Ḫizānat al-adab wa-ġāyat al-arab Ibn Ḥiǧǧa al-Ḥamawīs (767 / 1366 – 837 / 1433) besaß ʿUṭaifī sogar zwei Ausgaben in drei Bänden (Damaskus Ẓāhirīya 3561–3563). Die Yawāqīt al-mawāqīt aṯ-Ṯaʿālibīs kopierte er 1056 / 1646–47 wiederum selbst (Berlin Wetzstein I 57). Die Sammelhandschrift Berlin Wetzstein II 1822, eben- falls eigenhändig kopiert, enthielt Ibn Duraids (223 / 838 – 321 / 933) Kitāb al-Malāḥin über zweideutige Lexik, einen Musterbrief aus der Feder Ibn Sīnās / Avicennas und das adab-Werk Kitāb al-ʿAzīz al-muḥallī bi-ḏ-ḏahab. Mindestens eine gekürzte Ausgabe (Muḫtaṣar) des großen Geschichtswerkes Tārīḫ ar-rusul wa-l-mulūk von Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī (224 / 839–310 / 923) besaß ʿUṭaifī in einer sehr alten Ausgabe (Berlin Sprenger 42). Mit Zakariyāʾ al-Qazwīnīs (gest. 682 / 1283) Geographie Āṯār al-bilād wa-aḫbār al-ʿibād befand sich eine besonders wertvolle alte Kopie in der Bibliothek ʿUṭaifīs, eine 729 / 1329 datierte Prachthandschrift der Schirazer Schule aus der Zeit der Inǧuʾiden-Dynastie (London BL Or. 3623).331 Selbst bereits Autor einer Reisebeschreibung nach Tripoli im Jahr 1043 / 1633, ist es nicht verwunderlich, dass ʿUṭaifī auch spä- ter noch Interesse an dem Genre zeigt und im Jahr 1083 / 1672 auch die Riḥla

einen bisher verlorenen Teil einer Geschichte und Topographie des Damaszener Vorortes aṣ-Ṣāliḥīya, al-Qalāʾid al-ǧauharīya; ein größeres Fragment der Sammlung von Biographien Damaszener Richter, aṯ-Ṯaġr al-bassām; beschlossen von einem Traktat über die Erlaubtheit von Zucker, Taʿrīf al-munkar fī ḥāl as-sukkar. Für die Beschreibung von Handschrift und Inhalten vgl. Richardson: Reconstructing, S. 319–324. 331 Für eine Abbildung der Titelseite vgl. Wright: The look of the book, S. 6. Die Umwelt der Rifāʿīya 225

Ibrāhīm al-Ḫiyārīs (1037 / 1628 – 1083 / 1672) kopiert (Berlin Wetzstein I 125). Bereits sein Vater hatte im Jahr 991 / 1583 Muḥibb ad-Dīn al-Ḥamawīs (gest. nach 981 / 1573) Reisebericht von Damaskus nach Konstantinopel Bawādī ad-dumūʿ al-ʿandamīya bi-Wādī ad-Diyār ar-Rūmīya kopiert, welches dann an den Sohn ging (Cambridge Qq 125).332 Aus dem Bereich der Stilistik kopierte er 1077 / 1666 al-Kināya wa-t-taʿrīḍ von aṯ-Ṯaʿālibī (350 / 961 – 429 / 1038; Berlin Sprenger 997+998). Neben seiner eigenen poetischen Sammlung (Munša‌ʾāt, Princeton Garrett no. 4670Y) besaß ʿUṭaifī eine sehr alte Ausgabe des Dīwān ʿUmāra al-Yamanīs (gest. 569 / 1174; Kopenhagen Cod. Arab. 266, datiert 604 / 1207), den Dīwān Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānīs (gest. 852 / 1449; Berlin Wetzstein II 1822, 5), und kopierte poetische Kommentare seines Damaszener Zeitgenossen Abū Bakr b. Manṣūr b. Barakāt al-ʿUmarī (gest. 1048 / 1638; Berlin Wetzstein I 57, 2+3). Drei Badīʿīyas, Kunstgedichte zur Erklärung poetischer Stilformen und gleichzeitig Lobgedichte auf den Propheten Muḥammad, verdeutlichen, wie wenig auch das sprachlich-poetische Feld scharf von der Sphäre des Religiösen zu trennen ist (Berlin Wetzstein II 136, Damaskus Ẓāhirīya 3342, Ẓāhirīya 3561–3563). Natürlich sind auch theologische Werke aus der Bibliothek eines muslimi- schen Gelehrten nicht wegzudenken: Faḫr ad-Dīn ar-Rāzīs (gest. 606 / 1210) katechetisches Asrār at-Tanzīl oder das Prophetenlob Waraqāt al-masāʾil fī iǧābat as-sāʾilīn bi-lisān as-sāʾil von Aḥmad ad-Daǧǧānī (gest. 1071 / 1660), heute beide in einer Leidener Sammelhandschrift zu finden,333 gehören in diese Kategorie. Zwei Rechtswerke haben eine persönlichere Beziehung zu ʿUṭaifī, da mit ʿAbd ar-Raḥmān al-ʿImādī (gest. 1051 / 1641; Damaskus Ẓāhirīya 2584) der Autor des ersten ebenso sein Lehrer war wie der Sohn des zweiten Autors (Damaskus Ẓāhirīya 8438). Weiterhin besaß er al-Laiṯ al-ʿābis (Berlin Landberg 924). Zusammen mit einem einzigen exegetischen Buch (al-Ḥaida wa-l-iʿtibār; Berlin Wetzstein II 1764) und der Einführung in die Traditionskunde Fatḥ al-bāqī (Berlin Sprenger 477) ist dieser Bereich insgesamt vergleichsweise nicht sehr hervorgehoben. In der inhaltlichen Schwerpunktsetzung wird der Kontrast zu den öffent- lichen Bibliotheken deutlich. Die auf Stilistik, Grammatik, Lexik und Unterhaltung zielenden Werke scheinen so dominant, dass sie nicht mehr als einfache Hilfsmittel für die Interpretation der Traditionswissenschaften

332 Browne: A Handlist, Index S. 23. (Der Name ist hier fälschlich Ramaḍān b. Mūsā al-ʿAdhīfī. 333 Leiden Or. 1515 (3), nach Witkam: Inventory 2, S. 164 (hier ist ʿAtifi zu korrigieren). Es ist aus den Katalogisaten nicht ersichtlich, ob die vielen Texte der Handschrift (Theologie, Mystik, Heilung durch Koran und Amulette, Geschichte) zusammengehörig sind, oder ob ʿUṭaifī tatsächlich nur der Besitzer eines kleinen Teiles war. 226 kapitel 2

­angesehen werden können und decken sich stark mit den bei Muḥibbī ange- führten wissenschaftlichen Interessen ihres Besitzers. Auch formal ist ʿUṭaifīs erst kurz vor seinem Tod registrierte Stiftung in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Sie ist eine der wenigen vor Gericht gebrachten Stiftungen einer Privatbibliothek. Als alleiniger Nutznießer wird ʿUṭaifīs Tochter bestimmt. Als sein einziges Kind war sie aber sowieso die ein- zige Erbin,334 daher macht die Stiftung aus erbrechtlicher Sicht auf den ersten Blick gar keinen Sinn. Die schwächeren Ansprüche weiblicher Nachkommen gegen ihre männlichen Verwandten mussten hier nicht gestärkt werden. Gleichzeitig wollte der Stifter die Bibliothek mit seiner Entscheidung offenbar gar nicht vor einem drohenden Zerfall bewahren und so möglichst dauerhaft erhalten. Er hielt sich vielmehr explizit eine Hintertür auf, nach der er oder ein folgender Verwalter die Bücher verkaufen konnte, um von dem Erlös ein Haus zu erwerben.335 Der Bibliothek wird hier die Rolle eines wirtschaftlichen Asset zugedacht, die sich darin kaum von den anderen Teilen der Stiftung, nämlich dem Haus und dem Bargeld, unterscheidet. So spricht auch die Geschichte der erhaltenen Bücher ʿUṭaifīs nicht für eine lange Lebensdauer der Bibliothek. Von den 32 Büchern aus seinem Besitz konnte ich 12 einsehen. Von diesen haben nur zwei keine weiteren unmittel- baren Gebrauchsspuren, neun sind spätestens innerhalb von 40 Jahren nach ʿUṭaifīs Tod 1095 / 1684 in anderen Händen nachzuweisen, die beiden frühesten bereits im Todesjahr.336 Eine weitere gehörte spätestens mit dem šāfiʿītischen Mufti von Damaskus Muḥammad b. ʿAbd ar-Raḥmān al-Ġazzī (1096 / 1685 – 1176 / 1762) ebenfalls einer Persönlichkeit aus der ersten Hälfte des 12. / 18. Jahrhunderts.337 Auch von den neun durch die Kataloge der Ẓāhirīya ver- gleichsweise gut erschlossenen Bänden sind vier innerhalb von höchstens

334 MaḤāsinī: Ṣafaḥāt, S. 99. 335 MSD Siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301, datiert 15.6.1095 / 30.5.1684. 336 Bereits im Todesjahr 1095 / 1684 wurden Berlin Wetzstein II 136 und Kopenhagen Cod. Arab. 266 verkauft; 1106 / 1694–95 ging Berlin Wetzstein I 20 bereits an ihren zwei- ten Nachbesitzer über; spätestens 1108 / 1696–97 wurde Berlin Wetzstein II 1822 ver- kauft; den zweiten Nachbesitzer fand auch Berlin Landberg 924 bereits 1118 / 1706–07; Berlin Wetzstein II 15 gelangte in den Besitz des 1128 / 1716 verstorbenen ʿAbd al-Laṭīf b. Muḥammad al-Ḥanbalī (vgl. Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 248); der spätere Besitzer von Berlin Wetzstein II 1764, Muḥammad b. Ibrāhīm Ibn ad-Dikdikǧī starb 1131 / 1719 (vgl. u.a. Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 309, 314; Elger: Muṣṭafā al-Bakrī, S. 45–46); Berlin Sprenger 42 wurde spätestens 1132 / 1719–20 und Berlin Wetzstein I 125 1133 / 1720–21 gekauft. 337 Murādī: Silk IV, S. 69–73; Ziriklī: Aʿlām VI, S. 197. Die Umwelt der Rifāʿīya 227

30 Jahren in anderer Hand nachweisbar, auch hier wieder einer bereits im Todesjahr.338 Dies alles weist recht deutlich darauf hin, dass der Zweck der Stiftung nicht die Etablierung einer langlebigen Bibliothek, sondern die finanzielle Versorgung der Tochter gewesen sein muss. Ja man kann wohl sogar davon ausgehen, dass es die Stiftungsbibliothek nach dem Tod ihres Stifters nie- mals gegeben haben wird! Dies zumindest scheinen zwei heute in Damaskus und Kopenhagen aufbewahrte Handschriften zu belegen, welche Ibrāhīm b. Sulaimān b. Muḥammad b. ʿAbd al-ʿAzīz al-Ǧīnīnī al-Ḥanafī (gest. 1108 / 1696) bereits 1095 / 1684 „aus dem Nachlass“ (bi-š-širāʾ min tarika) ʿUṭaifīs ­erwerben konnte.339 Einen „Nachlass“ an Büchern hätte es freilich mit der Stiftung all dieser Bücher, wie es die Dokumente beschreiben, gar nicht geben dür- fen. Sechs seiner Bücher kamen in der Folge aber doch in solche als langle- bige Stiftungen konzipierte Bibliotheken, davon fünf in öffentliche (waqf der Bāḏrāʾīya, zwei in die Bibliothek Asʿad Bāšā al-ʿAẓms und zwei in die seines Nachfahren Muḥammad Bāšā al-ʿAẓm) sowie eine in die Rifāʿīya. Die angeführten Beispiele haben ein breites Spektrum an Strategien und Zielen für die Errichtung einer privaten Stiftung aufgezeigt. Als eine der weni- gen etwas umfangreicher zu rekonstruierenden privaten Stiftungsbibliotheken hat die Sammlung Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifīs das bei der Rifāʿīya gewon- nene Bild einer größeren inhaltlichen Freiheit gegenüber den „öffentlichen“ Bibliotheken bestätigt. Hier ist tatsächlich von einem Abbild der literarischen Interessen des jeweiligen Stifters auszugehen, denn im Grunde handelte es sich in der Regel um eins zu eins in eine andere Rechtsform übernommene Privatbibliotheken. Was den Sammlungen eigen blieb, war denn anscheinend auch genau dieser Aspekt des Privaten: Zu finden in der Residenz des Stifters ist es sehr fraglich, inwieweit eine Ausstrahlung in die Gesellschaft beabsich- tigt sein konnte und dementsprechend verborgen bleiben diese Stiftungen dem Blick der Quellen.

338 Damaskus Ẓāhirīya 3342, 3561 und 3562 wurden 1126 / 1714 von Muḥammad ʿĀṣim al-Falāqinsī (gest. 1170 / 1756–57) gekauft, 3563 bereits im Jahr 1095 / 1684 durch Ibrāhīm al-Ǧīnīnī (vgl. die nächste FN). 339 Damaszener Handschrift nach ḤimṢī: al-Luġa – al-Balāġa – al-ʿArūḍ – aṣ-Ṣarf, S. 281, wo al-Ḥasanī zu al-Ǧīnīnī zu korrigieren ist. In beiden Fällen ist die Formulierung „bi-š-širāʾ min tarikat al-ʿUṭaifī “. 228 kapitel 2

2.8 Kommerzielle Leihbibliotheken – Neue Wege der Literaturrezeption?

Neben den unter Freunden und Bekannten privat verborgten und den aus öffentlichen Stiftungsbibliotheken – entweder im Sinne des Stifterwunsches oder bei guten Beziehungen zum Bibliothekar oder Aufseher unter des- sen Umgehung – geliehenen Büchern, konnten Leser in Syrien und speziell in Damaskus zumindest seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und sehr wahr- scheinlich bereits früher auch auf designierte Leihbibliotheken mit kommer- zieller Ausrichtung zurückgreifen.340 Die bekannteste und wahrscheinlich bedeutendste, aber bei weitem nicht die einzige derartige Bibliothek war diejenige Aḥmad ar-Rabbāṭ al-Ḥalabīs. Die wenigen Aussagen über seine Biographie, die wir hier treffen können, stammen bezeichnenderweise nicht aus zeitgenössischen arabischen litera- rischen Quellen, die offenbar keine Notiz von dem Mann genommen haben. Der gebürtige Aleppiner muss wohl um 1202 / 1788 nach Damaskus gezogen sein, wo er es als Dichter, Rezitator und Sänger zu einigem Reichtum gebracht haben muss. Wetzstein, der ihn nicht mehr persönlich kannte, nennt ihn in einer handschriftlichen Notiz einen „berühmten Antarleser und gewandten Meistersänger“.341 Bücher dürften schon immer einen wichtigen Teil seines Lebens ausgemacht haben, seine früheste belegte Kopie stammt aus dem Jahr 1199 / 1784 (Wien ÖNB Cod. Mixt. 1577,1), als er wahrscheinlich noch in Aleppo lebte. Den Weg zu seiner Leihbibliothek soll er dann jedoch unfreiwillig gefun- den haben, über einen weiteren großen Büchersammler der Zeit, Aḥmad Bāšā al-Ǧazzār. Dieser erlangte am Ende des 18. Jahrhunderts für eine kurze Zeit das Amt des Gouverneurs von Damaskus und die Quellen berichten auch hier von seinen Übergriffen auf die Bevölkerung. Eines seiner Opfer soll nach Wetzsteins Informanten auch Aḥmad ar-Rabbāṭ gewesen sein. In dieser Darstellung war es der Verlust seines „bedeutenden Vermögens“ durch al-Ǧazzār, welches den Poeten und Erzähler auf der Suche nach neuen Einnahmequellen schließlich auf seine Bücher zurückgreifen ließ.342 Aḥmad ar-Rabbāṭs aktive Zeit in der

340 Vgl. Liebrenz: The library. Für Istanbul vgl. Hitzel: Manuscrits, livres et culture livre- sque, S. 22–23, 30–31; Değirmenci: An illustrated Mecmua. Für die etwa zeitgleiche Etablierung von Leihbibliotheken in Europa und deren Rolle für das Lesepublikum besonders im Bereich der „schönen Literatur“ vgl. Wittmann: Buchmarkt und Lektüre, S. 142–145; Jäger / Schönert: Die Leihbibliothek. 341 Wetzstein: Bruchstück, S. 113. 342 Ebd., S. 114: „Ist Rabbâṭ der Verf, so wird die Schrift schon im ersten Viertel unsers Jahrhunderts geschrieben worden seyn, da er während Napoleons Belagerung von ʿAkkâ Die Umwelt der Rifāʿīya 229

Welt der Handschriften ist durch datierte Kopien und Besitzeinträge zwischen die Jahre 1199 / 1784 und 1254 / 1838 zu setzen und seine Lebenszeit fällt damit auch zu einem großen Teil mit derjenigen der Rifāʿīya als Stiftungsbibliothek zusammen.343 Daher ist es ein interessanter Zufall, dass die Rifāʿīya nicht nur einen sehr großen Teil der bisher bekannten Handschriften dieses Mannes überliefert, sondern seine Bücher umgekehrt sogar einen ganz entscheiden- den Kernbestand der Bibliothek, ja deren größte identifizierbare inkorporierte Sammlung bilden. Da Aḥmad ar-Rabbāṭ sowohl die Titelblätter vieler seiner Handschriften gestaltet oder umgestaltet und dabei seinen Namen in den Titel integriert hatte, als auch in vielen Fällen Bücher entweder vollständig kopierte oder fehlenden Text eigenhändig ersetzte, fiel sein Name bereits einigen, an Besitzvermerken sonst wenig interessierten Handschriftenforschern des 19. und 20. Jahrhunderts auf. Ahlwardt in Berlin,344 Nallino in Turin345 sowie Seybold346 und Weisweiler347 in Tübingen verzeichneten daher zusammen mit Karl Vollers für die Leipziger Rifāʿīya bereits 43 seiner Handschriften. Die so katalogisierten Bücher Aḥmad ar-Rabbāṭs schienen dabei sehr homogen in ihrer recht einfachen Ausstattung – meist junge, wenig sorgfältig geschriebene Kopien in dünnen Pappeinbänden – und dem sprachlich nicht allzu gehobenen Anspruch ihrer unterhaltsamen oder schlicht erbaulichen Texte. Teilweise – wie im Fall von Aḥmads eigenen Werken – waren die Texte sogar umgangssprachlich abgefasst. Die Bibliothek schien also nach diesen Zeugnissen auf den ersten Blick eher auf ein wenig gebildetes Publikum gezielt zu haben. Diese Einschätzung konnte durch die Forschungen im Rahmen des Refaiya-Projektes teilweise deutlich revidiert werden. Jüngste Entdeckungen in verschiedenen Sammlungen haben eine ganze Reihe durchaus sehr alte und überaus wertvolle Handschriften aus dem Besitz dieses Mannes an den Tag

bereits in Damas lebte, woselbst er später durch den berüchtigten Gezzâr Pascha seines ganzen bedeutenden Vermögens beraubt und dadurch, um seine Familie erhalten zu kön- nen, zur Anlegung einer Leihbibliothek veranlaßt wurde.“ 343 Vgl. Liebrenz: The library, passim. Beim Verfassen dieses Aufsatzes war mir die im Jahr 1199 / 1784 von ar-Rabbāṭ angefertigte Kopie Wien Österreichische Nationalbibliothek Cod. Mixt. 1577,1 (1199; vgl. Loebenstein: Katalog der arabischen Handschriften, S. 157) noch nicht bekannt. 344 Ahlwardt: Verzeichnis der arabischen Handschriften VIII, Nr. 8192, 8188–8191, 8193–8195. 345 Nallino: I manoscritti arabi, persiani, turchi e siriaci, S. 40–41 (Nr. 54 und 55). 346 Seybold: Verzeichnis der arabischen Handschriften, S. 76, 88–91. 347 Weisweiler: Verzeichnis der arabischen Handschriften, S. 4–5, Nr. 52. 230 kapitel 2

Abb. 32 Die nach Leipzig gelangten Bücher aus der Bibliothek des Aḥmad ar-Rabbāṭ. gebracht. Sogar der höchste gefundene Preis für eine Handschrift wurde für ein Buch aus ar-Rabbāṭs Bibliothek gezahlt. Hatten sich in die Stiftungsbibliotheken durchaus auch Werke der Unterhaltungsliteratur verirrt, wurde dieses Genre in der Leihbibliothek zum dominanten Faktor. Letztere konnte und musste in diesem Punkt ganz auf die Lesewünsche ihres Publikums eingehen, ohne umgekehrt auf das wis- senschaftliche Curriculum der Lehrinstitutionen Rücksicht nehmen zu müs- sen. Zumindest Aḥmad ar-Rabbāṭs Büchersammlung hatte aber durchaus einen universaleren Anspruch. Medizin, Recht, Mystik und Erbauung finden sich hier ebenfalls, wenn auch in deutlich zurückgenommenem Maße. Auch Werke zeitgenössischer Literaten und Zeitgeschichte waren hier zu finden. Dabei waren diejenigen Leihbibibliotheken, welche in Syrien neben der Bibliothek ar-Rabbāṭs arbeiteten und teilweise auch dessen Bücher übernom- men hatten – Rašīd b. Muḥammad al-Ḥallāq al-Ḥakawātī, ʿAbdallāh al-Baġdādī oder Muḥammad an-Nāṣirī al-Ǧundī al-ʿAntarī348 – inhaltlich offenbar sehr viel eindimensionaler auf populäre Epen ausgerichtet. Wie Aḥmad ar-Rabbāṭ

348 Namen aus dem ägyptischen Kontext sind aufgezählt in Ott: Metamorphosen, S. 68–72. Die Umwelt der Rifāʿīya 231

­entstammten sie wohl – bei Rašīd al-Ḥakawātī und Muḥammad al-ʿAntarī ist dies durch ihre Namen evident – dem Milieu der öffentlichen Erzähler. Ebenfalls unklar ist, inwieweit die Bildungselite von diesem Angebot Gebrauch machte oder machen wollte. Eine ostentativ ausgesprochene Abgrenzung zwischen hoher und niederer Kultur war für die Teilhaber an der traditionellen Gelehrsamkeit in ihren wenigen schriftlichen Äußerungen zum Thema eine immer wieder dokumentierte Selbstverständlichkeit. Zeugnisse der Ablehnung epischer Literatur etwa sind in großer Zahl über die Jahrhunderte überliefert, während sie umgekehrt vor der jüngsten Zeit nicht als Teil der eigenen kulturellen Identität dargestellt werden. Das Beispiel eines al-Ḥasan al-Būrīnī mit seinem unverhohlenen Interesse für das literarische Leben der im Sinne der Gelehrtenkultur ungebildeten, aber literarisch akti- ven Menschen wurde von seinem Biographen zumindest mit Verwunderung betrachtet.349 Das Arbeiten als Vorleser in einem Kaffeehaus wird in einer wei- teren Quelle klar als sozialer Abstieg gebrandmarkt.350 Dennoch müssen wir von einer wohl gar nicht seltenen, aber eben unaus- gesprochenen oder vielmehr ungeschriebenen Überschneidung der beiden literarischen Sphären ausgehen, für welche besonders, aber nicht nur, das Beispiel der Rifāʿīya mit ihren vielen Epen und Abenteuergeschichten steht. Die Trennlinien zwischen der Welt der hohen Gelehrsamkeit und der popu- lären Unterhaltung waren wahrscheinlich relativ durchlässig. Zwar fällt in der Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs das weitgehende Fehlen der oft kalligraphisch und grammatikalisch korrekt geschriebenen Einträge der Gelehrten auf. Aber auch der zweite große Name in der Welt der populären Literatur des spätos- manischen Syrien, ʿAbdallāh al-Baġdādī, der selbst viele Handschriften von Aḥmad ar-Rabbāṭ übernommen hatte, steht in gleicher Weise paradigma- tisch für eine Literaturrezeption, welche hochgeschätzte Sprachkunstwerke und populäre Epik offenbar problemlos verbinden konnte. So gab er seine Handschriften dann offenbar zumindest teilweise weiter an seinen Sohn ʿAbd ar-Raḥmān – einen Richter.351

349 Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 355–390, Nr. 141. 350 Der Dichter Šākir al-Ḥamawī (1121 / 1709–10 – 1193 / 1779), musste nach schweren Schicksalsschlägen verarmt in Kaffeehäusern auftreten, dadurch „trug er die schönsten Perlen an den häßlichsten Orten vor“; Murādī: Silk I, S. 153–161. 351 Die Aufzählung der Handschriften ʿAbdallāh al-Baġdādīs in Berlin, fast ebenso zahl- reich wie die Aḥmad ar-Rabbāṭs, muss hier schon aus Platzgründen unterbleiben. Dass sein Sohn ʿAbd ar-Raḥmān ein Richter (qāḍī) und Enkel / Nachkomme eines Richters (ḥafīd al-qāḍī al-ʿāmm bi-Dimašq aš-Šām) war, bezeugen seine Besitzeinträge in Berlin Wetzstein II 999, fol. 84v und Rückendeckel. 232 kapitel 2

Trotzdem heben sich die Leser von Aḥmad ar-Rabbāṭs Büchern, auch denen in der Rifāʿīya, als Gruppe erkennbar von den Lesern anderer Bücher ab. Die Bibliotheken der kommerziellen Verleiher seit dem 18. Jahrhundert erschließen uns in großer Dichte vollkommen neue Leserschichten, die in früheren Zeiten zumindest kaum dokumentiert sind. Unter ihnen gibt es: weniger nachweis- bare Gelehrte; mehr Namen, die auf handwerkliche Berufe verweisen; mehr militärische Titel; mehr christliche und jüdische Namen; mehr Einträge, welche durch ihre vielen und zum Teil haarsträubenden grammatischen und orthogra- phischen Fehler große sprachliche Unsicherheiten und damit Bildungsferne verdeutlichen. Es waren nicht die typischen Bibliophilen und wahrscheinlich hatten viele von ihnen keine großen Summen für den Luxusartikel Buch übrig, deshalb waren sie aber noch lange keine Lesemuffel. Die Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs als Leihbibliothek hat ihren Wünschen daher wohl am ehesten ­entsprochen. Und die allermeisten von ihnen findet man denn auch nur – und teilweise sehr häufig – als Leser, nie aber als Besitzer eines Buches. Kann man sich dieses Publikum im gleichen Maße für die Rifāʿīya vorstellen? Standen ihre Bücherschränke interessierten Lesern offen? Zufriedenstellend wird sich diese Frage nicht beantworten lassen, da die Leser in ihren Lesenotizen praktisch niemals Auskunft über die Umstände der Lektüre gaben. Es kann jedoch in einigen Fällen beobachtet werden, dass sich die gleichen Namen in einer großen Zahl von heute in verschiedenen Sammlungen aufbewahrten Handschriften Aḥmad ar-Rabbāṭs finden, aber auch sehr kurz vor ihrem Verkauf in der Rifāʿīya. Daraus ergeben sich zwei mögliche Folgerungen: Diese Leser könnten die verschiedenen Bücher in ver- schiedenen Sammlungen gelesen haben und nur zufällig stammten viele von ihnen aus der ehemaligen Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs. In diesem Falle wäre auch die Rifāʿīya eine dieser Sammlungen und letztendlich eine anscheinend für Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft und Bildung öffentlich zugängliche Bibliothek, nicht zuletzt auch für Liebhaber epischer und schön- geistiger Literatur. Oder die Bücher aus Aḥmad ar-Rabbāṭs Besitz blieben sehr lange als Einheit bestehen und wurden auch in der gleichen Sammlung gele- sen. In diesem Fall sind sie erst sehr spät und wahrscheinlich als Gruppe in die Rifāʿīya gelangt, auf deren Regalen sie dann der Öffentlichkeit wieder entzogen waren. Diese zweite Möglichkeit erscheint mir wesentlich plausibler. Während wir über die ganz eigene inhaltliche Ausrichtung der kom- merziellen Leihbibliotheken also recht gut unterrichtet sind, wissen wir in ihrem Fall über Organisation und Praxis noch viel weniger als bei den Stiftungsbibliotheken. Wie wurden sie aufbewahrt? Im Privathaus ihrer jeweiligen Besitzer? In einem Laden in einem Markt, vielleicht gar dem Buchhändlermarkt? Wie wurden sie beworben? Zwei in ar-Rabbāṭs Büchern Die Umwelt der Rifāʿīya 233 und an ihn addressierte zufällig erhaltene­ Briefe mit der Anzeige zurückge- gebener und der Bitte um neue Bände eines Epos zeigen zumindest, dass die Ausleihe unpersönlich über Boten abgewickelt werden konnte.352 Ein weite- rer Eintrag belegt die Entleihung einer wertvollen Handschrift auf eine lange Reise. Dieser letzte Eintrag bietet auch seltene Angaben über die Bezahlung, von der wir sonst kaum verlässliche Informationen haben. In diesem Eintrag aus Tübingen macht der Sohn Aḥmads, Muḥammad ar-Rabbāṭ gegenüber dem Entleiher Ḥasan b. Saʿd ad-Dīn al-Ḥarīrī Angaben zum Preis für die Entleihe und bei Verlust des Buches. Demnach sollte die in Rede stehende illuminierte Handschrift mit einer Geschichte aus dem Kreis des 1001 Nacht- Zyklus pro Tag 5 fiḍḍa kosten und wäre bei Verlust mit 300 ġurš, also dem 2.400-fachen ihrer Tagesmiete, zu ersetzen.353 Der Aleppiner al-Ḥarīrī wollte das Buch zur Belustigung auf eine Reise in den Ḥaurān mitnehmen. Dass die Verschriftlichung hier einmal so ausführlich geworden ist, kann man wohl mit dieser Reise des Entleihers erklären, die zur Absicherung eine weitergehende Dokumentation verlangte. Dass die sogenannten audaʿtu-Vermerke „eine Art Quittung über die Hinterlegung (audaʿa ‚deponieren, hinterlegen‘) einer bestimmten Geldsumme oder eines Pfandes“354 darstellen würden, muss allerdings verneint werden. In dieser Eintragsform wird die Formel audaʿtu fī hāḏā l-kitāb gefolgt von der šahāda, dem Bekenntnis des Schreibers, dass es keinen Gott außer dem einen Gott gebe und Muḥammad sein Gesandter sei. Was in der Literatur als Bekräftigung und Versicherung des Pfandes gedeutet wurde ist allerdings als der Zweck des Eintrags anzusehen: Jemand hat als fromme Tat eine šahāda im Buch niedergelegt. Als Beglaubigung eines Pfandes haben die oft ohne Namen und Datum und an jeder beliebigen Stelle innerhalb eines Buches niedergeschriebenen Notizen kaum einen Sinn. Sie finden sich im Übrigen auch in jeder Textsorte, nicht nur den Werken und Buchtypen, die den bevor- zugten Bestand der kommerziell arbeitenden Leihbibliotheken ausmachten. Demgegenüber finden sie sich in den Büchern der Leihbibliotheken auch

352 Die beiden Briefe finden sich in Berlin Wetzstein II 1043, fol. 67v und Wetzstein II 1577, fol. 229r. Der erste informiert über die Rückgabe von mindestens zwei Bänden der Sīrat ʿAntar, fragt nach drei weiteren Bänden des Epos und bittet ar-Rabbāṭ die ersten Bände von Saif (Ḏī Yazan) zu senden, sobald diese eintreffen. Der zweite Brief berichtet neben dem Eintreffen des vorliegenden Buches (al-Ġazālīs Erbauungsbuch Mukāšafat al-qulūb und ein Werk über Traumdeutung) auch von einer von Aḥmad ar-Rabbāṭs Safīnas. 353 Seybold: Verzeichnis, S. 76; Liebrenz: The library of Aḥmad al-Rabbāṭ, S. 22–23. 354 Ott: Metamorphosen, S. 90–91. 234 kapitel 2

überhaupt nicht in gehäuftem Maße, ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Lesernotizen. Praktisch nie hat mehr als ein Leser einen solchen Eintrag in einem Buch hinterlassen. Und zu guter letzt begleiten diese audaʿtu-Einträge auch Besitzvermerke und Kolophone von Kopisten.355 Die Frage stellt sich, ob die kommerziell betriebenen Leihbibliotheken des späten 18. und 19. Jahrhunderts im syrischen Kontext ein neues Phänomen waren oder auf eine längere, jedoch nicht mehr handschriftlich bezeugte Tradition zurückblicken können. Dass das Kaffeehaus auch früher bereits ein Ort populärer Literaturpräsentation und -rezeption war, ist hinlänglich bekannt.356 Und die in Paris (BnF arabe 3883) erhaltene Beschwerde eines Qaiṭās b. ʿAbdallāh aus dem Jahr 1076 / 1665 über die Ausleihpraktiken des als ḥakawātī angesprochenen Besitzers der Handschrift lässt keinen Zweifel zu, dass die Wurzeln der Leihbibliothek weiter zurückreichen müssen.357 Weiterhin muss gefragt werden, haben die Leihbibliotheken ihrerseits nicht nur neue Formen der Rezeption bedeutet, sondern dadurch auch eine neuartige literarische Produktion angeregt? Interessant ist in diesem Zusammenhang das weitge- hende zeitliche Zusammentreffen der Dokumentation dieser Bibliotheken mit dem verstärkten Aufkommen einer Literaturgattung in Bilād aš-Šām, die neue literarische Akteure außerhalb der Gelehrtenkreise ihren Blick auf die histori- schen Ereignisse niederschreiben lässt, die von Dana Sajdi „commoner chroni- cles“ getauften historischen Journale.358 Konnte diese Literatur nur entstehen, weil die Nutzung von Büchern über den eng begrenzten Kreis der „öffentlichen“ Bibliotheken und Notabeln erweitert wurde? Und konnte sie nur überliefert werden, weil ein aufnahmebereites Publikum neue Wege und Institutionen der Rezeption vorfand? Hinweise für eine spezielle Rezeption dieser zeitgenössi- schen Chroniken über die Leihbibliotheken gibt es zumindest. So konnte man sich nicht in der Rifāʿīya und, soweit wir wissen, auch nicht in einer der ande- ren großen syrischen Stiftungsbibliotheken über die französische Besatzung Ägyptens und die militärischen Auseinandersetzungen in Syrien informieren, wohl aber in der Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs (Wetzstein II 378).359 Und auch

355 Besitzvermerk mit audaʿtu-Eintrag z.B. in Gotha orient. A 854. Vgl. zur šahāda in jeme- nitischen Handschriften Sobieroj: Arabische Handschriften, S. XXVI, der zu gleicher Einschätzung gelangt. 356 Aigen: Sieben Jahre in Aleppo, S. 53: Aigen geht um 1660 früh und am Abend in die Kaffeehäuser, dort gibt es Musik und Unterhaltung, auch „alte erdichte Türckische Historien“ und neueste Nachrichten sowie Brettspiele. 357 Zur Beschwerde Ott: Metamorphosen, S. 91–94, Identifikation des in Geheimschrift geschriebenen Namens nach Abb. XLVIII. 358 Sajdi: Peripheral visions. 359 Zu zeitgenössischen Geschichtswerken in dieser Bibliothek vgl. Liebrenz: The library, S. 29. Die Umwelt der Rifāʿīya 235 das unikate Manuskript der Chronik des Barbiers Aḥmad Ibn Budair in sei- ner Originalversion aus dem 18. Jahrhundert hat offenbar nur über ar-Rabbāṭ seinen Weg zu uns gefunden, zusammengebunden außerdem mit zeitgenössi- schen Texten Medinenser und Bagdader Historiker (Dublin CBL 3551).360 Dies stellt im Übrigen auch eine zumindest bemerkenswerte Parallele zur Entwicklung der Volksbibliothek, wie sie sich, mit ersten Vorläufern im 17. Jahrhundert, seit dem 18. Jahrhundert zuerst im angloamerikanischen Raum und dann im 19. Jahrhundert auch in den deutschen Staaten durchsetzte. Dies waren von staatlichen und kommunalen Stellen oder Vereinen getragene, also nicht kommerziell agierende Einrichtungen. Doch auch in der westeuropä- ischen Bibliotheksgeschichte bedeuten ihre Ausleihjournale die erste fass- bare Dokumentation der Lesewelten traditionell bildungsferner Gruppen wie Handwerker, Dienstboten oder Bauern.361

2.9 „Familienbibliotheken“ oder „Familien und Bibliotheken“?

Kurz vor dem Verkauf der Rifāʿīya bemerkt der amerikanische Missionar Porter über seine Erfahrungen in Damaskus: „Private libraries of any extent or value are extremely rare, but almost every old family has a number of manu- scripts that are left as heirlooms to successive generations.“362 Einige der oben vorgestellten Beispiele öffentlicher und privater, gestifteter und nicht gestif- teter Bibliotheken wurden bereits im größeren Kontext der Familie betrach- tet. Die wichtige, ja zentrale Rolle des Familienverbandes für die Bewahrung, Reproduktion und Vermehrung von ökonomischer und gesellschaftlicher Macht sind in der Forschung seit langem fruchtbar diskutiert worden.363 Dabei ist ein zentraler Aspekt die Beziehung zwischen der biologischen Familie direkter männlicher Nachkommen, den Trägern des Familiennamens, und der Klientelgemeinschaft, welche auch Abhängige, Sklaven oder durch Netzwerke von Patronage und Heirat in Loyalitätsbeziehungen befindliche Personen einbezieht und für welche sich in der Forschung der Begriff des Haushalt (household) durchgesetzt hat.364 Letzterer ist in den Büchern des osmanischen

360 Ein Hinweis auf ar-Rabbāṭ als Besitzer (wenn der Name Rabbāṭ hier auch noch nicht gele- sen werden konnte und al-Ḥalabī als Ǧalabī interpretiert wurde) findet sich bei Sajdi: The barber of Damascus, S. 170. 361 Vodosek: Wissen für alle, S. 196–200. 362 Porter: Five years in Damascus I, S. 142. 363 Vgl. für Aleppo Meriwether: The kin who count; für Tripoli und Nabulus Doumani: Adjudicating family; Ders.: Endowing family. 364 Vgl. Wilkins: Masters, S. 291–292. 236 kapitel 2

Bilād aš-Šām, anders als in Ägypten,365 jedoch noch sehr schwer zu fassen, wes- halb hier die „Kernfamilie“ im Mittelpunkt der Untersuchung stehen soll. Auf der Ebene des kulturellen Kapitals funktionierten diese Familien als Sammler von Posten, die über Generationen weitergegeben wurden, auf die man zugun- sten von Verwandten verzichtete (nuzūl) oder die man quasi als Erbe betrach- tete, obwohl die Verteilungsberechtigung bei der politischen Zentralgewalt lag. Auch in diesem Bereich spielte die Stiftung eine herausragende Rolle, konnte man doch auf diese Weise Institutionen schaffen, in deren Bestimmungen (šurūṭ) den eigenen Nachkommen ein Vorrecht bei der Postenvergabe zuge- schrieben wurde. Diese immense Wichtigkeit der Familie als soziale Organisationsform könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass in der oberflächlicheren Literatur immer wieder die Familienbibliothek als die natürliche Extrapolation der Privatbibliothek angesehen wird. Wo eine Büchersammlung erwähnt wird, sollte es demnach eine Familienbibliothek geben. Es gibt jedoch kaum Anhaltspunkte für Bücher als identitätsstiftendes Erbe, das es zu pflegen und im Familienverbund zusammenzuhalten galt. Gerade im Bereich der Gelehrtendynastien, die ja auch in der Rifāʿīya als Vorbesitzer so prominent vertreten sind, muss dies erstaunen. Eine der prominentesten und in den für diese Studien untersuchten Handschriften am besten bezeugten Familien war die Familie an-Nābulusī. Seit dem 10. / 16. Jahrhundert finden sich viele Generationen von Nābulusīs auch in den Notizen der Rifāʿīya. Seit dem Tod der überragenden intellektuellen Gestalt ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1050 / 1641 – 1143 / 1731) ist zu beobachten, dass sich die folgenden Generationen fast nur noch auf ihn als Identifikationsfigur beziehen. Ein Enkel würde nun nicht mehr seinen Vater nennen, sondern den Großvater, ein Urenkel lässt mehrere Ahnen aus und nennt sich „Ibn Ibn Ibn ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī“. Außerdem sind die Nābulusīs als Kopisten, Besitzer oder Leser in einer erstaunlich gro- ßen Zahl der Werke ʿAbd al-Ġanīs präsent. Aus den Einträgen der Nābulusīs spricht somit Stolz auf den berühnmten Vorfahren und ein lebhaftes Interesse an seinem Werk, doch kein Anzeichen für die Pflege einer Familienbibliothek. Dabei waren die Bücher ʿAbd al-Ġanīs tatsächlich unter seiner Grabkuppel aufgestellt und somit prädestiniert für eine Verbindung von Familienidentität und gemeinsamen Bücherschatz.366 Es ist auch durchaus möglich, dass es eine Nābulusī-Büchersammlung über mehrere Generationen gegeben hat, wenn dies im Interesse der folgen-

365 Hier identifizieren sich sehr viele Personen über ein Klientelverhältnis zu einem gro- ßen Militär, indem sie sich nicht mit einem eigenen Familiennamen, sondern als dessen Anhänger (tābiʿ) ausweisen, was etwa in der Rifāʿīya niemals vorkommt. 366 Vgl. zur Kuppel Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 416. Die Umwelt der Rifāʿīya 237 den Nachkommen gelegen haben sollte. Darauf scheint hinzudeuten, dass ein osmanischer Verehrer Nābulusīs, der aus dem Umkreis des Sultans Maḥmūd nach Damaskus gekommene Ḥusain b. ʿAbdallāh al-Qusṭanṭīnī bekannt als Zahrāb (gest. 1170er / 1750er–60er), nach dem Tod des Meisters neben Immobilien auch Bücher in das nun zur Moschee umgewidmete Haus stiftete.367 Wenn aber sogar eine Stiftung wie die Rifāʿiya einen extrem schwankenden Bestand aufzuweisen hatte, sollte man ähnliches für eine Bibliothek vorausset- zen, deren Zusammenhalt noch nicht einmal theoretisch gefordert war. Einen Sonderfall unserer Dokumentation stellt die Familie al-Maḥāsinī im 17. und 18. Jahrhundert dar.368 Die Nachkommen Ismāʿīl b. Tāǧ ad-Dīn al-Maḥāsinīs (gest. 1102 / 1691) hielten nicht nur die Posten des imām und ḫaṭīb an der Umayyadenmoschee in der Familie sondern anscheinend auch eine relativ kontinuierlich bewahrte Büchersammlung. Doch geschah dies ein- zig in einer direkten Folge von vier Söhnen in der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die folgende Aufstellung bietet einen Überblick über die von vier Generationen der Maḥāsinīs besessenen Bücher mitsamt des jeweiligen Erwerbsjahres soweit vorhanden (o.D. = ohne Datum). Hier sehen wir eine selten erreichte Überlieferung vom Vater auf den Sohn über bis zu vier Generationen. Doch geschah dies nicht immer gerad- linig. Einiges ist immer wieder ausgeschieden worden, bemerkenswert ­vieles

Tabelle 1 Die Bücher der Familie al-Maḥāsinī

Signatur Ismāʿīl b. Sulaimān b. Aḥmad b. Muḥammad Sulaimān b. Tāǧ ad-Dīn Ismāʿīl Sulaimān Saʿīd b. Aḥmad Aḥmad (gest. 1102 / (gest. 1135 / (1095 / 1683 – (gest. 1169 / 1756) (1139 / 1726–27 – 1691) 1723) 1146 / 1734) 1189 / 1775)

Vollers 17 1036 o.D. (vor 1035) Vollers 171 o.D. 1136 1146 Vollers 413 o.D. 1146 Vollers 522 1133

367 Ġazzī: al-Wird al-unsī, 246: „wa-baʿda wafāt al-ustāḏ auqafa ʿalaihī wa-ʿalā ǧāmiʿihī ʿiqārāt wa-kutub.“ 368 Zur Familie vgl. den Überblick bei Schatkowski-Schilcher: Families in politics, S. 184–186. 238 kapitel 2

Tabelle 1 Die Bücher der Familie al-Maḥāsinī (cont.)

Signatur Ismāʿīl b. Sulaimān b. Aḥmad b. Muḥammad Sulaimān b. Tāǧ ad-Dīn Ismāʿīl Sulaimān Saʿīd b. Aḥmad Aḥmad (gest. 1102 / (gest. 1135 / (1095 / 1683 – (gest. 1169 / 1756) (1139 / 1726–27 – 1691) 1723) 1146 / 1734) 1189 / 1775)

Vollers 804 1145 1146 Vollers 847 1132 Vollers 888 1059 o.D. o.D. 1146 Princeton o.D. 1146 Garrett no. 3520Y Princeton Garrett 1087 o.D. no. 302B (vor 1135) Tübingen MA VI 100 1175 Dublin CBL Ar 3219 1176 Kairo Taimūr 677 1050 Adab Beirut MS 349.1767 1115 U85fA Beirut MS 892.78 o.D. 1146 I224dbA Berlin We I 45 o.D. 1146 Berlin Ms.or.oct. 945 1186 Berlin We I 141 1057 o.D. Leser 1112 1146 Berlin We I 169 1175 Berlin We II 1490 o.D. o.D. o.D. Berlin We II 1517 1129 1146 Berlin We II 1760 o.D. o.D. Berlin We II 1846 1128 Berlin Landberg 288 o.D. 1146 Berlin Landberg 376 o.D. (vor 1135) Berlin Sprenger 287 o.D. Berlin Sprenger o.D. 1014 Berlin Sprenger o.D. 1951 München Cod.arab. 1184 1635 Die Umwelt der Rifāʿīya 239

Abb. 33 Drei Generationen der Familie al-Maḥāsinī haben sich in dieses Buch eingeschrieben. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 171, fol. 1r ist jedoch zusammen geblieben. Von Sulaimān b. Ismāʿīls Büchern sind nur drei an seinen Sohn gekommen, drei jedoch sind definitiv nach seinem Tod in andere Hände gelangt. Diese drei letzteren Bücher wurden 1135 / 1723 ­offenbar versteigert, wodurch Ṣādiq Ibn al-Ḫarrāṭ sie erwerben konnte. Aḥmad b. Sulaimān wiederum konnte zwar 11 seiner 16 nachgewiesenen Bücher an sei- nen Sohn Muḥammad Saʿīd weitergeben, doch wiederum in 5 findet sich der Besitzeintrag dieses Sohnes nicht. Bemerkenswert ist, dass keines der vielen Bücher Aḥmad b. Sulaimān al-Maḥāsinīs direkt an den jüngeren Bruder Sulaimān b. Aḥmad ging. Der Grund dürfte im Altersunterschied der beiden Söhne zu sehen sein. Sulaimān b. Aḥmad war beim Tod des Vaters gerade sieben Jahre alt. Bei einer regelrech- ten Erbteilung hätte er dennoch mit dem gleichen Pflichtteil an den Büchern bedacht werden müssen. Vielleicht hat der ältere Muḥammad Saʿīd dem zuvor- kommen wollen, indem er gleich nach dem Tod des Vaters dessen Bücher mit einem Besitzeintrag versah und auf das Todesjahr datierte. Die zehn datierten Besitzeinträge tragen allesamt das Todesdatum des Vaters, 1146 / 1733–34. Von den 13 Büchern Muḥammad Saʿīds stammt nur eines soweit erkennbar nicht aus Familienbesitz, elf hatte bereits der Vater besessen, ein weiteres zumindest der Großvater Sulaimān b. Ismāʿīl. Und obwohl Sulaimān b. Aḥmad al-Maḥāsinī seinen Bruder Muḥammad Saʿīd um einige Jahre überlebte, gelangte von des- sen Büchern nur eines erkennbar in seinen Besitz. Gerade Sulaimān wird jedoch als ein ausgesprochener Bibliophiler beschrieben, der nicht nur sehr 240 kapitel 2 viele wertvolle Bücher sammelte, sondern diese auch unter großem Aufwand und mit seiner schönen Handschrift kollationierte.369 Den ersten nachweisbar von ihm kopierten Band fertigte er bereits 1156 / 1743, also mit 17 Jahren an, lange bevor er als Besitzer von Büchern hervorgetreten ist.370 Vollers 888 blieb mindestens 87 Jahre im Besitz von vier Generationen der Familie, von Ismāʿīl b. Tāǧ ad-Dīn im Jahr 1059 / 1649 bis hin zu seinem Urenkel Muḥammad Saʿīd im Jahr 1146 / 1733–34. Nach vier Generationen endet diese Dokumentation aber auch wieder. Viele weitere Maḥāsinīs sind bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als Buchbesitzer bekannt, doch nie mehr gibt es eine derartige Kontinuität über mehrere Generationen.

2.10 Bibliotheksorte und Bücherräume

Unter den vielen Dingen, die wir über private Bibliotheken im Allgemeinen wie auch über die Rifāʿīya im Besonderen nicht wissen ist, wo und wie sie aufgestellt waren, wie sichtbar die Bücher also im täglichen Leben waren oder, etwa für Besucher, sein sollten. Aber auch über die architektonische Ausprägung der öffentlichen Bibliotheksbauten, eine etwaige architektoni- sche Tradition, haben wir kaum befriedigende Informationen.371 Materielle Spuren von Bibliothekseinrichtung haben sich besonders in einer Reihe von Koranständern und –truhen aus vorosmanischer Zeit erhalten.372 Auch wenige vollständige Bibliotheksmöbel in Form von Schränken (ḫizāna) haben sich erhalten, etwa in dem Bücherschrank des Mamlukensultans Barqūq, der

369 Murādī: Silk II, S. 161–165. 370 München Cod. arab. 2538a; vgl. Müller: Arabische Handschriften, Nr. 343, S. 342. 371 ḤāriṮī: ʿImārat al-madrasa I, S. 394–398 behandelt Bibliotheken als Teil der Architektur von Madrasen in Ägypten und dem Ḥiǧāz. Über architektonische Fragen handelt dieser kurze Abschnitt jedoch kaum. Zwar meint ḤāriṮī: ʿImārat al-madrasa I, S. 395, dass der Architekt (miʿmār) teilweise eine große ḥuǧra (kabīrat al-masāḥa) für die Bibliotheken hätte einplanen müssen, wie groß sie aber war und ob diese im jeweiligen Beispiel dann auch mit besonderen architektonischen Mitteln kenntlich gemacht wurde, bleibt offen. Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 114–119 zitiert sehr viele Stiftungsurkunden, aus denen frei- lich nicht mehr als die jeweilige Erwähnung eines Schrankes (ḫizāna kutubīya) oder eines Raumes (qāʿa, bait) zu erfahren ist. Mehr erfährt man ebd., S. 120–121 über Beleuchtung und Belüftung, ohne dass hier etwas Bibliotheksspezifisches deutlich würde. Sehr viel ausführlicher auf die Inneneinrichtung der Bibliotheken bzw. die künstlerische Ausgestaltung der Bücherschränke in mamlukischer Zeit geht Wakīl: Āṯāṯ al-muṣḥaf, S. 149–174 ein. 372 Vgl. Makariou / Juvin: The Louvre Kursi. Die Umwelt der Rifāʿīya 241 im Islamischen Museum Kairo aufgestellt, jedoch in den bisher publizierten Katalogen der Sammlung nicht beschrieben ist.373 Während die Quellenarmut insbesondere im Fall der Privatbibliotheken schwer wiegt, stehen uns von den öffentlichen Stiftungsbibliotheken aus ver- schiedenen Epochen und Regionen zumindest wenige literarische Quellen und auch einige Abbildungen zur Verfügung, die für den privaten Buchbesitz einen wichtigen Kontext bieten. Gerade in osmanischer Zeit bekommen die zunehmenden Berichte europäischer Reisender eine große Bedeutung.374 Im Rahmen privater Büchersammlungen werden die literarischen Informationen wesentlich knapper. Eine Hinwendung zu den in großer Zahl vorhandenen materiellen Überresten privater Häuser aus dem syrischen Raum ist daher angebracht. Die lebendigsten und prachtvollsten von ihnen sind die farbenprächtigen, oft sehr kunstfertig und kreativ mit Malereien, Stuckarbeiten oder Spiegeln versehenen Holzpaneele, welche einst besonders deren Empfangssäle neben dem īwān zierten.375 Ein wesentliches Element dieser Innenräume war eine Reihe von teils offenen und mit Regalen verse- henen, teils durch Türen oder Vorhänge geschlossenen Wandnischen. Sie dienten zum Verstauen des Bettzeuges am Tage, zur Präsentation wertvoller

373 Inv. 23767; nach Wakīl: Aṯāṯ al-muṣḥaf, Abb. 125. Den vielen fest in die Wände der jewei- ligen Institutionen verbauten Schränke bzw. mit Regalbrettern versehenen Nischen kann die Autorin nur zwei erhaltene separat stehende ḫizānas zur Seite stellen. 374 So beschreibt Joseph von Hammer-Purgstall eine „türkische öffentliche Bibliothek“, die er am Ende des 18. Jahrhunderts auf Rhodos gesehen hatte, recht plastisch: „Ihr Stifter und Errichter war Ahmed aus Rhodos. Er bereicherte seine Vaterstadt vor mehr als dreyssig Jahren mit einer aus Constantinopel hergeschafften Büchersammlung von beyläufig zwey tausend Manuscripten, führte die erforderlichen Gebäude auf, besoldete die Custoden, und würde vielleicht noch mehr für die Aufnahme der Wissenschaften gethan haben, wenn er nicht zu früh ein Opfer der Grausamkeit Dschesarpaschas gefallen wäre. Der Catalog der Manuscripte, die in einem wohlgewölbten Saale in Glaskästen über einander gelegt ruhen, enthält die Titel der Hauptwerke in jedem Fache, die gewöhnlich in allen Büchersälen Constantinopels anzutreffen sind (. . .)“; von Hammer: Topographische Ansichten, S. 83–84. Vgl. dazu auch Spatt / Forbes: Travels in Lycia II, S. 6–7: „In the town of Rhodes the Osmalis have a public library, containing about one thousand volu- mes, and placed in a neat building erected for that purpose, founded about fifty years ago by Turbend Agasi Achmet Aga. We had an interview with the present librarian, Hadgi Mehemet Effendi, a highly intelligent old man, at his house, where we found him, buried among manuscripts, like a true book-worm. (. . .) To the library under his charge, the stu- dents of the Madraseh, or higher schools, have access.“; außerdem Anonymus: Eine ori- entalische Bibliothek, S. 120. 375 Vgl. Gonella / Kröger (Hrsg.): Angels, peonies, and fabulous creatures; Scharrahs: Das Dresdner Damaskus-Zimmer; neuerdings Dies.: Damascene ʿAjami rooms. 242 kapitel 2

Besitztümer, besonders des prachtvollen und in osmanischer Zeit bevorzugt aus China importierten Porzellans (ṣīnī), aber wie der althergebrachte Name kitbīya / kutubīya bezeugt, sind sie auch mit der Aufbewahrung von Büchern in Verbindung zu bringen. Es ist sicher davon auszugehen, dass eine angesehene Familie, als welche die Rifāʿīs nach unseren Informationen erscheinen, in ihrem Wohnhaus eines dieser repräsentativen Zimmer zum Empfang von Gästen ihr eigen genannt haben dürfte. Empfangszimmer waren dabei durchaus Foren für Literatur, denn zum gesellschaftlichen Leben der gebildeten Oberschicht gehörten auch literarische Diskussionen bis hin zu Lesungen unterhaltsamer oder erbaulicher Literatur oder Gedichtrezitationen. Das literarische Interesse der jeweiligen Bauherren kann man an den vielen kalligraphischen Wandpaneelen able- sen, die Teil des Schmuckensembles waren. Im Dresdner Damaskuszimmer etwa haben sich nach Claudia Ott Verse aus der al-Ġazālī zugeschriebenen al-Qaṣīda al-munfariǧa erhalten.376 Aber muss man sich neben Ġazālīs Versen auch seine Bücher, kann man sich gar eine ganze Bibliothek wie die Rifāʿīya in solch einem Raum vorstel- len? Leider wissen wir nur sehr wenig über das tatsächliche Innenleben der Damaszener Häuser vor den Beschreibungen und Fotografien moderner Reisender. Nicht jeder westliche Besucher hatte einfachen Zugang, und einen Fotoapparat hatten auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur die wenigsten zu Verfügung. Nur selten verirrten sich Bücher in die seit dieser Zeit etwas häufiger überlieferten Fotografien von Inneneinrichtungen, etwa in einer Aufnahme des aus dem Libanon stammenden, in Damaskus als Arzt und später amerikanischer Konsul wirkenden Mīḫāʾīl Mišāqa (1800–1888).377 Im Innenhof seines Hauses sitzend finden wir neben ihm einige Bände auf einem Tisch liegend. Ein weiteres Bild zeigt einen Mann auf einem Sofa posierend mit einigen wenigen neben ihm gestapelten Bänden. Doch die Wandnischen sind bezeichnenderweise ausnahmslos mit großem Porzellangeschirr gefüllt.378 Am Ort ihrer Aufbewahrung zeigt diese Bücher nur ein einziges Bild, publiziert 1899 von Max von Oppenheim379 und ausgewiesen schlicht als „Arabischer Gelehrter in seiner Bibliothek“. Zu sehen ist ein älterer Mann auf einem an der Wand entlang geführten Sofa vor den typischen Wandnischen, auf denen sich jedoch anders als im vorgenannten Bild in diesem Fall die Bücher hoch auftürmen.­ Außer den in diesen Wandnischen eng gestapelten Büchern

376 Ott: Die Inschriften des Damaskus-Zimmers. 377 Abb. u.a. in Keenan: Damaskus, S. 176; El-Hage: Des photographes, S. 139. 378 Abb. in El-Hage: Des photographes, S. 162. 379 Oppenheim: Vom Mittelmeer zum Persischen Golf I, S. 61. Die Umwelt der Rifāʿīya 243 spricht alles an diesem Interieur für einen typischen Empfangsraum. Und noch etwas muss sofort ins Auge fallen: die in sehr großem Abstand zueinander eingesetzten Regalbretter, welche den Bücherstapel auf eine Höhe wachsen lassen mussten, die kaum mehr praktikabel ist. Auf vielen der Buchschnitte ist kein Titel zu sehen, doch das einfache Herausziehen eines unten liegen- den Bandes zur Suche, geschweige denn dessen Rückführung in den Stapel, müssen sich zwangsläufig sehr schwierig gestalten. Kürzlich konnte festgestellt werden, dass es sich bei der abgebildeten Person um den Damaszener Aḥmad al-Maidānī handelt und dass die Aufnahme erst im Jahr 1897, also mehr als vier Jahrzehnte nach dem Verkauf der Rifāʿīya, entstand.380 Es wäre also zu fragen, ob die hier zu sehende Anordnung die moderne Umfunktionierung der Regale war oder in einer längeren Tradition steht. Ein Bericht aus den Jahren des Verkaufs der Rifāʿīya scheint zumindest auf den ersten Blick gegen eine solche Tradition zu sprechen. Er stammt von einer Frau, der sich aufgrund ihrer Stellung – ihr Bruder Edward Thomas war bri- tischer Konsul in der Stadt – viele Türen in Damaskus öffneten, Mary Eliza Rogers (1828–1910), die in den 1850er Jahren in Palästina und auch eine Weile in Damaskus lebte. Sie war glücklicherweise ein Büchernarr und hat uns in dem kleinen Artikel Books and bookbinding in Syria and Palestine neben der einzigen bildlichen Darstellung aus dem Büchermarkt von Damaskus wertvolle Informationen über die Welt der Bücher nicht nur in Damaskus hinterlassen. Diesen Aufsatz beginnt sie mit einer vielsagenden lexikalischen Pointe über die erwähnten Regale, deren Name kutubīya so sprechend den Befund des oben genannten Bildes von Aḥmad al-Maidānī zu belegen scheint. Lady Rogers berichtet,

(. . .) in all the houses of Damascus, except the very inferior ones, there are in the principal rooms several shelved recesses, some with, and some without doors. In the best houses these doors are very richly ornamented. The recesses are all called, indiscriminately, „kitabeyeh“ (i.e. book-places or book-cases), although only a small portion of them is used for books. Indeed, I am inclined to think that there is scarcely a sufficient number of books in Syria to fill all the book-shelves of Damascus.

380 In einem Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin findet sich ein Abzug des Bildes mit der Beischrift: „Sheikh Aḥmed el Mêdâni, Damaskus Sept. 1897. Einen Teil seiner Bücher erwarb ich im Febr. 1915.“ Bei dem Fotografen, nicht jedoch dem Schreiber und somit Käufer der Bücher könnte es sich um Hermann Burchardt (1857–1909) gehandelt haben. Für den Hinweis und eine Abbildung danke ich Christoph Rauch, Leiter der Orientabteilung der Staatsbibliothek Berlin. 244 kapitel 2

Bücher also, so versichert Lady Rogers, fänden sich auf diesen Regalen fast niemals. Stattdessen befände sich dort vor allem altes Porzellan, wie es histo- rische Fotografien auch immer wieder zeigen. Umgekehrt hießen die Regale in englischen Häusern zur gleichen Zeit cupboards, „(. . .) and now while the „book-cases“ of Damascus are crowded with old china, our cupboards are often filled with old books.“381 Scheint der Name kutubīya demnach also irreführend, bleibt auch für die englische Besucherin immerhin eine Minderheit dieser Regale, „a small portion“, den Büchern überlassen. Und da auch nur eine relativ kleine Gruppe von Individuen im 19. Jahrhundert nennenswerte Buchbestände besessen haben dürfte, wären die Wandnischen weiterhin möglicher Kandidat zur Verortung für das, was man eine Bibliothek nennen kann. Für Mary Eliza Rogers verbirgt sich hinter dieser Unstimmigkeit von Name und Funktion eine historische Entwicklung des kulturellen Niedergangs: „but the name which still clings to them reminds us that the Damascenes were once a literary people.“382 Stattdessen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die kutubīyas von Damaskus einmal sämtlich mit Büchern gefüllt waren. Doch ihre Geschichte und die Entwicklung des Begriffes sind für uns leider kaum noch greifbar. Bei der Aufhellung dieser Geschichte helfen uns auch arabische Quellen nicht viel weiter. Sie haben sich mit der Beschreibung alltäglicher und allbe- kannter architektonischer Details selten aufgehalten und verlieren generell wenig Worte über das Leben hinter den Türen der Wohnhäuser. So wundert es auch nicht, dass es einzig die sehr privaten Aufzeichnungen im Journal Aḥmad Ibn Ṭauqs (843 / 1430 – 915 / 1509) bereits aus dem 15. Jahrhundert sind, in denen das Wort an wenigen Stellen doch eine fassbare Rolle spielt.383 Bei der Durchsicht der entsprechenden Textstellen wird jedoch schnell klar, dass es sich bei der kutubīya Ibn Ṭauqs gar nicht um die berühmten Wandnischen handeln kann, sondern hier von einem Raum gesprochen wird. Und obwohl der Herausgeber des Textes nicht zögert, das Wort für seine nicht mehr an alte Wohnformen gewöhnte Leserschaft mit dem modernen Begriff maktaba

381 Rogers: Books and bookbinding, Part II, S. 113. 382 Ebd. 383 Auch Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 291 erwähnt für das Jahr 1130 / 1718 bei der Beschreibung einer prächtigen, neu errichteten qāʿa in seinem Haus in Ṣāliḥīya „al-kutbīyāt al-muzaḫrafa.“ Aus dieser kurzen Erwähnung innerhalb der Aufzählung architektonischer Elemente lässt sich aber nicht ableiten, ob die beiden innerhalb der Rifāʿīya überlieferten Bücher Ibn Kannāns einmal in diesen kutbīyāt zu finden waren. Und auch das wenig spä- ter, im Jahr 1139 / 1727 gebaute, spektakuläre, ganz aus Holz gefertigte mobile Haus (qaṣr), welches ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī mit Lasttieren auf Ausflüge im Damaszener Umland tragen ließ, besaß neben šabābīk und īwān auch eine kutubīya; vgl. Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 111. Auch hier wird nicht klar, ob diese kutubīya die Reiselektüre aufnehmen sollte. Die Umwelt der Rifāʿīya 245

(Bibliothek) zu erklären,384 spricht tatsächlich keine der Stellen eindeutig für eine solche Auslegung. Zuerst einmal fungiert der als al-kutubīya bezeichnete Ort im Haus von Ibn Ṭauqs Patron Taqī ad-Dīn Abū Bakr Ibn Qāḍī ʿAǧlūn (841 / 1437–38 – 928 / 1522) als Treffpunkt, ein Mal für einen folgenden Gang zum Gebet,385 drei Mal für die Bezeugung eines notariellen Aktes,386 und schließ- lich für eine Gruppe von Frauen und Männern, die ihre Glückwünsche anläs- slich einer Geburt im Haus Ibn Qāḍī ʿAǧlūns übermitteln wollten.387 Zweimal ist es auch eine Lesung, die des dogmatischen Werkes aš-Šifāʾ 388 und einer Sure des Korans,389 welche in der kutubīya zumindest begonnen wird. Da derartige Lesungen keinesfalls an das Vorhandensein einer Bibliothek gebunden waren, sondern im Gegenteil in allen möglichen öffentlichen und privaten Räumen abgehalten wurden, kann man hieraus sicher keine weitergehenden Schlüsse ziehen. Auch werden als Ort der kutubīya in den genannten Nachweisen gleich beide Häuser Ibn Qāḍī ʿAǧlūns genannt.390 Somit dürfte es sich hierbei zumin- dest nicht um einen zentralen Raum für die Bibliothek gehandelt haben. Noch komplizierter wird die Lage in einer weiteren Passage vom Jahr 893 / 1488, in der es wie so oft um die Auseinandersetzungen Ibn Qāḍī ʿAǧlūns mit seiner ägyptischen Frau geht, in deren Folge der šaiḫ sie kurzzeitig verläßt. Bei der Trennung der Haushalte zieht der Gelehrte kurzzeitig zu seiner Mutter in deren Teil des Hauses. Dabei wird aber auch die kutubīya umgesetzt.391 Hier ist natürlich nicht wie in den oben angeführten Beispielen von einem ganzen Raum die Rede, sondern von etwas Beweglichem, mithin Mobiliar. Und auch die berühmten Nischen können so nicht gemeint sein. Wahrscheinlich muss man diese Passage derart verstehen, dass die Holzverkleidung des Raumes transportiert und an einem anderen Ort installiert wurde, der dann ­praktisch genauso aussah wie an seinem vorherigen Platz. Die Interpretation als Raum bliebe grundsätzlich bestehen. Doch müssen wir uns diesen Raum mit Büchern vorstellen? Eine letzte von Ibn Ṭauq überlieferte Anekdote aus dem Jahr 890 / 1485 könnte nun aber direkt gegen einen Bücherraum sprechen: Darin berichtet

384 Ibn Ṭauq: at-Taʿlīq, Bd. I, S. 184. 385 Ebd. 386 Ebd., S. 220, 290; Bd. II, S. 682. 387 Ebd., Bd. I, S. 328. 388 Ebd., S. 188. Dies ist ʿIyāḍ b. Mūsā al-Yaḥsubīs (gest. 544/1149) aš-Šifāʾ bi-taʿrīf ḥuqūq al-Muṣṭafā. 389 Ebd., S. 439. 390 Ebd., S. 184 und Bd. II, S. 682 beziehen sich auf das „alte“ Haus in al-Qaimarīya, Bd. I, S. 328 nennt das „bait al-ǧadīd“ als Ort der betreffenden kutubīya. 391 Ebd., S. 742: wa-kutubīyatahū naqalahā ilā murabbaʿ al-īwān al-barrānī bi-l-baḥra. 246 kapitel 2 das Tagebuch wiederum von einem heftigen Streit seines Scheichs mit seiner ägyptischen Frau (von Ibn Ṭauq jeweils nur „al-miṣrīya“ genannt) und Mutter zumindest eines seiner Kinder, von der sich der Gelehrte bereits getrennt, mit der er sich nun aber wieder einmal versöhnt hatte. Sie bewohnte einen Teil seines kleineren Hauses. Und bei ihr lagerten auch Teile von Ibn Qāḍī ʿAǧlūns Bibliothek, die er nun, da er sich aus diesen Räumen zurückzog, aus ihrer Nähe entfernen wollte. „Und die bei ihr lagernden Bücher wurden weggeschafft, ein Teil in das große Haus, der Rest in die kutubīya. Ich [Ibn Ṭauq] blieb bei ihm bis nach dem Abendessen. (. . .) Und er schlief, gemeinsam mit Zain ad-Dīn at-Tāǧir in der kutubīya.“392 Die kutubīya ist hier also anscheinend nicht mehr als Notbehelf – sowohl für die Bücher als auch zum Schlafen – und eben nicht der Ort, in dem die Bücher normalerweise untergebracht waren. Demnach müssen wir uns wohl den späteren Rifāʿīya-Band Vollers 851, der einmal Teil von Ibn Qāḍī ʿAǧlūns Bibliothek393 war, nicht unbedingt auch als Teil seiner kutubīya vorstellen.394 Machen es also bereits diese Bemerkungen höchst unwahrscheinlich, in der kutubīya einen separaten und speziell für die Bewahrung von Büchern ­gedachten Bibliotheksraum zu sehen, wird dieses Misstrauen noch verstärkt durch das Erstaunen, mit welchem ein Biograph ein Jahrhundert später eine solche ihm offenbar gänzlich unbekannte Einrichtung betrachtete. Dieser Biograph war al-Ḥasan al-Būrīnī (963 / 1556 – 1024 / 1611) mit sei- ner Lebensbeschreibung des Muḥammad Darwīš Ibn Ṭālū (950 / 1543 – 1014 /

392 Ebd., Bd. I, S. 522. 393 Über das Schicksal seiner Bibliothek, die er gegen Ende seines Lebens zur Aufbringung von Geld verkaufen musste vgl. Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 143; Ġazzī: Kawākib I, S. 115–119, Nr. 224. 394 Ein moderner ägyptischer Autor, ḤāriṮī: ʿImārat I, S. 395–396, behauptet außer- dem, dass die in die Wände eingelassenen Nischen mit Brettern und Türen, welche die Büchersammlungen neben dem miḥrāb in vielen ägyptischen Moscheen beher- bergten, „al-kutubīyāt“ hießen. Obwohl man daran nicht zweifeln muss, kann auch er keine direkten literarischen Belege dafür anführen, einzig dokumentarische Quellen (Stiftungsurkunden), in denen die zu stiftenden Büchersammlungen „ḫizāna kutubīya“ genannt werden, die kutubīya also nur ein Adjektiv ist und der gesamte Begriff eher auf einen nicht fest verbauten Schrank hindeutet. Ebenfalls für Ägypten führt Naššār: Tārīḫ al-maktabāt, S. 106 den Begriff im Zusammenhang mit der Stiftung des spätmamluki- schen Ḫānqāh al-Ġaurīya an, dessen Bibliothek demnach aus acht aufeinanderfolgenden kutubīyāt und einer ḫalwa für die Korane bestand. Die weiteren Belege ebd., S. 119–120, sind Komposita aus ḫizāna kutubīya mit einer Ausnahme, welche unmissverständlich von einem Wandschrank spricht: in einer qāʿa befinden sich fünf Türen (abwāb), deren letzte beide kutubīyatān seien. Die Umwelt der Rifāʿīya 247

1605).395 Aus armen Verhältnissen stammend ging dieser früh vom Vater, einem hochverschuldeten Militär, verlassene Junge kurz einer Lehre als Sattler nach, konnte sich dann jedoch auf Wissenschaft und Literatur ver- legen. Er war ein Dichter von größter Begabung aber auch von gefürchteter Scharfzüngigkeit. Laut seinem Biographen Būrīnī machte er sich mit seinen Schmähgedichten so viele Feinde, dass ihm, als er 1014 / 1605 schließlich starb, keine Träne nachgeweint wurde. Būrīnī scheint durch die Arroganz seines Schülers gekränkt und zu einem negativen Urteil verleitet worden zu sein, aber eines versetzte ihn doch in großes Staunen: Ibn Ṭālūs außerordentliche und große Büchersammlung, deren wenige bisher identifizierte Reste396 tat- sächlich für Geschmack und gehobene Ausstattung sprechen. Wie man nach seinem Tod feststellte, bestand diese Sammlung zu nicht geringen Teilen auch aus Büchern, die er sich zu Lebzeiten geliehen, deren Rückgabe er aber „verges- sen“ hatte. Als er ganz am Ende seines Lebens schließlich Mufti von Damaskus wurde, baute er sich ein repräsentatives Haus im Viertel at-Taʿdīl. Und in die- sem Haus befand sich nach Būrīnī eine weitere „kleine Wohneinheit“ (baitan ṣaġīran), welche der Hausherr „bait al-fatāwā wa-mauḍiʿ al-kutub“ nannte: „Das Sonderbare war nun, dass er alle seine Bücher in diese Wohnung trans- portieren ließ und in Regalen geordnet aufstellte.“397 Alles was für uns wohl eine Bibliothek – oder auch nur das eigene Arbeitszimmer – ausmacht, war für Būrīnī also anscheinend sonderbar: seine Bücher geordnet an einem dafür prädestinierten Platz in einem eigenständigen Gebäude oder Raum unterzu- bringen. War dieser Gedanke demnach, zumindest im frühen 17. Jahrhundert in Damaskus, nicht üblich? Lange konnte sich Ibn Ṭālū an seiner Bibliothek allerdings nicht mehr erfreuen, denn nur 20 Tage nach deren Fertigstellung verstarb er. Ob sein Beispiel Nachahmer fand, erfahren wir nicht. Die Bibliothek Ibn Ṭālūs ist damit einer von nur zwei Fällen einer plasti- schen Beschreibung von der Aufstellung einer Privatbibliothek in der zeitge- nössischen Literatur. Etwa ein Jahrhundert nach Ibn Ṭālū war es die Bibliothek ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs (1050 / 1641 – 1143 / 1731), welche die Aufmerksamkeit eines Chronisten auf sich zog. ʿAbd al-Ġanī war einer der wichtigsten Gelehrten

395 Vgl. Būrīnī: Tarāǧim al-aʿyān II, S. 201–221; Ġazzī: Luṭf as-samar II, S. 439–462, Nr. 156; MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 145–151, Nr. 413; GAL II, S. 273; GAL S II, S. 384. 396 Besitzer von Berlin Wetzstein II 40 (er ergänzt im Jahr 1008 / 1599–1600 den Text), 174, viell. 252; Berlin Ms. or. oct. 3855; Halle DMG 102 (auch Kopist 1006 / 1597–98 am Grab von Ibn ʿArabī); Leiden Or. 864 (im Jahr 1002 / 1593–94; nach Witkam: Inventory of the Oriental Manuscripts I, S. 365). Kopist von Berlin Wetzstein II 1087 (977 / 1569–70). Autograph in Dublin CBL 3656 (Konstantinopel 993 / 1585). 397 Būrīnī: Tarāǧim al-aʿyān, S. 213. 248 kapitel 2 der Stadt am Ende des 17. und Beginn des 18. Jahrhundert, der sich auf vielen akademischen und literarischen Feldern hervorgetan hatte. Besonders ver- ehrt wurde er als Autor und Interpret mystischer Schriften. Daneben war er ein hochgeschätzter Jurist und Dichter, verfasste Werke über Traumdeutung und Landwirtschaft. Seine Reiseberichte sind auch heute noch einem wei- teren Publikum bekannt. Fast natürlich ist es daher, dass sich auch in der Rifāʿīya seine Werke fanden, nämlich neben zwei Reiseberichten (Vollers 744 und 745) auch der Dīwān seiner Dichtung (Vollers 583). Über seine Bibliothek von etwa 400 Bänden sind wir sehr gut informiert, da er sie kurz vor seinem Tod an einige seiner Nachkommen verkaufte, sicherlich nicht zuletzt um eine Verteilung nach den Regeln des islamischen Erbrechts zu umgehen.398 Aber auch in weltlichen Dingen war Nābulusī nicht unglücklich. Anfang des 18. Jahrhunderts verließ er die Familienresidenz der Nabulusis innerhalb der Stadtmauern und baute sich ein großes Anwesen in der am Berg Qāsyūn gele- genen Vorstadt Ṣāliḥīya. Dieses neue Anwesen beinhaltete auch eine eigene Bibliothek. Der Chronist Ibn Kannān beschreibt sie als einen mit einer Kuppel (qubba) versehenen Raum, der für die Bücher bestimmt wurde. Als Nābulusī nicht lange nach der Fertigstellung dieses Anwesens starb, wurde er genau unter dieser Kuppel beigesetzt, wo sein Grab bis heute besucht werden kann. In die Rifāʿīya sind eine ganze Reihe von Büchern seines Vaters, Großvaters, sei- ner Kinder, Enkel und Urenkel eingegangen, aber wohl keines von ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī selbst. Wenn in weiteren Biographien von Privatbibliotheken gesprochen wird, findet sich allein die Information, dass oder wie viele Bücher jemand besaß. Die beiden zitierten Ausnahmen betreffen ganz besondere Sammlungen nicht ganz gewöhnlicher Männer, haben das Erstaunen ihrer Betrachter ausge- löst und zeigen gerade deshalb, wie es im Normalfall wohl nicht ausgesehen haben wird. Wenn es also keinen eigenen Raum für Bücher gab, sie auf den Regalen der prachtvollen Empfangszimmer nur in seltenen Fällen ihren Platz hat- ten, und sich auch kaum jemand sein Grab inmitten von Büchern anlegte, wie verwahrte man seine literarischen Schätze dann? Einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der gängigen Bibliotheksordnung birgt die Lexik: Der heute gebräuchliche Ausdruck für Bibliothek, maktaba, wörtlich ein Ort für Bücher oder Geschriebenes, war damals kaum bekannt. In Damaszener literarischen Quellen benutzte nach meinen Informationen einzig Ḫalīl al-Murādī (gest. 1206 / 1791) das Wort, und zwar im späten 18. Jahrhundert und

398 Vgl. Šaʿbān: Amlāk, S. 170–177. Die Umwelt der Rifāʿīya 249 bezeichnenderweise bei der Beschreibung einiger Bibliotheken in Istanbul.399 Abgesehen davon finden wir den Begriff meines Wissens vor allem bei christ- lich-arabischen Schreibern. Als literarischer Nachweis wäre der unpublizierte Reisebericht eines maronitischen Geistlichen aus Aleppo zu nennen (Gotha orient. A 1549).400 Dieser enthält die Reise des Priesters – und späteren Bischofs von Aleppo – Arsānīyūs Šukrī al-Ḥalabī von Beirut aus über Zypern, Malta nach Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und zurück in den Jahren 1748 bis 1757. Der Autor beschreibt sowohl die Ambrosiana in Mailand als auch die königliche Bibliothek in Paris (maktabat Sulṭān Faransā) voller Ehrfurcht.401 Und auch einen dokumentarischen Nachweis in Form eines Eintrages in einer Pariser Handschrift hat derselbe Reisende hinterlassen: In einem illustrierten Exemplar der osmanisch-türkischen Dynastiengeschichte Zübdet et-tawārīḫ beschreibt er im Jahr 1750 eine weitere Pariser Bibliothek, die des Klosters L’Abbaye royale de S. Victor, als „hāḏihi l-maktaba aš-šarīfa“.402 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind es zwei – vielleicht kommerziell betriebene – Bibliotheken an der libanesischen Küste, die von ihren Besitzern als maktaba angesprochen werden.403 Und in Aleppo sind es einige Besitzeinträge des maronitischen Arztes Anṭūn b. Šukrī404 (ein Verwandter des oben genannten Reisenden), der wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts mehrere heute in Gotha verwahrte Handschriften seiner maktabat (sic.! mit tāʾ statt tāʾ marbūṭa) hin- zufügt.405 Viele dieser um 1805 von Ulrich Jasper Seetzen in Aleppo angekauf- ten Bände der Familie Šukrī-Ārūṭīn tragen noch ein originales Rückenschild, was auf eine auch ursprünglich stehende statt der in arabischen Bibliotheken

399 Murādī: Silk III, S. 184 (in der Biographie des ʿUmar b. Muṣṭafā al-Waḥīd in einer Nachricht über dessen Vater Muṣṭafā ʿĀṭif und die von ihm gestiftete Bibliothek). 400 Vgl. zum Werk Pertsch: Die arabischen Handschriften III, S. 179. 401 Die Beschreibung der Mailänder Bibliothek findet sich Gotha orient. A 1549, fol. 202r, die der Pariser Bibliothek ebd., fol. 47r–47v. 402 Paris BnF Supplément turc 126. 403 Louis Katāfāgo spricht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von seiner Bibliothek als maktaba (Beirut AUB MS 892.71 Sa122sA); und im Jahr 1840 hatten auch die Abīlā-Brüder in Ṣaidā bereits eine maktaba, womit hier höchstwahrscheinlich ein Geschäft gemeint war (MS 956.9 Sh551iA). 404 Die Lebensdaten Anṭūns sind nicht bekannt, doch die Bücher wurden 1805 von Ulrich Jasper Seetzen erworben. Durch diesen terminus post quem und zwei datierte Besitzeinträge (1152 / 1739–40 und 1742) sowie die datierten Besitzeinträge des Vaters sind sie gut einzugrenzen. Dieser Vater Šukrī oder Šukr Allāh walad Ḥannā Ārūṭīn datiert einen seiner Besitzeinträge auf das Jahr 1122 / 1710–11 (Gotha orient. A 35), einen weiteren 1129 / 1716–17 (Gotha orient. A 1332). 405 Gotha orient. A 1520, 1581 (dat. 1152 / 1739–40), 1842, 2154, 2872 (dat. 1742). 250 kapitel 2

Abb. 34 Eine sehr frühe Verwendung des Begriffes maktaba für Bibliothek durch den Aleppiner Reisenden Arsāniyūs Šukrī im Jahr 1750. Paris, Bibliothèque nationale de France, Supplèment turc 126, hinteres Vorsatzblatt

­üblichen liegenden Aufstellung hinweist. Diese Form der Aufbewahrung zeigt auch das berühmte Selbstporträt des Pioniers des arabischen Buchdrucks ʿAbdallāh Zāḫir.406 Hat man hier also bewusst ein anderes Wort für ein anderes Konzept der Bücherverwahrung benutzt? In Damaskus finden wir erst sehr viel später die sehr große Bibliothek Ḫālid an-Naqšbandīs in einer Urkunde von 1270 / 1854 als maktaba ­beschrieben.407 Im selben Jahr war das Wort dem Schreiber der Quittung zum Verkauf der Rifāʿīya hingegen offenbar noch so unbekannt, dass er es – vielleicht in einer unbewus-

406 Porträt im libanesischen Kloster Mār Yūḥannā, al-Ḫunšāra. Zāḫir wird gezeigt vor einem Bücherregal mit stehenden Bänden. Abb. u.a. in Walbiner: Protagonisten, S. 141. 407 „bayān ʿiddat al-kutub al-mauǧūda fī maktabat ḥaḍrat (. . .) Ḫālid an-Naqšbandī“; vgl. de Jong / Witkam: The library, Text nach der Abb. der Urkunde auf S. 75. Die Umwelt der Rifāʿīya 251 sten Reminiszenz an die kutubīya? – zu maktabīya verschrieb.408 Stattdessen bezeichnete man auch sehr große Büchersammlungen als ḫizāna, übersetzt oft poetisch als Schatzkammer, in seiner prosaischeren Grundbedeutung jedoch ein Aufbewahrungsort, der konkret einen Raum, aber auch einen Schrank darstellen kann. Der Bücherschrank war nach den wenigen uns zugängli- chen Informationen die gängige Form der Aufbewahrung von Büchern. Und meist wird ein einziger Schrank auch die gesamte Bibliothek gefasst haben.409 Im Fall der Rifāʿīya kann man sich schon ein ganzes, von Büchern geprägtes Zimmer vorstellen, denn Wetzstein „fand die Bibliothek in 6 Wandschränken aufgestellt“.410 Wo diese sechs Schränke standen und wie sie aussahen, ob damit etwa in die Wände eingelassene Nischen gemeint waren, erfahren wir indes nicht. Warum sich Ibn Ṭālūs Vorstellung der separat und auf Regalen geordnet auf- gestellten Bibliothek nicht durchsetzen konnte hängt meines Erachtens mit einem Faktor ganz besonders zusammen: der Größe der Privatbibliotheken. Es dürfte kaum eine Büchersammlung gegeben haben, die mehr als einen oder zwei Schränke oder Regale benötigt hätte. Unsere Rifāʿīya mit etwas mehr als 470 Bänden war in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine der ansehnlich- sten Sammlungen in Damaskus. Wetzstein schrieb gar überschwenglich und sicher auch werbewirksam: „Es dürfte in ganz Syrien eine gleiche Sammlung nicht existieren.“411 Die Bibliothek eines der wichtigsten Gelehrten des 18. Jahrhunderts, ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, umfasste keine 400 Bände.412 Wir ken- nen aus glaubhafter literarischer und dokumentarischer Überlieferung kaum eine Sammlung, öffentlich oder privat, die an die Grenze von 1.000 Bänden auch nur annähernd herangereicht hätte. Während bibliophile Gelehrte zeit- gleich in vielen Ländern Europas unter den Bedingungen eines sich rasant ent- wickelten Marktes gedruckter Bücher riesige Privatbibliotheken ansammeln konnten, die in einzelnen, doch keineswegs ganz einzigartigen Fällen sogar mehrere zehntausend Bände umfassen konnten,413 waren die materiellen

408 NL Fleischer Leipzig 267 / 6 / 4 / 1 / 3. 409 Eine ähnliche Entwicklung ist für die Bibliotheksgeschichte des Abendlandes grob und mit regional unterschiedlicher Gewichtung vom 6. bis 14. Jahrhundert bestimmend und wird in einer neueren Publikation als „Die Zäsur des Mittelalters“ nur sehr kurz abgehan- delt; vgl. Eisen: Zur architektonischen Typologie, S. 272–273. 410 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 22. September 1853. 411 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 20. März 1853, fol. 1v. 412 Šaʿbān: Amlāk, S. 170–177. Ich danke Astrid Meier (Beirut) für den Hinweis auf diese Edition und eine Kopie derselben. 413 Besonders gut über die Privatbibliotheken unterrichtet sind wir durch zahlreiche Auktionskataloge, die hier jedoch auf einige Leipziger Beispiele beschränkt seien: Allein 252 kapitel 2

Voraussetzungen für ähnliche Sammlungen in Damaskus auch in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gegeben. Dennoch hatten Büchersammlungen auch dort ihren symbolischen Wert. Es war wiederum kein geringerer als ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, der in seinem Werk über Traumdeutung auch die Frage beantwortete, was es bedeute, von einem Buch in der Hand zu träumen. Nach ihm war dies uner anderem auch ein Zeichen für zukünftige Macht.414 Der sprichwörtliche Zusammenhang von Wissen und Macht ist also auch in diesem Kontext sichtbar, und diese Macht will dargestellt und repräsentiert werden. Allerdings übernahmen diese Repräsentation in den Bibliotheken des historischen Bilād aš-Šām anschei- nend allein die Bücher selbst, ihnen wurde kein Rahmen in Form einer ausge- prägten Bibliotheksarchitektur beigegeben.

2.11 Bucherweb – Die Quellen einer Bibliothek

Für die Bestandserweiterung einer Bibliothek, also den Erwerb von Texten, gab es – von einer illegalen Praktik wie dem Raub aus einer öffentlichen Bibliothek einmal abgesehen – verschiedene legale Möglichkeiten: a) die eigenhändige Kopie einer Vorlage; b) die Auftragskopie (istiktāb oder istinsāḫ);

der öffentlich versteigerte Teil der Bibliothek des Arabisten Johann Jacob Reiske (1716– 1774) umfasste mehr als 4.000 Nummern (Catalogus Bibliothecae); nicht nur hatte Johann Christoph Gottsched (1760–1766) eine mehr als 5.000 Bände starke Bibliothek hinterlassen (vgl. Erleuchtung der Welt II, S. 256), auch mehr als 1.000 Bände seiner Frau Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762) wurden nach deren Tod versteigert (vgl. ebd., S. 255); der gedruckte Katalog der semi-öffentlichen Privatbibliothek Johann Burkhard Menckes (1674–1732) war allein mehr als 600 Seiten stark (ebd., S. 257). Im 19. Jahrhundert steigerten sich diese Zahlen noch einmal deutlich: die Bibliothek des 1832 verstorbenen Altphilologen Christian Daniel Beck war 24.851 Nummern stark (Index Bibliothecae Christiani Danielis Beckii). Allein die Privatbibliotheken Leipzigs dürften weit mehr Bücher gefasst haben als in der gesamten Levante zu finden waren. 414 Nābulusī: Taʿṭīr al-anām, S. 367: “al-kitāb huwa fī l-manām qūwa fa-man raʾā‌ bi-yadihī kitāban nāla qūwa“; freilich setzt Nābulusī die Beschreibung der Träume sehr detailliert fort und es ist für die Interpretation von großer Bedeutung, ob eine Frau, ein Ungläubiger oder ein Muslim das Buch hält, ob das Buch arabisch oder persisch ist, welchen Inhaltes und welcher Qualität etc. Vgl. dieses komplexe Bild verkürzend auch Chamberlain: Knowledge and social practice, S.137 und, diesem folgend, Sajdi: The barber, S. 1. Die Umwelt der Rifāʿīya 253 c) die Vererbung aus der eigenen Familie, wie es ja auch bei der Rifāʿīya selbst bis zu ihrer Stiftung der Fall gewesen sein soll; d) und schließlich den Kauf von einem Buchhändler, einer bekannten Person oder aus einer Nachlassversteigerung.

2.11.1 Die Kopie Die ersten beiden Punkte können hier nur kurz abgehandelt werden. Systematische Sammlungen von Kopisten und deren Identifizierung stehen trotz ihrer immensen Wichtigkeit für die Forschung noch weitgehend aus.415 Die eigenhändige Kopie zur Bestandserweiterung kann für die Rifāʿīya jedoch weit- gehend ausgeschlossen werden, da keiner der vielen aus ihren Handschriften bekannten Kopisten die nisba ar-Rifāʿī oder den hier als Hypothese vorge- brachten ursprünglichen Namen der Familie al-Ḥarīrī trägt. Dennoch finden sich auch unter den Kopisten der Rifāʿīya-Bibliothek einige in der Literatur als Gelehrte nachzuweisende Männer. Es wäre in einem größeren Rahmen sogar zu untersuchen, ob für die Mehrzahl der hergestellten Bücher ein Netzwerk professioneller Kopisten verantwortlich war oder nur sporadisch und für den eigenen Gebrauch arbeitende Schreiber. Seine Bibliothek auf eigenhändigen Kopien aufzubauen war so verbreitet,416 dass die Aufforderung Badr ad-Dīn al-Ġazzīs in seinem Werk ad-Durr an-naḍīd aus dem 16. Jahrhundert seltsam weltfremd anmuten muss: Nach ihm sollte das Ziel des Bücherkonsums immer

415 Ein Kanditat für einen professionellen Kopisten aus der Rifāʿīya könnte Muḥammad b. ʿUṯmān Ibn aš-Šamʿa (1109 / 1698 – 1187 / 1774) sein. Er ist einerseits über viele Jahre als Schreiber verschiedener Werke nachweisbar, schrieb aber definitiv zumindest nicht nur für sich selbst, sondern im Auftrag. Gleichzeitig wurde er anders als sein Vater (Murādī: Silk III, S. 162) und sein Sohn ʿAlī (ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 206–208) durch die biographische Literatur nicht in den Kanon der bekannten Gelehrten der Stadt aufgenommen (vgl. ein- zig seine Erwähnung in der Biographie ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs als dessen Schüler und Verfasser von muwaššaḥāt-Gedichten, Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 181–186). Er war Kopist von Vollers 458 (1143 / 1730) im Auftrag (istiktāb) Aḥmad al-Falāqinsīs; Landberg 348 (19. Rabīʿ I 1150 / 17.7.1737); Wetzstein II 1451 (Rabīʿ I 1151 / 6.-7.1738). Außerdem war er Besitzer von Berlin Wetzstein II 1772, welches er jedoch 1146 / 1733–34 auch durch Verkauf an Muḥammad efendī b. al-marḥūm Ḫalīl aġā Ǧaba-ǧī verwertete. 416 ʿAbd al-Laṭīf b. Muḥammad Muḥibb ad-Dīn b. Abī Bakr Taqī ad-Dīn (966 / 1559 – 1023 / 1614) konnte zwar als Richter von Ḥamāh große Reichtümer anhäufen, erhielt auch ­später neben seinen Richterposten in Damaskus noch täglich neben Naturalzuwendungen einen Dinar aus der Schatulle der Provinz Ägypten und konnte sich eines der prächtig- sten Häuser von Damaskus bauen, dennoch sind die meisten der ca. 150 Bücher, die er am Ende seines Lebens stiftete eigenhändige Kopien (vgl. MuḤibbī: Ḫulāṣat III, S. 19–20, Nr. 641); die Bibliothek des in dieser Studie näher untersuchten Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī bestand zu großen Teilen aus eigenhändigen Kopien. 254 kapitel 2

Besitz (milk) sein. Sollte man nicht in der Lage sein, ein Buch zu kaufen, dürfe man es auch entleihen, bevorzugt jedoch gegen Gebühr (iǧāra) und nicht pri- vat (istiʿāra). Muss tatsächlich eine Kopie angefertigt werden, dann sollte es wiederum eine Auftragskopie (istinsāḫ) und erst als allerletzte Möglichkeit eine eigenhändige sein.417 Gerade in Gelehrtenkreisen – die Biographien berichten davon immer wieder und die erhaltenen Handschriften geben hiervon ein ebenso bered- tes Zeugnis – wurde auch für den Gebrauch anderer und gegebenenfalls auch für einen Lohn abgeschrieben, ohne dass die Kopisten dies auf einer profes- sionellen Grundlage taten.418 Šaraf ad-Din Mūsā Ibn Aiyūb aṣ-Ṣāliḥī (gest. nach 1000 / 1591–92)419 etwa, Autor einer bekannten Biographiensammlung und Leser zweier Bücher der Rifāʿīya (Vollers 116 und 593 im Jahr 988 / 1580), kopierte für ʿAlī b. Amr Allāh al-Ḥamīdī ar-Rūmī, bekannt als Qīnālī-zāda (916 / 1510 – 979 / 1571).420 Dieser bibliophile Jurist war Oberrichter von Damaskus und begann gleich nach seinem Einzug in die Stadt im Jahr 971 / 1563 damit, Kopien in Auftrag zu geben (istaktaba) und Bücher zu kaufen, von denen zumindest eines dann auch in Damaskus geblieben und in die Rifāʿīya gelangt ist (Vollers 688). Für ihn fertigte Ibn Aiyūb eine ganz besondere Handschrift an: Er schaffte es, die große Biographiensammlung Wafayāt al-aʿyān von Ibn Ḫallikān – in der modernen Ausgabe durch Iḥsān ʿAbbās immerhin acht Bände stark – in einem einzigen, voluminösen Band zu kopieren, auf indischem Papier (waraq hindī) und mit 37 Zeilen pro Seite.421 Es wird wohl dieser außer- gewöhnliche Wunsch des Auftraggebers gewesen sein, der ihn die Dienste eines gewöhnlichen Schreibers meiden ließ. Kratschkowsky zeichnet für einen späteren Zeitpunkt in Ägypten ein düste- res Bild der professionellen Kopisten. Diese wären erschreckend ­ungebildet

417 Ġazzī: ad-Durr an-naḍīd, S. 517. 418 Aḥmad Ibn Ṭauq (834 / 1430 – 915 / 1509) verdiente sein Geld als Notar (kātib) und Zeuge (šāhid), kopierte aber auch den Kanz al-akbar seines Patrons Ibn Qāḍī ʿAǧlūn (Damaskus Maktabat al-Asad 3745, vgl. Marthel-Thoumian: Catalogue, S. 200), und während hier nicht klar ist, ob die Kopie privat oder als Lohnarbeit erfolgte berichtet er selbst von einem Auftrag im Jahr 887 / 1482, denn da „schickte der Herr Muwaffaq ad-Dīn nach mir, damit ich den fünften Teil der Propheten-sīra für ihn kopiere. (. . .) so nahm ich von ihm den vierten Teil, damit ich daran anschließen konnte“ (Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 171). Zum bekannten Gelehrten Ḫalīl b. Aibak aṣ-Ṣafadī (696 / 1296 – 764 / 1363), der als Kopist arbeitet vgl. Weisweiler: Schreiberverse, S. 101–102; Gacek: The Copenhagen manu- script, S. 145. 419 Ġazzī: Kawākib III, S. 194, Nr. 1539; Güneş in Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 2–6; Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 26–29. 420 Vgl. Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 48; GAL II, S. 521; Ziriklī: Aʿlām IV, S. 264–265. 421 Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 35. Die Umwelt der Rifāʿīya 255

Abb. 35 Besitzeintrag des ʿAlī b. Amr Allāh al-Ḥamīdī ar-Rūmī, bekannt als Qīnālī-zāda (916 / 1510 – 979 / 1571), seit 971 Oberrichter von Damaskus, wo er auch dieses Buch kauft. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 688, fol. 1r und wüssten meist gar nicht, was sie schrieben, woraus wiederum sehr feh- lerhafte Kopien entstünden.422 Dasselbe berichtet – unter Rückgriff auf ältere Quellen – der Damaszener Ibn Ṭūlūn aber bereits am Beginn des 16. Jahrhundert, also als Ibn Aiyūb für den Oberrichter ʿAlī b. Amr Allāh arbeitete, wobei er die Fehler und Auslassungen der Kopisten auf deren Geldgier und daraus erwachsende Eile und Betrug zurückführt.423 Weiterhin ist es in der Tat kaum vorstellbar, dass professionelle Schreiber für gewisse Standardtexte des Lehrbetriebes verwendet wurden, bei denen es nicht nur auf die Genauigkeit der Abschrift ankam, sondern die vielmehr auch in den Lehrsitzungen routi- nemäßig und in großer Zahl von den Studenten vervielfältigt und vor allem auch autoritativ korrigiert wurden. Vielleicht muss man sich Kopisten- „workshops“ mehr in den besonders populären Bereichen der Literatur vor- stellen, also den als Massenware produzierten Gebets- und Erbauungswerken, die ja nach Aussage einiger Reiseberichte auch den größten Teil der Bestände der Buchhändler ausmachten. Ein Beispiel für diese Art von professioneller Massenproduktion könnte in der Rifāʿīya die beliebte Fatḥ al-mutaʿāl fī ṣifāt al-miṯāl wa-madḥ an-niʿāl (Vollers 41) Aḥmad al-Maqqarīs (gest. 1041 / 1631–32) sein. Das erbauliche Werk über die Sandalen des Propheten wurde nach Ausweis dieses Exemplars bereits 1033 / 1624 von ʿAbd al-Fattāḥ al-Azharī al-Miṣrī al-Ašmūnī kopiert, der als Kopist des gleichen Werkes in anderen Sammlungen auch noch Jahrzehnte später, 1068 / 1658 (Berlin Hs. or. 10653) und 1071 / 1661 (Dublin CBL 3113) nachgewiesen ist. Diese lange Beschäftigung mit dem populären Text mag für eine Art werkstatt- mäßige Produktion stehen, wobei aber nicht vergessen werden sollte, dass das

422 Kratschkowsky: Über arabische Handschriften gebeugt, S. 28. 423 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 178. 256 kapitel 2

Abb. 36 In diesem Kolophon bezeugt ʿUmar b. Aḥmad al-ʿAṭṭār, dass dies die dritte Kopie des Dīwān seines Lehrers ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī sei, welche er kopiert. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 583

Kopieren eines immer gleichen Textes etwa aus großer Verehrung auch von nicht professionellen Schreibern überliefert ist.424 Dies kann besonders von Schreibern aus dem engeren Umkreis eines Autors gelten. In der Rifāʿīya findet sich eine Kopie des Dīwān ad-dawāwīn wa-raiḥān ar-rayāḥīn fī taǧallīyāt al-ḥaqq al-mubīn, einer Gedichtsammlung ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs (Vollers 583). Der Kopist ʿUmar b. Aḥmad al-ʿAṭṭār (gest. 1155 / 1742–43) war ein Gehilfe und Adept des Autors. Für ihn war es bereits die dritte Kopie des Werkes, dennoch fertigte er sie „für sich selbst (li-nafsihī)“. Diese Formulierung besagt jedoch weniger, dass der Schreiber sein Werk nicht weitergeben würde, sondern vielmehr, dass er die Kopie nicht gegen Lohn anfertigte. Ferner war auch der Beruf des Kopisten theoretisch einer Aufsicht unter- worfen, die eine inhaltliche Einschränkung der vervielfältigten Literatur zu erreichen strebte. Auf den „Index“ der nicht zu kopierenden Bücher setzt Ibn Ṭūlūn am Beginn des 16. Jahrhunderts etwa die Werke von Häretikern (ahl al-bidaʿ wa-l-ahwāʾ); populäre Epen wie die Sīrat ʿAntara und andere Bücher, mit denen man nur seine Zeit verschwende und welche der Religion nichts nützten; Texte, die explizit sexuelles Material oder Beschreibungen von Wein enthielten (wa-mā waḍaʿūhu fī aṣnāf al-ǧimāʿ wa-ṣifāt al-ḫamr) und anderes,

424 ʿAlī b. Saʿd ad-Din b. ʿAlawān bekannt als al-Aswad aš-Šāfiʿī (991 / 1583 – 1074 / 1663–64) kopiert viele Bücher, darunter ganze 21 Mal al-Ǧāmiʿ aṣ-ṣaġīr von as-Suyūṭī, weil er die- ses Werk auswendig gelernt hat. Dabei ist er kein Kopist, sondern Prediger an der Ǧāmiʿ al-Muṣallā und Schullehrer am Maktab al-Murādīya (MuḤibbī: Ḫulāṣat III, S. 154, Nr. 741). Die Umwelt der Rifāʿīya 257 was zu verbotenen Handlungen verführen könnte. Inwieweit diese Vorgaben auch umgesetzt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Klar ist, die genann- ten Titel wurden kopiert, unklar bleibt jedoch, ob dies zu jeder Zeit auch offen auf dem Kopistenmarkt geschehen konnte. Doch Ibn Ṭūlūn selbst scheint sich bewusst, dass dieser Katalog von Verboten schwer durchzusetzen war, da die Kopie der genannten Literatur sehr viel höhere Preise erziele. Er kann deshalb nur an den Kopisten appellieren, sein Jenseits nicht für das Diesseits zu ver- kaufen (al-lā yabīʿu dīnahū bi-dunyāhu).425 Im Folgenden soll zuerst der letzte Punkt mit dem Buchmarkt als dem für die kommerzielle Verbreitung von Texten prädestinierten Raum im Mittelpunkt stehen. Als kontinuierliche und öffentliche Institution liegen für ihn die mei- sten, wenn auch sicher noch immer nur unbefriedigende Ergebnisse vor.

2.11.2 Der Buchmarkt von Damaskus Wir wissen nicht, aus welchen Quellen die Rifāʿīya direkt ihren Bestand erwei- terte. Aber sicherlich werden wir uns ihre Verwalter, so wie zuletzt ʿUmar ar-Rifāʿī, als Besucher von professionellen Buchhändlern vorstellen dürfen. Aus den arabischen Quellen der Zeit sind uns leider kaum Berichte über den Buchmarkt überliefert. Für alle Chronisten und Biographen, die sich ja mit wenigen Ausnahmen aus der Gruppe der Gelehrten rekrutierten, dürfte der Besuch der Buchhändler etwas ganz Alltägliches gewesen sein. Bevor wir uns der Frage nach der Lokalisierung und Größe des Damaszener Buchmarktes zuwenden, soll eine seltene Anekdote, die im Jahr 989 / 1581 auf dem Damaszener Buchmarkt spielt hier einen ersten Eindruck vom Ablauf eines Kaufgeschäftes geben. Diese Anekdote wird berichtet in Muḥibbīs Biographie des Poeten Abū Bakr b. Manṣūr b. Barakāt al-ʿUmarī ad-Dimašqī (gest. 1048 / 1638),426 der einen bemerkenswerten Vorfall mit Ismāʿīl b. Aḥmad an-Nābulusī (937 / 1530 – 993 / 1585) hatte, dessen Handschriften wiederum teilweise in die Rifāʿīya eingegangen sind:

Ich betrat die Kallāsa hinter der nördlichen Mauer der Umayyadenmoschee in Damaskus, die zum Verkauf von Büchern bestimmt ist. Da sah ich in der Hand des dallāl (Makler) die Maqāmāt von al-Ḥarīrī und das Buch Liḏḏat as-samʿ fī waṣf ad-damʿ von Ṣalāḥ ad-Dīn aṣ-Ṣafadī [=Ḫalīl b. Aibak], in wel- chem er die Vorzüge und schlechten Eigenschaften des Auges beschreibt. Ich bot für beide Bücher und kaufte sie von ihrem Besitzer, dem Richter

425 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 178. 426 Vgl. Būrīnī: Tarāǧim I, S. 288–291; MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 121–133, Nr. 80; Ziriklī: Aʿlām II, 70–71. 258 kapitel 2

aš-Šuwaikī al-Ḥanbalī.427 Ich setzte mich, um ihm den Preis vorzuzählen, da trat der šaiḫ Ismāʿīl an-Nābulusī aš-Šāfiʿī ein, ein übellauniger und leicht aufbrausender Mann. Als er der beiden Bücher gewahr wurde, sagte er: „Wieviel kosten die?“ Er (der dallāl) sagte: „Der junge Mann hier hat sie bereits für soundso viel gekauft und es ist ein rechtlich bindendes Einverständnis (īǧāb wa-qabūl) zwischen Verkäufer und Käufer entstan- den.“ Er (Nābulusī) sagte ihm [aber]: „Ich biete eine qiṭʿa428 mehr!“ Da fürchtete sich der dallāl vor seinem Zorn und schwieg. So blieb mir nichts übrig, als zu sagen: „[Ich biete] noch eine qiṭʿa.“ Der šaiḫ [an-Nābulusī] sagte: „Eine dritte!“ Ich darauf: „Eine vierte!“ [So ging das weiter], bis meine zusätzlichen Gebote bei 10 [qiṭʿa] angelangt waren. Da überschüttete mich der šaiḫ mit hässlichen Beschimpfungen, so dass ich mein Heil bei Gott suchte, mein Geld nahm und verschwand. Schließlich ist er der šaiḫ al-islām mit großem Einfluss bei den Mächtigen und ich kann mich ihm nicht widersetzen. So kaufte er die beiden Bücher.429

427 Dies ist wahrscheinlich Šihāb ad-Dīn Aḥmad aš-Šuwaikī al-Ḥanbalī (gest. 1006 / 1597–98 etwa 70-jährig), vgl. Būrīnī: Tarāǧim I, S. 51–52. 428 Kleine Silbermünze. 429 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 124: ة ّ ة ت ئ د خ���ل� ت ا ل ا � �ل�ك� ا ��س�� ا ل��م�ع�د � �ل���� ا �ل�ك��� ا ء ا �ل�ح�ا ���ط ا �ل�ش�� ل �م� ن ا �ل��ا �م ا لا �م � ��د �م�ش�� ق . أ � ى ل بيع ب� و ر ما ي� � ج ع و ي� ب � ف ت ق ت � ت ذ ة ف ف ف � � ي���� ب����د ا �ل�د لا ل �م��� �ا �م�ا � ا ل�حر�ر �� و�ك�ا � �ل�� � ا �ل��س���م �� و�ص� ا �ل�د �م �ل��ل���ص�لا ا �ل���ص���د �� ذر ي ي ي ب ت ع ي ع ح ي � ف� م� ن ن ف� ز ت ف� � ك ن ش ت ت ن � � ق ض � ي��� كر �ي���ه ح�ا �����س� ا �ل�ع�ي�� و�م�ع�ا ي��ب��ه�ا ��د � �ي� ا �ل��ا ب��ي�� وا �����ري����ه���م�ا �م�� �ص�ا ح�ب� �ه���م�ا و�هو ا ل��� �ا � ي� أ ّ ث ذ خ ف ن ش ا �ل�ش�� � ك� ا �ل�ح�ن�����ل . ���ل�����س� ت� � ع�د �ل�ه ا �ل�م� ن ا � د � ا �ل�ش�������� خ ا ��سا �ع��� ا ��ل ن��ا ���ل��س ا �ل�ش���ا �����ع ك�ا �ش�� �� وي ي� ب ي� و ج أ �ت ل ي� م ي ل ب ي� ي� و � ر � خ ق غ ض ف ن ق ف ق ن ذ ش ش ت � ا لا �لا � ��سر � ا �ل�������� ���ل�م�ا � ب����صر ا � ك�ل��ا ب��ي�� ��ا ل: ب� ك� �ص�ا ر ا؟ ���� �ا ل �ل�ه: � � �ه�� ا ا �ل����ا � ا �����ر ا ه�م�ا يع ب م إ فخ ب ذ �ق � �ق ن � ش ت �ق ق ة ز ئ ة � �ف ن ب��ك�� ا و و��� ا ي ج��ا ب� و� ب��و ل ب��ي�� ا �لب��ا �ي وا لم�����ر �ي�. ��ا ل �ل�ه: ع��ل� ب���������ط�ع�� � ا ��د �. ��ا � ا �ل�د لا ل �م�� ق ع ف ن قع ق ة أ ف قي ة ق ة �ح � ن� � � ه � � س�ك � ت� . � � � ل � � � س �ع ن� � لا ا � � � � ل � ت� : �� � �� � ط�ع � � � خ� � . � � �� � ا ل ا � ل � ش� ��� � � � � خ : ث � � ا � ل � ث � � . � � � ل � ت� : ا � �ع � � . و م ي ي� إ ي� و ر ى ي� و و ر ب ن ت ز ت ش ة ف أ غ ظ ش خ ق ً ف ت خ ت أ خ ذ ت ا لى ا � و�ص��ل�� �ي��ا د �� ا لى �ع���ر�. ��� ��ل��� ل� ا �ل�������ي�� ك�لا �م�ا ��ب���ي���ح�ا ��ا �����س�����ر� ا �ل��ل�ه و� �� � ن ف ي ف ّ ي � ذ ظ د ا �ه�م ا ����ص �� ت� � نع���د � �م�ا � نع���د � . ��� ن��ه �ش�������� خ ا لا ��س�لا � ��ا ه �ع���� � نع���د ا �ل�ح�ك�ا لا أ ر ي� و ر و ي� ت ي� إ ي� م و و ج يم م و �ق ق ت ف� ش ت ن ذ� � ن � ��د ر ع��لى �م��� �ا و�م���ه ��ا �����ر �ى ا � ك�ل��ا ب��ي�� ا لم�� كو ري�. Abū Bakr al-ʿUmarī lässt dies jedoch nicht einfach auf sich sitzen, schreibt eine qaṣīda, in welcher er sich kunstvoll über das ihm angetane Unrecht beklagt, und geht damit am nächsten Tag zu Ismāʿīl an-Nābulusī. Vor einer bei diesem versammelten Gruppe der besten Literaten der Stadt trägt er sein Gedicht vor, das allgemeines Erstaunen erregt. Nābulusī will erst nicht glauben, dass der junge Abū Bakr diese schwierige Poesie selbst zustande gebracht haben könnte, muss sich aber nach einigen Tests überzeugen lassen. Aus Hochachtung lässt er Abū Bakr die beiden umstrittenen Bände aushändigen. Die Umwelt der Rifāʿīya 259

2.11.2.1 Buchhändler und -makler Neben der persönlichen Note, welche der Buchmarkt durch diese Anekdote als Kampfplatz der Egoismen und der Macht bekommt und dem schlechten Licht, welches sie auf einen der geachtetsten und erfolgreichsten Gelehrten der Stadt wirft, wird hier auch meines Wissens zum einzigen Mal das Verkaufsgeschäft in größeren Details vorgeführt. Auf dem Buch- wie auf jedem anderen Markt von entscheidender Bedeutung war der dallāl oder Makler,430 der auch hier auftritt. Er sollte eigentlich als Zwischenglied zwischen Käufer und Verkäufer fungie- ren. Betrat man einen Markt in einer dieser beiden Funktionen, so wandte man sich an einen dallāl. Dieser führte den potentiellen Käufer zu dem gewünschten Produkt – in diesem Fall also einem bestimmten Titel – oder suchte danach in den vorhandenen Läden und Werkstätten bzw. suchte mit dem zu verkaufenden Produkt auf dem Markt nach potentiellen Käufern. So auch in diesem Fall, als das Verkaufsgesuch von einem Richter ausging, der dallāl dann die zu verkaufen- den Bücher in einer Art Auktion anbot und der Meistbietende, hier Abū Bakr b. Manṣūr b. Barakāt al-ʿUmarī, den Zuschlag erhielt. War es umgekehrt der Käufer, der an den dallāl herantrat und aus dem Angebot des Buchmarktes ein bestimm- tes Werk suchte, so war es letzterer, der das Gesuchte ausfindig machte und danach die Verhandlungen um den Preis führte, so dass Verkäufer und Kunde nicht direkt in dieses dornige Thema einsteigen mussten und ihre gepflegte und höfliche Konversation nach den guten Sitten der Gastfreundschaft nicht durch dieses materielle Thema gestört wurde. Obwohl dem Namen nach also ein „Makler“, können wir in den dallālūn in vielen Fällen doch die eigentlichen Buchhändler sehen. Sofern die Besitzer von Büchern erwähnen, von wem sie einen Band gekauft haben, nennen sie denn auch meist den dallāl (22 Mal), nicht so häufig einen „Buchhändler“ unter den verschiedenen Bezeichnungen ṣaḥḥāf (5 Mal als Verkäufer, 3 Mal ist ein ṣaḥḥāf auch selbst Käufer),431 kutubī (7 Mal),432 den in seiner Funktion unsicheren

430 Zum dallāl im osmanischen Aleppo vgl. Marcus: The Middle East, S. 171; normative Beschreibung in Šaizarī: Nihāyat ar-rutba, fol. 30v–31r; im Kapitel „dallālū l-kutub“ in Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al-kutub al-ʿarabīya, S. 916–917 findet der Leser hingegen nur eine Anekdote und einen Namen aus dem 6. / 12. Jahrhundert ohne zu erfahren, was ein dallāl tatsächlich ist. 431 Berlin Wetzstein I 98b von Muḥammad aḏ-Ḏahabī aṣ-ṣaḥḥāf; Berlin Landberg 52 vom „ṣaḥḥāf bekannt als Aǧmal“ 1129 / 1717 in Kairo; anscheinend indischer Provenienz ist Berlin Landberg 754, das von Fatḥ Allāh aṣ-ṣaḥḥāf gekauft wird. In Berlin Wetzstein I 152 hingegen findet sich der Besitzeintrag eines Muṣṭafā aṣ-ṣaḥḥāf bi-Dimašq, ohne dass auf einen Weiterverkauf durch ihn verwiesen wird. 432 Bereits im Jahr 800 / 1397–98 verkauft der Aleppiner Ḫalīl al-Kutubī Dublin CBL 3225; Berlin Sprenger 798 im Jahr 955 / 1548–49 in Ägypten durch Vermittlung (ʿalā yad) al-Ǧamālī Yūsuf (ar-Rīǧīhī?) al-Kutubī; ʿAbd al-Qādir al-Usṭuwānī kauft von Maḥmūd 260 kapitel 2 maktabī (2 Mal),433 oder baiyāʿ al-kutub (1 Mal).434 Einige dieser letztgenann- ten Berufsbezeichnungen sind jedoch auch als Familiennamen produktiv geworden und müssen demnach hier nicht den Beruf des Buchhändlers im Gegensatz zum Makler anzeigen, was besonders deutlich wird, wenn bei- spielsweise in der Literatur der Beruf eines al-Maktabī genannten Mannes als dallāl al-kutub angegeben wird.435 Auch der Verkäufer bzw. Besitzer des zu kaufenden Buches muss kein Händler sein. Der dallāl brachte auch inter- essierte Privatleute zusammen. Wenn die Dubliner Handschrift CBL Ar 3251 über einen dallāl „min mālikihī Ibn ad-Daulawī“ gekauft wurde, so war dieser mālik oder Besitzer sicherlich kein Buchhändler, sondern jemand, der auf die Dienste des dallāl zurückgriff, um auf dem Markt einen Käufer für sein privat besessenes Buch zu finden. Bezahlt wurde der dallāl wahrscheinlich mit einem Anteil des von ihm aus- gehandelten Gewinnes vonseiten des Verkäufers, wenn er in dessen Auftrag handelte, bzw. einer Abgabe des Käufers, wenn dieser an ihn herangetreten war. Nur sehr selten wird in einem Besitzeintrag eine Gebühr des dallāl explizit erwähnt. In einem undatierten, doch sicher osmanischzeitlichen436 Eintrag in einer Handschrift der Chester Beatty Library in Dublin437 berichtet der Käufer nach Angabe des Kaufpreises, dass ein gewisser, jedoch heute zerstörter Betrag

al-Kutubī Berlin Sprenger 263 (im Jahr 1261 / 1845), Sprenger 467 (1267 / 1851 „bi-dafʿ al- yad“), Berlin Wetzstein 350 (1272 / 1855–56); Berlin Wetzstein II 132 vielleicht vom glei- chen Maḥmūd al-Kutubī im Jahr 1273 / 1856–57; vielleicht Berlin Wetzstein II 81 ohne Datum von Zain ad-Dīn ʿAbd al-Ġanī al-Kutubī. 433 Berlin Wetzstein II 3 wird 1095 / 1684 gekauft von einem Muḥammad b. aš-šaiḫ al-Maktabī. Wetzstein II 1485 kauft Muḥammad b. Ḫalīl al-Baġdādī (1125 / 1713 – 1173 / 1759–60; vgl. Murādī: Silk III, S. 7–9, wo auch seine umfangreiche Büchersammlung erwähnt wird) im Jahr 1152 / 1739–40 durch die Vermittlung (bi-wāsiṭa) eines gleichna- migen, aber sicher nicht identischen Muḥammad al-Maktabī. Vielleicht deuten beide auf eine Familientradition. Die nisba Maktabī, auch wenn sie hier eindeutig von im Buchhandel tätigen Männern geführt wird, lässt sich nicht eindeutig mit diesem Beruf in Zusammenhang bringen, könnte er doch viel besser auf maktab (Grundschule, „Winkelschule“) zurückgeführt werden als auf das damals so gut wie gar nicht gebräuch- liche maktaba, das moderne arabische Wort für Bibliothek. Die oben angeführten Fälle wären dann zufällige Zusammentreffen von Buchhändler und Lehrer, wie es ja auch für den literarisch bezeugten Ǧalāl al-Hindī al-Maktabī der Fall ist (Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 353, Nr. 137). 434 Berlin Wetzstein I 30, undatiert, doch durch den Käufer ʿAbd al-Ḥamīd Ḫaṭīb in das 13. / 19. Jahrhundert zu datieren, da letzterer in dieser Zeit kopierte Handschriften besessen hatte. 435 Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 353, Nr. 137. 436 Der Kaufbetrag wird als fünf „min al-qurūš al-azadīya [scil. asadīya]“ angegeben. 437 Dublin CBL 3162, fol. 1r. Die Umwelt der Rifāʿīya 261 an Kleinmünzen für den Makler bestimmt seien (li-d-dallāl fiḍḍa . . .). In der 1807 durch Seetzen in Kairo erworbenen Handschrift Gotha orient. A 1898 hat ein Besitzer den Gesamtpreis des Buches aufgeschlüsselt und von 70 Einheiten einer nicht genannten Währung zehn dem dallāl zugewiesen. Dessen Anteil wäre in diesem Fall also 1/7. Der soziale Hintergrund der Buchhändler und –makler ist schwer abzu- schätzen. In diesem Korpus trägt ein dallāl den Titel aġā, einmal wird die dallāla von einem als Arzt (al-mutaṭabbib) angesprochenen Mann ausge- führt, der in der Literatur als Dichter und adīb nachweisbare Muḥammad b. Aḥmad bekannt als Ibn Ǧaddī aš-Šāfiʿī (gest. 1132 / 1719–20)438 beschreibt sich selbst in einem Besitzeintrag noch kurz vor seinem Tod als aṣ-ṣaḥḥāf bi-Dimašq aš-Šām.439 Demgegenüber wird der einzige in den für diese Studie benutzten biographischen Werken der osmanischen Periode ausdrücklich als Buchhändler verzeichnete Mann als Schullehrer (muʾaddib al-aṭfāl)440 ein- geführt, bezeichnenderweise in der Kallāsa, wo er also beiden Professionen gleichzeitig hätte nachgehen können! Er wird hier dallāl al-kutub genannt, trägt aber gleichzeitig die nisba al-Maktabī,441 was wiederum die Fragen auf- wirft, ob Maktabī tatsächlich auf einen Buchhändler verweist und nicht einen Lehrer in einer Schule (maktab) und, falls doch, inwieweit die beiden profes- sionellen Sphären von Buchhändler und Buchmakler tatsächlich terminolo- gisch oder praktisch scharf zu trennen sind. Wir wissen leider nur sehr wenig über die Person des Buchhändlers, etwa den generellen Bildungsstand, soziale Netzwerke, das Verhältnis zu den Kopisten etc. Es finden sich zwar in der biographischen Literatur vereinzelte Hinweise auf Gelehrte, welche mit Büchern Handel trieben. So wird etwa vom auch in der Rifāʿīya als Besitzer zweier Bücher vertretenen Ǧalāl ad-Dīn ar-Ramlī (gest. 1000 / 1591–92)442 berichtet, er hätte viele Handschriften gekauft, um damit Handel zu treiben. Ein weiterer in der Rifāʿīya als Leser und Besitzer oft genannter Mann, Amīn Zaitūna, hat noch in den 1860er Jahren Albert Socin (1844–1899) und Eugen Prym (1843–1913) mit Büchern versorgt.443 Leider wird dabei oft nicht gesagt, ob diese Gelehrten tatsächlich einen Laden auf dem

438 Murādī: Silk IV, S. 49–50. 439 Berlin Wetzstein II 1814. 440 In El-Zawāhreh: Religious endowments and social life, S. 206 beruht die Besprechung “instruction of children in polite literature (ta‌ʾdīb al-aṭfāl)” auf einer fehlerhaften Ableitung des muʾaddib und seiner Tätigkeit ta‌ʾdīb von der Literaturgattung adab. 441 Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 353, Nr. 137, Biographie des Ǧalāl al-Hindī al-Maktabī (gest. Ende 1007 / 1599 mit etwa 90 Jahren). 442 Ġazzī: Kawākib III, S. 12, Nr. 1210. Er besaß Vollers 117 und im Jahr 961 / 1554 Vollers 303. 443 Socin: Die Dîwâne, S. 667–668. 262 kapitel 2

Abb. 37 Ǧalāl ad-Dīn ar-Ramlī (gest. 1000 / 1591–92), Besitzer dieser Handschrift, soll mit seinen Büchern auch Handel getrieben haben. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 117, fol. 1r Die Umwelt der Rifāʿīya 263

Buchmarkt betrieben. Man muss bei den genannten Männern aber wohl eher davon ausgehen, dass sie ihr Geschäft unter Bekannten mit eher informellem Charakter machten. Nach einer etwas späteren Quelle, al-Qāsimīs Lexikon der Damaszener Berufe aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, soll der Handel mit Büchern ein einträgliches Geschäft gewesen sein. Sowohl in den Einträgen al-kutubī444 als auch aṣ-ṣaḥḥāf 445 wird der gute Gewinn hervorge- hoben, der hier zu erwarten war. Einige Namen sind uns zwar in den Besitzvermerken der Handschriften überliefert, aber vieles lässt sich aus dieser Quelle nicht ableiten.446 Namen selbst verraten zwar manchmal mehr, als es auf den ersten Blick erscheint. So ist auffällig, dass die Makler und Buchhändler im Gegensatz zu ihren Kunden meist keinen Familiennamen haben. Sie werden mit ihrem ism angespro- chen, an welchen dann die Bezeichnung ihrer Profession angehängt wird. Viele tragen den Titel šaiḫ, welcher im Sinne von „Meister“ auf ihre Stellung innerhalb der korporativ organisierten Berufsgruppe hinweisen dürfte. Nur ein šaiḫ konnte in dieser kooperativen Ordnung eigenständig seinen Beruf ausüben, war also kein Lehrling mehr. Nur zwei der dallālūn werden darüber hinaus identifiziert. Der Damaszener Muḥammad ad-dallāl trägt im Jahr 1114 / 1702–03 den Titel aġā (Berlin Wetzstein II 212) und mit aš-šaiḫ Ḫalīl b. [. . .] Özdemir tritt uns bereits im Jahr 674 / 1275–76 ein mutaṭabbib, also ein prakti- zierender Arzt entgegen (Berlin Wetzstein II 1556). Insgesamt ist das Material jedoch inhaltlich zu dünn und zeitlich zu weit gestreut, um aus diesen kleinen Einblicken weitergehende Aussagen ableiten zu wollen.

444 Qāsimī: Qāmūs, S. 269: wa-hiya ḥirfa šarīfa tuntiǧu ribḥan wāfiran. 445 Ebd., S. 383: wa-r-ribḥ minhā. 446 Ḫalīl b. (ʿAbdallāh?) Özdemir: Berlin Wetzstein II 1556 (674 / 1275, al-mutaṭabbib); ʿAlī al-Ǧarīfī ad-dallāl: Dublin CBL Ar 3251 (877 / 1472–73, šaiḫ); Abū Bakr ad-dallāl: Berlin Wetzstein II 1378 (940 / 1533–34, šaiḫ); Mūsā dallāl al-kutub (Damaskus): Berlin Sprenger 435 (944 / 1537–38, šaiḫ), Sprenger 639 (šaiḫ); ʿAbd ar-Raḥmān ad-dallāl: Vollers 851 (967 / 1559–60); Muḥammad al-maʿrūf bi-Ibn (. . .): Berlin Landberg 257 (1061 / 1651, šaiḫ); ʿAbd al-Ḥaiy ad-dallāl (Damaskus): Tübingen MA VI 75 (vor 1095 / 1684); Muḥammad aġā ad-dallāl: Berlin Wetzstein II 212 (1114 / 1702–03); Ismāʿīl ad-dallāl (Damaskus): Vollers 407 (1131 / 1718–19, saiyid), Dublin CBL Ar 3032 (1133 / 1720–21, saiyid), Berlin Wetzstein I 19 (1135 / 1722–23, saiyid), Wetzstein I 55 (1136 / 1723–24, saiyid); ʿAbd ar-Raḥmān (Kairo): Berlin Landberg 746 (1186 / 1772–73, šaiḫ); Ḫālid ad-dallāl (Damaskus): Vollers 578 (šaiḫ), Vollers 849 (1225 / 1810–11, šaiḫ); mullā ʿAlī ad-dallāl: Berlin Wetzstein II 75; nicht identifi- zierbar: Vollers 736, Dublin CBL Ar 3162. 264 kapitel 2

Abb. 38 In diesem Eintrag gibt ein Käufer an, das Buch in der Umayyadenmoschee von Damaskus gekauft zu haben. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 849, Innendeckel

2.11.2.2 Lokalisation: Der Buchmarkt am sakralen Ort Der Markt für Bücher war ebenso über Gilden organisiert wie die Märkte für andere Waren. Ein Besitzeintrag aus mamlukischer Zeit nennt sogar einen eige- nen Marktaufseher für die Buchhändler (muḥtasib al-kutubīyīn), über dessen konkrete Pflichten wir freilich ebenso wenig wissen wie darüber, ob es auch in Damaskus oder in späteren Epochen Träger dieses Amtes gegeben hat.447 Wie auch in anderen Produktionszweigen hatte die korporative Organisationsform in der Regel auch für die Buchhändler eine lokale Konzentration zur Folge. Ihre hauptsächliche Klientel waren natürlich Gelehrte. In den meisten Städten war der Buchmarkt dann auch in der Nähe oder unmittelbar neben einer oder gar der Hauptmoschee angesiedelt, einem Ort gesteigerter Konzentration wichti- ger Bildungseinrichtungen aber natürlich auch eines großen sozialen Prestiges. Es mag für den Außenstehenden auf den ersten Blick seltsam anmuten, in diesem Zusammenhang den sakralen Raum einer Moschee als Ort des wirt- schaftlichen Handelns anzutreffen. Gerade aus Damaskus finden wir aber in den Besitzvermerken zuweilen den expliziten Hinweis, ein Buch sei „in der Umayyadenmoschee gekauft“ worden. In Berlin liest man von ʿAbd ar-Raḥmān al-Qārī, er habe Wetzstein I 67d zu einem unbestimmten Zeitpunkt448 „min

447 Berlin Ms.or.oct. 1490: Karīm ad-Dīn ʿAbd al-Karīm al-Kutubī, muḥtasib al-kutubīyīn in al-Qāhira, ist im Jahr 795 / 1393 der Verkäufer dieser Handschrift an einen Nachfahren des bekannten fatimidischen Wesirs Ṭalāʾiʿ b. Ruzzīk (amt. 549 / 1154 – 559 / 1164). Der muḥtasib der Buchhändler wurde, nach diesem Eintrag zu urteilen, also aus den Reihen seiner Professionsgenossen bestimmt. In osmanischer Zeit ging die Bedeutung des Amtes muḥtasib zumindest stark zurück, meist fiel die ḥisba bzw. Marktaufsicht jedoch ganz in den Aufgabenbereich des Oberrichters. 448 Die Datierung ist auf jeden Fall nach 963 / 1555–56 anzusetzen, da der Text in diesem Jahr kopiert wurde. Die Umwelt der Rifāʿīya 265 al-Ǧāmiʿ al-Umawī“ erworben, während in der Rifāʿīya (Vollers 849) Muḥammad b. Yaʿqūb al-ʿAbdallī al-Baġdādī im Jahr 1225 / 1810 ein Buch „min Dimašq aš-Šām min Ǧāmiʿ Banī Umaiya“ und zwar von Ḫālid ad-dallāl kaufte. Allerdings darf man in diesem Fall wohl nicht erwarten, dass Bücher mitten im Innenhof der Moschee von einem kommerziellen Unternehmer angepriesen worden wären. Auch dies war zwar sicherlich möglich: Bereits der strikte Moralist Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 505 / 1111) hat in seiner Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn bestimmte Verkaufsgeschäfte im Hof einer Moschee und darunter explizit den Verkauf von Büchern unter gewissen Auflagen erlauben wollen, wenn er auch dazu riet, es besser nicht zu tun (fa-aulā tarkuhū).449 Doch auch da wo die Besitzereinträge einfach von der Umayyadenmoschee als Verkaufsort sprechen und sofern hier nicht von einer der unten zu behandelnden Nachlassversteigerungen gespro- chen wurde, war nach verschiedenen Informanten eigentlich ein direkt an die Moschee angrenzender Ort gemeint. Die literarischen und dokumentarischen Quellen sind dabei teilweise widersprüchlich. Wird eine Ortsangabe präzisiert, handelte es sich im Untersuchungszeitraum meist – etwa in der oben angeführten Anekdote und in allen Sekundärvermerken – um eine der vielen direkt an die Hauptmoschee angrenzenden Madrasen, und zwar genauer die Kallāsa im Norden des Hauptgebäudes.450 Dieses Gebiet erlebte seit ayyubidischer Zeit (etwa ab 6. / 12. Jahrhundert) die Gründung einer Vielzahl von höheren Lehreinrichtungen mit jeweils eigener Bibliothek.451 Oft nicht von langer Lebensdauer als eigen- ständige Institution, wurden die meisten dieser Lehranstalten mit der Zeit mehr oder weniger in die Umayyadenmoschee integriert. In der Literatur ist auch die heute vollkommen zerstörte, im Jahr 555 oder 556 / 1160 von al-Malik al-ʿĀdil Nūr ad-Dīn Maḥmūd b. Zangī errichtete Madrasa al-Kallāsa bereits als Standort einer eigenen Bibliothek bekannt.452 Sie schloss sich einst im Norden der Umayyadenmoschee an das später errichtete und immer noch teilweise bestehende Grabmal Ṣalāḥ ad-Dīns an.

449 Ġazālī: Iḥyāʾ II, S. 332. 450 Berlin Wetzstein II 1872, 17v „ṯamanuhū fī l-Kallāsa“; Berlin Landberg 435 kaufte Aḥmad b. Aḥmad al-muqriʾ im Jahr 944 / 1537–38 von „aš-šaiḫ Mūsā dallāl al-kutub bi-l-Kallāsa šamālī l-Ǧāmiʿ al-Umawī“ (Ein Zusatz durch den bekannten Dichter und Biographen al-Ḥasan al-Būrīnī präzisiert, dass wir es hier mit dem seinerzeit sehr einflussreichen Gelehrten Walī Allāh aṭ-Ṭaiyibī (=Ibn aṭ-Ṭaiyib) zu tun haben.); Auch Berlin Sprenger 639 wurde von (ʿalā yad) „aš-šaiḫ Mūsā dallāl al-kutub bi-l-Kallāsa“ erworben; Berlin Sprenger 903 ist nicht datiert, aber wohl vorosmanisch erworben „min sūq kutub maḥrūsat Dimašq“; Berlin Wetzstein II 1725 erwirbt Amīn Zaitūna noch 1271 / 1854–55 „min al-Kallāsa“. 451 Éche: Les bibliothèques, S. 203–206. 452 Ebd., S. 205. 266 kapitel 2

Seit wann hier auch der kommerzielle Vertrieb von Büchern vonstatten ging, wissen wir nicht. Doch kann dies nicht allzu lange vor dem Jahr 877 / 1472–73 geschehen sein. Denn mit diesem Datum wird die Kallāsa als Buchmarkt zwar zum ersten Mal dokumentarisch in einem Besitzvermerk aus Dublin greifbar (Dublin CBL Ar 3251): Maḥmūd b. Ḥasan al-Bazūrī453 berichtet darin, über den šaiḫ ʿAlī al-Ġarīfī ad-dallāl zwei Bände „min al-Kallāsa bi-Dimašq al-maḥrūsa“ aus dem Vorbesitz des šaiḫ as-sūq Ibn ad-Daulawī erworben zu haben. Gleichzeitig ist diese Einrichtung noch im Jahr 895 / 1489 aber neu genug, dass der Chronist Aḥmad Ibn Ṭauq der Nachricht vom Besuch seines šaiḫ Ibn Qāḍī ʿAǧlūn in der Kallāsa „zum Zweck des Verkaufs von Büchern“ hinzufügt: „vorher wurden sie in der Bādrāʾīya verkauft“, also einer weiteren Madrasa im Umfeld der Umayyadenmoschee.454 In einer anderen, viel späteren Quelle werden als Vorgänger der Kallāsa auch zwei Tore der Moschee genannt, das Bāb al-Barīd gefolgt vom Bāb Miʾḏanat al-ʿArūs.455 Nur wenige Jahre nach der dokumen- tarischen Ersterwähnung folgte bereits, wiederum durch Ibn Ṭauq, die erste literarische Notiz, als er in seinem Journal zum Jahr 888 / 1483 vom Verkauf der Bücher eines verstorbenen hohen Militärs, dem amīr kabīr Ǧānim in der Kallāsa berichtet hatte.456 Ibn Ṭauq zeigt auch an anderer Stelle deutlich, dass zumindest in seiner Zeit Nachlässe an die auf die jeweiligen Waren speziali- sierten Märkte verteilt werden konnten und so war es in diesem Fall auch mit den Büchern Ǧānims.457 Ob dies ein generelles Prozedere war oder nur, wenn die Versteigerung nicht auf Veranlassung des Richters zustande kam ebenso wie die Frage, ob es solche spezialisierten Teilversteigerungen auch in osmani- scher Zeit noch gab, können die hier zur Verfügung stehenden Quellen bisher noch nicht beantworten. Vielen galt die Kallāsa offenbar auch terminologisch als integraler Bestandteil der Umayyadenmoschee: So schreibt ʿAbd al-Ǧalīl Ibn al-Akram bereits 1105 / 1693–94 vom Kauf eines Buches „ fī Kallāsat al-Ǧāmiʿ al-Umawī“,458 Muṣṭafā b.

453 Er wird mit dem Zusatz al-Ḥamawī ṯumma ad-Dimašqī und ohne Lebensdaten als Lehrer des ʿAlawān ʿAlī b. ʿAṭīya al-Ḥamawī (gest. 936 / 1530) genannt in Ġazzī: Kawākib II, S. 204–211, Nr. 1095. 454 Ibn Ṭauq: Taʿlīq II, S. 912. 455 Ibn Kannān: al-Mawākib al-islāmīya, Bd. I, S. 421. 456 Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 268. 457 Im Jahr 890 / 1485 geht Ibn Ṭauq in notarieller Funktion zum Juweliermarkt (aṣ-ṣāġa) im Qaisārīyat Ǧulbān, wo Schmuck aus dem Nachlass der Großtante des Richters Kamāl ad-Dīn versteigert wurde; vgl. Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 537, S. 544. Andere Stellen derselben Quelle lassen fragen, inwieweit das Prozedere strikt einheitlich gehandhabt wurde: Der Nachlass der Schwester des erwähnten Richters Kamāl ad-Dīn wurde, ebenfalls 890 / 1485, im Haus ihres Mannes versteigert; vgl. Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 549–50. 458 Berlin Wetzstein II 1280. Die Umwelt der Rifāʿīya 267

Abb. 39 Früheste dokumentarische Erwähnung der Kallāsa als Ort des Buchmarktes von Damaskus im Jahr 877. Dublin, Chester Beatty Library Ar 3251, fol. 1r. © The Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin 268 kapitel 2

Muḥammad b. Aḥmad al-ʿUrḍī aš-Šāfiʿī berichtet mehr als zwei Jahrhunderte später, 1272 / 1855–56, von einem weiteren Kauf „min Kallāsat al-Umawī “,459 während ein anonymer und undatierter Eintrag in Berlin Wetzstein II 1662 dieses Buch als „muštārāhu [sic.!] bi-Ǧāmiʿ al-Umawī bi-l-Kallāsa“ bezeichnet. Die Kallāsa ging ihrer ursprünglichen Funktion dabei offenbar nicht ein- fach verlustig, um ausschließlich Buchmarkt zu sein. Sie war zumindest bis in das 12. / 18. Jahrhundert auch weiterhin eine Lehranstalt.460 Die Läden der Buchhändler werden sich daher mit einem Teil ihres Gebäudes begnügt haben. Das dürfte auch keine allzu großen logistischen Probleme bereitet haben, denn die Beschreibung dieser Läden – wie überhaupt der Läden auf den Märkten – zeichnet das Bild einer kleineren Bude, deren begrenzter Raum zwar vollge- stopft mit Büchern gewesen sein mochte, die aber nicht zum Stöbern angelegt war. In ihr fand neben dem Händler wohl nur ein Kunde Platz, der Käufer hatte aber vielleicht auch eine Sitzgelegenheit vor dem Laden. Die einzige mir bekannte zeitgenössische Abbildung eines Damaszener Buchladens, um 1850 von Lady Mary Eliza Rogers überliefert, vermittelt einen Eindruck von dieser Enge.461 Außerdem war die Zahl der Läden sicher auch nie sonderlich groß. Im 19. Jahrhundert hören wir einmal von „sechs Buden“.462 Wenn Ibn Ṭūlūn am Beginn des 16. Jahrhunderts als eine der wenigen literarischen Quellen also die Lage des Buchmarktes präzisiert: „Der Buchmarkt in Damaskus war unter dem Fenster der Madrasa al-Fāḍilīya463 in der Kallāsa,“464 dann dürfen wir uns wohl eine Reihe von Buden an der Nordwand des Komplexes vorstellen.

459 Berlin Sprenger 1952. 460 Al-Ḥasan al-Būrīnī (963 / 1529–30 – 1024 / 1615) bekleidet ein Lehramt in der Madrasa (MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 50–62, Nr. 352); Ismāʿīl b. ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (1017 / 1609 – 1062 / 1652) ergattert eine ḥuǧra in der Kallāsa, um die er offenbar sehr beneidet wird (Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 62); Muḥammad b. ʿAbd al-Laṭīf, bekannt als Šaqīrkān (1018 / 1609–10 – 1072 / 1661–62) lehrt in der Kallāsa, die er außerdem mit großem Aufwand ausbaut (MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 15–19, Nr. 963); Ḫalīl al-Fattāl (1117 / 1705–06 – 1186 / 1772–73) ist mutawallī der Kallāsa und lebt dort auch in einer ḥuǧra (Murādī: Silk II, S. 97–100), ebenso wie Ḥusain b. Iskandar ar-Rūmī (vgl. die Biographie von Muḥammad b. Zain ad-Dīn al-Kafīrī in MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 57–63). In der Darstellung von ʿUlabī: Ḫiṭaṭ, S. 158–159 endet die Geschichte der Einrichtung hingegen bereits mit einer Notiz von 823 / 1420. 461 Rogers: Books and bookbinding, S. 113. 462 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142. 463 Die Fāḍilīya wurde als dār al-ḥadīṯ von Saladins Wesir al-Qāḍī al-Fāḍil direkt an die nörd- liche Außenmauer der Kallāsa angebaut und später in die Umayyadenmoschee integriert. Zu ihrer eigenen Bibliothek vgl. Éche: Les bibliothèques, S. 203–204. 464 Nach Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al-kutub III, S. 913. Nach einer vom Autor benutzten Handschrift des Werkes al-Muʿizza fī mā qīla fī l-Mizza: „wa-kānat sūq al-kutub fī Dimašq taḥta šubbāk al-Madrasa al-Fāḍilīya bi-l-Kallāsa“. Die Umwelt der Rifāʿīya 269

ABB. 40 Einzige zeitgenössische bildliche Darstellung aus dem Buchmarkt von Damaskus, ca. 1850. Mary Eliza Rogers; Rogers: Books and bookbinding, S. 113

Die Kallāsa dominiert also unsere Nachrichten vom Damaszener Buchmarkt über viele Jahrhunderte, scheint aber dennoch nicht der einzige Standort für professionelle Buchhändler gewesen zu sein. Die spätmamlukische Quelle Yūsuf Ibn ʿAbd al-Hādī bekannt als Ibn Mibrad (840 / 1436 – 909 / 1503) veror- tete den Buchmarkt (sūq al-kutubīyīn) genauso wie den Papierhändlermarkt (sūq al-warrāqīyīn)465 und den Markt der Buchbinder (al-muǧallidīn li-l- kutub)466 vor dem westlichen Haupteingang der Moschee (fī Bāb al-Barīd). Von diesem Tor der Umayyadenmoschee bis zur nordwestlich gelegenen Kallāsa mit ihrem in den meisten Quellen genannten Buchmarkt waren es nur wenige Meter, doch kann man sich eine lokale Verbindung bzw. eine Erstreckung des Buchmarktes über diese gesamte Fläche vom West- bis zum Nordtor schwer- lich vorstellen. Unter den literarischen Quellen der folgenden Jahrhunderte steht Ibn Mibrad damit alleine. Auch sein Schüler Ibn Ṭūlūn folgt ihm hierin

465 Ibn al-Mibrad: Nuzhat ar-rifāq, S. 22. Der Begriff warrāq konnte tatsächlich auch syn- onym mit einem Buchhändler benutzt werden und verkaufte sicher nicht nur Papier. Die Unterscheidung zum eigentlichen Buchhändler kutubī ist in diesem Fall aber evident. 466 Ibn al-Mibrad: Nuzhat ar-rifāq, S. 26. 270 kapitel 2 nicht. Doch im 11. / 18. Jahrhundert erklärt Ibn Kannān in seiner Topographie der syrischen Länder, al-Mawākib al-islāmīya, seinen Lesern, dass der Verkauf von Büchern in Damaskus sich keineswegs immer in der Kallāsa abgespielt habe, sondern davor am Bāb al-Barīd gefolgt vom Bāb Miʾḏanat al-ʿArūs loka- lisiert war.467 Ibn Mibrads Text sollte demnach nicht als Nachweis eines zwei- ten Buchmarktes gelesen werden, sondern müsste vor der Umsiedlung des Marktes in die Kallāsa, also zumindest vor 877 entstanden sein. Doch im 10. / 16. Jahrhundert suggeriert zumindest die Biographie des munlā Ismāʿīl b. ʿAbd al-Wahhāb al-Hamaḏānī (gest. 1006 / 1598), dass tatsäch- lich, wie von Ibn al-Mibrad angegeben, die im weiteren Sinne mit Schrifttum zusammenhängenden Gewerbe im oder direkt an diesem Markt angesiedelt sind. Der später auch in verschiedenen Verwaltungspositionen erfolgreiche al-Hamaḏānī verdiente sich seinen Lebensunterhalt direkt nach der Ankunft in Damaskus durch den Verkauf von Tinte und als Papierfärber (ṣabbāġ al- waraq) im sūq von Bāb al-Barīd.468 Und auch noch ein Dokument aus dem Jahr 1147 / 1734 berichtet vom vor dem Westtor gelegenen Sūq al-Miskīya: „darin werden Bücher verkauft“.469 Offenbar gab es hier also keine strikte Arbeitsteilung, und möglicherweise hat die Ausübung der genannten Gewerbe auch regelmäßig zum Verkauf von Kopien geführt. Dies könnte die scheinbare Konfusion der Quellen erklären. Interessanterweise finden wir dann in den westlichen Reiseberichten die Lokalisation des Buchmarktes seit den 1840er Jahren, soweit aus der Beschreibung erkennbar oder explizit benannt, immer vor dem Westtor Bāb al-Barīd im Sūq al-Miskīya. Keiner der Autoren dieser Reiseberichte spricht dann auch mehr von einer Madrasa, in deren Inneren sich die Buden der Händler befänden. Wahrscheinlich gab es die Kallāsa als Gebäudekomplex irgendwann im 19.

467 Ibn Kannān: al-Mawākib al-islāmīya, Bd. I, S. 421. 468 Ġazzī: Luṭf I, S. 331–333, Nr. 125; Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 61, hier außerdem: „wa-lammā daḫala ilā Dimašq ʿAlī ǧalabī b. Amr Allāh mutawallīyan lahā istaktaba al-kutub, wa-kāna yumīlu ilā kutub at-tawārīḫ, fa-katabtu lahū anā [Ibn Aiyūb] Tārīḫ Ibn Ḫallikān fī waraq hindī fī l-qaṭʿ al-kāmil fī misṭara sabʿ wa-ṯalāṯīn, fa-ǧāʾa fī muǧallad wāḥid fa-daḫala ilaihī munlā Ismāʿīl bi-l-waraq al-hindī fa-ṣabaġa la-hū ǧumla mustakṯara wa-ḫadamahū ḫidma tāmma“. 469 Nach MubaiyiḌīn: Ahl al-qalam, S. 361. Auch Nuʿaisa: Muǧtamaʿ madīnat Dimašq I, S. 105 gibt bei seiner Aufzählung der Märkte von Damaskus, in welcher der Buchmarkt wiederum auf dem Sūq al-Miskīya liegt, zwei dokumentarische Quellen aus den Registern des Gerichtshofes al-Maḥkama al-kubrā aus den Jahren 1210–11 / 1795–79 an, ohne auf deren Inhalt jedoch in irgendeiner Form einzugehen. Ob er seine Ortsangabe also aus dem ebenfalls angeführten Qāmūs von al-Qāsimī oder den Dokumenten entnimmt, wird nicht deutlich. Die Umwelt der Rifāʿīya 271

Jahrhundert nicht mehr. Aber auch die Beschreibungen der Lage, selbst wenn sie das westliche Tor der Umayyadenmoschee nicht namentlich nennen,470 lassen doch in der Regel keinen Zweifel daran aufkommen, dass wir uns hier in jedem Fall vor dem Bāb al-Barīd befinden. Der österreichische Orientalist und Reisende Alfred von Kremer (1828–1889), der sich in den Jahren des Verkaufs der Rifāʿīya in Damaskus aufhielt, schreibt etwa:

Burkhard sagt: Damascus sei nicht bloss der grösste Büchermarkt des Orients, sondern man bekomme hier auch die Bücher am billigsten; was den Preis anbelangt, so glaube ich, dass Bücher in Damascus eben so theuer wie in den anderen Städten des Orients sind; was aber die Menge der vorhandenen und käuflichen Bücher betrifft, so ist sicher Constantinopel über Damascus zu stellen, denn in ganz Damascus sind nur sechs Buden von Bücherhändlern vor dem grossen Thore der omeja- dischen Moschee; diese sind zugleich auch Buchbinder. Sie haben zwar stets in ihren Buden grosse Massen von Büchern aufgehäuft, allein die meisten dieser Bücher sind Diwane oder Werke religiösen Inhalts, Korane u. dgl.; historische und geographische Werke sind unendlich selten und fast gar nicht zu finden.471

Mit dem „grossen Thore“ kann nur das Haupttor Bāb al-Barīd gemeint sein. Robert Walter Stewart, der ebenfalls etwa in der Zeit des Verkaufs der Rifāʿīya in den 1850er Jahren durch die Levante reiste, berichtet über seinen Besuch der Damaszener Märkte unter Leitung des amerikanischen Missionars Josias Leslie Porter (1823–1889):

We were, however, able to get a slight glimpse at the interior [of the Umayyad Mosque] through the massive iron gates which close in the court at the end of the book bazaar; (. . .). In passing through the book bazaar Mr Porter pointed out a shop, whence he sometimes procured valuable works in Arabic. ‘Then by all means let us enter,’ I said, ‘and see what he has got for sale.’ Mr Porter replied, laughing, ‘If we were to go into his shop he would at once deny having the books we asked for, or proba- bly deign no reply; for he would get into trouble immediately, if it were known he sold good Moslem books to the Giaours. When he has a curious

470 Porter: Five years, S. 23: Die beschriebenen und abgebildeten Säulen des Jupitertem­ pels, von welchen die Treppe zum Buchmarkt hinabführte, befinden sich vor dem west­ lichen Tor. 471 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142. 272 kapitel 2

book for sale, he brings it by night to my house; but he would not recog- nize me in the bazaar on any account.’472

Auch der uns bereits oben dokumentarisch begegnete Name erscheint seit den 1850er Jahren in der Reiseliteratur und wird hier von Lady Eliza Rogers erst- mals benannt:

One of the most interesting bazaars of the city of Damascus, however, is the Book Bazaar, commonly called the Sûk el Miskîyeh, because it leads to the court of the great Mosque el Amwy. It is a wide, lofty, and well built, but not very long, arcade, and is approached by a broad flight of steps descending from the bustling bazaar of the linen and silk drapers. Here the Moslem booksellers and bookbinders of Damascus established them- selves long ago, and they still cling there, close to their temple. I was assured that they were very fanatical, and would not sell or even show their books to non-Moslems, and even objected to work for them.473

Noch später findet sich im vom Leipziger Professor Albert Socin verfassten Reiseführer Palästina und Syrien aus der Baedeker-Reihe, der auf Erfahrungen des Verfassers aus den 1860er Jahren beruht, dieselbe Lokalisierung, ohne dass der Ort einen Namen bekommen hätte.474 Auch Ǧamāl ad-Dīn al-Qāsimī verortet in seinem Lexikon der Damaszener Berufe Qāmūs aṣ-ṣināʿāt aš-šāmīya die Buchhändler im Sūq al-Miskīya. Zusätzlich zu den übrigen Quellen siedelt er diesen noch „westlich der Umayyadenmoschee“ an,475 nämlich, wie er an anderer Stelle präzisiert, beim Bāb al-Barīd.476 All diese Quellen scheinen also zu suggerieren, dass der Buchmarkt bereits im 18. Jahrhundert, spätestens aber in den 1840er Jahren umgezogen und nur noch an einer zentralen Stelle, nämlich beim traditionellen Markt der Tinten- und Papierverkäufer, Kopisten und Buchbinder zu finden war. Wann genau und aus welchen Gründen dies geschehen sein sollte, bleibt dabei ungeklärt. Dass

472 Stewart: The tent and the khan, S. 493. 473 Rogers: Books and bookbinding, S. 113. 474 Socin / Baedeker: Palästina und Syrien, S. 370: „(. . .) in gerader Richtung geht man einige Stufen hinunter in die Bazarstrasse der Buchhändler (. . .); dieselben treiben ihren Fanatismus so weit, dass sie selbst das Geld des ‚Ungläubigen‘ verachten, ja ihn meist gar keiner Antwort würdigen.“ 475 Qāsimī: Qāmūs, S. 269 (s.v. „ṣaḥḥāf “) und 383 (s.v. „al-kutubī“). 476 Ebd., S. 383. Die Umwelt der Rifāʿīya 273 eine Berliner Handschrift (Sprenger 1952) noch im Jahr 1272 / 1855 den Kauf „min Kallāsat al-Umawī“ erwähnt, scheint jedoch gar nicht in dieses Bild zu passen. Die letzten Nachrichten von der Kallāsa als funktionierende Lehreinrichtung stammen aus dem 12. / 18. Jahrhundert. Ob hier 1272 / 1855 also tatsächlich noch ein Gebäude dieses Namens stand oder nur noch ein überkommener Ortsname für den Buchmarkt verwendet wurde, kann mit dem vorhandenen Material nicht geklärt werden. Vielleicht muss man auch von einem schritt- weisen und nicht einem abrupten Umzug der Buchhändler und damit einer längeren lokalen Teilung ausgehen. Der von den Reisenden und al-Qāsimī beschriebene, lokalisierte oder benannte Sūq al-Miskīya hingegen zeigt sich in den von mir gesehenen Besitzvermerken erst sehr spät. Eine Handschrift aus Harvard (MS Arab 87) kaufte Muḥammad Anīs aṭ-Ṭālawī noch lange nachdem die Rifāʿīya Damaskus verlassen hatte im Jahr 1290 / 1873 „min al-Miskīya“. Abseits der Umayyadenmoschee gab es nach Lady Rogers in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch zwei Buchläden im Christenviertel der Stadt, die religiöse und elementare Materie verkaufen.477 Als Besonderheit werden dabei auch gedruckte Bücher aus dem Libanon und Malta, wo evangelische Missionare eine Presse eingerichtet hatten,478 genannt. Ansonsten war der offizielle Buchmarkt allerdings fest in muslimischer Hand. Nach allen auf uns gekommenen Berichten von Reisenden war der hauptsächlich gehan- delte Literaturzweig auch religiös-islamischer Natur. Christliche und jüdische Literatur müssten demnach wohl ohne einen festen Handelsplatz auf privater Ebene weitergegeben worden sein. Der bereits behandelte griechisch-katholi- sche Mönch und Priester Anṭūn Būlād (gest. 1871) könnte ein Beispiel für einen inoffiziellen Buchhändler mit einer bemerkenswerten Professionalität gewe- sen sein. Neben seinen spirituellen Aufgaben war er doch vielen Reisenden mehr als Buch- und Antiquitätenhändler bekannt.479 Er lebte bereits in einer Zeit, in der man sich den Besuch eines lokalen Christen auf dem mus- limischen Buchmarkt vielleicht vorstellen könnte. Und auch als Interessenten für den Kauf einer muslimischen Familienbibliothek wie der Rifāʿīya finden wir ihn, wenn es hier auch gerade sein Priestertum war, welches ihm die- ses Geschäft verdarb. Dennoch, die religiös besetzte Atmosphäre direkt am Eingang der Umayyadenmoschee und als eine der wichtigsten Quellen reli- giöser Literatur dürfte den lokalen Nicht-Muslimen bis in das 19. Jahrhundert den direkten Zugang zum Buchmarkt verwehrt haben. Noch um 1850 schreibt Mary Eliza Rogers, „I never saw any native Christians there.“ Das ist für sie nicht

477 Rogers: Books and bookbinding, S. 113. 478 Zur maltesischen Presse vgl. Roper: Arabic books printed in Malta. 479 Siehe Kapitel 1.1.2. 274 kapitel 2

­überraschend, denn der Weg ist immer voll von Menschen die zur Moschee gehen, da er nur dahin führt und keine Durchgangsstraße ist.480 Und auch europäische Besucher, für die oft andere Regeln galten, hatten es schwer. 1860 berichtet der französische Adelige Louis Philippe d’Orleans, ein Comte de Paris, vom Besuch eines Händlers bei ihm vor den Toren der Stadt. Dieser bringt ihm ein Paket mit. Im Zelt ausgepackt erscheint eine alte Handschrift des Korans. Die hätte er ihm nicht öffentlich anbieten können, da die Muslime „ne pardonneraient pas à un Giaour d’avoir fait trafic du livre de Dieu.“481 Noch Socin schreibt über die späten 1860er Jahre, die Händler des Buchmarktes „treiben ihren Fanatismus so weit, dass sie selbst das Geld des „Ungläubigen“ verachten, ja ihn meist gar keiner Antwort würdigen.“482 Die einzige identi- fizierbare Quelle seiner Bücher, der auch in der Rifāʿīya oft bezeugte Amīn Zaitūna, scheint denn auch kein professioneller Händler gewesen zu sein.483 Schaut man sich die Berichte genauer an, so sieht man, dass es sich bei kon- kreten Fällen meist um den Koran handelt, der von den Buchhändlern zumin- dest in aller Öffentlichkeit nicht in die Hände von Nicht-Muslimen gelegt werden sollte.484 Diese Forderung liest man tatsächlich auch in der normativen Literatur als eine der Anforderungen für den Beruf des dallāl al-kutub. „Einem Ungläubigen soll er keinen muṣḥaf und kein Buch aus ḥadīṯ oder fiqh verkau- fen“ formuliert es sogar noch weiterreichend Ibn Ṭūlūn im 16. Jahrhundert in einem normativen Ratgeber für Posten und Berufe.485 Westliche Besucher

480 Rogers: Books and bookbinding, S. 114. 481 Comte de Paris: Damas et le Liban, S. 7–8. 482 Socin / Baedeker: Palästina und Syrien, S. 370. 483 Socin war mit Amīn Zaitūna, der ihm als Buchhändler diente (Halle DMG arab. 99 hat er von ihm erworben), bekannt, als er im Jahr 1869 Damaskus besuchte. Seine Eindrücke von ihm schildert er Socin: Die Diwâne, S. 667–668. 484 Etwa Addison: Damascus and Palmyra II, S. 71: Der Autor hatte bereits ohne Probleme mehrere Buchläden nach einer Ausgabe der 1001 Nacht durchstöbert, bevor er nach einem Koran fragte: “We asked about other books, and then inquired for a copy of the Koran – that instant his eyes flashed fire, his beard wagged with indignation, and he shouted at the pitch of his voice, Yallah, yallah! “Go, go, get you gone!” with sundry uncourteous expres- sions and rude epithets, among which that of “Infidel dogs” was more than once repea- ted.” Für Kairo im Jahr 1808 deutet Seetzen bei einem der wenigen Probleme auf dem Buchmarkt an, dass es sowohl die Herkunft des Mannes, der sich an seinen Bücherkäufen stört, wie der Inhalt der Bücher war, der eine ungewöhnlich harsche Kritik beeinflus- ste; vgl. Seetzen: Reisen III, S. 228–229: „Ein Einwohner von Medineh in Arabien sahe mich vor 2 Tagen bey einem Buchbinder ein Buch untersuchen. „Wisst Ihr nicht, sagte er störrisch zu dem Verkäufer, dass dieser ein Nazarener ist? Warum verkauft ihr ihm Bücher?“ – Wie er indessen sahe, dass es ein Buch über Augenkrankheiten sey: so gab er sich zufrieden.“ 485 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 190. Die Umwelt der Rifāʿīya 275 berichten von offenen Feindseligkeiten oder heimlichen Verkäufen beson- ders im Zusammenhang mit dieser besonders sakralen Literatur. Dass dieses Verhalten nicht immer einem persönlichen „Fanatismus“ sondern auch einer normierten Gruppendynamik entsprach, zeigen die auch immer wieder ange- führten Fälle von heimlich herbeigeführten Kontakten. Paton, der Comte de Paris oder Porter bekommen ihre Bücher, nur eben nicht in aller Öffentlichkeit. Daneben muss es auch öffentlich sichtbare Besuche bei einem Buchhändler gegeben haben. Wenn der Franzose Monconys bereits im Jahr 1648 einen ganzen Vormittag bei einem in gleichem Maße wie er selbst für okkulte Wissenschaften begeisterten Damaszener Buchhändler verbringt, sagt er nicht explizit, wo dieses Zusammentreffen stattfindet, doch deutet nichts darauf hin, dass hier nicht der Laden dieses Händlers und damit die Kallāsa oder der Sūq al-Miskīya vor den Toren der Umayyadenmoschee gemeint war.486 Und wenn Lady Rogers versichert wird “that they were very fanatical, and would not sell or even show their books to non-Moslems, and even objected to work for them,”487 zeigt sie durch ihr eigenes Beispiel doch das genaue Gegenteil. Der zeitliche Kontext – etwa Zeiten politischer oder religiöser Anspannung – die Stellung und das Verhalten des Besuchers ebenso wie der Charakter des Händlers dürften für die unterschiedlichsten Szenarien Raum gelassen haben. Für Mitglieder der lokalen religiösen Minderheiten auf dem Buchmarkt gibt es bisher jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Nach allen zur Verfügung stehenden Quellen wird die Größe des Buchmarktes im gesamten Untersuchungszeitraum sehr überschaubar gewesen sein, doch genauere Zahlen haben wir erst aus der Spätzeit der Rifāʿīya. Bowring berichtet in den 1830er Jahren – also unter den Bedingungen der ägyptischen Besatzung – sogar, dass es aufgrund des von ihm angenommenen generellen intellektuellen Niedergangs in ganz Damaskus keinen Buchladen mehr gege- ben hätte.488 Diese Aussage kann getrost ignoriert werden. Lady Rogers stellt denn auch klar: „. . .; and in very few places are any native ­book-shops to be found. Many travellers fail to discover any, and consequently report that there are none.”489 Doch auch sie findet in den 1850er Jahren auf dem Buchmarkt

486 Monconys: Voyage, S. 345: „ie futs chez vn Libraire qui abusoit les sots par la Geomance comme il nous le confessa où ie demeuray tout le matin.“ Auch sonst berichtet Monconys immer wieder von Buchhändlern auf seiner Reise, ohne dass ihm einmal Feindschaft begegnet wäre. Eine Zusammenstellung von ähnlichen Anekdoten aus Istanbul mit dem Hinweis auf Unterschiede je nach Zeit und Sprachbeherrschung des Käufers findet sich in Erdem: Second hand book sellers and travellers, S. 888–891. 487 Rogers: Books and bookbinding, S. 113. 488 Bowring: Report, S. 109. 489 Rogers: Books and bookbinding, S. 113. 276 kapitel 2 nur 12 Händler, von denen 5 gleichzeitig auch Buchbinder gewesen seien.490 1848 hatte der Österreicher von Kremer noch 6 Buchhändlerbuden gezählt.491 Auch die thematische Breite auf dem Buchmarkt haben zumindest die informierten westlichen Beobachter als enttäuschend empfunden. Nach den Beschreibungen dieser Reisenden wurde hier im 19. Jahrhundert hauptsäch- lich simple religiöse Literatur angeboten. Alfred von Kremer kommentiert seine Erlebnisse bei den Buchhändlern, diese hätten „zwar stets in ihren Buden grosse Massen von Büchern aufgehäuft, allein die meisten dieser Bücher sind Diwane oder Werke religiösen Inhalts, Korane u. dgl.; historische und geogra- phische Werke sind unendlich selten und fast gar nicht zu finden.“492 Auch Wetzstein hat nach eigenen Angaben viele von ʿUmar ar-Rifāʿī als Ersatz für ausgesonderte Bücher angebotene Handschriften wieder zurückgeben müs- sen, denn „Ich hätte gerne einige kostbare Mss unter den 15 gehabt, aber diese sind rar, u. ich gebe zu, daß ich dem Efendi wenigstens 40 Mss. die ich nicht habe annehmen wollen, zurückgegeben habe.“493 Lady Mary Eliza Rogers geht ebenfalls auf die Inhalte ein, als Ḥasan, einer der Kawassen ihres Bruders, des englischen Konsuls, sie mit auf den Buchmarkt nimmt. Dort beginnt sie eine Konversation mit einem älteren Händler, welcher Muḥammad al-Muftī al-Kātibī hieß. Der zeigt ihr seinen Bestand, welchen Lady Mary einen „good supply of books“ nennt. Gedruckte Werke aus Kairo und Bagdad gab es bereits in diesem Geschäft, v.a. waren dies Korankommentare, Jurisprudenz und Grammatik, Geschichte, Poesie und Reisen. Außerdem sah sie einige Handschriften des Korans und viele kleine Gebetsbücher. Letztere wären, so berichtet Rogers, die einzige Massenware mit einer großen Nachfrage, da sogar die, welche nicht lesen können, eines besitzen möchten. „The price of the book unbound was five piasters (ten pence), and ten piasters, if nicely bound in leather. Inferior copies may be obtained for a less sum.”494 Aber bei aller Dominanz des schlicht religiösen und erbaulichen, eine inhalt- liche Beschränkungen durch die Position des Buchmarktes in einer Madrasa am Eingang der Umayyadenmoschee gab es anscheinend nur theoretisch. Ibn Ṭūlūn zählt zwar im 16. Jahrhundert zu den Pflichten des dallāl al-kutub, dass dieser keine „Lügengeschichten, wie die Sīrat ʿAntara“495 verkaufen solle. Doch auch abenteuerliche Epen dieses Genres wie die Sīrat al-Malik aẓ-Ẓāhir

490 Ebd., S. 114. 491 von Kremer: Mittelsyrien, S. 142. 492 Ebd., S. 142. 493 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 21. Juni 1854. 494 Rogers: Books and bookbinding, S. 114. 495 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 190. Die Umwelt der Rifāʿīya 277 wurden nach Ausweis der Sekundärvermerke auf dem Buchmarkt gehandelt (Berlin Wetzstein II 609, „ fī l-Kallāsa“).

2.11.3 Erbe 2.11.3.1 Die Erbteilung Ob die Erbteilung in der Regel als Aufteilung der materiellen Hinterlassen- schaft – also der Artefakte selbst – oder des veräußerten bzw. versteigerten Erlöses dieser materiellen Hinterlassenschaft zu verstehen ist, kann mit dem vorhandenen Material nicht quantifiziert werden. Klar ist, dass es beide Mög- lichkeiten gegeben haben muss.496 Der Verbleib von Büchern über mehrere Generationen in einer Familie ist zwar durchaus nicht sehr häufig dokumentiert und regelrechte altehrwür- dige Familienbibliotheken kaum nachweisbar. Dennoch hat es immer wieder Bücher gegeben, die vom Vater auf den Sohn – in den seltensten Fällen auf die Tochter – oder andere Nachfahren gekommen sind. Auf welchem Weg dies geschah, verraten die Sekundäreinträge meist nicht. Einige Besitzwechsel fanden noch zu Lebzeiten des Vorbesitzers statt, andere werden explizit als Schenkung oder Verkauf ausgewiesen. Doch auch der Erhalt aus dem Nachlass des Vaters oder Großvaters ist relativ häufig dokumentiert. In den meisten Fällen liest man nur das neutrale min tarika, was ein direktes Erbe des Buches oder einen indirekten Kauf aus der Nachlassversteigerung bedeuten kann. Muḥammad und Maḥmūd, die beiden Söhne des bereits verstorbenen ʿAlī aṭ-Ṭībī erhielten im Jahr 1278 / 1861 aus dem Erbe ihres Großvaters ʿAbd ar-Raḥmān aṭ-Ṭībī die Handschrift Berlin Landberg 172 bi-ntiqāl la-humā ʿan ǧaddihimā al-marḥūm. Beginnt der Eintrag somit noch mit der Bekräftigung des gemeinsamen Besitzes, wird an dessen Ende deutlich, dass die beiden Enkel sich auf eine Teilung geeinigt haben und das Buch an Maḥmūd ging „als die Bücher zwischen ihm und seinem Bruder aufgeteilt wurden“ (ḥaiṯamā iqta- sama l-kutub bainahū wa-baina aḫīhi). Ein Haus konnte mit baulichen Mitteln unterteilt, gemeinsam bewohnt, der Gewinn durch Vermietung aufgeteilt werden. Ein gemeinsam besessenes Buch war weit schwieriger aufzuteilen. Darin wird man auch einen der Gründe für die Nachlassversteigerungen sehen dürfen. Wer sich nicht wie Muḥammad und Maḥmūd aṭ-Ṭībī über die Aufteilung der Hinterlassenschaft einigen konnte, der musste wohl den Weg über die Versteigerung gehen, um einen teilbaren Wert in Form von Geld zu erhalten.497

496 Vgl. Barbir: Wealth, privilege, and family structure, S. 183–184. 497 Eine qisma wird auch erwähnt im Jahr 1144 / 1731–32 von ʿAbd al-Ḥaiy aṭ-Ṭāhir (Berlin Landberg 526a) und im 12. / 18. Jahrhundert beim Erbe zweier Frauen „aš-šarīfatain Āmina wa-ʿAtīqa banāt [sic] as-saiyid Aḥmad al-Ḥakīm“ (Michigan Mich. Isl. Ms. 122). 278 kapitel 2

Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass ein gemischtes Verfahren öfters Anwendung gefunden hat. So wissen wir, dass ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī die Bibliothek seines Vaters nach dessen Tod nicht einfach durch Erbe erhalten konnte. Einige Bücher wurden nachweislich verkauft (Vollers 17 ging 1063 / 1653 an Ismāʿīl al-Maḥāsinī), andere fand Nābulusī auf seinen Reisen in ande- ren Regionen wieder. Doch ein Blick in die Verkaufsurkunde, mit welcher er seine eigene Bibliothek an einige seiner Nachkommen veräußerte zeigt, dass sich immer noch einige Bände aus den Bibliotheken des Vaters und sogar Großvaters in seinem Besitz befanden, er sich also zumindest einiges durch Erbe gesichert haben könnte.498

2.11.3.2 Die Nachlassversteigerung Eine wichtige und oft bezeugte Quelle für Bücherkäufe waren die Versteigerungen von Nachlässen. Auch hier steht wieder die Umayyadenmoschee im Mittelpunkt, denn auch die Nachlässe von Verstorbenen wurden hier verstei- gert und dies schloss ihre Bücher natürlich mit ein, wie literarische und doku- mentarische Quellen deutlich machen.499 Ibn Ṭūlūn berichtet im Jahr 949 / 1542 wie der Verkauf einer bedeutenden Bibliothek mit vielen medizinischen und naturwissenschaftlichen Büchern Gefahr lief, der Gier von Richtern und Gouverneuren zum Opfer zu fallen, die sich noch vor der Versteigerung die besten Stücke sicherten, aber auch während des Bietens ihre Autorität auszu- spielen wussten. Ibn Ṭūlūn selbst wagte es demach nicht, auf eine von ihm ins Auge gefasste Ṭabaqāt al-aṭibbāʾ zu bieten, da er vor dem mitbietenden Abū l-Baqāʾ al-Biqāʿī al-Ḥanafī Angst hatte (ḫaufan minhū).500 Solche Verkäufe in der Moschee wurden nominell vom Oberrichter geregelt, nachdem der für die Erbteilung zuständige qassām die nötigen Regelungen getroffen hatte, sich dabei aber der Erfahrung von Experten (ahl al-ḫibra), in diesem Falle also von Buchhändlern zu vergewissern hatte.501 Bereits aus dem Jahr 894 / 1489 findet sich in der Rifāʿīya der Hinweis auf den Verkauf eines Nachlasses

498 Vgl. die Abschrift der Urkunde in Šaʿbān: Amlāk, bes. S. 174 (bei drei Bänden wird zusätz- lich angemerkt: min ḫaṭṭ wālid al-muwakkal). 499 Ein literarischer Belege findet sich etwa in Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 139. 500 Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 350–351. 501 Archivmaterial aus Damaskus aus den Jahren 1142 / 1729, 1173 / 1759 und 1180 / 1766 über „ahl al-ḫibra wa-l-maʿrifa fī muzāyadat al-kutub“, die anscheinend bei der Nachlassaufnahme ins Gericht beordert werden, wird zitiert von MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 361; generell Barbir: Wealth, privilege, and family structure, S. 184. Vgl. zur Prozedur der Nachlassaufnahme und der Hinzuziehung der ahl al-ḫibra in Ägypten El-Nahal: The Judicial Administration, S. 47–48. Die Umwelt der Rifāʿīya 279 in der Umayyadenmoschee.502 Und auch aus dem Ende der hier unter- suchten Zeitraumes berichtet eine Berliner Handschrift (Wetzstein II 1710): Muḥammad Amīn Usṭuwānī-zāda erwarb sie 1238 / 1822 aus dem Nachlass des ʿAbd ar-Raḥmān aġā Ibn Sulṭān, und zwar „al-mubāʿa fī l-Ǧāmiʿ al-Umawī“. Wann und warum eine hinterlassene Büchersammlung versteigert wurde, ist nicht immer leicht zu ermitteln. Ob eine gesetzliche Pflicht zur Anzeige eines Nachlasses überhaupt immer umgesetzt wurde, entzieht sich unse- rer Kenntnis. Vorauszusetzen ist diese Pflicht zumindest in solchen Fällen, in denen kein oder ein minderjähriger Erbe vorhanden war, in denen der Verstorbene der ʿaskarī-Klasse angehörte, oder in denen die Erben sich nicht auf eine außergerichtliche Erbteilung einigen konnten. In solchen Fällen müsste der Richter die Versteigerung durchführen. Viele Bücher gelangten anscheinend ohne Probleme als Erbe in die Hände der nächsten Generation (mīrāṯ, bi-l-irṯ), doch finden sich auch Fälle, in denen ein Sohn das Buch sei- nes Vaters aus dessen Nachlass erst kaufen musste.503 Demnach muss es Fälle gegeben haben, in denen ein Interesse der Erben am Erbgut bestand, dieses aber dennoch­ nicht den normalen Weg der Erbteilung gehen konnte und ver- steigert wurde. Die Bücher ʿAbd ar-Raḥīm b. ʿAlī al-Muḫallalātīs (1101 / 1629 – 30–1140 / 1727–28)504 wurden offensichtlich versteigert, dennoch wurde eine von zwei seiner Handschriften in der Rifāʿīya (Vollers 880) im Jahr 1253 / 1837 durch Muṣṭafā ʿAbbūd erst aus dem Nachlass eines Nachfahren, Muḥammad al-Muḫallalātī, erstanden, könnte also noch eine oder mehrere Generationen505 ohne erkennbaren Eingriff eines qassām oder Richters in der Familie tradiert

502 Vollers 388: Abū Bakr b. Aḥmad b. ʿAlī al-Mizzī al-Ḥanbalī erwirbt das Buch aus dem Nachlass ʿAlāʾ ad-Dīn al-Ḥanbalīs „wa-ḏālika bi-Ǧāmiʿ al-Umawī“. 503 Berlin Wetzstein II 351, 1r: Amīn Ibn al-Ḫarrāṭ kauft das Buch 1135 / 1723 „bi-š-širāʾ min kutub al-wālid al-marḥūm“; Berlin Wetzstein I 174, 0r: „tamallakahū ʿAbd ar-Razzāq bi-š- širāʾ aš-šarʿī min tarikat wālidihī sanat 15“. In Berlin Wetzstein II 1382, 1r finden sich zwei Besitzeinträge von Muḥammad Saʿīd al-Usṭuwānī (1238 / 1822 – 1305 / 1888), nachdem sich das Werk bereits im Besitz seines gleichnamigen Großvaters befand. Im ersten, wohl von ihm selbst zerstörten, schreibt er: „ṯumma min baʿdihī ʿalā walad waladihī al-faqīr as- saiyid / Muḥammad Saʿīd b. al-marḥūm as-saiyid Muḥammad Amīn efendī / Ibn al-maḏkūr aʿlāhu [=der Großvater] / fī 1253 / qīmatuhū (6.)“. Im diesen ersetzenden Eintrag ist nun von einem Preis nicht mehr die Rede, sondern der Besitzwechsel wird einfach als „bi-l-irṯ min al-wālid“ beschrieben. 504 Murādī: Silk III, S. 7–9. 505 Es könnte sich bei Muḥammad al-Muḫallalātī freilich auch um den Sohn ʿAbd ar-Raḥīm b. ʿAlīs gehandelt haben, der sich in Berlin Wetzstein II 1385 eindeutig identifiziert und das Buch nach seinem Vater besessen hatte. Selbst bei einem dann notwendig anzunehmden 280 kapitel 2 worden sein. Der Fall al-Muḫallalātīs zeigt vielleicht auch, dass Buchhändler bei diesen Nachlassversteigerungen ihre Bestände erweitert haben könnten. Fünf Bücher aus seiner Bibliothek gingen zwischen 1152 / 1739 und 1162 / 1749 in den Besitz Muḥammad b. Ḫalīl al-Baġdādīs (1125 / 1713 – 1173 / 1759–60)506 über. Selbst erst 1150 / 1737 nach Damaskus gekommen, kann er den 1140 / 1727 Verstorbenen nicht mehr persönlich gekannt haben. Dennoch erwähnt er seinen Namen als Vorbesitzer in den fünf Büchern, in denen al-Muḫallalātī nur zweimal einen eigenen Besitzereintrag hinterlassen hatte. In vier dieser Einträge erwähnt er außerdem eine dritte Partei, mit deren Hilfe er das Buch erwerben konnte: drei Mal (Beirut AUB MS 297.207:I132; Berlin Wetzstein I 8, 173) geschah dies im Jahr 1162 / 1749 durch seinen eigenen Lehrer ʿAbdallāh al-Buṣrawī (1097 / 1686 – 1170 / 1757), ein Mal 1152 / 1739 durch Muḥammad al-Maktabī (Berlin Wetzstein II 1448), von dem er bereits im Jahr 1150 / 1737, also gleich nach seiner Ankunft in Damaskus, ein Buch gekauft hatte (Dublin CBL Ar 3032). Ein solch langer Zeitraum zwischen dem Ableben des Vorbesitzers, der Versteigerung seiner Bücher und dem Kauf findet sich auch in Berlin Ms.or. oct. 3883, welches Muḥammad b. Ḫalīl al-Baġdādī 1164 / 1751 aus dem Nachlass des bereits 1156 / 1743 verstorbenen Amīn Ibn al-Ḫarrāṭ kaufte, jedoch den Verkäufer nicht angab. Interessanterweise wurde Dublin Chester Beatty Ar 3032, welche Baġdādī von Muḥammad al-Maktabī kaufte, vom 1143 / 1730 verstorbenen Bruder Amīns, Ṣādiq Ibn al-Ḫarrāṭ, besessen. In beiden Fällen könnte man also spekulieren, dass ein Buchhändler, Muḥammad al-Maktabī, die Handschrift aus dem jeweiligen Nachlass der Ibn al-Ḫarrāṭ-Brüder erwor- ben hatte und dann erst Jahre später verkaufen konnte. Auffällig ist in diesen Fällen vor allem die Erinnerung an den lange verstorbenen Vorbesitzer, deren Kenntnis al-Baġdādī wohl jeweils vom Buchhändler haben musste.

2.12 Handschriften im Zeitalter des Buchdrucks: Die Rifāʿīya als Abbild einer untergehenden Buchkultur

„. . . die Buchdruckerkunst, das Schießpulver und der Kompass. Diese drei haben die Gestalt der Dinge und die menschlichen Zustände auf der Erde verändert.“507 Wie nicht nur diese berühmten Worte des englischen Staatsmanns und Philosophen Francis Bacon (1561–1626) verdeutlichen,

sehr hohen Alter müssten aber auch hier wieder sehr viele Jahre zwischen Versteigerung und letztendlichem Verkauf gelegen haben. 506 Murādī: Silk IV, S. 55. 507 Bacon: Neues Organon, Buch I, Art. 129, S. 179. Die Umwelt der Rifāʿīya 281 wurde die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in seiner geschichtlichen Bedeutung selten unterschätzt. Für die Buchgeschichte des Nahen und Mittleren Ostens gewinnt das Bacon’sche Dreigestirn der Moderne eine vollkommen neue Dimension. Während man nämlich in diesen Regionen das Schießpulver und den Kompass früher als die nordwestlichen Nachbarn einführte, teilweise zu deren technischer Entwicklung beitragen konnte, und während man sogar sehr früh den Druck mit Holzschnitten praktizierte,508 hat doch der durch Gutenberg in Europa eingeführte Buchdruck mit beweglichen Lettern hier bis in das 19. Jahrhundert nicht Fuß zu fassen vermocht. Mit dieser technischen Neuerung beginnen sich die Buchkulturen schon rein quantitativ auseinanderzuentwickeln. Man schätzt, dass in der Zeit des Wiegendrucks, also den rund fünf Jahrzehnten zwischen dem ersten Druck durch Johannes Gutenberg und dem Jahr 1501, etwa 30.000 Titel mit einer jeweiligen Auflage von 300 bis 400 Einheiten, mithin also zwischen neun und zwölf Millionen Bände produziert wurden!509 Doch die Bewertung des Buchdrucks wird viel zu oft auf die Frage der bloßen Zahlen verkürzt. Durch die Schnelligkeit sowie die theoretisch grenzenlose und exakte Reproduzierbarkeit von Texten muss man damit zusammenhängend auch sich neu entwickelnde Marktmechanismen in den Blick nehmen: Das Aufkommen der Verlage übernahm die Verantwortung für die Verbreitung neuer Literatur von den Autoren. Zentren der überregionalen Verbreitung neuer Literatur wie etwa die großen Buchmessen konnten sich entwickeln. Auf dieser institutio- nellen Basis wurde ein zeitnaher wissenschaftlicher Austausch als Grundlage der Forschung – in idealer Weise verkörpert seit dem 18. Jahrhundert in Form der Zeitschriftenliteratur – überhaupt erst möglich. Von all diesen Entwicklungen war die Welt der Rifāʿīya also weit entfernt. Sie war noch ganz ein Abbild der alten Zeit der Handschriftenkultur. Nach allem was wir wissen fand sich kein einziger Druck in ihren Bücherschränken. Doch begann sich diese Buchkultur des Manuskripts in den letzten Jahrzehnten ihrer Existenz bereits stark zu ändern und das gedruckte Buch wurde auch in Damaskus zunehmend präsenter. Die Zentren dieser Entwicklung zu einem vom Druck dominierten Buchmarkt lagen freilich anderswo. Ägypten spielte früh eine Vorreiterrolle, wobei der oft zitierten Druckerpresse Napoleons. tat- sächlich keine Wirkung zugeschrieben werden kann, offizielle Anstrengungen im Zuge der Reformbemühungen unter Muḥammad ʿAlī jedoch schon sehr bald nach der französischen Besatzung begannen. Die berühmte 1235 / 1819– 20 ins Leben gerufene Presse von Būlāq brachte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in zunehmender Frequenz offizielle und literarische

508 Vgl. etwa Schaefer: Arabic printing. 509 Jochum: Kleine Bibliotheksgeschichte, S. 82. 282 kapitel 2

Publikationen hervor. In diesem Punkt scheint die ägyptische Besatzung Syriens jedoch keine Spuren hinterlassen zu haben. Zwar brachten die Ägypter eine Steindruckpresse für administrative Zwecke nach Damaskus und sollen auch einige Schulbücher für neu zu gründende Schulen importiert haben, doch eine eigene Drucktradition etablierten sie nicht.510 Zwei Jahre nach dem Verkauf der Rifāʿiya findet sich mit der privaten Druckerei Ḥannā ad-Dūmānīs der erste zaghafte Versuch, der jedoch in 10 Jahren nur zwei christlich-religi- öse Titel herausbrachte und erst 1864 von einer offiziellen Provinzdruckerei gefolgt wurde.511 In den syrischen Ländern begann eine ernstzunehmende Drucktätigkeit hingegen an der Küste des heutigen Libanon, wo es bereits seit dem 18. Jahrhundert vereinzelte und im Umfang beschränkte Versuche in Klöstern gegeben hatte.512 Auch im Zentrum des Osmanischen Reiches wur- den Drucke neben Handschriften immer wichtiger. Im Jahr 1270 / 1853, also als in Damaskus die Rifāʿīya verkauft wurde, stiftete mit dem šaiḫ al-islām ʿĀrif Ḥikmet ein Mann aus dem Zentrum die bis heute bestehende Bibliothek sei- nes Namens in Medina. Sie soll gegen 6.000 seiner aus 10.000 Bänden beste- henden Privatbibliothek beinhaltet haben. Der Stifter war einer der höchsten Religionsbeamten des Osmanischen Reiches, Oberrichter in Ägypten und Medina, Naqīb al-Ašrāf des Reiches, dann šaiḫ al-islām. Über 2.000 dieser Bücher sollen bereits Drucke gewesen sein.513 Gedruckte Bücher waren auch im syrischen Inland nicht vollkommen unbekannt. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts berichten die englischen Russell-Brüder aus Aleppo über die dortigen Ärzte: “few of them are tolerably versed in the cannon of Avicenna, though manuscripts of that work are far from being scarce at Aleppo, and the printed Roman editions are very common.”514 Der Vertrieb dieser und anderer Erzeugnisse italienischer Druckerpressen durch venezianische Händler wurde von Sultan Murād III. bereits 996 / 1588 ausdrücklich erlaubt.515 Nicht immer musste es der Buchdruck mit beweglichen Lettern sein. Weit verbreitet war, besonders wegen seiner Möglichkeiten der kalligraphischen Reproduktion, im 19. Jahrhundert auch der Steindruck. Ein Lehrer Alfred von

510 Nuʿaisa: Muǧtamaʿ madīnat Dimašq II, S. 398. 511 Glass: Die nahḍa und ihre Technik, S. 65. Eine ebenfalls sehr kurzlebige hebräische Druckerei soll es in Damaskus bereits im Jahr 1603 gegeben haben, vgl. Ben Naʾ‌eh: Hebrew printing houses, S. 75. 512 Walbiner: Die Protagonisten des frühen Buchdrucks. 513 Sāʿātī: al-Waqf, S. 52–54. 514 Russell: Natural history II, S. 121. 515 Vgl. Berger: Zur Problematik, S. 17. Die Umwelt der Rifāʿīya 283

Kremers während dessen dreimonatigem Aufenthalt in Aleppo hat den Dīwān von Ibn al-Fāriḍ, dem nach seiner Erfahrung beliebtesten Dichter der Region, dessen Poesie überall gesungen wurde, in dieser Stadt als Steindruck herausge- geben.516 In der Rifāʿīya hingegen finden wir den Dīwān nebst zwei kompletten Kommentaren des Werkes in drei Handschriften. Das Beharren an überkommenen Buchformen und die lange Ablehnung der technischen Neuerung hatten also andere Gründe als die Unkenntnis dieser Techniken. Stattdessen reichten sie in ihrer Vielfalt von Ästhetik über einen hohen Stellenwert oraler Texttradition bis hin zu ökonomischen Gesichtspunkten.517 Es war einerseits die bewusste Entscheidung für ein Wissenschaftssystem, das den Buchdruck mit seinem Anspruch der mecha- nischen Reproduzierbarkeit einer autoritativen Textgrundlage als große Herausforderung seiner auf der Autorität mündlicher Überlieferung und Korrektur fußenden Arbeitsweise ansehen musste. Andererseits konnte die handschriftliche Kopie auf einem kleinen Buchmarkt auch in ökonomischer Hinsicht durchaus mit dem Druck mithalten.518 Fleischer selbst musste dies im Falle seiner Ausgabe des Korankommentars von Baiḍāwī erleben. Wetzstein hatte ihm bereits im September 1849 in sei- ner etwas zur Selbstüberschätzung neigenden Art berichtet: „Einen äuße- ren Anstoß zu wissenschaftlichen Studien hat man hier nicht. Es gibt keine Manuscripte, keine Gelehrten, keine Wissenschaft hier, ganz wie ich es mir im Voraus vorgestellt hatte. Mein Beidhawi ist das Orakel der Moslemen in -ich hier in den Stand gesetzt, mit Glanz auf قzweifelhaften Fällen, und wäre Versammlungssaal) bald der Versammlungsort) ��ا ع�ه zutreten, so würde meine � ن � bin ich allenthalben bekannt.“519 ا ل����حو �ي� der hiesigen Notabilitäten sein. Als Fleischer las aus diesen sowohl für Sender wie Empfänger schmeichelhaften Sätzen sogleich heraus, dass sein gerade erschienenes Buch als „das Orakel der Moslemen in zweifelhaften Fällen“ gute Chancen auf dem syrischen Markt haben könnte und wies seinen Leipziger Verleger Vogel per Billet sofort an, den Export des Werkes zu lancieren. So ließ er in mindestens zwei Sendungen einmal 13 und einmal 9 Exemplare nach Damaskus expedieren. Wetzstein sah sich dann jedoch außerstande, die Bücher allesamt an den Mann zu bringen. Hierfür machte er aber nicht Mißtrauen der Technik gegenüber, sondern den

516 von Kremer: Mittelsyrien, S. 140–141. 517 Zur Frage des Festhaltens an der Handschrift vgl. Berger: Zur Problematik; zur Geschichte des Buchdrucks in Syrien vgl. Glass: Die nahḍa und ihre Technik. 518 ʿAbdallāh Zāḫir hat als Kopist deutlich weniger Geld bekommen als er für die von ihm in Šuwair gedruckten Bücher verlangte; Heyberger: Livres et lecture, S. 216–217. 519 NL Fleischer Kopenhagen, Wetzstein an Fleischer, Damaskus 14. September 1849. 284 kapitel 2 hohen Preis verantwortlich.520 Für ihn, der die Bücher tatsächlich auf eigene Rechnung vertrieb, war die Angelegenheit ein Verlustgeschäft, er hatte bei sei- ner Abreise aus Syrien 1860 noch sieben Bände übrig und die wenigsten der anderen tatsächlich verkauft. Das meiste verschenkte er stattdessen und stif- tete sogar ein Exemplar an die Bibliothek des Klosters Dair al-Muḫalliṣ in Ṣaidā, die von seinem zeitweiligen Konkurrenten Anṭūn Būlād verwaltet wurde. Einige der direkt mit der Rifāʿiya in Verbindung stehenden Menschen ver- körpern die Umwälzungen der Buchkultur in ihren Biographien. Sie wurden geboren in eine Welt der Handschriften und wuchsen in eine mehr und mehr durch Drucke geprägte neue Medienlandschaft, die sie teilweise mitzugestal- ten halfen. Bereits 1855 gibt Wetzsteins Handschriftenbeschaffer und Mitbieter um die Rifāʿīya, Anṭūn Būlād, die Übersetzung einer jesuitischen Philosophie von Sigismund Storchmann (1731–1797) in Damaskus als Lithographie heraus,521 15 Jahre nach dem Verkauf der Rifāʿīya druckt er dann ein historisches Kompendium zur Geschichte von Damaskus mit beweglichen Typen522 und will nach der Plünderung des Klosters Dair al-Muḫalliṣ im Jahr 1868 auch sei- nen Katalog der dortigen Bibliothek als eine Art Steckbrief verlorener Bücher drucken lassen.523 Der als Leser und Besitzer vier Mal in der Rifāʿīya nachweis- bare Amīn Zaitūna (geb. 1237 / 1821–22) wurde viele Jahre nach deren Verkauf einer der frühen Damaszener, die ihre literarische Aktivität in die Form einer gedruckten Edition brachten.524 Der Einzug des gedruckten Buches in die Lehre selbst an den altehrwürdigsten Plätzen wird deutlich an einer 1314 / 1896 in Būlāq gedruckten Ausgabe der Tuḥfat al-murīd ʿalā Ǧauharat at-tauḥīd Ibrāhīm al-Bāġūrīs. Das Buch wurde von seinen Lesern nicht anders behandelt als ein Manuskript und gibt auf dem Titelblatt in einigen Notizen Informationen über seine Geschichte. Gleich nach seinem Erscheinen nahm ein Student es mit in die Umayyadenmoschee, wo der Text vor dem alten šaiḫ ʿAbd al-Qādir

520 NL Wetzstein Berlin: NL I – Kasten I, F Deutscher Handel mit Syrien: F. C. W. Vogel, Wetzstein an Vogel, Berlin 14. April 1868: „Den für dortige Verhältnisse exorbitanten Preis des Buches erhielt ich baar nur für 1 Ex., welches an einen Gouverneur von Damask verkauft wurde. Mehrere vertauschte ich gegen andere Bücher oder verschenkte ich an Freunde.“ Wetzstein handelte übrigens auch andere Werke des Vogelschen Verlagshauses, die Korankonkordanz Gustaf Flügels und eine Ausgabe der Muʿallaqāt. 521 Graf: Geschichte III, S. 257. 522 Rāšid Sūrīyā. O.O. 1285 / 1868. 523 Būlād: Muḏakkirāt, passim. 524 Socin: Die Dîwâne, passim. Socin war mit Amīn Zaitūna, der ihm als Buchhändler diente (Halle DMG arab. 99 hat er von ihm erworben), bekannt, als er im Jahr 1869 Damaskus besuchte. Seine Eindrücke von ihm schildert er ebd., S. 667–668. Die Umwelt der Rifāʿīya 285 al-Usṭuwānī (1249 / 1833–34 – 1314 / 1897)525 noch wenige Tage vor dessen Tod gelesen wurde.526 Dieser Mann hatte aber bereits in jungen Jahren eine große Sammlung von Handschriften angelegt, aus den ersten 25 Jahren seines Lebens (zwischen 1262 und 1274) finden sich in Berlin, Damaskus, Leipzig und Tokio 35 Bände. Von dem gerade einmal 20-jährigen gelangten nicht weniger als 11 Bücher noch kurz vor ihrem Verkauf in die Rifāʿīya. Eine reine Handschriftensammlung wie die Rifāʿīya hat ihren Wert frei- lich nicht verloren, dieser hatte sich aber grundlegend verändert. Aus einem Arbeitsinstrument zur Sammlung, Repräsentation und Abrufung eines aktuellen Bildungskanons wurde in vielen Punkten ein antiquarisches Liebhaberstück. Die Funktionalität einiger Themenbereiche als praxisori- entiertes Arbeitsinstrument war dabei gar nicht unbedingt eingeschränkt: Der Koran, Traditionssammlungen oder Gebetbücher in handschriftlicher Form waren immer noch in gleicher Weise zu benutzen. Doch Bereiche wie die Naturwissenschaften gingen einen anderen Weg, vieles war mit einem Schlag inhaltlich und strukturell überholt. Institutionell waren es die neuen Schulen, die schon beginnend mit der ägyptischen Besatzungszeit in den 1830er Jahren neue inhaltliche Schwerpunkte vermittelten. Die in Būlāq gedruckten Übersetzungen medizinischer und militärischer Werke oder die in Beirut im Umfeld der amerikanischen Missionare verfassten Einführungen in viele naturwissenschaftlichen Themen wurden durchaus auch weiterhin noch handschriftlich tradiert, sind aber für die Presse geschrieben. Als der spätere amerikanische Konsul in Damaskus, Mīḫāʾīl Mišāqa in den 1830er Jahren in Damaskus Medizin lernt, war sein Lehrer der Franzose Clot Bey und seine Lektüre die in Ägypten gedruckten Übersetzungen europäischer medizini- scher Werke.527 Diese Literaturbereiche waren von nun an der Kompetenz der Religionsgelehrten weitgehend enthoben. Die Rifāʿīya hörte damit auf, eine Universalbibliothek zu sein. Ihre Erhaltung in der ursprünglichen Form ist die Erinnerung an eine Gelehrtenwelt, die zum Zeitpunkt ihres Verkaufes immer noch existierte, aber keinen Absolutheitsanspruch mehr besaß.

525 Er wird erwähnt in der Biographie seines Vaters in ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 191–192 und hat seine eigene Biographie ebd., S. 366; Schatkowski-Schilcher: Families in politics, Familienstammbaum zw. S. 180 und 181. 526 Ich konnte den Band im September 2011 im Antiquariat Gothow und Motzke, Friedelstr. 52, 12047 Berlin, einsehen und ein Foto des Titelblattes anfertigen. Sein jetziger Aufbewahrungsort ist mir jedoch unbekannt. 527 Mišāqa: Murder, mayhem, pillage, and plunder, S. 193. kapitel 3 Die Leser

3.1 Lesen – (K)ein Privileg der ʿulamāʾ?

Die Rifāʿīya zeigt keine sicheren Spuren einer größeren Öffentlichkeit, die über den Kreis von Familie und Freunden hinausgegangen wäre. In ihr enthaltene und spät zu datierende Leseeinträge setzen nicht unbedingt voraus, dass ein Buch vom Leser als Teil der Rifāʿīya und nicht etwa in einem anderen Kontext gelesen oder gar selbst besessen wurde. Da wir auch nie mit letzter Sicherheit sagen können, wann eine bestimmte Handschrift in die Rifāʿīya gekommen ist, nur im Idealfall einen terminus post quem ausmachen können, kann kein Leser zweifelsfrei mit der Bibliothek in Verbindung gebracht werden. Deshalb wird sich dieser Teil der Studie nicht mit den Lesern einer bestimmten Bibliothek, sondern generelleren Fragen beschäftigen müssen, die sich im Idealfall auf Material aus der Rifāʿīya stützen können. Es kann nicht überraschen, dass nach dem hier untersuchten Material die überwiegende Mehrzahl der identifizierten Buchbesitzer und – leser in den Kreis der traditionellen Rechts- und Religionsgelehrten (ʿulamāʾ) gezählt werden muss. Als Gruppe haben diese Gelehrten jedoch kein scharfes Leser- Profil. Ihr Bildungshorizont und ihre Interessen sind praktisch unbegrenzt. Dies zeigt sich nicht nur im Feld der Literaturrezeption, sondern nicht zuletzt auch an deren Produktion. Unabhängig vom spezifischen Genre, die arabische Literaturgeschichte der osmanischen Zeit wird beherrscht von der Produktion der Gelehrten. Das Schreiben wissenschaftlicher Werke setzte literarische Fähigkeiten voraus, die kaum anders als über den Weg eines traditionellen Studiums mit Fokus auf Rechts-, Religions- und Sprachwissenschaften zu erlangen waren. Die Geschichtsschreibung war ohnehin eine ihrer Domänen, in die erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes Nicht-Gelehrte, jedoch nur sporadisch und anscheinend ohne durchgreifenden Erfolg auf dem Buchmarkt einbrachen. Ein geachteter Traditionarier der späten Mamluken- und frühen Osmanenzeit in Damaskus konnte gleichermaßen auch mit medi- zinischen Werken hervortreten.1 Im 18. Jahrhundert schrieben mit ʿAbd al-Ġanī

1 Ibn Mibrad Kitāb fī l-adwīya und Funūn al-manūn fī l-wabāʾ wa-ṭ-ṭāʿūn (über Epidemien; Bodleian MS. Ouseley 105; vgl. Savage-Smith: Catalogue, No. 223, S. 751–753).

© koninklijke brill nv, leiden, ���6 | doi ��.��63/9789004314894_005 Die Leser 287 an-Nābulusī2 und Muḥammad b. ʿĪsā Ibn Kannān3 gleich zwei als Mystiker aktive Männer aus dem Kreis der ʿulamāʾ Werke über Landwirtschaft, indem sie das Werk eines weiteren Damaszener ʿālims kompilierten und kommentier- ten, was wiederum die Bearbeitung von Nābulusīs Werk durch einen weiteren Religionsgelehrten anregte.4 Dabei muss man nicht unbedingt immer davon ausgehen, dass Gelehrte wie diese dem Spezialwissen von Praktikern nur eine literarische Form gaben, hatten doch viele von ihnen als Verwalter von Stiftungsland, agrarisch aktive Grundherren, gelernte Händler oder Handwerker durchaus Einblicke, die über bloßes Buchwissen hinausgehen mochten.5 Einige Wissenschaftsfelder wurden sicher von niemandem unter ihnen vernachläs- sigt, da sie den normalen Studiengang charakterisierten (Koranwissenschaften, Tradition, Grammatik, Recht), andere waren stärker von persönlichen Vorlieben oder Spezialinteressen geprägt. Universelle Bildung scheint auch in den biographischen Lexika öfters auf und war unter den Bedingungen einer Handschriftenkultur generell einfacher zu verwirklichen. Das Fehlen des Buchdrucks aber auch die in Madrasen konzentrierte wissenschaftli- che Lehre hatte eine beschränkte Menge zirkulierender Literatur ebenso zur Folge wie offenbar die Dominanz fachfremder, aber als literarische Produzen­ ten anerkannter Autoren. Inwieweit solche literarisch-wissenschaftlichen Produkte der Religionsgelehrten, die oft nicht aus der Empirie, sondern aus dem Zusammentragen von Zitaten anderer Gelehrter schöpften, auch außer- halb dieser Kreise rezipiert wurden, wird besonders in der Behandlung der Ärzte als Leser näher zu zeigen sein, entzieht sich aber in vielen Punkten wei- terhin unserer Kenntnis. Jedoch ist Buchbesitz nicht der einzige Weg, einen Text zu rezipieren. Untersuchungen vorosmanischer iğāzāt- und samāʿāt-Vermerke haben gezeigt, dass öffentliche Lesungen auch sehr wissenschaftlicher Literatur innerhalb religiöser Institutionen großen Teilen der männlichen und zu einem weit geringeren Teil auch der weiblichen Bevölkerung von Damaskus Zugang zu Texten erlaubt hat.6 Inwieweit diese Zuhörer auch Leser sein konnten, also selbst über Schriftkenntnisse verfügten, muss in vielen Fällen zweifelhaft

2 al-Malāḥa fī ʿilm al-filāḥa, Berlin Landberg 456 (Ahlwahrdt: Verzeichnis, Nr. 6209). 3 al-Bayān wa-ṣ-ṣarāḥa bi-talḫīṣ Kitāb al-Malāḥa fī ʿilm al-filāḥa, Berlin Wetzstein II 1740 (Ahlwahrdt: Verzeichnis, Nr. 6211). 4 ʿUmdat aṣ-ṣināʿa fī ʿilm az-zirāʿa von ʿAbd al-Qādir al-Ḫulāṣī, der jedoch aus einer bekannten Familie von Ärzten stammte, Berlin Wetzstein II 1710 (Ahlwardt: Verzeichnis, Nr. 6210). 5 Tätigkeiten im Bereich Handwerk, Landwirtschaft und Handel werden von MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 376–381 zusammengetragen. 6 Vgl. etwa jüngst Hirschler: The written word, S. 37–51. 288 kapitel 3 bleiben. Die Praxis der großen öffentlichen und allgemein zugänglichen Lesungen wissenschaftlicher Texte, also in Abgrenzung von der Predigt, scheint allerdings bereits in mamlukischer Zeit beträchtlich abgenommen zu haben und findet sich in osmanischer Zeit nur noch äußerst selten in den Quellen. Öffentliche Lesungen für eine breitere Masse dürften danach meist auf epische Werke, Poesie und erbauliche Literatur beschränkt gewesen sein und fanden mit dem im Laufe des 16. Jahrhunderts aufkommenden Kaffeehaus auch eine neue Bühne. Wer hat also nicht nur gehört, sondern auch gelesen in der Welt der Rifāʿīya? Zur Beantwortung dieser Frage wären grundsätzliche Erkenntnisse über den Anteil der Alphabetisierung in der syrischen urbanen und vor allem auch ländlichen Bevölkerung eine unabdingbare, jedoch kaum zu realisierende Voraussetzung: Weder absolute Zahlen noch relative Entwicklungen über den Zeitraum der Untersuchung lassen sich mit einiger Sicherheit angeben.7 Die wenigen Hinweise von Reisenden, die generell einen hohen Anteil an Analphabeten ausmachen,8 müssen immer darauf hinterfragt werden, wie gut die jeweiligen Berichterstatter informiert sein konnten. Ob es im Vergleich zu den bei Hirschler zusammengetragenen Angaben, welche eine Ausweitung der gestifteten Primärschulen in spätmamlukischer Zeit und vor allem in Kairo dokumentieren,9 gravierendere Veränderungen in der osmanischen Periode gegeben haben sollte, kann mit den vorhandenen Quellen nicht nach- vollzogen werden. Und selbst wenn wir statistische Angaben zur Verbreitung von Schulen und deren Frequentierung machen könnten, wäre dies noch keine qualitative Aussage zur Lehre und ihren Inhalten. Ulrich Jasper Seetzen beobachtet in Aleppo Schulen, die kaum mehr als das rudimentäre Lesen von Gebeten vermitteln und hat einen aufgeweckten und literarisch interessierten

7 Einen generellen Überblick über unsere Kenntnisse von der Alphabetisierung jenseits der Gelehrten in der gesamten „islamischen Welt“ zwischen 1300 und 1800 und methodische Überlegungen zur Funktionalität von aktiver und passiver Schriftbeherrschung gibt Hanna: Literacy and the ‘Great Divide‘; speziell für das osmanische Kairo noch einmal aufgegriffen in Dies.: Literacy among artisans and tradesmen. 8 Seetzen sieht am Beginn des 19. Jahrhunderts in der christlichen Gemeinde von Aleppo eine nur sehr ungenügende Schulbildung und überwiegendes Analphabetentum bei Handwerkern, Tagelöhnern und ähnlichen Berufsgruppen sowie generell bei Frauen; vgl. Seetzen: Tagebuch des Aufenthalts in Aleppo, S. 230. Der britische Arzt von Lady Hester Stanhope berichtet über das System, Kinder nicht für eine bestimmte Zeit in die Schule zu schicken, sondern den Lehrer nach Erreichen vorher festgesetzter Lernziele zu bezahlen, [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope II, S. 230. 9 Vgl. Hirschler: The written word, S. 82–123. Die Leser 289

Bediensteten, der dennoch trotz 12 Jahren in der Schule kaum lesen und schrei- ben kann.10 Die aus den Handschriften zusammengetragenen Zeugnisse geben, bei aller gebotenen Vorsicht, zumindest einige Hinweise. In der hier untersuchten osmanischen Periode finden wir mehr und mehr auch eigenhändige Zeugnisse offensichtlich weniger gebildeter Leser in den Büchern, die von individuel- len Leseerlebnissen außerhalb institutionalisierter Massenveranstaltungen künden. Auf ihren Bildungshorizont lässt dabei kaum mehr als die ungeübte Handschrift oder die fehlerhafte Grammatik und Orthographie schließen. Einige wenige Gruppen scheinen darüber hinaus in ausreichendem Maße identifizierbar zu sein, so dass sie eine gesonderte Untersuchung erlauben: Ärzte, Militärs, religiöse Minderheiten und Frauen. Dabei sind nur die Frauen vollständig zu erfassen, da ihre Namen sie immer eindeutig identifizieren. Alle anderen konnten nur sicher ihrer jeweiligen Gruppe zugeordnet werden, wenn sie sich in ihren Einträgen etwa durch Titel oder exklusiv christliche und jüdi- sche Namen ausdrücklich identifizierten, was bei weitem nicht immer der Fall war. Ausdrücklich soll hier aber ein onomastischer Ansatz vermieden werden, wie er jüngst mit einigem Erfolg für serielle Untersuchungen auch aus dem Bereich der Bücherlesungen angewandt wurde. Dieser Ansatz geht davon aus, dass der arabische Namensbestandteil nisba im Falle der Berufsbezeichnungen in der Regel auf tatsächlich ausgeübte Berufe verweist.11 Muss man diese Annahme schon für die vor-osmanischen Perioden immer wieder kritisch hin- terfragen, so scheint sie im osmanischen Damaskus kaum mehr tragbar. Die Kategorisierung von Menschen, wie sie in den folgenden Kapiteln ver- sucht wird, ist ein methodisch fragwürdiges Unterfangen, dessen Ergebnisse nicht ohne weiteres verabsolutiert werden können. Komplexe Biographien mit unterschiedlichsten sozialen Bezügen in ein analytisches Raster einzu- ordnen bedeutet, diese Personen auf eine Facette ihrer gesellschaftlichen Persönlichkeit zu reduzieren oder Gruppenzugehörigkeiten und -loyalitäten anzunehmen, die den so charakterisierten vielleicht gar nicht bewusst oder nicht in gleichem Maße wichtig waren. Das Tragen eines militärischen Titels muss nicht auf eine tatsächliche Karriere als kämpfender Soldat schließen lassen, der Inhaber eines Militärlehens konnte sich auf seine akademischen Interessen konzentrieren, wie das im vorliegenden Korpus etwa für Aḥmad

10 Seetzen: Tagebuch des Aufenthalts in Aleppo, S. 230. 11 Dieser Ansatz liegt der Analyse der Teilnehmer der öffentlichen Lesungen im ayyubidi- schen und mamlukischen Damaskus zu Grunde, welche die Hauptquelle für Hirschlers Darstellung der lesenden Stadtbevölkerung darstellt, vgl. die methodischen Überlegungen bei Hirschler: The written word, S. 34–35. 290 kapitel 3 as-Salāmī Ibn Aġrībūzī bezeugt ist (s.u.). Ein praktizierender Arzt konnte die formale Ausbildung der Religionsgelehrten durchlaufen haben, ja er konnte sogar entsprechende religiöse Ämter bekleiden. So werden in den nachfol- genden Kapiteln einige Namen mehrmals auftauchen, da ein christlicher Arzt neben möglicherweise vielen anderen Dingen eben ein Christ genauso wie ein Arzt war. Im vorliegenden Fall ist die Arbeit zusätzlich erschwert durch einen Mangel an Informationen. Nur im Falle der bekannteren Religionsgelehrten, die generell über die biographischen Hilfsmittel zu identifizieren sind, wis- sen wir etwas mehr über deren jeweiliges Leben. Und auch dieses ist selbst in der Form literarischer Stilisierung oft nicht eindimensional dargestellt. Einige Gelehrte betrieben zumindest zeitweilig ein Handwerk, viele verdien- ten ihren Lebensunterhalt als Fernhändler,12 besonders die Nachkommen aus den großen arrivierten Gelehrtendynastien verwalteten erheblichen Besitz an Immobilien und landwirtschaftlichen Flächen. In den übrigen Fällen sind wir auf die Informationen angewiesen, welche die Besitzer und Leser selbst in ihren Einträgen geben. Und diese können sehr zu wünschen übrig lassen. Wird man die Ergebnisse dieser Untersuchung also mit aller gebotenen Vorsicht einzuordnen haben, so kann man ihre Durchführung doch nicht mit dem Hinweis auf ihre Unsicherheit zurückweisen. Vielmehr scheint sie ihren heuristischen Wert dadurch zu bestätigen, dass sie auch bei unsicherer Datenlage teilweise sehr kohärente Gruppenprofile zutage bringt, die zumin- dest als Wegweiser ernst zu nehmen sind.

3.1.1 Neue Leser? Von Händlern, Barbieren und Handwerkern Andere Gruppen als die Gelehrten sind zwar literarisch schwer fassbar, haben aber im hier untersuchten Korpus doch fühlbare Spuren in der Form und demographischen Zusammensetzung der Sekundäreinträge hinterlassen und merklich dazu beigetragen, dass die Rifāʿīya im 19. Jahrhundert wohl in einer gänzlich anderen literarischen Umwelt existierte als Bibliotheken in voraufge- gangenen Jahrhunderten, ja dass sie selbst inhaltlich ihr Gesicht änderte.

12 Die Grenzen verschwimmen etwa bei Makkī b. Saʿīd b. Yāsīn al-Ǧūḫī (gest. 1192 / 1772; vgl. Murādī: Silk IV, S. 143–153), der als Besitzer mehrerer Handschriften bekannt ist (Berlin Landberg 35; Berlin Wetzstein II 75; Damaskus Ẓāhirīya 3309 adab 387; Leipzig Vollers 93; Tübingen MA VI 49, 60). Er war besonders als Dichter und adīb geschätzt und schriftstelle- risch produktiv, studierte auch religiöse Wissenschaften und fiqh, doch seinen immensen Reichtum verdiente er als Händler (muštaġilan bi-l-mutāǧara wa-l-iktisāb minhū). Bereits sein Großvater Yāsīn, der die Familie von Aleppo nach Damaskus übersiedelte, stieg im Ḫān al-Ǧūḫīya (daher der Familienname) ab, um Handel zu treiben, war aber anschei- nend ebenfalls ein geschätzter Gelehrter, so dass der Mufti der Stadt, der ebenfalls aus Aleppo stammende Aḥmad al-Mihmandārī, ihn sogleich unterstützte und zu sich holte. Die Leser 291

Wollen wir den durch ihren langen Aufenthalt und viele soziale Kontakte zur Bevölkerung gut informierten Russell-Brüdern glauben, so drängten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die reichen Händler von Aleppo mit gan- zer Macht auf die Bühne des Buchmarktes, der vorher eine reine Domäne der Religionsgelehrten war.

It has of late become a fashion among the opulent merchants to collect books, and as they are treasured up with great care, it is impossible to procure the loan of them, and difficult even for persons to obtain access to consult them. The fashion in the mean while (founded on the mere pride of possession) has greatly raised the value of manuscripts; for the Sheihs, who used formerly to be almost the only bidders at auctions, and who are unable to contend with rich competitors, are now in a great mea- sure excluded as purchasers.13

Ob die Motive der Händler tatsächlich nur materiell gewesen sein sollen, wie es die englischen Ärzte unterstellen, sollte zumindest hinterfragt werden. Die hier beschriebene Veränderung in Leserschaft und Marktverhalten lässt sich in den bisher untersuchten Einträgen auch nicht in dieser Klarheit nachvoll- ziehen. Die traditionellen Gelehrtenkreise bleiben weiterhin die hauptsäch- lichen Rezipienten aller Arten von Büchern. Und auch in den arabischen literarischen Quellen, die für Aleppo freilich sehr viel spärlicher fließen als für Damaskus, lesen wir nicht von großen Bibliotheken der reichen Händler. Das sehr viel besser durch Chroniken erschlossene Kairo bietet hingegen eine höchst interessante Ausnahme mit der Familie Šarāyibī, im Kaffeehandel zu extremem Reichtum gelangt, deren Residenz im 18. Jahrhundert anscheinend zu einer Art kulturellem Hofstaat mit großer Anziehungskraft für Dichter, Gelehrte und hohe Militärs wurde. In dieser Residenz fand sich nach unse- ren Quellen auch eine einzigartige Bibliothek, für welche die Šarāyibīs große Summen aufwendeten und deren Bücher sehr freigiebig an Studenten und Gelehrte verliehen wurden. Dabei wurden die Bände nicht gestiftet oder durch Verwaltungspersonal beaufsichtigt, so dass auch niemand die Ausleihe über- wachte oder sich darum kümmerte. Wer ein Buch benötigte, bediente sich einfach, sogar ein Weiterverkauf durch den Entleiher wurde billigend in Kauf genommen. Da ständig neue Bücher gekauft wurden, sollen einige der ausge- liehenen und nicht wieder zurückgegebenen Bände von den Šarāyibīs sogar

13 Russell: Natural history II, S. 95. 292 kapitel 3 mehrmals gekauft worden sein.14 Diese öffentliche Rolle einer Privatbibliothek ist in der gleichen Zeit für Damaskus oder Aleppo nicht dokumentiert. Auf jeden Fall aber beobachten wir parallel dazu in den syrischen Ländern etwa seit dem 18. Jahrhundert tatsächlich das verstärkte Auftreten neuer Leser, die ihre Einträge offensichtlich mit einem gänzlich anderen Bildungshintergrund verfassten. Wenn etwas diese Leser als Gruppe vereint und gegen die traditionellen Gelehrten absetzt, so ist es die Schwierigkeit, sie mit Hilfe der üblichen biographischen Hilfsmittel zu identifizieren. Ein möglicher Weg, sich diesen Menschen dennoch zu nähern, führt über ihre Namen. Namen setzen sich aus Titeln, Ehrennamen und die jeweilige Person in ihrer professionellen, spirituellen oder lokalen Zugehörigkeit beschreiben- den Appellationen (nisba) zusammen. Ob eine Appellation von einer per- sönlichen Identifikation nach Beruf oder Wohnort zu einem Familiennamen wird, entscheidet neben dem Willen ihres Trägers – dies besonders in solchen freiwilligen und selbst verfassten Äußerungen wie einem Leseeintrag – der Gebrauch über viele Generationen. Stabile Familiennamen sind daher in der Region im Untersuchungszeitraum auch keine Selbstverständlichkeit. Wenn eine Person durch eine Berufs-nisba identifiziert wird, stellt sich also immer die Frage, ob er selbst diesen Beruf ausgeübt oder als Familiennamen von einem seiner Vorfahren übernommen hat. In der hier vorzustellenden Gruppe von Lesern ist das letztere zumindest anzunehmen. Überraschend häufig fin- den wir seit dem 18. Jahrhundert – um nur einige Beispiele aus der Rifāʿīya zu nennen – Namen wie ʿAqqād (Hersteller von Bändern und Quasten),15 Ǧabbān (Käsehändler), Ṭabbāʿ (Stoffdrucker), Qahwahǧī (Kaffeehausbetreiber), Qaṣṣāṣ (Scherer),16 oder Zarābīlī (Schuhmacher). Auch militärische Titel werden mit der Zeit häufiger. Selten können wir aber einen realen Beruf hinter diesen Namen mehr als nur vermuten. Eine allzu seltene Hilfestellung findet sich in einem 1147 / 1734–35 datierten Besitzeintrag (Berlin Landberg 378, fol. 1r) eines Abū Mufliḥ Ibrāhīm, Sohn des verstorbenen Aḥmad al-Ḥallāq, der seine vie- len nisben glücklicherweise qualifizierte: So ist er Šāfiʿī nach der Rechtsschule (maḏhaban), Rifāʿī und Ḫalwatī nach dem Orden (ḫirqatan und ṭarīqatan)

14 Ǧabartī: ʿAǧāʾib al-āṯār, Bd. I, S. 340–341; vgl. auch Raymond: Une famille de grands négociants, bes. S. 119, 122. 15 Bei dem fleißigen Leser ʿAbd al-Qādir Sbānū (in der Rifāʿīya Leser von Vollers 174 im Jahr 1262) ist es klar, dass al-ʿAqqād als tatsächlicher Beruf zu verstehen ist, denn zwei Mal prä- zisiert er den Ort, an dem er ihn ausübt (Berlin Wetzstein II 547 „al-ʿaqqād ʿinda Ḥammām al-Ḫaiyāṭīn“ und Wetzstein II 682 „ʿinda Sūq al-Ḫaiyāṭīn“). 16 Wohl nicht „Geschichtenerzähler“, denn zu dieser Zeit war in Syrien dafür der Begriff ḥakawātī gebräuchlich. Die Leser 293 und eben Büchsenmacher von Beruf (al-Banādiqī ṣināʿatan). Mit diesem klei- nen, nur neun Blätter starken Traktat Talḫīṣ al-iḥrāʾ fī ḥukm aṭ-ṭalāq bi-l-ibrāʾ konnte unser Büchsenmacher nun entweder seinen möglicherweise weiter gefassten Studien juristischer Fragestellungen frönen, oder sich ganz praktisch darüber informieren, auf welche Weise man die Scheidung von seiner Frau bewerkstelligen und gleichzeitig deren Mitgift einbehalten kann. Was auch immer die Intentionen, dieser Besitzeintrag aus dem 18. Jahrhundert ist im Zusammenspiel mit den vielen anderen auf handwerkliche Berufe verweisen- den Namen ein Indiz für eine sich verändernde, sich erweiternde Leserschaft. Einen solchen sprechenden Namen oder eine nisba-Ableitung für den Beruf des Händlers gab es leider nicht. Doch erfahren wir tatsächlich von einem solchen, Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir az-Zubādī, in diesem Fall aus Tripoli, der im 18. Jahrhundert (1141 / 1728–29) die Handschrift Berlin Wetzstein I 48 gelesen hat, weil er sich neben seiner Rechtsschule und seinem Wohnort auch durch seinen Beruf (at-tāǧir ḥirfatan) beschreibt. Andere Händler lassen sich über den Titel šahbandar17 identifizieren, dessen Träger für die offizielle Vertretung der Händler gegenüber den Autoritäten und für die Regelung inter- ner Konflikte zuständig war.18 Der einzige in der Rifāʿīya nachweisbare Träger dieses Titels besaß im Jahr 1156 / 1743 die adab-Anthologie Sukkardān as-sulṭān von Ibn Abī Ḥaǧala (gest. 776 / 1375; Vollers 616). Er gibt sich selbst als „früherer šāhbandar von Damaskus“ zu erkennen, tut dies bezeichnenderweise jedoch im dialektal bedingten Austausch des sīn durch ein ṯāʾ (aš-šāhbandar ṯābiq statt sābiqan), wohl indem er seine sicherlich korrekte Aussprache des Wortes anzweifelte und eine Hyperkorrektur anbringt, bei der er die oft zu bemerken- den Lautverschiebung vom ṯāʾ zum sīn vermeintlich zurückführt.

17 Vgl. Gibb / Bowen: Islamic society and the West I, S. 303; Marcus: The Middle East, S. 109. 18 Die von mir gefundenen Träger dieses Titels beschränken sich allerdings auf ʿAbd ar-Raḥmān aš-šāhbandar (Berlin Landberg 272; Berlin ms. or. oct. 3189 [12. Muḥarram 1254 / 7.4.1838]; Berlin Sprenger 1848, 2005, Berlin Wetzstein II 1754) und seinen mögli- chen Sohn Muḥammad Ṣāliḥ b. ʿAbd ar-Raḥmān (Beirut AUB MS 160:F19 [1281 / 1864– 65]; Berlin Landberg 998, 1040; Berlin ms. or. oct. 3189 [87]). Erschwerend kommt für die Interpretation hinzu, dass der Titel in Berlin Landberg 272 offensichtlich bereits in einen Familiennamen uminterpretiert wurde (Šāhbandar-zāda), während der Sohn Muḥammad Ṣāliḥ seinem Vater in Landberg 1040 außerdem den militärischen Titel aġā beilegt, welcher bei Händlern nach den Informationen mancher europäischer Reisender überhaupt nicht unüblich gewesen zu sein scheint (vgl. etwa Seetzen: Reisen durch Syrien I, S. 11: „Mohammed Aga, der junge Kaufmann“; zu Händlern mit diesem aġā-Titel Marcus: The Middle East on the eve of modernity, S. 51). 294 kapitel 3

Abb. 41 Besitzeintrag eines šāhbandar in der Rifāʿīya. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 616, fol. 1v

Ähnlich wie im Fall des Händlers az-Zubādī erfahren wir auch vom Beruf Zāhid b. Aḥmad az-Zurzūrs. Nur in einem einzigen seiner vielen Besitzeinträge identifiziert er sich über seinen bloßen Namen hinaus als Parfüm-Händler oder Drogist (al-ʿaṭṭār ṣanʿatan, Berlin Wetzstein II 1760, fol. 59r) und erlaubt uns so die Identifizierung der größten Bibliothek eines solchen Händlers.19 Denn zwischen den Jahren 1256 / 1840 und 1265 / 1849 hat dieser Mann eine recht umfangreiche und inhaltlich anspruchsvolle Handschriftensammlung erworben bzw. in drei Fällen auch selber kopiert.20 Einer der 39 nachweisbaren

19 Aus früheren literarischen Quellen ist in diesem Zusammenhang die Biographie Abū Bakr b. Manṣūr al-ʿUmarīs interessant, welcher nach vielversprechenden Studien nicht die Gelehrtenlaufbahn einschlug, sondern als ʿaṭṭār auf dem Markt einem Handwerk nachging und damit bei seinen Biographen Verwunderung auslöste. Vgl. Būrīnī: Tarāǧim I, S. 288–291, Muḥibbī: Ḫulāṣat al-aṯar I, S. 121–133; Ziriklī: Aʿlām II, S. 71–72; sein Diwan findet sich in der Handschrift Damaskus Ẓāhirīya šiʿr 190. 20 Besitzer von Berlin Wetzstein II 3 (5.1262 / 4.-5.1846), 4 (1259 / 1843–44), 44 (7.12.63 / 16.11.1847), 62, 118 (1.1259 / 2.1843), 135, 253 (1262 / 1846), 321 (9.6.65 / 25.5.1847), 343, 1168 (7.8.1265 / 28.6.1849), 1199 (1261 / 1845), 1513 (1.1259 / 2.1843), 1522 (21.10.1256 / 16.12.1840), 1525 (3.1264 / 2.1848), 1526 (1.1256 / 3.-4.1840), 1578 (10.1259 / 10.-11.1843), 1600, 1641 (7.1259 / 7.-8.1843), 1695 (auch Kopist; 8.1262 / 7.-8.1846), 1711 (6.8.1259 / 1.9.1843), 1716 (5.1259 / 6.1843), 1717 (5.1259 / 6.1843), 1720 (12.1262 / 11.12.1846), 1759 (9.1259 / 9.-10.1843), 1760 (4.1256 / 6.-7.1840), 1761, 1763 (2.1259 / 3.-4.1843), 1832 (5.1264 / 4.-5.1848), 1838 (7.5.1259 / 5.6.1843), 1841 (12.1265 / 10.-11.1849), 1845 (8.1259 / 8.-9.1843), 1851 (5.1259 / 5.-6.1843), 1853 (1259 / 1843–44), 1854, 1857 (12.1259 / 12.1843–1.1844), 1873 (2.1264 / 1.-2.1848), 1891 (auch Kopist dieser HS, 12.1262 / 11.-12.1846); Damaskus Ẓāhirīya 4996 (4.1264 / 3.-4.1848; auch Kopist; vgl. ḤimṢī: al-Luġa – al-Balāġa – al-ʿArūḍ – aṣ-Ṣarf, S. 379–380); Leipzig Vollers 583. Die Leser 295

Abb. 42 Zāhid az-Zarzūr, Besitzer dieser Handschrift, war ein ʿaṭṭār (Drogist) mit einer großen Büchersammlung. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 583, fol. 2r

Bände mit fast 60 Werken aus seinem Besitz ist auch in der Rifāʿīya zu finden und ist somit wahrscheinlich erst sehr spät in diese gelangt. Es handelt sich dabei um eine Kopie des Dīwān ad-dawāwīn, einer Gedichtsammlung ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs (Vollers 583). Dieser Band behandelt vor allem mysti- sche Fragen in poetischer Form und auch sonst ist die Sufik mit vier Bänden und dem Dīwān Ibn al-Fāriḍs gut vertreten in dieser Sammlung. An einer Stelle beschreibt sich Zāhid denn auch als Anhänger des Naqšbandī-Ordens (Wetzstein II 1695). Dieser Parfüm-Händler hatte weit gestreute Interessen: Logik, Erbrecht, Rechtsphilosophie oder Astronomie sind jeweils ein Mal in sei- ner Bibliothek vertreten, ebenso wie eine Universalgeschichte von as-Saḫāwī; Medizin und Philosophie gibt es bereits zwei Mal, Traditionskunde gar mit drei Texten. Viele kleinere dogmatische Werke und Gebetstexte haben sich in den Sammelhandschriften erhalten. Aber nur die Sprachwissenschaften ste- chen deutlich heraus. Mindestens sieben grammatische Lehrbücher gehörten ihm einmal. Vor allem aber zeigt Zāhid ein bemerkenswertes Interesse für Spezialfragen der Rhetorik: Nicht weniger als neun Werke dieses Genres hat er mit Sicherheit besessen, das entspricht der Anzahl rhetorischer Texte in der ganzen Rifāʿīya! Besonders das Thema der poetischen Metapher (istiʿāra) mit fünf Werken hatte es Zāhid angetan, zwei davon hat er auch selbst kopiert. Wie kommt also jemand mit dem professionellen Hintergrund eines Parfüm- Händlers oder Drogisten zu solch einer speziellen Leidenschaft? Neben der Analyse der Namen gelingt ein anderer Zugang über die Sprache der Einträge. Der oben genannte Händler Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir az-Zubādī aus Tripoli ist auch hierfür ein gutes Beispiel. Den Namen seiner Heimatstadt Ṭarābulus gibt er, der berüchtigten Vokaldehnung seines Dialektes � ��س � ن wider. Die ­hierauf ( ا ل��طرا ب���لو ي� مو �ل�د ا و وط���ا) im Schriftbild folgend, als Ṭarābulūs 296 kapitel 3

Abb. 43 Der Leser ʿAbdallāh al-Ǧabbān kopiert Formulierungen eines fast zwei Jahrhunderte älteren Besitzeintrags mitsamt seiner schweren Fehler. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 161, fol. 279v folgende Erwähnung seines Berufes als Händler setzt er zwar ganz richtig in den Akkusativ ḥirfatan, ohne sich dabei aber zu vergegenwärtigen, dass die ت فت ,(ا ��ل��ا ج�ر ح�ر����ا) Nunation –an hier nicht durch ein alif ausgedrückt werden darf sondern auf dem tāʾ marbūṭa seinen Platz finden muss. Pleneschreibungen -Hyperkorrekturen, dia ,(��له ، ل ا �ل�د ��ه) kurzer, doch lang gesprochener Vokale ن ظ ن ض � و و ي� و ي sind die ( ����ر für �����ر) lektale Einflüsse der Aussprache bestimmter Buchstaben Regel mehr als die Ausnahme. Bei einigen dieser Einträge muss man sich tat- sächlich fragen, ob die jeweiligen Schreiber verstanden, was sie da zu Papier brachten. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch Fälle, in denen spätere Leser offensichtlich die Einträge ihrer Vorgänger kopiert haben, ohne deren schwerwiegende, gar abstruse Fehler dabei zu korrigieren. So tat es ʿAbdallāh b. Ḫalīl al-Ǧabbān, wohlbekannt als Leser unzähliger Bände epischer Literatur in der Mitte des 13. / 19. Jahrhunderts,21 der beim Schreiben seines Leseeintrages in Vollers 161 einen im Jahr 1055 / 1645 abgefassten, also etwa 200 Jahre älteren

21 Sein Leseverhalten kann teilweise taggenau nachvollzogen werden; vgl. Liebrenz: The library of Aḥmad al-Rabbāṭ, S. 41–42. Die Leser 297

Leseeintrag Ismāʿīl (?) ad-Daqars vorfand und diesem fast sklavisch folgte. Zu seinem Unglück war genau dieser Leseeintrag eine Fundgrube für alle der oben skizzierten charakteristischen Schreibfehler und fügte dieser Liste sogar die vollkommen unmotivierte und nur hier zu findende Verdoppelung einer Silbe im üblichen Schlusssegen auf alle Muslime hinzu. Bei ad-Daqar heißt es also „ġafara a-l-h [scil. Allāh la-hū] wa-lī waladihi [scil. wālidaihī] wa-lī muslimīn mīn“ und der einzige weitere Nachweis dieser Anomalität findet sich nur etwas weiter darunter in der Hand ʿAbdallāh al-Ǧabbāns. Diese Fälle sind also charakterisiert durch den Zwiespalt zwischen dem Versuch, einem hohen sprachlichen Standard zu folgen, wie er die Einträge der Gelehrten mehrheitlich charakterisiert, und der offensichtlichen Unfähigkeit, diese auch nur korrekt zu kopieren. Vor diesem Hintergrund erscheint der Leseeintrag des Händlers aus Tripoli mit nur zwei schwerwiegenden orthogra- phischen Fehlern in einem relativ langen Text tatsächlich eher als ein erfolg- reiches Beispiel gelungener Sprachbildung. Dies sollte man auch erwarten, enthält das von ihm eingesehene Buch doch fünf Texte einiger der größten Stilisten arabischer Sprache.22 Auf den ersten Blick weniger eindeutig ist oft die Unterscheidung zwi- schen der krakeligen Schrift eines nicht um die Lesbarkeit seiner Notizen bemühten Gelehrten und einem vollkommen ungeübten Schreiber, der es schlicht nicht gewohnt ist, das Schreibrohr zu halten. Sieht man in der Rifāʿīya den Besitzeintrag eines Šaraf ad-Dīn in der Handschrift Vollers 283, würde man die vollkommen unproportionierten und krakeligen Schriftzüge nicht mit dem Milieu der ʿulamāʾ in Verbindung bringen. Ohne einen formalen Familiennamen zu nennen, verweist dieser Besitzer mit dem Zusatz Ibn šaiḫ al-islām Zakarīyāʾ jedoch auf einen offenbar bildungsnahen Kontext seiner Abstammung, denn als šaiḫ al-islām werden entweder besonders verdienst- volle Gelehrte oder im osmanischen Kontext der Mufti von Konstantinopel als höchster Würdenträger der formalen Gelehrtenhierarchie bezeichnet. Auch die große Zahl der siebzehn bisher in der ganzen Welt – Beirut, Berlin, Gotha, Istanbul, Kairo, Kopenhagen, Tunis – gefundenen Handschriften macht deut- lich, dass Šaraf ad-Dīn eine sehr große Bibliothek besessen haben muss. Die

22 Berlin Wetzstein I 48: 1) Sarḥ al-ʿuyūn, Ibn Nubātas Kommentar zu Ibn Zaidūns Risāla 2) Ibn Badrūns Ṣadfat ad-durar wa-kimāmat az-zuhr, einen Kommentar zu Ibn ʿAbdūns Qaṣīda 3) die dem Kalifen ʿAlī Ibn Abī Ṭālib zugeschriebenen Sprüche Naṯr al-la‌ʾālī 4) Avicennas Risāla fī qawī an-nafs, von Ahlwahrdt als psychologischer Traktat eingestuft 5) Ibn Ḥiǧǧa al-Ḥamawīs Sendschreiben über seine Reise von Kairo nach Damaskus im Jahr 791 / 1389. 298 kapitel 3

Abb. 44 Die unbeholfene Handschrift Šaraf ad-Dīns täuscht darüber, dass sie einem großen ägyptischen Bibliophilen aus altehrwürdiger Gelehrtenfamilie gehört. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 283, fol. 1r

größte zusammenhängende Gruppe davon sind fünf Nummern, die Ulrich Jasper Seetzen zwischen 1806 und 1809 in Kairo ankaufte. Tatsächlich muss es sich bei diesem Mann um Šaraf ad-Dīn b. Zain al-ʿĀbidīn b. Muḥyī d-Dīn Ibn Zakaryāʾ al-Anṣārī handeln (um 1030 / 1620–21 – 1092 / 1681),23 der sich in seiner Abstammung in den meisten seiner Einträge, wie so oft, nur auf den berühm- testen Vorfahren, nämlich den Oberrichter von Ägypten Zakarīyāʾ al-Anṣārī (gest. 926 / 1520) , bezogen hat, der wiederum allgemein nur als šaiḫ al-islām bekannt war.24 Datum der Abschrift und Thema des Buches aus der Rifāʿīya – eine Beschreibung des Friedhofes Qarāfa in Kairo – passen perfekt auf den zeitlichen und lokalen Kontext des literarisch bezeugten Mannes. Šaraf ad-Dīn besaß auch nach Ausweis der literarischen Quellen eine riesige Bibliothek, für die er neben vielen ererbten Büchern auch ständig neue Handschriften erwarb: „Wenn jemand mit einem Buch zum Verkauf in sein Haus kam, verließ er es nicht ohne es, auch für mehr als den marktüblichen Preis, verkauft zu haben.“ Ihn interessierten besonders die Handschriften berühmter Gelehrter und Kopisten, so dass er auch viele Dubletten erwarb. Von den Ṭabaqāt al-kubrā, Tāǧ ad-Dīn as-Subkīs monumentaler Biographiensammlung šāfiʿītischer Rechtsgelehrter, soll er etwa 18 Kopien besessen haben! Dabei war Šaraf ad-Dīn unglaublich geizig mit diesen Schätzen und wies auch prominente Bitten um

23 Vgl. MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 215, Nr. 477. 24 Vgl. GAL I S. 432, II S. 99–100, S I S. 771, S II S. 117–118; Ziriklī: Aʿlām III, S. 46. Die Leser 299

Ausleihe und Kopie ab. Sein darüber verärgerter Biograph kann sich daher die ironische Pointe nicht verkneifen: „Nach seinem Tod wurden die Bücher, von denen er vorher jede Seite so geizig behütet hatte, körbeweise verkauft.“ 25 Der erste Eindruck kann also gewaltig täuschen und eine schlechte Handschrift muss nicht immer auf schlechte Bildung verweisen. Umgekehrt müssen die Titel der Welt der Gelehrsamkeit keine lupenreine Bildung bedeu- ten. Muṣṭafā b. Ibrāhīm al-Ġazzī, ein ehemaliger amīn al-fatwā („amīn al-fatwā sābiq“ statt sābiqan) hinterließ zwar einige Verse über die Vergänglichkeit und den Ansporn zu guten Taten in einer Handschrift aus der Leihbibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs (Berlin Wetzstein II 517), doch auch seine Handschrift und Orthographie zeugen von wenig Schreibübung und Bildung, obwohl diese beiden Aspekte eigentlich zu den Kernanforderungen eines amīn al-fatwā gehörten.26 Wer waren also diese so schwer fassbaren Leser? Viele werden in den kom- menden Kapiteln vorgestellt werden, da sie durch verschiedene Kriterien genauer abgrenzbar sind. Sie alle finden sich außerhalb des engen Blickfeldes derer, die sich als die kulturelle Elite verstanden und für deren literarische Selbstvergewisserung in Form von Biographien und Chroniken Sorge trugen. Es waren also wohl auch diejenigen, welche kaum von den existierenden Bildungseinrichtungen profitieren konnten, entweder weil sie von vorneher- ein aus ihrem Kreis ausgeschlossen waren (etwa Nicht-Muslime), oder weil sie nicht die zeitlichen und materiellen Ressourcen hatten, sich hauptsächlich dem Lernen zu widmen. Dies waren also Gruppen, die im Untersuchungszeitraum offensichtlich einen neuen Zugang zu Literatur gefunden haben, wenn sie vorher überhaupt einen hatten. Nicht zufällig findet sich auch der Barbier- Chronist von Damaskus, Aḥmad Ibn Budair al-Ḥallāq,27 unter den hier behan- delten Lesern. Er hat seinen Besitzeintrag in der Sammelhandschrift Berlin Wetzstein II 745 hinterlassen. Doch entgegen den Informationen der Russell-Brüder in Aleppo haben wir es hier kaum mit Buchbesitz zu tun. Die Händler, Barbiere oder Handwerker lasen Bücher wohl öfter, als dass sie sie besaßen. Da die Mehrheit der in die- sen Kategorien zu beschreibenden Leser in den Büchern Aḥmad ar-Rabbāṭs

25 MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 215, Nr. 477. 26 Vgl. zum intellektuellen Profil des amīn al-fatwā den zeitgenössischen Damaszener Mufti Murādī: ʿArf al-baššām, S. 10–12; eine moderne Studie MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 241–242. 27 Vgl. zu ihm Sajdi: A room of his own; dies.: Shihābaddīn Aḥmad Ibn Budayr; dies.: The barber of Damascus. 300 kapitel 3

Abb. 45 Der als Chronist bekannte Barbier Aḥmad Ibn Budair al-Ḥallāq besaß dieses Buch. STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Wetzstein II 745, fol. 32v Die Leser 301

(s. Kapitel 2.8. „Kommerzielle Leihbibliotheken“) überliefert sind, erscheint es plausibel, in neuen Modellen von Leihbibliotheken die Erklärung dieses Phänomens zu sehen. Auch in diesem Fall müssen wir jedoch von der Existenz einer stabilen Nachfrage ausgehen, welche diese Leihbibliotheken zu lohnen- den Geschäften machten. War dies also ein neuer Zugang oder eine neue Dokumentation von Leseverhalten außerhalb der intellektuellen Elite? Am Horizont dieser Frage steht der von Nelly Hanna vorgeschlagene Zusammenhang zwischen dem von ihr postulierten Aufstieg einer neuen „Mittelklasse“ (middle class) für das Ägypten des 18. Jahrhunderts und deren verstärktem Hunger nach Büchern, speziell von Texten, die nicht auf die Diskurse der ʿulamāʾ abzielten.28 Müssen wir in den neuen Lesern also diese „Mittelklasse“ sehen oder führt ein solches Bild in die Irre, da das gleiche Publikum die gleiche Art „populärer“ Literatur auch in früheren Jahrhunderten konsumierte, deren Spuren jedoch nicht auf uns gekommen sind?29 Die hier vorgenommene Negativ-Kategorisierung einer breiten, doch dif- fusen Leserschicht durch die einzige Annahme, dass deren Mitglieder keine klassisch ausgebildeten Gelehrten waren, lässt viel Raum für individuelle Unterschiede innerhalb dieser Gruppe. Sie kann weder in wirtschaftlicher noch in intellektueller Hinsicht Homogenität beanspruchen. Die oben aufge- führten Beispiele haben schon in ökonomischer Hinsicht vieles, das sie trennt und an ihren Einträgen lassen sich auch große Unterschiede in Sprach- und Schriftbeherrschung ausmachen. Was in der englischen Terminologie so praktisch als „commoner“ gefasst werden kann, ist zumindest in der Zeit der Rifāʿīya eine nach sozialen Kriterien komplexe Gruppe. Der oft zitierte „view from below“, wie ihn der Barbier Aḥmad Ibn Budair al-Ḥallāq so sinnbildlich zu verkörpern scheint, muss nicht der Blick eines armen Mannes sein, sondern der eines Mannes, der im Vergleich zu den Gelehrten (ʿulamāʾ) und Notabeln (aʿyān) nicht den gleichen Zugang zu den Statusgebern Wissen und Macht hat. Und wenn auch die höchste politische Elite in Person von Sultanen und Gouverneuren in diesem Überblick keine Rolle spielen soll, war doch der Blick von unten in den folgenden Beispielen auch nicht unbedingt immer ein macht- loser. Die im folgenden Kapitel aufgeführten Militärs und andere Amtsträger

28 Hanna: In praise of books, bes. S. 79–103. 29 Wetzstein zumindest scheint das auch anzunehmen wenn er schreibt, dass seine Handschrift der 1001 Nacht in Tübingen (Ma VI 33) der älteste erhaltene Textzeuge sein könnte, „da die 1001-Nacht nur für den Gebrauch der Kaffeehäuser copiert und daher bald abgenutzt wird“; vgl. Wetzstein: Catalog arabischer Manuscripte, S. 6. 302 kapitel 3 konnten, je nach ihrem Rang, einen großen relativen Einfluss ausüben, hatten also selbst noch viel Raum für einen „Blick nach unten“. Anders als von Hanna angenommen, scheinen Buchpreise jedoch keine ent- scheidende Rolle bei der Einbeziehung breiterer Schichten in diese Buchkultur gehabt zu haben. Die hier vorgestellten Menschen eines zumindest beschei- deneren Bildungshintergrunds – über ihre finanzielle Lage sagt das noch nichts – waren meist ja nicht die Besitzer der Bücher, sondern haben sie sehr oft nur ausgeliehen. Es scheint sich hier vielmehr um neue Vertriebswege auf der einen und geänderte kulturelle Normen auf der anderen Seite zu handeln. Wenn wir der bereits zitierten Nachricht der gut informierten Russell-Brüder Glauben schenken wollen, dann war es gerade die neuentdeckte Bibliophilie Aleppiner Händler, also eine rasante Ausweitung der traditionellen Kreise von Buchbesitzern, die Handschriften dort teuer und auch für viele Gelehrte uner- schwinglich machte.

3.1.2 Bemerkungen zu Konfession und Alter der Leser Die grundsätzliche Möglichkeit einer Rezeption von Büchern durch individuel- les Lesen scheint am Ende der osmanischen Zeit also kaum soziale Schranken gekannt zu haben. Dennoch gibt es eklatante Unterschiede in der rezipierten Literatur. In den folgenden Kapiteln sollen vier in den Sekundäreinträgen rela- tiv gut fassbare Gruppen ein Panorama dieser Unterschiede bieten. Es wird davon ausgegangen, dass gruppenspezifische Traditionen und Sozialisation in der Regel zumindest einen Einfluß auf ihre Lektüre gehabt haben könnte, wenn er dem Individuum auch keine starren Fesseln auferlegte. Auch für andere Gruppen sollte dies der Fall gewesen sein, doch gestaltet sich deren Untersuchung sehr viel schwieriger, sie bleiben für uns stumme Leser, selbst wenn wir ihre Notizen direkt vor Augen haben. Besonders konfessio- nelle islamische Gruppierungen aus dem Bereich der Schia, von den in die- ser Arbeit hauptsächlich verwendeten sunnitisch-arabischen Quellen als Häretiker gebrandmarkt, wären interessante Untersuchungsgegenstände, da ihre theologische Ausrichtung ein partiell distinktes Leseverhalten erwarten lassen könnte. Die in Frage stehenden Gruppen in Damaskus wären beson- ders Zwölfer-Schiiten und Drusen. Ihre Identifikation erweist sich in der Regel jedoch als nahezu unmöglich, da das Onomastikon der gleichen ara- bischen bzw. muslimischen Tradition verpflichtet bleibt wie das der sunniti- schen Bevölkerung. Dabei muss in den kleinen Texten der Sekundäreinträge auch nicht zur bekannten Taktik der taqīya gegriffen werden, der aktiven Verschleierung oder Verneinung der eigenen Konfessionszugehörigkeit, wie sie als prominentes Beispiel der aus Syrien stammende imamitische Die Leser 303

Universalgelehrte Bahāʾ ad-Dīn al-ʿĀmilī (gest. 1031 / 1622) auf seinem Besuch in Aleppo an den Tag legte, wo sein schiitischer Hintergrund zwar bekannt war, er jedoch versicherte, Sunnit zu sein.30 Mit einem Aḥmad b. Muḥammad b. Aḥmad b. Muḥammad al-ʿĀmilī dürfte ein weiterer Mann aus dem vor- nehmlich von Schiiten bewohnten Ǧabal ʿĀmil sich als einziges Beispiel aus unserem Korpus recht unumwunden als Schiit zu erkennen gegeben haben, als er seinen Besitzeintrag (Wetzstein I 67c) nicht nur mit dem konventionel- len Wunsch nach Gottes Milde abschloss (ʿāmalahū bi-luṭfihī l-ḫafī), sondern weiterhin die Auferstehung mit den reinen Imamen ersehnte (wa-ḥašarahū maʿa a‌ʾimmatihī aṭ-ṭaiyibīn aṭ-ṭāhirūn). Doch in den wenigsten Fällen finden sich im Formular der Sekundäreinträge über die generelle Referenz zum Islam hinausgehende doktrinäre Bekenntnisse. So können zwar manche Mitglieder schiitischer Familien wie der Nachkommen Murtaḍā al-ʿAlwānīs31 aus Damaskus oder der Zuhrā / Zuhrāwī32 aus Aleppo identifiziert werden, über ihren persönlichen konfessionellen Standpunkt verlieren diese Schreiber jedoch – im Falle aus Sicht der politischen Autoritäten heterodoxer Ansichten sicher nicht ohne Grund – keine Worte. Ein Beispiel ist der Druse Ḥamza al-Kaḥḥāl, der zwar einige Besitzvermerke hinterlassen, dessen konfessionelle Identität für uns jedoch erst mithilfe einer post-mortem durch Wetzstein angebrachten Notiz fassbar wird: „Dieser drusi- sche Augenarzt wurde im J. 1860 wegen überwiesenen Christenmordes bei der Katastrophe v. 9.–29. Juli in Damaskus auf den Straßen hingerichtet“.33 Er wird wohl nicht zu den von Mišāqa als „Ignoranten, die nichts davon verstehen“34 gebrandmarkten Augenärzten von Damaskus gehören, zeigen die von ihm besessen Bücher doch ein besonders großes Interesse an der literarischen Überlieferung, philosophischen Tradition und Reflexion der eigenen Profession: zu finden sind ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādīs Naturgeschichte Ägyptens al-Ifāda wa-l-iʿtibār (Ma VI 22), al-Maqāla fī ḫalq al-insān des Arztes Saʿīd b. Hibat Allāh (Ma VI 73), zwei Traktate des Ḥunain b. Isḥāq zur Augenheilkunde (Ma VI 74), eine in Stammbaumform angelegte Darstellung medizinischer Fragen und Antworten nach Ḥunain b. Isḥāq (Ma VI 75), die auch in der Rifāʿīya drei Mal zu

30 Vgl. ʿUrḍī: Maʿādin aḏ-ḏahab, S. 287–292. 31 Zur Identifikation als Schiiten vgl. Haarmann: Ein früher Bericht. 32 Vgl. unter den zahlreichen einschlägigen Arbeiten von Salati die Monographie Salati: Ascesa e caduta. 33 MS Tübingen Ma VI 74, fol. 1r; vgl. auch Seybold: Katalog, S. 25. Besitzervermerke in Ma VI 22, 74, 75, 76, 77, 79, 138; alle datiert 22 Ḏ[ū l-Ḥiǧǧa] 1275. 34 Mišāqa: Michael Meschâka’s Cultur-Statistic, S. 354. 304 kapitel 3 findende Kitāb ar-Raḥma fī ṭ-ṭibb wa-l-ḥikma (Ma VI 76), die Arzneimittellehre Taḏkirat des Ibn as-Suwaidī (Ma VI 77),35 Ibn Tūmarts Kanz al-ʿulūm (Ma VI 79), das umfassende ophthalmologische Werk Taḏkirat al-kaḥḥālīn zusammen mit der anti-wahhabitischen Polemik Tahakkum al-muqalladīn (Ma VI 138). Überhaupt sollen die etwa zwanzig Augenärzte von Damaskus zumindest in diesen Jahren laut Mīḫāʾīl Mišāqa hauptsächlich Drusen gewesen sein,36 so dass auch die anderen Männer mit Namen al-Kaḥḥāl, welche in diesen Handschriften ihre Spuren hinterlassen haben, Drusen gewesen sein könnten.37 Zumindest angesprochen sein muss auch ein weiterer Aspekt, der spezifische Leseinteressen mit sich gebracht haben dürfte, namentlich das Alter der Leser. Auch hier ist die Materialbasis dürftig. Es ist zur Genüge bekannt, dass Kinder in bestimmte Situationen des religiösen Lehrbetriebes bereits als Kleinkinder einbezogen werden konnten, in jungen Jahren den Koran oder andere Werke auswendig lernten oder in anderer Form eine große Begabung an den Tag legen konnten. Doch im hier untersuchten Korpus scheinen die wenigen Hinweise auf junges Alter vielmehr mit einer gewissen thematischen Freizügigkeit ein- herzugehen. Lektüre, für die der spätere ernste Gelehrte zumindest vorgeblich keine Zeit mehr haben konnte. So zeigen datierte Leseeinträge ʿUmar Zaitūna (geb. 1218 / 1803)38 in den epischen Büchern aus der Leihbibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs im jungen Alter von 15 Jahren.39 Und Raslān b. Ḥāmid at-Taqī (1241 / 1825–26 – 1303 / 1886)40 liest 1256, also ebenfalls mit 15 Jahren meh- rere Bände des Epos über den Mamlukensultan al-Malik aẓ-Ẓāhir (Wetzstein I 132, 171, 172), sowie eine erbauliche Prophetengeschichte (Wetzstein II 741). Später wird er ein eminenter Rechtsgelehrter und seine Lektüre wendet sich „ernsthafteren“ Themen zu. Die in diesen wenigen Handschriften nachvoll- ziehbare Entwicklung des Leseverhaltens von der frühen Lust an aufregen- den Geschichten zur Reife des Gelehrten findet seine Entsprechung bereits in einer früheren literarischen Quelle, dem autobiographischen Abriss, welchen der jüdische Konvertit zum Islam, Samauʾal al-Maġribī, seinem polemischen Text Ifḥām al-yahūd beigab. Ausdrücklich führt dieser seine frühe Faszination

35 Zur Identifikation des Werkes Ullmann: Die Taḏkira. 36 Vgl. Fleischer / Mišāqa: Michael Meschâka’s Cultur-Statistic, S. 354. 37 Ḥasan Wahba al-Kaḥḥāl hinterließ zwischen 1245 / 1829 und 1275 / 1858 Besitzeinträge in allen später von Ḥamza al-Kaḥḥāl besessenen Tübinger Handschriften, könnte also des- sen Vater gewesen sein. 38 Sein Geburtsdatum entnehme ich biographischen Notizen der Familie Zaitūna, welche sich in MS Berlin Wetzstein II 1148, fol. 50v finden. Banī Hānī: Tārīkh, S. 362, führt ihn außerdem unter den „kibār al-ashrāf “ auf. 39 Berlin Wetzstein II 513 (1.3.1233), 514 (3.1233), 515 (1.3.1233), 516 (1.3.1233). 40 Vgl. Šaṭṭī: Aʿyān, S. 61. Die Leser 305 mit den populären Epen wie der Sīrat ʿAntar auf sein damals junges Alter zurück während er mit zunehmendem Alter nach vertrauenswürdigeren Geschichtsüchern verlangte.41 Dabei sind die meisten positiven Identifizierungen jungen Alters nur durch Rückschlüsse über bekannte Lebensdaten zu erreichen. Eigene Hinweise auf das Alter finden im Formular der Sekundäreinträge keinen Platz. Der selten anzutreffende Begriff šābb, junger Mann, ist irreführend, kann er doch auch noch für Männer von vierzig Jahren verwendet werden. Aussagekräftiger ist al-Ḥasan b. Muḥammad b. ʿAlī b. Ḥaidar in Berlin Landberg 251, welche er im Jahr 1257 / 1841 kauft, bevor sein Bartwuchs einsetzt (wa-anā ʿadam al-liḥya).

3.2 Militär und Administration

Unter den hier vorzustellenden, klar von den ʿulamāʾ zu trennenden Lesergruppen ist diejenige mit Lesern aus erkennbar militärischem und administrativem Hintergrund die mit Abstand größte. Beide werden hier zusammen betrachtet, da sie einerseits nicht immer leicht zu trennen sind – etwa ein Sekretär oder Verwalter bei der Armee, der das Heer auf Feldzügen begleitete42 – andererseits die beiden Bereiche gemeinsam den nicht-religiösen Arm des osmanischen Herrschaftsapparates bildeten. Sie waren als ausfüh- rende Organe hoheitlicher Aufgaben Teil der ʿaskarī-Klasse, die im Gegensatz zur raʿāyā (sg. raʿīya), den Untertanen oder wörtlich der „Herde“ der steuerzah- lenden und politisch passiven Bevölkerung stand, der aber etwa auch die mit hohen Posten an Gerichten und Lehranstalten betrauten Gelehrten angehören konnten. Der bereits ausführlich behandelte Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī wird in einem nach seinem Tod ausgestellten Gerichtsdokument ausdrücklich als

41 Die Passage wird diskutiert u.a. in Reynolds: Popular prose, S. 254; vgl. auch Rosenthal: A history, S. 46–47. Ein weiteres Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ist besprochen in Strauss: Who read what, S. 50–51. 42 Der große osmanische Bibliophile Abū Bakr b. Rustam aš-Širwānī (gest. 1135 / 1723), aus dessen bedeutender Bibliothek ein Band in der Rifāʿīya zu finden ist (Vollers 763), war lange Zeit Sekretär der osmanischen Janitscharen-Truppe und als solcher im Jahr 1683 an der gescheiterten Belagerung Wiens beteiligt; vgl. Sicill-i ʿoṯmānī I, S. 170. Ein weiterer in der Rifāʿīya bezeugter Leser, ʿAlī b. ʿAlī al-Qubruṣī ṯumma Iskandarānī, war „al-kātib fī l-ʿasākir aš-šāhānīya“ (Vollers 32, außerdem Berlin Wetzstein II 638); und der sonst von zeitgenössischen Chronisten nicht erwähnte Besitzer von Vollers 659, Bahrām, beglei- tete als „al-muqābil bi-dafātir ʿasākir aš-Šām“ das Damazener Heer auf den Feldzug von 1010 / 1601–02 gegen die Rebellen unter ʿAbd al-Ḥalīm al-Yāziǧī und diente dem Historiker Būrīnī dafür als Augenzeuge (vgl. Būrīnī: Tarāǧim II, S. 150). 306 kapitel 3

„al-ʿaskarī“ bezeichnet.43 Im Fokus dieses Kapitels stehen demnach bei wei- tem nicht alle Angehörigen dieser ʿaskarī-Klasse, in deren Reihen noch nicht einmal alle Träger einschlägiger militärischer Titel als Militärs zu bezeichnen sind. Tatsächlich war dieses Prädikat durch seine vielen – etwa steuerlichen und judikativen – Privilegien auch für Händler oder Handwerker höchst attraktiv, weshalb es deren Ziel sein konnte, mit einem militärischen Titel in die Reihen der ʿaskarīs aufgenommen zu werden, ohne an ihrem eigentlichen zivilen Lebensstil irgendetwas zu ändern. Was nach landläufiger Meinung der Forschung zu einem ständig wachsenden Problem für die militärische und fis- kale Organisation des Osmanischen Reiches wurde,44 erschwert daher auch die Identifikation tatsächlicher Berufssoldaten und die Zuweisung bestimmter damit assoziierter sozialer Praktiken in den dokumentarischen Quellen. Auch die Grenzen zwischen Gelehrten und Militärs oder allgemein der Herrscherklasse waren alles andere als undurchlässig. Seine spiritu- elle Reinheit nicht mit den weltlichen Angelegenheit der Herrschenden zu beschmutzen war eine in biographischen Werken oft gerühmte Haltung vieler Gelehrter, doch war sie weder ausnahmslos eingefordert noch die Regel. Die intensiven Heiratsverbindungen der beiden Gruppen sprechen eine deutliche Sprache. Viele Gelehrte kommen in zweiter oder dritter Generation von einem militärischen Hintergrund, wie in der Rifāʿīya (Vollers 75) ein gewisser ʿAbd ar-Raḥmān, 1118 / 1706–07 Professor (mudarris) an der Umayyadenmoschee, dessen Großvater hier den Titel aġā trägt. Soziale Kontakte dürften vielfältig gewesen sein und kommen auch im Prozess um die von Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī hinterlassenen und gestifteteten Bücher zum Vorschein: seine Schwester Laṭīfa wird in der entsprechenden Gerichtssitzung nicht von einem Rechtsgelehrten, sondern durch Ḫalīl beše Ibn Sulaimān, den Damaszener Janitscharen (al-yankiǧarī bi-Dimašq) vertreten.45 Für das vorliegende Korpus von Sekundäreinträgen wurde als Auswahl­ kriterium das Tragen eines entsprechenden militärischen oder administra- tiven Titels angenommen, wobei die vielen überlieferten Stiftungen oder Bibliothekskopien (bi-rasm ḫizānat) für zumeist ayyubidische, mamlukische oder osmanische Sultane als ein ganz eigenes soziales Phänomen ausgeschlos- sen wurden. Wie sehr man dabei von der Auskunftsbereitschaft der jeweiligen Schreiber abhängig ist, verdeutlicht der Fall Muḥammad b. Aḥmad b. Yūsuf

43 MSD siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301, datiert 15.6.1095 / 30.5.1684; aus diesem Grund wird er von El-Zawāhreh: Religious endowments, S. 82, 83, 174 auch fälschlich unter die akti- ven Militärs gerechnet. 44 Für Damaskus vgl. Rafeq: The province of Damascus, S. 26–27. 45 MSD siǧill 12 / waṯīqa 582 / S. 301, datiert 15.6.1095 / 30.5.1684. Die Leser 307 aṭ-Ṭawāqī (als Buchbesitzer nachgewiesen zwischen 1108 / 1696–97 – 1135 / 1722–23), mindestens zwei Mal in der Rifāʿīya vertreten. In seinen mindestens neun erhaltenen Besitzvermerken führt er nie einen Titel, ein Leser, der im Jahr 1114 / 1702–03 eine Handschrift von ihm ausgeliehen hatte (Berlin Wetzstein II 1755), spricht ihn jedoch als aġā an. Daher geht sein gesamter bezeugter Buchbesitz in diese Statistik ein, während sicher viele andere Träger militäri- scher Titel unentdeckt geblieben sind, da sie wie Aḥmad aṭ-Ṭawāqī nicht selbst auf diese Titel hingewiesen haben. Schaut man auf die frühesten orientalischen Handschriftenbestände vie- ler europäischer Bibliotheken, wird schnell klar, dass Bücher selbst auf dem Schlachtfeld ihren Platz hatten. Viele Einträge ihrer europäischen Besitzer beschreiben, wie ein Buch etwa unter dem Leichnam eines osmanischen Soldaten hervorgezogen wurde, um dann als kurioses Andenken weiterge- reicht zu werden.46 Die so erbeuteten Korane, Gebetsbücher oder erbauli- chen Traktate – denn darum handelt es sich in der Regel – verraten viel über Propaganda oder devotionale Praktiken in der extremen Situation des Krieges, jedoch kaum etwas über die tatsächlichen intellektuellen Bemühungen gebil- deter Militärs. Aus vorosmanischer Zeit wissen wir von einer ganzen Reihe aktiver Militärs, die eine Rolle im intellektuellen Leben ihrer Gemeinschaft gespielt haben. Der syrische Ritter Usāma Ibn Munqiḏ (480 / 1095 – 584 / 1188), aktiver Krieger nicht nur gegen die Kreuzfahrer und neben seiner berühmten Biographie Verfasser von Poesie und sprachwissenschaftlichen Werken, ist sicher das bekannte- ste Beispiel. Besonders die reiche mamlukische Historiographie bietet einige in der Forschung bereits ausführlich analysierte Beispiele,47 von denen die Rifāʿīya mit Taġrī Birmiš al-faqīh (gest. 853 / 1449) einen besonders gut doku- mentierten gelehrten Militär des höchsten Ranges aus dem 9. / 15. Jahrhundert als Leser einer ihrer Bücher ausweist.48 Mit seinen mehr auf die traditionelle Religionsgelehrsamkeit und ḥadīṯ-Wissenschaft gerichteten Interessen scheint er exemplarisch für Mamluken mit gelehrten Ambitionen zu stehen, wie sie Christian Mauder anhand biographischer Literatur herausgearbeitet hat.49 Überraschend gering ist in dem biographischen Material dieser Gruppe hin-

46 Vgl. etwa Liebrenz: Arabische, persische und türkische Handschriften, S. 17–28. 47 Mauder: Gelehrte Krieger; Haarmann: Arabic in speach. 48 Vollers 113; ein weiterer Leseeintrag in Bagdad, al-Matḥaf al-ʿIrāqī (vgl. Naqšbandī / ʿAbbās: Maḫṭūṭāt al-adab, Nr. 858, Abb. 14) datiert lām ḍād (=830 / 1426–27). Vgl. SaḪāwī: Ḍawʾ III, S. 33–34, Nr. 147; Ibn Taġrī Birdī: al-Manhal aṣ-ṣāfī IV, S. 68–74; Ibn Taġrī Birdī: an-Nuǧūm az-zāhira XV, S. 530–532; Berkey: „Silver threads among the coal“, S. 109–125. 49 Vgl. Mauder: Gelehrte Krieger, S. 93–103. 308 kapitel 3 gegen das sprachwissenschaftliche und poetische Feld vertreten. In diesem Fall sprechen die Informationen aus dem osmanischen Syrien tatsächlich eine deutlich andere Sprache. Ein Großteil der aus der Literatur bekannten Militärs mit literarischen Ambitionen aus dem osmanischen Syrien tendierte hier gerade zum sprach- wissenschaftlichen und poetischen Feld, während andererseits einige als Verfasser von lokalen Chroniken und Reiseschriftsteller hervorgetretene Männer keinen Eingang in die zeitgenössische biographische Literatur gefunden haben.50 Besonders eine Untersuchung der Rolle von Militärs und ehemaligen Militärs in der Welt der Poesie wäre eine lohnenswerte Aufgabe. So haben etwa einige der bekanntesten und nach Ausweis ihrer handschrift- lichen Verbreitung auch beliebtesten syrischen Gedichtsammlungen / Dīwāne der osmanischen Periode aktive oder ehemalige Militärs als Verfasser. Der Emir Manǧak al-Yūsufī (gest. 1080 / 1669–70)51 war einer dieser gefeier- ten Dichter. Um den Rang als bester Poet seiner Zeit soll einzig Fatḥ Allāh Ibn an-Naḥḥās (gest. 1052 / 1642)52 mit ihm gestritten haben, der zwar kein Militär, aber bezeichnenderweise ebenfalls kein Gelehrter war. Aus der Familie Manǧak stammten sogar noch einige weitere poetisch versierte oder interes- sierte Männer und einer, dessen große Bibliothek und Leselust in der Literatur herausgehoben wird, ʿAbd al-Laṭīf Ibn Manǧak (gest. 991 / 1583),53 las 986 / 1578 eine adab-Anthologie der Rifāʿīya, den Naṯr ad-durar des Manṣūr al-Ābī (gest. 421 / 1030; Vollers 593). Māmayah ar-Rūmī (gest. 987 / 1579–80 oder 988 / 1580–81)54 und Aḥmad Ibn Šāhīn (995 / 1587 – 1053 / 1643–44)55 dienten ebenfalls, wenn auch auf nied- rigerer Ebene, im Damaszener Heer und sind beide in der Rifāʿīya mit ihren Werken vertreten. Die letzteren ließen ihre militärische Karriere hinter sich, um sich ganz dem Studium zu widmen. Andere hingegen gaben den aktiven Dienst niemals auf. Einem weiteren Autor eines umfangreichen osmanen- zeitlichen Dīwāns (Vollers 581) in der Rifāʿīya, Abū Bakr b. Maḥmūd al-ʿUṣfūrī (lebte 2. Hälfte 11. / 17. Jahrhundert), wird im Titel der Brückenschlag zwi- schen Militär und Gelehrtem attestiert, wenn er „al-amīr al-kabīr wa-l-ʿallāma

50 Vgl. zu den Chronisten Sajdi: The barber, S. 96–108; vgl. zum Verfasser eines Reiseberichtes Elger: Die Reise des Murtaḍā; zur gleichen Zeit in Ägypten vgl. Anīs: Madrasat at-tārīḫ, S. 53–58. 51 MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 397–411, Nr. 1197. 52 Ebd. III, S. 247–256, Nr. 822. 53 Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 62–64 arab. Teil; Ġazzī: Kawākib III, S. 152–153, Nr. 1463. 54 Ebd., S. 45–46, Nr. 1246. 55 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 241–249, Nr. 158. Die Leser 309 aš-šahīr“ genannt wird. Mit Aḥmad Sukūnī (gest. 1102 / 1690–91)56 verbrachte sogar einer der berühmtesten osmanischen Dichter seinen Lebensabend als Schreiber im Janitscharenkorps von Damaskus. Während er aus dem Zentrum des Reiches in die Provinz kam, hatten auch die lokalen Truppen einige promi- nente und weniger prominente Literaten in ihren Reihen. Etwa Ḥusain b. Mūsā bāšā at-Turkumānī (gest. 1132 / 1719–20),57 der sich durch seine Höflichkeit gegen und Ehrfurcht vor den Gelehrten und Literaten von Damaskus auszeichnete. Als aktiver Poet tritt er uns zumindest mit Lobgedichten auf Muḥammad b. ʿĪsā Ibn Kannān entgegen. Er stammte aus einer Familie, die nach Schätzungen von Murādī vielleicht ein Viertel der Damaszener Janitscharen stellte, und wurde 1116 / 1704–05 selbst katḫudā der Truppe. Ein weiteres Oberhaupts (ra‌ʾīs) der lokalen Janitscharenverbände von Damaskus, Darwīš Muḥammad b. ʿAbdallāh al-Ḥanafī (1126 / 1714 – 1171 / 1757–58),58 war sehr versiert in Dichtung und Literatur, auch auf Persisch und Türkisch. Selbst dichtete er zwar nur wenig auf Arabisch und Türkisch, aber seine Sammlung wertvoller Bücher wird von Murādī besonders hervorgehoben. Aḥmad bīk b. Ḥusain bāšā al-Kīwānī (gest. 1173 / 1759–60),59 dessen Vater sogar Oberemir (amīr al-umarāʾ) und Gouverneur von Jerusalem, ʿAǧlūn und anderen Orten war, gehörte hinge- gen zu den ganz großen syrischen Poeten seiner Zeit. Sein überlieferter Dīwān (Berlin Wetzstein II 202) gelangte im 13. / 19. Jahrhundert in die Hände zuerst eines Mannes aus militärischem Umfeld (Ismāʿīl b. Muḥammad aġā al-Barbar, 1237 / 1821–22), dann zweier Religionsgelehrter. Er war ein besonders her- ausragender Kalligraph, vor dem laut Murādī sogar der berühmte Ibn Muqla gestaunt hätte. In Damaskus hielt er sich meist in einem Lokal (ḥānūt) im Sūq ad-Darwīšīya auf, wo eine Gruppe von Literaten zusammenkam, um Schach zu spielen. Dabei war er aber einer der Führer der lokalen Janitscharen (aḥad aʿyān ǧund ūǧāq al-yarlīya) in Damaskus. Seine Freundschaft mit dem 1171 / 1757 nach Damaskus bestellten Gouverneur ʿAbdallāh bāšā Ǧitta-ǧī weist auf einen weiteren kunstsinnigen und literarisch aktiven Militär, dessen Bildung bereits den britischen Russell-Brüdern in Aleppo als Ausnahme unter seinen Standesgenossen auffiel.60 Natürlich haben fast alle literarisch produktiven Gelehrten auch Gedichte geschrieben, manche haben sogar einen Dīwān gesammelt. Doch so erfolgreich wie die genannten Beispiele ehemaliger Soldaten wurde kaum jemand. Dieser

56 Murādī: Silk I, S. 215–216. 57 Ebd. II, S. 62–66. 58 Ebd., S. 106–110. 59 Ebd. I, S. 99–108. 60 Vgl. Russell: Natural history II, S. 92. 310 kapitel 3

Zusammenhang könnte auch bereits einigen Zeitgenossen aufgefallen sein. Als der Chronist und Literat Amīn al-Muḥibbī (gest. 1111 / 1699) etwa die Dichtung eines Gelehrten abschätzig bewerten möchte, nennt er sie „šiʿr al-ʿulamāʾ“61 und von einem weiteren begabten Poeten behauptet er, die ständige Arbeit mit Rechtsquellen habe seinen lebhaften Stil ruiniert.62 Wahrscheinlich ver- band er damit eine trockene „Gelehrsamkeit“, deren Fehlen ihm vielleicht an der Lektüre eines Fürstenspiegels in Versform aus der Rifāʿīya, Ibn al-Waḥīds Niṣf al-ʿaiš (Vollers 553), besonders gefallen hat. Während er sonst nur die Ähnlichkeit des Werkes zu aṭ-Ṭarsūsīs Sirāǧ al-mulūk bemerkt, hebt er in sei- nem Lesevermerk doch hervor, das von ihm in einer einzigen Nacht durchge- lesene Werk sei „frei von Gekünstel und Affektiertheit.“63 Warum die Verbindung zwischen dichterischer Berufung und militäri- schem Beruf nicht öfter getrennt wurde, kann in vielen Fällen sicher auch auf ökonomische Gründe zurückgeführt werden. Den Beruf des Dichters oder Schriftstellers gab es im osmanischen Syrien nicht und konnte es in einer Buchkultur ohne Verlage oder den Schutz literarischer Produktion auch gar nicht geben. Der große Dichter Māmayah ar-Rūmī antwortet – sicher nicht ohne Hintergedanken – auf die Frage eines Oberrichters, wie viele Dīwāne und adab-Werke er besitze: „Die Armut hat sie alle genommen!“64 Und die Kunst Aḥmad b. Šāhīns wird in einem Gedicht al-Ḫafāǧīs mit der Alchemie vergli- chen, die als etwas durchaus sehr edles am Ende doch nichts einbringe.65 Nur Mäzenatentum konnte bei diesem Dilemma auf mehreren Ebenen Abhilfe leisten. Die direkte Förderung durch Geldgeschenke etwa für ein Lobgedicht oder ein gewidmetes Werk – berühmt ist der Fall des Gouverneurs Abū Ḏahab, der Murtaḍā az-Zabīdī für sein monumentales Lexikon Tāǧ al-ʿarūs 100.000 dirham zahlte – war ein unberechenbares Geschäft. Die indirekte Förderung, etwa durch die Stiftung von Lehrinstitutionen und die Besetzung von deren Posten durch nahestehende Literaten, war an das System dieser Institutionen geknüpft und stellte daher akademische Anforderungen an die Begünstigten, denen nicht jeder Poet gewachsen gewesen sein muss. Die politisch- militärische Elite spielte jedenfalls auch hier eine wichtige Rolle als Förderer

61 MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 275, in der Biographie des ʿAbd al-Bāqī Ibn Faqīh Fiṣṣa (1005 / 1596 – 1071 / 1661), der als Aussteller einer Lehrbefugnis (iǧāza) auch in der Rifāʿīya zu finden ist (Vollers 727a): „wa-naẓama š-šiʿr illā anna šiʿrahū šiʿr al-ʿulamāʾ“. 62 Ibrāhīm b. ʿAbd ar-Raḥmān as-Suʾālātī (gest. 1095 / 1684); MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 41–42, Nr. 20. 63 Vollers 553, fol. 43r: ḫāliya min at-taṣannuʿ wa-t-takalluf. 64 Ġazzī: Kawākib III, S. 45–46, Nr. 1246: aḏhabahā l-fuqr. 65 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 241–249, Nr. 158. Die Leser 311 von Literaten oder Stifter von Bibliotheken und Lehreinrichtungen. Sie ist daher aus dem intellektuellen Leben auch ohne aktive Produktion nie ganz wegzudenken. Und die unzähligen Lobgedichte der zeitgenössischen Literaten auf Gouverneure, hohe Militärs und Verwalter geben ein eindrucksvolles Bild von der Verbreitung dieses Phänomens in Syrien. In einer Provinzstadt wie Damaskus erreichte dies freilich nicht die gleichen Dimensionen wie am Hof eines Fürsten, wie ihn etwa noch die Banū Saifā im 17. Jahrhundert in der Provinz Tripoli zu halten versuchten.66 Einen veritablen Hofdichter hat sich wohl keiner der Mächtigen der Zeit gehalten. Nicht nur gewandte und berühmte Dichter finden in den biographi- schen Quellen als gelehrte Militärs Erwähnung. Muḥammad b. Farrūḫ an-Nābulusī (gest. 1048 / 1638) stieg in Nachfolge seines Vaters bis zum Emir der Pilgerkarawane nach Mekka auf. Neben und trotz seiner militärischen Okkupation und seinem Mut ist es seine literarische Bildung, die ihn für seinen Biographen interessant werden lassen. Er memoriert viele Gedichte und auch die Maqāmāt al-Ḥarīrīs.67 Doch Muḥibbīs Hervorhebung dieser Tatsache zeigt wohl, dass ein gebildeter Militär für ihn durchaus eine Ausnahme darstellte. In ähnlich hohem Rang stand Aḥmad b. Riḍwān b. Muṣṭafā (gest. 1010 / 1601),68 mehr als 30 Jahre lang Gouverneur von Ġazza und aus einer langen Reihe hoher Militärs und Wesire, dann in seinem Ruhestand (taqāʿud) ein großer Bauherr in Damaskus. Bei ihm war es vor allem das Studium der Geschichte, welches für Muḥibbī der Hervorhebung wert schien und welches auf ein wei- teres bevorzugtes Feld militärischer Literaturrezeption verweist. Die literarischen Quellen zeichnen gegenüber der Mamlukenzeit also ein deutlich gewandeltes Bild. Eine Erklärung für diese unterschiedlich gewich- teten Interessen oder Aktivitäten ist sicher in dem gänzlich verschiedenen sprachlichen Hintergrund von osmanenzeitlichen Soldaten und vorosma- nischen Mamluken zu suchen. Letztere waren als Militärsklaven in jungen Jahren in die arabischen Länder importiert, ihre Muttersprache war nicht Arabisch, dessen kreative poetische Beherrschung für sie demnach eine erheb- liche Hürde dargestellt haben muss. Das Damaszener Heer der Osmanenzeit setzte sich hingegen zu großen Teilen aus kulturell assimilierten, d.h. durch die arabische Sprache geprägten Soldaten zusammen. Doch auch noch in osma- nischer Zeit finden wir für viele bekannte Militärs einen nicht-arabischen

66 Beispiele für das poetische Mäzenatentum der Banū Saifā in MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 79–83, Nr. 368; ebd. II, S. 198–202, Nr. 456; ebd. III, S. 88–90, Nr. 688; ebd. IV, S. 46–48, Nr. 988; zur Dynastie vgl. Salibi: The Sayfās. 67 MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 109–112 Nr. 1015. 68 Ebd. I, S. 217–219, Nr. 148. 312 kapitel 3

Hintergrund. Der beliebte Dichter Māmayah ar-Rūmī etwa, dessen Sammlung Rauḍat al-muštāq wa-bahǧat al-ʿuššāq auch die Rifāʿīs in ihrer Bibliothek besa- ßen (Vollers 574), kam als Jugendlicher aus Istanbul nach Damaskus, wurde dort später Janitschar und verfertigte in dieser Funktion bereits Gedichte. Ein großer Poet wurde er freilich erst, nachdem er den aktiven Dienst quittierte und sich dem Studium von adab und Grammatik bei Abū l-Fatḥ al-Mālikī und Šihāb ad-Dīn al-Ġazzī verschrieb.69 Doch das Interesse war offensicht- lich bereits vor diesen Studien vorhanden und kann wohl ebenso bei anderen aktiven Militärs vorausgesetzt werden, auch wenn diese nicht die Möglichkeit erhielten, Studien aufzunehmen. Eine in diesem Zusammenhang erhellende Information liefert ein weite- rer berühmter Damaszener Dichter mit militärischem Hintergrund, Aḥmad b. Šāhīn (995 / 1587 – 1053 / 1643).70 In einem in der Rifāʿīya erhaltenen, bisher jedoch fälschlich als Gedichtsammlung Abū l-ʿAbbās Aḥmad al-Maqqarīs (gest. 1041 / 1631–32) katalogisierten Text (Vollers 863f), beschreibt Aḥmad b. Šāhīn den literaturgeschichtlich bedeutsamen Besuch Maqqarīs in Damaskus im Jahr 1037 / 1628, während dem der maghrebinische Autor in einer ḥuǧra Ibn Šāhīns in der Ǧaqmaqīya-Madrasa unterkam und auch sonst den engsten Kontakt mit dem Damaszener Dichter pflegte.71 Nach Maqqarīs eigener Aussage war es Aḥmad b. Šāhīn, der ihn dazu bewegte, seine über lange Zeit gesammelten Materialien zur andalusischen Literaturgeschichte und besonders des Wesirs Lisān ad-Dīn al-Ḫaṭīb in die Form des dann berühmten – und fragmentarisch auch in der Rifāʿīya erhaltenen (Vollers 669b) – Nafḥ aṭ-ṭīb min ġuṣn al-Andalus ar-raṭīb zu bringen. Mit seiner profunden Kenntnis andalusischer Geschichte und Literatur scheint der kurze, kaum zweimonatige Aufenthalt Maqqarīs bei seinen Damaszener Freunden großen Eindruck hinterlassen zu haben und wurde für eine in der Folge einsetzende Rezeption dieser Literatur zum Katalysator.72 Nach Damaskus kam Maqqarī jedoch als Autor des kurz zuvor, im Jahr 1030 / 1621 beendeten Fatḥ al-mutaʿāl fī ṣifāt al-miṯāl wa-madḥ an-niʿāl, einer Abhandlung über die Sandalen des Propheten Muḥammad. Dessen überwältigender und durch zahlreiche Handschriften dokumentierter Erfolg

69 Ibn Aiyūb: Rauḍ, S. 83 des arabischen Textes. 70 Būrīnī: Tarāǧim I, S. 139–155; MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 241–249, Nr. 158. 71 Vgl. Ibn Šāhīn: Faṣl. 72 Vgl. Elger: Adab and historical memory. Unterstützt werden könnte dieser Eindruck auch durch eine Analyse der vorhandenen Handschriften andalusischer Werke in Sammlungen syrischer Provenienz. Diese scheinen, wie etwa in der Rifāʿīya, vor allem nach dem Besuch Maqqarīs entstanden zu sein und bekunden ein neu erwachtes Interesse an einer zuvor nur marginal rezipierten Literatur. Die Leser 313 scheint durch eine geschickte Vermarktungspolitik des Verfassers – er sorgte für die Versendung und Deponierung autorisierter Kopien in vielen Teilen des Osmanischen Reiches73 – begünstigt worden zu sein, und auch in der Rifāʿīya findet sich ein illustriertes Exemplar des Textes (Vollers 41). Doch nicht die Rolle des ehemaligen Soldaten Aḥmad b. Šāhīn in den lite- rarischen Kreisen von Damaskus ist hier das eigentlich interessante. Vielmehr ist es die Partizipation des Vaters Šāhīn, eines bei der Eroberung Zyperns 1570–71 als Kriegsbeute nach Damaskus verschleppten und dort in der Folge zu einem der Führer der lokalen Truppen aufgestiegenen Offiziers.74 Diese Partizipation war offensichtlich nicht die eines Gelehrten, sie drückte sich nicht in Lehre, Disputation oder poetischer Produktion aus. Dies musste für einen Nicht-Muttersprachler, welcher Šāhīn im Gegensatz zu seinem Sohn ja war, auch mit bedeutenden Hürden verbunden sein. Es war die Partizipation eines Bewunderers, der als passives Publikum den stillen, so selten fassbaren, aber für die Literaturgeschichte dennoch so immens wichtigen Hintergrund der literarischen Produktion bedeutet. Aḥmad b. Šāhīn beschreibt dies in Vollers 863 folgendermaßen: „Als der Tag seines Aufbruchs kam, machte sich mein Vater Šāhīn, Emir und Oberhaupt des erhabenen Damaszener Heeres mit seiner Gruppe von Soldaten auf, und auch ich machte mich auf mit meiner Gruppe von Studenten und anderen Bewunderern des Scheichs [al-Maqqarī], so dass wir als große Menge zum Dorf Dārayā gelangten.“75 Der unerhörte Erfolg des maghrebinischen Star-Autors in Damaskus wird hier also gekrönt durch

73 Das Kolophon der Leipziger Handschrift Vollers 41, fol. 115r gibt Informationen zur kon- trollierten Verbreitung des Werkes bis zum Jahr 1033 / 1624: „wa-kāna al-farāġ min taḥrīr aṣl hāḏā l-kitāb bi-šauwāl min ʽām ṯalāṯīn wa-alf bi-l- Qāhira al-Muʽizzīya al-maḥrūsa wa-kataba minhū ʽiddat nusaḫ ḥumilat ilā Bilād ar-Rūm wa-ġairihā ṯumma alḥaqtu bi-hā ziyādāt baʽd hāḏā t-tārīḫ ṯumma ḥarrartu hāḏihī n-nusḫa bi-l-Madīna al-munauwara.“ 74 So MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 241–249, Nr. 158. Für Būrīnī: Tarāǧim I, S. 140 war Šāhīn hin- gegen ein bei der Eroberung Zyperns eingesetzter osmanischer Soldat mit türkischer Muttersprache. Der Name des Vaters könnte für diese Version des sicher aus erster Hand informierten Lehrers sprechen, da gefangene und konvertierte Sklaven in der Regel neue Namen erhielten, vor allem arabische und auf wertvolle Besitztümer wie Edelsteine verweisende. Šāhīn (Falke) hingegen ist ein türkischer Name, was für konvertierte Militärrekruten generell möglich, aber sehr selten ist; vgl. dazu Veinstein: Les nouveaux noms. 75 fol. 173r: „innahū lammā kāna yaum riḥlatihī ṭalaʽa wālidī Šāhīn ḥafiẓahū Allāh taʿālā wa-huwa amīr al-ǧund aš-šāmī wa-raʾīs‌ ʿaskar Dimašq as-sāmī fī ǧamāʿa wa-šarḏama min al-ʿaskar wa-ṭalaʿtu al-faqīr maʿa ǧamāʿatī min ṭalabat al-ʿim wa-ġairihim min muḥibbī aš-šaiḫ ǧamm ġafīr ilā qaryat Dārayā.“ 314 kapitel 3 eine gemeinsame militärisch-studentische Eskorte. Zu diesem Zeitpunkt, fast 60 Jahre nach seiner Gefangennahme auf Zypern, muss der Emir Šāhīn ein hochbetagter Mann gewesen sein, und tatsächlich stirbt er kurz darauf. Die Ehrung des großen Dichters und Gelehrten war keine Angelegenheit unter Gelehrten, ʿulamāʾ und Soldaten begingen sie gemeinsam. Der Biograph Muḥibbī, der die Geschichte von Maqqarīs Aufenthalt fast wortgleich und sicher nach Aḥmad b. Šāhīn erzählt, übernimmt jedoch bezeichnenderweise die Rolle der Soldaten nicht in seine Biographie! Während bereits die oben zusammengetragenen Quellen für eine sehr weitgehende Rolle gelehrter oder poetisch aktiver Militärs im literarischen Leben des osma- nischen Syrien sprechen, drücken die gelehrten Autoren der Chroniken und Biographiensammlungen doch neben ihrer Bewunderung auch immer wie- der ihr Erstaunen über diese Männer aus. Būrīnī schreibt über seinen eigenen Studenten Aḥmad b. Šāhīn, den er zum „Ritter der arabischen Sprache und Bannerträger der Beredsamkeit in der Provinz Damaskus“76 erhebt: „und das Sonderbare dabei ist, dass er ein Militär und Sohn eines Militärs war.“77 Gerade die Tatsache, dass Aḥmad b. Šāhīn, obwohl er als Militär bei seinem Vater dem Militär aufgewachsen ist, dennoch mit 20 Jahren ein extremes poetisches Talent an den Tag legt, kommt für Būrīnī der „Vereinigung zweier vollkomme- ner Gegensätze“ gleich.78 Überhaupt scheint Būrīnī unter den einschlägigen Autoren die größte Verwunderung über diese Vermischung der Lebenswelten gehabt zu haben und gegenüber Nicht-Gelehrten geradezu einen ablehnen- den Standesdünkel an den Tag zu legen. Den sehr erfolgreichen Gelehrten und seinen ehemaligen Mitstudenten ʿUmar b. Muḥammad b. al-Qārī (958 / 1551 – 1046 / 1636)79 nennt er „ein Etwas zwischen zwei Nichts (wuǧūd baina ʿadamain)“, weil dessen Vater kein Gelehrter war und sein Sohn ʿAlī Soldat ist. Gerade von einem Mann, der uns als ungewöhnlich offen für die Literatur des ungebildeten Volkes, der ʿāmma, vorgestellt wird, überrascht diese negative Einschätzung. Für eine militärische Karriere im osmanischen Syrien bis in höchste Stellen war Buchwissen oder überhaupt Schreib- und Lesefähigkeit offenbar nicht unbedingt erforderlich. Nur wenige Gouverneure syrischer Provinzen werden

76 Būrīnī: Tarāǧim I, S. 139: „fāris al-ʿarabīya wa-ḥāmil liwāʾ al-balāġa fī l-mamlaka ad-dimašqīya“. 77 Ebd., S. 139: „wa-l-ʿaǧab annahū ʿaskarī wa-ibn ʿaskarī“. 78 Ebd., S. 144: „fa-kāna ka-man ǧamiʿa baina ḍ-ḍiddain“. 79 Ebd. II, S. 330–332; MuḤibbī: Ḫulāṣat III, S. 214–215, Nr. 801. Die Leser 315 in den biographischen Werken als gebildet beschrieben.80 Einer von ihnen war Ġāzī bāšā b. Šāhwār al-Ǧarkasī (gest. 1071 / 1660),81 1065 / 1655 als junger Mann zum Gouverneur von Damaskus ernannt. Er liebt die Gelehrten und dichtet selbst in den „drei Sprachen“ (Arabisch, Persisch, Türkisch). Als er hingerich- tet wird, findet man in seiner Tasche ein Papier mit Versen eines weiteren Militärs, Usāma b. Munqiḏ, die dadurch sehr bekannt und ihm oft fälschli- cherweise zugeschrieben werden. Der auf seinen Reisen von vielen Provinz- Gouverneuren ehrenvoll aufgenomme ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī findet den Gouverneur von Ṣaidā im Jahr 1112 / 1700 über einer Anthologie spannender Anekdoten, die auch den großen Damaszener Gelehrten so faszinieren, dass er mehrseitige Auszüge aus dem Werk in seinen Reisebericht integriert.82 Demgegenüber berichten die Russell-Brüder über die von ihnen beobachtete generelle Unbildung der regierenden Klasse im Aleppo des 18. Jahrhundert: „but instances are still not uncommon of Bashaws and other great officers, who can neither read nor write. The Mohassil of Aleppo, who held that office for many years, was in this predicament. It was a matter of surprise to a European, to see a man of that rank under the humiliating necessity of sending for a secretary to read a common letter, or of applying to some person in company to decipher the title of a memorial.“83 Genau wie im Falle der Aleppiner Händler beobach- ten die Russels jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts eine spürbare Wandlung der Bildungsanforderungen: „Some, on the contrary, of the younger Bashaws, affected to be fond of letters, and appeared at their audiences surrounded with books, and papers. One in particular (Chittijee Bashaw)84 wrote a remarkably fine hand, and used to have specimens of his own writing hung up in frames, in the chamber where he gave audiences.“85 Auch arabische Quellen berich- ten von den literarischen Ambitionen dieses ansonsten als puritanischer und harter Krieger hervorgetretenen Gouverneurs. Seine Biographen nennen ihn „adīb“ oder „rabb as-saif wa-l-qalam“ und zählen von ihm verfasste exegetische und sprachwissenschaftliche Werke sowie Dichtung auf .86 Im Laufe des 19.

80 Für gelehrte oder den Gelehrten zugetane Gouverneure in den Chroniken des 16. bis 18. Jahrhunderts vgl. Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 90–91. 81 MuḤibbī: Ḫulāṣat III, S. 234–235, Nr. 817. 82 Nābulusī: at-Tuḥfa an-nābulusīya, S. 25–33. 83 Russell: Natural history II, S. 91. 84 Lebensdaten 1115 / 1703–04 – 1174 / 1760–61, Gouverneur von Aleppo 1172 / 1758; vgl. Murādī: Silk III, S. 80–81; Rafeq: The province of Damascus, S. 222–227. 85 Russell: Natural history II, S. 92. 86 Vgl. Murādī: Silk III, S. 80–81; seine Gelehrsamkeit und Freundschaft zu Dichtern wird in der Biographie von Aḥmad al-Kīwānī ausgeführt von ebd. I, S. 99–108. „Rabb as-saif wa-l-qalam“ bei ʿUmar b. Muḥammad b. Ibrāhīm al-Wakīl: Tarwīḥ al-qalb aš-šaǧī 316 kapitel 3

Jahrhundert treffen wir dann in den höchsten Staatsämtern auch in der Provinz mehr und mehr auf gut ausgebildete und teilweise hochgebildete Amtsträger. Über die Häufigkeit und Größe von Bibliotheken unter Militärs existieren keine belastbaren Daten und nur wenige literarische Hinweise, vor allem aus dem 12. / 18. Jahrhundert. So sucht ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī auf seiner Reise von Damaskus nach Tripolis den ehemaligen aġā der Damaszener Janitscharen, Muṣṭafā aġā b. Ḫiḍrī aġā, in dessen prächtigem Stadt-Palast auf und findet eine ausgesuchte Bibliothek vor, ohne deren Größe zu beziffern. Namentlich erwähnt werden ein Band Logik, eine ḥadīṯ-Sammlung und vier poetische Werke bzw. deren Kommentare.87 Hier wird er durch die Lektüre eines Traktates über die Erlaubtheit von Tabak auch zu seiner eigenen Schrift über dieses Thema angeregt.88 Eine eigene Biographie findet sich von Amīn Ibn al-Kūmuš / Gümüş (1136 / 1723–24 – 1200 / 1786), Führer (ra‌ʾīs) sowohl der Sipāhīs als auch des Ǧāwušīya-Korps von Damaskus. Dieser trug selbst als er bereits von hohen Schulden gedrückt war, eine enorme Bibliothek zusammen, aus der er bereitwillig an die Gelehrten verlieh, deren Umgang er liebte.89 Und auch der jung im Kampf gefallene ʿAbd ar-Razzāq al-Maʿrāwī Ibn al-Ǧundī (1150 / 1640–41 – 1189 / 1775–76) hat als Kommandant der Festung Talbīsa eine große Bibliothek zusammengetragen, die nach seinem Tod mitsamt seinem Besitz vom Staat eingezogen und verkauft wird.90 Die Beschreibungen legen jeweils einen großen Umfang der Büchersammlung nahe, scheinen aber auch zu zeigen, wie außergewöhnlich sie in den Augen der Berichterstatter dadurch waren. Dokumentarische Quellen helfen in diesem Fall kaum weiter. In den Nachlässen der ʿaskarī-Klasse, deren Mitglieder Militärs waren, um das Jahr 1700 führen Establet und Pascual nur zwei Funde von Büchern an. Dass diese ʿaskarī-Klasse keineswegs mit Militärs gleichzusetzen ist, wurde bereits erwähnt.91 Bei einem der beiden, Aḥmad ǧalabī b. Muḥammad ǧalabī

fī maʾāṯir‌ ʿAbdallāh bāšā al-Čitta čī, MS Wien 1196, zitiert nach Budairī: Ḥawādiṯ, S. 252, FN 1. 87 Nābulusī: at-Tuḥfa an-nābulusīya, S. 78–79. 88 Zu diesem Traktat Nābulusīs vgl. Berger: Ein Herz wie ein trockener Schwamm. 89 Murādī: Silk I, S. 268–272: ش ت ت ن ف ة ن ئ ف ن ن قت ن ت ت ث ف ن ن وا �����ر �ى ا �ل�ك���� ا ��ل������ي��س�� �م� ��س�ا �ر ا �ل�ع��لو�م وا �ل������و� وا ������ا �ه�ا وا �����س���ك���� ا�ك��ر�ه�ا و ج �م ا �لو��ا �م�� �ه�ا، وك�ا � لا ب � ّ ة ت ة ب ة ع ة ن � ض � � ن � �ع � ا � � ت� �ه � ا �ع � ن ط � ا � ل � �ح � � م ط � ا � ل �ع � � ا � ل �ك � � � ا � ل � ��ق � د � � � م � � ا � ل � � م � ت� �ع � � �ل �ق � � ا ل د ا � � �ل غ� � � . ي � � � ب ر ي � � ب� ). . .( تو ي ب� � � ب� ي � � ب � � ا ب� و ل � ). . .( وك�ا � ذ ن ف ت ن � ت ش ت ئ ت ض � �م � �ل�ك ]ا �ل�د �يو�[ لا �ي��� ��ر �ع�� �ح���صي���ل ا �ل�ك��� ب� وا �����ر ا � �ه�ا و�م��ط�ا �ل�ع�� �ه�ا و�ح����ور ا �ل�د ر و �س. ). . .( و�م�ا ع ت ً ة أ ّ ة ة ت ط��ل��� ت � نم�� �ه �ك�ا ��ا �ل���ل�ع�ا ��� ا لا � ��س��ل�ه ا ل �ه�د ��� �م �م�� ل�� �ك��� . ب � ب ري و ر ي� ي ع ج ب� 90 Ebd. III, S. 12–22. 91 Die Entwicklung und Ausweitung der Mitgliedschaft – anfangs rein militärisch, im Laufe der Zeit ausgeweitet zu jedem irgendwie mit staatlichen Posten bedachten und vom Staat Die Leser 317 at-tarǧumān, wird das Vorhandensein von nicht näher bezeichneten Büchern gar als für meine Begriffe kaum haltbarer Nachweis seines nicht-militärischen Hintergrundes angeführt. ʿAskarī war er demnach durch Heirat. Er entstamme vielmehr einem gebildeten Milieu, „comme le prouvent sa fonction et la pré- sence de livres dans sa maison“.92 Der zweite Buchbesitzer aus diesem Korpus jedoch, Muḥammad b. al-ḥāǧǧ ʿUṯmān bekannt als Ibn al-Hūš, könnte durch- aus ein Militär gewesen sein, ohne dass dies sicher gezeigt werden könnte. Er hinterließ 36 Bände im Wert von erstaunlichen 300 Piastern,93 vielleicht ein Hinweis auf eine potenziell mehr auf Prunk und Repräsentation ausgerichtete Sammlungspraxis der allgemein reicheren Militärs. Naufān Raǧā al-Ḥamūd hingegen kann in seiner Studie über das Militär in Syrien aus dem von ihm behandelten Zeitraum (16.–17. Jahrhundert) immerhin zwei eindeutig militä- rische Nachlässe mit Büchern anführen: den des Muḥammad aġā b. Maḥmūd aġā dizdār qalʿat Ḥalab aus dem Jahr 1087 / 1676 und von Sālim bīk b. Yūsuf bekannt als Ibn al-Ballāṭ aus dem Jahr 1090 / 1689. Die Anzahl der Bücher wird jeweils nicht genannt, die wenigen angeführten Beispiele stammen aus den ver- schiedensten Wissenszweigen von Koranexegese über Prophetenbiographie, Logik und Dogmatik bis Medizin.94 Diese Splitter aus der biographischen Literatur und veröffentlichten Dokumenten zeigen also eine ganze Reihe literarisch interessierter Männer aus den Reihen des Militärs, machen aber oft genug auch deutlich, dass es sich in ihrem jeweiligen Fall um Ausnahmen handelte. Sie waren, wie es Murādī einmal für den Festungskommandanten ʿAbd ar-Razzāq al-Maʿrāwī formuliert, „die Militärs, denen der adab sein Brandmal aufgedrückt hat,“95 also meist aktiv literarisch tätig, während passive Literaturrezeption oder die einfache Wertschätzung von Literaten auf anderen Ebenen, wie sie der Vater des Dichters Aḥmad b. Šāhīn verkörperte, in diesen Quellen kaum eine Rolle spielten. Für manche Träger eines entsprechenden Titels ist es schwierig, die Grenzen zwischen aktivem Dienst und nur nomineller Pfründe zu ziehen oder die jeweilige Gewichtung beider Sphären zu bewerten. Als inhaltliche

besoldeten sowie seiner Familie, was bis hin zu einem orthodoxen Patriarchen reichen konnte – ist nachgezeichnet in Barbir: Wealth, privilege, and family structure, S. 182, 185. 92 Establet / Pascual: La gent d’état, Chapitre IV, Abs. 46; Chapitre II, Abs. 61. 93 In Establet / Pascual: Les livres, S. 146 haben die beiden Autoren als mit Abstand teuerste Bibliothek ihres Bestandes noch die von Faḍl Allāh al-Usṭuwānī mit einem durchschnittlichen Wert von 4,3 Piaster pro Band angeführt. Die Bücher Ibn al-Hūšs wären demnach um etwa das doppelte teurer. 94 Ḥamūd: al-ʿAskar fī Bilād aš-Šām, S. 222–223. 95 Murādī: Silk III, S. 12–22: min al-aǧnād al-mausūmīn bi-l-adab. 318 kapitel 3

Vorlieben haben sich klar poetische und historische Interessen herauskristal- lisiert. Dieser Punkt wird durch das Korpus untersuchter Handschriften weiter untermauert. Im Falle des administrativen Personals gehen die literarischen biographi- schen Quellen sehr viel weniger auf die Inhalte von deren Literaturrezeption ein. Die meisten der unter diese Kategorie fallenden Personen waren hohe Kanzleisekretäre in Konstantinopel oder Amtsträger der lokalen Finanzverwaltung. Vielleicht wurden Lesen und Studium in ihrem Fall sehr viel selbstverständlicher vorausgesetzt. Da, wo wir etwas mehr erfahren, sind die thematischen Schwerpunkte gleich gelagert. ʿĀṣim al-Falāqinsī (gest. 1170),96 Cousin des mächtigen daftardār Fatḥī al-Falāqinsī, ist solch ein Fall. Auch er war wie bereits sein Vater ʿAbd al-Muʿṭī als Sekretär (kātib) und Rechnungsprüfer (muḥāsaba-ǧī) in der Finanzverwaltung tätig, mied aber den Kontakt zu sei- nem illustren Verwandten. Stattdessen widmete er sich lieber alleine dem Lesen von adab- und Geschichtswerken. Auch unter den Amtsträgern der Finanzverwaltung werden einige dichterisch ambitionierte oder talentierte Männer genannt.97 Aber keiner erreicht das Format der genannten Poeten aus den Reihen des Militärs. Wie bereits angedeutet, ist es besonders der Bereich der Traditionswissen­ schaften (ḥadīṯ), der die Ergebnisse dieser Untersuchung von den durch Mauder erhobenen Daten zur Mamlukenzeit98 abhebt. Im vorliegenden Korpus ist ihr Anteil mit nur fünf besessenen oder gelesenen Werken verschwindend gering, während er für die wissenschaftlichen Tätigkeiten der aus der biographischen Literatur bekannten Mamluken noch dominierend war. Dem Bild der osmanenzeitlichen literarischen Quellen entsprechen hinge- gen die Punkte 2 bis 4 in der folgenden Tabelle: Poesie, adab und Geschichte. Sie sind entsprechend stark vertreten, etwa gleich stark wie die 6 nachfolgen- den und deutlich stärker als die 23 letzten Themenbereiche zusammengenom- men. Doch mit weitem Abstand steht in der obigen Aufstellung die Epik an erster Stelle. Dieses Ergebnis war aus den Chroniken und Biographien noch

96 Ebd. II, S. 222–231. 97 Der rūznāme-ǧī Muḥammad b. Ṭāhir ad-Dimašqī (gest. 1165 / 1751) vereinigt die Qualitäten von šāʿir, adīb und kātib (ebd. IV, S. 66–67); der taḏkira-ǧī von Aleppo, ʿAbdallāh b. Fatḥ Allāh al-Ḥalabī (gest. 1161 / 1748) dichtet in den drei Sprachen Arabisch, Türkisch und Persisch (ebd. III, S. 103); ʿAlī b. Ḥasan al-Ḥamawī, bekannt als Ibn Qanbaq (1065 / 1654–55 – 1152 / 1740), von Konstantinopel seit 1129 / 1717 als daftardār nach Damaskus abgeschoben, war ein sehr begehrter Dichter auf Türkisch (ebd., S. 202–205). 98 Vgl. Mauder: Gelehrte Krieger, S. 93–103. Die Leser 319

Tabelle 2 Thematische Verteilung der Bücher von Lesern, Besitzern und Stiftern mit militärischem Hintergrund

Thematik Anzahl Bände

Epik 99 Poesie 48 Adab 28 Geschichte 23 Erbauung 21 Sufik 16 Dogmatik 14 Recht 14 Sprachwissenschaften 13 Biographie 12 Koranexegese 8 Astronomie 8 Prophetensīra 6 Geheimwissenschaften / Magie 5 Reiseberichte 5 Traditionssammlungen 5 Medizin / Pharmakologie 4 Zoologie 4 Lexikographie 4 koranische Legenden 3 Theologie 3 Geographie 3 Logik 3 Philosophie 3 Traumdeutung 2 Fürstenspiegel 2 Verwaltungshandbücher 2 antichristliche Polemiken 2 Jagd 2 Städtelob 2 Agrarhandbücher 1 Sprichwörtersammlungen 1 Glaubenslehre der Drusen 1 320 kapitel 3 gar nicht abzulesen. Vereinzelte Hinweise auf die spezielle Rolle besonders der Militärs in diesem Genre liegen bereits in der mamlukischen Chronik Ibn Ṭauqs vor: zur Versteigerung der Bücher des amīr kabīr Ǧānim im Jahr 888/ 1483 merkt er an, diese bestünden zum großen Teil aus Lug und Trug von der Art der Sīrat ʿAntara.99 Mit dem späten Einsetzen der handschriftlichen Überlieferung dieses Genres treten auch die Militärs als Leser und manch- mal Besitzer dieser Werke stark in den Vordergrund. Muṣṭafā b. Yūsuf aġā, ein Mitglied der šamāširǧī-Einheit des verstorbenen ʿUṯmān bāšā, eines ehema- ligen Gouverneurs der Provinz Damaskus (walī aš-Šām sābiqan), ursprüng- lich aus Aleppo und nun wohnhaft in Damaskus, hat im Jahr 1199 / 1785 sogar einen Band der Sīrat al-Ḥākim bi-Amrillāh (London BM Add. 7372) kopiert oder zumindest ältere Teile ergänzt.100 Auch hier ist aber wieder zu beachten, dass die Einträge in diesem Genre durch die Aufteilung großer Texte in viele dünne Bändchen überproportional vermehrt werden und die Abstände zu den ande- ren thematischen Bereichen demnach nicht ganz so gewaltig ausfallen, sofern man nur die rezipierten Werke in Betracht zieht. Die hier identifizierte Gruppe von Militärs ist keinesfalls homogen, die individuellen Unterschiede in gesellschaftlicher Stellung, Bildung und, damit einhergehend, der rezipierten Literatur sind teilweise fundamental und lassen sich auch im Buchbesitz oder –konsum nachzeichnen. Auf der einen Seite steht der aus der Literatur sonst unbekannte Šākir b. ʿAbdallāh aġā as-sūqīya mit einem wenig elegant geschriebenen kleinen Dīwān von Liebeslyrik des kaum bekannten Ibn Zaitūn (Vollers 571), welchen er 1210 / 1795 kaufte – nicht ohne einem möglichen Dieb des Buches in recht vulgären Versen (dūbait) vorzuwer- fen, ein Hurensohn (Ibn zāniya) zu sein. Daneben war er zwischen 1203 / 1789 und 1219 / 1804 Leser von neun Bänden aus der Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs. Darunter waren vier Bände der Sīrat Muḥammad al-Kurdī Ibn Karḫān (Berlin Wetzstein II 543–546), Qiṣṣat al-Haifā (Berlin Wetzstein II 693), Qiṣṣat Banī Allāh Bulūqīyā wa-Dānyāl wa-Ǧāmās (Berlin Wetzstein II 695), einige Bände der Sīrat al-Ḥākim bi-Amrillāh (London BM Add. 7370, 7373), ein Band der 1001 Nacht (London BM Ms. rich. 7404) und eine populäre Prophetengeschichte Nasab an-nabī (Vollers 32). Überhaupt war der Besitz eines Buches gegenüber dem Lesen in einer Leihbibliothek unter diesen Militärs eine Ausnahme. Die auch von Šākir Ibn as-Sūqīya gelesene Prophetengeschichte Nasab an-nabī (Vollers 32) ist eine gute Illustration dieses Umstands. Schlägt man das Buch auf, findet man gleich die erste Seite ungewöhnlich reichhaltig von sehr ungelenken Händen

99 Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 268. 100 Vgl. die Abbildung des Kolophons in Lenora: Der gefälschte Kalif, S. 257. Die Leser 321

Abb. 46 Eine Reihe von Militärs haben ihre Leseeinträge in diesem Buch durch Geheimschrift und Zeichnungen besonders gestaltet. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 32, fol. 1r

ausgestaltet. Die fünf Leseeinträge sind nicht nur allesamt sehr raumgreifend, Aḥmad aġā b. ʿAbdallāh aġā aš-šamāširǧī (sonst als Leser nachweisbar in den Jahren 1246 / 1830 und 1248 / 1832) schreibt seinen Leseeintrag in drei rubri- zierte Baldachine ein und Muḥammad Amīn b. Šaʿbān aġā verfasst seinen Eintrag im Jahr 1241 / 1825 in einer Geheimschrift. Außerdem finden sich in die- ser Handschrift noch Leser, deren einer zumindest Sohn eines ṣūbāšī war,101 ein anderer war Schreiber im osmanischen Heer (al-kātib fī l-ʿasākir aš-šāhānīya).102 Diesen gegenüber stehen Männer wie Aḥmad b. Muḥammad as-Salāmī, bekannt als Ibn Aġrībūzī (gest. 1126 / 1714).103 Er ist in der Rifāʿīya nicht zu fin- den, doch ein von ihm kopiertes Exemplar der Maqāmāt al-Ḥarīrīs ist bereits lange vor der Damaszener Bibliothek nach Leipzig gelangt (B.or.363). Als einer der Führer (aʿyān) des Damaszener Heeres galt er seinem Biographen Murādī doch gleichzeitig auch als ein Gelehrter und Philologe, Muḥibbī hat ihn eines Eintrages in seiner exklusiven Sammlung von Dichterbiographien für

101 Fol. 2r: Muḥammad ʿAlī b. ṣūbāš al-[. . . .]. 102 Fol. 56r: ʿAlī b. ʿAlī al-Qubruṣī ṯumma Iskandarānī, der Titel nach Berlin Wetzstein II 638. 103 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 65, 83; MuḤibbī: Nafḥat ar-Raiḥāna IV, S. 98–103; Murādī: Silk I, S. 181–184; Ġazzī: al-Wird al-unsī, S. 211. 322 kapitel 3 wert befunden. Auf der Pilgerfahrt wird er 1115 / 1704 vom Befehlshaber der Pilgerkarawane, dem Wesir Muḥammad bāšā b. Kurd Bairam in der Festung Tabūk festgesetzt, nachdem diesem zu Ohren gekommen war, dass Aḥmad sich respektlos über ihn geäußert hatte. Wieder frei schließt er sich in Damaskus ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī an, wohnt sogar eine Zeit lang in dessen berühm- tem Haus in Ṣāliḥīya.104 Speziell erwähnt wird von Murādī das Studium der Futūḥāt al-makkīya des Mystikers Ibn al-ʿArabī. Besessen hat er neben seiner Kopie der Maqāmāt nachweislich den Sarḥ al-ʿuyūn, Ibn Nubātas Kommentar zum Kunstbrief Risāla von Ibn Zaidūn (Berlin Sprenger 50) und das dogma- tische Werk Budd al-ʿārif des Mystikers Ibn Sabʿīn (Berlin Wetzstein II 1524). Beide werden als Käufe aus seinem Nachlass erwähnt, sein eigener Eintrag fin- det sich in ihnen nicht. Schließlich hielt er auch das timār-Lehen des Dorfes Ḥalbūn bei Damaskus105 und für die generelle Verwaltung der Damaszener Militärlehen (iqṭāʿāt) war er als taḏkira-ǧī106 der Stadt verantwortlich. Hierin zeigen sich bereits admi- nistrative Funktionen. Es wird in der Biographie auch nicht ganz klar, ob die erwähnten Studien bei an-Nābulusī ein Neuanfang, also gänzlich das Produkt seines nach-militärischen Lebensabends nach der erwähnten Freilassung sind. Deutlich ist sein Leseprofil aber bereits in den wenigen erhaltenen Büchern ein anderes als das Šākir Ibn as-Sūqīyas. Und auch die Praxis unterscheidet sich: Für ihn bedeutete Lesen zumindest auch Besitzen, und statt der Lektüre zur bloßen Unterhaltung fanden Studien bei einem angesehenen Lehrer statt!107 Anders als bei einem Karriere-Militär ist zumindest Lese- und Schreibfähig­ keit bei administrativ tätigen Männern vorauszusetzen. Für bestimmte, mit dem komplizierten Formular der Kanzleien (inšāʾ) befasste Sekretäre ist eine sehr gründliche literarische Ausbildung sogar eindeutig erforderlich. Die Forschung hat bereits Beispiele solcher Männer mit erhaltenen Informationen

104 Vgl. ebd., S. 211. 105 Interessanterweise ist dieser Ort dann auch Ziel eines der Ausflüge ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs mit einer „ǧamāʿa min al-afāḍil“, der Gastgeber wird wohl Ibn Aġrībūzī gewesen sein; vgl. ebd., S. 254, wo der Ausflug mitsamt einem Lobgedicht auf Ḥalbūn erwähnt wird. 106 Zum Amt MubaiyaḌīn: Ahl al-qalam, S. 268. 107 Für weitere militärische Schüler großer Gelehrter vgl. Schwarz: Erlebnis und Erinnerung, S. 87 (ein junger silaḥdār (Gardereiter) von der Hohen Pforte studiert beim Aleppiner Fatḥ Allāh al-Bailūnī in Ägypten Syntax, wider Erwarten mit großem Eifer: „ġaira muktariṯin bimā huwa ša‌ʾnu amṯālihi mimmā yūqifu ʿani t-taḥṣīl“); Reichmuth: The world, S. 67 (Stiftung eines Schülers von Murtaḍā az-Zabīdī, Chef eines Artillerie-Regiments). Die Leser 323

über ihre Bibliothek genauer untersucht.108 In der Rifāʿīya ist es im Untersuchungszeitraum zuerst der nicht näher bekannte Bahrām, Kontrolleur der Finanzen des Damaszener Heeres (al-muqābil bi-dafātir ʿasākir aš-Šām), wie er sich selbst in seinem Leipziger Besitzeintrag (Vollers 659) nennt. Būrīnī erwähnt ihn zwar einmal als Augenzeugen eines Feldzuges gegen den Rebellen ʿAbd al-Ḥalīm al-Yāziǧī im Jahr 1010 / 1601–02 und nennt ihn dabei „ṣāḥibunā“, schenkt ihm aber bezeichnenderweise keine eigenständige Biographie.109 Fünf bisher identifizierte Bücher aus seinem Besitz sind typisch für die pro- fessionellen und literarischen Interessen der Sekretäre: Das Kanzleihandbuch at-Taʿrīf bi-l-muṣṭalaḥ aš-šarīf des Ibn Faḍl Allāh al-ʿUmarī (gest. 749 / 1349; Vollers 659) ist direkt mit den professionellen Bedürfnissen nach gutem Kanzleistil in Verbindung zu bringen. Daneben sind zwei Geschichtswerke zu finden, ad-Durr an-naḍīd fī manāqib al-Malik aẓ-Ẓāhir des Muḥammad b. ʿAqīl (Berlin Wetzstein I 133) und ein Fragment mit Biographien aus Damaskus aus dem 4. Jahrhundert (Beirut AUB MS 956:K18kA). Außerdem besaß Bahrām eine Schrift zur Verteidigung Ibn Taimīyas (Berlin Wetzstein I 157) und Zain ad-Dīn ar-Rāzīs Pflichtenlehre Tuḥfat al-mulūk (Damaskus Ẓāhirīya 2527). In dieser Gruppe finden wir die Notizen höchster Würdenträger, wie die von vier verschiedenen daftardār110 und drei weiteren ḫazīna-/ḫazana-kātibīs von Damaskus aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert, also den nominell höchsten Finanzverwaltern der Provinz.111 Ihre literarischen Interessen sind erstaun- lich kongruent und heben sich deutlich von Lesern wie Šākir b. ʿAbdallāh aġā as-Sūqīya ab. Poesie, Stilistik und Geschichte dominieren das Feld fast ohne

108 Shinder: Mustafa Efendi, passim; Sievert: Zwischen arabischer Provinz, S. 404–431. 109 Būrīnī: Tarāǧim II, S. 150. 110 Ein in der Literatur erwähnter Ibrāhīm bāšā b. ʿAbd al-Mannān (gest. 1043 / 1633–34; MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 42–44, Nr. 21), daftardār von Damaskus in den Jahren 1021 / 1612– 13 und 1025 / 1616, dann amīr der Pilgerkarawane 1041 / 1631–32, wird als Sammler von Büchern (ǧamiʿa kutuban) beschrieben, ohne dass Studien erwähnt werden. 111 Nominell war der daftardār der höhere Posten gegenüber dem ḫazīna-kātibī, wel- cher auch die FInanzverwalter privater Haushalte beschreiben konnte. Dass die Finanzverwaltung besonders im 19. Jahrhundert oft in der Hand von Proto-Banken nicht unähnlichen Geldgebern (ṣarrāf) war, die wiederum bevorzugt aus den Reihen der reli- giösen Minderheiten rekrutiert wurden, ist eine andere Frage; vgl. dazu [Paton]: Die heutigen Syrier, S. 202. Die Ämter von daftardār und ḫazīna-kātibī brachten jedoch im 18. und 19. Jahrhundert einige der reichsten Männer der Stadt hervor; vgl. etwa ebd., S. 27, 147; Schatkowski-Schilcher: Families in politics, S. 49; Banī Hānī: Tārīḫ madīnat Dimašq, S. 40–41; für ḫazīna-kātibī vgl. Addison: Damascus and Palmyra II, S. 165–166; generell zur Finanzverwaltung und deren Ämtern Rafeq: The province, S. 14–20. 324 kapitel 3

Ausnahme. Der Mekka-Reisebericht ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusīs (al-Ḥaqīqa wa-l-maǧāz, Tübingen MA VI 28) wurde 1193 / 1779 vom daftardār ʿAlī b. Muṣṭafā erworben, während ein Muṣṭafā b. ʿAlī al-Ḥamawī ad-Daftarī – sein Sohn oder Vater? – die Biographiensammlung Tarāǧim al-aʿyān eines weiteren Damaszeners, al-Ḥasan al-Būrīnī kauft (Berlin Wetzstein I 29), im Jahr 1172 / 1758–59 mindestens einen Band von Ibn Ḫallikāns Biographiensammlung Wafayāt al-aʿyān erwirbt (Princeton, Garrett no. 3415Y),112 und eine Sammlung komplizierter Kunstprosa ayyubidischer und mamlukischer Autoren (Berlin Wetzstein I 48) liest. Der Dīwān Abū l-ʿAlāʾ al-Maʿarrīs (Berlin Wetzstein II 161) ebenso wie die Sammlung von Kunstprosa al-Inšāʾāt al-ʿarabīya Rašīd ad-Dīn al-Waṭwāṭs (Leipzig Vollers 492) erregen das Interesse mīr Ḥusain bīk b. Ḥusain efendīs, der beim Kauf der Bücher 1244 / 1828–29 bereits nicht mehr im Amt des daftardārs ist. Letzteres Buch hat zu einem unbestimm- ten Zeitpunkt auch mīr ḥāfiẓ Muḥammad Nūrī erworben, der – neben einem Offiziersposten bei einem Janitscharenregiment (ūǧāq yarliyān) – auch den niedrigeren Rang des Tagebuchschreibers in der Finanzbehörde (rūznāme-ǧī ḫazīne-ye Šām) hält. ʿAbdallāh aġā ḫazine-kātibī hat sich (nach 1177 / 1763–64) zwei Gedichtsammlungen ausgeliehen (Berlin Sprenger 1236, Wetzstein II 156). Ähnlich sehen zwei Bücher mit dem Namen von Muḥammad Nūrī b. Ḥasan efendī aus, der 1223 / 1808–09 noch den Titel bīk trägt, während er sich zehn Jahre später nur noch als efendī unterschreibt, wohl weil er den Posten des Finanzverwalters in der Zwischenzeit verloren hat (er schreibt von sich nun als „daftardār [aš-Šām] sābiqan“). Er liest 1223 / 1808–09 das berühmte Geschichtswerk Kitāb al-ʿibar von Ibn Ḫaldūn (Berlin Sprenger 28), jedoch 1233 / 1817–18 auch eine populäre Sīrat al-malik Badrnār (Leipzig Vollers 627). Ein weiterer ḫazīna-kātibī hat ein episches Werke gelesen, jedoch ebenfalls nicht besessen, nämlich Aḥmad ḫazan-kātibī im Jahr 1253 / 1837–38 eine Sīrat al- malik ʿAmr an-Nuʿmān (Berlin Wetzstein II 682). Zwei Männer aus der Familie al-Falāqinsī verkörpern hochstehende biblio- phile Amtsträger in der Administration in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts:

112 Diese Informationen nach dem elektronischen Katalog der Princeton University Library (http://catalog.princeton.edu/). Nach den dort zu findenden Angaben hat der Mann drei Einträge hinterlassen und nennt sich in einem „Muṣafá Hamawī Zade aghaʼ ṭʼifah ئ ف ة ة zu Grunde liegt, also ṭāʾifat ط�ا ���� �� ا ��لي� ك��� ج�ر ي��� al-Bakchariyah(?) in Damascus“, wobei hier al-yañiǧarīya zu lesen ist, der Mann also nicht nur in der Finanzverwaltung tätig war, son- dern zu einem unbestimmten Zeitpunkt auch ein aġā des Damaszener Janitscharenkorps gewesen wäre. Diese Lesung und ob es sich bei den drei Einträgen tatsächlich um die gleiche Person handelt konnte ich ohne Digitalisat freilich nicht verifizieren. Die Leser 325

ʿĀṣim al-Falāqinsī (gest. 1170 / 1756–57)113 und sein Neffe Aḥmad al-Falāqinsī.114 Ihre bevorzugte Lektüre bestand nach Ausweis der Handschriften tatsächlich aus Poesie, Musik und Geschichte, so wie es auch schon in der Biographie ʿĀṣims dargestellt wird. Ein besonders prominentes Beispiel aus dem nächsten Jahrhundert ist die Familie ʿAẓm, deren wichtige Rolle als Stifter öffentlicher Bibliotheken bereits dargestellt wurde. Im 13. / 19. Jahrhundert, nach dem Ende ihrer politischen Glanzzeit, stellt sich der Buchbesitz einiger Familienmitglieder ganz anders dar. Wurde vorher sehr viel gestiftet, aber nicht unbedingt oder für uns nachweisbar gelesen, finden wir jetzt umgekehrt Lese- und Besitzeinträge in größerer Menge, aber keine größeren Stiftungen mehr. Nicht umsonst ist es der Sohn des letzten ʿAẓm-Gouverneurs, Aḥmad Muʾaiyad b. Naṣūḥ (1221 / 1806–07 – 1306 / 1888–89),115 der uns zuerst als rein privater Besitzer einer großen Menge Bücher entgegentritt. Neben dem jüngeren Maḥmūd b. Ḫalīl al-ʿAẓm (1252 / 1836–37 – 1292 / 1875)116 ist er das einzige Mitglied der Familie, das eine Biographie in Šaṭṭīs Tarāǧim erhalten konnte. Zusammen haben die beiden in unserem Korpus 13 Bücher besessen, kopiert oder gelesen. Damit heben sie sich deutlich von den weiteren sieben überlieferten ʿAẓms in die- sem Korpus ab, welche jeweils nur ein oder zwei Bücher gelesen oder besessen haben. Beide hatten laut ihrem Biographen starke literarische Neigungen und Maḥmūd b. Ḫalīl wird als ein herausragender Dichter und adīb beschrieben, der Anthologien und Gedichtsammlungen zusammenstellt.

113 Vgl. Murādī: Silk II, S. 231–232, der besonders über seine Lektüre von Geschichts und adab-Werken berichtet. Besitzer von Berlin Wetzstein I 41 (1144 / 1731–32); Damaskus Ẓāhirīya 3177 adab 6 (Katalog Adab II 167, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3182 adab 11 (Adab I 259), 3197 adab 26 (Adab I 402, dann Stiftung Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3198 adab 27 (Adab II 50, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3206 (Adab II 238, dann waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm), 3342 (Adab I 440), 3395 (Martel-Thoumian: Catalogue, S. 264; Name ist hier fälschlich als Ġalāqinsī angegeben), 7053 (Katalog Adab II 183); Princeton Garrett Collection 220B. Im Jahr 1130 / 1718 lässt er eine Kopie von al-Maqqarīs Nafḥ aṭ-Ṭīb durch Aḥmad b. Muḥammad al-Ḥamawī al-ʿAṭṭār kopieren (diese Kopie befand sich um 1968 in Bagdad in Privatbesitz, vgl. Maqqarī: Nafḥ aṭ-Ṭīb I, S. 22–23, ist nun jedoch in Riyad, King Saud University MS 1057). 114 Vgl. Murādī: Silk I, S. 161–165. Besitzer von Berlin Wetzstein II 180 (auch Kopist 1140 / 1727–28), 212; Damaskus Ẓāhirīya 3223 adab 52 (nach Murād / Sauwās: Adab I, S. 304). Auftraggeber der Abschrift von Leipzig Vollers 458 (1145 / 1732–33). Kopist von Leipzig Vollers 546 (Kollation 1162 / 1748 und 1164 / 1750). 115 ŠaṬṬī: Aʿyān, S. 335. 116 Ebd., S. 270–272. 326 kapitel 3

Für Muʾaiyad al-ʿAẓm war das Jahr 1229 / 1814 ein Wendepunkt in seinem Leben, denn in diesem Jahr verlor er seinen Vater und wurde nun von sei- ner Mutter, Umm al-Ḫair al-Kīlānīya erzogen. Gleichzeitig begegnet er uns, gerade einmal acht Jahre alt, in diesem Jahr zum ersten Mal als Buchbesitzer, einer Gedichtsammlung des Mystikers ʿAlī b. Wafāʾ aš-Šāḏilī (761 / 1360 – 807 / 1404–05). Ob hier bereits der Einfluss der Mutter, aus einer eminenten Familie von Mystikern stammend, bemerkbar wird? In der Folge scheinen sich seine Interessen jedenfalls nicht nur in diese Richtung zu entwickeln. Geschichte mit einer Tārīḫ Tīmūr (Berlin Wetzstein I 11), die eigenhän- dig kopierte Reisebeschreibung nach Baʿlabakk, Ḥullat aḏ-ḏahab, von ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī (Berlin Landberg 123), oder der ebenfalls selbst kopierte Fürstenspiegel / Fabelsammlung Kalīla wa-Dimna (Tübingen MA VI 35), spiegeln ziemlich genau die bevorzugten Literaturfelder der militärisch- administrativen Elite. Seine fromme Seite zeigt Muʾaiyad al-ʿAẓm dagegen durch die eigenhändige Kopie von Suyūṭīs Traktat über Engel al-Ḥabāyik ʿan aḫbār al-malāʾik (Michigan Isl. Ms. 502) sowie eine Sammelhandschrift mit Prophetenlegenden (Damaskus Ẓāhirīya 9742). Eine rege Aktivität verzeich- net das Jahr 1242 / 1826–27, als der 21-jährige Aḥmad Muʾaiyad vier Bücher kauft und zwei kopiert. Von sieben seiner 10 nachgewiesenen Bücher hat er sich noch recht früh, nämlich spätestens in den 1850er Jahren und damit lange vor seinem Tod 1306 / 1888 wieder getrennt, was vielleicht mit dem Umzug der Familie nach Beirut zu tun haben könnte. Nur einmal sagt er dies ganz explizit, als er Ibn ʿArabīs sufisches al-Kibrīt al-aḥmar an den Gelehrten (ḫādim al-ʿilm) Abū Bakr b. Aḥmad b. Dāwūd verschenkt. Der letzte mir nachweis- bare Nachweis ist seine Kopie eines rechtsphilosophischen Werkes, Ḫulāṣat at-taḥqīq fī ḥukm at-taqlīd wa-t-talfīq, wiederum von ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī, welchen er 1266 / 1850 vollendete (Damaskus Ẓāhirīya 4010). Die kleine Sammlung Maḥmūd b. Ḫalīl al-ʿAẓms überrascht inhaltlich schon etwas mehr. Nicht weil die Inhalte für einen Militär ungewöhnlich gewesen wären, sondern weil Šaṭṭī den Besitzer als einen herausragenden Dichter und adīb beschreibt, was die Rezeption von feiner Poesie und adab-Literatur nahe- gelegt hätte. Neben einer anonymen Gedichtsammlung (Berlin Sprenger 1239) und Ibn Abī Uṣaibiʿas Ärztebiographien ʿUyūn al-anbāʾ fī ṭabaqāt al-aṭibbāʾ, welche er 1269 / 1853 und 1270 / 1854, also mit 17 bzw. 18 Jahren kaufte und die eine gehobene Literatur vertreten, findet er sich aber auch als Leser der Sīrat ʿAntar (Berlin Wetzstein II 1055) und sogar als einer der ganz wenigen Besitzer epischer Literatur, einer Sīrat al-ʿAnqāʾ (Berlin Wetzstein II 560). Zwei der Besitzeinträge sind datiert, doch alle Bücher muss er vor seinem 30. Lebensjahr gelesen oder gekauft haben. Es ist gut vorstellbar, dass die Abenteuer des edlen Ritters ʿAntar für Militärs eine besondere Faszination gehabt haben. Die Leser 327

Am Ende der Untersuchungsperiode finden wir auch den offenbar gut aus- gebildeten – doch bisher ebenfalls nicht zu identifizierende – Muṣṭafā Šams ad-Dīn b. Muḥammad Saʿīd al-Būsnawī, der sich stets als ehemaliger Sekretär im Dīwān Muḥammad Šarīf Bāšās identifiziert (kātib dīwān afandī ḥukmdār aš-Šām Muḥammad Šarīf Bāšā), auch mehr als zehn Jahre, nachdem die- ser der ägyptischen Besatzung der Stadt vorstand (bis 1256 / 1840). Das lässt wohl darauf schließen, dass er in der Zwischenzeit keinen anderen aktiven Dienst und Titel mehr beanspruchen konnte. In seinen beiden in die Rifāʿīya gelangten Büchern, einer Sammlung von Prophetenlegenden Qiṣaṣ al-anbīyāʾ (Vollers 106) und einem eschatologischen Traktat von al-Ġazālī (gest. 505 / 1111; Vollers 118) zeigt er sich als frommer und – da er die noch 1269 / 1853 erworbene Vollers 118 nur wenige Monate besessen haben kann – vielleicht alter und um sein Schicksal im Jenseits besorgter Mann. Dabei zeigen seine in der üblichen Kanzleischrift ausgeführten Besitzeinträge zwar offensicht- lich eine Vertrautheit mit dem geschriebenen Wort, aber verraten grundsätz- lich noch nichts über eine darüber hinausgehende Bildung. Auch unter den Männern dieser Gruppe professioneller Schreiber konnten der in der Schrift ausgedrückte Bildungsanspruch und die Wirklichkeit stark auseinanderge- hen. Ein Ḥasan b. Muṣṭafā efendī, kātib ʿarabī Dīwān aš-Šām, hatte offensicht- lich eine gründliche Schreiber-Ausbildung und legte seinen Besitzeintrag in der Handschrift Berlin Sprenger 1222 im Jahr 1129 / 1716–17 auch in gekonnter Schönschrift nieder. Damit kontrastieren jedoch die haarsträubendsten ortho- ا � ن ا � � � ن ا � ن ة .( ح � � ��� س � ل � � ل � ه � ل�ه و ب ي� ع � ي� � ل �ع � � � ا ي � � �) graphischen und grammatischen Fehler Auch unter den Militärs und dem administrativen Personal beobachten wir eine deutliche und überproportionale Zunahme der Beteiligung am literari- schen Leben im Fortgang des Untersuchungszeitraums, eine Beteiligung, die sich außerdem auf fast alle Felder der Literatur erstreckt. Während in diesem Korpus nur zwei Mitglieder der militärisch-administrativen Schicht im oder vor dem 9. Jahrhundert als Leser, Besitzer, Kopisten oder Stifter bezeugt sind und auch das 10. Jahrhundert nur einen weiteren stellt, sind 17 Einträge sicher in das 11. Jahrhundert zu datieren, 65 in das 12. Jahrhundert und ganze 210 in das 13. Jahrhundert. Dabei stehen insgesamt 206 Besitzer der beträchtlichen Zahl von 176 Lesern gegenüber, wobei der hohe Anteil der Leseeinträge stark vom hohen Anteil der epischen Literatur unter den rezipierten Büchern geprägt ist, welche im 19. Jahrhundert wohl in der Regel über spezielle Leihbibliotheken konsumiert wurden. 4 Mal finden sich Militärs oder administratives Personal in Ausleiheeinträgen, 7 Mal sind sie als Kopisten aktiv, 6 Mal in Bücherstiftungen involviert, meist als Stifter, jedoch in einem Fall stellen sie 7 der 10 Zeugen für die 1145 / 1733 in einem Damaszener Vorort gestifteten Mystiker-Biographien Lawāqiḥ al-anwār von aš-Šaʿrānī (Vollers 254). 328 kapitel 3

Abb. 47 Farruḫ b. Maḥmūd, ein Offizier im Damaszener Heer, hat diesen Text in seiner schönen Handschrift auf einer Kampagne in Ṣaidā / Sidon kopiert. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 214

Literaturrezeption war für Militärs offenbar nicht nur eine Beschäftigung für die Ruhestunden, man muss sie auch auf den Feldzügen suchen. Eine Handschrift der Rifāʿīya (Vollers 214) wurde von einem Damaszener Offizier im Jahr 1013 / 1605 mit auf eine Kampagne gegen Faḫr ad-Dīn II. al-Maʿn (reg. mit Unterbrechungen 993 / 1585 – 1042 / 1633, hingerichtet 1045 / 1635) genommen. In Ṣaidā ergänzte er das Mystik-Handbuch Qūt al-qulūb dann durch eine sehr schön geschriebene kleine Abhandlung über eine Frage der Koranexegese. Und ganz am Ende von dessen Regentschaft war es wieder ein Feldzug gegen Faḫr ad-Dīn, der einen Offizier Zeit für literarische Aktivitäten ließ. Diesmal war es der ǧāwuš Yaḥyā, Sohn des ǧāwuš Muḥammad, der das Werk al-Iʿlām fī tārīḫ Bait Allāh al-ḥarām (Tübingen MA VI 23) über Geschichte und Vorzüge von Jerusalem kopierte, als er mit dem islamischen Heer (ǧamʿīyat ʿasākir al-islām) die Festung Qabr Ilyās belagerte.

3.3 Ärzte

Eine weitere in den literarischen Quellen unterrepräsentierte Gruppe waren die Ärzte. Bereits über deren praktische medizinische Ausbildung in der hier behandelten Zeit ist kaum etwas bekannt und der in diesem Zusammenhang besonders wichtige Anteil literarischer Bildung erschließt sich dement- sprechend schlecht. Schon in dem weit verbreiteten Qānūnče fī ṭ-ṭibb, einer Die Leser 329

Kurzfassung des Qānūn Ibn Sīnās durch Maḥmūd al-Ǧaġmīnī aus dem 7. isla- mischen Jahrhundert konnte ein Arzt lernen, dass die beste Medizin zuwei- len das Lesen war.117 Doch im 18. Jahrhundert zeichnen die Russell-Brüder für Aleppo eine sehr bildungsferne Ärzteschaft:

If the modern Aleppean practitioners therefore are illiterate, it is not to be ascribed to a want of books. But as already observed, they pursue no regular course of study; their reading at best is desultory, and few of them are tolerably versed in the cannon of Avicenna, though manuscripts of that work are far from being scarce at Aleppo, and the printed Roman edi- tions are very common. The books most read are modern abridgements of ancient authors, or collections made from various writers, either jumbled promiscuously together, or arranged in tables, or subdivisions, agreeably to the fancy of the compiler. A book of this kind descends by inheritance in the family, and being sometimes enriched with choice recipies, or secrets, it is carefully preserved till the failure of male heirs brings it into publick circulation.118

Besonders deutlich wird dies im Bereich der Chirurgen, deren Arbeit gene- rell den ungebildeten Barbieren zugeschrieben wird. Ein amerikanischer Arzt berichtet noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts: „I have a neighbor who has no knowledge of anatomy and cannot read, who has operated for stone with success repeatedly, though not always.“119 Auch nach Mišāqa sollen die etwa 40 Barbiere von Damaskus, deren Anführer ebenfalls Analphabet war, für die Chirurgie in der Stadt zuständig gewesen sein.120 Tatsächlich sprechen die Sekundäreinträge der Handschriften hier eine ganz andere Sprache. Bereits Establet und Pascual haben einen Barbier unter den Buchbesitzern in den von ihnen untersuchten Damaszener Nachlassregistern um 1700 aufgezählt.121 Der betreffende, nicht identifizierte Mann besaß aller- dings nicht mehr als ein Buch. Und auch im von mir untersuchten Korpus gibt es nur zwei ḥallāq, die Bücher ihr Eigen nannten: der auch als Chronist

117 Vgl. Ǧaġmīnī: Qānūnče, S. 133. Die Handschrift hatte viele Aleppiner Ärzte, teilweise aus der Zeit der Russell-Brüder, als Besitzer. Vgl. zur Vorstellung der Bibliothek als „Apotheke der Seele“ seit dem antiken Ägypten bis zur modernen Bibliotherapie Herkommer: Das Buch als Arznei. 118 Russell: Natural history II, S. 121. 119 De Forest: Medicine in Syria, S. 158. 120 Vgl. Mišāqa: Michael Meschâka’s Cultur-Statistic, S. 354. 121 Vgl. Establet / Pascual: Les livres des gens, S. 151. 330 kapitel 3 des 18. Jahrhunderts hervorgetretene Aḥmad Ibn Budair besaß eine fromme Wundererzählung aus der Frühzeit des Islam (Berlin Wetzstein II 745) und ein Rašīd al-Ḥallāq al-Ḥakawātī war sogar Herr über eine recht große Bibliothek epischer Werke. Ob er also eigentlich ein Erzähler und Besitzer einer Leihbibliothek war oder ein Barbier, ist hier nicht ganz klar. Möglich wäre auch eine Mischung aus beidem, finden wir doch in einer Damaszener Handschrift einen weiteren ḥallāq, der explizit als ḥakawātī auftritt122 und hat doch Wetzstein auf einer Reise in den Ḥaurān mit Darwīš Raǧab sogar die seltene Kombination eines Arztes und öffentlichen Erzählers mitnehmen können.123 Doch das Fehlen von Buchbesitz bedeutet nicht das Fehlen von Lektüre: sechs Mal ist ein ḥallāq auch als Leser populärer Erzählungen und Historien124 und in einem Falle eines Rechtswerkes125 zu finden. Besonders für muslimische Ärzte gab es immer wieder Überschneidungen in die Welt der Religionsgelehrten.126 Wie nicht zuletzt die vielen medizini- schen Werke in der Rifāʿīya deutlich zeigen, war aber medizinisches Wissen Teil eines allgemeinen Bildungsideals oder, wie es die Russells für Aleppo aus- drücken: „Medicine still being regarded as a branch of philosophy, the literati always pretend to some speculative knowledge of it.“127 Dazu passt auch, dass die meisten Besitzer und Leser medizinischer Handschriften ʿulamāʾ waren. Doch neben den ʿulamāʾ zeigt sich der größte Teil der identifizierten Mediziner gerade in diesen fachspezifischen Handschriften. Viele medizini- sche Werke wechselten sogar immer wieder zwischen den Händen der wahr- scheinlich hauptsächlich literarisch interessierten Gelehrten und der Praktiker hin und her. Ein schönes Beispiel dafür stellt die Handschrift Vollers 763 aus der Rifāʿīya dar. Nafīs b. ʿIwaḍs (gest. 853 / 1449–50) Šarḥ al-Asbāb wa-l-ʿalāmāt fī ṭ-ṭibb in einer Kopie aus dem Jahr 896 / 1491 muss sich am Beginn des 18. Jahrhunderts in Konstantinopel befunden haben. Hier besaß sie der große osma- nische Bibliophile Abū Bakr b. Rustam b. Aḥmad aš-Širwānī, der im Jahr 1135 / 1723 starb. Širwānī war ein hochrangiger Kanzleibeamter in der osmanischen

122 Vgl. Murād / Sauwās: Adab II, S. 322–323. 123 Vgl. Wetzstein: Reisebericht, S. 2–3: „(. . .), als Arzt musste er das Volk von mir abhal- ten, das in jedem Europäer einen Heilkünstler sieht, und des Abends musste er erzählen, wenn ich an meinem Tagebuche arbeiten wollte.“ 124 Berlin Wetzstein II 266 (Hāšim al-Ḥallāq b. Muḥammad ad-Dimašqī, 2.5.1267 / 5.3.1851), 521 (Muḥyī d-Dīn b. Aḥmad al-Ḥallāq, 9.6.1244 / 17.12.1828), 562 (ʿAbd al-Ġanī b. ʿUmar al-Ḥallāq, 1235 / 1819–20), 674 (Muḥammad Ibn al-Ḥallāq), 732 (ʿAbdallāh b. Ḥasan al-Ḥallāq). 125 Berlin Landberg 443 (ʿAbd al-Ḥamīd b. ʿUmar al-Ḥallāq). 126 Vgl. dazu etwa Behrens-Abouseif: The image, S. 332–333, 336. 127 Russell: Natural history, S. 116–117. Die Leser 331

Abb. 48 Mehrere Ärzte haben in dieser medizinischen Handschrift Besitzeinträge hinterlassen. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 763, fol. 1r

Finanzverwaltung. Kurz vor seinem Tod, Ende 1134 / 1722, ging das Buch an einen bisher nicht weiter identifizierten Muḥammad bekannt als aṭ-Ṭanas, der als Träger des Titels efendī wohl auch den administrativen Hintergrund Širwānīs teilen könnte. Er oder der nächste Besitzer Muḥammad Ṣāliḥ al-ʿAṭṭār müssen das Buch dann nach Damaskus gebracht haben, wo es in die Hände 332 kapitel 3 mindestens zweier Ärzte gelangte: Muhannā Ṣaḫr, ein – dem Namen nach offenbar christlicher – Arzt in Damaskus (al-mutaṭabbib fī Dimašq) und der Oberarzt der muslimischen Ärzte der Stadt, Amīn, der anderweitig zwischen 1252 / 1836 und 1256 / 1840, also unter der ägyptischen Verwaltung nachweis- bar ist. Zwei weitere Ärzte können zeitlich und örtlich nicht verortet werden. Schließlich hatte das Buch auch noch eine mit Sicherheit nicht länger als 15 Jahre dauernde Phase auf den Regalen der Rifāʿīya. 33 der 58 in diesem Korpus identifizierten Einträge von Medizinern fanden sich in medizinischen oder pharmakologischen Werken. Ärzte zeigen sich also, entgegen den Eindrücken der Russell-Brüder aus Aleppo, sehr interes- siert auch an den theoretischen Grundlagen ihres Faches. Während dies zu erwarten ist, zeigen die weiteren Spuren von professionellen Medizinern in den Handschriften auch einen breiten Bildungshorizont mit gewissen, jedoch nicht allzu stark ausgeprägten Neigungen zu adab und Geschichte. Was die Mediziner als Gruppe gegenüber anderen hier behandelten Gruppen heraus- hebt, ist die erwartbar starke Neigung zu naturwissenschaftlichen Werken, wel- che etwa bei den Militärs weitgehend fehlt. Diese professionellen Mediziner schließen sowohl Ärzte (ṭabīb, mutaṭabbib, ḥakīm) und Okkulisten (kaḥḥāl) als auch Chirurgen (ǧarrāḥ, ǧarāʾiḥī) ein, während die Barbiere (ḥallāq, muzaiyin) aus dieser Betrachtung ausgeklammert wurden. Für jüdische und christliche Ärzte taten sich teilweise noch andere textliche Horizonte auf, als sie in der Rifāʿīya oder den anderen für diese Untersuchung systematisch untersuchten Sammlungen sichtbar werden. Sie konnten sowohl aus Buch-Traditionen in anderen Sprachen als dem Arabischen schöp- fen als auch eigene neu erschaffen. So konnte der Bibliothekar Stephanus Baluzius (1630–1780) noch 1674 in Aleppo eine hebräische Materia Medica für die Bibliothek des französischen Ministers Colbert erwerben, wel- che eine Übersetzung des arabischen Kitāb al-Mufradāt von Ibn as-Sarabī (Serapius d. J.) darstellte (BnF Hébreu 1187).128 Uns sind zahlreiche hebräische Übersetzungen oder in hebräischer Schrift widergegebene Werke Ibn Sīnās, aber auch ursprünglich arabisch verfasster Werke jüdischer Autoren bekannt. Auch griechische Handschriften fanden sich im Besitz dieser Ärzte, wie der berühmte „Wiener Dioskurides“, ein im 6. Jahrhundert angefertigter byzanti- nischer Codex, welcher im 16. Jahrhundert von einem Sohn Moses Hāmons

128 Die Handschrift ist einsehbar unter: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90643719/ f2.image.r=arabe.langEN. Für weitere durch Baluzius aus Aleppo an die Bibliothek Colberts gebrachte hebräische Handschriften vgl. Bobichon: Manuscrits en charactères Hébreux, S. 288 (Hébreu 701); Di Donato: Manuscrits en charactères Hébreux, S. 164 (Hébreu 229); Del Barco: Manuscrits en charactères Hébreux, S. 66 (Hébreu 11–12). Die Leser 333

(gest. wohl 1554), des jüdischen Leibarztes Sulaimāns des Prächtigen nach Wien verkauft wurde.129 Und noch in späterer Zeit entstanden speziell für das jüdische oder christliche Milieu angefertigte Kopien arabischer Werke in Judäo-Arabisch (Arabisch im hebräischen Alphabet) und Karšūnī (Arabisch im syrischen Alphabet).130 Druckwerke in modernen europäischen Sprachen, besonders Griechisch und Italienisch, konnten ebenfalls, besonders von eini- gen Christen, verstanden werden. Von dieser reichen Tradition waren musli- mische Ärzte in osmanischer Zeit in den arabischen Provinzen131 nach allem was wir wissen generell ausgeschlossen. Auch in den für diese Untersuchung herangezogenen Handschriftenbeständen spiegelt sich diese Tradition natur- gemäß nicht.

3.4 Leserschaft über konfessionelle Grenzen: Religiöse Minderheiten132

Die verschiedenen literarischen und dokumentarischen Quellen geben uns ein widerstreitendes Bild vom interkonfessionellen Leben in den unterschied-

129 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Med. gr. 1; vgl. Hunger / Kresten: Codices Juridici et Medici, S. 37; zur Geschichte der Handschrift nach dem Bericht ihres Käufers Busbeck bereits Jacobs: Untersuchungen, S. 23–25; Heyd: Moses Hamon, S. 166–167. 130 Vgl. die Handschrift Jerusalem SMMJ [=Saint Mark’s Monastery Jerusalem] 235: eine Kopie von Dāʾūd al-Anṭākīs (gest. 1007 / 1599) großem medizinischen Kompendium Taḏkirat ūlī al-albāb, kopiert im Jahr 1171 / 1757 in Karšūnī. Informationen zur Handschrift finden sich hier: http://hmmlorientalia.wordpress.com/2012/04/02/a-curse-in-arabic-against-book- thieves-in-a-copy-of-da%CA%BEud-al-an%E1%B9%ADakis-ta%E1%B8%8Fkir at/. 131 Von dieser etwas pauschalen Einschätzung muslimischer Ärzte und ihrer Sprachbeherr­ schung sind freilich die europäischen Konvertiten ausgenommen. Zudem hat es eine gewisse Rezeption europäischer medizinischer Werke vor allem im Zentrum des Osmanischen Reiches in Konstantinopel gegeben. Vgl. zu Übersetzungen antiker und zeitgenössischer theologischer Werke aus dem Griechischen am osmanischen Hof im 15. und 16. Jahrhundert Mavroudi: Translations from Greek into Arabic; zu Übersetzungen medizinischer Werke hauptsächlich aus dem Lateinischen im 17. und 18. Jahrhundert Bachour: Oswaldus Crollius und Daniel Sennert. Generell zu den griechischen und lateinischen Beständen der Palastbibliothek in Konstantinopel, welche eine zumindest noch bis in das 16. Jahrhundert rege Beschäftigung mit der antiken Überlieferung oder zeitgenössischer Kartographie bezeugen, vgl. Jacobs: Untersuchung; Deissmann: Forschungen und Funde. 132 Speziell zu Damaskus oder Syrien hat die Geschichte der jüdischen Gemeinde mehr- fach eine Behandlung sehr unterschiedlicher Qualität erfahren. Der neueste Beitrag von 334 kapitel 3 lichen urbanen Zentren des osmanischen Syrien, ein Bild, das zwischen span- nungsreichem Neben- und harmonischem Miteinander oszillieren kann. Es gab zweifellos gesellschaftliche Kräfte, die auf allen Stationen des Lebens symbolische und ganz reale Grenzen zwischen den Gemeinschaften ziehen wollten. Mehr als nur symbolisch waren etwa die berüchtigten Kleideredikte, unzählige Male erneuert über die Jahrhunderte, aber immer mit dem gleichen Ziel, der im täglichen Umgang innerhalb einer verbindenden Kulturtradition eintretenden Nivellierung eine feste Grenze zu setzen. Normative Vorgaben wollten, dass Nicht-Muslime immer als solche erkannt werden konnten, ob auf der Straße oder im Bad, wo Holzkreuze oder Glocken um den Hals von Christen und Juden die Kleidung ersetzten.133 Räumliche Trennung konnte alle Lebenslagen betreffen, etwa die Wohnung in bestimmten religiös oder ethnisch mehr oder weniger homogenen Vierteln,134 Anstalten für Bildung, Hygiene und Medizin, bis hin zum Begräbnis in konfessionellen Friedhöfen. Doch die Frage nach der konkreten Umsetzung solcher Bestimmungen ist für jeden historischen Kontext neu zu beantworten. Phasen gesteigerter religi- öser Sensibilität durch innere oder äußere Herausforderungen konnten solche normativen Forderungen immer wieder in den Mittelpunkt eines breiteren Interesses bringen. Unter anderen Konstellationen ist hingegen eine starke Lockerung zu beobachten.135 Es ist kaum möglich, das wahre Ausmaß interkonfessioneller Kontakte im osmanischen Syrien abzumessen. Die biographischen Quellen verschweigen

ʿAǧlānī: Yahūd Dimašq aš-Šām, liest sich sehr gemischt zwischen Toleranzbeteuerungen und pauschalen Verurteilungen; Nuʿaisa: Yahūd Dimašq, kann antisemitische Tendenzen nicht verbergen, ist aber durch die Heranziehung von wertvollem Archivmaterial eine nützliche Quelle; Bouchain: Die Juden, konzentriert sich auf die Geschichte der Familie Fārḥī; Harel: The rise and fall, behandelt besonders die Picciotto, eine jüdische Familie, die nach Herkunft und Sprache den europäischen Ausländern zugeordnet werden muss; vgl. außerdem Qattan: The Damascene Jewish community; Philipp: The Farhi family. 133 Vgl. etwa Masters: Christians and Jews, S. 6, 22, 43. 134 Weder das „Christenviertel“ noch das „jüdische Viertel“ waren vollkommen abgeschlos- sen, wenn auch die Bevölkerungsmehrheit dort jeweils christlich oder jüdisch war; zum jüdischen Vierte (ḥārat al-yahūd) vgl. al-Qattan: The Damascene Jewish community, S. 198. Die Autorin hat jedoch interessanterweise tatsächlich keine Anzeichen für jüdische Residenz außerhalb des jüdischen und, sehr selten, christlichen Viertels finden können. Einen guten regionalen Überblick über die Viertel der Minderheiten gibt Semerdjian: „Off the straight path“, S. 73. 135 Eine Interpretation der christlich-muslimischen Beziehungen in Aleppo als geprägt von genereller Offenheit im 17. Jahrhundert bis zu einer immer weiter verfestigten kon- fessionellen Abgrenzung in den folgenden Jahrhunderten findet sich in Heyberger: Inschriften und Malereien, passim. Die Leser 335 solche Kontakte genauso, wie sie das etwa für europäische Reisende und Händler tun. Teilweise ist das dem thematischen Fokus dieser Quellen geschuldet, für die solche Lebensbereiche eben kaum von Interesse waren. In den biographischen Lexika der Osmanenzeit mit Fokus auf Syrien findet sich die Biographie eines einzigen Christen, eines Arztes namens Isḥāq. Dieser ist allerdings nur aufgenommen, weil er und zwar noch vor der osmanischen Eroberung von Syrien – schließlich konvertiert.136 Einen weniger eingeengten Blick auf das interkonfessionelle Leben bieten Rechtsgutachten (fatāwā), die meist aus konkreten Problemen erwachsen und damit oft mit konkretem Bezug zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben geschrieben sind.137 Der Kontakt mit jüdischen und christlichen Ärzten dürfte für die muslimischen Bewohner einer großen Stadt wie Damaskus, also auch die hier untersuchten Buchbesitzer, sehr regelmäßig gewesen sein. Eine verhältnismäßig große Zahl der praktizierenden Ärzte gehörte diesen Minderheiten an und für die Praxis gab es auch zu osmanischer Zeit keinerlei konfessionelle Schranken. Sogar europäische Ärzte sind etwa in Damaskus138 und Aleppo139 gut bezeugt, ebenso wie deren Kontakt mit der muslimischen Bevölkerung,140 ohne dass wir in den muslimisch-arabischen Quellen etwas davon erfahren würden. Nur Muḥibbī berichtet in einer Anekdote vom jüdischen Arzt Yaʿqūb, der sich um den Gelehrten Muḥammad Ibn al-Qārī (gest. 1011 / 1602–03) kümmert, seinen bal- digen Tod vorhersagt, dann aber selbst stirbt, während sein Patient sich wieder

136 Ġazzī: Kawākib II, S. 122–123, Nr. 911. Der Zeitpunkt seiner Konversion wird ebenso wenig genannt wie sein Todesdatum. Da sie aber durch den Einfluss des Gelehrten Luṭfī at-Tūqātī (gest. 904 / 1498; vgl. Ġazzī: Kawākib I, S. 302–303, Nr. 599) geschieht, ist sowohl der Zeitpunkt vor dem 16. Jahrhundert als auch der örtliche Kontext in Konstan­- tinopel klar. 137 MubaiyaḌīn: Ġair al-muslimīn, bes. S. 75, wo die hauptsächlich geschäftliche Thematik der Fragen gezeigt wird. 138 Der französische, ursprünglich als Chirurg ausgebildete, dann in Damaskus als Arzt praktizierende Chaboçeau (manchmal auch Chabacon oder gar Chaboiceau) wird in Reiseberichten und auch einer christlich-arabischen Quelle zwischen 1790 und 1820 als der neben einigen spanischen Mönchen einzige dauerhaft in Damaskus residierende „Franke“ genannt. Vielen Reisenden war er Gastgeber und nahm sie mit auf seine Visiten; vgl. Buckingham: Travels, S. 299, 353–354; Legh: Narrative, S. 149; Seetzen: Reisen durch Syrien, S. 32–33; Olivier: Reise durch das Türkische Reich, S. 122; Carne: Recollections, S. 107–13; Ṣāyiġ: Riḥla, S. 206. 139 Die Brüder Patrick und Alexander Russell; vgl. van den Boogert: Aleppo observed. 140 Westliche Reisende berichten immer wieder, dass sie von der einheimischen Bevölkerung ausnahmslos für Ärzte gehalten werden und erwartet wurde, dass sie in medizinischen Fragen Hilfe leisteten; ein guter Überblick über dieses Phänomen in Osterhammel: Die Entzauberung Asiens, S. 141–142. 336 kapitel 3 erholt.141 Hier ist es die gegen den Arzt zielende Anekdote, welche eine anson- sten sicher alltägliche Konstellation für uns bewahrte. Viele der im Folgenden vorzustellenden Leser und Besitzer von Büchern waren denn auch Ärzte. Auch wirtschaftliche Verbindungen scheinen in den literarischen Quellen nicht auf, obwohl so viele Gelehrte in Handel und Handwerk tätig waren. Eine einzige Ausnahme aus dem Ende der Mamluken- oder dem Beginn der Osmanenzeit ist in Kairo verordnet und wirft ein erstaunlich positives Lischt auf den jüdi- schen Protagonisten.142 Ansonsten tauchen Minderheiten einzig im Falle ihrer Konversion, als ausländische Feinde oder zu taxierende Gruppen auf, nicht als Individuen, mit denen man in regelmäßigem Umgang steht. Ebenso legt die einzige christliche Chronik von Damaskus im Untersuchungszeitraum den Schwerpunkt der Darstellung auf innerkonfessionelle Geschehnisse und beschreibt das Zusammenleben mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung nur marginal.143 Literarische Quellen vermitteln also das Bild sehr stark getrennter Lebenswelten, in denen die jeweils anderen Gemeinschaften keine oder kaum eine Rolle spielten. Zahlreiche dokumentarische Quellen aus osmanischer Zeit zeigen jedoch die enge Einbindung der Minderheiten in viele Bereiche des Wirtschaftslebens an der Seite der Muslime: Handel und Geldgeschäfte zwischen Muslimen, Juden und Christen wurden regelmäßig in den Gerichtsakten dokumentiert. Man lieh sich Geld, kaufte Immobilien voneinander oder investierte gemein- sam in Handelsunternehmungen. Auch in der Verwaltung und anderen nicht-militärischen Stellen der staatlichen Hoheitsausübung nahmen sie teil:

141 MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 54–55, Nr. 990. 142 Die Anekdote bei Ġazzī: Kawākib II, S. 235–236, Nr. 1132: Ğamāl ad-Dīn b. Yūsuf b. Zakariyāʾ al-Anṣārī berichtet, wie er auf dem Weg zum ḥammām mit 40 niṣf-Silbermünzen in sei- nem Kopf (d.h. in seinen Turban eingewickelt) an dem göttlich entrückten (maǧḏūb) Faraǧ vorbeikommt. Dieser will immer mehr Geld von ihm, was Ǧamāl ad-Dīn ihm auch gibt mit Ausnahme eines niṣf (kleine Silbermünze), den er als Eintritt für das Bad zurück- behält. Farağ warnt ihn: „Gib mir den letzten niṣf, dann gebe ich dir 40 Dinar-Goldmünzen auf den Namen von Šamauʾal dem Juden.“ Doch Ǧamāl ad-Dīn lehnt ab. Wieder zu Hause, klopft es an der Tür und tatsächlich bittet Šamauʾal um Einlass. Er berichtet, wie er von Ǧamāl ad-Dīns Vater 40 Dinare geliehen hatte, wofür es zwar keine Zeugen gebe, er wolle sich dieser Pflicht aber dennoch nicht entziehen. Nur habe er nicht mehr als 39 Dinar zusammenbringen können. Ǧamāl ad-Dīn versteht nun, was Faraǧ gemeint hatte und bereut. Der jüdische Protagonist zeugt hier also von der Heiligkeit Faraǧs. Ein Datum wird nicht gegeben, doch der Erzähler der Geschichte ist in das Ende der Mamlukenherrschaft und den Beginn der osmanischen Zeit einzuordnen. 143 Vgl. zu dieser Chronik Mīḫāʾīl Buraiks Masters: The view from the province, passim; Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 204–211. Die Leser 337 in der Münze, wie nicht zuletzt ein Besitzeintrag aus der Rifāʿīya zeigt;144 in der Verwaltung, wie es das Beispiel der Familien Fārḥī oder Naufal belegen.145 Auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene haben sich für die Minderheiten im Untersuchungszeitraum radikale Veränderungen ereignet, die auch Auswirkungen auf die kulturelle Sphäre hatten. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Missionsarbeit von katholischer und protestantischer Seite, die immer eine stark kulturelle Dimension besaß. Seit dem 17. Jahrhundert in Aleppo und seit dem 19. Jahrhundert auch in Damaskus bedienten sich die europäischen Konsulate verstärkt der Dienste verschiedener Minderheiten, nicht zuletzt weil unter ihnen europäische Sprachkenntnisse weit verbreiteter waren. Auch die privaten Lebenswelten scheinen räumlich nicht so strikt getrennt gewesen zu sein, wie es die Existenz christlicher und jüdischer Viertel in Damaskus oder anderen regionalen Metropolen vermuten lässt. Weder leb- ten Christen und Juden nur innerhalb dieser Viertel, noch sind diese selbst so homogen, wie ihre Namen es suggerieren. Muslime lebten zumindest im Christenviertel von Damaskus in großer Zahl, wenn auch die Mehrheit der Bewohner Christen blieben. Das jüdische Viertel scheint etwas abgegrenzter gewesen zu sein, doch die Gerichtsregister berichten immer wieder von musli- mischen Immobilienkäufen in beiden Vierteln.146 Religiöse Minderheiten haben lange eine wichtige und in der Forschung gut dokumentierte Rolle in der arabischen Literaturgeschichte gespielt. Während und nach der letzten Phase in der Geschichte der Rifāʿīya, also im 19. Jahrhundert, sollten besonders christliche, aber auch einige jüdische147 Denker und Literaten eine zentrale Rolle für den pan-arabischen Nationalismus, aus- gefochten mit den Mitteln der literarischen Erneuerung, der nahḍa einneh- men, die sich gerade auch auf der Ebene von Sprache und Literatur abspielte. Deren Zeit war freilich in Damaskus im Jahr 1853 noch nicht gekommen, in den ägyptischen und libanesischen intellektuellen Zirkeln allerdings schon stark vorangeschritten. Inwieweit und auf welchen Ebenen aber die Verstrickung der verschiedenen Gemeinschaften in der Welt der Bücher vor der osmanischen Reformära tat-

144 Vollers 807, fol. 1r: Erworben im Jahr 1042 / 1636 (beide Daten werden angegeben) von Murād Qasīr (Armanī?) „al-ḫādim sikka-yi šarīf as-sulṭānī bi-qalʿat Ḥalab aš-šahbā“; die Frage der Arbeit von besonders jüdischen Meistern in der Damaszener Münze im 16. und 17. Jahrhundert wird behandelt in Rafeq: The province, 19–20. 145 Zur Naufal-Familie vgl. zuletzt Büssow / Safi: Damascus affairs, S. 16–17, 163–164. 146 Qattan: The Damascene Jewish community, S. 198. 147 Für jüdische Beiträge vgl. Moreh / Sadgrove (Hrsg.): Jewish contributions, passim. 338 kapitel 3 sächlich ablief, bleibt noch zu zeigen. Es gab sicher viel Trennendes auf verschie- denen Ebenen: Die sprachliche mit ihrer lebendigen Handschriftentradition auf Syrisch-Aramäisch, Arabisch in syrischer Schrift bzw. Karšūnī, Griechisch oder Hebräisch wurde bereits angesprochen. Diese Tradition müsste jedoch auf die gleiche Weise erschlossen werden, wie es die vorliegende Studie für die hauptsächlich arabischen Handschriften versucht. Und auch eine örtli- che Trennung wurde für die Bibliotheken von Kirchen und Klöstern bereits aufgezeigt, deren Benutzung durch muslimische Leser nicht nachweisbar ist und nur in sehr marginaler Weise vonstatten gegangen sein kann. Dies hatte auch thematische Implikationen. Es muss davon ausgegangen wer- den, dass große und im Umfang dominante Bereiche der christlich- und jüdisch-arabischen Literatur (etwa Kirchengeschichte, Ritus, Dogmatik und Heiligenlegenden) eine rein innerkonfessionelle Angelegenheit mit keinerlei oder sehr begrenzter Rezeption durch die muslimische Mehrheitsgesellschaft war. Es wurde bereits betont, dass der Buchmarkt nicht nur aber gerade in Damaskus einen stark konfessionell aufgeladenen Ruf genoss. Nicht- Muslime wurden bis in das 19. Jahrhundert nach verschiedenen Zeugnissen bestenfalls geduldet und bereits die Lokalisierung im direkten Umfeld der Umayyadenmoschee – sowohl innerhalb einer Madrasa als auch direkt vor dem Haupttor der Moschee – zeugt von einer religiösen Relevanz der Institution. Generell waren die Buchmärkte der Region bei oder sogar in Moscheen verortet, was sie für die Diffusion von Büchern unter Minderheiten praktisch ausschloss. Auch der wichtige Weg über Nachlassauktionen war den religiösen Minderheiten zumindest in persönlicher Teilnahme verwehrt, denn diese fanden innerhalb der Umayyadenmoschee statt. Bibliotheken wie- derum stipulierten in ihren Stiftungsurkunden zumindest ein muslimisches Publikum, das dann freilich meist noch weiter eingeschränkt wurde. Es wurde schon gezeigt, dass es immer wieder Versuche gab, die Stipulationen der Stifter zu umgehen oder ganz außer Kraft zu setzen, doch soweit bekannt niemals in diesem Punkt. Möglich wäre allenfalls, dass ein muslimischer Entleiher als Mittelsmann einem christlichen Leser ein Buch zur Verfügung gestellt haben könnte. Auf der Ebene der öffentlichen Bibliotheken gilt es also zu fragen, ob es ein konfessionell getrenntes Bibliothekswesen ohne Berührungspunkte der Leser gegeben hat. Als spezifisch christliche Bibliotheken muss man besonders Klöster und Kirchen ansehen. Noch weniger als über diese wissen wir jedoch über Privatbibliotheken der Minderheiten vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Für die christlichen Bibliotheken von Damaskus berichtet Wetzstein, dass im Massaker von 1860, in derem Verlauf das Christenviertel komplett verbrannte, auch große und wertvolle christliche Büchersammlungen vernichtet wurden. Die Leser 339

So bedeutend muss der Verlust nach Wetzsteins Beobachtung gewesen sein, dass in der Folge die Preise von Handschriften rasant stiegen und Bücher überhaupt sehr spärlich zu finden waren.148 Leider berichtet er uns nichts über die ehemaligen Besitzer dieser Bibliotheken und ihre Öffentlichkeit. Als Träger der Buchkultur kommen wiederum vor allem die literarisch gebilde- ten Geistlichen in Frage. Der Priester Anṭūn Būlād, der in Damaskus residierte, hat zumindest einen Teil seiner Bücher ebenfalls im Jahr 1860 verloren, doch geschah dies nicht bei den Damaszener Massakern, sondern der Plünderung des Klosters Dair al-Muḫalliṣ bei Ṣaidā und dessen Bibliothek, deren Vorsteher er war.149 Ein weiterer Kleriker mit stattlicher Bibliothek war Ǧarmānus Farḥāt (1081 / 1670 – 1145 / 1732), der im Jahr 1711 auf einer Reise nach Spanien einen Grundstock an seltenen arabischen Handschriften aufgebaut haben soll. Neben arabischen enthielt seine Sammlung aber auch viele syrische Werke. Diese Privatbibliothek nahm schnell eine zumindest kirchenintern öffentliche Funktion an, indem der spätere Bischof sie durch eine Stiftung zur Basis der bis heute weiter gepflegten reichen Büchersammlung seines Sitzes in Aleppo machte.150 Neben den Geistlichen kommen besonders die zahlreichen in der lokalen Verwaltung eingesetzten Sekretäre, die bereits besprochenen Ärzte und die reichen und schriftkundigen Händler als Besitzer von Privatbibliotheken in Betracht. Der Hallenser Stephan Schultz (1714–1776) sah 1753 in Aleppo die Bibliothek eines Sohnes des Dragomans des holländischen Konsulats, Niʿma, „die aus verschiedenen Arabischen, Persischen und Türkischen Büchern beste- het; insonderheit aber Syrische, und auch viele in Arabischer Sprache mit Syrischen Lettern, welches sie Kerschuni nennen.“151 Mitglieder der aus Tripoli stammenden melkitischen Familie Naufal waren nicht nur in verschiedenen syrischen Provinzen und Ägypten auf hohen Posten aktiv, sie haben auch ihre Spuren in zahlreichen Handschriften hinterlassen. In der Rifāʿīya zeugt davon Vollers 756, ein medizinisches Werk, das Naufal b. Ǧirǧis b. Mīḫāʾīl b. Manṣūr aus dem Haus Naufal im Jahr 1740 erwarb. Ein Zeitgenosse des Verkaufs der Rifāʿīya war hingegen Naufal b. Niʿmat Allāh Naufal (1812–1887),152 dessen zahlreiche Bücher eine Basis der Bibliothek des Syrian Protestant College, der

148 Vgl. Wetzstein: Catalog arabischer Manuscripte, S. 1–2 des unpaginierten Vorwortes; von den Verlusten dieser Brände berichtet auch QaṢāṭlī: ar-Rauḍa, S. 121. 149 Vgl. Būlād: Muḏakkirāt, passim. 150 Vgl. FarḤāt: Bulūġ al-arab, S. 21; Razzūq: Ǧarmānūs, S. 37, 45; Manaš: al-Mustaṭrafāt, S. 106–108. 151 Schultz: Die Leitungen des Höchsten V, S. 49; vgl. auch Schmidt: Journey, S. 53. 152 Vgl. GAL S II, S. 779; Ziriklī: Aʿlām VIII, S. 55; Büssow / Safi: Damascus affairs, S. 163. 340 kapitel 3

Abb. 49 Ein Mitglied der melkitischen Familie Naufal aus Tripoli erwarb diese medizinische Handschrift im Jahr 1740 über muslimische Mittelsmänner von einem christlichen Arzt. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 756, fol. 332v

späteren American University in Beirut bilden.153 Ein erkennbarer Schwerpunkt seiner Interessen lag auf historischen Themen und Poesie, wobei die überwie- gende Mehrheit der Autoren Christen waren, daneben aber auch Klassiker der islamischen Religionswissenschaften in die Hände Naufals gelangten. Auch diese Bibliothek reflektiert einen polyglotten Hintergrund ihres Besitzers mit einem türkisch-persischen Lexikon, türkischer Poesie oder einem eigenen Werk Naufals über die Arabisierung türkischer Begriffe.154 Als herausragendes Beispiel einer Bibliothek christlicher Ärzte können die Büchersammlungen gelten, welche mehrere Mitglieder der Aleppiner Familie Arūtīn im 18. Jahrhundert zusammengetragen haben und die einen Grundstein der Käufe Ulrich Jasper Seetzens für die Bibliothek in Gotha bilden. Und auch hier ist neben dem überwiegend arabischen Teil eine nicht unerhebliche Nummer an Bänden mit Werken auf Türkisch, Persisch und Syrisch überliefert.155 Als ein

153 Vgl. Dī Ṭarrāzī: Ḫazāʾin al-kutub II, S. 452–453. 154 Beirut, AUB MS 491.53 S131sA (türkisch-persisches Wörterbuch): aṣ-Ṣiḥāḥ al-ʿaǧamīya; MS 894.35108 A161aT (türkische Gedichte); MS 494.353 N32mA: al-Muḏkira al-wafīya fī taʿrīb al-alfāẓ al-ḫāliṣa at-turkīya. 155 Ich plane, dieser Bibliothek einen monographischen Aufsatz zu widmen. Die Leser 341

Charakteristikum zumindest dieser christlichen Privatbibliotheken des 18. und 19. Jahrhunderts gerade im Vergleich mit der Rifāʿīya erscheint hier also eine größere sprachliche Vielfalt, die sich nicht nur auf die Muttersprache Arabisch und die liturgische Sprache Syrisch beschränkt, sondern dem Bildungsideal der „drei Sprachen“ Türkisch, Persisch und Arabisch folgt. Noch weniger als die christlichen haben jüdische Privatsammlungen Spuren in der Literatur hinterlassen. Generell waren die spärlichen Einschätzungen der westlichen Reisenden hier äußerst negativ, was nur teilweise mit – einem freilich zuweilen recht deutlichen – Antisemitismus zu erklären ist.156 Der französische Reisende Balthasar de Monconys (1611–1665) berichtet bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts einiges über Bücher in Damaskus. Einmal bringt ein reicher Jude Lisbonne [=aus der bedeutenden Familie Lizbūnā] den stark an Alchemie und Geheimwissenschaften interessierten Autor zu einem in Kabbala beschlagenen Glaubensbruder. Dessen Vater soll eine sehr eminente Persönlichkeit gewesen sein und Monconys sieht dessen astronomische und kabbalistische Manuskripte auf Hebräisch, welches der Sohn allerdings auch nicht verstehen kann.157 Diese hebräische Handschriftentradition blieb also durchaus lebendig, wie es ja auch die bereits erwähnte, 1674 in Aleppo erwor- bene hebräische Version von Ibn as-Sarabīs pharmazeutischem Werk Kitāb al-Mufradāt in Paris (BnF Hébreu 1187) nahelegt. Inwieweit es aber immer noch eine Auseinandersetzung mit diesen nicht-liturgischen Schriften und ein weiter verbreitetes Verständnis der Sprache gab, oder wieweit es sich hier um eine antiquarische Überlieferung handelte, ist nur ungenügend bekannt. Eine systematische Erschließung der Provenienz- und Rezeptionsgeschichte hebrä- ischer Handschriften wäre unabdingbare Voraussetzung einer Beantwortung dieser Frage. Die Einschätzung des enttäuschten Handschriftensammlers Julius Heinrich Petermann (1801–1876) aus dem Jahr 1853, nach welcher die orientalischen Juden des osmanischen Syrien „ jetzt durchgehends aller Bildung“ ermangelten

156 Eine flüchtige Nachricht findet sich noch vor der Mitte des 19. Jahrhunderts: Hermann Wedewer, ein preußischer Reisender, schreibt zur Ermordung des Paters Thomas: „Das Blut des Opfers wurde zum Khakham Jakub el Arari [=Yaʿqūb al-Harārī] gebracht, der es hinter den Büchern seiner Bibliothek versteckte, um es zu religiösen Zwecken zu ver- wenden.“ Es ist hier offensichtlich, dass der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote nicht ernst- haft in Betracht zu ziehen ist. Der Autor ist ein fundamental-christlicher, oft rassistischer, deutsch-nationalistischer, und insgesamt nicht leicht zu verdauender „Religionslehrer an den Königlichen Gymnasien und der Höheren Bürgerschule zu Wiesbaden“. Vgl. Wedewer: Eine Reise nach dem Orient, S. 221. 157 Monconys: Voyage, S. 344. 342 kapitel 3 und „daher auch nichts aus alter Zeit aufbewahrt“ hätten, wurde bereits zitiert.158 Etwas anders stellte sich die Lage hingegen kurz darauf für einen weiteren Gast Wetzsteins, den österreichischen Arzt, Literat und Reisenden Ludwig August Frankl (1810–1894) dar. Als dieser im Jahr 1856 in Damaskus weilte, soll die einstmals mächtige Familie Fārḥī eine bedeutende Bibliothek besessen haben, von deren Inhalten und tatsächlicher Größe wir allerdings wenig erfah- ren. Im „Hause Farchi“ sollen etwa 700 und im Haus „einer Wittwe Farchi“ noch einmal gegen 800 „gedruckte ältere Werke“ zu finden gewesen sein.159 Mit dem dramatischen Niedergang des Hauses scheint auch diese Bibliothek verloren gegangen zu sein. Ignaz Goldziher sieht bei seinem Damaskus-Besuch im Jahr 1874 nur noch die kümmerlichen Reste im immer noch prächtigen Haus der Fārḥīs. Die nicht einmal zwei Jahrzehnte zuvor noch viel gelobte Bibliothek besteht zu dieser Zeit nur noch aus einem Regal. An Manuskripten bemerkt Goldziher nur noch ein hebräisches Altes Testament, das aber ein äußerst prächtiger Pergamentkodex ist.160 Die Fārḥīs sollen in ihren besseren Zeiten auch für den Import hebräischer Bücher für die Gemeinde gesorgt haben.161 Hierbei dürfte es sich wohl um Katechismen, Gebetbücher oder andere erbau- liche religiöse Literatur gehandelt haben. Frankl berichtet weiterhin, dass auch die Familie Stambuli eine ähnlich große162 Sammlung „moderner Druckwerke“ beherbergte. Interessanterweise hatte diese anscheinend eine gewisse öffent- liche Funktion: „In dem Saale, wo sie aufgestellt sind, versammeln sich täglich alle Rabbinen von Damaskus, um zu studieren und gelehrte Besprechungen zu halten.“163 Es fällt auf, dass diese schriftlichen Quellen viel von gedruck- ten Büchern sprechen. Obwohl es kleinere hebräische Druckereien auch in verschiedenen Provinzen des Osmanischen Reiches gegeben hat, dürfte der Großteil dieser Werke in den hebräischen Druckereien Europas entstandenen sein. Auf jeden Fall ist eine Bibliothek gedruckter Bücher in dieser Zeit ein klarer Hinweis für nicht-arabische Inhalte dieser Bücher. Das hier immer wieder bereits aufscheinende Vorhandensein einer gewis- sen Anzahl gedruckter Bücher aus Europa und zu einem geringen Teil auch der

158 Petermann: Reisen II, S. 143. 159 Frankl: Nach Jerusalem I, S. 371; Philipp: The Farhi family, S. 47, spricht dann in Addtion dieser Zahlen von einer Bibliothek von 1.500 Bänden. 160 Goldziher: Diary, S. 113. 161 Bouchain: Juden in Syrien, S. 31: „importierten große Mengen hebräischer Bücher, die an die Armen verteilt wurden.“ 162 Es ist mir nicht ganz klar, ob sich dieses „beiläufig eben so viele“ auf die beiden genannten Fārḥī-Sammlungen, oder nur die der Witwe bezieht. 163 Frankl: Nach Jerusalem I, S. 371. Die Leser 343 einheimischen Pressen kann offenbar als eine Besonderheit christlicher und jüdischer Buchkultur vom 17. bis in das 19. Jahrhundert hinein angesehen wer- den. Die großen Mengen erbaulicher, dogmatischer und sprachwissenschaft- licher Werke, die im Zuge der missionarischen Tätigkeiten über die klerikalen Institutionen an die orientalischen Kirchen kamen wurden bereits erwähnt. Viele dieser Bücher waren für den Klerus bestimmt, viele aber auch explizit für die lesende Gemeinde. Und manches ging wohl auch relativ private Wege. So hat ein griechisch-katholischer Priester aus Damaskus im Jahr 1700 anschei- nend privat acht Bücher aus der Druckerei der Propaganda von Rom erhalten, die er nach Damaskus bringen sollte.164 Das Medium der Wahl blieb aber sicher auch für christliche und jüdische Leser die Handschrift. Nicht nur waren diese oft billiger zu haben, sie boten auch eine größere inhaltliche Vielfalt auf dem Gebiet der schlichten und popu- lären erbaulichen Literatur, die im Zentrum von Heybergers Untersuchung zum Buchbesitz levantinischer Christen steht.165 Ergänzen müsste man, dass es eben auch die über die Dogmatik und Frömmigkeit hinausgehenden Werke waren, für die das gedruckte Buch noch kaum einen Ersatz zur handschriftli- chen Überlieferung bieten konnte. Denn natürlich gab es auch sehr viel Verbindendes der verschiede- nen Lesewelten von Muslimen und anderen Religionsgruppen, und hier werden wir besonders von den Sekundäreinträgen informiert. Die in die- ser Studie untersuchten Bücher durchbrachen die Grenze zwischen den Religionsgemeinschaften kaum, sie konnten dies aber anscheinend ohne Probleme tun. Denn der Buchmarkt im Schatten der Moschee war nicht die einzige Möglichkeit zum Bücherkauf. Viele der von Minderheiten besessenen und gelesenen Bücher aus dem hier bearbeiteten Korpus hatten auch muslimi- sche Besitzer und Leser. Und konfessionelle Spannungen sind in der Welt der arabischen Bücher so selten bezeugt, dass eine Handschrift in Gotha (orient. A 908) mit ihrem Hinweis darauf eine kuriose Ausnahme bleibt. Am Beginn dieses 1809 in Kairo angekauften Bandes findet sich die folgende Notiz: „Dieses Buch war bei einem Christen (naṣrānī), Gott verfluche ihn, der die Stellen mit den Gebeten auf den Propheten, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, über- malt hat. Als es in meine Hände fiel, habe ich die Gebete wieder hergestellt.“

164 Der Damaszener Fīlīp Ġailān, griechisch-katholischer Priester, erbittet und erhält bei einem Rom-Besuch im Jahr 1700 acht Bände aus der Druckerei der Propaganda, da „die Türken“ ihm eine Reihe seiner Bücher aus seinem Haus abgenommen hätten. Statt jedoch nach Damaskus zurückzukehren bleibt er in Europa und unternimmt verschiedene Handelsgeschäfte; Heyberger: Livres et lecture, S. 215–216. 165 Ebd., S. 218. 344 kapitel 3

Die Erwähnungen des Propheten und des Islams sind bis fol. 6r tatsächlich durchgestrichen und später marginal wieder hergestellt. Abgesehen von derartigen Entgleisungen gibt es keine Hinweise darauf, dass Spuren jeweils anderer Konfessionen in den Büchern nicht gerne gese- hen und entfernt wurden. Die arabischen Einträge der Minderheiten unter- scheiden sich formal auch nicht von denen ihrer muslimischen Nachbarn. Floskeln und Devotionsformeln, sofern sie nicht mit spezifisch muslimischen Inhalten wie der Verehrung Muḥammads zu tun hatten, sind meist dec- kungsgleich. Die jeweiligen Einträge sind oft einzig durch die Namensformen oder die Verwendung einer christlichen oder jüdischen Zeitrechnung neben oder anstatt der muslimischen zu erkennen. Man brauchte spezifische Konfessionszugehörigkeiten aber auch keineswegs verstecken. In einem Band der Sīrat al-Muǧāhidīn aus Ägypten scheut sich Qaiṭās b. ʿAbdallāh im Jahr 1076 / 1665 nicht, den Besitzer der Handschrift, einen ḥakawātī, mit heftigsten Worten für die Praktiken seines Leihbetriebes zurechtzuweisen. Dieser baute nämlich auf eine an die schlaue Erzählerin Scheherezade erinnernde Taktik der Suspension, so dass einer der vielen Bände des Epos jeweils an der span- nendsten Stelle aufhört und der Leser somit gezwungen sei, weitere Bände auszuleihen. Ob dieser Praktiken wünscht Qīṭās sich den Zorn des Messias und der Jünger auf den Verleiher herab.166 Der Damaszener Jude Meʾīr Lizbūnā schließt im Jahr 1250 / 1834 seinen Leseeintrag in einer Handschrift Aḥmad ar-Rabbāṭs mit Segenswünschen für die Banī Isrāʾīl und ist vielleicht auch für das Anbringen eines Davidsterns neben dem Titel verantwortlich (Vollers 617). Vom Beginn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Leihbibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs – und sicher auch andere gleicher Art – für Minderheiten zugänglich und wurde mit ihrem Schwerpunkt auf Unterhaltungsliteratur von diesen auch in überproportionalem Maß genutzt. Ob es eine solche Bibliothek in Syrien bereits in früheren Jahrhunderten gegeben hat, ist nicht nachweisbar. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Spuren dieser Institutionen sehr

166 Paris BnF arabe 3883, die Identifizierung des Namens Qīṭās nach Abbildung XLVIII in Ott: Metamorphosen; vgl. zu Handschrift und Eintrag auch ebd., S. 93, 236. Ott, die den in einer Geheimschrift geschriebenen Namen des Entleihers nicht liest, plädiert jedoch dafür, dass es sich bei Qīṭās um einen Muslim und umgekehrt beim angesprochenen Besitzer um einen Christen handeln sollte. Die eindeutig christlichen Flüche wären ver- wendet, da sie den Besitzer mehr getroffen hätten. Ich möchte dieser Argumentation hier nicht folgen, wenn sie auch durchaus möglich sind: der Name Qīṭās war tatsächlich bei nicht-arabischen muslimischen Militärs in Ägypten verbreitet, aber nicht auf eine Konfession begrenzt. Und auch die Anführung eines ḥadīṯ des Propheten Muḥammad scheint vor allem sinnvoll, wenn der Angesprochene durch dessen normative Wirkung beeinflussbar ist. Dieser ḥadīṯ ist darüber hinaus direkt zur Reflektion an den ḥakawātī gerichtet, während die Verfluchung vom Schreiber an Jesus und die Jünger adressiert ist. Die Leser 345 schnell verwischen und die aus vielen alten Fragmenten zusammengesetz- ten Handschriften der monumentalen Epen, wie sie uns die Bände in einer Bibliothek wie derjenigen Aḥmad ar-Rabbāṭs präsentiert, Fragmente dieser Vorgeschichte darstellen. Die wenigen erhaltenen sehr alten Exemplare epi- scher Literatur bestätigen ebenfalls die längere Tradition der Kodifizierung.167 Von immenser Wichtigkeit für die Bildungschancen der religiösen Minderheiten ist die Frage nach ihrer Teilnahmemöglichkeit im institutionali- sierten intellektuellen Leben: Nicht nur Bibliotheken blieben ihnen verschlos- sen, sondern auch die hohen Schulen. Ausnahmen sind bekannt, werden aber in den literarischen Quellen in der Regel verschwiegen, so dass ihr ganzes Ausmaß wiederum nicht absehbar ist. Karl Rali Dadichi (Dādīḫī; 1694–1734) gab 1718 an, in Aleppo bei einem Sulaimān al-Ḥalabī168 Sprachwissenschaften studiert zu haben, der mit einem der bekanntesten Grammatiker Aleppos am Ende des 17. Jahrhunderts identifiziert werden kann.169 Ebenso hatte dies bereits der spätere Bischof Ǧarmānus Farḥāt (1081 / 1670 – 1145 / 1732) im Jahr 1100 / 1684 getan.170 Diese Studien scheinen keine geheimen Privatveranstaltungen gewesen zu sein, wenn man einer von einem christlichen Dichter überliefer- ten Nachricht glauben will, nach welcher Sulaimān al-Ḥalabī Ǧarmānus Farḥāt als Aufpasser über alle anderen Schüler (ʿarīf) gestellt, ihn auf den Ehrenplatz neben sich selbst gesetzt und dies damit begründet hätte, nur Germanos habe seine Wissenschaft (ʿilm) komplett erfasst.171 Im hier behandelten Korpus finden sich 80 Sekundäreinträge von Christen und Juden, angesichts mehrerer tausend aufgenommener Einträge eine ver- schwindend geringe Zahl, die der tatsächlichen demographischen Rolle die- ser Gruppen nicht entspricht. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein. Zum einen ist die Herkunft des hier behandelten Korpus so selektiv wie die ver- schiedenen Käufer. Hier wurden Sammlungen ausgewählt, die zumindest zu einem substantiellen Teil im 19. Jahrhundert in Damaskus angekauft wurden. Würde man die Bibliothek eines christlichen Klosters untersuchen, dürften

167 Zum wohl ältesten erhaltenen Fragment vgl. Abbott: A ninth-century fragment; zur Problematik der Datierung alter Kopien vgl. Grotzfeld: The age of the Galland manu- script; eine alte Kopie ist jedoch dokumentarisch im Nachlass des osmanischen Wesirs Hersekzāde Aḥmad Bāšā (1459–1517) bezeugt, vgl. Reindl-Kiel: Some notes, S. 323. 168 Sulaimān b. Ḫālid b. ʿAbd al-Qādir al-mudarris bekannt als an-Naḥwī (gest. 1141 / 1728); Murādī: Silk II, S. 156–157; ʿĀnūtī: al-Ḥaraka al-adabīya, S. 80. 169 Vgl. dazu Hage: Carolus Dadichi in Marburg, S. 18–19. Im hier behandelten Bittgesuch an die Universität Marburg gibt Dādīḫī einen lateinischen Lebenslauf mit Angabe seiner Studien in Aleppo. 170 Vgl. u.a. Brustad: Jirmānūs Jibrīl Farḥāt, S. 244. 171 Vgl. Razzūq: Ǧarmānūs, S. 31; Manaš: al-Mustaṭrafāt, S. 52. 346 kapitel 3 die Proportionen in etwa umgekehrt ausfallen. Auch sind die Proportionen in bestimmten Literaturzweigen, etwa der Medizin mit einem großen Anteil der Minderheiten und den praktizierenden Ärzten der Region, entschieden anders gelagert. Es kann also davon ausgegangen werden, dass wir hier tatsächlich die Schnittmenge der beiden Welten vor uns haben, der innerhalb der jeweiligen, stark religiös geprägten Lesetradition eben nur einen vergleichsweise geringen Anteil ausmacht. Auf einer quantifizierenden Ebene stellt sich die thematische Verteilung wie in der auf der nächsten Seite folgenden Tabelle dar. Christen stellen hier entsprechend ihrem demographischen Gewicht auch den Großteil der Buchbesitzer und –leser gegenüber nur vergleichsweise wenigen Juden. Die überwältigende Mehrheit der Autoren waren hingegen Muslime: genau waren es 28 gegenüber nur zwei Christen und einem Juden. Dabei ist der jüdische Autor Maimonides ein „Klassiker“. Auch abgesehen von den angesprochenen Sprachgrenzen offenbaren sich hier teilweise getrennte literarische Welten. Farḥāt rezipierte muslimische Autoren und verfasste herausragende sprachwissenschaftliche Werke, die formal keinen fundamentalen Unterschied zu denen zeitgenössischer musli- mischer Autoren aufweisen. Es gibt keinen Grund, warum ein muslimischer Grammatiker bestimmte seiner Werke nicht rezipiert haben sollte. Sein Dīwān mit einigen an muslimische Würdenträger gerichteten Lobgedichten spricht ein bestimmtes muslimisches Publikum sogar explizit an, hätte also durchaus eine gemischtere Leserschaft erwarten lassen, wenn die vielen Lobpreisungen auf christliche Heilige und Würdenträger dem nicht im Wege gestanden hät- ten. Die maronitische Kirche machte seine Werke bereits kurz nach seinem Tod 1732 zur Pflichtlektüre in ihren Schulen in ganz Syrien.172 Indem er seine Bücher an christliche Institutionen stiftete, wo sie dann weiter tradiert wur- den, scheint der Autor ihre Rezeption jedoch von vorneherein eingeschränkt zu haben. Der übermäßig starke Anteil der Epik muss etwas eingeschränkt werden, da er sich zu einem großen Teil dem auf mehrere dünne Bände der gro- ßen Erzählwerke verteilenden Leseeifer einiger weniger Männer verdankt. Rūfāʾīl b. Isḥāq Linyāduh etwa, ein jüdischer Leser in den 1220er bis 1240er Jahren, hinterließ Einträge in 10 Bänden dreier verschiedener Werke. Dabei hatte er eine anonyme Anekdotensammlung (Berlin Sprenger 1233) bereits 1228 / 1813 gelesen. Den Rest, einen Band mit der Erzählung Ḥikāyat Qamar az-Zamān wa-Šams az-Zamān (Tübingen MA VI 41) sowie acht Bände der Sīrat

172 Vgl. Razzūq: Ǧarmānūs Farḥāt, S. ṭāʾ. Die Leser 347 tabelle 3 Thematische Verteilung der von Christen und Juden rezipierten Werke

Genre Leser Kopist Kollation Besitzer Gesamt

Epik MA VI 42 (4x); MA We II 560 32 VI 41 (4x); Spr. 1313bis; We II 381, 542, 543, 544 (2x), 545 (2x), 546, 547, 548, 549, 550, 553, 655, 674, 693, 697 (2x), 924, 1055, 1872 (2x)173 Medizin We II 1196 V 756, 759, 761 10 MA VI 14; We I 89; We II 1183, 1184, 1185, 1205 adab V 617; Spr. 1233, MA VI 174; We I 6 1368 (2x) 183 Poesie V 522; MA VI 47 4 (2x); Spr. 1191 Lexik We I 176 We I 67a, 176 2 Grammatik We I 183; Lbg. 2 348 Astronomie V 807 (2x); We II 3 1142 Geschichte We I 131 Spr. 1973; We II 3 1093 Philosophie We II 44 1 chr. V 1062 1 Heiligenlegenden Recht (isl.) Lbg. 485 1 Reise Lbg. 894 1 Geheimlehre / Lbg. 1007 1 Alchemie Geographie Spr. 5 1 Erbauung (isl.) We II 1565 1

173 Außerdem Notizen zweier Juden über Schulden sowie ein Eintrag in hebräischer Schrift. 348 kapitel 3

Muḥammad al-Kurdī b. Karḫān (Berlin Wetzstein II 542–549) nahm er in fünf Tagen zwischen dem 18. und 22. Raǧab 1243 / 4. bis 8. Februar 1828 zur Hand. Mit Ausnahme des ersten stammten alle diese Bände aus der Bibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs. Dennoch können die schöne Literatur mit Epik an der Spitze, aber auch Poesie und adab auf der einen und die Naturwissenschaften mit einem beson- ders starken Anteil der Medizin auf der anderen Seite, als die literarischen Felder stärkster interkonfessioneller Überschneidung ausgemacht werden. Daher wäre es auch nicht verwunderlich, wenn Spezialkataloge und -sammlungen den Anteil christlicher Leser deutlich steigern würden. So verzeichnet der Katalog 110 medizinischer Handschriften in der Privatsammlung Sāmī Ḥaddād (ehemals Aleppo, heute zu großen Teilen Wellcome Library, London) mit 10 Kopisten und 18 Lesern und Besitzern einen noch größeren Anteil an Christen und Juden, wenn auch freilich zu großen Teilen erst aus dem 19. Jahrhundert.174 Und auch der gründliche Katalog von Savage-Smith über 229 medizini- sche Handschriften aus Oxford bringt 11 erhaltene christliche und jüdische Besitzeinträge zu Tage.175 Die zeitliche Verteilung der hier aufgenommen Sekundäreinträge kann ebenso als ein Zeugnis der sich stark wandelnden sozialen Gegebenheiten über die Jahrhunderte gelesen werden. Unter den datierbaren Einträgen des Korpus stammt nur einer aus dem 10. Jahrhundert, drei aus dem 11., sechs aus dem 12. und ganze 53 aus dem 13. Jahrhundert AH. Dieser Zuwachs ist zu einem großen Teil der epischen Literatur zu verdanken und zeigt, wie diese neuen Formen der Literaturrezeption außerhalb der traditionellen institutionellen Gelehrtenkultur besonders die Minderheiten angesprochen zu haben scheint.

3.5 Frauen

Über den äußerst populären mystischen Dichter Ibn al-Fāriḍ (gest. 632 / 1234– 35) berichtet Alfred von Kremer in den 1840er Jahren: „(. . .) seine Gedichte werden selbst von den vornehmsten Aleppiner Damen gelesen, ob aber auch verstanden, lasse ich in Frage gestellt sein.“176 Dies zeigt nicht nur die Entwicklung einer noch in mamlukischer Zeit höchst umstrittenen Dichtung, deren öffentliche Rezension bestraft werden konnte,177 hin zu einem universal akzeptierten literarischen Klassiker. Von Kremers Aussage kann man

174 Vgl. Biesterfeld / Ḥaddād: Fihris, S. 201–204, 209–212. 175 Vgl. Savage-Smith: Medicine, S. 865–872. 176 von Kremer: Mittelsyrien, S. 141. 177 Ibn Ṭauq: Taʿlīq I, S. 470, 484, II, S. 851, 853–854. Die Leser 349 zumindest auch so verstehen, als hätten sogar vornehme Damen nach seiner Erfahrung außer Ibn al-Fāriḍ eben nichts gelesen und schon gar nicht verstan- den. Und auch in der Rifāʿīya findet sich der Dīwān sowohl im Grundtext wie in mehreren ausführlichen Kommentaren, lesende Damen hingegen sind nicht nur in dieser Bibliothek äußerst spärlich dokumentiert. Dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Welt der Bücher gab, scheint auch in Ibn Ṭūlūns normativem Text Naqd aṭ-ṭālib kurz auf. Im Rahmen seiner Besprechung des Berufs des Illuminators (muḏahhib) von Handschriften macht er folgende Unterscheidung: Illuminationen, die er eigentlich grundsätzlich nur in Koranen sehen möchte, sei in einem für Frauen bestimmten Buch erlaubt, in einem für Männer bestimmten Buch hingegen verboten.178 Die wenigen mit Frauen in Zusammenhang zu bringenden Bücher zeigen hingegen keine derartigen Besonderheiten. Wie so oft in diesem auf älteren Quellen fußenden normativen Werk muss man sich fragen, wie viel das Geschriebene mit der realen Umwelt Ibn Ṭūlūns im 16. Jahrhundert oder sogar seinen eigenen Vorstellungen zu tun hat. Speziell für Frauen illuminierte und diesen vorbehaltene Handschriften hätten auch dem Damaszener Polyhistor merkwürdig erscheinen müssen. Unterschiedliche Tendenzen aber gab es auf jeden Fall. Die Gesellschaften und Gemeinschaften des osmanischen Nahen Ostens waren, unabhängig von ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten, stark patriarchalisch geprägt. Die Frage nach der Rolle der Frau in einem bestimm- ten sozialen Kontext kann also nur die nach einer relativen Rolle sein. Innerhalb dieser patriarchalischen Grenzen gab es weite Unterschiede sozi- aler Natur, eine ganz andere Wirklichkeit galt für die weiblichen Mitglieder der Nobilität und die einfacher Familien. Über die Facetten weiblichen Lebens außerhalb des Familienhorizonts in der muslimischen Mehrheitsgesellschaft sind wir durch dokumentarische Quellen vergleichsweise besser informiert als über diejenigen in den religiösen Minderheiten, wenn für diese theoretisch auch die gleiche Rechtsprechung gelten konnte. In der Geschäftswelt traten diese Frauen durchaus als eigenständige Akteure auf,179 insbesondere kauften und verkauften sie Immobilien, erbten gemäß den ihnen nach islamischem Recht zugedachten Anteilen, waren so die Quelle von Reichtum und Macht

178 Ibn Ṭūlūn: Naqd aṭ-ṭālib, S. 180. 179 Viele auf dokumentarischem Material basierende Studien haben ökonomische Aspekte beleuchten können. Vgl. speziell für den osmanisch-syrischen Raum Marcus: Men, women, and property; Reilly: Women in the economic life; Establet / Pascual: Women in Damascene families. Generell osmanische Epoche Zilfi (Hrsg.): Women in the Ottoman Empire. Für das mamlukische Jerusalem Lutfi: A study of six fourteenth century iqrārs. 350 kapitel 3 bestimmter Familien,180 erstritten sich ihre Rechte auch gegen männliche Kontrahenten, ja sie konnten in bestimmten Konstellationen sogar admini- strative Funktionen als Verwalterinnen von Stiftungen181 oder eines Timar- Lehens ausüben.182 Es ist sicherlich richtig, dass Frauen bei der Abwicklung und Ausübung dieser Geschäfte vor Gericht oder auf dem Markt oftmals nicht selbst handel- ten, sondern von einem Mann vertreten wurden. Man sollte daraus aber nicht schließen, dass Frauen aus dem alltäglichen Stadtbild wegzudenken seien. Der soziale Rahmen, in dem sie sich bewegen konnten, war generell sicher eng umschrieben, aber über die Zeit auch Änderungen unterworfen. Für man- che Frau aus gutem Haus mag der Gang zum öffentlichen Bad, das Frauen zu bestimmten Zeiten offen stand, der einzige Kontakt mit der Außenwelt gewesen sein. Strenge Moralisten mochten Frauen selbst das nur unter streng- sten Auflagen zugestehen,183 doch die soziale Wirklichkeit sah oft anders aus. Andere Frauen konnten sich bereits im Damaskus des 18. Jahrhundert die Freiheit nehmen, öffentlich zu picknicken und Pfeife zu rauchen, wenn das auch wiederum manch einer konservativen Stimme wie dem Chronisten Ibn Budair nicht gefiel.184 Manche Plätze, wie das Kaffeehaus, das nicht nur einen oftmals schlechten Ruf genoss – aber dennoch gestiftet wurde, auch von Frauen185 – sondern auch eine Funktion als Raum literarischer Rezeption erfüllte, waren für Frauen undenkbar oder rückten sie in eine gefährliche Nähe zur Prostitution.186 In allen diesen Aspekten weiblicher Lebenswirklichkeit

180 Vgl. Fay: Women and waqf, S. 31. Für die Autorin erscheinen Frauen als „conduits of status and property“. 181 Vgl. Baer: Women and Waqf, S. 9–27; Meriwether: Women and waqf revisited, S. 140–150. Beide kommen, bei sehr ähnlicher Materialgrundlage, zu sehr unterschiedli- chen Interpretationen der Rolle von Frauen. Baer hält die Stiftung von und für Frauen für eine versteckte Methode, den von ihnen geerbten Besitz in künftigen Generationen doch wieder in die männliche Linie der Familie zurückzuführen, einer Darstellung, der Meriwether widerspricht. Deutlich wird daran nicht nur, wie unterschiedlich man die Dokumentation der Gerichtsakten interpretieren kann, sondern vor allem auch das Vorhandensein großer regionaler Unterschiede. Zu Damaskus vgl. auch El-Zawāhreh: Religious endowments and social life, S. 118–119, 138. 182 Vgl. Reindl-Kiel: A woman timar-holder. 183 Der äußerst populäre Mehmed Birgili / Birgivi; vgl. Zilfi: Women and slavery, S. 56. 184 Vgl. Budairī: Ḥawādiṯ, S. 193. 185 Vgl. für Damaskus etwa Marino: Cafés et cafetiers, S. 290; generell Fay: Women and waqf, S. 37. 186 Vgl. Rafeq: Public morality, S. 182–183; Semerdjian: Sinful professions, S. 75. Den umgekehrten Weg geht das Kaffeehaus des Muḥammad al-Yatīm, welches tatsächlich an ein Bordell angrenzt (ein ḥauš, in dem sich „ǧamāʿa min banāt al-ḫaṭaʾ‌“ treffen). Der Die Leser 351 spielten also Ort, Zeit, sozialer Stand oder Religionszugehörigkeit eine heraus- ragende, wenn auch nicht immer klar zu benennende Rolle. Bei der aktiven Frequentierung der islamischen Gerichte187 oder der Stiftung188 etwa zeigt sich in bisherigen Fallstudien eine sprunghafte Steigerung des weiblichen Anteils vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Und auch dem Blick der europäischen Reisenden blieb die unterschiedliche Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit in den verschiedenen Städten der Region nicht verborgen. Die normative Literatur hat einiges zu sagen über die von Frauen zu tra- gende Kleidung und ihr öffentliches Auftreten, das nicht selten als ein Verschwinden verstanden werden sollte. Immer wieder und nicht erst in osmanischer Zeit hat es ernsthafte Bemühungen gegeben, diese normativen Vorgaben auch umzusetzen.189 Tatsächlich dürfte es im urbanen Kontext des Osmanischen Reiches vor dem späteren 19. Jahrhundert schwer gewesen sein, das unverschleierte Gesicht einer einheimischen Frau egal welcher Konfession in der Öffentlichkeit zu erblicken. Wo dies dennoch geschah, liegt der Verdacht von Unzucht und der nicht selten damit gleichgesetzten Prostitution nahe und wird oft dezidiert ausgesprochen. So war es in Damaskus für den Barbier- Chronisten Ibn Budair in der Mitte des 18. Jahrhunderts190 ebenso wie für die Briten Browne 1797191 und Carne in den 1820er Jahren.192 Auf dem Weg von Damaskus nach Ṣāliḥīya erblickt der britische Reisende Buckingham im 19. Jahrhundert eine große Zahl von „türkischen Frauen“ („Turkish females“, also solchen aus der nicht-lokalen Oberschicht) an der Straße sitzen und rauchen. Die meisten sind verschleiert, einige jedoch nicht. Letztere wollte Buckingham nach seiner Erfahrung bereits für „loose character“ halten, aber sein Begleiter versichert ihm, dass solche durch Spione sofort entdeckt und hingerichtet

fromme Kaffeehausbetreiber mietet das Gebäude und gliedert es als Gebetsplatz seinem Geschäft ein. Als dann Murād Bāšā 976 / 1658 Gouverneur von Damaskus wird und eine Moschee bauen will, wird ihm dieser Platz gewiesen und er errichtet die Murādīya; vgl. Ġazzī: Kawākib III, S. 183–184, Nr. 1522. 187 Baer / Göçe: Social boundaries of Ottoman women’s experience, S. 52. 188 Meriwether: Women and waqf, S. 134. Die Fallstudien stammen aus Aleppo. 189 Vgl. etwa Zilfi: Women and slavery, S. 73–78. 190 Vgl. Ibn Ṭūlūn: Ḥawādiṯ, S. 200–201; Budairī: Ḥawādiṯ, S. 188–189. 191 Brown: Travels in Africa, 331: Die Frauen tragen „white Muslin veils, except the prosti- tutes, who, as usual all over the East, expose their face.“ 192 Carne: Letters from the East II, S. 79: „Women of a certain description are often seen in parties, each mounted on a good horse, well dressed and unveiled, driving on with gaiety and noise, . . .“. Hier kommt die doppelte Herausforderung des Reitens auf einem Pferd hinzu, das wohl nur in einem solchen, klar außerhalb jeder gesellschaftlichen Norm lie- genden Kontext akzeptiert werden konnte. 352 kapitel 3 werden.193 Ein weiterer Reisender begegnet in dieser Zeit auf dem gleichen Weg nach Ṣāliḥīya „mehrern hundert Frauen, die ihr Nargylé schmauchten, Mastir kauten und fröhlich zusammenplauderten.“194 Dies sind Zeugnisse einer neu gewonnenen Freiheit, die bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts auch mora- lisierende Ablehnung von konservativer Seite wie dem Barbier-Chronisten Ibn Budair hervorgerufen hat und die keineswegs eine geradlinige oder allgemeine Entwicklung darstellen.195 Derselbe Reisende Buckingham kann im dörflichen Kontext des syrischen Provinzortes al-Ḥuṣn die muslimische Frau des Šaiḫ al-balad unverschleichert, reich gekleidet und Pfeife rauchend einherstolzieren sehen, als sie einen christlichen Arzt besucht.196 Diese auch für Buckingham kuriose Erscheinung wäre auf den Straßen von Damaskus wohl undenkbar gewesen. Und auch die urbane Erfahrung von Frauen konnte je nach Stand und Ort sehr unterschiedlich sein, was auch die Reisenden bereits bemerk- ten, etwa als Buckingham seine unverschleierten Frauen an der Straße nach Ṣāliḥīya bewusst als Türkinnen beschreibt. Auch nach Carne sind es die türki- schen Frauen, also der osmanischen Oberschicht, denen im Damaskus in den 1820er Jahren „a great deal of liberty“ erlaubt war, was für ihn heißt, dass man sie auf nächtlichen Promenaden am Fluss sehen kann, wenn auch natürlich verschleiert.197 Zur gleichen Zeit hat Lady Hester Stanhope, die in Damaskus sogar hoch zu Ross einreiten wird, im wenig später so liberalen Beirut Angst, sich unverschleiert auf der Straße zu zeigen.198 Öffentliches Auftreten und sexuelle Normen haben nur auf den ersten Blick nichts mit Lesen und Bildung zu tun. Denn vor diesem sozialen Hintergrund, der die Grenzen des für Frauen Erlaubten nach moralischen Gesichtspunkten festsetzte, kann es nicht verwundern, wenn die inhaltlichen Grenzen der für Frauen akzeptablen Literatur ebenfalls moralisch gezogen wurden. Es ist hinlänglich bekannt, dass Frauen in bestimmten Bereichen der islami- schen Bildung eine marginale, aber dennoch wichtige Rolle spielen konn- ten. Besonders in den öffentlichen und von einem oftmals großen Publikum unterschiedlichster sozialer Hintergründe frequentierten Lesungen, finden

193 BUCKINGHAM: Travels among the Arab tribes, S. 312–313. 194 [Hailbronner]: Morgenland und Abendland, S. 373. 195 Für die strenge Regulierung der öffentlichen Sichtbarkeit von Frauen auf den Straßen Kairos noch am Ende des 19. Jahrhunderts, was für die Behörden ein Grund war, die Jungfräulichkeit der so angetroffenen Frauen ärztlich untersuchen zu lassen, vgl. Kozma: Wandering about as she pleases, S. 18–36. 196 Buckingham: Travels among the Arab tribes, S. 142. 197 Carne: Letters from the East II, S. 79. 198 Vgl. [Meryon]: Travels of Lady Hester Stanhope I, S. 366–367; das spätere Beirut im Jahr 1831 dann [Meryon]: Memoirs I, S. 254. Die Leser 353 sich überraschend große Gruppen von Frauen.199 Diese Beispiele stammen jedoch generell aus vorosmanischer Zeit und weisen da wo Frauen nicht nur als passive Zuhörerinnen mit meist verwandtschaftlicher Beziehung zu einer der Figuren der Sitzung teilnehmen, sondern tatsächlich aktiv werden, eine starke inhaltliche Beschränkung auf die Traditionswissenschaften auf. Frauen konnten also eine aktive, wenn auch marginale Rolle bei der Überlieferung von ḥadīṯ-Material spielen. Darüber hinaus hören wir nur von wenigen herausragenden Gestalten. So konnte ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya (gest. 922 / 1517)200 nicht nur als Dichterin mit stark mystischer Prägung hohes Ansehen genießen, sie studierte auch Recht und erwarb die Lizenz, selbständig Rechtsgutachten zu verfassen, obwohl wir nicht wissen, ob sie von diesem Recht auch Gebrauch gemacht hat. Sie war eine fleißige Schriftstellerin und „probably composed more works in Arabic than any other woman prior to the twentieth century.“201 Doch die Welt der Gelehrten fand sich eben nicht nur im geschriebenen Wort. An ihr teilzuhaben, bedeutete auch die Teilnahme an vielen sozialen Handlungen in den realen Räumen, deren Zugang für Frauen, wie oben gezeigt, stark ein- geschränkt war. Wollte ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya, wie auf ihrer Reise nach Ägypten, andere Gelehrte treffen und gelehrte Netzwerke aufbauen oder pflegen, so tat sie das für ihre Gesprächspartner unsichtbar hinter einem Schleier.202 Und auch der direkte Zugang zu Büchern über den Buchmarkt oder die öffentlichen Bibliotheken, war ihr sicher unter normalen Umständen verwehrt. Aus diesen Beispielen lassen sich also keineswegs generelle Schlüsse über die Bildung von Frauen ziehen. In osmanischer Zeit schweigen die arabischen Quellen meist zu gebilde- ten Frauen. Die in ayyubidischer und mamlukischer Zeit populären öffentli- chen Massenlesungen mit einem gewissen Frauenanteil scheinen jetzt nicht mehr sehr häufig praktiziert worden zu sein oder werden nicht mehr in glei- cher Weise dokumentiert. In den biographischen Lexika bekommen gelehrte Frauen nicht nur praktisch keine eigenen Einträge mehr, sie werden auch innerhalb der Männerbiographien kaum mehr als Überlieferer von Wissen

199 Frenkel: Women in late Mamluk Damascus (anders als der Titel suggeriert eine sehr beschränkte und wenig analytische Fallstudie weniger Überlieferungszeugnisse); Leder: Eine neue Quelle, S. 276. 200 Vgl. zuletzt Homerin: ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya. 201 Ebd., S. 21. 202 Ebd. 354 kapitel 3 erwähnt, wie das in mamlukischer Zeit noch sehr häufig der Fall war.203 Die größte Dichte von Informationen über gelehrte Frauen finden sich so bezeich- nenderweise bei Naǧm ad-Dīn al-Ġazzī (977 / 1570 – 1061 / 1651), der über das erste Jahrhundert der Osmanenherrschaft schrieb.204 Dennoch müssen viele Mädchen in Gelehrtenfamilien eine grundlegende, wenn auch vielleicht inhaltlich begrenzte Bildung genossen haben. Die weni- gen Informationen betreffen Nachrichten, in denen die Autoren über die von der Mutter genossene oder organisierte,205 der Schwester oder Tochter vermittelte206 Bildung berichten, ohne dass diese Frauen dann in irgendeiner Weise weiter intellektuell hervortreten konnten. Und auch wenn die Chronik Akmal ad-Dīn Ibn Mufliḥs (930 / 1524 – 1011 / 1603)207 auf uns gekommen wäre, hätten wir wohl nicht, wie Berger meint, mehr Details über die Frauen der Damaszener Oberschicht und damit auch über deren Bildung erfahren. Denn nicht Frauen waren es, welche die Empörung seines Biographen Ibn Aiyūb al-Anṣārī hervorriefen,208 sondern seine unumwundene Schilderung der

203 Zu Frauen in den syrischen biographischen Lexika der Osmanenzeit vgl. auch Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 220–227. Berger übersieht allerdings die Referenzen zu Badīʿat az-Zamān bt. al-ʿAkkārī bei Murādī ebenso wie die früheren Referenzen bei Ġazzī. 204 Neben den unten erwähnten Biographien kommen Frauen als Lehrerinnen (ausnahms- los als Übermittlerinnen in Traditionswissenschaft und ausnahmslos in vorosmanischer Zeit) vor in den folgenden Biographien: Ġazzī: Kawākib I, S. 12–16, Nr. 8; S. 32–35, Nr. 54; S. 53–54, Nr. 83; S. 127–128, Nr. 249; S. 135, Nr. 265; Kawākib II, S. 35–36, Nr. 713. 205 Naǧm ad-Dīn Ġazzīs namenlose Mutter in Ġazzī: Luṭf as-samar I, S. 4–13, Nr. 1; Būrīnī: Tarāǧim, S. 43–47; MuḤibbī: Ḫulāṣat IV, S. 189, Nr. 1057 („ṯumma rubbītu baʿd wafātihī fī ḥiğr wālidatī anā wa-iḫwatī fa-aḥsanat tarbīyatanā wa-waffarat ḥurmatanā wa-ʿallamatnā aṣ-ṣalawāt wa-l-ādāb wa-ḥariṣat ʿalā taʿlīminā al-Qurʾān wa-ǧāzat šuyūḫanā ʿalā ḏālika“, die literarische Bildung scheint hier also nicht direkt von der Mutter zu kommen und die Felder der Erziehung sind mit Gebeten, Moral und Koran ebenfalls klar umrissen); Šaṭṭī: Aʿyān, S. 335 (Umm al-Ḫair al-Kīlānīya, die Mutter Muʾaiyad al-ʿAẓms, 1221–1306, übernimmt nach dem Tod des Vaters die Ausbildung: rabbathū); vgl. auch Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 36 (Quellenangaben sind jedoch teilweise irreführend). 206 Der Damaszener Gelehrte ʿAbd ar-Raḥīm b. Muṣṭafā, bekannt als Ibn Šuqaiqa al-Ḥanafī (1083 / 1672–73 – 1173 / 1759–60; Murādī: Silk III, S. 11–12) erscheint nach seinem Tod seiner – hier namenlosen – Tochter in einem Traum und verlangt von ihr sein Werk, einen sufischen Kommentar. Er wird ihm ins Grab gelegt, wo der Leichnam eine Hand ausge- streckt hält. 207 Vgl. Richardson: The evolving biographical legacy, S. 8; Muḥibbī: Ḫulāṣat III, S. 302–303. 208 Berger: Gesellschaft und Individuum, S. 222: „Ibn Aiyūb erscheint es als unpassend, dass der Kadi Akmal ad-Dīn (. . .) auch von den Frauen der Notabeln berichtet“; Ibn Aiyūb: Die Leser 355

Fehler seiner Biographierten. Stattdessen finden wir im 10. / 16. Jahrhundert die beiden einzigen eigenständigen Biographien gelehrter Damaszenerinnen aus der Osmanenzeit, und beide lassen sich mit verwandtschaftlicher Beziehung zum Autor erklären. Zuerst ist dies Zainab bt. Muḥammad b. Muḥammad b. Aḥmad al-Ġazzī aš-Šāfiʿīya (910 / 1504–05 – 980 / 1572–73),209 die als väter- liche Tante des Autors Naǧm ad-Dīn al-Ġazzī eine besondere literarische Aufmerksamkeit erfahren hat. Ihre Bildung wird in einem ganz familiären Kontext dargestellt: erzogen von Vater und Bruder, ist ihre einzige für Ġazzī bemerkenswerte intellektuelle Tätigkeit das Kopieren vieler Handschriften für den letzteren. Dann lesen wir von Ḫadīǧa bt. Muḥammad b. Ibrāhīm al-muqriʾ al-ʿĀmirī (gest. 935 / 1528–29), die ebenfalls nur bei ihrem Vater Recht und ḥadīṯ studiert, und deren Erwähnung wohl eher dem Umstand geschuldet ist, dass Ġazzī sie als nächster Verwandter ihres Vaters beerbt.210 Daneben fin- den sich bei Ġazzī drei Aleppiner211 und zwei Damaszener212 Frauen, deren Ausbildung jedoch bezeichnenderweise noch in die Mamlukenzeit fiel, ganz abgesehen von Frauen, deren Lebenszeit gänzlich in vorosmanischer Zeit zu verorten ist.213 Eine weitere Damaszenerin Badīʿat az-Zamān, Tochter des emi- nenten Gelehrten ʿAbd aṣ-Ṣamad al-ʿAkkārī (gest. 965 / 1557–58) und eine der gelehrtesten, dichtenden, Recht studierenden Frauen ihrer Zeit, tritt uns bei ihrem Biographen des 12. / 18. Jahrhunderts dagegen nicht in einem eigenen Eintrag, sondern nur als Mutter entgegen.214

Rauḍ, S. 106 spricht dagegen von: ʿaurāt an-nās wa-māǧarīyātihīm. Wofür sich Akmal ad-Dīn Ibn Mufliḥ allerdings tatsächlich zu interessieren schien waren Hermaphroditen, denen er nach seinem Biographen Muḥibbī große Teile einer Anekdotensammlung gewidmet hat; vgl. Muḥibbī: Ḫulāṣat III, S. 303. 209 Ġazzī: Kawākib III, S. 138–139, Nr. 1424. 210 Ebd. II, S. 141, Nr. 961. 211 Ebd. II, S. 129, Nr. 928 (Bāy Ḫātūn bt. Ibrāhīm b. Aḥmad al-Ḥalabīya aš-Šāfiʿīya, Nichte des Zain ad-Dīn ʿUmar Ibn aš-Šammāʿ, gest. 942 / 1535–36); ebd. II, S. 129–130, Nr. 929 (Būrān bt. Muḥammad Aṯīr ad-Dīn Ibn aš-Šiḥna, 861 / 1456–57 – 938 / 1531–32); ebd. II, S. 235, Nr. 1131 (Fāṭima bt. ʿAbd al-Qādir b. Muḥammad al-Ḥalabīya al-Ḥanafīya, bekannt als Bint Qarīmzān [?], 878 / 1473–74 – 966 / 1558–59; sie ist šaiḫa eines Sufi-Ordens und kopiert mit ihrer guten Handschrift viele Bücher). 212 Ebd. I, S. 195, Nr. 414 (Ḫadīğa bt. Muḥammad b. Ḥasan al-Bābī, bekannt als Ibn al-Bīlūnī, al-Ḥanafīya, gest. 930 / 1523–24; von ihr wird der intellektuelle Eigenständigkeit zeigende Entschluss überliefert, in die Rechtsschule der Ḥanafīten zu wechseln, obwohl ihre gesamte Familie Šāfiʿīten sind); ebd. I, S. 288–293, Nr. 584 (die erwähnte ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya, gest. 922 / 1517). 213 Ebd. I, S. 165, Nr. 343 (Umm al-Hannā bt. Nāṣir ad-Dīn al-Badrānī, gest. 911 / 1505–06); 214 Innerhalb der Biographien von ʿAbd al-Ḥaiy und Muḥammad, den Söhnen ʿAbd al-Bāqī al-Muḥibbīs lesen wir von ihr in MuḤibbī: Ḫulāṣat II, S. 332–333, Nr. 545 und Murādī: 356 kapitel 3

Dass die einzige weitere von den arabischen Biographen der Zeit mit einer eigenen Biographie bedachte gelehrte Frau die Tochter des šaiḫ al-islām in Konstantinopel war, ist ebenfalls bezeichnend. Ob bei Männern oder Frauen, sozialer Stand spielte unweigerlich eine herausragende Rolle bei den Möglichkeiten zum Bildungserwerb. Diese Frau, Zubaida (Zübeyde) bt. Asʿad b. Ismāʿīl, genannt Umm al-Fiṭna studierte Recht, Sprachwissenschaften und Literatur. Sie veröffentlicht ihren Diwan mit Persischen und Türkischen Gedichten zusammen mit denen ihres Vaters und ihres Bruders, des Muftis von Konstantinopel Šarīf b. Asʿad. Ihre Dichtung ist bei den Zeitgenossen berühmt und nach Murādī kommt kaum jemand ihr darin gleich.215 Größere Chancen auf eine umfassende Bildung außerhalb der Felder Tradition und Frömmigkeit hatten Frauen vielleicht, wenn sie die einzigen Nachkommen waren. Šihāb ad-Dīn b. Sirāǧ ad-Dīn aṣ-Ṣāʾiġ (945 / 1538–39 – 1036 / 1626–27),216 Oberarzt am Manṣūrī-Krankenhaus in Kairo und Chefarzt (ra‌ʾīs al-aṭibbāʾ) der Stadt ebenso wie Professor nach ḥanafitischer Lehre in der Barqūqīya-Madrasa, bekam nur ein einziges Mädchen. Wie üblich in den bio- graphischen Werken der Zeit und bezeichnend für deren Stellung zu Frauen wird sie nicht namentlich genannt, sondern nur als „Tochter von“ identifiziert. Nach seinem Tod wird ihr der Posten als Oberärztin am Dār aš-Šifāʾ al-Manṣūrī übertragen, ein in den Quellen ganz einzigartiger Vorgang, der den Autor Muḥibbī jedoch nicht zu einem Kommentar verleitet.217 So sagt die kurze Nachricht letztlich auch nicht, ob das Amt im Sinne einer Pfründe auf den einzigen Erben, nämlich die Tochter überging, welche es dann aber gar nicht selbst sondern durch einen Stellvertreter ausübte. Sie sagt noch nicht einmal, ob die Tochter eine formale Ausbildung in Medizin erfahren hat. Es wäre aller- dings der wohl einzige literarische Nachweis weiblicher Bildung außerhalb der eng gesteckten Grenzen der im weiteren Sinne religiösen Bildung und Poesie. Was über die Bildung im Allgemeinen gesagt wurde, spiegelt sich in der Welt der Bücher. Dokumentarische Quellen zum Buchbesitz wie die von Establet und Pascual untersuchten Nachlassregister bestätigen hier eben- falls eine nur marginale Rolle von Frauen. Nach ihren Erhebungen gab es

Silk II, S. 116. Nur im zweiten Eintrag erfahren wir tatsächlich ihren Namen. Ihre Erwähnung verdanken wir wahrscheinlich der Tatsache, dass sie dem Autor Muḥibbī als Großtante auch verwandtschaftlich nahestand. 215 Murādī: Silk II, S. 116. Zu osmanischen Dichterinnen vgl. Silay: Singing his words; zur zeitgenössischen Kritik am Verhalten dieser Frauen, die, bei aller Anerkennung ihres dichterischen Talents, eine passive Rolle für angebrachter hält vgl. ebd., S. 211. 216 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 234, Nr. 153. 217 Ebd.: „wa-lam yaʿqab illā bintan wa-tawallat makānahū mašyaḫat aṭ-ṭibb“. Die Leser 357 am Beginn des 18. Jahrhunderts keinen Besitz, der für männliche Nachlässe gegenüber weiblichen charakteristischer gewesen wäre als Bücher. Nur eine Frau ihres Korpus besitzt mit 16 Büchern so etwas wie eine Sammlung. Da sie die Witwe eines gelehrten Mannes war (für die Autoren ausgedrückt in sei- nem Titel šaiḫ), liegt für die Autoren die Vermutung nahe, die Bücher stamm- ten ursprünglich aus dessen Besitz.218 Die einzige literarisch überlieferte Besitzerin bzw. Nutznießerin einer Bibliothek aus Damaskus ist eine Tochter des 1095 / 1684 gestorbenen Dichters und Juristen Ibrāhīm b. ʿAbd ar-Raḥmān as-Suʾālātī, der als passionierter Büchersammler dargestellt wird.219 Seine vie- len Handschriften stiftete er an die Tochter, die bezeichnenderweise namenlos bleibt.220 Man könnte vermuten, dass hier ähnlich wie bei der oben ausführ- lich behandelten Stiftung des im gleichen Jahr verstorbenen Ramaḍān b. Mūsā al-ʿUṭaifī nicht die Lektüre, sondern der wertvolle Besitz an den weiblichen Nachkommen vermittelt werden sollte. Schaut man sich die auf Frauen bezogenen Sekundäreinträge in den Handschriften an, so fällt auch hier deren stark passive Rolle auf. Frauen schrie- ben in der Regel nicht, dass sie ein Buch besessen, sondern Männer schrieben, dass sie einer Frau eines geschenkt, es für sie gestiftet oder von einer Frau eines erworben oder geerbt haben. Ein einziger selbständiger Besitzeintrag einer Frau findet sich im gesamten hier untersuchten Korpus, auch er hat sich in der Rifāʿīya erhalten. Tatsächlich bietet die Rifāʿīya vergleichsweise viel Material zu Frauen. In ihren Bänden haben sich sechs individuelle Einträge erhalten, ein Band wurde sogar von einer Frau kopiert.221 Damit sind hier fast die Hälfte der bisher gefundenen Einträge zu finden, so dass mit den anderen auf Frauen bezogenen Sekundäreinträgen des Korpus zusammen nicht mehr als 14 Nachrichten von Frauen als Leserinnen, Besitzerinnen oder Stifterinnen von Büchern zusam- menkommen, wovon ein Eintrag aus dem 8. Jh. stammt und damit weit aus

218 Establet / Pascual: Women in Damascene families, S. 309–310, 316 (Einschätzung als „most characteristic of the male inventories“). 219 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 41–42, Nr. 20: „wa-kāna ḥarīṣan ʿalā ǧamʿ al-kutub wa-qtanā minhā ašyāʾ kaṯīra fī kull fann“; vgl. auch El-Zawāhreh: Religious endowments and social life, S. 180, der die Passage falsch versteht: „very careful and keen in the work of compiling many books“. 220 MuḤibbī: Ḫulāṣat I, S. 42: „wa-waqqafahā āḫiran ʿalā bint lahū“. 221 Zur Rolle von Frauen als Kopisten von Büchern vgl. die – freilich unkritische, apologeti- sche und planlose – Zusammenstellung in Munajjid: Women’s roles. Hier erfahren wir neben vielen Kuriositäten von einem „spiritual and mystical bond between women and the letters of the alphabet“ (S. 147) oder davon, dass „Muslim calligraphers were possessed of genius“ (S. 143). 358 kapitel 3 dem hier in Betracht zu ziehenden Zeitrahmen fällt.222 Drei Einträge stammen von einer einzigen Frau, Fāṭima bt. aš-šaiḫ Ḥiǧāzī, in zwei zusammengehörigen Bänden einer Prophetengeschichte (Vollers 26+28). Zwei Mal stiften Frauen selbständig,223 einmal wird einer Frau ein Buch gestiftet,224 zwei Mal kauft ein Mann aus dem Nachlass einer Frau ein Buch, einmal von dieser direkt,225 ein- mal vom gesetzlichen Vertreter (wakīl) der Frau und ihrer Tochter,226 einmal schenkt ein Vater seiner Tochter ein Buch.227 Nur in zwei Einträgen – jedoch von der gleichen Frau in zwei zusammengehörige Bände geschrieben – redet eine Frau aktiv von ihrem Besitz des jeweiligen Buches. Dies ist Fāṭima bt.

222 In Berlin Wetzstein II 1459, fol. 209v, wird die Rolle der beiden Frauen auch nicht ganz klar. Sie werden erwähnt von einem Mann, der im Jahr 792 / 1390 in Kairo nach der vor- liegenden Handschrift eine Abschrift anfertigte und scheinen ihm bei der Kollation (muqābala) geholfen zu haben. 223 Berlin Sprenger 648: al-ḥurma Ḥalīma bt. al-ḥāğğ Ibrāhīm stiftet ein juristisches Kompendium „für ihr Seelenheit“ (li-aǧl rūḥihā); Leipzig Vollers 26 enthält den stark zerstörten Stiftungseintrag von Fāṭima bt. aš-šaiḫ Ḥiǧāzī aus dem Jahr 1048 / 1638–39. Obwohl eine der Voraussetzungen für eine Stiftung ist, dass man das gestiftete Gut auch tatsächlich besitzt, sagt eine Stiftung doch nichts darüber aus, wie lange man etwas besessen oder ob man es je benutzt hat. Eine Frau konnte etwa geerbte Bücher, für die sie keine Verwendung hatte, stiften. So ist Fāṭimas Vater Ḥiǧāzī auch verstorben (marḥūm). 224 Vollers 214; Stifter des mystischen Werkes ist der nicht weiter bezeichnete šaiḫ al-Aġwānī, der den Standort des Buches „bei (ʿinda)“ der ḫwāğa [sic.!] Fāṭima bt. Aḥmad efendī amīn al-fatwā bestimmt, nach deren Tod es aber in einen Sufi-Konvent gehen soll. Auf ganz anderer sozialer Ebene stiftete für das Seelenheil seiner Frau ein osmanischer Wesir aus der berühmten Köprülü-Familie ein Buch über Koranrezitation. ʿAbdallāh b. Muṣṭafā Bāšā Köprülü-zāda stiftete 1132 / 1719–20 die Leipziger Handschrift Ms.or.330 (vgl. Wiesmüller in Klemm (Hrsg.): Ein Garten im Ärmel, S. 39, wo jedoch manches verle- sen wurde) für die Seele (rūḥ) seiner Frau. Diese Frau, Zubaida ḫānum, war Tochter der Obermuftis bzw. šaiḫ al-islām des Osmanischen Reiches Faiḍ Allāh efendī (gest. 1115 / 1704), der selbst Besitzer einer äußerst wertvollen Bibliothek war. 225 Berlin Wetzstein II 1201 „min yad Umm Yūsuf marʾat Muḥammad aġā al-Maġribī“, frühe- stens Ende des 11. Jahrhundert geschrieben. Ein weiteres direkt mit einer Frau abgeschlos- senes Verkaufsgeschäft ist im Jahr 1194 / 1780 auf einer prächtigen, ehemals 20-bändigen Handschrift des Kitāb al-Aġānī in Kopenhagen dokumentiert; Kopenhagen Pierho 168. 226 Berlin Landberg 627: im Jahr 1145 / 1732–33 „min wakīl aš-šarīfa as-saiyida bt. saiyidī Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir wa-bintuhā aš-šarīfa Fāṭima bt. saiyidī al-Ḥusain b. al-Ḥusainī“. Es war gängige Praxis, dass Frauen in Geschäften, die ihr Eigentum betrafen, von Männern vertreten wurden. 227 Berlin Sprenger 852: Muṣṭafā aṣ-Ṣalāḥī „mallaktuhū li-bintī Fāṭima wa-aḫraǧtuhū ʿan mulkī . . . fa-huwa maḫṣūṣ bi-hā“. Die Leser 359

Abb. 50 Kolophon der von ʿĀ’iša al-Bāʿūnīya kopierten Handschrift. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 194, fol. 148r

aš-šaiḫ Ḥiǧāzī, welche die Bücher dann auch stiftete (Vollers 26+28).228 Hierzu kommt nun noch die als Kopistin bezeugte Frau. In der Rifāʿīya findet sich die bereits erwähnte ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya mit einem von ihr kopierten Gebetsbuch, den Aḏkār von an-Nawawī (Vollers 194). Außerhalb des hier behandelten Korpus sind auch einige christliche Frauen als Besitzerinnen von Büchern bezeugt. Heyberger listet zwei Bücher auf, die Frauen gehörten und weiß von einem von einer Nonne kopierten Sammelband. Nach ihm waren diese Bücher „textes simples“.229 Zwei weitere christliche Frauen, die Tochter eines Priesters und eine Nonne, aus dem Libanon im spä- ten 17. und 18. Jahrhundert, kopierten christliche religiöse Literatur.230 Thematisch lässt das wenige Material auf den ersten Blick keine wei- tergehenden Schlüsse zu. Dass auch Medizin und Recht in der folgenden

228 Nicht einzuordnen ist eine Frau als Besitzerin einer medizinischen Handschrift in Oxford (Bodleian MS. Marsh 376 = Savage-Smith: Medicine, Nr. 42C), da im Katalog keine weiteren Informationen gegeben werden; Savage-Smith: Medicine, S. 160 heißt es nur: „One of the owners‘ notes gives the name Umm Sulaymān dated 12 Jumādá I 813 (13 Sept. 1410)“. 229 Heyberger: Livres, S. 221. 230 Sūnī: Fihris . . . Dair aš-Šarfa, S. 115, Nr. 323 (er kann den Eigennamen nicht identifizieren, liest dann aber bint al-ḫūrī Mīḫāʾīl ad-Duwaihī im Jahr 1718); die Nonne Īrīnī bt. Fatḥ Allāh al-Aqlūm kopiert im Jahr 7176 nach Adam (=1668 u.Z.) einen Kommentar des Hohelieds, vgl. Sūnī: Fihris . . . Dair aš-Šarfa, S. 224, Nr. 641. 360 kapitel 3

Aufstellung gleich zwei Mal unter den mit Frauen verbundenen Werken auf- tauchen, scheint vordergründig auf eine thematische Vielfalt des Lesestoffes hinzudeuten. Doch hier sind die Arten der Einträge und ein genauer Blick auf die jeweiligen Bücher entscheidend.

Tabelle 4 Thematische Verteilung der von Frauen rezipierten Werke

Thema Eigener eigene an Frau eigene für Frau aus dem Kopie Besitz Lesung geschenkt Stiftung gestiftet Nachlass

Koranlesung I Glaubens-bekenntnis I I Propheten-biographie I I Mystik I I sīra / Roman I Tradition I Sprachwis-senschaften I Recht I I Medizin I I

Das Kompendium zum Verwaltungsrecht (Vollers 399, Ibn Ǧamāʿas Taḥrīr al-aḥkām fī tadbīr ahl al-islām) stammt aus dem Nachlass einer Frau, die vom Käufer nur als „bint Ḥamza bāšā“ im Damaszener Vorort al-Mīdān identifiziert wird. Da das Buch zum militärisch-politischen Hintergrund ihres Vaters passt, kann man durchaus annehmen, dass es aus dessen Hinterlassenschaft in ihren Nachlass gelangt ist. Das zweite Werk aus dem Bereich des Rechts wurde hin- gegen gestiftet. Auch das 1242 / 1818–19 von ʿAbbās al-Ḥanbalī aus dem Nachlass von Zainab ḫānum gekaufte Werk (Vollers 843, Ibn Ṭūlūns al-Ibtihāǧ fī aḥkām al-iḫtilāǧ), welches im Katalog unter Medizin klassifiziert wird, ist keinesfalls eindeutig einer nicht-religiösen Bildungssphäre zuzuordnen. Es handelt sich hierbei eher um ein poetisches Spiel, in dem Verse verschiedensten Inhalts aus einem anderen Werk genommen und bestimmte Worte hervorgehoben werden, so dass man diese Worte nacheinander wieder als einen Vers lesen kann. Und dieser Vers behandelt die aus dem Zucken verschiedenster Körperteile zu zie- hende Erkenntnis über die Zukunft der jeweiligen Person. Es handelt sich hier Die Leser 361 also, obwohl es um Körperliches geht, streng genommen um ein Horoskop mit poetischem Anspruch. Das am Ende des 18. oder Beginn des 19. Jahrhunderts von einer Frau gestif- tete Lexikon seltener Wörter al-Muġrib fī tartīb al-Muʿrib von al-Muṭarrizī aus dem Bereich der Sprachwissenschaften (Dublin CBL Ar 3585) sagt deutlich, wie man sich den Bucherwerb der stiftenden Frauen oft vorstellen muss. Es wurde zuerst von ʿAbdallāh efendī b. ʿĀkif efendī erworben, nach dessen Tod jedoch von seiner nicht näher genannten Mutter gekauft. Diese behielt es jedoch nicht, sondern stiftete es und übergab es zur Bewahrung an Ǧamāl ad-Dīn Qāḍī-zāda, den sie zusammen mit ihrem eigenen Sohn gesäugt hatte (dieser nennt sie ummunā riḍāʿan) zur Erinnerung an den Verstorbenen (li-aḏkara l-marḥūm bi-l-ḫair). Die stiftende Frau war in diesem Falle also weder verantwortlich für den Inhalt des Werkes noch benutzte sie das in ihrem Besitz befindliche Buch, ja wir erfahren nicht einmal ihren Namen. Stiftung hat also nicht unbedingt mit Rezeption durch Lesen, sondern mit Repräsentation zu tun. Eine Handschrift der Ḥayāt al-ḥayawān al-kubrā von ad-Damīrī in Michigan (Mich. Isl. Ms. 122) berichtet, wie dieses Buch von verschiedenen Frauen geerbt wurde, doch wieder ist ein Mann der Schreiber, das Buch wird anscheinend – der gesamte Hergang ist durch etwas Textverlust nicht ganz klar – auch gleich wieder an Männer verkauft. Zuerst bekommen gleich zwei Frauen (aš-šarīfatain Āmina wa-ʿAtīqa banāt [sic] as-saiyid Aḥmad al-Ḥakīm) das Buch aus dem Erbe zugewiesen (bi-l-qisma aš-šarʿīya). Sogleich wird das Buch aber von den beiden an ʿAbdallāh b. ʿAlī b. Yaḥyā aš-Šāmī weiterverkauft. Daraufhin erhält es, wiederum durch Erbteilung (bi-l-qisma aš-šarʿīya), dessen eigene Tochter Maimūna. Dies alles muss wohl im 12. / 18. Jahrhundert passiert sein, da das Buch selbst erst 1110 / 1698 kopiert wurde. Warum dieser offensichtlich recht komplexe Vorgang, der sich über einen längeren Zeitraum entwickelt haben muss, hier in einem einzigen Dokument widergegeben wurde, bleibt ungeklärt. Dass Frauen auch zum Vergnügen gelesen haben, wie es von Kremer in der eingangs zitierten Passage beschreibt, kann nicht verwundern und auch nicht ernsthaft bezweifelt werden, ist aber dennoch kaum dokumentarisch fass- bar. In der Leihbibliothek Aḥmad ar-Rabbāṭs (vgl. Kapitel 2.8. „Kommerzielle Leihbibliotheken“), die uns so viele in der Welt der Bücher marginale Gruppen besser vor Augen führt als jede andere Quelle, findet sich doch nur ein ein- ziges Mal eine Frau als Leserin, Fāṭima bt. Mūsā b. al-Muʿīna (?), die im Jahr 1215 / 1800 einen Band der Sīrat al-Ḥākim bi-Amrillāh (London BM Add. 7371) las.231 Nicht nur unterscheidet sich ihr Lesevermerk in Handschrift und Text überhaupt nicht von denen männlicher Leser Aḥmad ar-Rabbāṭs. Sie lässt

231 Ich stütze mich auf die Abbildung in Lenora: Der gefälschte Kalif, S. 250. 362 kapitel 3 diesem Vermerk – obwohl offenbar nicht Besitzerin des Bandes – sogar einen recht obszönen Vers gegen das Ausleihen von Büchern folgen. Darin wird jeder, der das Buch ausleiht und dann vergisst, als „Hurensohn“ (ibn zānīya min nasl qarnānī) beschimpft, den seine Mutter in Unzucht empfangen hat und des- sen Zügen (šaḥmat uḏunaihī) man die Herkunft von „zweitausend Menschen“ ansieht. Anders als in ihrem Leseeintrag, hat Fāṭima ihren Namen in diesen Versen jedoch in einer Geheimschrift geschrieben, die allerdings wohl für die meisten Leser entschlüsselbar war. Im von mir untersuchten Korpus finden sich diese Verse sonst einzig noch in der Rifāʿīya (Vollers 571). Hier ist es ein Militär, Šākir b. ʿAbdallāh aġā as-Sūqīya, der diese derben Worte fand. Auch Šākir war ein eifriger Leser in Aḥmad ar-Rabbāṭs Bibliothek. Dieses Buch besaß er hingegen tatsächlich selbst und datiert seinen Besitzeintrag in das Jahr 1210 / 1795–96, also fünf Jahre bevor Fāṭima dieselben Verse niederschrieb. Wahrscheinlich muss man aber nicht von einer Abhängigkeit des späteren vom früheren Nachweis, sondern von einer gemeinsamen Vorlage ausgehen.232

3.6 Private Ausleihe

Die private, nicht-kommerzielle Ausleihe hat eine Reihe von Spuren in den Büchern wie auch der normativen Literatur hinterlassen. Interessante Informationen in den Werken Damaszener Autoren finden sich etwa im Durr an-naḍīd, dem praktisch-moralischen Ratgeber Badr ad-Dīn al-Ġazzīs (904 / 1498–99 – 984 / 1576–77) für den Lehrbetrieb und sein Personal, oder auch in der späteren Biographiensammlung Damaszener Muftis, al-ʿArf al-baššām, dem sein Autor Ḫalīl al-Murādī (1173 / 1759–60 – 1206 / 1791) im Vorwort eine Anleitung für die richtige Literaturbeschaffung beigegeben hat. Wie so oft in der normativen Literatur fußten auch diese Texte substantiell auf älterer Literatur. Auffallend ist bei Ġazzī noch das rundheraus ablehnende Urteil über die Ausleihe von Büchern. Möchte man einen Text lesen, so solle man diesen kaufen oder, wenn er nicht zu finden ist, abschreiben lassen. Die kommer- zielle Ausleihe (iǧāra) ist noch gestattet, die private Ausleihe (istiʿāra) eines Buches kann nach dem Durr an-naḍīd höchstens ein letztes Mittel sein.233 Auf den gleichen Quellen aufbauend setzt Murādīs zwei Jahrhunderte später ent- standener Text doch andere Akzente. Auch für ihn gibt es eine Hierarchie des

232 Außerhalb des Korpus kann man ähnliche Verse, die einen säumigen Ausleiher als „ibn zāniya min nasl qarnānā“ bezeichnen, in Gotha orient. A 1515 finden, der Schreiber datiert einen weiteren Eintrag Šaʿbān 1009 / Februar 1601. 233 Vgl. Ġazzī: ad-Durr an-naḍīd, S. 520–521. Die Leser 363

Texterwerbs mit dem Kauf an der Spitze und der Ausleihe am Ende, doch ist diese nicht verpönt, sondern in den notwendigen Umständen mustaḥibb und die Befürworter der Ausleihe werden gegenüber deren Gegnern ausdrücklich als aṣaḥḥ bezeichnet.234 Es ist klar, dass hier ein elitärer Standpunkt zum Ausdruck kommt, der von ausreichenden finanziellen Resourcen ausgeht. Demgegenüber steht das Zeugnis der zuweilen literarisch überlieferten Praxis. In der Biographie des erfolgreichen Gelehrten Zain ad-Dīn ʿUmar Ibn Sulṭān aṣ-Ṣāliḥī (gest. 997 / 1588–89) wird als eine der positiven Eigenschaften besonders hervorgeho- ben, dass Besucher sowohl in seinem Haus als auch durch Ausleihe von der großen Büchersammlung des gastfreundlichen Mannes profitieren konnten, welche dieser ständig auch durch Auftragskopien erweiterte und am Ende seines Lebens stiftete.235 Auch beim gebildeten Offizier Amīn Ibn al-Kumuš / al-Gümüš (1136 / 1724 – 1200 / 1786) wird als besonders lobenswert hervor- gehoben, dass er seine große Büchersammlung „keinem, der sie ausleihen wollte, verwehrte.“236 Nicht zuletzt sein Biograph Ḫalīl al-Murādī, der Autor des oben zitierten Textes über die Ausleihe von Büchern, hat von dieser Freigiebigkeit profitiert und preist Amīn: „Immer wenn ich mir von ihm ein Buch zur Ausleihe erbeten habe, hat er es mir als Geschenk geschickt und noch andere Bücher dazu!“ Und tatsächlich findet sich in einem der zwei mir bisher nachweisbaren Bücher Amīn Ibn Kūmušs (so schreibt er sich in diesen Einträgen), dem Lexikon Ṣiḥāḥ von al-Ǧauharī (Berlin Wetzstein I 67), neben dem Besitzvermerk des Militärs auch der eines sich einfach Ḫalīl nennenden Mannes, der demnach gut Ḫalīl al-Murādī gewesen sein könnte. Die Ausleihe von Büchern war aber ein riskantes Unterfangen für den Geber, der immer fürchten musste, seine Bücher niemals wieder zu sehen.237

234 Murādī: ʿArf al-baššām, S. 14. 235 Ġazzī: Kawākib III, S. 175–176, Nr. 1500: „wa-kāna yantafiʿu l-mutaraddidīn ilaihī bi-kutubihī muṭālaʿatan ʿindahū wa-ʿāriyatan“. 236 Murādī: Silk I, S. 268–272. 237 Eine dahingehende Anekdote in der Biographie Sifr b. Ǧamāl ad-Dīn ar-Rūmīs (Ġazzī: Kawākib II, S. 147, Nr. 976) bleibt für mich in vielen Punkten kryptisch und die hier versuchte Übersetzung daher nur eine Annäherung: „Auf ihn ging die Eigenart seines ustāḏ (Ǧalāl ad-Dīn ad-Dauwānī) über, die Bücher der Leute auszuleihen und sie diesen dann vorzuenthalten. Nur dass sein ustāḏ die Bücher den unwissenden Buchbesitzern wegen ihrer Inhalte vorenthielt, und zwar auf legalem Wege [also wohl gegen eine Ausgleichszahlung?], und sie nicht einfach kostenlos nahm.“ „wa-sarā ilaihī ṭabʽuhū (scil. sein ustāḏ Ǧalāl ad-Dīn ad-Dauwānī) fī istiʽārat kutub an-nās wa-imsākihā ʽalaihim illā anna ustāḏahū kāna yumsikuhā ʽalā arbābihā l-ǧuhalāʾ bi-maḍāmīnihā fa-ya‌ʾḫuḏuhā minhum bi-ṭarīq šarʽī lā ʽalā arbābihā muǧānan“. 364 kapitel 3

Abb. 51 Amīn Ibn Kūmuš, Besitzer dieses Buches, wurde für seine freigiebige Ausleihpraxis gerühmt. STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Wetzstein I 67d, fol. 1r

Als der Buchnachlass des großen Dichters Darwīš Ibn Ṭālū (950 / 1543 – 1014 / 1606) versteigert wurde, so berichtet sein Biograph al-Ḥasan al-Būrīnī, fanden die Käufer nicht nur eine der besten Bibliotheken der Stadt. Man fand auch einige Bücher, welche Ibn Ṭālū zu Lebzeiten ausgeliehen, deren Rückgabe Die Leser 365 er aber offensichtlich „vergessen“ hatte.238 Umgekehrt war es im Fall des Rechtsgelehrten und großen Bibliophilen ʿAbdallāh al-Buṣrawī (1097 / 1686 – 1170 / 1757), der selbst allzu freigiebig mit seinen wertvollen Büchern umging und dadurch vieles verloren haben soll.239 Die Berliner Handschrift Sprenger 400 ist anscheinend solch eine „verwaiste“ Handschrift. Ein unbekannter Schreiber hielt darauf folgendes Urteil fest: „Es (das Buch) soll verkauft und der Erlös als fromme Gabe gespen- det werden, da es ausgeliehen war und sein Besitzer fort ist, ohne dass von ihm etwas bekannt wäre.“240 Demnach wurde das Buch wohl in einem Nachlass gefunden und konnte durch seinen rechtlichen Status nicht den Erben zuge- schlagen, aber auch nicht dem rechtmäßigen Besitzer zugeführt werden. Ein eigenes kleines poetisches Genre bilden denn auch die in Verse gebrach- ten Bitten um die Ausleihe eines Buches und die meist wohl nur halb ernst gemeinten Mahnverse an säumige Entleiher.241 Sie waren den Biographen und Chronisten immer wieder eine Erwähnung wert.242 Ibn Kannān berichtet beim Tod des Mūsā at-Turkumānī al-Ḫalwatī bekannt als al-Qāšiqǧī, wie dieser einmal in Ṣāliḥīya ein Buch des šaiḫs Raǧab al-Ašram zu lange nicht zurück- gab. Daraufhin handelte er sich einen Doppelvers ein, der in der martialischen und mit dem Namen des Entleihers spielenden – Mūsā bedeutet auch Rasiermesser – Zeile gipfelte: „sonst wird unsere Zunge an dir wie ein Rasiermesser sein.“243 Deutlichere Worte finden sich in den Handschriften, wo regelmäßig Verse prophylaktisch gegen das Ausleihen von Büchern warnen. Oft geben die Schreiber dabei vor, aus eigener Erfahrung zu sprechen: „Oh, Entleiher meines Buches, lass eine Erinnerung (taḏkira=Ausleihdokument) dafür bei mir und

238 Būrīnī: Tarāǧim al-aʿyān II, S. 201–221: „wa-laqad bāʿū kutubahū baʿda mamātihī wa-ṭalaʿa n-nās kutub fīhā kāna qad istaʽārahā ḥāla ḥayātihī, wa-bīʽat kutubuhū muḫtalifat al-aṯmān fa-minhā mā bīʿa bi-z-ziyāda wa-minhā mā bīʿa bi-n-naqṣān wa-laqad aḫaḏtu minhā Ḥāšiyat al-Kaššāf li-s-Saʿd at-Taftāzānī wa-Ḥāšiyat al-Mawāqif li-l-maulā ʿAlī al-Ḫurāsānī wa-ġair ḏālika min kutub al-adab.“ 239 Murādī: Silk III, S. 86–87. 240 Berlin Sprenger 400, fol. 1r: „yubāʿu wa-yutaṣaddaqu bi-ṯamanihī li-annahū ʿāriya ḏahaba ṣāḥibuhū wa-lam aʿlam bi-hī“. 241 Zu diesen Versen vgl. Ġazzī: ad-Durr an-naḍīd, S. 522–523. Vielleicht könnte ein Werk Ibn Ṭūlūns: Bahǧat al-ka‌ʾib fī ʿāriyat al-kutub (vgl. Ibn Ṭūlūn: Fulk, S. 30) hier noch mehr Material liefern, wenn es erhalten geblieben sein sollte. 242 Murādī: Silk I, S. 11–12 (Ibrāhīm al-Ǧīnīnī in Damaskus); ebd. II, S. 306–307 (der Medinenser Imam der Prophetenmoschee ʿAbd ar-Raḥmān al-Anṣārī), ebd. III, S. 223– 224 (Damaszener Mufti Ḥāmid al-ʿImādī). 243 Ibn Kannān: Ḥawādiṯ, S. 169: „qad ṣāra lisānunā fīka mūsā“. 366 kapitel 3 schelte [mich] nicht [dafür]. / Wie viele Bücher gingen schon durch Ausleihe verloren und Zähne knirschten vor Reue.“244 In einem in der Rifāʿīya hinterlas- senen Gedicht, das Segen für Autor, Schreiber, Besitzer und Leser des Buches erbittet, wird auch der Entleiher eingeschlossen – jedoch nur, wenn er das Buch zurückgibt.245 Wenn man seine Bücher schon weggeben sollte, dann also wenigstens gegen ein Pfand (rahn) oder, wie im oben zitierten Fall, einen Entleihzettel (taḏkira). Oft soll man sich als Antwort auch einfach entschuldi- gen, also das Buch gar nicht aus der Hand geben.246 Besonders auffällig sind derlei Verse in einigen Büchern Aḥmad ar-Rabbāṭs, kann er doch als Betreiber einer Leihbibliothek nichts Grundsätzliches gegen die Ausleihe von Büchern gehabt haben, wenn er vielleicht auch die Gefahren mehr zu spüren bekom- men musste als andere. In der Berliner Handschrift Wetzstein II 596, einer Sīrat al-Malik aẓ-Ẓāhir, lesen wir: „Ich habe einen Eid geschworen, ohne zu lügen / dass ich mein Buch an niemanden verleihen werde / ohne Pfand und Eid zu nehmen.“ In Berlin Wetzstein II 1236 hingegen, einer Safīna betitelten poetischen Anthologie mit eigenen Werken und metrischen Paradigmen, ist es die emotionale Bindung zum Buch und nicht der drohende Verlust, der das Verleihen des Buches zu einer Sünde machen, ohne dass dies freilich zu einem Ende des Entleihens geführt hätte:

Oh, Entleiher der Bücher, bete nicht für mich / denn mein Verleihen von Büchern ist eine Sünde! Denn mein einziger Geliebter auf dieser Welt ist mein Buch / und hast du schon einmal einen Geliebten gesehen, der verliehen wird?247

Diese Verse, bereits bei einem indischen sufischen Dichter des frühen 15. Jahrhunderts belegt, gehören zu den in den Handschriften am weitesten ver- breiteten Formen der poetischen Auseinandersetzung mit ihrer Ausleihe.248

244 In der Rifāʿiya findet sich der Vers in Vollers 526: „yā mustaʿīr kitābī ḥuṭṭ taḏkiratan ʿindī ʽalaihī wa-lā taʿtab / fa-kam min kitāb maḍā fī ḥukm ʿāriya mustahlakan fa-quriʿat as-sann min nadam.“ 245 Vollers 844: „wa-l-mustaʿīr lahū iḏ radda“. Zum Vers vgl. auch Weisweiler: Schreiberverse, S. 109. 246 Beirut AUB MS 349.1767 A61kA, Berlin Wetzstein II 186: „lā tuʿīranna kitāban / wa-ǧʿal al-ʿuḏra ǧawāban“. 247 Berlin Wetzstein II 1236, fol. 1v: „a lā yā mustaʿīr al-kutub daʿnī / fa-inna iʿārat al-kutub ʿārū ن ظ ة “.maʿšūqan yuʿārū [ ����ر � .fa-maʿšūqī mina d-dunyā kitābī / fa-hal naẓarta [geschr / 248 Der Nachweis des indischen Dichters Gezū Darāz (gest. 1422) nach Schimmel: The book of life-metaphor, S. 72. Der Vers findet sich neben gleich zwei weiteren Versen gegen Die Leser 367

Abb. 52 Obszöne Verse benutzte Šākir Ibn as-Sūqīya hier, um säumige Entleiher seiner Bücher zu brandmarken. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 571, fol. 1v

Regelrecht derb konnte die Warnung auch werden. In einem Fall muss der Entleiher lesen: „Oh, der du die Bücher entleihst, streite es nicht ab / denn wer ein anvertrautes Gut verleugnet ist ein Schwein.“249 In ar-Rabbāṭs Sīrat al- Malik aẓ-Ẓāhir (Berlin Wetzstein II 596) wurde noch theoretisch von einem vergesslichen Entleiher gesprochen: „Niemand entleiht mein Buch und ver- gisst es dann / außer der Sohn einer Schlampe, Kind vieler Männer.“250 Die bereits erwähnten Šākir Ibn as-Sūqīya und Fāṭima bt. Mūsā b. al-Muʿīna tun dies dann wesentlich offensiver, indem sie einen potenziellen Bücherdieb direkt ansprechen. Ersterer ist zwischen den Jahren 1203 / 1788 und 1242 / 1826 als reger Leser der Bücher Aḥmad ar-Rabbāṭs bezeugt. Ein einziges Buch hat er im Jahr 1210 / 1795–96 selbst besessen, Vollers 571, in welchem er den fol- genden Doppelvers (dūbait) hinterließ: „An den, der dieses mein Buch nimmt und dann vergißt / du bist der Sohn einer Schlampe (zāniya), Kind vieler

das Ausleihen auch in Beirut AUB MS 349.1767:A61kA mit einem positiven Kommentar zu seiner poetischen Qualität (“li-baʿḍihim wa-aǧāda“). Viele Nachweise auch in Gotha Ms. orient. A 1220, 1515, 1517, 1890, 2217; Münchner Beipiel mit Kommentar in Sobieroj: Arabische Handschriften der Bayerischern Staatsbibliothek I, S. 380 (jedoch mit falscher lexikalischer Interpretation); Daaїf / Sironval: Marges et espaces, S. 99–100. 249 Berlin Sprenger 1267, fol. 102v: „yā man yastaʿīru l-kutub lā takūnu [sic!] nakīr / wa-man yunkiru l-amāna ismuhū ḫinzīr.“ 250 „mā yastaʿīru kitābī ṯumma yunkiruhū / illā Ibn zāniya min nasl qirānā.“ 368 kapitel 3

Abb. 53 Ausleihnotiz des Entleihers ʿAbd al-Karīm al-Ǧarrāʿī für den Verleiher Muṣṭafā as-Suyūṭī. Universitätsbibliothek Leipzig, Vollers 811, fol. 1r

Männer251 / dessen Mutter ihn in Unzucht empfangen hat / und seine Züge (šaḥmat uḏunihī) sind die Mischung von 2000 Menschen.“ Fāṭima hinter- ließ den gleichen Spruch sogar in einem entliehenen Buch. Dies war kein ganz trivialer Spaß. Für ähnliche Beleidigungen haben muslimische Richter in der Region auch dokumentarisch belegte Prügelstrafen (taʿzīr bi-ḍ-ḍarb) verhängt!252 Verse, die dazu auffordern, doch nicht so knauserig mit seinen Büchern zu sein, finden sich demgegenüber nur äußerst spärlich in den Handschriften. Ein seltenes Beispiel steht wieder in Leipzig, jedoch nicht in der Rifāʿīya. Darin ist aber vor allem die Rede von Freunden bzw. einem „vertrauenswürdigen Bruder (aḫ ṯiqa)“, denen man seine Bücher nicht vorenthalten dürfe: Ein Freund solle niemals wie ein Feind behandelt werden.253

251 „Min nasl qirānā“, hier und von anderen Schreibern dieser Verse (etwa bereits im Jahr 1009 / 1600–01 der Aleppiner Leser ʿAbd al-Ḫāliq b. Ḥasan b. Raslān al-Ḥalabī, Gotha orient. A 1515) verschrieben zu „qirnānā“; wörtl. Nachkomme von Söhnen der gleichen Mutter von verschiedenen Männern. 252 Vgl. SEMERDJIAN: Sinful professions, S. 71: Im Jahr 1073 / 1663 beleidigt ein Mann einen anderen Mann auf offener Straße als „Mann einer Hure (zauǧ al-qaḥba)“ und wird dafür mit Bastonade bestraft. 253 Vollers 446 (=SS 249): ت ة ق لا ت���� نم�� �ك�ا �� �ع� ن ا خ ث����ق �� لا ص�د � ق ت� ا هك�ا �ت���ا ��ا � ع ب ك � ٍ� ٍ * و � ي� ر ب ر ى ت ن ت ن ف ف ت وع�ي� ر �ك�� ب���ك �ل���م� �ر ج�و �م���ا ������ع�ه�ا * ���ر ب� ا لا ج�ر ��سر ا وا ج�� �ه�ا ر �ى ت � ح ق � �ق ف �ل�خ � ق � و لا ���س�ا و �ي� �ص�د �ي��� �ك ب��ا ل�ع�د و ا ب��د ا * وا ����ص�د ب������ع��ل�ك و ج��ه ا ��ا ل� ا �لب��ا ر �ي� Die Leser 369

Einige der oben genannten Verse sind ambivalent, da sie auch im Kontext kommerzieller Bibliotheken wie der Aḥmad ar-Rabbāṭs zu finden sind. Aber auch die private, unentgeltliche Ausleihe hat ihre eigene Dokumentationsform gefunden, den ʿāriya-Vermerk. Das Formular kommt jedoch recht selten vor und findet sich etwa in der Rifāʿīya nur vier Mal.254 Die Ausleihe von Büchern muss eine alltägliche Praxis gewesen sein, demgegenüber sind die wenigen diesbezüglichen Vermerke als Unterrepräsentation anzusehen. Er folgt immer dem Grundmuster ʿāriya / hāḏā l-kitāb ʿāriya / ʿalā sabīl al-ʿāriya / hāḏā ʿindī ʿāriyatan etc., gefolgt von ʿinda zur Designation des Entleihers und li- oder ilā zur Designation des Besitzers der Handschrift. Auffallend ist, dass in die- sen Einträgen manchmal die Gleichrangigkeit oder Freundschaft (li-aḫīnā),255 noch öfter aber Ehrerbietung und eine niedrigere Stellung gegenüber dem Verleiher ausgedrückt wird. Von den vier Einträgen in der Rifāʿīya ist die Anrede an den Verleiher in dreien erhalten, immer lautet sie ilā / li-ǧanāb, gefolgt ein Mal von saiyidinā und ein Mal von šaiḫinā.256 Niemals scheint ein Entleiher einen höheren Rang als ein Verleiher gehabt zu haben. Vielleicht wird das Borgen und Verleihen damit, zumindest in dieser Art der schriftli- chen Dokumentation, als soziale Praxis deutlich, die über die Weitergabe von Texten hinaus auch soziale Netzwerke (intisāb) knüpfen kann. In vielen Fällen bleibt eine Partei des Eintrages auch anonym, in den vier Einträgen der Rifāʿīya etwa nennt sich der Entleiher zwei Mal nicht selbst.

254 Vollers 162, 470, 534, 811. Das erste Beispiel ist um das Jahr 1200 / 1786 von maghrebinischer Hand in Jerusalem geschrieben, alle anderen stammen aus Damaskus. 255 Berlin Sprenger 1116: Muḥammad Ibn ad-Dikdikǧī (gest. 1131 / 1719) leiht ein Buch von Aḥmad ad-Dasūqī aus. 256 Vollers 470: li-ǧanāb saiyidinā al-kāmil al-auḥad aš-šaiḫ Muḥammad Amīn Efendī-zāda; Vollers 534: ilā ǧanāb Muḥammad aġā ustāḏ ʿAin at-Tīna; Vollers 811: von ʿAbd al-Karīm al-Ǧarrāʿī li-ǧanāb šaiḫinā Muṣṭafā efendī as-Suyūṭī. kapitel 4 Schluss

Während literarische arabische Quellen zuweilen ein stark romantisiertes Bild von der Buchkultur wiedergeben, versuchte die vorliegende Arbeit durch Zuhilfenahme dokumentarischen Materials vor allem in Form von systema- tisch gesammelten Sekundäreinträgen zu zeigen, wie beide Quellengruppen im Zusammenspiel ergänzend, korrigierend oder sich gegenseitig befruchtend einen deutlich geschärften Blick erlauben. In den Handschriften selbst zu findende Besitz-, Leser-, Stifter-, Geburts- und Todes- oder sonstige Vermerke ermöglichen es, die Buch-, Bibliotheks- und Lesegeschichte in vielen Regionen des ehemaligen Osmanischen Reiches sehr viel detaillierter nachzuzeich- nen als in den meisten anderen Buchkulturen. Das Beispiel der Damaszener Rifāʿīya-Bibliothek hat sich dabei als ein sehr fruchtbarer Ausgangspunkt für eine Fallstudie erwiesen. Der erste Hauptteil „Die Bibliothek: Ihre Geschichte und Inhalte“ spürte zuerst der Geschichte und den Ereignissen um den Verkauf der Bibliothek nach. Die bisher bekannten spärlichen Informationen konnten dabei um neue Details aus verschiedenen archivalischen Überlieferungen ergänzt werden, was sowohl den Hergang des Kaufgeschäftes als auch die Person des letzten Besitzers der Bibliothek stärker beleuchtete. Bei einer weiterhin stark lüc- kenhaften Informationslage zur Vorgeschichte der Rifāʿīya bot der Versuch einer „Bibliotheksarchäologie“ den methodischen Ansatz, die historische Entwicklung des Bestandes umrissartig abzustecken: mit Hilfe der gesam- melten Sekundäreinträge konnte vielen Handschriften ein terminus post quem für ihren Erwerb für die Rifāʿīya zugewiesen werden. Dadurch waren einige von Wetzstein und Fleischer tradierte Grundannahmen zur Geschichte der Rifāʿīya deutlich zu korrigieren. So konnte ein substanzieller Teil des Handschriftenbestandes der Bibliothek als späte bis sehr späte Erwerbung identifiziert werden. Auch im Lichte anderer identifizierter Bibliotheken stellt sich der Buchbestand damit, trotz seiner theoretisch geforderten Beständigkeit durch die Stiftung, als stark fluktuierend dar. Auf inhaltlicher Ebene hat sich gezeigt, dass die religiösen Wissenschaften entgegen der Behauptung Wetzsteins und Fleischers eine sehr starke Rolle im Bestand spielen. Obwohl insofern als Universalbibliothek konzipiert, als offenbar keine Themenbereiche des zeitgenössischen Buchmarktes bewusst ausgeschlossen wurden, zeichnet sich doch ein Profil der Bibliothek ab: dem- nach war die Rifāʿīya eine nach der zeitlichen Verteilung ihrer Autoren stark

© koninklijke brill nv, leiden, ���6 | doi ��.��63/9789004314894_006 Schluss 371 antiquarische, der regionalen Verteilung nach stark syrisch-ägyptisch geprägte, der Sprache ihrer Texte nach arabische Bibliothek. Trotz der Möglichkeiten grenzüberschreitenden Austausches, welche die sprachliche Ökumene des Arabischen von Nordafrika bis Indien theoretisch bot, blieb der Transfer von Literatur zwischen den verschiedenen Regionen nach Ausweis der Handschriften praktisch sehr beschränkt. Der zweite Hauptteil der Arbeit, „Die Umwelt der Rifāʿīya“, stellt sich der Tatsache, dass wir über die Öffentlichkeit, Verwaltung und Benutzung der Rifāʿīya selbst bedauerlicherweise kaum direkte Informationen besitzen. Er versucht daher, die Bibliothekslandschaft zu skizzieren, in welcher sich die Rifāʿīya, ihre Besitzer und Leser, bewegten. Durch den neuen, auf dokumetari- schen Quellen gestützten Forschungsansatz konnten bisher weithin tradierte Vorstellungen von der nahöstlichen Bibliotheksgeschichte einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Eine erste Korrektur betrifft den Umfang privaten und öffentlichen Buchbesitzes in einer regionalen Metropole wie dem osmani- schen Damaskus. Die in literarischen Quellen gegebene Größenordnung von Bibliotheken ist symbolisch und meist stark überhöht. Eine Bibliothek wie die Rifāʿīya mit weniger als 500 Bänden muss im Kontext ihrer Buchkultur als eine ausgesprochen große Sammlung gelten. Der literarische Horizont, den die muslimischen Handschriftenbibliotheken des osmanischen Syrien abbilden, war regional stark eingeschränkt. Sowohl die Autoren als auch die Kopien waren meist syrischen oder ägyptischen Ursprungs. Gleichzeitig war der Buchmarkt sehr antiquarisch ausgerichtet, zeitgenössische Autoren traten gegenüber „Klassikern“ deutlich zurück und wurden nur spärlich rezipiert. An öffentliche Institutionen gestiftete Bibliotheken und Bücher fanden nur eine sehr eingeschränkte Öffentlichkeit, die Benutzung war stark reglemen- tiert und beschränkt. Besonders die meist an religiösen Institutionen angesie- delten christlichen Büchersammlungen hatten kaum Ausstrahlungskraft über einen beschränkten Kreis klerikalen Personals hinaus. Vor diesem Hintergrund kommt umfangreichen privaten und gestifteten Familienbibliotheken eine besondere Bedeutung für die literarische Öffentlichkeit zu. Die Familienstiftung einer Bibliothek, wie in der Rifāʿīya praktiziert, hatte meist erbrechtliche Gründe. Sie diente daher anscheinend in aller Regel nicht der Etablierung einer dezidiert öffentlichen Bibliothek. Dennoch haben diese Büchersammlungen durch inoffizielle, private Netzwerke über den engeren Kreis der Familie auch auf deren Umfeld ausgestrahlt. Schließlich spielten auch kommerziell operie- rende Leihbibliotheken spätestens seit dem 18. Jahrhundert eine sehr große und in den literarischen Quellen vollkommen verschwiegene Rolle. Durch sie bekamen Teile der Bevölkerung Zugang zu Literatur, die von der regulär 372 kapitel 4 vermittelten Gelehrsamkeit der ʿulamāʾ aus sozialen oder konfessionellen Gründen ausgeschlossen waren. Besondere Bedeutung kommt der Erkundung der Marktsituation von Büchern zu, da sie eine essenzielle Grundlage für die Zusammenstellung von Bibliotheken war. Der Buchmarkt in unmittelbarer Umgebung der Umayyadenmoschee spielte hierbei eine herausragende Rolle, die mit seiner engen räumlichen Anbindung an die Moschee gleichzeitig sowohl inhaltlich als auch auf ein muslimisches Publikum begrenzt erscheint. Der Buchmarkt erscheint in den literarischen und dokumentarischen Quellen vor allem als ein antiquarischer Markt, besonders auch für Versteigerungen aus Nachlässen. Die Vervielfäligung von Texten durch Kopien, mithin also die Bestimmung des Angebots durch die Nachfrage, wird in den Quellen hingegen gar nicht mit dem Buchmarkt in Verbindung gebracht. Ob letzteres vornehmlich durch profes- sionelle Schreiber geschah, bedarf noch einer eingehenderen Untersuchung. Sicher ist, dass das Kopieren von Texten hauptsächlich durch Gelehrte oder Studenten, entweder für den eigenen Gebrauch oder für Freunde mit oder ohne Entlohnung an der Tagesordnung war. Der dritte Hauptteil, „Die Leser“, erkundet die Praxis des Lesens nicht auf der institutionellen, sondern der personellen Ebene. Diese Geschichte des Lesens kreist um den Fragenkomplex: Wer liest was auf welche Art und warum? Die arabistische Forschung steht hier noch ganz am Anfang. Sehr energisch stellte diese Fragen in der jüngeren Forschung bereits Touatis Aufsatz Pour une histoire de la lecture au Moyen Âge musulman am Beispiel der Lektüre der „mittelalterlichen“ Chroniken. Doch die vom Autor gewählte Epoche lässt deren Beantwortung kaum zu. Ein wirkliches Studium der Rezeption histori- scher Literatur durch verschiedenste Leser findet sich hier nicht, stattdessen aber literarische Anekdoten aus der Welt der herrscherlichen Höfe und der Studienzirkel einiger Gelehrter sowie Fragen der Ablehnung des Lernens nur aus Büchern. Und der exzellente, doch im Rahmen unserer Fragestellung lei- der zu viel versprechende Aufsatz von Strauss, Who read what in the Ottoman Empire, sollte besser Who printed what in late Ottoman Istanbul heißen. Das Aufkommen eines neuen Publikums für das geschriebene Wort mit einem neuen sozio-ökonomischen Hintergrund, wie es Nelly Hanna in ihrer wegweisenden Studie In praise of books beschreiben, jedoch noch kaum belegen konnte, findet im hier ausgewerteten Material möglicherweise eine Bekräftigung. Veränderungen auf sozialer Ebene konnten im Lesepublikum, wie es sich in den Handschriften findet, zumindest punktuell nachvollzo- gen werden. Die Identifikation von Handwerkern und vor allem finanzkräf- tigen Händlern, die als wesentliche Träger neuer literarischer Entwicklungen anzusprechen sind, ist äußerst schwierig, aber in Einzelfällen möglich. Doch Schluss 373 auch wo sie gelingt, bleibt die Frage: Handelt es sich hierbei um den Zugang vollkommen neuer Leserschaften oder eine neue Verschriftlichung und Individualisierung traditioneller Formen der „populären“ Leseerfahrung, die den Rahmen des öffentlichen Vortrags etwa im Kaffeehaus hinter sich ließ? Es wurde der Versuch gemacht, einige durch ihre Namen, Titel oder Selbstidentifizierung relativ gut greifbare Gruppen (Militärs und Verwaltung, Ärzte, Christen und Juden, Frauen) zu isolieren und deren spezifisches Leserprofil nachzuzeichnen. All diese Gruppen waren in der zeitgenössischen literarischen Überlieferung marginalisiert. Bei aller Problematik, welche der Versuch einer solchen Identifikation mit sich bringt, setzen die Ergebnisse doch jeweils sehr deutliche inhaltliche Akzente und rechtfertigen somit Kategorisierungen, deren Aussagewert nichtsdestotrotz immer hinterfragt werden muss. Arabische Literatur – die Produktion wie auch deren Rezeption – blieb, zumindest im hier untersuchten syrischen urbanen Kontext, vor allem eine Angelegenheit muslimischer Männer, die sich zumeist aus den Reihen der formell in einer Madrasa ausgebildeten Religionsgelehrten, der ʿulamāʾ, zusammensetzten. Doch dieses monolithische Bild begann im Laufe der hier behandelten Periode bereits zu bröckeln und tat dies außerhalb des in dieser Hinsicht offenbar sehr konservativen Damaskus bereits weit stärker. Die nicht- ʿulamāʾ haben ihre dokumentierten Bücher jedoch oft auf dem Weg der kom- merziellen Ausleihe rezipiert, was eine Überlieferung dieser Leseerfahrung aus früherer Zeit wohl erschwert haben dürfte, da die Bestände der entsprechen- den Bibliotheken kein hohes soziales Prestige besaßen und damit möglicher- weise auch keine besondere Bewahrung erfahren haben. Die Dokumentation nicht-gelehrter Leseerfahrungen kann also wichtige Aspekte der syrischen Buchkultur der osmanischen Zeit beleuchten, bleibt aber relativ marginal. Eine Geschichte der Bibliotheken des osmanisch-syrischen Kulturraumes und ihrer Benutzer kann jedoch nur interdisziplinär geschrieben werden. Die Trennung der handschriftlichen Bestände und der Forschung anhand konfes- sioneller und sprachlicher Grenzen (Arabisch, Persisch und Türkisch auf der einen und Griechisch, Hebräisch und Syrisch auf der anderen Seite) verhin- dert die ganzheitliche Betrachtung einer Buchkultur, in der es viele konfessio- nelle Trennlinien, aber auch viele interkonfessionelle Gemeinsamkeiten gab.

Quellen und Literatur

Archivalische und handschriftliche Quellen

Archivsiglen HStA Dresden = Hauptstaatsarchiv Dresden. MSD = Syrisches Nationalarchiv / Markaz al-Waṯāʾiq at-Tārīḫīya: Bestand al-Maḥākim aš-Šarʿīya bi-Dimašq. MSH = Syrisches Nationalarchiv / Markaz al-Waṯāʾiq at-Tārīḫīya: Bestand al-Maḥākim aš-Šarʿīya bi-Ḥamāh.

Nachlasssiglen NL Fleischer Kopenhagen = Königliche Bibliothek Kopenhagen, Nachlaß Fleischer Ny kgl. Sam. 2969–4°. NL Fleischer Leipzig = Universitätsbibliothek Leipzig, Nachlaß Fleischer 267 /. NL Wetzstein Berlin = vgl. zum Nachweis HUHN: Der Nachlaß.

Handschriftensiglen Beirut AUB = Beirut, American University of Beirut. Berlin Landberg = Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Sammlung Carlo Landberg. Berlin Sprenger = Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Sammlung Aloys Sprenger. Berlin Wetzstein I = Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Orientabtei­ lung, Sammlung Johann Gottfried Wetzstein I. Berlin Wetzstein II = Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Sammlung Johann Gottfried Wetzstein II. Damaskus Ẓāhirīya = Dār al-Kutub aẓ-Ẓāhirīya, heute in der Nationalbibliothek Maktabat al-Asad. Dublin CBL = Dublin, Chester Beatty Library. Gotha orient. A = Forschungsbibliothek Gotha, Schloss Friedenstein. Halle DMG = Halle, Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Kopenhagen Perho = Königliche Bibliothek Kopenhagen, Zählung nach Perho: Catalogue. London BM = London, British Museum Library. Paris BnF = Bibliothèque National de France. Dair Šarfe = Kloster Dair Šarfe, Libanon. 376 Quellen und Literatur

Tübingen MA VI = Universitätsbibliothek Tübingen, Handschriftenabteilung, MA VI: arabische Handschriften. Vollers = Universitätsbibliothek Leipzig, Zählung nach Vollers: Katalog.

Handschriftliche Quellen Būlād, Anṭūn: Muḏakkirāt. MS Dair Šarfeh ar. 16/28. Ǧaġmīnī, Maḥmūd al-: Qānūnče fī ṭ-ṭibb. MS Michigan IL 273 (einsehbar unter: http:// catalog.hathitrust.org/Record/006805672). Ḥarīrī, Muḥammad b. ʿUmar al-: Natīǧat al-mufāḫara fī aḫbār Banī Rifāʿa as-sāda al-akābira. MS Paris BnF 6944. Ibn Šāhīn, Aḥmad: [Faṣl fī wurūdihī Dimašq aš-Šām]. UB Leipzig, Vollers 863f, fol. 173v–181v. Marġīnānī ʿAlī b. Abī Bakr al-: al-Hidāya fī šarḥ al-Bidāya. MS Harvard, Houghton Library, MS Arab 265 (einsehbar unter: http://pds.lib.harvard.edu/pds/view/ 13187119). Šaizarī, ʿAbd ar-Raḥmān aš-: Nihāyat ar-rutba fī ṭalab al-ḥisba. MS Leipzig Vollers 398. Wetzstein, Johann Gottfried: Catalog der arabischen Handschriftenbibliothek des Dr. J. G. Wetzstein, königl. preuss. Consuls in Damaskus. Berlin 1859. Staatsbibliothek zu Berlin, Orientabteilung, Dienstzimmer 19. ———: Bruchstück eines wissenschaftl. Katalogs der arab. HSS. der Bibl. Wetzst. II von N. 314 bis 418. Staatsbibliothek Berlin, Hs. or. sim. 8943. ———: Catalog der „Refaiya“. Arabische Handschriftensammlung des Omar Efendi El Refai Elhamawi in Damaskus. UB Leipzig Ms. 0609r.

Gedruckte Quellen

Addison, Charles Greenstreet: Damascus and Palmyra. A journey to the East. Philadelphia 1838. ʿAidarūsī, ʿAbd al-Qādir b. Šaiḫ al-: an-Nūr as-sāfir ʿan aḫbār al-qarn al-ʿāšir. Hrsg. von Aḥmad Hālū / Maḥmūd al-Arnāʾūṭ / Akram al-Būšī. Beirut 2006 (2. Auflage). Aigen, Wolfgang: Sieben Jahre in Aleppo (1656–1663). Ein Abschnitt aus den „Reiß- Beschreibungen“ des Wolffgang Aigen. Hrsg. von Andreas Tietze. (=Beihefte zur Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, 10) Wien 1980. Anonymus: Gesellschaft der Künste und Wissenschaften in Beirut. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 2 (1848), S. 378–388. Bacon, Francis: Neues Organon. Übs. von J. H. v. Kirchmann. Berlin 1870. Badrān, ʿAbd al-Qādir: Munādamat al-aṭlāl wa-musāmarat al-ḫayāl. Hrsg. von M. Z. aš-Šāwīš. Damaskus s.d. Baiṭār, ʿAbd ar-Razzāq al-: Ḥilyat al-bašar fī tārīḫ al-qarn aṯ-ṯāliṯ ʿašar. Hrsg. von Muḥammad Bahǧat al-Baiṭār, 3 Bde. Damaskus 1961. Quellen und Literatur 377

Bowring, John: Report on the commercial statistics of Syria. New York 1973 (ND der Ausgabe London 1840). Browne, W. G.: Travels in Africa, Egypt, and Syria, from the year 1792 to 1798. London 1799. Buckingham, J. S.: Travels among the Arab tribes inhabiting the countries East of Syria and Palestine. London 1825. Budairī al-Ḥallāq, Aḥmad al-: Ḥawādiṯ Dimašq al-yaumīya. Hrsg. von Aḥmad ʿIzzat ʿAbd al-Karīm. Damaskus 1997 (2. Auflage). Būrīnī, al-Ḥasan al-: Tarāǧim al-aʿyān min abnāʾ az-zamān. Hrsg. von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid, 2 Bde. (mehr nicht erschienen). Damaskus 1959–1963. Callier, Camille: Mémoire sur la Syrie ou Promenades d’un ingénieur géographe à Alep (1831–1832). Hrsg. von Hussein I. El-Mudarris und Olivier Salmon. Aleppo 2010. Carne, John: Recollections of Travels in the East. London 1830. Comte de Paris [=Louis Philippe d’Orleans]: Damas et le Liban. Extraits du Journal d’un voyage en Syrie au printemps de 1860. London 1861. Conder, Josiah: The modern traveller, Volume the Second: Syria and Asia Minor, Band I. London 1830. d’Ohsson, Ignatius Mouradgea: Tableau général de l’Empire Ottomane, vol. I. Paris 1787. Farḥāt, Ǧarmānūs: Bulūġ al-arab fī ʿilm al-adab: ʿIlm al-ǧinās. Hrsg. von Inʿām Fauwāl. Beirut 1990. Frankl, Ludwig August: Nach Jerusalem, 2 Bde. Leipzig 1858. Ǧabartī, ʿAbd ar-Raḥmān al-: ʿAǧāʾib al-āṯār fī t-tarāǧim wa-l-aḫbār, Bd. I. Hrsg. von ʿAbd ar-Raḥīm ʿAbd ar-Raḥmān ʿAbd ar-Raḥīm. Kairo 1997. Ǧāḥiẓ, ʿAmr b. Baḥr al-: Kitāb al-ḥayawān. Hrsg. von Muḥammad Bāsil ʿUyūn as-Sūd. Beirut 1424 / 2003 (2. Auflage). Ġazālī, Abū Ḥāmid Muḥammad al-: Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn, 4 Bde. Hrsg. von Badawī Ṭabāna. [Kairo] 1957. Ġazzī, Badr ad-Dīn Muḥammad al-: ad-Durr an-naḍīd fī adab al-mufīd wa-l-mustafīd. Hrsg. von Marwān al-ʿAṭīya aẓ-Ẓufīrī. al-Munūfīya 2011. Ġazzī, Naǧm ad-Dīn Muḥammad al-: al-Kawākib as-sāʾira bi-aʿyān al-mīʾa al-ʿāšira. Hrsg. von Ḫalīl al-Manṣūr, 3 Bde. Beirut 1997. ———: Luṭf as-samar wa-qaṭf aṯ-ṯamar. Min tarāǧim aʿyān aṭ-ṭabaqa al-ūlā min al- qarn al-ḥādī ʿašar, 2 Bde. Hrsg. von Maḥmūd aš-Šaiḫ. Damaskus 1981–1982. Ġazzī, Kamāl ad-Dīn al-: al-Wird al-unsī wa-l-wārid al-qudsī fī tarǧamat al-ʿārif ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī. Hrsg. von Samer Akkach als: Intimate invocations. Al-Ghazzī’s biography of ʿAbd al-Ghanī al-Nābulusī (1641–1731). Leiden / Boston 2012. Goldziher, Ignaz: Ignaz Goldziher and his Oriental Diary. A translation and psycholo- gical portrait. Übers. von Raphael Patai. Detroit 1987. 378 Quellen und Literatur

Ḥāǧǧī Ḫalīfa, Muṣṭafā b. ʿAbdallāh: Kašf aẓ-ẓunūn ʿan asāmī l-kutub wa-l-funūn. Hrsg. von Gustav Flügel, 7 Bde. Leipzig / London 1835–1858. [Hailbronner, Karl von]: Morgenland und Abendland, 2 Bde. Stuttgart und Tübingen 1848. Ḥaṭṭāb, Abū ʿĀbdallāh Muḥammad b. Muḥammad aṭ-Ṭarābulusī al-Maġribī al-: Mawāhib al-Ǧalīl li-šarḥ Muḫtaṣar al-Ḫalīl, 6 Bde. Tripolis o.J. Ibn ʿĀbidīn, Muḥammad Amīn: Ḥāšiyat Ibn ʿĀbidīn. Radd al-muḥtār ʿalā d-Durr al-muḫtār šarḥ Tanwīr al-abṣār, 5 Bde. Būlāq 1323–1326. Ibn Aiyūb al-Anṣārī, Šaraf ad-Dīn Mūsā: Kitāb ar-Rauḍ al-ʿāṭir. Teilsatz hrsg. von Ahmet Halil Güneş als: Das Kitāb ar-rauḍ al-ʿāṭir des Ibn Aiyūb. Damaszener Biographien des 10. / 16. Jh. Beschreibung und Edition. Berlin 1981. Ibn al-Ǧarrāḥ, Abū ʿAbdallāh Muḥammad b. Dāʾūd: Kitāb al-Waraqa. Ed. ʿAbd al-Wahhāb ʿAzzām und ʿAbd as-Sattār A. Farrāǧ. Kairo 1953. Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī: ad-Durar al-kāmina fī aʿyān al-mīʾa aṯ-ṯāmina. Kairo 1349. Ibn Ḫallikān, Aḥmad b. Muḥammad: Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān. Hrsg. von Iḥsān ʿAbbās, 8 Bde. Beirut 2005 (4. Auflage). Ibn Kannān, Muḥammad b. ʿĪsā: al-Ḥawādiṯ al-yaumīya min tārīḫ aḥad ʿašar wa-alf wa-miʾa. Hrsg. von Akram al-ʿUlabī. Damaskus 1994. ———: al-Mawākib al-islāmīya fī l-mamālik wa-l-maḥāsin aš-šāmīya. Hrsg. von Ḥikmat Ismāʿīl. 2 Bde., Damaskus 1993. Ibn al-Mibrad, Yūsuf b. ʿAbd al-Hādī: Nuzhat ar-rifāq ʿan ḥāl al-aswāq. Hrsg. von H. Zaiyāt. In: al-Mašriq 37 (1939), S. 18–28. Ibn Rušd, Muḥammad b. Aḥmad: al-Bayān wa-t-taḥṣīl wa-š-šarḥ wa-t-tauǧīh wa-t-taʿlīl fī masāʾil al-Mustaḫraǧa, Bd. XII. Hrsg. von Muḥammad b. Aḥmad al-ʿUtbī und Aḥmad al-Ḥabābī. Beirut 1988 (2. Auflage). Ibn Taġrī Birdī, Ǧamāl ad-Din Yusuf: al-Manhal aṣ-ṣāfī wa-l-mustaufī baʿd al-wāfī, 5 Bde. Kairo 1984–1988. ———: an-Nuǧūm az-zāhira fī mulūk Miṣr wa-l-Qāhira. Hrsg. von Muḥammad Ḥusain Šams ad-Dīn, 16 Bde. Beirut 1413 / 1992. Ibn Ṭauq, Aḥmad: at-Taʿlīq. Muḏakkirāt kutibat bi-Dimašq fī awāḫir al-ʿahd al-mamlūkī, 885–908 h / 1480–1506 m. Hrsg. von Ǧaʿfar al-Muhāǧir, 4 Bde. Damaskus 2000–2007. Ibn Ṭūlūn aṣ-Ṣāliḥī, Šams ad-Dīn Muḥammad: al-Fulk al-mašḥūn fī aḥwāl Muḥammad Ibn Ṭūlūn. Damaskus 1348. ———: al-Qalāʾid al-ǧauharīya fī tārīḫ aṣ-Ṣāliḥīya. Hrsg. von Muḥammad Aḥmad Duhmān. Damaskus 1368 / 1939. ———: Naqd aṭ-ṭālib li-zaġal al-manāṣib. Hrsg. von Muḥammad Aḥmad Duhmān und Ḫālid Muḥammad Duhmān unter Mitarbeit von Nizār Abāẓa. Beirut 1412 / 1992. Quellen und Literatur 379

———: Ḥawādiṯ Dimašq al-yaumīya. Hrsg. von Aḥmad Ībiš. Damaskus 2002. Kitāb waqf Asʿad Bāšā al-ʿAẓm. Hrsg. von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid. Damaskus 1953. Legh, Thomas: Narrative of a Journey in Egypt and the country beyond the Cataracts. London 1816. Maḥāsinī, Ismāʿīl b. Tāǧ ad-Dīn al-: Ṣafaḥāt min tārīḫ Dimašq fī l-qarn al-ḥādī ʿašar al-hiǧrī, mustaḫraǧa min Kunnāš Ibrāhīm al-Maḥāsinī. Hrsg. von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid. In: Maǧallat Maʿhad al-Maḫṭūṭāt al-ʿArabīya 6 (1960), S. 77–160. Maqqarī, Aḥmad b. Muḥammad al-: Nafḥ aṭ-Ṭīb fī ġuṣn al-Andalus ar-raṭīb. Hrsg. von Iḥsān ʿAbbās, 8 Bde. Beirut 1968. [Meryon, Charles Lewis]: Memoirs of the Lady Hester Stanhope as related by herself in conversations with her physician, 3 Bde. London 1845. ———: Travels of Lady Hester Stanhope; forming the completion of her Memoirs, 3 Bde. London 1846. Mišāqa, Mīḫāʾīl: Michael Meschâka’s Cultur-Statistik von Damaskus. Aus dem Arabischen übersetzt von Prof. [Heinrich Leberecht] Fleischer. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 8 (1854), S. 346–74. ———: Murder, mayhem, pillage, and plunder. The history of the Lebanon in the 18th and 19th centuries. Übers. von Wheeler. M. Thackston, Jr. Albany 1988. Monconys, Balthasar de: Journal des voyages de Monsieur de Monconys. Band 1: Voyage de Portugal, Provence, Italie, Egypte, Syrie, Constantinople, & Anatolie. Lyon 1677. Muḥibbī, Muḥammad Amīn b. Faḍl Allāh al-: Ḫulāṣat al-aṯar fī aʿyān al-qarn al-ḥādī ʿašar. Hrsg. von Muḥammad Ḥasan Muḥammad Ḥasan Ismāʿīl, 4 Bde. Beirut 2006. ———: Nafḥat ar-raiḥāna wa-rašḥat ṭilāʾ al-ḫāna, 7 Bde. in 3. Beirut 2005. Murādī, Abū l-Faḍl Muḥammad Ḫalīl al-: Silk ad-Durar fī aʿyān al-qarn aṯ-ṯānī ʿašar. Hrsg. von Muḥammad ʿAbd al-Qādir Šāhīn, 4 Bde. Beirut 1997. ———: ʿArf al-baššām fī-man waliya fatwā Dimašq aš-Šām. Hrsg. von Muḥammad Muṭīʿ al-Ḥāfiẓ und Riyāḍ ʿAbd al-Ḥamīd Murād. Damaskus / Beirut 1988 (2. Auflage). Nābulusī, ʿAbd al-Ġanī an-: Taʿṭīr al-anām fī taʿbīr al-manām. Hrsg. von Ḥannān Muḥammad Nūr Ṭabāra. Beirut 1996. ———: at-Tuḥfa an-nābulusīya fī r-riḥla aṭ-ṭārābulusīya = Die Reise des ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī durch den Libanon. Hrsg. von Heribert Busse. Beirut 2003 (unverän- derter Nachdruck der Ausgabe Beirut 1971). Olivier, Guillaume Arthur: G. A. Olivier’s Reise durch das Türkische Reich, Ägypten und Persien, während der Jahre 1792 bis 1798. Wien 1908. [Paton, Andrew Archibald]: Die heutigen Syrier oder gesellige und politische Zustände der Eingebohrenen in Damaskus, Aleppo und im Drusengebirge geschildert nach den an Ort und Stelle in den Jahren 1841 bis 1843 gemachten Aufzeichnungen eines Reisenden. Aus dem Englischen übersetzt und mit statistischen Nachrichten aus der Handschrift des Verfassers vermehrt. Stuttgart / Tübingen 1845. 380 Quellen und Literatur

———: A Cairo bookseller. In: Chambers’s Edinburgh Journal No. 261, New Series, Saturday, December 30, 1848, pp. 428–430. ———: A history of the Egyptian revolution, from the period of the Mamelukes to the death of Mohammed Ali, 2 Bde. London 1863. Petermann, Julius Heinrich: Reisen im Orient, 2 Bde. Leipzig 1865 (2. Auflage). Porter, Josias Leslie: Five years in Damascus: Including an account of the history, topo- graphy, and antiquities of that city, 2 Bde. London 1855. Pückler-Muskau, Hermann von: Die Rückkehr. Theil 2: Syrien. Berlin 1847. Qāḍī Ḫān, Ḥasan b. Manṣūr: Fatāwā Qāḍīḫān (marginal gedruckt neben al-Fatāwā al-hindīya), 6 Bde. Būlāq 1310 / 1892–93 (3. Auflage). Qāsimī, Muḥammad Saʿīd al-: Qāmūs aṣ-ṣināʿāt aš-šāmīya (Dictionnaire des métiers Damascains). Hrsg. von Ẓ. al-Qāsimī, Bd. 1, Paris / La Haye 1960. Robinson, Eugene: Neuere biblische Forschungen in Palästina und in den angränzen- den Ländern. Tagebuch einer Reise im Jahre 1852 von E. Robinson, E. Smith und Andern. Berlin 1857. Russell, Alexander / Patrick Russell: The Natural history of Aleppo, 2 Bde. London 1794 (2. Auflage). Šaʿbān, ʿAbd al-Maǧīd: Amlāk aš-šaiḫ ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī wa-maktabatuhū fī waṯāʾiq maḥākim Dimašq aš-šarʿīya. In: al-Maǧalla at-Tārīḫīya al-ʿArabīya li-d- Dirāsāt al-ʿUṯmānīya 36 (2007), S. 165–184. Ṣafadī, Ḫalīl b. Aibak aṣ-: al-Wāfī bi-l-wafayāt / Das biographische Lexikon des Ṣalāḥaddīn Ḫalīl b. Aibak aṣ-Ṣafadī, 32 Bde. Stuttgart / Berlin 1962–2013 (2. unverän- derte Auflage). Saḫāwī, Muḥammad b. ʿAbd ar-Raḥmān as-: aḍ-Ḍauʾ al-lāmiʿ li-ahl al-qarn at-tāsiʿ, 12 Bde. Beirut 1412 / 1992. Ṣaiyādī, Abū l-Hudā aṣ-: ar-Rauḍ al-bassām fī ašhar al-buṭūn al-qurašīya bi-š-Šām. Alexandria 1892. ———: Tanwīr al-abṣār fī ṭabaqāt as-sāda ar-Rifāʿīya al-aḫyār. Kairo 1306 / 1889. Šaṭṭī, Muḥammad Ǧamīl aš-: Aʿyān Dimašq fī l-qarn aṯ-ṯāliṯ ʿašar wa-niṣf al-qarn ar-rābiʿ ʿašar, 1201–1350 h. 2. Aufl., o.O. 1976. Ṣāyiġ al-Ḥalabī, Fatḥ Allāh aṣ-: Riḥlat Fatḥ Allāh aṣ-Ṣāyiġ al-Ḥalabī ilā bādiyat aš-Šām wa-Ṣaḥārā al-ʿIrāq wa-l-ʿAǧm wa-l-Ǧazīra al-ʿArabīya. Hrsg. von Yūsuf Šulḥud. Damascus 1994 (2. Auflage). Schultz, Stephan: Die Leitungen des Höchsten nach Seinem Rath auf den Reisen durch Europa, Asia und Africa aus eigener Erfahrung beschrieben, 5 Bde. Halle 1771–1775. Seetzen, Ulrich Jasper: Reisen durch Syrien, Palästina, Phönicien, die Transjordan- Länder, Arabia Petraea und Unter-Aegypten, 4 Bde. Hrsg. von Fr. Kruse. Berlin 1854–1859. ———: Tagebuch des Aufenthalts in Aleppo 1803–1805. Hrsg. von Judith Zepter und Michael Braune. Hildesheim 2011. Quellen und Literatur 381

Ṣiddīqī, Muṣṭafā aṣ-: as-Suyūf al-ḥidād fī aʿmāq ahl az-zandaqa wa-l-ilḥād. Hrsg. Aḥmad Farīd al-Mazīdī. Kairo 2006. Spratt, Thomas Abel Brimage / Edward Forbes: Travels in Lycia, Milyas and the Cibyratis, 2 Bde. London 1847. Stewart, Robert Walter: The tent and the khan. A journey to Sinai and Palestine. Edinburgh 1857. Ṭarābulusī, Ibrāhīm b. Mūsā aṭ-: al-Isʿāf fī aḥkām al-auqāf. Kairo 1320 / 1902. ʿUrḍī, Abū l-Wafāʾ al-: Maʿādin aḏ-ḏahab fī l-aʿyān al-mušarrafa bihim Ḥalab. Hrsg. von Muḥammad Altūnǧī. O.O. 1407 / 1987. Volney, Constantin Francois: Travels through Syria and Egypt in the years 1783, 1784, and 1785, 2 Bde. London 1788. von Kremer, Alfred: Mittelsyrien und Damascus. Geschichtliche, ethnografische und geografische Studien während eines Aufenthaltes daselbst in den Jahren 1849, 1850 u. 1851. Wien 1853. Wedewer, Hermann: Eine Reise nach dem Orient. Regensburg 1877. Yāqūt al-Ḥamawī: Muʿǧam al-udabāʾ. Iršād al-arīb ilā maʿrifat al-adīb. Hrsg. von Iḥsān ʿAbbās, 7 Bde. Beirut 1993.

Sekundärliteratur

Abbott, Nabia: A ninth-century fragment of the “Thousand Nights”. New light on the history of the Arabian Nights. In: Journal of Near Eastern Studies 8 (1949), S. 129–164. Abiad, M.: Origine et développement des dictionnaires biographiques arabes. In: Bulletin d’Études Orientales 31 (1979), S. 7–15. Abou-El-Haj, Rifaʿat Ali: The 1703 rebellion and the structure of Ottoman politics. Leiden 1984. ʿAǧlānī, Šams ad-Dīn al-: Yahūd Dimašq aš-Šām. Damaskus 2008. Ahlwardt, Wilhelm: Verzeichnis der arabischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin, 10 Bde. Berlin 1887–1899. Akkach, Samer: Letters of a Sufi scholar. The correspondence of ʿAbd al-Ghanī al-Nābulusī (1641–1731). Leiden 2009. Al-Bagdadi, Nadia: From heaven to dust: Metamorphosis of the book in pre-modern Arab culture. In: The Medieval History Journal 8 (2005), S. 83–107. Allen, Roger: Decadence. In: Medieval Islamic Civilization. An Encyclopedia, Volume 1, A–K, Index. Hrsg. von Josef W. Meri. New York 2006, S. 200–201. Anameriç, Hakan / Fatih Rukanci: Libraries in the Middle East during the Ottoman Empire (1517–1918). In: Libri 59 (2009), S. 145–154. 382 Quellen und Literatur

Anastassiadou, Meropi: Livres et “bibliothèques” dans les inventaires après décès de Salonique au XIXe siècle. In: La tradition manuscrite en écriture arabe. Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée, 99–100 (2002), S. 111–141. Anīs, Muḥammad: Madrasat at-tārīḫ al-miṣrī fī l-ʿahd al-ʿuṯmānī. Kairo 1962. Anonymus: Eine orientalische Bibliothek in Rhodos. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 3 (1849), S. 120. ʿĀnūtī, Usāma: al-Ḥaraka al-adabīya fī Bilād aš-Šām ḫilāl al-qarn aṯ-ṯāmin ʿašar. Beirut 1970. Armala, Isḥāq: aṭ-Ṭurfa fī maḫṭūṭāt Dair aš-Šarfa. Jounieh 1936. Atiya, George N.: Introduction. In Ders. (Hrsg.): The book in the Islamic world. Albany 1995, S. xiii–xviii. Baer, Gabriel: Women and Waqf: An analysis of the Istanbul Tahrir of 1546. In: Asian and African Studies 17 (1983), S. 9–27. Baer, Marc David / Fatma Müge Göçe: Social boundaries of Ottoman women’s experi- ence in eighteenth-century Galata court records. In: Zilfi (Hrsg.) Women in the Ottoman Empire, S. 48–65. Bachour, Natalia: Oswaldus Crollius und Daniel Sennert im frühneuzeitlichen Istanbul. Studien zur Rezeption des Paracelsismus im Werk des osmanischen Arztes Ṣāliḥ b. Naṣrullāh Ibn Sallūm al-Ḥalabī. Freiburg 2012. Bandt, Cordula / Rattmann, Arnd: Die Damaskusreise Bruno Violets 1900/1901 zur Erforschung der Qubbet el-Chazne. In: Codices Manuscripti 76/77 (2011), S. 1–20. Banī Hānī, Ḫālid: Tārīkh madīnat Dimašq wa-ʿulamāʾuhā ḫilāla l-ḥukm al-miṣrī, 1246– 1256 h / 1831–1840 m. Damaskus 2005. Bauer, Thomas: In search of “Post-classical literature”: A review-article. In: Mamlūk Studies Review XI (2007), S. 137–167. Behrens-Abouseif, Doris: The image of the physician in Arab biographies of the post- classical age. In: Der Islam 66 (1989), S. 331–43. ———: The waqf of a Cairene notable in early Ottoman Cairo. Muḥibb al-Dīn Abū al-Ṭayyib, son of a physician. In: Randi Deguilhem (Hrsg.): Le waqf dans l’éspace islamique. Outil de pouvoir socio-politique. Damaskus 1995, S. 123–132. Ben Naʾeh, Yaron: Hebrew printing houses in the Ottoman Empire. In: Gad Nassi (Hrsg.): Jewish journalism and printing houses in the Ottoman Empire and modern Turkey. Istanbul 2001, S. 74–96. Bergé, Marc: Justification d’un autodafé des livres. Lettre d’Abū Ḥayyān al-Tawḥīdī au Qāḍī Abū Sahl ʿAlī ibn Muḥammad. In: Annales Islamologiques 9 (1970), S. 65–85. Berger, Lutz: Ein Herz wie ein trockener Schwamm. Laqānīs und Nābulusīs Schriften über den Tabakrauch. In: Der Islam 78 (2001), S. 249–293. ———: Zur Problematik der späten Einführung des Buchdrucks in der islamischen Welt. In: Ulrich Marzolph (Hrsg.): Das gedruckte Buch im Vorderen Orient. Dortmund 2002, S. 15–28. Quellen und Literatur 383

———: Gesellschaft und Individuum in Damaskus 1550–1791. Würzburg 2007. Berkey, Jonathan: “Silver threads among the coal”: A well educated Mamluk of the ninth/fifteenth century. In: Studia Islamica 73 (1991), S. 109–125. Biesterfeld, Hans Hinrich / Farīd Sāmī Ḥaddād: Fihris al-maḫṭūṭāt aṭ-ṭibbīya al-ʿarabīya fī maktabat ad-duktūr Sāmī Ibrāhīm Ḥaddād. Aleppo 1404 / 1984. Bilici, Faruk: Les waqfs monétaires à l’époque ottoman. Droit hanéfite et pratique. In: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 79–80 (1996), S. 73–88. Binnebīn, Aḥmad Šauqī: Ẓāhirat waqf al-kutub. In: Ders.: Dirāsāt fī ʿilm al-maḫṭūṭāt wa-l-baḥṯ al-bībliyūġrāfī. ar-Rabāṭ 1993, S. 35–56. Bloom, Jonathan M.: Paper before print. The history and impact of paper in the Islamic world. New Haven / London 2001. Bobichon, Philippe (sur la base des notices de George Vajda): Manuscrits en charac- tères Hébreux conservés dans les bibliothèques de Frances. Volume I: Bibliothèque Nationale de France. Hébreu 669 à 703: Manuscrits de théologie. Turnhout 2008. Bonebakker, S. A.: Notes on some old manuscripts of the Adab al-kātib of Ibn Qutayba, the Kitāb aṣ-ṣināʿatayn of Abū Hilāl al-ʿAskarī, and the Maṯal as-sāʾir of Ḍiyāʾ ad-Dīn Ibn al-Aṯīr. In: Oriens 13/14 (1960 / 61), S. 159–194. Boqvist, Marianne: Building an Ottoman city: the complexes of Aḥmad Šamsī Pasha and Lālā Muṣṭafā Pasha and their role in the establishment of new urban and social contexts in 16th century Damascus. In: Damas médiévale et ottoman. Sous la direc- tion de Mathieu Eychenne et Marianne Boqvist [=Bulletin d’Études Orientales 61 (2012)], S. 191–208. Bosworth, Clifford Edmund: Art. “Rifāʿiyya”. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, vol. VIII. Leiden 1995, S. 525–526. Bouchain, Julie D.: Juden in Syrien. Aufstieg und Niedergang der Familie Farhi von 1740 bis 1995. Münster 1996. Brinkmann, Stefanie: Die kulturelle Biographie einer Buḫārī-Handschrift. In: Aus Buchwerkstatt und Bibliothek. Manuskriptkulturen des Mittelalters in Orient und Okzident. Hrsg. von Lorenz Korn, Birgitt Hoffmann und Stefanie Stricker. Bamberg 2014, S. 123–172. Browne, Edward G.: A Handlist of the Muḥammadan manuscripts, including all those written in the Arabic character, preserved in the Library of the University of Cambridge. Cambridge 1900. Brustad, Kristen: Jirmānūs Jibrīl Farḥāt. In: Essays in Arabic literary bibliography, 2: 1350–1850. Hrsg. von Joseph E. Lowry und Devin J. Stewart. Wiesbaden 2009, S. 242–251. Būlād, Taufīq Yūsuf: Tārīḫ al-funūn wa-ṣ-ṣināʿāt ad-dimašqīya. Übers. aus dem Französischen von Ilyās Būlād. Damaskus 2003. 384 Quellen und Literatur

Bulliet, Richard W.: A quantitative approach to Medieval Muslim biographical dictio- naries. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 13 (1970), S. 195–211. Burak, Guy: The Abū Ḥanīfah of his time: Islamic law, jurisprudential authority and empire in the Ottoman domains (16th–17th centuries). Unveröffentl. Diss., New York University 2012. ———: The second formation of Islamic law: The post-Mongol context of the Ottoman adoption of a school of law. In: Comparative Studies in Society and History 55 (2013), S. 579–602. Bürgel, J. C.: Von Freud und Leid mit Büchern. Gereimtes und Anekdotisches aus dem arabischen Mittelalter. In: Einheit in der Vielfalt. Festschrift für Peter Lang zum 60. Geburtstag. Redaktionelle Betreuung Gisela Quast. Bern u.a. 1988, S. 50–59. Büssow, Johann / Safi, Khaled: Damascus affairs. Egyptian rule in Syria through the eyes of an anonymous Damscene chronicler, 1831–1841. Translation and parallel edi- tion of two manuscripts. [=Kultur, Recht und Politik in muslimischen Gesellschaf­ ten; Band 26] Würzburg 2013. Cahen, Claude: Réflexions sur le waqf ancient. In: Studia Islamica 14 (1961), S. 37–56. Canova, Giovanni: Critical Attitudes toward Arabic Folk Epics. In: Eurasian Studies 4 (2005), S. 29–40. Catalogus Bibliothecae a Jo. Jacobo Reiskio collecta. Leipzig 1775. Chamberlain, Michael: Knowledge and social practice in medieval Damascus, 1190– 1350. Cambridge 2002. Çizakça, Murat: Cash waqfs of Bursa, 1555–1823. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 38 (1995), S. 313–354. Conermann, Stephan: Ibn Ṭūlūn (d. 955/1548): Life and works. In: Mamluk Studies Review VIII (2004), S. 115–139. Crecelius, Daniel: The waqfīyah of Muḥammad Bey Abū al-Dhahab. In: Journal of the American Research Center in Egypt 15 (1978), S. 83–105 (I), 16 (1979), S. 125–146 (II). ———: The waqf of Muhammad Bey Abu al-Dhahab in historical perspective. In: International Journal of Middle East Studies 23 (1991), S. 57–81. ———: Egypt in the eighteenth century. In: M. W. Daly (Hrsg.): The Cambridge History of Egypt. Vol. 2: Modern Egypt from 1517 to the end of the twentieth century. Cambridge 1998, S. 57–86. Crown, Alan David: Samaritan scribes and manuscripts. Tübingen 2001. Daaїf, Lahcen / Sironval, Margaret: Marges et espaces blancs dans le manuscrit arabe des Mille et Une Nuits d’Antoine Galland. In Christian Müller / Muriel Roiland- Rouabah (Hrsg.): Les non-dits du nom. Onomastique et documents en terres d’Islam. Mélanges offerts à Jacqueline Sublet. Beirut 2013, S. 85–126. Darnton, Robert: In search of the Enlightenment: Recent attempts to create a social history of ideas. In: Journal of Modern History 43 (1971), S. 113–131. Quellen und Literatur 385

———: What is the history of books? In: Daedalus 111 (1982), S. 65–83. De Forest, Henry A.: Medicine in Syria. In: The Boston Medical and Surgical Journal XLVII (1852), S. 156–9. Değirmenci, Tülün: An illustrated Mecmua. The commoner’s voice and the iconogra- phy of the court in seventeenth-century Ottoman painting. In: Ars Orientalis 41 (2011), S. 187–218. Deissmann, Adolf: Forschungen und Funde im Serai. Mit einem Verzeichnis der nicht- islamischen Handschriften im Topkapu Serai zu Istanbul. Berlin und Leipzig 1933. de Jong, Frederick / Jan Just Witkam: The library of al-šaykh Khālid al-Šahrazūrī al-Naqšbandī (d. 1242/1827). A facsimile of the inventory of his library (MS Damascus, Maktabat al-Asad, No. 259). In: Manuscripts of the Middle East 2 (1987), S. 68–87. Del Barco, Javier: Manuscrits en charactères Hébreux conservés dans les bibliothèques de Frances. Volume 4: Bibliothèque Nationale de France. Hébreu 1 à 32: Manuscrits de la bible hébraique. Turnhout 2011. de Smet, Daniel: Les Épitres sacrées des Druzes. Rasāʾil al-Ḥikma. Louvain 2007. Déroche, Francois: The Qurʾān of Amāǧūr. In: Manuscripts of the Middle East 5 (1990), S. 59–66. ———: Islamic codicology. An introduction to the study of manuscripts in . London 2006. ———: A note on the medieval inventory of the manuscripts kept in the Great Mosque of Kairouan. In: Robert M. Kerr / Thomas Milo (Hrsg.): Writings and writing. Investigations in Islamic text and script in honour of Januarius Justus Witkam. Cambridge 2013, S. 76–86. Di Donato, Silvia: Manuscrits en charactères Hébreux conservés dans les bibliothèques de Frances. Volume 3: Bibliothèque Nationale de France. Hébreu 214 à 259: Commentaires bibliques. Turnhout 2011. Dohaish, Abdul Latif Abdullah Ibn: Growth and development of Islamic libraries. In: Der Islam 66 (1989), S. 289–302. Döring Detlef: Der Erwerb der Refaiya-Handschriften durch die sächsische Regierung im Jahre 1853. In: Wolfgang Reuschel (Hrsg.): Orientalistische Philologie und arabi- sche Linguistik. Berlin 1990, S. 19–23. (=Asien, Afrika, Lateinamerika, Sonderheft 2) ———: Die neuzeitlichen Handschriften der Nullgruppe (Ms 0601–01200). [=Katalog der Handschriften der Universitäts-Bibliothek Leipzig. Neue Folge, Band I: Teil 3.] Wiesbaden 2003. D’Ottone, Arianne: Frammenti coranici antichi nel Museo Nazionale di Damasco. In: Giuliano Lancioni / Olivier Durand (Hrsg.): Dirāsāt Aryūliyya. Studi in onore di Angelo Arioli. Rom 2007, S. 217–239. ———: Manuscripts as mirrors of a multilingual and multicultural society: the case of the Damascus find. In: Barbara Crostini / Sergio La Porta (Hrsg.): Negotiating 386 Quellen und Literatur

co-existence. Communities, cultures and ‘convivencia’ in Byzantine society. Trier 2013, S. 63–88. D’Ottone, Arianne / Paolo Radiciotti: I frammenti della Qubbat al-Ḫazna di Damasco. A proposita di una scoperta sottovalutata. In: Nea Rhome 5 (2008), S. 45–74. Doumani, Beshara: Adjudicating family: The Islamic court and disputes between kin in Greater Syria, 1700–1860. In: Ders.: Family history in the Middle East. Household, property, and gender. Albany 2003, S. 173–200. ———: Endowing family: Waqf, property, devolution, and gender in Greater Syria, 1800 to 1860. In: Comparative Studies in Society and History 40 (1998), S. 3–41. Duhmān, Muḥammad Aḥmad: Fī riḥāb Dimašq. Dirāsāt ʿan ahamm amākinihā al-aṯarīya wa-maqālāt ʿan ahamm ḥawādiṯihā al-maǧhūla wa-abḥāṯ ṯaqāfīya. Damaskus 1402 / 1982. Éche, Youssef: Les bibliothèques arabes publiques et semi-publiques en Mésopotamie, en Syrie et en Égypte au Moyen age. Damaskus 1967. Eich, Thomas: Abū l-Hudā aṣ-Ṣayyādī. Eine Studie zur Instrumentalisierung sufischer Netzwerke und genealogischer Kontroversen im spätosmanischen Reich. Berlin 2003. Eisen, Markus: Zur architektonischen Typologie von Bibliotheken. In: Winfried Nerdinger (Hrsg.): Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. München / London / New York 2011, S. 261–306. Elger, Ralf: Die Reise des Murtaḍā b. Muṣṭafā b. Ḥasan al-Kurdī von Damaskus nach Ägypten im Jahre 1127/1714. In: Xenja von Ertzdorff (Hrsg.): Beschreibung der Welt. Zur Poetik der Reise- und Länderberichte. Amsterdam / Atlanta 2000, S. 367–387. ——— Adab and historical memory. The Andalusian poet/politician Ibn al-Khaṭīb as presented in Aḥmad al-Maqqarī (956 / 1577 – 1041 / 1632), Nafḥ aṭ-ṭīb. In: Die Welt des Islams 42 (2002), S. 289–306. ———: Muṣṭafā al-Bakrī. Zur Selbstdarstellung eines syrischen Gelehrten, Sufis und Dichters des 18. Jahrhunderts. Schenefeld 2004. ———: Einige Überlegungen zum adab in der Frühen Neuzeit. In: Stefan Reichmuth / Florian Schwarz (Hrsg.): Zwischen Alltag und Schriftkultur. Horizonte des Individuellen in der arabischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Beirut / Würzburg 2008, S. 165–178. El-Hage, Badr: Des photographes à Damas, 1840–1918. Paris 2000. El-Nahal, Galal H.: The Judicial Administration of Ottoman Egypt in the Seventeenth Century. Minneapolis / Chicago 1979. El-Rouayheb, Khaled: Ḥasan b. Muḥammad al-Būrīnī (1556–1615). In: Historians of the Ottoman Empire. Hrsg. von C. Kafadar, H. Karateke, C. Fleischer. Online-Edition https://ottomanhistorians.uchicago.edu/sites/ottomanhistorians.uchicago.edu/ files/burini_en.pdf (letzter Zugriff: 10.07.2014). Quellen und Literatur 387

El-Zawāhreh, Taisīr Ḫalīl Muḥammad: Religious endowments and social life in the Ottoman province of Damascus in the sixteenth and seventeeth centuries. Kerek 1995. Erdem, Yahya: Second hand book sellers and travellers bookselling in the Ottoman state. In: Kemal Çiçek (Hrsg.): The great Ottoman-Turkish civilization, Bd. 4. Ankara 2000, S. 886–889. Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. Hrsg. von Detlef Döring, 2 Bde. Dresden 2009. Erünsal, İsmail E.: Türk kütüphaneleri tarihi II. Kuruluştan Tanzimatʾa kadar Osmanlı vakif kütüphaneleri, 3 Bde. Ankara 1988. ———: The Development of Ottoman Libraries from the Conquest of Istanbul (1453) to the Emergence of the Independent Library. In: Belleten / Türk Tarih Kurumu 60 (1996), S. 93–125. ———: Ottoman foundation libraries: their history and organization. In: Osmanlı Araştırmaları. Journal of Ottoman Studies XXX (2007), S. 31–86. ———: Fethedilen Arap ülkelerindeki vakıf kütüphaneleri Osmanlılar tarafından yağmalandı mı? In: Osmanlı Araştırmaları / The Journal of Ottoman Studies XLIII (2014), S. 19–66. Establet, Colette / Jean-Paul Pascual: Les livres des gens à Damas vers 1700. In: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 87/88 (1999), S. 143–169. ———: Women in Damascene families around 1700. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 45 (2002), S. 302–319. ———: La gent d’état dans la société ottomane damascène. Les ʿaskar à la fin du XVIIIe siècle. Online-Publikation 2011, einsehbar unter: http://books.openedition.org/ ifpo/1678. Fay, Mary Ann: Women and waqf: Property, power, and the domain of gender in Eighteenth-century Egypt. In: Madeline Zilfi (Hrsg.): Women in the Ottoman Empire. Middle Eastern women in the Early Modern era. Leiden 1997, S. 28–47. Fleischer, Heinrich Leberecht: Die Refaїya. In Ders.: Kleinere Schriften, Bd. 3. Osnabrück 1968, S. 361–377. (Nachdruck der Ausgabe 1885–1888). [Zuerst erschienen in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 8 (1854), S. 573–584.] ف� ن ة In Zeitschrift der . �ي� ح�د و د �����س���� . . . Flügel, Gustav: Über die Bedeutung des Ausdrucks Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 5 (1851), S. 60–77 (mit einer Nachschrift von Heinrich Leberecht Fleischer ebd., S. 77–79). Frenkel, Yehoshua: Women in late Mamluk Damascus in light of Audience Certificates (samaʿat) of Ibn Mibrad. In: U. Vermeulen / Jo van Steenbergen (Hrsg.): Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk Eras, IV. Leuven 2005, S. 409–423. Gacek, Adam: Ownership statements and seals in Arabic manuscripts. In: Manuscripts of the Middle East 2 (1987), S. 88–95. 388 Quellen und Literatur

———: The Copenhagen manuscript of the Maqāmāt al-Ḥarīriyya copied, illumina- ted and glossed by the Mamluk litterateur Ṣalāḥ ad-Dīn aṣ-Ṣafadī. In: Robert M. Kerr / Thomas Milo (Hrsg.): Writings and writing. Investigations in Islamic text and script in honour of Januarius Justus Witkam. Cambridge 2013, S. 143–166. GAL = Brockelmann, Carl: Geschichte der Arabischen Litteratur. Bd. I–II und Supplement I–III. Weimar / Leiden 1898–1942. Garcin, Jean-Claude: Enquête d’historien sur un conte des Mille et Une Nuits. Uns al-Wuǧūd et al-Ward fī l-akmām. In: Christian Müller / Muriel Roiland-Rouabah (Hrsg.): Les non-dits du nom. Onomastique et documents en terres d’Islam. Mélanges offerts à Jacqueline Sublet. Damaskus / Beirut 2013, S. 567–584. Gardiner, Noah: Forbidden knowledge? Notes on the production, transmission, and reception of the major works of Aḥmad al-Būnī. In: The book in fact and fiction in pre-modern Arabic literature. Hrsg. von Antonella Ghersetti und Alex Metcalf. (=Journal of Arabic and Islamic Studies, 12) Edinburgh 2012, S. 81–143. Geoffroy, Éric: Le soufisme en Égypte et en Syrie sous les derniers Mamelouks et les premiers Ottomans. Orientations spirituelles et enjeux culturels. Damaskus 1995. ———: La diffusion du café au Proche-Orient arabe par l’intermédiaire des soufis: mythe et réalité. In: Michael Tuchscherer (Hrsg.): Le commerce du café avant l’ère des plantations coloniales. (=Cahiers des Annales Islamologiques, 20). Kairo 2001, S. 7–15. Ghanem, Imad E.: Zur Bibliotheksgeschichte von Damaskus 549–922 / 1154–1516. (Unveröffentlichte Universitäts-Dissertation, Bonn 1969). Ghersetti, Antonella: Editor’s introduction. In: The book in fact and fiction in pre- modern Arabic literature. Hrsg. von Antonella Ghersetti und Alex Metcalf. (=Journal of Arabic and Islamic Studies, 12) Edinburgh 2012, S. 1–15. Gibb, Hamilton / Harold Bowen: Islamic society and the West. A study of the impact of Western civilization on Moslem culture in the Near East, 2 Bde. London 1957. Glass, Dagmar: Die nahḍa und ihre Technik im 19. Jahrhundert. Arabische Druckerein in Ägypten und Syrien. In: Ulrich Marzolph (Hrsg.): Das gedruckte Buch im Vorderen Orient. Dortmund 2002, S. 50–84. Gonella, Julia / Jens Kröger (Hrsg.): Angels, peonies, and fabulous creatures. The Aleppo Room in Berlin. Münster 2008. Görke, Andreas / Konrad Hirschler: Introduction: Manuscript notes as documentary sources. In: Diess. (Hrsg.): Manuscript notes as documentary sources. Würzburg 2011, S. 9–20. Graf, Georg: Geschichte der christlichen arabischen Literatur, 5 Bde. Vatikan 1944–1949. Gran, Peter: Islamic roots of capitalism: Egypt, 1760–1840. Syracuse 1998. Quellen und Literatur 389

Grohmann, Adolf: Bibliotheken und Bibliophilen im islamischen Orient. In: Festschrift der Nationalbibliothek in Wien. Zur Feier des 200jährigen Bestehens des Gebäudes. Wien 1926, S. 431–442. Grotzfeld, Heinz: The age of the Galland manuscript of the Nights: Numismatic evi- dence for dating a manuscript? In: Journal of Arabic and Islamic Studies 1 (1996–97), S. 50–64. ———: 300 Jahre 1001 Nacht in Europa: 1001 Nacht im geteilten Besitz von Orient und Okzident. In: Hannes D. Galter / Siegfried Haas (Hrsg.): Joseph von Hammer- Purgstall. Grenzgänger zwischen Orient und Okzident. Graz 2008, S. 151–174. Ǧuʿba, Naẓmī al-: Fihris maḫṭūṭāt al-Maktaba al-Ḫālidīya. London 2006. Günther, Sebastian: Praise to the book! Al-Jāḥiẓ and Ibn Qutayba on the excellence of the written word in Medieval Islam. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 32 (2006), S. 125–43. Haarmann, Ulrich: Auflösung und Bewahrung der klassischen Formen arabischer Geschichtsschreibung. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 121 (1971), S. 46–60. ———: Ein früher Bericht über Kuwait. In: Der Islam 55 (1978), S. 340–44. ———: The library of a fourteenth century Jerusalem scholar. In: Der Islam 61 (1984), S. 327–333. Ḥāfiẓ, Muḥammad Muṭīʿ al-: Fihris maḫṭūṭāt Dār al-Kutub aẓ-Ẓāhirīya. al-Fiqh al-ḥanafī, 2 Bde. Damaskus 1401 / 1981. ———: Faqīh al-ḥanafīya Muḥammad Amīn ʿĀbidīn : Ḥayātuhū wa-āṯāruhū. Beirut / Damaskus 1994. Hage, Wolfgang: Carolus Dadichi in Marburg (1718). Bittgesuch eines rum-orthodoxen Studenten im Universitäts-Archiv. In: Oriens Christianus 95 (2011), S. 16–31. Hammer, Joseph von: Topographische Ansichten gesammelt auf einer Reise in die Levante. Wien 1811. Hanna, Nelly: Making big money in 1600. The life and times of Ismaʿil Abu Taqiyya, Egyptian merchant. Syracuse 1998. ———: Culture in Ottoman Egypt. In: M. W. Daly (Hrsg.): The Cambridge History of Egypt. Vol. 2: Modern Egypt from 1517 to the end of the twentieth century. Cambridge 1998, S. 87–112. ———: In praise of books. A cultural history of Cairo’s middle class, sixteenth to the eighteenth century. Syracuse 2004. ———: Literacy and the ‘Great Divide’ in the Islamic World, 1300–1800. In: Journal of Global History 2 (2007), S. 175–193. ———: Literacy among artisans and tradesmen in Ottoman Cairo. In: Christine Woodhead (Hrsg.): The Ottoman world. London / New York 2013, S. 319–331. Harel, Yaron: The rise and fall of the Jewish consuls in Aleppo. In: Turcica 38 (2006), S. 233–250. 390 Quellen und Literatur

Ḥāriṯī, ʿAdnān Muḥammad Fāyiz al-: ʿImārat al-madrasa fī Miṣr wa-l-Ḥiǧāz. Mekka 1997. Hartmann, Angelika: Bemerkungen zu Handschriften ʿUmar as-Suhrawardīs, echten und vermeintlichen Autographen. In: Der Islam 60 (1983), S. 112–142. Ḥazīmī, Nāṣir al-: Ḥaraq al-kutub fī l-turāṯ al-ʿarabī. Köln 2003. Heffening, W. / J. D. Pearson: Art. “Maktaba”. In: Encyclopédie de l’Islam. Nouvelle édi- tion, Tome VI. Hrsg. von C. E. Bosworth u.a. Leiden / Paris 1991, S. 181–184. Heine, Peter: Märchen, Minaturen, Minarette. Eine Kulturgeschichte der islamischen Welt. Darmstadt 2011. Heinzelmann, Tobias / Henning Sievert: Einleitung. In: Diess. (Hrsg.) Buchkultur im Nahen Osten des 17. und 18. Jahrhunderts. Bern 2010, S. 9–26. Heinzelmann, Tobias: Populäre religiöse Literatur und Buchkultur im Osmanischen Reich. Eine Studie zur Nutzung der Werke der Brüder Yazıcıoġlı. Würzburg 2015. Hennigan, Peter C.: The birth of a legal institution. The formation of the waqf in third- century A. H. Ḥanafī legal discourse. Leiden 2004. Herkommer, Hubert: Das Buch als Arznei. Von den therapeutischen Wirkungen der Literatur. In: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Raum und Zeit. Hrsg. von Henriette Herwig, Irmgard Wirtz und Stefan Bodo Würffel. Tübingen und Basel 1999, S. 87–111. Heyberger, Bernard: Livres et pratique de la lecture chez les chrétiens (Syrie, Liban) XVIIe–XVIIIe siècles. Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 87/88 (1999), S. 209–233. ———: Inschriften und Malereien des Aleppo-Zimmers. Zeugnisse von Kultu­r­ angehörigkeit und konfessioneller Abgrenzung in Aleppo. In: Julia Gonella / Jens Kröger (Hrsg.): Angels, peonies, and fabulous creatures. The Aleppo room in Berlin. Münster 2008, S. 87–90. Heyd, Uriel: Moses Hamon, chief Jewish physician to Sultan Süleymān the Magnificient. In: Oriens 16 (1963), S. 152–170. Ḥimṣī, Asmāʾ: Fihris maḫṭūṭāt Dār al-Kutub aẓ-Ẓāhirīya. ʿUlūm al-luġa al-ʿarabīya: al-Luġa – al-Balāġa – al-ʿArūḍ – aṣ-Ṣarf. Damaskus 1393 / 1973. ———: Fihris maḫṭūṭāt Dār al-Kutub aẓ-Ẓāhirīya. ʿUlūm al-luġa al-ʿarabīya: an-Naḥw. Damaskus 1393 / 1973. Hirschler, Konrad: The written word in the Medieval Arabic lands. A social and cultural history of reading practices. Edinburgh 2012. ——— ‘Catching the eel’ – Documentary evidence for concepts of the Arabic book in the Middle Period. In: The book in fact and fiction in pre-modern Arabic literature. Hrsg. von Antonella Ghersetti und Alex Metcalf. (=Journal of Arabic and Islamic Studies, 12) Edinburgh 2012, S. 224–234. Ḥiṣnī, Muḥammad Adīb Āl Taqī ad-Dīn al-: Muntaḫabāt at-tawārīḫ li-Dimašq. Hrsg. von Kamāl Sulaimān aṣ-Ṣalībī. Beirut 1399 / 1979. Quellen und Literatur 391

Hitzel, Frédéric: Manuscrits, livres et culture livresque à Istanbul. In: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 87/88 (1999), S. 19–38. Homerin, Th. Emil: ʿĀʾiša al-Bāʿūnīya. In: Joseph E. Lowry / Devin J. Stewart (Hrsg.): Essays in Arabic literary biography, 1350–1850. Wiesbaden 2009, S. 21–27. Horst, Heribert: Die Entstehung der Adab-Literatur und ihrer Arten. In: Helmut Gätje (Hrsg.): Grundriss der Arabischen Philologie, Bd. 2: Literaturwissenschaft. Wiesbaden 1987, S. 208–219. Howard, Douglas: Ottoman historiography and the literature of “decline” in the six- teenth and seventeenth centuries. In: Journal of Asian History 22 (1988), S. 52–76. Huhn, Ingeborg: Der Orientalist Johann Gottfried Wetzstein als preußischer Konsul in Damaskus (1849–1861), dargestellt nach seinen hinterlassenen Papieren. Berlin 1989. ———: Über Juden im osmanischen Damaskus um die Mitte des 19. Jahrhunderts – nach Dokumenten aus dem Nachlaß Wetzstein. In: Christa Fragner / Klaus Schwarz (Hrsg.): Osmanistik – Turkologie – Diplomatik. Festgabe an Josef Matuz. Berlin 1992, S. 77–99. ———: Der Nachlass des Orientalisten Johann Gottfried Wetzstein in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Wiesbaden 2006. Hunger, H. / O. Kresten: Katalog der griechischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, Teil 2: Codices Juridici et Medici. Wien 1969. Ibn Junayd, Yahya (traduit et adapté de l’arabe par Sami Mebtoul et Éric Vallet): Waqf et bibliothèques de madrasas. In: Lumières de la sagesse. Écoles médiévales d’Orient et d’Occident. Paris 2013, S. 149–155. Ibrāhīm, ʿAbd al-Laṭīf Fuʾād: Dirāsāt fī l-kutub wa-l-maktabāt al-islāmīya. Kairo 1962. Index Bibliothecae Christiani Danielis Beckii. Prooemium scripsit Reinholdus Klotz. Leipzig 1835. Jacobs, Emil: Untersuchungen zur Geschichte der Bibliothek im Serai zu Konstan­ tinopel I. [=Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jahrgang 1919, 24. Abhandlung] Heidelberg 1919. Jäger, G. / J. Schönert (Hrsg.): Die Leihbibliothek als Institution des literarischen Lebens im 18. und 19. Jh. Hamburg 1980. Jochum, Uwe: Kleine Bibliotheksgeschichte. Stuttgart 2007 (3. Auflage). Keenan, Brigid: Damaskus. Verborgene Schätze im Orient. Stuttgart 2001. Kilpatrick, Hillary: Art. “Adab”. In: Julie Scott Meisami (Hrsg.): Encyclopedia of Arabic Literature, 2 Bände. London 1998, hier Bd. 1, S. 54–56. Kissling, Hans Joachim: Über muslimische Schreibkunst. In: Zum Schrift- und Buchwesen des Orients nebst vermischten Beiträgen aus dem Gesamtgebiete der Schrift- und Buchgeschichte. Leipzig 1938 [=Buch und Schrift. Jahrbuch der 392 Quellen und Literatur

Gesellschaft der Freunde des Deutschen Buchmuseums. Neue Folge, Band I], S. 73–83. Klemm, Verena (Hrsg.): Refaiya 1853. Buchkultur in Damaskus. Leipzig 2013. Knost, Stefan: Die Organisation des religiösen Raums in Aleppo. Die Rolle der islami- schen religiösen Stiftungen (auqāf) in der Gesellschaft einer Provinzhauptstadt des Osmanischen Reiches an der Wende zum 19. Jahrhundert. Würzburg 2009. Kozma, Liat: Wandering about as she pleases: Prostitutes, adolescent girls, and female slaves in Cairo’s public space, 1850–1882. In: Hawwa. Journal of Women in the Middle East and the Islamic World 10 (2012), S. 18–36. Krcsmárik, J.: Das Waḳfrecht vom Standpunkte des Śarîʿatrechtes nach der ḥanefitischen Schule. Ein Beitrag zum Studium des islamitischen Rechtes. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 45 (1891), S. 511–576. Krehl, Ludolf: Über die Sage von der Verbrennung der Alexandrinischen Bibliothek durch die Araber. Florenz 1880. Kügelgen, Anke v.: Bücher und Bibliotheken in der islamischen Welt des ‚Mittelalters‘. In: Michael Stolz / Adrian Mettauer (Hrsg.): Buchkultur im Mittelalter. Schrift – Bild – Kommunikation. Berlin / New York 2005, S. 147–175. Kurd ʿAlī, Muḥammad: Ḫiṭaṭ aš-Šām, 6 Bde. Damaskus 1925–1928. Laugu, Nurdin: The roles of mosque libraries through history. In: Al-Jāmiʿah 45 (2007), S. 91–118. Leder, Stefan: Eine neue Quelle zur Stadtgeschichte von Damaskus. Zur Alltagsgeschichte der Ḥadīṯwissenschaft. In: Holger Preißler / Heidi Stein (Hrsg.): Annäherung an das Fremde. XXVI. Deutscher Orientalistentag vom 25. bis 29. 9. 1995. Stuttgart 1998, S. 268–279. Lenora, Antje: Der gefälschte Kalif. Eine Einführung in die Sīrat al-Ḥākim bi-Amrillāh. (Unveröffentlichte Dissertation, Martin Luther Universität Halle-Wittenberg, 2011). Lewis, N. N.: Churchill of Lebanon. In: Journal of the Royal Central Asian Society 40 (1953), S. 217–223. Liebrenz, Boris: Arabische, persische und türkische Handschriften in Leipzig. Geschichte ihrer Sammlung und Erschließung von den Anfängen bis zu Karl Vollers. Leipzig 2008. ———: Lese- und Besitzvermerke in der Leipziger Rifāʿīya-Bibliothek. In: Manuscript notes as documentary sources. Hrsg. von Andreas Görke / Konrad Hirschler. Beirut 2012, S. 141–162. ———: Die Rifāʿīya. Neue Forschungen zur Geschichte einer Familienbibliothek aus dem osmanischen Damaskus. In: Thomas Fuchs / Christoph Mackert / Reinhold Scholl (Hrsg.): Das Buch in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Sonderbestände der Universitätsbibliothek Leipzig. Wiesbaden 2012, S. 265–279. ———: The library of Aḥmad al-Rabbāṭ. Books and their audience in 12th to 13th / 18th to 19th century Syria. In: Marginal perspectives on Early Modern Ottoman culture. Quellen und Literatur 393

Missionaries, travelers, booksellers. Hrsg. von Ralf Elger und Ute Pietruschka. [=Orientwissenschaftliche Hefte, 32] Halle 2013, S. 17–59. ———: „Mit Gold nicht aufzuwiegen“. Der Wert von Büchern im osmanischen Syrien (11.–13. Jahrhundert AH). In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 164 (2014), S. 653–686. ———: Rezension zu “Christian Müller / Muriel Roiland-Rouabah (Hrsg.): Les non- dits du nom. Onomastique et documents en terres d’Islam.” In: Der Islam 92 (2015), S. 533–541. Liechti, Stacy: Books, book endowments, and communities of knowledge in the Bukharan Khanate. Unveröffentlichte Dissertation, New York University, 2008. Loebenstein, Helene: Katalog der arabischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek: Neuerwerbungen 1868–1968 1: Codices mixti ab Nr 744. Wien 1970. Lowry, Joseph E. / Devin J. Stewart: Introduction. In: Essays in Arabic literary biogra- phy, 2: 1350–1850. Hrsg. von Joseph E. Lowry und Devin J. Stewart. Wiesbaden 2009, S. 1–10. Lumières de la sagesse. Écoles médiévales d’Orient et d’Occident. Hrsg. von Éric Vallet. Paris 2013. Lutfi, Huda: A study of six fourteenth century iqrārs from al-Quds relating to Muslim women. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 26 (1983), S. 247–294. MacKay, Pierre A.: Certificates of transmission on a manuscript of the Maqāmāt of Ḥarīrī (Ms. Cairo, Adab 105). Philadelphia 1971. Mackenson, Ruth Stellhorn: Arabic books and libraries in the Omayyad period. In: The American Journal of Semitic Languages and Literature 52 (1936), S. 254–253; 53 (1937), S. 239–250; 54 (1938), S. 41–61; 55–56 (1939), S. 149–157. Makariou, Sophie / Carine Juvin: The Louvre Kursi. Function and meaning of Mamluk stands. In: Doris Behrens-Abouseif (Hrsg.): The arts of the Mamluks in Egypt and Syria – Evolution and impact. Göttingen 2012, S. 37–53. Manaš, Ǧirǧis: al-Mustaṭrafāt wa-l-mustaẓrafāt fī ḥayāt al-muṭrān Ǧarmānūs Farḥāt. In: al-Mašriq 7 (1904), S. 48–56, 105–111, 210–219, 356–359. Mandeville, Jon: Usurious piety. The cash waqf controversy in the Ottoman Empire. In: International Journal of Middle East Studies (1979), S. 298–308. Marcus, Abraham: The Middle East on the eve of modernity. Aleppo in the eighteenth century. New York 1989. ———: Men, women, and property: Dealers in real estate in 18th century Aleppo. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 26 (1983), S. 137–163. Marino, Brigitte: Cafés et cafetiers de Damas aux XVIIIe et XIXe siècles. In: Revue du Monde Musulman et de la Méditerranée 75–76 (1995), S. 275–294. 394 Quellen und Literatur

———: Les investissement de Sulaymān Pacha al-ʿAẓm à Damas. In: Annales Islamologiques 34 (2000), S. 209–226. Martel-Thoumian, Bernadette: Le dictionnaire biographique: un outil historique. Étude réalisée à partir de l’ouvrage de Saḫāwī: aḍ-Ḍawʾ al-lāmiʿ fī aʿyān al-qarn at-tāsiʿ. In: Cahiers d’onomastique arabe VI (1988–1992), S. 9–38. ———: Catalogue des manuscrits historiques de la Bibliothèque nationale de Damas. Période mamlouke (648–922 H./1250–1517). Damaskus 2003. Masters, Bruce: The view from the province. Syrian chronicles of the eighteenth cen- tury. In: Journal of the American Oriental Society 114 (1994), S. 353–362. ———: Christians and Jews in the Ottoman Arab world. The roots of sectarianism. Cambridge 2001. Mauder, Christian: Gelehrte Krieger. Die Mamluken als Träger arabischsprachiger Bildung nach aṣ-Ṣafadī, al-Maqrīzī und weiteren Quellen. Hildesheim / Zürich / New York 2012. Mavroudi, Maria: Arabic words in Greek letters: The Violet fragment and more. In: Jérôme Lentin / Jacques Grand’Henry (Hrsg.): Moyen Arabe et variétiés mixtes de l’Arabe à travers l’histoire. Louvain 2008, S. 321–354. ———: Translations from Greek into Arabic at the court of Mehmed the conqueror. In: Ayla Ödekan / Nevra Necipoğlu / Engin Akyürek (Hrsg.): The Byzantine court: Source of power and culture. Istanbul 2013, S. 195–207. Meier, Astrid: Art. “Waḳf. II.2. In Syria”. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Volume XII: Supplement. Leiden 2004, S. 823–828. ———: Für immer und ewig? Befristete Formen islamischer Stiftungen in osmani- scher Zeit. In: Astrid Meier / Johannes Pahlitzsch / Lucian Reinfandt (Hrsg.): Islamische Stiftungen zwischen juristischer Norm und sozialer Praxis. Berlin 2009, S. 191–212. Meriwether, Margaret: The kin who count. Family and society in Ottoman Aleppo, 1770–1840. Austin 1999. ———: Women and waqf revisited: The case of Aleppo, 1770–1840. In: Madeline Zilfi (Hrsg.): Women in the Ottoman Empire. Middle Eastern women in the Early Modern era. Leiden 1997, S. 128–152. Mez, Adam: Die Renaissance des Islâms. Heidelberg 1922. Mingana, Alphons: Catalogue of the Arabic manuscripts in the John Rylands Library, Manchester. Manchester 1934. Moreh, Shmuel / Sadgrove, Philip (Hrsg.): Jewish contributions to 19th-Century Arabic theatre. Oxford 1996 [=Journal of Semitic Studies, Supplement 6]. Morris, James: An Arab Macchiavelli? Rhetoric, philosophy, and politics in Ibn Khaldun’s critique of Sufism. In: Harward Middle Eastern and Islamic Review 8 (2009), S. 242–91. Quellen und Literatur 395

Mubaiyaḍīn, Muhannad Aḥmad Sālim al-: Ahl al-qalam wa-dauruhum fī l-ḥayāt aṯ-ṯaqāfīya fi madīnat Dimašq ḫilāla l-fatra 1121–1172 h / 1708–1757 m. Damaskus 2005. ———: “Ġair al-muslimīn” fī nuṣūṣ al-fatāwā ad-dimašqīya ibbāna l-qarn aṯ-ṯāmin ʿašar al-mīlādī. In: Bilad al-Sham during the Ottoman era. Proceedings of the International Symposium. Istanbul 2009, 63–82. Muhanna, Elias: Why was the fourteenth century a century of Arabic encyclopaedism? In: Jason König / Greg Woolf (Hrsg.): Encyclopaedism from Antiquity to the Renaissance. Cambridge 2013, S. 343–356. Mülinen, Eberhard von: Des Nomaden Abschied. Eine Erinnerung an Konsul Dr. Johann Gottfried Wetzstein. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 79 (1925), S. 150–161. Müller, Kathrin: Arabische Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek zu München, Band 3: Cod arab 2300–2552F. [Verzeichnis der Orientalischen Handschriften in Deutschland, Band XVII, B, 10 = Arabische Handschriften, Teil 10] Stuttgart 2010. Müller Gisela: Orientalische Handschriften. In: Dietmar Debes (Hrsg.): Zimelien. Bücherschätze der Universitäts-Bibliothek Leipzig. Leipzig 1988, S. 139–176. Mulsow, Martin: Socinianism, Islam and the radical uses of Arabic scholarship. In: Al-Qanṭara XXXI (2010), S. 549–586. ———: Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit. Berlin 2012. Munaǧǧid, Ṣalāḥ ad-Dīn al-: Iǧāzāt as-samāʿ fī l-maḫṭūṭāt al-qadīma. In: Maǧallat Maʿhad al-Maḫṭūṭāt al-ʿArabīya 1–2 (1955), S. 232–251. Murād, Riyāḍ ʿAbd al-Ḥamīd / Yāsīn Muḥammad as-Sauwās: Fihris maḫṭūṭāt Dār al- Kutub aẓ-Ẓāhirīya. Qism al-Adab, 2 Bde. Damaskus 1982–1983. Muranyi, Miklos: Fragmente aus der Bibliothek des Abū l-ʿArab al-Tamīmī (st. 333/ 944–45) in der Handschriftensammlung von Qairawān. Qairawaner Miszellaneen I. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 136 (1986), S. 512–535. Nagel, Tilman: Autochthone Wurzeln des islamischen Modernismus. Bemerkungen zum Werk des Damaszeners Ibn ʿĀbidīn (1784–1836). In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 146 (1996), S. 92–111. Nallino, Carlo Alfonso: I manoscritti arabi, persiani, turchi e siriaci della Bibliotheca Nazionale e della R. Accademia delle Scienze di Torino. In: Memorie della Reale Academia delle Scienze di Torino, Serie Seconda, Tome L. Turin 1901, S. 1–101. Naqšbandī, Usāma Nāṣir an- / Ẓamiyāʾ Muḥammad ʿAbbās: Maḫṭūṭāt al-adab fī l-Matḥaf al-ʿIrāqī. Kuwait 1985. Naššār, as-Saiyid an-: Tārīḫ al-maktabāt fī Miṣr; al-ʿaṣr al-mamlūkī. Kairo 1993. Nerdinger, Winfried (Hrsg.): Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. München / London / New York 2011. 396 Quellen und Literatur

———: Von Alexandria zum digitalen Babel – Der Traum von der Universalbibliothek. In: Ders. (Hrsg.): Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. München / London / New York 2011, S. 237–260. Nuʿaisa, Yūsuf: Muǧtamaʿ madīnat Dimašq fī l-fatra mā baina 1186–1256 h, 2 Bände. Damaskus 1986. ———: Yahūd Dimašq. Damaskus 1415 / 1994 (2. Auflage). Oppenheim, Max von: Vom Mittelmeer zum Persischen Golf durch den Hauran, die syrische Wüste und Mesopotamien, 2 Bde. Berlin 1899. Osterhammel, Jürgen: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert. München 1998. Ott, Claudia: Metamorphosen des Epos. Sīrat al-Muǧāhidīn (Sīrat al-Amīra Ḏāt al- Himma) zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Leiden 2003. ———: Die Inschriften des Damaskuszimmers im Dresdner Völkerkundemuseum. In: Lorenz Korn / Eva Orthmann / Florian Schwarz (Hrsg.): Die Grenzen der Welt. Arabica et Iranica ad honorem Heinz Gaube. Wiesbaden 2008, S. 211–222. ———: « Wer sich fürchtet, verliert – wer wagt, gewinnt ». Neues zu den Inschriften des Aleppo-Zimmers. In: Julia Gonella / Jens Kröger (Hrsg.): Angels, peonies, and fabulous creatures. The Aleppo room in Berlin. Münster 2008, S. 81–85. Pagani, Samuela: Renewal before reformism. ʿAbd al-Ghanî al-Nâbulusî’s reading of Aḥmad Sirhindī’s ideas on Tajdîd. In: Butrus Abu-Manneh (Hrsg.): The Naqshbandiyya-Khâlidiyya Sufi order. (=Journal of the History of Sufism, 5) Paris 2007, S. 291–317. ———: Il libro come maestro: Sufismo e storia della lettura nel medioevo islamico. In: The book in fact and fiction in pre-modern Arabic literature. Hrsg. von Antonella Ghersetti und Alex Metcalf. (=Journal of Arabic and Islamic Studies, 12) Edinburgh 2012, S. 144–185. Pedersen, Johannes: The Arabic book. Übersetzt von Geoffrey French, hrsg. von Robert Hillenbrand. Princeton 1984. Perho, Irmeli: Catalogue of Arabic manuscripts. Codices arabici et codices arabici additamenta, 3 Bde. (=Catalogue of Arabic manuscripts, xylographs etc. in Danish collections). Kopenhagen 2007. Pertsch, Wilhelm: Die orientalischen Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha. Theil 3: Die arabischen Handschriften, 5 Bde. Gotha 1878–1892. Peters, Rudolph: What does it mean to be an official madhhab? Hanafism and the Ottoman Empire. In: Peri Baerman / Rudolph Peters / Frank E. Vogel (Hrsg.): The Islamic school of law: Evolution, devolution, and progress. Cambridge 2005, S. 147–158. Philipp, Thomas: The Farhi family and the changing position of Jews in Syria 1750– 1860. In: Middle Eastern Studies 20 (1984), S. 37–52. Quellen und Literatur 397

———: Acre. The rise and fall of a Palestinian city, 1730–1831. New York 2001. Pinto, Olga: The libraries of the Arabs during the time of the Abbasids. In: Islamic Culture 3 (1929), S. 210–248. Pormann, Peter E. / Emilie Savage-Smith: Medieval Islamic medicine. Edinburgh 2007. Porter, Venetia: Arabic and Persian seals and amulets in the British Museum. London 2011. Qaṭāyā, Salmān: al-Maktabāt fī Ḥalab. In: ʿĀdīyāt Ḥalab 2 (1976), S. 170–218. Qattan, Najwa: The Damascene Jewish community in the later decades of the 18th cen- tury. Aspects of socio-economic life based on the registers of the shariʿa courts. In: Thomas Philipp (Hrsg.): The Syrian land in the 18th and 19th century. Stuttgart 1992, S. 197–216. Quatremère, Étienne: Mémoire sur le goût de livres chez les orientaux. In: Journal Asiatique, 3éme Séries, VI (1838), S. 35–78. (Auch separat erschienen). Raabe, Paul: Bibliotheksgeschichte und historische Leserforschung. Anmerkungen zu einem Forschungsthema. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 7 (1982), S. 433–441. Raby, Julian / Zeren Tanindi: Turkish bookbinding in the 15th century. The foundation of an Ottoman court style. Hrsg. von Tim Stanley. London 1993. Rafeq, Abdul-Karim: The province of Damascus, 1723–1783. Beirut 1966. ———: The integration of religious communities in the workplace in Ottoman Syria and during their stay in Egypt. In: Nelly Hanna / Raouf Abbas (Hrsg.): Society and Economy in Egypt and the Eastern Mediterranean 1600–1900. Kairo 2005, S. 99–116. ———: The socioeconomic and political implications of the introduction of coffee into Syria, 16th to 18th centuries. In: Michael Tuchscherer (Hrsg.): Le commerce du café avant l’ère des plantations coloniales. Kairo 2001, S. 127–142. Rašīd, Ṣāliḥ b. Muḥammad ar-: Iʿārat al-kutub. Aḥkāmuhā wa-ādābuhā fī l-fiqh al-islāmī. ar-Riyāḍ 1420 / [2000]. Raymond, André: Artisans et commercants au Caire au XVIIIe siècle, 2 Bde. Damaskus 1973–74. ———: Une famille de grands négociants en café au Caire dans la prémière moitié du XVIIIe siècle: les Sharāybī. In: Michael Tuchscherer (Hrsg.): Le commerce du café avant l’ère des plantations coloniales. Kairo 2001, S. 11–126. Razzūq, Nuhād: Ǧarmānūs Farḥāt. Ḥayātuhū wa-aṯaruhū. Kaslīk 1998. Reichmuth, Stefan: The world of Murtaḍā al-Zabīdī (1732–91). Life, networks and wri- tings. [Oxford] 2009. ———: Mündlicher und literarischer Wissenstransfer in Ägypten im späten 18. / frü- hen 19. Jahrhundert – Arabische Gelehrte und ihr Zugang zu europäischer Naturwissenschaft. In: Tobias Heinzelmann / Henning Sievert (Hrsg.): Buchkultur im Nahen Osten des 17. und 18. Jahrhunderts. Bern et al. 2010, S. 27–52. 398 Quellen und Literatur

Reilly, James A.: Women in the economic life of late Ottoman Damascus. In: Arabica 42 (1995), S. 79–106. Reindl-Kiel, Hedda: A woman timar-holder in Ankara province during the second half of the 16th century. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient 40 (1997), S. 207–238. ———: Some notes on Hersekzade Ahmed Pasha, his family and his books. In: Selim S. Kuru / Baki Tezcan (Hrsg.): Defterology. Festschrift in honor of Heath Lowry. [= Journal of Turkish Studies / Türklük Bilgisi Araştırmaları 40 (2013)], S. 315–326. Reynolds, Dwight F.: Popular prose in the post-classical period. In: Roger Allen / D. S. Richards (Hrsg.): Arabic literature in the post-classical period. Cambridge 2006, S. 245–269. Richardson, Kristina: The evolving biographical legacy of two late Mamluk Ḥanbalī judges. [ASK Working Paper, 16] Bonn 2014. ———: Reconstructing the autograph corpus of Shams al-Dīn Muḥammad Ibn Ṭūlūn. In: Journal of the American Oriental Society 135 (2015), S. 319–327. Rieu, Charles: Supplement to the Catalogue of the Arabic manuscripts in the British Museum. London 1894. al-Rihawi, A. Q. / E. E. Ouechek: Les deux takkīya de Damas. La Takkīya et la madrasa Sulaymānīya du Marj et la Takiya al-Salīmīya de Ṣāliḥīya. In: Bulletin d’Études Orientales 27 (1975), S. 217–226. Río Sánchez, Francisco del: The study of Syriac in an arabized community: The Maronites of Aleppo. In: Sofía Torallas Tovar / Juan Pedro Monferrar-Sala (Hrsg.): Cultures in contact. Transfer of knowledge in the Mediterranean context. Selected papers. Cordoba / Beirut 2013. Ritter, Helmut: Philologika IX. Die vier Suhrawardī. In: Der Islam 25 (1938), S. 35–86. Rogers, Mary Eliza: Books and bookbinding in Syria and Palestine. In: The Art Journal 7 (June 1, 1868), Part I, S. 41–43; Part II, S. 113–115. Rogers, Michael: Safavids versus Ottomans. The origins of the decorative repertoire of the Aleppo-Zimmer. In: Julia Gonella / Jens Kröger (Hrsg.): Angels, peonies, and fabulous creatures. The Aleppo Room in Berlin. Münster 2008, S. 127–131. Romanov, Maxim: Computational reading of Arabic biographical collections with spe- cial reference to preaching in the Sunni world (661–1300 CE). Unveröffentlichte Dissertation, University of Michigan, Ann Arbor 2013. Ron-Gilboa, Guy: Rez. von Konrad Hirschler The written word in the Medieval Arabic lands. In: Networks and Neighbours 1 (2013), S. 67–71. Roper, Geoffrey: Arabic books printed in Malta 1826–42: Some physical characteristics. In: Philip Sadgrove (Hrsg.): History of printing and publishing in the languages and countries of the Middle East [=Journal of Semitic Studies, Supplement 15]. Oxford 2004, S. 111–129. Quellen und Literatur 399

———: Aḥmad Fāris al-Shidyāq and the Libraries of Europe and the Ottoman Empire. In: Libraries and Culture 33 (1998), S. 233–248. ———: The history of the book in the Muslim World. In: Michael M. Suarez / H. R. Woudhuysen (Hrsg.): The Oxford companion to the book. Oxford 2010, Band 1, S. 321–339. Rosenthal, Franz: A history of Muslim historiography. Leiden 1952. ———: From Arabic books and manuscripts, VII: A one-volume library of Arabic phi- losophical and scientific texts in Istanbul. In: Journal of the American Oriental Society 75 (1955), S. 14–23. ———: Art. “al-Bakrī, Abū ‘l-Ḥasan Aḥmad”. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, vol. I. Hrsg. von H. A. R. Gibb. Leiden 1960, S. 964. ———: “Of making many books there is no end:” The classical Muslim view. In: George N. Atiya (Hrsg.): The book in the Islamic world. Albany 1995, S. 33–55. Rufai, Ahmet: Über die Bibliophilie im älteren Islam. Nebst Edition und Übersetzung von Gâḥiẓ’ Abhandlung Fî Madḥ al-kutub. Istanbul 1935. Sāʿātī, Yaḥyā Maḥmūd: al-Waqf wa-binyat al-maktaba al-ʿarabīya. Istibṭān li-l-maurūṯ aṯ-ṯaqāfī. Riad 1996. Šaʿbān, ʿAbd al-Maǧīd: Amlāk aš-šaiḫ ʿAbd al-Ġanī an-Nābulusī wa-maktabatuhū fī waṯāʾiq maḥākim Dimašq aš-šarʿīya. In: al-Maǧalla at-Tārīḫīya al-ʿArabīya li-d- Dirāsāt al-ʿUṯmānīya 36 (2007), S. 165–184. Sabev, Orlin: Private book collections in Ottoman Sofia, 1671–1833 (preliminary notes). In: Études Balcaniques 1 (2003), S. 34–82. Sabra, Adam: Public policy or private charity? The ambivalent character of Islamic charitable endowments. In: Michael Borgolte (Hrsg.): Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und histori- schen Transformationen. (=Stiftungsgeschichten, Band 4) Berlin 2005, S. 95–108. Sajdi, Dana: Peripheral visions. The worlds and worldviews of commoner chroniclers in the 18th century Ottoman Levant. Unveröffentlichte Dissertation, New York, Columbia University, 2002. ———: A room of his own. The “History” of the Barber of Damascus (fl. 1762). In: The MIT Electronic Journal of Middle East Studies 3 (2003), S. 19–35. ———: Shihābaddīn Aḥmad Ibn Budayr. In: Historians of the Ottoman Empire. Hrsg. von C. Kafadar, H. Karateke, C. Fleischer. Online-Edition http://ottomanhistorians. uchicago.edu/sites/ottomanhistorians.uchicago.edu/files/ibnbudayr_en.pdf (letzter Zugriff: 10.07.2014). ———: Ibn Kannān. In: Historians of the Ottoman Empire. Hrsg. von C. Kafadar, H. Karateke, C. Fleischer. Online-Edition http://ottomanhistorians.uchicago .edu/sites/ottomanhistorians.uchicago.edu/files/ibnkannan_en.pdf (letzter Zugriff: 10.07.2014). 400 Quellen und Literatur

———: The barber of Damascus. Nouveau literacy in the eighteenth-century Ottoman Levant. Stanford 2013. Salati, Marco: Ascesa e caduta di una famiglia di Ashrâf sciiti di Aleppo: i Zuhrâwî o Zuhrâzâda (1600–1700). Rom 1992. ———: Libri, lettori, bibliofili : la biblioteca privata di sayyid Ḥusayn Ǧurbāǧī, notabile di Aleppo del secolo xviii. In: G. Lancioni / O. Durand (Hrsg.): Dirāsāt Aryūliyya. Studi in onore di Angelo Arioli. Rom 2007, S. 57–84. Saleh, Walid A.: The gloss as intellectual history: The Ḥāshiyahs on al-Kashshāf. In: Oriens 41 (2013), S. 217–259. Salibi, Kamal S.: The Sayfās and the eyalet of Tripoli 1579–1614. In: Arabica 20 (1973), S. 25–52. Šanṭī, ʿIṣām Muḥammad aš-: Risāla fī madḥ al-kutub wa-l-ḥaṯṯ ʿalā ǧamʿihā li-l-Ǧāḥiẓ (nusḫa nafīsa bi-ḫaṭṭ Ibn al-Bauwāb). In: Maǧallat Maʿhad al-Maḫṭūṭāt al-ʿArabīya 51 (2007), S. 119–144. Šašan (Şeşen), Ramaḍān: Ahammīyat ṣafḥat al-ʿunwān. In: Dirāsat al-maḫṭūṭāt al-islāmīya baina ʿtibārāt al-mādda wa-l-bašar. London 1997. Ṣauwāf, Muḥammad Šarīf ʿAdnān aṣ-: Mausūʿat al-usar ad-dimašqīya. Tārīḫuhā, ansābuhā, aʿlāmuhā, 3 Bde. Damaskus 2010 (2. Auflage). Sauwās, Yāsīn Muḥammad as-: Fihris maǧāmīʿ al-Madrasa al-ʿUmarīya fī Dār al-Kutub aẓ-Ẓāhirīya bi-Dimašq. Kuwait 1408 / 1987. Savage-Smith, Emilie: A new Catalogue of Arabic manuscripts in the Bodleian Library, University of Oxford. Volume I: Medicine. Oxford 2012. Sayyid, Ayman Fuʾād: al-Kitāb al-ʿarabī al-maḫṭūṭ wa-ʿilm al-maḫṭūṭāt, 2 Bde. Kairo 1997. ———: Les marques de possession sur les manuscrits et la reconstitution des anciens fonds des manuscrits arabes. In: Manuscripta Orientalia 9 (2003), S. 14–23. Sayyid, Fuʾād: Naṣṣān qadīmān fī iʿārat al-kutub. In: Maǧallat Maʿhad al-Maḫṭūṭāt al-ʿArabīya 4 (1958), S. 125–136. Schaefer, Carl: Arabic printing before Gutenberg. In: Eva Hanebutt-Benz / Dagmar Glass / Geoffrey Roper (Hrsg.): Middle Eastern languages and the print revolution. A cross-cultural encounter. Westhofen 2002, S. 123–128. Scharrahs, Anke et al.: Das Dresdner Damaskus-Zimmer. Ein Kleinod osmanischer Innenarchitektur in Dresden. Dresden 2008. ———: Damascene ʿAjami rooms. Forgotten jewels of interior design. London 2013. Schatkowski-Schilcher, Linda: Families in politics. Damascene factions and estates of the 18th and 19th centuries. Stuttgart 1985. Schimmel, Annemarie: The book of life-metaphors connected with the book in Islamic literatures. In: George N. Atiya (Hrsg.): The book in the Islamic world. Albany 1995, S. 71–92. Quellen und Literatur 401

Schmidt, Jan: First-person narratives in Ottoman miscellaneous manuscripts. In: Ralf Elger / Yavuz Köse (Hrsg.): Many ways of speaking about the self. Middle Eastern ego-documents in Arabic, Persian and Turkish (14th–20th century). Wiesbaden 2010, S. 159–170. Schwarz, Florian: Erlebnis und Erinnerung. In: Stefan Reichmuth / Florian Schwarz (Hrsg.): Zwischen Alltag und Schriftkultur: Horizonte des Individuellen in der ara- bischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Beirut 2008, S. 81–99. Schwarz, Klaus / Gerd Winkelhane: Ḫoǧa Saʿdeddīn, Staatsmann und Gelehrter (gest. 1599), und seine Stiftung aus dem Jahre 1614. Bamberg 1986. Semerdjian, Elyse: Sinful professions: Illegal occupations of women in Ottoman Aleppo, Syria. In: Hawwa. Journal of Women in the Middle East and the Islamic World 1 (2003), S. 60–85. ———: „Off the straight path“. Illicit sex, law, and community in Ottoman Aleppo. Syracuse 2008. Seybold, Christian Friedrich: Verzeichnis der arabischen Handschriften. (=Hauptkatalog der Königlichen Universitätsbibliothek zu Tübingen. M. Handschriften. A. Orientalische; VI) Tübingen 1907. Sezer, Elif: The oral and the written in Ottoman literature: The reader notes on the story of Firuzşâh. Istanbul 2015. Sezer, Yavuz: Pilgrimage to the library: The Beytuʾl-maʿmûr / Kaʿba analogy in eigh- teenth-century Ottoman libraries. Unpublizierter Vortrag, gehalten auf dem work- shop Manuscript cultures of the Ottoman Empire, 6.–7. Juni 2014, Orient-Institut, Istanbul. Shinder, Joel: Mustafa Efendi: Scribe, gentleman, pawnbroker. In: International Journal of Middle East Studies 10 (1979), S. 415–420. Sibai, Mohamed Makki: Mosque libraries: An historical study. London 1987. Sievert, Henning: Zwischen arabischer Provinz und Hoher Pforte. Beziehungen, Bildung und Politik des osmanischen Bürokraten Rāġıb Meḥmed Paşa. Würzburg 2008. ———: Verlorene Schätze – Bücher von Bürokraten in den Muḫallefāt-Registern. In: Ders. / Tobias Heinzelmann (Hrsg.): Buchkultur im Nahen Osten des 17. und 18. Jahrhunderts. Bern u.a. 2010, S. 199–263. Silay, Kemal: Singing his words. Ottoman women poets and the power of the patriar- chy. In: Madeline Zilfi (Hrsg.): Women in the Ottoman Empire. Middle Eastern women in the Early Modern era. Leiden 1997, S. 197–213. Sobieroj, Florian: Arabische Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek zu München unter Einschluss einiger türkischer und persischer Handschriften, Band 1. [Verzeichnis der Orientalischen Handschriften in Deutschland, Band XVII, B, 8 = Arabische Handschriften, Teil 8] Stuttgart 2007. 402 Quellen und Literatur

———: Arabische Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek zu München unter Einschluss einiger türkischer und persischer Handschriften, Band 2. [Verzeichnis der Orientalischen Handschriften in Deutschland, Band XVII, B, 9 = Arabische Handschriften, Teil 9] Stuttgart 2010. Socin, Albert: Die Dîwâne der Dicher Nâbiġa, ʿUrwa, Ḥâtim, ʿAlkama und Farazdak. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 31 (1877), S. 667–715. Soucek, Priscilla P. / Çağman, Filis: A royal manuscript and ist transformation: The life history of a book. In: George N. Atiya (Hrsg.): The book in the Islamic world. Albany 1995, S. Socin, Albert / Karl Baedeker: Palästina und Syrien. Handbuch für Reisende. Leipzig 1880 (2. Auflage). Sourdel, Dominique: Certificats de pèlerinage d’époque ayyoubide. Contribution à l’histoire de l’idéologie de l’Islam au temps des croisades. Paris 2006. Sourdel-Thoumin, Janine / Dominique Sourdel / Jean-Michel Mouton: Un acte notarié d’époque bouride. In: Annales Islamologiques 29 (1995), S. 59–74. Stanley, Tim: The books of Umur Bey. In: Muqarnas. An Annual on the Visual Culture of the Islamic World XXI (2004), S. 323–332. [Stolz, Michael / Adrian Mettauer]: Einleitung. In: Diess. (Hrsg.): Buchkultur im Mittelalter. Schrift – Bild – Komunikation. Berlin / New York 2005, S. 1–11. Strauss, Johann: Who read what in the Ottoman Empire (19th-20th centuries)? In: Arabic Middle Eastern Literatures 6 (2003), S. 39–76. Sūnī, Bahnām: Fihris al-maḫṭūṭāt al-baṭrīyarkīya fī Dair aš-Šarfa. Beirut 1993. Süreyya, Mehmed: Sicill-i ʿoṯmānī, 6 Bde. Istanbul 1996. Ṭabbāʿ, ʿIyād Ḫālid: al-Maḫṭūṭāt ad-dimašqīya. al-Maḫṭūṭ al-ʿarabī munḏu n-našʾa ḥattā intišārihī fī Bilād aš-Šām. Damaskus 2009. Ṭabbāḫ, Muḥammad Rāġib aṭ-: Iʿlām an-nubalāʾ bi-tārīḫ Ḥalab aš-šahbā, 7 Bde. Aleppo 1988. Tamari, Steve: Ottmoman madrasas: The multiple lives of educational institutions in eighteenth-century Syria. In: Journal of Early Modern History 5 (2001), S. 100–127. ———: Between the “golden age” and the Renaissance. Islamic higher education in eighteenth-century Damascus. In: Osama Abi-Mershed (Hrsg.): Trajectories of edu- cation in the Arab world. London / New York 2010, S. 36–58. Ṭarrāzī, Fīlīb Dī: Ḫazāʾin al-kutub al-ʿarabīya fī l-ḫāfiqain, 4 Bde. Beirut 1947–1951. Thomasson, Fredrik: The life of J. D. Åkerblad. Egyptian decipherment and orientalism in revolutionary times. Leiden 2013. Touati, Houari: L’armoire à sagesse. Bibliothèques et collections en Islam. Paris 2003. ———: La dédicace des livres dans l’Islam médiéval. In: Annales. Histoire, Sciences sociales 55 (2000), S. 325–353. Quellen und Literatur 403

———: Pour une histoire de la lecture au Moyen Âge musulman : à propos des livres d’histoire. In: Studia Islamica 104/105 (2007), S. 11–44. Troupeau, Gérard: Les actes de waqf des manuscrits arabes chrétiens de la Bibliothèque nationale de France. In: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée [online-Version], 99–100 (2002), zuletzt aufgerufen den 31. Januar 2012 (http:// remmm.revues.org/1173). Trimingham, John Spencer: The sufi orders in Islam. Oxford 1971. ʿUlabī, Akram Ḥusain: Ḫiṭaṭ Dimašq. Dirāsa tārīḫīya šāmila. Damaskus 1989. Ullmann, Manfred: Die Taḏkira des Ibn as-Suwaidī, eine wichtige Quelle zur Geschichte der griechisch-arabischen Medizin und Magie. In: Der Islam 54 (1977), S. 33–65. Uluç, Lale: Ottoman book collectors and illustrated sixteenth century Shiraz manu- scripts. In: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 87–88 (1999), S. 85–107. Ush, Abu-l-Faraj / Adnan Joundi / Bachir Zouhdi: A concise guide to the National Museum of Damascus. Damaskus 1980. Vajda, Georges: Les certificates de lecture et de transmission dans les manuscrits ara- bes de la Bibliothèque Nationale de Paris. Paris 1957. ———: Trois manuscrits de la bibliothèque du savant damascain Yusuf Ibn-Abd al- Hadi. In: Journal Asiatique 270 (1982), S. 229–256. van den Boogert, Maurits H.: Aleppo observed: Ottoman Syria through the eyes of two Scottish doctors, Alexander and Patrick Russell. London 2010. van Leeuwen, Richard: Waqfs and urban structures. The case of Ottoman Damascus. Leiden 1999. Veinstein, Gilles: Les nouveaux noms des recrues du devşirme ottoman. In: Christian Müller / Muriel Roiland-Rouabah (Hrsg.): Les non-dits du nom. Onomastique et documents en terres d’Islam. Mélanges offerts à Jacqueline Sublet. Beirut 2013, S. 462–468. Veselý, Rudolf: Neues zur Familie al-Qūṣūnī. Ein Beitrag zur Genealogie einer ägypti- schen Ärzte- und Gelehrtenfamilie. In: Oriens 33 (1992), S. 437–440. ———: Bibliothek eines ägyptischen Arztes aus dem 16. Jhd. A.D./10. Jhd. A.H. In: Petr Zemánek (Hrsg.): Studies in Near Eastern languages and literatures. Memorial volume of Karel Petrácek. Prag 1996, S. 613–630. Violet, Bruno: Ein zweisprachiges Psalmfragment aus Damascus. In: Orientalistische Literaturzeitung 4 (1901), Sp. 384–403, 425–441, 475–488. (Außerdem separat als Berichtigter Sonderabzug, Berlin 1902). Vodosek, Peter: Wissen für alle: Von der Volksaufklärung zur öffentlichen Bibliothek von heute. In: Winfried Nerdinger (Hrsg.): Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. München / London / New York 2011, S. 195–214. 404 Quellen und Literatur

Voguet, Elise: L’inventaire des manuscrits de la bibliothèque de la Grande Mosquée de Kairouan (693 / 1292–94). In: Arabica 50 (2003), S. 532–544. Vollers, Karl: Katalog der islamischen, christlich-orientalischen, jüdischen und samari- tanischen Handschriften der Universitäts-Bibliothek zu Leipzig. Leipzig 1906. Wakīl, Faiza Maḥmūd ʿAbd al-Ḫāliq: Āṯāṯ al-muṣḥaf fī Miṣr fī ʿaṣr al-Mamālīk. Kairo 2004. Walbiner, Carsten: Die Protagonisten des frühen Buchdrucks in der arabischen Welt. In: Ulrich Marzolph (Hrsg.): Das gedruckte Buch im Vorderen Orient. Dortmund 2002, S. 128–141. Waley, Muhammad Isa: The Miscellany of Iskandar Sultan (Add. 27261). British Library, Asian and African Studies Blog (http://britishlibrary.typepad.co.uk/asian-and-afri- can/2014/03/the-miscellany-of-iskandar-sultan-add27261.html#), zuletzt aufgerufen 10.06.2014. Wasserstein, David: The library of al-Ḥakam II al-Mustanṣir and the culture of Islamic Spain. In: Manuscripts of the Middle East 5 (1990–1991), S. 99–105. Webb, Peter: ‘Foreign books’ in Arabic literature: Discourses on knowledge and ethni- city in the writings of al-Ǧāḥiẓ. In: Antonella Ghersetti / Alex Metcalf (Hrsg.): The book in fact and fiction in pre-modern Arabic literature. (=Journal of Arabic and Islamic Studies, 12) Edinburgh 2012, S. 16–55. Weber, Stefan: Damascus. Ottoman modernity and urban transformation, 1808–1918, 2 Bde. [=Proceedings of the Danish Institute in Damascus V] Aarhus 2009. Weismann, Itzchak: Taste of modernity. Sufism, Salafiyya, and Arabism in late Ottoman Damascus. Leiden 2001. Weisweiler, Max: Verzeichnis der arabischen Handschriften; Band II. Leipzig 1930. ———: Arabische Schreiberverse. In: Rudi Paret (Hrsg.): Orientalistische Studien. Enno Littmann zu seinem 60. Geburtstag am 16. Dezember 1935 überreicht von Schülern aus seiner Bonner und Tübinger Zeit. Leiden 1935, S. 101–120. Wetzstein, Johann Gottfried: Der Markt in Damaskus. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 11 (1857), S. 475–525. ———: Reisebericht über Hauran und die Trachonen nebst einem Anhang über die sabäischen Denkmäler in Ostsyrien. Berlin 1860. ———: Catalog einer Sammlung arabischer Manuscripte in Damaskus gesammelt von Dr. J.G. Wetzstein. Berlin 1863. ———: Die Liebenden von Amasia. Ein Damascener Schattenspiel. Leipzig 1906. Wheeler, Brannon M.: Identity in the margins: Unpublished Ḥanafī commentaries on the Mukhtaṣar of Aḥmad b. Muḥammad al-Qudūrī. In: Islamic Law and Society 10 (2003), S. 182–209. Wilkins, Charles: Masters, servants and slaves. Household formation among the urban notables of Ottoman Aleppo. In: Christine Woodhead (Hrsg.): The Ottoman world. London / New York 2013, S. 291–306. Quellen und Literatur 405

———: The self-fashioning of an Ottoman urban notable: Ahmed Efendi Tahazâde (d. 1773). In: Living Empire: Ottoman identities in transition, 1700–1850 = Osmanlı Araştırmaları / The Journal of Ottoman Studies XLIV (2014), S. 393–425. Williams-Krapp, Werner: Die überlieferungsgeschichtliche Methode. Rückblick und Ausblick. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Deutschen Literatur 25 (2000), S. 1–21. Winter, Michael: al-Ġazzī. In: C. Kafadar / H. Karakate / C. Fleischer (Hrsg.): Historians of the Ottoman Empire. (http://ottomanhistorians.uchicago.edu/sites/ottoman historians.uchicago.edu/files/gazzi_en.pdf; letzter Zugriff 12. Juni 2014). ———: Ottoman Qadis in Damascus in the 16th-18th centuries. In: Ron Shaham (Hrsg.): Law, custom, and statute in the Muslim World: Studies in honor of Aharon Layish. Leiden 2007, S. 87–110. Witkam, Jan Just: Inventory of the Oriental manuscripts of the library of the University of Leiden. Leiden 2007. (Online-Publikation unter: http://www.islamicmanuscripts .info/inventories/leiden/index.html). Wittmann, Reinhard: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982. Wright, Elaine: The look of the book. Manuscript production in Shiraz, 1303–1452. Seattle 2012. Wüstenfeld, Ferdinand: Die Gelehrten-Familie Muḥibbí in Damascus und ihre Zeitgenossen im XI. (XVII.) Jahrhundert. Göttingen 1884. Yūsuf, Muḥammad Ḫair Ramaḍān / Abū Bakr Aḥmad Yazdī / Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī: Ādāb iʿārat al-kitāb fī t-turāṯ al-islāmī. Beirut 2005. Zaiyāt, Ḥabīb: Ḫazāʾin al-kutub fī Dimašq wa-ḍawāḥīhā. O.O. 1902. Zeʾevi, Dror: An Ottoman century. The district of Jerusalem in the 1600s. Albany 1996. Zilfi, Madeline (Hrsg.): Women in the Ottoman Empire. Middle Eastern women in the Early Modern era. Leiden 1997. ———: Women and slavery in the late Ottoman Empire. The design of difference. Cambridge 2010. Ziriklī, Ḫair ad-Dīn az-: al-Aʿlām. Qāmūs tarāǧim li-ašhar ar-riǧāl wa-n-nisāʾ min al-ʿarab wa-l-mustaʿribīn wa-l-mustašriqīn, 8 Bde. Beirut 2002. Personenindex

ʿAbbūd, Muṣṭafā (fl. 1253 / 1837) 279 Anṭākī, Dā’ūd al- (gest. 1007 / 1599) 195, ʿAbd al-Laṭīf b. Muḥibb ad-Dīn (966 / 1559 – 333 n. 130 1023 / 1614) 209, 253 n. 416 Aqlūm, Īrīnī bt. Fatḥ Allāh al- (fl. 1668) ʿAbdallāh efendī b. ʿĀkif efendī 361 359 n. 230 Ābī, Manṣūr al- (gest. 421 / 1030) 308 ʿArabī, Muḥammad b. Luṭf Allāh al- (1039 / Abū Ḏahab, Muḥammad Bey (gest. 1189 / 1775) 1629–30 – 1102 / 1690–91) 207 152, 164, 214, 310 Armanī?, Murād Qasīr (fl. 1042 / 1636) Abū Qamīṣ al-Kurdī, Muḥammad (gest. 1164 / 337 n. 144 1751) 75 Ārūṭīn, Anṭūn b. Šukrī 249 Abū Yūsuf (gest. 182 / 798) 129–132, 135 Arūtīn, Familie 340 Aḥmad b. Riḍwān b. Muṣṭafā, Gouverneur Ārūṭīn, Šukrī / Šukr Allāh walad Ḥannā von Ġazza (gest. 1010 / 1601) 311 (fl. 1129 / 1716–17) 249 n. 404 ʿAidarūsī, ʿAbd al-Qādir al- (gest. 1038 / Ašmūnī, ʿAbd al-Fattāḥ al-Azharī al-Miṣrī al- 1628–29) 91 (fl. 1071 / 1661) 255 Åkerblad, Johan David (1763–1819) 160, 188, Ašmūnī, Aḥmad al- 219 193 Ašram, Raǧab al- 365 ʿAkkārī, ʿAbd aṣ-Ṣamad al- (gest. 965 / Aswad aš-Šāfiʿī, ʿAlī b. Saʿd ad-Din b. ʿAlawān 1557–58) 355 bekannt als al- (991 / 1583 – 1074 / 1663–64) ʿAkkārī, Badīʿat az-Zamān bt. ʿAbd aṣ-Ṣamad 256 n. 424 al- 355 Aʿṯam al-Kūfī, Muḥammad b. ʿAlī (gest. ca. ʿAkkāwī, Makārīyūs 195, 198 n. 255 314 / 926) 162 Āl ʿAbd ar-Razzāq, Aḥmad b. Ibrāhīm ʿÂṭıf Muṣṭafā efendi. Siehe Waḥīd, Muṣṭafā (fl. Beginn 13. / 19. Jh.) 205 ʿĀṭif al- ʿAlawān al-Ḥamawī, ʿAlī b. ʿAṭīya (gest. 936 / ʿAṭṭār, ʿAbd al-Ḥamīd b. ʿUmar al- 331 1530) 91, 93, 218 n. 319 ʿAṭṭār, Aḥmad b. Muḥammad al-Ḥamawī al- al-Fāḍil al-Mifḍāl 89 171 n. 147 al-Ḥasan b. Muḥammad b. ʿAlī b. Ḥaidar ʿAṭṭār, Ḥasan al- (gest. 1250 / 1835) 141 (fl. 1257 / 1841) 305 ʿAṭṭār, ʿUmar b. Aḥmad al- (gest. 1155 / ʿAlī al-Kabīr 153 1742–43) 256 ʿAlī, Muḥammad Kurd (1876–1953) 46, Aʿzāzī, Abū l-Ǧūd al- (gest. 968 / 1560–61) 201 209 ʿAlmawī, ʿAbd al-Bāsiṭ al- (907/1502 – 981/ ʿAẓm (Familie) 168–176 1573) 33 ʿAẓm, ʿAbdallāh al- 85, 87, 165 n. 126, 169, ʿAlwānī, Murtaḍā al- 303 173, 176, 203 n. 276, 212 Amāǧūr (Gouverneur von Damaskus 256 / ʿAẓm, Aḥmad Mu’aiyad b. Naṣūḥ al- 870 – 264 / 878) 127, 188 n. 221 (1221 / 1806–07 – 1306 / 1888–89) 67, ʿĀmilī, Aḥmad b. Muḥammad b. Aḥmad b. 325–326, 354 n. 205 Muḥammad al- 303 ʿAẓm, ʿAlī b. ʿAbdallāh al- (gest. um 1285 / Amīn, Oberarzt der muslimischen Ärzte von 1868–69) 93, 99 Damaskus (fl. 1252 / 1836 – 1256 / 1840) ʿAẓm, Asʿad Bāšā al- (gest. 1171 / 1758) 332 139, 145, 166, 169–174, 203 n. 276, 212, ʿĀmirī, Ḫadīǧa bt. Muḥammad b. Ibrāhīm 227, 325 n. 113 al-muqri’ al- (gest. 935 / 1528–29) 355 ʿAẓm, Ismāʿīl Bāšā al- 169, 172 Anṣārī, Ǧamāl ad-Dīn b. Yūsuf b. Zakariyāʾ al- ʿAẓm, Maḥmūd b. Ḫalīl al- (1252 / 1836–37 – (fl. 9. / 15. Jh.) 336 n. 142 1292 / 1875) 325–326 Personenindex 407

ʿAẓm, Muḥammad Bāšā al- (gest. 1197 / 1783) Bazūrī, Maḥmūd b. Ḥasan al- (fl. 877 / 174 1472–73) 266 ʿAẓm, Muḥammad Bāšā al- (gest. 1208 / 1794) Beck, Christian Daniel (1757–1832) 85 n. 113, 169 n. 136 252 n. 413 ʿAẓm, Sulaimān Bāšā al- (gest. 1156 / 1743) Bilbīsī al-Maqdisī, Šams ad-Dīn al- 72 n. 88 85, 132 n. 30, 169, 181 n. 191, 203 n. 276 Bint Qarīmzān [?],Fāṭima bt. ʿAbd al-Qādir b. Muḥammad al-Ḥalabīya al-Ḥanafīya, Bābī bekannt als Ibn al-Bīlūnī, Ḫadīğa bekannt als (878 / 1473–74 – 966 / 1558–59) al-Ḥanafīya bt. Muḥammad b. Ḥasan al- 355 n. 211 (gest. 930 / 1523–24) 355 n. 212 Biqāʿī al-Ḥanafī, Abū l-Baqā’ al- 278 Bacon, Francis (1561–1626) 280 Biqāʿī, Burhān ad-Dīn al- 185 n. 211 Badawī, Aḥmad al- (gest. 675 / 1276) 91 Bloom, Jonathan 5 Bāḏrā’ī, Naǧm ad-Dīn al- (597 / 1200–01 – Blūzānī, Ǧibrā’īl (Patriarch) 197 n. 252 655 / 1257) 167 Bonaparte, Napoleon (1769–1821) 159, 173, Badrānī, Umm al-Hannā bt. Nāṣir ad-Dīn al- 228 n. 342, 281 (gest. 911 / 1505–06) 355 n. 213 Buḫārī an-Naqšbandī, Murād al- (1050 / Baġdādī, ʿAbd al-Laṭīf al- 303 1640–41 – 1132 / 1719–20) 181 Baġdādī, ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAbdallāh al- Buḫārī, ʿAlā’ ad-Dīn al- 202 n. 272 231 Būlād, Anṭūn (1794–1871) 27, 48–51, 57, 58, Baġdādī, ʿAbdallāh al- 230–231 68, 123, 190, 273, 284, 339 Baġdādī, Muḥammad b. Ḫalīl al- (1125 / 1713 – Būlād, Ḥannā 49 n. 10 1173 / 1759–60) 182, 260 n. 433, 280 Burchardt, Hermann (1857–1909) 243 n. 380 Baġdādī, Muḥammad b. Yaʿqūb al-ʿAbdallī al- Burckhardt, Johann Ludwig (1784–1817) (fl. 1225 / 1810) 265 192 Bahrām, al-muqābil bi-dafātir ʿasākir aš-Šām Būrīnī, al-Ḥasan b. Muḥammad al- (963 / (fl. 1010 / 1602) 305 n. 42, 323 1556 – 1024 / 1611) 27 n. 72, 37, 95, 179, 231, Baiḍāwī, ʿAbdallāh b. ʿUmar al- (gest. 716 / 246, 265 n. 450, 268 n. 460, 314, 323, 324, 1316–17) 48n. 7, 154, 190, 212, 220, 283 364 Bailūnī, Fatḥ Allāh al- (977 / 1570 – 1042 / Būsnawī, Muṣṭafā Šams ad-Dīn b. 1632) 322 n. 107 Muḥammad Saʿīd al- (fl. 1269 / 1853) 110, Bairūtī, ʿAlī al- 102 327 Bakrī, ʿAbd ar-Razzāq b. ʿAbd al-Wahhāb al- Buṣrawī, ʿAbdallāh al- (1097 / 1686 – 1170 / (gest. 1198 / 1784) 85 n. 113 1757) 26, 280, 365 Bakrī, Abū l-Ḥasan Aḥmad b. ʿAbdallāh b. Muḥammad al- 114 Chaboçeau, frz. Arzt in Damaskus (fl. zw. 1790 Bakrī, Abū l-Ḥasan al- 10 n. 33 und 1820) 335 n. 138 Balāṭinsī, Taqī ad-Dīn Abū Bakr al- (851 / Churchill, Charles Henry (1807–1869) 190 1447 – 936 / 1529–30) 207 Čitta čī / Ǧittaǧī, ʿAbdallāh bāšā al- (1115 / Baluzius, Stephanus (1630–1718) 332 1703–04 – 1174 / 1760–61) 165 n. 126, 309 Bānī, Aḥmad b. Muḥammad al- (gest. 932 / Clot Bey = Antoine Barthelemy Clot (1793 – 1525–26) 73 n. 91 1868) 186, 285 Banū l-Muḥibb 177 n. 168 Comte de Paris, Louis Philippe d’Orleans Banū Saifā 311 274 Barbar, Ismāʿīl b. Muḥammad aġā al- (fl. 1237 / 1821–22) 309 Dadichi / Dādīḫī, Karl Rali (1694–1734) 345 Barqūq (Sultan, reg. 784 / 1382–791 / 1389 und Daftarī, ʿAlī ad- (gest. 1018 / 1609) 185 792 / 1390–801 / 1399) 240 Daǧǧānī, Aḥmad ad- (gest. 1071 / 1660) 225 Bāʿūnīya, ʿĀ’iša al- (gest. 922 / 1517) 353, Dāġistānī, Maḥmūd b. Saʿīd b. ʿAbd 355 n. 212, 359 ar-Raḥmān ad- 136 n. 39 408 Personenindex

Dāġistānī, Saʿīd b. ʿAbd ar-Raḥmān ad- Ǧabbān, ʿAbdallāh b. Ḫalīl al- 296 136 n. 39 Ǧaġmīnī, Maḥmūd al- 329 Ḏahabī aṣ-ṣaḥḥāf, Muḥammad aḏ- Ǧāḥiẓ, ʿAmr b. Baḥr al- 8, 9 n. 26 259 n. 431 Ġailān, Fīlīp 343 n. 164 Dāmūnī, Muḥammad b. Maḥmūd ad- Ġaiṭī, Naǧm ad-Dīn al- (910 / 1504 – 981 / 1573) (gest. nach 1215 / 1800–01) 99 136 Daqar, Ismāʿīl (?) ad- (fl. 1055 / 1645) 297 Ǧalabī-zāda, ʿĀṣim Ismāʿīl (gest. 1173 / 1760) Daqqāq ad-Dūda, Qāsim b. ʿAlī (gest. um 103, 150 1260 / 1844) 136 n. 39 Ǧamāl ad-Dīn Maḥmūd b. ʿAlī Ustādār Darwīš Raǧab, Arzt und Erzähler (fl. 1860) al-ʿĀlīya al-Malikī aṭ-Ṭāhirī (gest. 799 / 330 1396) 147, 205 Dasūqī, Aḥmad ad- 369 n. 255 Ġamrī, Aḥmad al- (gest. 905 / 1499) 90 Dikdikǧī, Muḥammad b. Ibrāhīm Ibn ad- Ǧānim (amīr kabīr) (gest. 888 / 1483) (gest. 1131 / 1719) 226 n. 336, 369 n. 255 95 n. 137, 266, 320 Dimašqī, Muḥammad b. Ṭāhir ad- (gest. 1165 / Ġarīfī ad-dallāl, ʿAlī al- (fl. 877 / 1472–73) 1751) 318 n. 97 266 Dūmānī, Ḥannā ad- 282 Ǧarkasī, Ġāzī bāšā b. Šāhwār al- (gest. 1071 / 1660) 315 Éche, Youssef 4 n. 5, 8, 135, 181 Ǧarrāʿī, ʿAbd al-Karīm b. Ismāʿīl al- (gest. um 1217 / 1802–03) 182, 369 n. 256 Faḫr ad-Dīn II. al-Maʿn (gest. 1045 / 1635) Ǧarrāʿī, Ismāʿīl al- (fl. 1200 / 1785–86) 182 328 Ǧazā’irī, ʿAbd al-Qādir al- 190 Faḫr, Bāsīlī (fl. um 1800) 196 Ǧazā’irī, Ṭāhir al- (1852–1920) 162 n. 121, Faiḍ Allāh efendī, šaiḫ al-islām (gest. 1115 / 168 1703) 147 n. 68, 358 n. 224 Ġazālī, Abū Ḥāmid al- (gest. 505 / 1111) 119, Falāqinsī, ʿAbd al-Muʿṭī al- 318 212, 233 n. 352, 242, 265, 327 Falāqinsī, Aḥmad al- (gest. 1173 / 1759) 173, Ǧazūlī, Muḥammad b. Sulaimān (gest. 870 / 174, 253 n. 415, 325 1465) 85 Falāqinsī, Fatḥī al- (gest. 1159 / 1746) 171, 173, Ǧazzār, Aḥmad al- (gest. 1219 / 1804) 318 39 n. 110, 90 n. 125, 125 n. 7, 159–164, 165, Falāqinsī, Muḥammad ‛Āṣim al- (gest. 1170 / 173, 188, 190, 194, 228, 241 n. 374 1756–57) 171–174, 227 n. 338, 318, 325 Ġazzī, ʿAbd al-Ġanī al- 134 Falkenstein, Johann Paul von 55, 64 Ġazzī, Badr ad-Dīn al- (904 / 1498–99 – 984 / Faraǧ, maǧḏūb (fl. 9. / 15. Jh.) 336 n. 142 1576–77) 203, 204, 253, 362 Farḥāt, Ǧarmānus (1081 / 1670 – 1145 / 1732) Ġazzī, Kāmil al- 40 191, 192, 195, 213, 339, 345–346 Ġazzī, Muḥammad b. ʿAbd ar-Raḥmān al- Fārḥī, Familie 337, 342 (1096 / 1685 – 1176 / 1762) 226 Fārḥī, Menahem 60, 65, 66 Ġazzī, Muṣṭafā b. Ibrāhīm al-, amīn al-fatwā Fāṭima bt. amīn al-fatwā Aḥmad al-Ḥarastī 299 (fl. 11. / 17.–18. Jh.) 209 Ġazzī, Naǧm ad-Dīn al- (977 / 1570 – 1061 / Fāṭima bt. aš-šaiḫ Ḥiğāzī (fl. 1048 / 1638–39) 1651) 37, 40, 76, 175, 212, 354–355 209, 358 Ġazzī, Šihāb ad-Dīn al- 312 Fattāl, Ḫalīl al- (1117 / 1705–06 – 1186 / 1772–73) Ġazzī, ʿUmar efendī al- 134 268 n. 460 Ġazzī, Zainab bt. Muḥammad b. Muḥammad Fleischer, Heinrich Leberecht (1801–1888) b. Aḥmad aš-Šāfiʿīya al- (910 / 1504–05 – 1, 43–44, 54–56, 58, 60–64, 79–80, 83, 980 / 1572–73) 355 107, 118, 190, 283 Gersdorf, Ernst Gotthelf (1804–1874) 63 Flügel, Gustav (1802–1870) 49 n. 12 Ǧīlānī, ʿAbd al-Qādir al- (gest. 561 / 1166) 92 Frankl, Ludwig August (1810–1894) 198, 342 Ǧildakī, Aidamur al- (gest. 743 / 1342–43) 90 Personenindex 409

Ǧīnīnī al-Ḥanafī, Ibrāhīm b. Sulaimān b. Ḥamawī, Muḥibb ad-Dīn al- (gest. nach 981 / Muḥammad b. ʿAbd al-ʿAzīz al- (gest. 1108 / 1573) 225 1696) 227, 365 n. 242 Ḥamawī, Šākir al- (1121 / 1709–10 – 1193 / 1779) Ginzburg, Carlo 2 96 n. 142, 231 n. 350 Goldziher, Ignaz (1850–1921) 188, 342 Hammer-Purgstall, Josef von (1774–1856) 55 Gottsched, Johann Christoph (1760–1766) Hāmon, Moses (gest. wohl 1554) 333 252 n. 413 Ḥanafī, Darwīš Muḥammad b. ʿAbdallāh al- Gottsched, Luise Adelgunde Victorie (1126 / 1714 – 1171 / 1757–58) 309 (1713–1762) 252 n. 413 Ḥanbalī, ʿAbd al-Laṭīf b. Muḥammad al- (gest. Ǧūḫī, Makkī b. Saʿīd b. Yāsīn al- (gest. 1192 / 1128 / 1716) 226 n. 336 1772) 290 n. 12 Ḫānǧī, Muḥammad Amīn al- 180 Harārī, Yaʿqūb al- (fl. 1840) 341 n. 156 Ḥāʾik aš-Šāmī, ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAbdallāh Ḥarastī, Aḥmad al- (1040 / 1630–31 – 1115 / al- (fl. 1145 / 1733) 136–137 1703–04) 209 Ḥabašī, Muḥyī ad-Dīn al- (fl. 1264 / 1847) Ḥarīrī ar-Rifāʿī, Muḥammad b. ʿUmar al- (gest. 116 1280 / 1863) 72 Ḥabašī, Muḥyī ad-Dīn b. Saʿīd al- 144 Ḥarīrī ar-Rifāʿī, ʿUmar al- (gest. 1280 / 1863) Ḥaddād, Sāmī 348 66–72 Ḫafāǧī, Aḥmad al- (977 / 1569 – 1069 / 1659) Ḥarīrī, Abū Muḥammad al-Qāsim al- (gest. 90 n. 126, 212, 310 516 / 1122) 58, 98, 170, 182, 194, 220, 257, Ḥāfiẓ, Ibrāhīm b. ʿAbbās aš-Šāfiʿī ad-Dimašqī 311, 321 al-Ḫalwatī, bekannt als al- (1110 / 1698–99 – Ḥarīrī, Ḥasan b. Saʿd ad-Dīn al- (fl. 1250) 233 1186 / 1772–73) 170 Ḥarīrī, Muḥammad ʿAlī al- (gest. 645 / 1268) Ḥāǧǧī Ḫalīfa, Muṣṭafā b. ʿAbdallāh (1017 / 70 1609 – 1067 / 1657) 13 n. 43, 155 Ḫarrāṭ, Amīn Ibn al- (gest. 1156 / 1743) Ḫaiḍarī, Quṭb ad-Dīn al- 177 n. 168 279 n. 503, 280 Ḫaiyāt, Amīn al- 136 n. 39 Ḫarrāṭ, Ṣādiq Ibn al- (gest. 1143 / 1730) 179, Ḥalabī, ʿAbd al-Ḫāliq b. Ḥasan b. Raslān al- 200, 239, 280 (fl. 1009 / 1600–01) 368 n. 251 Ḥasan b. Muṣṭafā efendī, kātib ʿarabī Dīwān Ḥalabī, ʿAbdallāh b. Fatḥ Allāh al- (gest. 1161 / aš-Šām (fl. 1129 / 1716–17) 327 1748) 318 n. 97 Ḫaṭīb, ʿAbd al-Ḥamīd 260 n. 434 Ḥalabī, Nur ad-Dīn al- (gest. 1044 / 1635) 82, Ḫaṭṭāb aḍ-Ḍarīr (gest. 968 / 1561) 208 99 n. 147, 212 Ḫātūn (Familie) 161 Ḥalabī, Sulaimān b. Ḫālid b. ʿAbd al-Qādir al- Ḫātūn, Mahdī 161 (gest. 1141 / 1728) 345 n. 168 Hersekzāde Aḥmad Bāšā (1459–1517) Ḫalīl beše Ibn Sulaimān, al-yankiǧarī 345 n. 167 bi-Dimašq 306 Ḥigāwī, Mūsā al- (gest. 960 / 1553) 179 Ḥallāq al-Ḥakawātī, Rašīd b. Muḥammad al- Ḥikmet, ʿĀrif 282 230, 330 Hindī al-Maktabī, Ǧalāl al- (gest. 1007 / 1599) Ḥallāq, ʿAbd al-Ḥamīd b. ʿUmar al- 260 n. 433, 261 n. 441 330 n. 124 Hiob (Prophet) 86 Ḥallāq, ʿAbdallāh b. Ḥasan al- 330 n. 124 Ḥiṣnī, Taqī ad-Dīn al- (1053 / 1643 – 1129 / 1717) Ḥallāq, Hāšim b. Muḥammad ad-Dimašqī 136 n. 39 al- (fl. 1267 / 1851) 330 n. 124 Ḫiyārī, Ibrāhīm al- (1037 / 1628 – 1083 / 1672) Ḥallāq, Muḥyī d-Dīn b. Aḥmad al- (fl. 1244 / 225 1828) 330 n. 124 Ḥunain b. Isḥāq 303 Hamaḏānī, Ismāʿīl b. ʿAbd al-Wahhāb al- (gest. Ḫurram Bāšā Ibn ʿAbd al-Ġaffār (fl. 930 / 1524) 1006 / 1598) 270 89 n. 125 410 Personenindex

Ibn ʿAbd Rabbihī (gest. 328 / 940) 224 Ibn aš-Šamʿa, Muḥammad b. ʿUṯmān (1109 / Ibn Abī Ḥaǧala (gest. 776 / 1375) 77 1698 – 1187 / 1774) 172 Ibn Abī Uṣaibiʿa (gest. 668 / 1270) 184, 326 Ibn aš-Šiḥna, Būrān bt. Muḥammad Aṯīr Ibn ʿĀbidīn, Muḥammad Amīn (1198 / 1784 – ad-Dīn (861 / 1456–57 – 938 / 1531–32) 1252 / 1836) 125, 131, 144, 205, 206 355 n. 211 Ibn Aiyūb al-Anṣārī, Mūsā b. Yūsuf (um 948 / Ibn aš-Šiḥna, Muḥammad (gest. 890 / 1541 – nach 1003 / nach 1595) xiv, 27 n. 1485–86) 86 n. 117 72, 28, 36, 40, 46, 254, 354 Ibn as-Sūqīya, Šākir b. ʿAbdallāh aġā (fl. 1210 / Ibn Aġrībūzī, Aḥmad b. Muḥammad 1795) 320, 322–323, 362, 367 as-Salāmī bekannt als (gest. 1126 / 1714) Ibn as-Suwaidī 304 289–290, 321 Ibn aṭ-Ṭaiyib, Muḥammad (gest. 1170 / Ibn al-ʿAinī, Zain ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān 1756–57) 101 (837 / 1433 – 893 / 1488) 167, 202 n. 272 Ibn Badrūn, ʿAbd al-Malik (fl. 7. / 13. Jh.) Ibn al-Akfānī (gest. 749 / 1348–1349) 92, 116 297 n. 22 Ibn al-Akram, ʿAbd al-Ǧalīl (fl. 1105 / 1693–94) Ibn Barraǧān 11 n. 36 266 Ibn Budair, Aḥmad (gest. nach 1175 / 1762) Ibn al-ʿĀnī, ʿAbd al-Wahhāb (fl. 1093 / 1682) 38, 40, 75, 91, 225, 299–301, 330, 350–352 184 Ibn Duraid, Abū Bakr Muḥammad (223 / 838 – Ibn al-ʿArabī, Muḥyī ad-Dīn (gest. 638 / 1240) 321 / 933) 76, 224 10, 11 n. 36, 81, 90 n. 126, 91, 93, 104, 185, Ibn Faḍl Allāh al-ʿUmarī (gest. 749 / 1349) 247 n. 396, 322, 326 323 Ibn al-Ballāṭ, Sālim bīk b. Yūsuf bekannt als Ibn Faqīh Fiṣṣa, ʿAbd al-Bāqī (1005 / 1596 – (gest. 1090 / 1689) 317 1071 / 1661) 310 n. 61 Ibn al-Bārizī (gest. 738 / 1338) 116 Ibn Ǧaddī aš-Šāfiʿī, Muḥammad b. Aḥmad Ibn al-Fāriḍ (gest. 632 / 1234–35) 81, 91, 93, bekannt als (gest. 1132 / 1719–20) 261 95, 116, 194, 283, 295, 348–349 Ibn Ǧamāʿa, Burhān ad-Dīn 147 Ibn al-Furfūr, Walī ad-Dīn 73 n. 92 Ibn Ġazāla, Muḥammad (gest. 1004 / 1595–96) Ibn al-Ǧundī, ʿAbd ar-Razzāq al-Maʿrāwī 10 n. 33 (1150 / 1640–41 – 1189 / 1775–76) 316–317 Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī (gest. Ibn al-Ḥimṣānī, Ḫalīl b. Muḥammad (gest. 852 / 1449) 177 n. 168, 202, 225 1123 / 1711) 104 Ibn Ḫaldūn 11 n. 36, 208, 324 Ibn al-Hūš, Muḥammad b. al-ḥāǧǧ ʿUṯmān Ibn Ḫallikān, Aḥmad b. Muḥammad (608 / bekannt als 317 1211 – 681 / 1282) 162, 254, 270 n. 468, 324 Ibn al-Kūmuš / Gümüş, Amīn (1136 / Ibn Ḥamza al-Ḥusainī, Maḥmūd b. 1723–24–1200 / 1786) 316, 363 Muḥammad Nasīb (1236 / 1821 – 1305 / Ibn al-Maǧdī (gest. 850 / 1447) 116 1887) 220 Ibn al-Mušidd (gest. 656 / 1258) 93 Ibn Ḥamza al-Ḥusainī, Muḥammad Nasīb Ibn al-Qabbānī, ʿAbdallāh b. Abū Bakr b. (1201 / 1786 – 1265 / 1849) 221 Muṣṭafā (fl. 1187 / 1173–74) 206 Ibn Ḥamza al-Ḥusainī, Muḥammad Salīm b. Ibn al-Qārī, Muḥammad (gest. 1011 / 1602–03) Muḥammad Nasīb (1224 / 1809 – 1301 / 335 1884) 221 Ibn an-Nadīm, Muḥammad b. Isḥāq 162 Ibn Ḥamza al-ʿAǧlānī, Ibrāhīm (gest. 1120 / Ibn an-Naḥḥās, Fatḥ Allāh (gest. 1052 / 1642) 1708) 179, 200 308 Ibn Ḫāqān (gest. 529 / 1134–35 oder 535 / Ibn ʿĀqil, Aḥmad 162 1140–41) 172 Ibn aš-Šamʿa, ʿAlī b. Muḥammad b. ʿUṯmān Ibn Ḥiǧǧa al-Ḥamawī, Taqī ad-Dīn (767 / (1158 / 1745–46 – 1219 / 1804–05) 172 1366 – 837 / 1433) 224, 297 n. 22 Personenindex 411

Ibn Kannān aṣ-Ṣāliḥī, Muḥammad b. ʿĪsā Ibn Šuqaiqa al-Ḥanafī, ʿAbd ar-Raḥīm b. (1074 / 1663–64 – 1153 / 1740) 37, 40, 46, Muṣṭafā, bekannt als (1083 / 1672–73 – 99, 178, 180, 200, 244 n. 383, 248, 270, 1173 / 1759–60) 354 n. 206 287, 309, 365 Ibn Tāǧ ad-Dīn, ʿAbd al-Wahhāb 75 Ibn Kūlūh, Asʿad (gest. 1194 / 1780) 30 Ibn Taimīya, Aḥmad (gest. 728 / 1328) 91, Ibn Manǧak, ʿAbd al-Laṭīf (gest. 991 / 1583) 323 37, 308 Ibn Ṭālū, Darwīs (950 / 1543 – 1014 / 1606) Ibn Mibrad, Yūsuf Ibn ʿAbd al-Hādī (840 / 93, 99, 246–247, 251, 364 1436 – 909 / 1503) 176, 178, 208, 269 Ibn Ṭauq, Aḥmad (843 / 1430 – 915 / 1509) Ibn Mufliḥ, Akmal ad-Dīn (930 / 1524 – 1011 / 244–245, 254 n. 418, 266, 320 1603) 354 Ibn Ṭūlūn aṣ-Ṣāliḥī, Šams ad-Dīn Muḥammad Ibn Munqiḏ, Usāma (480 / 1095 – 584 / 1188) (gest. 953 / 1546) 36, 79, 81, 89 n. 125, 307, 315 95, 167, 177–178, 199, 201–202, 204, 208, Ibn Muqla 309 223 n. 330, 255–256, 268–269, 274, 276, Ibn Nubāta, ʿAbd ar-Raḥīm b. Muḥammad 278, 349, 360, 365 n. 241 al-Ḥuḏāqī al-Fāriqī (335 / 946–47 – 374 / Ibn Tūmart 304 984–85) 24 Ibn Zaidūn 322 Ibn Nubāta, Muḥammad (686 / 1287 – 768 / Ibn Zakaryāʾ al-Anṣārī, Šaraf ad-Dīn b. Zain 1366) 168, 174 n. 159, 204, 224, 297 n. 22, al-ʿĀbidīn b. Muḥyī d-Dīn (um 1030 / 322 1620–21 – 1092 / 1681) 297–299 Ibn Nubāta, Ṭāhir b. Muḥammad b. ʿAbd Ibn Zuraiq, Nāṣir ad-Dīn 177 n. 168 ar-Raḥīm b. Muḥammad (4.–5. Jh. AH) Ibn Zuraiq, Šihāb ad-Dīn (gest. 891 / 1486) 24 177 n. 168 Ibn Nuǧaim (gest. 970 / 1563) 206 Ibšādī, ʿAlī al- (fl. 919 / 1513) 139 n. 43 Ibn Qāḍī ʿAǧlūn, Taqī ad-Dīn (841 / 1437–38 – ʿImādī, ʿAbd ar-Raḥmān al- (gest. 1051 / 1641) 928 / 1522) 73 n. 92, 185 n. 211, 245–246, 225 254 n. 418, 266 ʿImādī, Ḥāmid al- (1103 / 1692 – 1171 / 1758) Ibn Qāḍī Šuhba, Taqī ad-Dīn (779 / 1377 – 201, 365 n. 242 851 / 1448) 219 Isḥāq Ǧelebī (gest. 944 / 1537–38) 208 Ibn Qanbaq, ʿAlī b. Ḥasan al-Ḥamawī bekannt Islāmbūlī, Šaḥāda (Kanzler des preußischen als (1065 / 1654–55 – 1152 / 1740) 318 n. 97 Konsuls) 59, 68, 69 Ibn Qutaiba (213 / 828 – 276 / 889) 76 ʿIšš, Muḥammad b. Saʿīd Ṣādiq al- 145 Ibn Quṭlūbuġā (gest. 879 / 1474) 87 Ibn Sabʿīn 11 n. 36, 322 Joseph (Prophet) 86 Ibn Šāhīn, Aḥmad (995 / 1587 – 1053 / Josephus, Flavius (etwa 37–100) 194 1643–44) 90 n. 126, 93, 308, 310, 312–314, 317 Kaḥḥāl, Ḥamza al- (gest. 1860) 303 Ibn Saʿīd al-Maġribī (gest. 673 / 1274–75 oder Kaḥḥāl, Ḥasan Wahba al- (fl. zw. 1245 / 1829 685 / 1286–87) 172 und 1275 / 1858) 304 n. 37 Ibn Sīnā / Avicenna (gest. 428 / 1037) 24, Kanǧī, Muḥammad al- 39 224, 297 n. 22, 282, 329, 332 Kāšġarī at-Turfānī al-Bakrī, ʿAbd al-Muḥsin Ibn Sūdūn, Nūr ad-Dīn ‘Alī (gest. 868 / al- 100 1463–64) 119 Katāfāgo, Louis 249 n. 403 Ibn Sulṭān aṣ-Ṣāliḥī, Zain ad-Dīn ʿUmar (gest. Kātibī, Muḥammad al-Muftī al- 997 / 1588–89) 363 (fl. 1850) 276 Ibn Sulṭān, ʿAbd ar-Raḥmān aġā (fl. 1238 / Kīlānī, Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir al- (gest. 1822) 279 1184 / 1770) 85 n. 113 412 Personenindex

Kīlānīya, Umm al-Ḫair al- (Mutter von Māmayah ar-Rūmī (gest. 987 oder 988 / Aḥmad Mu’aiyad al-ʿAẓm) 326, 1579–81) 93, 99, 308, 310, 312 354 n. 205 Manǧak al-Yūsufī (gest. 1080 / 1669–70) 308 Kinānī al-Ḥanbalī, Mūsā al- 177 Manīnī, ʿAbd ar-Raḥmān al- (fl. 1151 / 1738) Kīwānī, Aḥmad bīk b. Ḥusain bāšā al- 181 (gest. 1173 / 1759–60) 309, 315 n. 86 Manq, ʿAlī b. Bālī (gest. 992 / 1584–85) 87 Kratschkowski, Ignaz 190 Maqqarī, Aḥmad al- (gest. 1041 / 1631–32) Kremer, Alfred von (1828–1889) 94, 168, 176, 85, 101, 104, 114, 171 n. 147, 255, 312–314 183–184, 220, 271, 276, 283, 348, 361 Maqrīzī, Aḥmad b. ʿAlī al- (gest. 855 / 1442) Kurdī al-Baġdādī, ʿAbdallāh al- (gest. ca. 1003 / 162 1594–95) 10 Marġīnānī, ʿAlī b. Abī Bakr al- (530 / 1135 – Kurdī, Ḥasan al- (gest. 1048 / 1638–39) 209 593 / 1197) 126 n. 10, 130, 135 Kurdī, Ilyās b. Ibrāhīm al- (1047 / 1637–38 – Mencke, Johann Burkhard (1674–1732) 1138 / 1726) 9, 10, 133 n. 30, 145, 182 252 n. 413 Kurdī, Ṭāhā al- (1136 / 1723–24 – 1214 / Meryon, Charles Lewis (1783–1877) 160, 193, 1799–1800) 30 196 Kurdī, ʿUṯmān al- 141 Midḥat Bāšā, Aḥmad Šafīq (1238 / 1822 – 1301 / Kutubī, Karīm ad-Dīn ʿAbd al-Karīm al- 1884) 168, 180 (muḥtasib al-kutubīyīn) 264 n. 447 Mihmandārī, Aḥmad al- 290 n. 12 Mišāqa, Mīḫā’īl (1800–1888) 49 n. 12, 175, Landberg, Carlo (1848–1924) 120 242, 285, 303–304, 329 Linyāduh, Rūfā’īl b. Isḥāq (fl. 1228 / 1813 – Monconys, Balthasar de (1611–1665) 275, 341 1243 / 1828) 346 Mu’aiyadī (Familie) 67 Lizbūnā, Familie 341 Muḫallalātī, Muḥammad al- 279 Lizbūnā, Me’īr 344 Muḫallalātī, ʿAbd ar-Raḥīm b. ʿAlī al- (1101 / 1629 – 30–1140 / 1727–28) 279 Maʿarrī, Abū l-ʿAlā’ al- (gest. 449 / 1057) 93, Muḥammad aġā b. Maḥmūd aġā dizdār qalʿat 99, 116, 324 Ḥalab (gest. 1087 / 1676) 317 Maġribī al-Ḥanbalī, ʿAbd ar-Raḥmān b. Muḥammad aġā ustāḏ ʿAin at-Tīna Muḥammad al- (gest. 1180 / 1766) 369 n. 256 85 n. 113 Muḥammad ʿAlī 281 Maġribī, Samau’al al- 304 Muḥammad Amīn b. Šaʿbān aġā (fl. 1241 / Maḥāsinī (Familie) 237–240 1825) 321 Maḥāsinī, Aḥmad b. Sulaimān al- (1095 / Muḥammad b. Fairūz 206 1683 – 1146 / 1734) 239 Muḥammad bāšā b. Kurd Bairam 322 Maḥāsinī, Ismāʿīl b. Tāǧ ad-Dīn al- (gest. 1102 / Muḥammad Šarīf Bāšā 327 1691) 237, 278 Muḥibbī, Amīn al- (gest. 1111 / 1699) 32, 37, Maḥāsinī, Muḥammad Saʿīd al- (gest. 1169 / 39, 40, 90 n. 126, 99, 120, 175, 185, 207, 1756) 239 212, 310, 311, 314, 321, 356 n. 214 Maḥāsinī, Sulaimān b. Aḥmad al- (1139 / Muʿīna, Fāṭima bt. Mūsā b. al- (fl. 1215 / 1800) 1726–27 – 1189 / 1775) 73 n. 93, 239 361, 367 Maidānī, Aḥmad al- (fl. 1897) 243 Mulsow, Martin 2 Maimonides 346 Munaǧǧid, Ṣalāḥ ad-Dīn al- 6, 169 Maktabī, Muḥammad al- (fl. 1152 / 1739–40) Murād Bāšā (976 / 1658 Gouverneur von 260 n. 433, 280 Damaskus) 351 n. 186 Maktabī, Muḥammad b. aš-šaiḫ al- (fl. 1095 / Murādī, Ḫalīl al- (1173 / 1759–60 – 1206 / 1791) 1684) 260 n. 433 39, 46, 97, 150, 181, 199, 212, 248, 317, Mālikī, Abū l-Fatḥ al- 312 362–363 Personenindex 413

Muṣṭafā aġā b. Ḫiḍrī aġā, ehem. aġā d. Oppenheim, Max von 242 Damaszener Janitscharen 316 Ott, Claudia 117 n. 185

Nābulusī (Familie) 217–218, 237, 248 Paton, Andrew Archibald 153, 156, 202, 206, Nābulusī, ʿAbd al-Ǧalīl an- (1184 / 1770–71 – 275 1252 / 1836) 99, 108, 219 n. 319 Petermann, Julius Heinrich (1801–1876) 54, Nābulusī, ʿAbd al-Ġanī an- (1050 / 1641 – 1143 / 94, 198, 201 n. 266, 341 1731) 9, 77 n. 104, 90 n. 126, 93, 99, 100 Porter, Josias Leslie (1823–1889) 167, 235, 271 n. 148, 179, 212, 218, 236–237, 244 n. 383, Preston, Theodore 58, 68, 71, 123 247–248, 251–252, 256, 278, 287, 295, Prym, Eugen (1843–1913) 261 315–316, 322, 324, 326 Pückler-Muskau, Hermann von (1785–1871) Nābulusī, Ismāʿīl b. ʿAbd al-Ġanī an- (1017 / 186 1609 – 1062 / 1652) 268 n. 460 Nābulusī, Ismāʿīl b. ʿAbd al-Ġanī an- (fl. 12. / Qāḍī-zāda, Ǧamāl ad-Dīn 361 18. Jh.) 217 Qaiṭās b. ʿAbdallāh (fl. 1076 / 1665) 234, 344 Nābulusī, Ismāʿīl b. Aḥmad an- (937 / Qārī, ʿAbd ar-Raḥmān al- 264 1530–31 – 993 / 1585) 103, 257–258 Qārī, ʿUmar b. Muḥammad b. al- (958 / Nābulusī, Muḥammad b. Farrūḫ an- (gest. 1551 – 1046 / 1636) 314 1048 / 1638) 311 Qāšiqǧī at-Turkumānī al-Ḫalwatī, Mūsā Nābulusī, Muḥammad Rašīd Ibn an- (fl. 1251 / bekannt als al- 365 1835) 219 n. 319 Qauwāf, ʿAbd al-Ḫāliq al- (fl. 13. / 19. Jh.) Nābulusī, Muḥammad Ṭāhir b. Ismāʿīl b. ʿAbd 216 al-Ġanī an- (fl. 12. / 18. Jh.) 217 Qauwāf, Ḥāmid b. Aḥmad aġā al- (fl. 1219 / Nābulusī, Muṣṭafā b. Ismāʿīl b. ʿAbd al-Ġanī 1804) 215 an- (fl. 12. / 18. Jh.) 217 Qazwīnī, Zakariyā’ al- (gest. 682 / 1283) 86, Nābulusī, Šākir an- 49 n. 12 224 Nābulusī, Yūsuf an- 218 Qīnālī-zāda, ʿAlī b. Amr Allāh al-Ḥamīdī Nafīs b. ʿIwaḍ (gest. 853 / 1449–50) 330 ar-Rūmī, bekannt als (916 / 1510 – 979 / Naqīb-zāda ar-Ruhāwī, Ibrāhīm, bekannt als 1571) 103, 254 (fl. 1197 / 1783) 145 Quatremère, Étienne (1782–1857) 4 Naqšbandī, Ḫālid an- (gest. 1242 / 1827) Qubruṣī ṯumma Iskandarānī, ʿAlī b. ʿAlī al- 100 n. 149, 120, 129, 130 n. 23, 133–135, 305 n. 42, 321 n. 102 138, 215, 220, 250 Qūnyalī, ʿUmar efendī al- 176 Nāṣirī al-Ǧundī al-ʿAntarī, Muḥammad an- Qusṭanṭīnī bekannt als Zahrāb, Ḥusain b. 230 ʿAbdallāh al- (gest. 1170er / 1750er–60er) Naudé, Gabriel (1600–1653) 203 237 Naufal, Familie 337 Qūṣūnī, Madyan al- (969 / 1562 – nach 1044 / Naufal, Naufal b. Ǧirǧis b. Mīḫā’īl b. Manṣūr 1634) 16 (fl. 1740) 339 Naufal, Naufal b. Niʿmat Allāh (1812–1887) Rabbāṭ, Aḥmad ar- (fl. 1199 / 1784 – 1254 / 339 1838) 89, 92, 94–95, 117, 228–233, 235, Naẓmī-zāda (gest. zw. 1133 / 1720–21 und 1136 / 299, 304, 320, 344, 348, 361, 366 1723–24) 120 Rabbāṭ, Muḥammad b. Aḥmad ar- 233 Niʿma, Dragoman des holländischen Raǧab Bāšā, Gouverneur von Damaskus 183 Konsulats (fl. 1753) 339 Rāġıb Bāšā (gest. 1176 / 1763) 209 Nūr ad-Dīn Maḥmūd Ibn Zangī, al-Malik Raiyis, al-mu’aḏḏin Muṣṭafā ar- 104 al-ʿĀdil 265 Ramlī, Ǧalāl ad-Dīn ar- (gest. 1000 / 1591–92) Nuṣair b. Yaḥyā 130 261 414 Personenindex

Rāzī, Faḫr ad-Dīn ar- (gest. 606 / 1210) 225 šamāširǧī, Aḥmad aġā b. ʿAbdallāh aġā aš- Rāzī, Zain ad-Dīn ar- 323 (fl. 1248 / 1832) 321 Reiske, Johann Jacob (1716–1774) 252 n. 413 Šaqīrkān, Muḥammad b. ʿAbd al-Laṭīf Rifāʿī, Aḥmad b. ʿAlī b. Yaḥyā ar- (gest. 578 / bekannt als (1018 / 1609–10 – 1072 / 1182) 91 1661–62) 268 n. 460 Rifāʿī, ʿUmar ar- (Verkäufer der Refaiya) 51, Šaʿrānī, ʿAbd al-Wahhāb aš- (gest 973 / 52–54, 56, 59–60, 62, 64, 66–72, 76, 87, 1565–66) 91, 136, 327 91, 106, 111, 112–118 Šarāyibī (Familie) 291 Rogers, Edward Thomas (1831–1884) Šaṭṭī, ʿAbd al-Qādir b. Aḥmad aš- (fl. 1282 / 188 n. 221, 243, 276 1865) 182 Rogers, Mary Eliza (1828–1910) 243, 244, Sayyid, Ayman Fouad 8 268, 272, 273, 275, 276 Sbānū, ʿAbd al-Qādir (fl. 1262 / 1846) Rūmī, ʿAbd ar-Razzāq b. Ḫalīl b. Ǧunaid ar- 292 n. 15 (fl. 12. / 18. Jh.) 208 Schimmel, Annemarie 5 Rūmī, Ḥusain b. Iskandar ar- 268 n. 460 Schultz, Stephan (1714–1776) 339 Rūmī, Sifr b. Ǧamāl ad-Dīn ar- 363 n. 237 Seetzen, Ulrich-Jasper (1767–1811) 120, 152, Russell, Alexander und Patrick 6 n. 14, 155, 155, 174, 192, 197, 249, 261, 274 n. 484, 282, 291, 299, 302, 309, 315, 329, 330, 332, 288, 298, 340 335 n. 139 Sirhindī, Aḥmad (gest. 1642) 100 n. 148 Širwānī, Abū Bakr b. Rustam aš- (gest. 1135 / Ṣā’iġ, Niqūlā aṣ- (1103 / 1692 – 179 / 1752) 1723) 104, 305 n. 42, 330 195 Socin, Albert (1844–1899) 261, 272, 274 Ṣā’iġ, Šihāb ad-Dīn b. Sirāǧ ad-Dīn aṣ- (945 / Sprenger, Aloys 49, 77, 94, 120 1538–39 – 1036 / 1626–27) 356 Stambulī (Familie) 198, 342 Šāḏilī, ʿAlī b. Wafā’ aš- (761 / 1360 – 807 / Stanhope, Hester Lucy (1776–1839) 160, 193, 1404–05) 326 352 Ṣafadī, Ḫalīl b. Aibak aṣ- (696 / 1296 – 764 / Storchmann, Sigismund (1731–1797) 1363) 115, 254 n. 418, 257 284 Ṣaffūrī, Aḥmad aṣ- 136 n. 39 Su’ālātī, Ibrāhīm b. ʿAbd ar-Raḥmān as- (gest. Šāfiʿī, ʿAlī b. ʿImād ad-Dīn aš- (fl. 10. / 16. Jh.) 1095 / 1684) 210 n. 307, 310 n. 62, 357 179 Subkī, Tāǧ ad-Dīn as- (gest. 771 / 1370) 200, šāhbandar, ʿAbd ar-Raḥmān aš- (fl. 1254 / 1838 206, 298 293 n. 18 Subkī, Taqī ad-Dīn as- (gest. 756 / 1355) šāhbandar, Muḥammad Ṣāliḥ b. ʿAbd 142 n. 50 ar-Raḥmān aš- (fl. 1281 / 1864–65) Suhrawardī, Ḍiyā’ ad-Dīn as- (gest. 563 / 1168) 293 n. 18 181 Šāhīn (Emir, Vater von Aḥmad b. Šāhīn) 313, Šukrī al-Ḥalabī, Arsānīyūs 249 314, 317 Sukūnī, Aḥmad (gest. 1102 / 1690–91) 309 Ṣaḫr, Muhannā 332 Ṣūlī, aṣ- (gest. 335 / 946) 95 n. 137 Šaibānī, Muḥammad aš- (gest. 189 / 805) Ṣunburī, Muḥammad aṣ- (gest. 815 / 1412–13) 129–132, 135 115, 119 Saʿīd b. Hibat Allāh 303 Šuwaikī al-Ḥanbalī, Šihāb ad-Dīn Aḥmad aš- Ṣaiyādī, Abū l-Hudā aṣ- (1850–1909) 67–68, (gest. 1006 / 1597–98) 258 n. 427 70, 159 Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn as- (gest. 911 / 1505) 9, Šalabī, Aḥmad Ibn aš- (gest. 1021 / 1612) 77, 86 n. 118, 98, 103, 205, 212, 256 n. 424, 131 n. 27 326 Ṣalāḥī, Muṣṭafā b. ʿAbd al-Wahhāb aṣ- (gest. Suyūṭī, Muṣṭafā as- (1165 / 1751–52 – 1243 / 1265 / 1849) 108, 358 n. 227 1827) 369 n. 256 Personenindex 415

Ṯaʿālibī, Abū Manṣūr aṯ- (350 / 961 – 429 / ʿUmāra al-Yamanī (gest. 569 / 1174) 225 1038) 8, 9 n. 25, 171, 173 n. 151, 224–225 ʿUmarī, Abū Bakr b. Manṣūr b. Barakāt al- Ṭabarī, Muḥammad b. Ǧarīr aṭ- (224 / (gest. 1048 / 1638) 225, 257, 294 n. 19 839–310 / 923) 224 ʿUmarī, Muṣṭafā b. Muḥammad Ṣādiq al- Ṭabbāḫ, Rāġib aṭ- (1293 / 1877 – 1370 / 1951) (fl. 1296 / 1879) 217 n. 318 40, 143, 157 ʿUmarī, Šams ad-Dīn al- 185 n. 211 Ṯābit, Niʿmat Allāh (fl. 1848) 77 n. 106 Umm al-Fiṭna, Zubaida (Zübeyde) bt. Asʿad b. Ṭāhā-zāda, Aḥmad efendī bekannt als Ismāʿīl, genannt 356 al-Ǧalabī (etwa 1110 / 1699 – 1177 / 1763–64) ʿUrḍī, Abū l-Wafā’ b. ʿUmar al- (993 / 155, 158, 202 1585–1081 / 1670) 90 n. 120 Ṭalā’iʿ b. Ruzzīk (amt. 549 / 1154 – 559 / 1164) ʿUrḍī aš-Šāfiʿī, Muṣṭafā b. Muḥammad b. 264 Aḥmad al- (fl. 1272 / 1855–56) 268 Ṭālawī, Muḥammad Anīs aṭ- (fl. 1290 / 1873) ʿUṣfūrī, Abū Bakr al- (gest. 1103 / 1691–92) 273 116, 308 Ṭalḥa (Prophetengenosse) 130 Usṭuwānī, ʿAbd al-Qādir b. ʿAbdallāh al- Tamīmī, Taqī ad-Dīn at- (gest. 1010 / 1601–02) (1249 / 1833–34 – 1314 / 1896–97) 110, 162 259 n. 432, 285 Ṭanas, Muḥammad bekannt als aṭ- 331 Usṭuwānī, Faḍl Allāh al- 317 n. 93 Taqī, Raslān b. Ḥāmid at- (1241 / 1825–26 – Usṭuwānī, Muḥammad Amīn al- (gest. 1253 / 1303 / 1886) 304 1837) 217 n. 318, 279 Ṭarābulusī, Ibrāhīm b. Mūsā aṭ- (853 / 1449 – Usṭuwānī, Muḥammad Saʿīd al- (1238 / 922 / 1516) 131 1822 – 1305 / 1888) 217 n. 318, 279 n. 503 tarǧumān, Aḥmad ǧalabī b. Muḥammad ʿUṭaifī, Fāṭima bt. Ramaḍān b. Mūsā al- ǧalabī at- 316–317 209 Ṭarrāzī, Fīlīb Dī 8, 161 n. 119, 189 ʿUṭaifī, Laṭīfa bt. Mūsā al- 306 Ṭarsūsī, Ibrāhīm b. ʿAlī aṭ- (721 / 1321 – 758 / ʿUṭaifī, Ramaḍān b. Mūsā al- (1019 / 1610 – 1357) 131 n. 27 1095 / 1684) 168, 209, 221–227, 253 n. 416, Ṭāšköprü-zāde, Aḥmad b. Muṣṭafā (gest. 968 / 305–306, 357 1560–61) 87, 175 Ṭāšköprü-zāde, Kamāl ad-Dīn 179 Volney, Constanton François Chasseboeuf Ṭauq b. Saif 145 n. 64 Comte de (1757–1820) 160, 194 Ṭawāqī, Muḥammad b. Aḥmad b. Yūsuf aṭ- (fl. 1108 / 1696–97 – 1135 / 1722–23) 307 Waḥīd, Muṣṭafā ʿĀṭif al- 150 n. 77, 249 n. 399 Ṭībī, ʿAbd ar-Raḥmān aṭ- (gest. 1278 / 1861) Waḥīd, ʿUmar b. Muṣṭafā al- 150 n. 77, 277 249 n. 399 Ṭībī, Maḥmūd b. ʿAlī aṭ- 277 Waṭwāṭ, Rašīd ad-Dīn al- 324 Ṭībī, Muḥammad b. ʿAlī aṭ- 277 Wetzstein, Johann Gottfried (1815–1905) xiv, Ṭībī, Šihāb ad-Dīn Aḥmad aṭ- (gest. 994 / 1, 17, 43, 44, 107, 190 1585) 73 n. 90 Tuchhandel 48, 65 Ṭībī-zāda, Salīm (fl. 1263 / 1848) 169 Tischendorf, Constantin von 47 Yāziǧī, ʿAbd al-Ḥalīm al- 305 n. 42, 323 Tūqātī, Luṭfī at- (gest. 904 / 1498) 335 n. 136 Turkumānī, Ḥusain b. Mūsā bāšā at- (gest. Zabīdī, Murtaḍā az- (1145 / 1732 – 1205 / 1791) 1132 / 1719–20) 309 104, 154, 165 n. 125, 310, 322 n. 107 Turkumānī, Muḥammad al-Amīn b. Zāḫir, ʿAbdallāh 250, 283 n. 518 Muḥammad b. al-munlā Sālim b. Walī Zain, Aḥmad ʿĀrif az- 161 n. 119 ad-Dīn at- (fl. 1150 / 1738) 137 Zaitūna, Amīn (geb. 1237 / 1821–22) 261, Turkumānī, Muḥammad b. al-munlā Sālim b. 265 n. 450, 274, 284 Walī ad-Dīn at- (fl. 1145 / 1733) 136–137 Zaitūna, ʿUmar (geb. 1218 / 1803) 304 416 Personenindex

Zakarīyā’ al-Anṣārī (gest. 926 / 1520) 92, 98, Zubādī, Muḥammad b. ʿAbd al-Qādir az- 103, 298 (fl. 1141 / 1728–29) 293, 295 Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar az- (gest. 538 / Zuhrā / Zuhrāwī (Familie) 303 1143–44) 104, 179, 212, 224 Zurzūr, Zāhid b. Aḥmad az- (fl. 1265 / 1849) Zamalkānī, Muḥammad b. Aḥmad az- 86 294 Sachindex

1001 Nacht 233, 301 n. 29, 274 n. 484 Bibliothekar 85, 142, 149, 167, 170, 172, 176–178, 180–181, 199–202, 204, 207, 211, adab 81, 95 n. 138, 115–117, 149, 175, 224, 293, 219, 228 308, 310, 312, 317–318, 326, 332, 348 Gehalt 170, 180, 203 aġā 293 n. 18 Bücherschrank 56, 156, 240, 246 n. 394, ahl al-ḫibra 278 251 aiyām al-ʿarab 224 Bücherverbrennung 11, 161, 190 Alchemie 90, 211, 310, 341 in Nachlässen 85 n. 113, 345 n. 167 Aleppo-Zimmer 121 in Nachlassregistern 13, 32, 73, 75, 89, al-Ǧamʿīya as-Sūrīya li-l-Funūn wa-l-Ādāb 100, 130 n. 22, 169, 316–317, 329, 356 77 Kataloge 13, 57 n. 30, 157, 174 n. 161, 184, Alphabetisierung 288 190, 192 Alter 305 maktaba (Begriff) 150, 248–251 Ambrosiana 249 muġaiyir (Ausleiher) 206 amīn al-fatwā 299, 358 n. 224 Notverkauf 73, 228 Analphabetismus 30, 133, 165, 288, 315, 329 Stiftung 52 bei Ärzten 329 Stiftungsurkunden 14 arbāb al-ʿamā’im 48 unabhängiger Bibliotheksbau 148 Ärzte 282, 333, 336 Buchbinder 269, 271–272, 274 n. 484, 276 Analphabetismus 329 Buchhandel 46, 95, 152, 180, 255 Augenärzte 303, 332 Buchhändler 25, 48, 60, 253, 257, 259, Chirurgen 329, 332 260 n. 433, 261, 263, 264, 268, 269, christliche 187 272, 273, 274 n. 483, 275, 278, 280, europäische 155, 335 284 n. 524 ʿaskarī-Klasse 305 verkaufen nicht an Ungläubige audaʿtu-Vermerke 233 272 n. 474 Augsburger Allgemeine Zeitung 64, 69 Buchmarkt 44, 60, 76, 117, 257–277, 338 Ausleihe (privat) 48 n. 7, 254, 299, 362–369 muḥtasib al-kutubīyīn 264 Verkauf an Ausländer 60, 152 Barbier (ḥallāq) 38, 235, 299, 301, 329–330, Büchsenmacher (banādiqī) 293 332 Būlāq (Druckerpresse) 281, 284–285 Besatzung Ägyptens durch Franzosen 234, 281 Christenviertel von Damaskus Syriens durch Ägypten 275, 282, 285, Buchläden darin 273 327 Cloetta und Schwarz (Spedition) 62 Bibliotheken Aufseher 43, 46–47, 126, 132, 137, 145, daftardār 150 n. 77, 171, 185, 318, 323–324 154, 157, 168 n. 135, 169, 173, 176, 179, dallāl 257, 259, 260, 261, 263, 265, 266, 274, 185, 200, 202, 204–205, 207, 209, 211, 226, 276 228 Diebstahl 47 n. 6, 51 n. 18, 72, 154 Ausleihe 137, 179, 192, 200–201; 204 n. 281, Drogist (ʿaṭṭār) 294 205 nn. 284, 287, 289; 206–207, 233–234, Drucke 192, 342–343 291, 327, 338, 362, 366, 373 Drusen 61, 65, 89, 190, 302, 304, 319 Bibliothek von Alexandria 11 n. 36 Dubletten 119, 148 n. 73, 298 418 Sachindex

Efendī 69 Militärs 40 Erbe 217 n. 316, 277–279, 298, 329, 361 Minderheiten, religiöse 40, 143 Erzähler (ḥakawātī) 114, 228, 231, 234, Christen 59, 102, 114, 160, 188–198 292 n. 16, 330, 344 Juden 59, 198 Estrangelo 176 Kleideredikte 334 Konversion 313 n. 74, 333 n. 131, 335 Fotografien 242 Mongolen 166 Frauen 40, 210–211 muǧāwara 102 Münze 337 Geheimschrift 234 n. 357, 321, 344 n. 166, 362 Nachlässe, Versteigerung 266, 278, 320, 322, Geheimwissenschaften 341 338, 372 Nachlassregister 15 Händler 40, 102, 118, 293, 296–297, 299 Nahḍa 14, 102, 337 Häretiker, Verbot ihrer Bücher 256 Naturwissenschaften 48, 81, 102, 116, 278, ḫazīna-kātibī 323–324 285, 332, 348 Hebräisch 333, 341 Medizin 115, 119, 170, 175, 194, 195, hebräische Druckerei (Damaskus) 282 n. 511 210 n. 307, 211, 230, 278, 285, 286, 295, Herrmann und Sohn, Handelshaus 304, 317, 330, 332, 333, 339, 346, 348, (Bischofswerda) 60, 63, 65, 66 n. 62 356, 359, 360 ḫizānat Zain ad-Dīn Ibn al-ʿAinī 167 Zoologie 175, 211 Niedergang 14–15, 17, 107, 143, 244, 275 Illuminator (muḏahhib) 349 Import von Büchern 122 Onomastik 289 Inǧu’iden (Dynastie) 224 istinsāḫ 254 Pater Thomas (Ermordung) 341 n. 156 Patriarchat von Antiochia, Bibliothek 190, Jacquard-Webstuhl 49 197, 214 n. 312 Janitscharen 171, 305 n. 42, 306, 309, 312, 316, persische Literatur 89 n. 124, 119, 121, 158, 324 175, 339–340, 356 Primärschulen 289 Kabbala 341 Propaganda-Presse 190 n. 231, 197 n. 252, Kaffeehaus 96–97, 231, 234, 288, 350, 373 343 Karšūnī 192, 195, 333, 338–339 Prophetenbiographie 114, 117, 254 n. 418 Kartographie 333 n. 131 Prophetenmedizin 119, 175 Krankenhäuser 187 Prostitution 350–351 Krimkrieg 60 kutubīya 243–246, 251 qassām 278 qaṣṣāṣ 114 Leihbibliotheken 116, 118, 299, 301, 320, 327, 344 Rechtsschulen 89 Lesen, als Medizin 329 Refaïya Lithographie 284 Alter des Bestandes 110, 113 Bezahlung 65–66 Madrasa 215 Namengebung 62 Kritik 143 Umfang der Sammlung 105–107 maǧmūʿ 121, 174 Rezeption europäischer Literatur 48, 102, Massaker von 1860 28, 50, 190, 303, 338–339 195–196, 284–285 Zerstörung christlicher Bibliotheken 189 Rhetorik 295 Sachindex 419

šābb 305 Überlieferungsvermerke 29, 38 n. 109 šāhbandar 293 Übersetzungen 48, 58, 102, 195–196, Schia 40, 89 n. 124, 162, 303 284–285, 332, 333 n. 131 sīra 94–96, 114, 231, 276, 305, 320 Umayyadenmoschee 185 1001 Nacht 95, 114, 320 Brand von 1893 184–185 al-Ward fī l-akmām 114 Ġazwat al-ʿankabūt 95 Verfluchung 134, 320, 343–344, 362, 367 Ġazwat al-Ḥaǧǧāǧ 95 Volksbibliothek (in Europa und Nordamerika) Ḥikāyat Qamar az-Zamān wa-Šams 235 az-Zamān 346 Kitāb Futūḥ al-ḥuṣūn 95 waqf Qiṣṣat al-Ḥaifā 320 Bargeld 127, 130 n. 23 Qiṣṣat Banī Allāh Bulūqīyā wa-Dānyāl christlich 195 wa-Ǧāmās 320 Familienstiftung 57, 124, 141–142, 146, Saif Ḏī Yazan 117 159, 199, 207, 211, 215–216, 219, 371 Sīrat al-ʿAnqā’ 326 istibdāl 57, 71, 111 Sīrat al-Ḥākim bi-Amrillāh 320, 361 Mobilien 127, 130, 139–140 Sīrat al-Malik aẓ-Ẓāhir 276, 304, 366–367 Scheinprozess (ruǧūʿ) 130 n. 25, 132 n. 30, Sīrat al-malik ʿAmr an-Nuʿmān 324 140, 155, 170 Sīrat al-malik Badrnār 33, 117, 324 Verfluchung 134, 343 Sīrat al-Muǧāhidīn 344 von Büchern Sīrat ʿAntara 95 n. 137, 114, 228, 231, auf Papyrusdokument 127 233 n. 352, 256, 276, 305, 320, 326 Registrierung 139, 149 Sīrat Ḥamza Qarrān 95 Zeugen 135, 136 n. 39, 137, 181 n. 191, Sīrat Muḥammad al-Kurdī b. Karḫān 327 320, 348 waqf ahlī 124 Sozietäten, wissenschaftliche 77, 102, 196 waqf rahbana 195 Steindruckpresse 282 Wein 165, 187, 256 Stempel 22, 26, 31, 34 n. 93, 68, 138–140, Wiener Dioskurides 332 146, 147 n. 68, 161, 172, 175 n. 162, 192, Wilhelm II. (Kaiser des Deutschen Reiches) 205 n. 290 188 Sufik 10, 75, 91–94, 97, 100, 144, 149, 175, 180, 295 Ẓāhirīya 168–170, 173, 176, 185, 214 syrische Handschriften 339 Zahlensymbolik 77, 161 taḏkira-ǧī 318 n. 97, 322 Thora 176 türkische Literatur 175, 339–340, 356 Ortsindex

Ägypten 40, 103, 151–154 Murādīya 351 n. 186 ʿAin Warqa 192 Šahzāde (Konstantinopel) 199 ʿAkkā 140, 160, 188, 228 n. 342 ʿUṯmān Katḫudā (Kairo) 152 Aleppo 40, 71, 86, 120, 140, 143, 154, 191, Ġazza 311 202, 209, 213, 259 n. 430, 282, 291, 315, Gotha 29 318 n. 97, 320, 329, 337 n. 144, 339 al-Ḥuṣn 352 Ḥalbūn 322 Anatolien 15 Ḥamāh 56, 71, 85 n. 113, 168 an-Nabak 192 Ḫān al-Ǧūḫīya 290 n. 12 Ḫānqāh al-Ġaurīya 246 n. 394 Bagdad 24, 93, 155, 181 Ḥaurān 233, 330 Beirut 60–61, 285, 352 Ḥiǧāz 181 Belgrad 173 Berlin 29, 43 Indien 101, 181 Irak 120 Cambridge 58 Istanbul 15, 102–103, 249

Dair al-Muḫalliṣ 28, 49, 51 n. 18, 160, 190, 194, Jerusalem 155, 197 196, 284, 339 Dair as-Saiyida (Ṣaidnāyā) 189 Kairo 102, 181, 298, 352 n. 195 Dair aš-Šarfa 189, 197 Kanīsat al-qiddīs Ḥanāniyā (Damaskus) Dair as-Suryān (Jerusalem) 195 214 n. 312 Dair Mār Ilyās 192 Konstantinopel 47 n. 6, 73 n. 93, 144, Dair Mār Sarkīs (Bšarrī) 197 159, 199, 271, 318 n. 97, 333 n. 131, Dair Mār Yūḥannā (al-Ḫunšāra) 250 n. 406 335 n. 136 Dair Mār Yuḥannā (Šuwair) 194 Prinzeninsel 47 n. 6 Damaskus Zitadelle (qalʿa) 186 Leipzig 29 Damietta 102, 196 Dār aš-Šifā’ al-Manṣūrī (Kairo) 356 Madrasa 373 Dārayā 313 ʿAbdallāh Bāšā al-ʿAẓm 141, 169, 174, 176 al-Aḥmadīya (Aleppo) 130 n. 25, Ǧabal ʿĀmil 303 132 n. 30, 158 n. 108, 140, 154–159, 202, Ǧāmiʿ 204, 205 n. 285 al-ʿAddās 10, 145, 182 al-Bādrā’īya 167, 227, 266 al-ʿatīq (Kairo) 125 n. 7 al-Fāḍilīya 268 al-Azhar 102, 141, 152 al-Ǧaqmaqīya 312 Katalog 153 al-Kallāsa 257, 261, 265–270, 273, 275, 277 Riwāq al-Maġāriba 141 al-Maḥmūdīya (Kairo) 147, 202 al-ǧadīd (Ṣāliḥīya) 202 n. 272 al-Murādīya 206 al-kabīr 179 al-Murādīya al-kubrā al-ǧuwānīya 181 al-Muṣallā (Damaskus) 256 n. 424 al-ʿUmarīya 167, 175 n. 162, 177 n. 168, al-Muẓaffarī 213 178–180, 200, 201, 202 n. 272, 208, 213 al-Umawī 125 n. 7, 265–266, 279 al-ʿUṯmānīya (Aleppo) 154 Mašhad ʿUrwa 202 n. 272 al-Yāġūšīya 180 Ortsindex 421

an-Nūr al-Aḥmadīya (ʿAkkā) 125 n. 7, Ṣaidā 28, 249 n. 403, 315 139–140, 159–164, 188 Samarqand 181 aṣ-Ṣumaiṣāṭīya 72 n. 88, 125 n. 7, 180 Spanien 192 Barqūqīya 356 Sūq ad-Darwīšīya 309 Ḍiyā’īya 125 n. 7, 176–178, 180, 187, 201, 213 Sūq al-Ḫaiyāṭīn 171 Ḫātūnīya 202 n. 272 Sūq al-Miskīya 270, 272, 275 Ibn Šaiḫūn (Kairo) 153 Ṣūr 127 Muḥammad Bey Abū Ḏahab (Kairo) 153 Sūrt 206 Šamsī Aḥmad Bāšā 208 Šuwair 194, 196, 283 n. 518 Maghreb 101 Syrian Protestant College 339 Mailand 249 Malta 273 Tabūk 322 Medina 101–102, 274 n. 484, 282 Takīya as-Salīmīya 183 Mekka 102 Talbīsa (Festung) 316 Mosul 49 n. 10 Triest 62, 64 Tripoli 193, 222, 224, 293, 311, 339 Naǧd 179 Tübingen 44 Nazareth 193, 196 Umayyadenmoschee 57 n. 30, 104, 125 n. 7, Paris 141, 185, 237, 257, 266, 278, 306 Königliche Bibliothek 249 Bāb al-Barīd 181, 266 L’Abbaye royale de S. Victor (Kloster) Bāb Mi’ḏanat al-ʿArūs 266 249 Bait al-Ḫiṭāba 185 qubbat al-ḫazna 185 Qabr Ilyās 328 Qairawān 208 Venedig 13 Qāsyūn 176 Quzḥaya 196 Wien 54

Rhodos 241 n. 374 zāwīyat Banī l-Ḥarīrī 71 zāwiyat Taqī ad-Dīn al-Ḥiṣnī 136 n. 39