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Berndt Rieger Der Dichter der Beatles © Berndt Rieger, Bamberg

2. korr., redig. Auflage Februar 2012 Einleitung

John Lennon war der Mann, der aus den Beatles eine Popgruppe gemacht hat, deren Bedeutung fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Please, Please Me nicht nachgelassen hat. Beatles-Platten verkaufen sich heute stärker denn je, und es gibt wenige Menschen, die noch kein Lied von den Beatles gehört haben. Wenn man nach der Faszination fragt, die Lieder wie Can't Buy Me , Yesterday, Help! oder ausstrahlen, nennen viele das musikalische Genie Paul McCartneys, eines der größten Melodienerfinders des 20. Jahrhunderts. McCartney allein aber fehlte das, was die Beatles so besonders machte. Es war , der manchmal wenig, mitunter nur ein einziges Wort, beisteuerte und damit ein eher bedeutungsloses Lied mit einer hübschen Melodie namens Scrambled Eggs, wie Paul es bezeichnet hatte, veredelte und als Yesterday zum erfolgreichsten Lied aller Zeiten machte. Aber John konnte auch allein ganze, umfassende musikalische Kunstwerke von hohem Rang schaffen. Bei seiner Ballade Imagine, die er nach dem Ende der Beatles herausbrachte, fehlt nichts. Das Lied ist rund und vollkommen sowohl inhaltlich wie auch von Seiten der Melodie, gesungen nur am Klavier von einem Mann mit einer unvergesslichen, eindringlichen Stimme. Johns Liebeslieder waren es auch, die die auslösten. Er wusste, wie man einfache Worte so sagt, dass sie ehrlich und direkt und bedeutungsvoll klingen und dadurch Begeisterung wecken können. Der Erfolg der Beatles beruhte auf dieser Botschaft, dass Liebe alles ist, was man im Leben braucht. Für viele Menschen war John Lennon ein Heilsbringer. Er hatte eine magnetische Persönlichkeit, die man nicht näher in Begriffe fassen kann. Und er hatte ein erhebliches Sendungsbewusstsein. Seine Botschaft waren Liebe und Frieden. Auch dass John Lennon nur vierzig Jahre gelebt hat und von einem ermordet wurde, ist eine weitere Assoziation mit Religionsführern wie Jesus, ein Vergleich, der John ein Leben lang begleitet hat. Er hat diese Rolle sogar selbst einmal in einem Interview angesprochen, als er feststellte, dass die englische Jugend Mitte der Sechziger Jahre mehr mit den Beatles – und dabei letztlich mit ihm - als mit dem christlichen Glauben „anfangen“ konnte. Zweifellos waren die Beatles in den Wirren der späten 1960er Jahre für viele ein innerer Halt und spiritueller Orientierungspunkt. Obwohl John diese Rolle eines Erwählten persönlich immer abgelehnt hat, und davon auch sichtlich überfordert war, spielte er in den frühen Jahren mit bei diesem Spiel auch mit, war missionarisch um den Weltfrieden bemüht, und das lange vor einer „Friedensbewegung“. Am stärksten kam seine Rolle als „Messias“ bei der Weltausstrahlung von im Jahr 1967 zu Ausdruck, das Evangelium nach John in einer Welt, die sich mehr und mehr von den großen Religionen abwandte. Jesus hatte kein Privatleben. Und auch John konnte erst durch Yoko anlässlich der Geburt ihres gemeinsamen Sohns in die Rolle eines Privatmenschen gedrängt werden. Zwischen 1975 und 1980 findet sich John in dieses Leben, geht in der Rolle des Vaters und Ehemanns auf. Das Besondere an John Lennons Leben entsteht in der Spannung zwischen dem öffentlichen Leben, das er über viele Jahre führte, und aus dem ihn die Fans nie entlassen wollten, und dem Privatleben, das ihm lange nicht der Mühe wert erschien und das dann doch seine späteren Jahre bestimmte. Jetzt wurde er nützlich, vorher dagegen diente sein Leben nur der Kunst. Wenn John in den frühen Jahren nicht seine Botschaft der Liebe verbreitete, lag er im Bett und schaute fern, und das einmal sogar ein ganzes Jahr lang. Erst die Liebe zu Yoko und ihrem gemeinsamen Kind konnte diesen Konflikt zwischen Erwähltem und Normalbürger auflösen und John in einen ganz normalen Vater verwandeln, der seine Liebe nicht nur der Menschheit, sondern auch seiner Familie schenkt. So ist John Lennon dort angekommen, wo viele Religionsgründer scheitern, in der einfachen und doch so wichtigen, Leben spendenden Ebene des Privaten, des Persönlichen, der Intimität. Dass er in dieser Phase Bemerkungen machte, die einem Fan den Wahn eingaben, John hätte die Beatles verraten, ist bezeichnend für das Spannungsfeld, in dem er durch seinen Ruhm lebte. Es war der Wahn von Millionen, der ihm letztlich das Leben gekostet hat, der Wahn von Fans, die manchmal das Gefühl hatten, eine Wiedervereinigung der Beatles sei wichtiger als die Aufgabe, das eigene Leben zu leben. Ein Privatleben nach den Beatles war für John Lennon leider nicht vorgesehen. Kindheit

John wird im Januar 1940 gezeugt an einem Tag, an dem seine Eltern allein zuhause sind und auf dem Küchenboden Liebe machen. Die Eltern sind in diesem ersten Kriegsjahr, als die deutsche Luftwaffe einen Bombeneinsatz nach dem anderen fliegt, schon zwei Jahre miteinander verheiratet und kennen einander seit vielen Jahren. Doch ihre Ehe und auch ihre Beziehung ist sehr instabil, und das wird John wohl ebenso prägen wie die unzweifelhafte Musikalität seiner irischen Vorfahren. Die Lennons sind mindestens in der vierten Generation Sänger und Musiker. John wird nach seinem Urgroßvater John Lennon benannt, der 1855 in als Minstrelsänger Furore macht, eine transatlantische Karriere, die der seines Urenkel im Ansatz ähneln wird. Wer in lebt, gerät nämlich nicht selten auf ein Schiff in die Vereinigten Staaten, und auch Johns Karriere wird nicht ganz zufällig durch eine Wechselbeziehung zwischen und den USA geprägt sein. Und in New York, wo sein gleichnamiger Vorfahre den Swanee River, die „Coons“ und die „Darkies“ besungen hat, wird auch John Lennon, der Dichter der Beatles, sein Leben beschließen. Auch Johns Vater Alf, bekannt als „Freddie“, steht in der Musikertradition. Als Schiffssteward tritt er unter dem Namen „Lennie“ auf, und gibt dabei in den 1920er Jahren ein weites Repertoire von Operettenarien und den Schlagern der Music Halls zum Besten. Alf Lennon hat sich anfänglich auf eine Imitation des Tramps von Charlie Chaplins spezialisiert und macht dann in den 1930ern gern nach. Alf ist bekannt für die Einfühlsamkeit seiner Stimme, mit der er den alten irischen Standard Sonny Boy zum Besten gibt. Sein Sohn sieht ihm ähnlich und wird von Alf nicht nur die Stimme und sein Aussehen, sondern auch einen unausgeglichenen Charakter erben. 1928 lernt der 16jährige Alf im von Liverpool ein junges Mädchen kennen, das wie aussieht. Er spricht sie an, sie lacht zu seinen Witzen und bald gehen die beiden miteinander aus. Die Schöne heißt Julia Stanley und ist ebenfalls musikalisch begabt, spielt das Banjo, kann gut singen, und steht bei Partys gern im Mittelpunkt. Nach einer kurzlebigen Episode als Bürokraft arbeitet Julia eine Weile als Platzanweiserin im Trocadero Kino von Liverpool. Sie hat viele Verehrer, doch dass sie mit Alf Lennon lachen kann, macht sie glücklich. Die beiden haben vieles gemeinsam, spüren einen Draht zueinander. Sie gehen gerne tanzen und teilen die Vorstellung, dass sie als Tanzpaar berühmt werden könnten wie Fred Astaire und Ginger Rogers. Julias Familie lehnt den neuen Freund aber ab. Pop Stanley, Julias Vater, will keinen Seefahrer in der Familie, „der in jedem Hafen eine Frau hat“. Ihre Schwester Mimi, die später John Lennon aufziehen wird, findet Alf Lennon unseriös. Alf hat die Offenheit und den scharfen Humor, der auch seinen Sohn auszeichnen wird. Das macht ihm keine Freunde in der Familie Stanley. Als Alf und Julia nach zehnjähriger Beziehung 1938 heiraten, tun sie es heimlich. Alf ist zu dem Zeitpunkt 26 Jahre alt, und Julia 24. Nachdem Premierminister Chamberlain gerade aus München zurückgekommen ist, um „Frieden in unserer Zeit“ zu verkündigen und die Rezession schon nachlässt, scheint der Zeitpunkt für viele junge Leute günstig, um einen Hausstand zu gründen. Alfs Bruder ist bei der Hochzeit der beiden dabei, wie auch eine Freundin von Julia aus dem Kino. Nach einem Festessen gehen die Frischvermählten ins Kino und danach trennen sie sich und jeder kehrt zu seiner Familie zurück. Als Julia ins Wohnzimmer kommt, sagt sie: „Also, ich habe es getan! Ich habe ihn geheiratet.“ Alf und Julia sind nun offiziell ein Paar. Nach dem anfänglichen Schock mietet ihr Vater eine größere Wohnung in der Newcastle Road, damit die Frischvermählten darin ein eigenes Zimmer bewohnen können. Das geht eine Weile auch gut. Als Julia aber zwei Jahre später ungewollt schwanger wird, verhärten sich die Fronten wieder. Alf ist nur selten da, und Julia ist auf ein Kind nicht vorbereitet. Von Anfang an springt hier ihre Schwester Mimi in der Rolle der Mutter ein, da Julia gerne weggeht und sich keinen Kopf darüber macht, mit anderen Männern gesehen zu werden, während ihr Mann auf hoher See ist. Alf ist schon zwei Monate weg, als John am 9. Oktober im Geburtshaus in der Oxford Street das Licht der Welt erblickt. In dieser Nacht fliegen die Deutschen, wie oft kolportiert wird, einen Luftangriff auf Liverpool, die Straßenbahnen verkehren nicht mehr und die Sirenen heulen, als Mimi die zwei Kilometer von ihrer Wohnung durch die Stadt zum Gebärhaus läuft, um das Baby zu begutachten. Es ist gesund, vital und wiegt 3500 Gramm. Während die Bomben einschlagen und die Mauern des Krankenhauses zu vibrieren beginnen, wird das Baby in Decken eingewickelt und unter das Bett gelegt, um es gegen herabfallenden Putz zu schützen. Als Beinamen bekommt John den Namen Winston, da Premierminister Winston Churchill in dieser unsicheren Zeit der einzige Mann zu sein scheint, der der englischen Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit geben kann. Während die Männer auf Schiffen in die USA fahren, um von dort aus Güter in die Heimat zu bringen, leiden ihre Frauen zuhause unter Hunger und dem Bombenterror. Es ist für England die bitterste Kriegszeit. Alf gewinnt in diesen Tagen für die Familie an Bedeutung, denn er bringt vom Schiff immer leckere Sachen zum Essen mit. Auch künstlerisch hat er sich in dieser Zeit entwickelt und baut in seine Bühnenauftritte eine Parodie der deutschen Sturmtruppen ein. Er wird außerdem zum Salon-Steward befördert, was dem Posten eines Chefkellners entspricht. Zuhause singt er dem Kind vor, und John wird sich später, wenn Begin The Beguine gespielt wird, immer an seinen Vater Alf erinnern, der das Lied im Repertoire hatte. In Alfs Beziehung mit Julia aber tauchen erste Wolken auf, und daran ist vor allem seine Frau schuld. Mimi überredet ihre Schwester, nach zu ziehen, weil der Vorort sicherer vor deutschen Bomben sei. Dort gerät Mimi jedoch in schlechte Gesellschaft, sitzt häufig im Pub, betrinkt sich und lässt sich auch hier von ledigen Männern den Hof machen. Einmal muss Alf auf Heimaturlaub erleben, wie ein ganzer Pulk junger Männer an die Tür klopft und Julia zu sprechen begehrt. Keiner von ihnen hat eine Ahnung, dass Julia eigentlich verheiratet ist. Danach erfolgt ein heftiger Ehestreit, bei dem Julia ihrem Mann eine Tasse heißen Tees ins Gesicht schüttet und er ihr dafür einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. John wächst also in einem sehr unruhigen Haushalt auf. Von dem dreijährigen John berichtet Alf später, dass er ein sehr aufmerksamer, vorwitziger Junge gewesen sei. Einmal gingen sie in der Weihnachtszeit durch die Geschäfte und jeder Laden hatte seinen eigenen Weihnachtsmann, sodass John fragte: „Wie viele Weihnachtsmänner gibt es denn überhaupt?“ Im Juli 1943 gerät Alf in New York in Schwierigkeiten, weil er keinen Bock mehr auf seinen Job als Oberkellner hat, einfach das Schiff verlässt und sich einen Job im Kaufhaus von Macy's sucht. Die anderen Matrosen seines Schiffs finden ihn letztendlich betrunken in einer Bar, weil es mit dem neuen Job nicht geklappt hat. Alf wird im Gefolge dieser Insubordination wieder zum einfachen Kellner degradiert, flüchtet vom Schiff und wird von den Einwanderungsbehörden zwei Wochen lang auf Ellis Island festgehalten. Danach fährt er auf dem Schiff Sammex in den Fernen Osten und wird in Algerien wegen einer gestohlenen Flasche Whiskey neun Tage ins Gefängnis gesteckt. Im Oktober 1944 schafft er es, erschöpft und abgemagert, wieder nach Hause zu kommen, als ihm Julia eröffnet, dass sie in der sechsten Woche schwanger ist – und das von einem anderen Mann. Die Reederei, bei der Alf angeheuert hat, hat sein Gehalt nicht mehr ausgezahlt, weshalb sich Julia von anderen Männern aushalten gelassen hat. Alf sucht in Begleitung seines Bruders Stanley den Mann auf, der Julia angeblich, wie sie sagt, „vergewaltigt“ hat. Dieser spricht von einer Liebesbeziehung und möchte Julia heiraten und sie mitsamt John auf seine Farm mitnehmen. Alf bittet den Mann zurück in seine Wohnung, um die Sache gemeinsam mit Julia zu klären. Die serviert ihren Liebhaber aber mit den Worten ab: „Ich kann dich nicht brauchen, du Depp, hau ab“, und lässt ihn stehen. So kehrt in die Ehe von Alf und vorerst wieder Ruhe ein. Kurz nach dem Ende des Weltkriegs, im Juni 1945, gebärt Julia ihr zweites Kind. Alf möchte das Kind nicht haben, und Julia fühlt sich der Aufgabe, ihr eine gute Mutter zu sein, nicht gewachsen. Ein norwegisches Ehepaar adoptiert es. Während der Schwangerschaft wurde John übrigens zur Familie seines Onkels Stanley gegeben, die den fröhlichen und lieben Jungen am Liebsten behalten würden. Acht Monate später aber taucht Alf überraschend auf und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Wenn er gehofft haben sollte, dass seine Schwierigkeiten in der Ehe mit dem Bisherigen vorüber wären, dann hat sich Alf getäuscht. Im Frühjahr 1946 kehrt er von einer weiteren Schiffsreise zurück und findet Julia in den Armen eines anderen Mannes. Julia möchte diesmal bei ihrem Freund, John Dykins, bleiben und ihren Sohn mit in diese neue Beziehung nehmen. Als es zur Rauferei zwischen den Eheleuten kommt, zieht Julia am nächsten Morgen aus und Alf heuert wieder auf einem Schiff an, das zwischen Southampton und New York verkehrt. Einige Wochen später entführt Alf während eines Landgangs seinen Sohn, nimmt ihn mit nach und verbringt mit ihm drei Wochen im dortigen Vergnügungspark. Er will sich an den Jungen gewöhnen und möchte auch, dass sich John an ihn gewöhnt und vielleicht sogar dauerhaft bei ihm bleibt. Julia spürt ihren Mann letztendlich auf, stellt ihn aber nicht zur Rede und scheint sich auch in die gegebenen Tatsachen zu fügen. Julia merkt zuerst nur an, sie wolle sich von dem kleinen John verabschieden. Dann aber stellt Alf an das Kind die Frage, mit wem er leben möchte, und John scheint zuerst zwar glücklich auf seinem Schoss. Als Julia dann aber sagt: „Dann gebe ich auf“ und sich umdreht, läuft er ihr nach und verbirgt sein Gesicht in ihrem Rock, und heult und bittet sie, nicht zu gehen. An dieser Stelle bittet Alf seine Frau, der Ehe noch eine Chance zu geben, doch sie schlägt das ab und will gehen, worauf ihr John nachläuft. Alf bleibt allein im Hotelzimmer zurück, und singt an diesem Abend im Pub ein Lied von Al Jolson als Hommage an seinen Sohn, den er an diesem Tag innerlich aufgegeben hat. Das Lied heißt Little Pal und Alf singt stattdessen Little John. Die Zuhörer sollen sehr gerührt gewesen sein. Seine traumatischen Kindheitserlebnisse werden John prägen. Das Thema Liebe wird für ihn als Schlagersänger nichts sein, das man leichtfertig behandelt. Ein Element der Gewalt wird darin vorkommen, aber auch eine unendliche Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. In seiner Jugend bekommt er die Liebe immer nur stückweise. Seine Mutter entzieht sich ihm, und seine Tante, die ihn aufziehen wird, kann ihm nicht die Mutter sein, nach der er sich sehnt. Julia gründet nach der Trennung von Alf eine zweite Familie, in der John das fünfte Rad am Wagen ist. Julia zieht nach der Auseinandersetzung in Blackpool mit ihrem Freund Bobby Dykins und John zusammen in eine Wohnung in der Newcastle Road 9. Der Rest ihrer Familie ist unglücklich darüber, dass sie dort „in Sünde“ lebt und sorgt sich um das Wohlergehen von John, der seinen „neuen Daddy“ nicht mag. Einmal läuft der Fünfjährige die zwei Meilen hinaus nach Woolton zu seiner Tante Mimi, weil er sich zu Hause nicht wohl fühlt. Diese möchte John deshalb gerne in ihre Obhut nehmen. John erzählt später: „Meine Eltern kamen mit mir nicht zurecht, deswegen wurde ich zu meiner Tante geschickt“, aber die Geschichte ist etwas komplizierter. Julias Schwester, die 40jährige Mimi Smith lebt mit ihrem älteren Mann George in einer schönen Villa. Sie ist die einzige von fünf Schwestern, die kinderlos geblieben ist. Ihre Nichte Leila Harvey erzählt dazu: „Mimi beschloss, dass sie John haben wollte. Wer hätte ihr dafür die Schuld geben wollen? Er war so ein süßes Kind!“ Der Kampf um John entbrennt. Eines Tages taucht Mimi mit ihrem Vater bei Julia auf und erklärt, dass John nicht länger unter diesen Umständen aufwachsen kann und das sie ihn jetzt mitnimmt. Julia wehrt sich gegen die Idee. Daraufhin geht Mimi zum Jugendamt und erzählt, dass John gemeinsam mit seiner Mutter und ihrem Liebhaber in einem Bett schlafen muss, doch das Amt beschließt, keine Schritte zu unternehmen. Eines Tages verbringt John den Nachmittag bei Mimi, als seine Mutter, als sie ihn abholen will, mit einer blutigen Lippe auftaucht. Sie behauptet, in einen Unfall verwickelt gewesen zu sein, aber Mimi verdächtigt sie, mit ihrem Mann ins Handgemenge geraten zu sein. Die Schwestern streiten, und Mimi schreit: „Du bist nicht fähig, eine Mutter zu sein!“ Julias Reaktion überrascht sie dann. Julia sagt: „Du hast recht. George mag ihn und euer Haus ist viel schöner und ihr könnte ihm Sicherheit geben.“ Diese Version ist die von Mimi. Ihre Nichte aber erinnert sich anders. Leila Harvey: „Ich erinnere mich an eine Szene, als Julia John mitnehmen wollte, aber Mimi stellte sich vor ihn und sagte: Du kriegst ihn nicht!“ Wie auch immer die Sache abgelaufen ist, John bleibt fortan bei Mimi und die gibt sich Mühe, aus ihm einen guten Buben zu machen. Johns Leben ist jetzt klar strukturiert. Das Essen wird nach der Uhr serviert, auf persönliche Sauberkeit wird geachtet, und John lernt Manieren bei Tisch. Mimi schafft es auch, John seinen dicken Liverpooler Akzent abzugewöhnen. Sie lebt mit ihrem Mann in der gehobenen Mittelschicht, und auch das Kind soll dazu passen. George Smith mag seinen „Ziehsohn“ sehr, nimmt ihn auf dem Wagen mit in die Stadt (er ist Milchbauer) und stellt ihn Kunden stolz als sein eigenes Kind vor. John mag seinen Onkel sehr. Wenn dieser von der Arbeit kommt, läuft er ihm entgegen und fällt ihm in die Arme und überdeckt ihn mit Küssen. George sabotiert an manchen Stellen die Erziehung seiner Frau, indem er das Kind mit Süßigkeiten vollstopft oder ihn mit ins Kino nimmt. Mimi ist ein strenger, zurückhaltender Typ und beneidet ihren Mann, der mit dem Kind ausgelassen im Garten Drachen steigen lassen kann. So locker kann sie sich nicht geben. Aber sie hat Sinn für Humor. Wenn John ihre Streiche spielt – zum Beispiel aus dem ersten Stock mit Wasser gefüllte Plastikbeutel auf sie hinabzuschleudern, wenn sie im Garten ein Sonnenbad nimmt – lacht sie nur. Manchmal schreien Neffe und Tante einander an und man könnte sie manchmal für Geschwister halten, weil zwischen ihnen kein Autoritätsverhältnis spürbar ist. John hatte zu der Zeit, als sich seine Eltern trennen, im Kindergarten Schwierigkeiten. Er galt als Störenfried. Nun, als er die Grundschule in der Dovedale Schule nahe der besucht, macht er auf den Lehrer den besten Eindruck. Onkel George übt aber auch mit dem Jungen, jeden Abend lesen sie gemeinsam Zeitung, und George gibt seinem Neffen früh die Gelegenheit, zu zeichnen. John wird durch diese Zuwendung seines Stiefvaters sein ganzes Leben lang kleine Zeichnungen machen und Bilder malen. Begonnen hat er damit als Sechsjähriger im Haus seines Onkels. Auch in der Schule gewinnt John damit mehrere Preise. Einmal malt er einen Jesus, der so aussieht, wie John zwanzig Jahre später aussehen wird. John ist im Sport nicht gut, weil er stark kurzsichtig ist. Schon mit sieben Jahren bekommt er eine Brille verpasst. Obwohl ihm seine Tante eine teure Brille kauft, die er selbst auswählen darf, trägt er sie ungern und geht so viele Jahre lang fast blind durchs Leben. Man vermutet, dass seine Lust an Wortspielen zum Teil damit zusammenhängt, dass er wegen seiner Fehlsichtigkeit manche Wörter falsch las und dann zum Beispiel auf einer Karte an Mimi, als das Geld ausgegangen war, „Funs is low“1 schrieb. Die Beziehung zwischen seiner Mutter und Dykins läuft gut. Die beiden bekommen noch ein Mädchen Julia (1947) und Jacqueline Gertrude (1949), Halbschwestern von John, mit denen er sich gut verstehen wird. Dadurch wird aber auch seine Ausgegrenztheit als Sohn von Alf dokumentiert. Julia ist den Mädchen eine gute Mutter. John selbst aber ist schon zu groß, und lebt zu weit von ihr weg, um von ihr noch geformt werden zu können. Julia lebt emotional zwischen zwei Stühlen, in einem vagen Zustand. Technisch bleibt sie bis zu ihrem Tod mit Alf Lennon verheiratet, da keiner von beiden ernsthaft die Scheidung betreibt. Und obwohl sie mit ihrem Freund zwei Kinder hat, kommt Dykins nie in die Lage, für John eine Respektsperson zu werden. Und außerdem wird er von seiner Mutter gezielt ferngehalten. Anfangs hat Mimi Sorge, dass Julia den Jungen zu oft sehen und er sich dadurch wieder nach seiner Mutter zurücksehnen könnte. Später ist Julia öfter Gast bei Mimi, und John lernt so seine Mutter ein zweites Mal als Besucherin kennen. Eine weitere Schwester von Mimi und Julia heißt Harrie. Diese war in erster Ehe mit einem Ägypter verheiratet und hat eine Tochter namens Leila, die 3 ½ Jahre älter als John ist, aber mit ihm viel Zeit verbringt. Sie erinnert sich bei John an einen sehr zutraulichen Jungen. Leila: „Denken Sie daran, wie viel Liebeslieder John geschrieben hat, bevor er überhaupt 21 Jahre alt war. Wie hätte er das können, wenn er nicht so viel Liebe in seinem Leben gehabt hätte?“ John ist ein liebes, zärtliches Kind. Er nimmt streunende Katzen mit nach Hause, und eine davon, Tim, darf er behalten. „Wir hatten Tim 20 Jahre“, erinnert sich Mimi später, „und egal, wo John mit den Beatles gerade war, er wollte immer wissen, wie es Tim geht.“ Die Umgebung von Woolton wird später in vielen Liedern von John vorkommen, darunter besonders Strawberry Fields, ein ehemaliges Herrenhaus in der Nähe, das als Kinderheim fungiert, oder die Penny Lane, in deren Nähe John aufwächst. Aber auch seine Lektüre als Kind, darunter vor allem Alice im Wunderland, wird sein späteres Werk beeinflussen, darunter besonders Texte wie den von Lucy In The Sky With Diamonds. Was John als Kind fehlt, ist Musik. Mimi ist nicht sonderlich musikalisch und hört auch nicht gern Radio. Außerdem lehnt sie ihren Schwager Alf und seine Seemannslieder ab und will den Jungen nicht mit Musik verderben. Er soll nicht so haltlos werden wie sein Vater.

1 Fun: Spass. Funds: Guthaben. Mit acht Jahren beginnt John auf einer Mundharmonika zu spielen. Ein Medizinstudent, der bei seiner Tante im Haus ein Zimmer bewohnt, hat ihm einmal darauf vorgespielt, und als John völlig begeistert ist, bietet ihm der Student an, eine Mundharmonika zu kaufen, sofern John das Lied, das er ihm gerade gezeigt hat, am nächsten Tag auf der Mundharmonika wiedergeben kann. John übt begeistert und schafft das auch. Bald bekommt er von einem Busfahrer eine viel bessere Mundharmonika geschenkt, die ein Fahrgast im Bus vergessen hat. In Windeseile beherrscht John die chromatische Hohner. Danach klimpert er auch zunehmend auf dem Klavier, entweder bei Freunden oder in der Schule. Mimi aber weigert sich, für ihn ein Klavier zu kaufen. Johns Stimme gefällt auch dem Pfarrer, weshalb John im Kirchenchor von St. Peter mitsingt, in dem später das Pfarrfest stattfinden wird, bei dem er Paul McCartney kennen lernt. In dem Pfarrhof liegt auch das Grab von , deren Grabinschrift „Nicht für immer gegangen, sondern nur schlafend“ John sehr tröstlich findet. Einige frühe Freunde von John, darunter und Ivan Vaughn, machen auch gern Musik. Pete Shotton, der John lange bis in die Beatles-Zeit hinein begleiten wird, wird in dieser Zeit Johns bester Freund überhaupt. Die Kinder bilden eine Gruppe, die zuerst miteinander rauft oder Cowboy und Indianer spielt (John irritiert die anderen dabei immer, weil er lieber der Indianer als der Cowboy ist), aber bald auch Musik macht. Als Jugendlicher ist John längst der Kopf einer Gang, und bekannt für seine Streiche. Das wirkt sich auf seine schulischen Leistungen negativ aus. War er in der Grundschule noch ein sehr guter Schüler, wird er nach seinem Wechsel auf die Quarry Bank High School mit 12 Jahren sehr rasch zum Störenfried und Pubertierenden, der den Unterricht lieber stört, als aufzupassen. Auch Pete Shotton geht auf die Quarry Bank. Sie sitzen beide in der letzten Bank, von der aus John, weil er sich weigert, seine Brille zu tragen, dem Unterricht schon mit den Augen gar nicht folgen kann. Die beiden Freunde nennen sich Shennon und Lotton und werden in der Schule vor allem mit zahlreichen Strafen ür rüpelhaftes Benehmen oder Schulschwänzen bedacht. Mimi: „Wenn das Telefon ging, war mein erster Gedanke: Was hat er jetzt schon wieder angestellt?“ Johns Englischlehrer merkt aber, dass John viel liest und als er eines Tages das Zeichenheft mit den vielen Karikaturen von Lehrern, das John führt, beschlagnahmt, wird ihm klar, dass er einen sehr begabten Schüler vor sich hat. Nicht seine schulischen Leistungen, sondern sein künstlerisches Talent bewirkt letztlich, dass man John überhaupt einen Schulabschluss machen lässt und ihn an die Kunstakademie weiter empfiehlt. In der unruhigen Zeit als Teenager gewinnt für John seine Mutter Julia große Bedeutung, weil sie gern singt und dazu auch Banjo spielt. Sie zeigt ihm die Griffe, die er braucht, um später auf der Gitarre seine ersten zu komponieren. Es wird Paul McCartney sein, der ihm dann später beibringen wird, wie man wirklich mit einer Gitarre umgeht. Bei seiner Mutter läuft immer das Radio und sie hat auch einen Fernseher, was damals noch ungewöhnlich ist. Sie hat ein Lieblingslied, das My Son John heißt und mit dem sie lauthals mitsingt und dabei oft Tränen in die Augen bekommt. John: „Meine Mutter spielte das Banjo und ich erinnere mich daran, dass auch mein Großvater Banjo spielte. Meine Mutter liebte das Banjo, aber wir mussten es dann verkaufen, weil die Zeiten schwer waren. Meine erste Gitarre war geborgt. Ich konnte nicht darauf spielen, war aber fasziniert davon und ein Kumpel von mir hatte eine Gitarre. Ich konnte dann meine Mutter davon überzeugen, mir eine „garantiert unzerbrechliche Gitarre“ zu kaufen, die zehn Pfund kostete und die man über die Post bestellte. Ich gebe zu, dass die ziemlich billig war, aber ich spielte dauernd darauf herum und wurde immer besser. Wenn man die ersten Bilder von uns als Band sieht, merkt man, dass ich ganz merkwürdige Griffe darauf spiele. Ein Witz in meiner Familie geht so: Eine Gitarre ist gut genug für John, aber nicht fürs Geldverdienen. Zweifellos war ich sehr musikalisch, von Anfang an, und ich frage mich, nie jemand in meiner Familie darauf reagiert hat. Wahrscheinlich, weil das Geld nicht da war. Meine Tante sagte: Das ist alles gut und recht, aber davon kannst du nicht leben. Mach zuerst deine Ausbildung fertig, mach dein Abitur, und dann kannst du Banjo spielen. Du brauchst etwas Solides. Als ich 15 Jahre alt war, wollte ich so etwas wie Alice im Wunderland schreiben und berühmter sein als Elvis. Bei uns war es nicht üblich, Radio zu hören, weshalb ich vom Pop nicht so viel wusste wie Paul und George, die damit aufgewachsen waren, weil bei denen zuhause dauernd das Radio lief. Wenn ich Radio hörte, dann nur, wenn ich irgendwo zu Besuch war. Ein Freund von mir, Don Beatty, zeigte mir einmal den Namen im New Musical Express und sagte: Der ist toll. Es war Heartbreak Hotel, was wir bei ihm hörten gerade hörten, und ich dachte, das klingt aber kitschig, Hotel der gebrochenen Herzen. Während ich aber zuhörte, war ich hin und weg davon. Ich glaube, es war auf Radio Luxemburg.“ 1957

John beschließt in diesem Jahr, Musiker zu werden und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine erste Band heißt nach der Schule, die er besucht, und weil dabei auch die Assoziation an Arbeiter im Steinbruch anklingt, „The Quarry Men“. John: „Mein bester Freund in der Schule war Pete Shotton, und gemeinsam mit gründeten wir die Quarry Men. Auch ein Typ namens Gary war dabei, der heute Architekt ist und einer, der Ivan hieß. Ivan ging in die gleiche Schule wie Paul und hatte den im Schlepptau, als wir bei einer Gartenparty spielten.“ Am 6. Juli 1957 tritt in Woolton die Quarry Men Group bei einer Kirchenfeier im Garten der Peterskirche auf. Die Gruppe hieß zuvor die Black Jacks und wird von John Lennon geleitet, der singt und Gitarre spielt und auch schon einige Lieder geschrieben hat. Einen Monat zuvor haben sich die Jugendlichen erfolglos im Empire Theatre in Liverpool für die Fernsehsendung TV Star Search Show beworben. Pete Shotton, der damals bei den Quarry Men Gitarre spielt, erinnert sich: „Wir traten in Woolton beim Dorffest auf. Es wurde da die Königin der Rosen gekrönt. Zu dem Anlass nahm man ein hübsches Mädchen und staffierte sie aus. Es gab einen Vergnügungspark und am Abend, gegenüber dem Gemeindehaus, gab es einen Tanz und dafür spielten wir. Einer unserer Freunde, , brachte einen seiner Freunde mit, von dem es hieß, er spiele auch Gitarre. Also stiegen wir von der Bühne runter und Ivan stellte uns vor. Das ist Paul McCartney, sagte er. Paul war ein dicklicher Junge und wir murmelten jeder ein bisschen und dann gab es betretenes Schweigen.“ John wird bald 17, und Paul ist gerade 15 geworden. Er wirkt noch wie ein Kind. Paul beeindruckt die Gruppe dann aber doch damit, dass er sehr schnell seine Gitarre stimmen kann. Die Quarry Men haben einen Mann, der das für sie macht, und wenn sich während eines Konzerts die Gitarre verstimmt, sind sie hilflos. Paul kennt auch zahlreiche Liedtexte auswendig. Ihm fällt deshalb auf, dass John keine große Textsicherheit hat, aber dass John dort, wo er nicht weiter weiß, einfach selbst was dazu erfindet, beeindruckt wieder Paul. John: „Es war meine Gruppe. Ich war der Sänger und der Bandleader. Ich traf die Entscheidung, ob Paul in die Gruppe aufgenommen wird oder nicht. Ich fragte mich: War es gut, einen zu haben, der besser spielt als alle anderen? Natürlich war es das. Die Gruppe zu stärken und mich dadurch auch zu stärken?“ Pete Shotton: „Als Paul gegangen war, fragte mich John: Was hältst du von ihm? Und ich sagte: Ich mag ihn. John wollte dann wissen, was ich davon halten würde, wenn Paul in die Gruppe aufgenommen wird und ich antwortete ihm: Für mich ist das okay, sofern du ihn willst und er zu uns kommen möchte.“ Wenige Wochen später treten die Quarry Men im Cavern Club in Liverpool auf. Paul ist noch nicht dabei, da er den Sommer in Hathersage in Derbyshire bei den Pfadfindern verbringt. Aber die beiden Jungen spielen viel zusammen, und sie beginnen auch, Eigenkompositionen zu verfassen: „Als Paul und ich mit dem Liederschreiben begannen, war jedes Lied in A-Dur, weil wir dachten, so macht das . Holly war damals eine große Nummer und so was wie unsere Inspiration“, erinnert sich John später. 1958

Bei dem Konzert der Quarry Men in der Wilson Hall in Garston am 6. Februar 1958 stellt Paul einen Freund vor, mit dem er in der Schule gerne zusammen Gitarre spielt. Es ist . John: „Ich konnte mit ihm zuerst nichts anfangen. Er lief mir wie ein kleiner Junge nach, war immer dabei. Ich wusste nicht, warum er das tat. Er war einfach ein Junge, der Gitarre spielte und mit Paul befreundet war, was die Sache leichter machte. Es hat Jahre gedauert, bis ich ihn überhaupt als Mensch wahrgenommen und als gleichberechtigt empfunden habe. Am Anfang war er wie eine Art Jünger von mir, ein Fan. Ich war mittlerweile schon Kunststudent und die anderen gingen noch auf das Gymnasium. Das ist in dem Alter ein riesiger Unterschied. Ich war auf der Uni und hatte schon mit Frauen geschlafen und trank Alkohol und solche Sachen.“ Am 15. Juli 1958 stirbt Lennons Mutter Julia bei einem Unfall auf der Menlove Avenue in Liverpool. Sie kommt gerade von einem Besuch bei Mimi zurück, steht an der Bushaltestelle und Eric Clague, ein Polizist, der gerade nicht im Dienst ist, fährt sie mit seinem Standard Vanguard tot. Mimi: „Sonst bin ich immer mit ihr zur Haltestelle gegangen, aber diesmal musste sie früher weg und sie war gerade gegangen, da hörte man diesen schrecklichen Krach.“ Eric Clague: „Frau Lennon ist vor mir über die Straße gelaufen. Ich konnte nicht mehr ausweichen. Ich bin nicht so schnell gefahren. Es war eines dieser schrecklichen Dinge, die einfach passieren.“ John: „Wir waren zuhause und haben auf sie gewartet. Twitchy (John Dykins) und ich haben uns gefragt, warum sie so spät kommt. Dann kam der Polizist an die Tür und es war so wie man es sich vorstellt, wie im Film. Er fragte mich, ob ich der Sohn wäre und all das. Dann erzählte er uns, was passiert war, und wir wurden bleich. Es war das Schlimmste, was mir zustoßen konnte. Wir hatten in den wenigen Jahren zwischenmenschlich so viel aufgeholt, konnten endlich miteinander reden. Wir kamen gut miteinander aus. Sie war toll. Ich dachte: Scheiße! So eine Scheiße! So eine Scheiße! Das hat alles vermasselt. Jetzt bin ich für niemanden mehr verantwortlich.“ Die Quarry Men bestehen zu diesem Zeitpunkt aus John, Paul und George und . Alle Gruppenmitglieder werfen ihre Münzen zusammen, um ihre erste Platte aufzunehmen. Das Lied heißt That'll Be The Day und stammt von Buddy Holly. Auf der Rückseite findet sich die erste Eigenkomposition der Beatles, bei der alle drei, John, Paul und George, mitgewirkt haben. Das Lied heißt In Spite of all the Danger2 und klingt wie ein typisches durchschnittliches Lied aus den 1950er Jahren, gesungen von den Beatles. John: „Paul und ich konnten sehr gut miteinander. Ich machte mir ein bisschen Gedanken, weil meine alten Kumpel die Gruppe verließen und neue wie Paul und George stießen hinzu, aber wir haben uns schnell aneinander gewöhnt. Ich war mit 14 ein ziemlich wilder Typ gewesen, ließ mich treiben. Ich war schlecht in der Schule und fiel bei Prüfungen durch. Mein ganzes Leben als Schüler stand unter dem Motto: Was kümmert mich das Ganze! Für mich war das alles ein Witz. Das einzige, bei dem ich Talent zeigte, war der Kunstunterricht, und der Direktor meinte, wenn ich nicht Kunst studieren würde, könnte ich mich eigentlich aufgeben. Ich war mir nicht sicher, ob Kunst wirklich so das Richtige für mich war. Ich dachte, das ist was für ältere Männer, aber ich wollte es versuchen. Fünf Jahre lang habe ich dann Kunst studiert, und ehrlich gesagt, war das für mich genauso schlimm wie Mathematik und Naturwissenschaften, die ich gehasst habe.“ Trotzdem findet John Freunde an der Kunstakademie. Dazu gehört seine spätere Frau Cynthia Powell, die wie er bildende Kunst studiert. John trifft sie bei einem Weihnachtsball. „Sie war eine richtige -Schnepfe. Hochnäsig bis dort hinaus. Mein Kumpel Jeff Mohammed und ich machten uns dauernd über sie lustig und spielten ihr Streiche. Dann gab es diesen Tanz und ich war angedüdelt und fragte sie, ob sie tanzen will. Jeff hatte mich schon die ganze Zeit mit Quatsch aufgezogen, und sagte jetzt: Du, die mag dich. Als wir dann miteinander tanzten, lud ich sie zu einer Party am nächsten Tag ein.“ Johns Tante Mimi: „Cynthia war so ein nettes Mädchen. Einmal war John an der Kunstakademie und sie kam zu mir und sagte: Oh Mimi. Wie soll das mit John weiter gehen? Sie saß bei uns und

2 http://www.youtube.com/watch?v=RuuOAA9ekbg hat auf ihn gewartet. Sie hat ihm direkt nachgestellt. Er hat es gemerkt, dass sie bei mir saß, und ging vor dem Haus so lange auf der Straße auf und ab, bis sie aufgegeben hatte, noch auf ihn zu warten und nach Hause gegangen war. Er hatte Angst vor ihr.“ Cynthia: „Ich hatte Angst vor John. Er war so grob. Er hat nie nachgegeben. Er hat dauernd mit einem gekämpft.“ 1959

Im Jahr 1959 kauft eine schöne, faszinierende Frau, die beim Pferderennen ihren ganzen Schmuck eingesetzt und gewonnen hat, dafür ein viktorianisches Haus in Liverpool. Ihr Name ist , und im Keller des stattlichen Gebäudes mit den 15 Zimmern soll eine Musikbar eingerichtet werden. Der Name des Clubs wird Casbah lauten. Eröffnen soll diesen Club das Les Stewart Quartett, bei dem George Harrison Sologitarre spielt. : „George war damals nicht besonders an Mädchen interessiert. Er war erst sechzehn. Dann plötzlich war er total in Ruth verknallt, ein süßes Mädchen mit langen braunen Haaren, die später nach Birmingham gezogen und Krankenschwester geworden ist. Das war die erste Freundin von George, und sie gingen überall miteinander hin. An einem Abend saßen George, Ruth und ich zusammen im Lowlands und tranken Kaffee und beklagten uns darüber, dass wir nirgends regelmäßig auftreten konnten. Und während wir redeten, saß Ruth ruhig daneben und drehte an einem Löffel und plötzlich fragte sie: Warum fragt ihr nicht Frau Best? George fragte: Wer ist das? Und Ruth hat ihm erklärt, dass diese Frau gerade dabei war, ein Café zu eröffnen und George sagte: Warum fragst du sie nicht, ob wir dort spielen können?“ Die Adresse ist Hayman's Green Nr. 8, ein altes viktorianisches Haus, das zum Casbah umgebaut werden soll. Ken bietet dafür seine Hilfe an und ist dann fünf Monate lang am Bau beschäftigt für das Privileg, bald mit dem Les Stewart Quartet, in dem auch George spielt, im Casbah auftreten zu dürfen. Am Eröffnungssamstag schaut er dann bei Les Stewart vorbei und George ist auch da und es herrscht dicke Luft, weil Ken Proben versäumt hat und weil es heißt, dass er bei Frau Best für seine Arbeiten die dicke Kohle abräumt. Ken: „George saß im Eingangsbereich und hatte seine Höffner-Gitarre im Schoss und zupfte daran herum. Die Stimmung war etwas angespannt. Wie geht’s? fragte ich. George sagte nichts und schaute auf seine Gitarre. Also wandte ich mich an Les und er sagte zu mir: Du bist nicht zu den Proben gekommen. Ich weiß, sagte ich, aber nur so können wir überhaupt wo spielen. Ich bin stundenlang damit beschäftigt gewesen, das Casbah herzurichten. Hast du dafür Geld bekommen? fragte Les. - Nein, sagte ich fest, das bin ich nicht. - Wie auch immer, sagte Les, ich werde dort nicht spielen.“ Ken Brown sieht sofort, dass man mit Les nicht reden kann. Ken: „Also wandte ich mich an George. Hör zu, sagte ich zu ihm, die machen heute auf. Ich habe Monate lang darauf gewartet, und du lässt uns jetzt auch in Stich? George dachte eine Weile nach und sagte dann: Ich komme mit dir mit. Wir gingen gemeinsam von Les weg. Als wir dann die Straße hinunter trotteten, sagte ich zu George: Wir können das nicht Frau Best antun, also versuchen wir doch irgendwie, heute Abend trotzdem zu spielen. Kennst du irgendwen, den wir noch dazunehmen können? George sagte: Da sind zwei Freunde, mit denen ich manchmal in Speke spiele. - Gut, fragen wir die. Und George fuhr im Bus weg. Zwei Stunden später tauchte er mit seinen beiden Freunden im Casbah auf. Sie hießen John Lennon und Paul McCartney. Das war das erste Mal, dass ich sie getroffen habe. Paul war noch in der Schule und hatte eine Schülerfrisur. Aber John war ein bisschen ein Beatnik, sein Haar hing ihm über den Kragen und er trug ein kariertes Hemd und alte Jeans. Ich sagte zu ihnen, dass wir fünfzehn Mäuse für den Abend kriegen würden. Das schien sie zu freuen, weil sie es gewohnt waren, gratis, nur wegen der Übung aufzutreten. An diesem Abend wurden die Beatles geboren und das Casbah konnte eröffnen. Es war toll, besonders, als Paul Long Tall Sally3 sang. Am Beliebtesten waren wir, wenn John und Paul gemeinsam Harmonie sangen. Ich spielte Rhythmusgitarre. Johns Lieblingssolo war Three Cool Cats4, das er in das Mikrophon knurrte.“ Eines der frühen Kompositionen von John in dieser Zeit ist What Goes On5, ein Rock , den er 1965 wieder auferstehen lässt, um Ringo ein Solostück auf zu geben. Das Lied ist

3 http://www.youtube.com/watch? v=6ibeqQA2_Yw&feature=PlayList&p=2ABD2BE35C2909DD&playnext_from=PL&index=0&playnext=1 4 http://www.youtube.com/watch?v=xkyn5fucANQ 5 http://www.youtube.com/watch?v=N5yvezZTPMM ungewöhnlich direkt für diese Zeit, ein früher Lennon, in dem schon alles enthalten ist, was ihn später ausmachen wird. Sensibilität, Schärfe, Direktheit in der Sprache. Er fragt unverblümt nach den wirklichen Gefühlen des Mädchens, mit dem er zusammen ist: “Was ist eigentlich in deinem Herzen los?“ Der 29. August soll der erste gemeinsame Auftritt von John, Paul und George auf der Bühne werden. Die Quarry Men spielen mit Erfolg und dürfen nun drei Monate lang jeden Samstag im Casbah Coffee Club auftreten. Ein weiterer Durchbruch: , der Sohn der Eigentümerin des Clubs, spielt gerne Schlagzeug. Pete ist in Indien geboren, wo sein Vater bei der britischen Armee gedient hat. Er ist ein gut aussehender, schweigsamer Typ, der manche an James Dean erinnert. Pete möchte gerne mit den anderen spielen, aber John, Paul und George sind der Meinung, dass ihre drei Gitarren Rhythmus genug sind. Pete: „Das Casbah hat meiner Mutter Mona gehört. Ich habe die Beatles damals getroffen, als sie mit George in den Club kamen. Ihn kannte ich schon, weil er im Lowland Club aufgetreten war. Wir brauchten eine Gruppe für Samstag. Ken kam zu mir und sagte: Die Gruppe gibt es nicht mehr, aber George meinte: Ich kenne da ein paar Jungs, die schon in einer Band gespielt haben. Was hältst du davon, wenn die herunterkommen? Meine Mutter sagte: Die schauen wir uns an. Nun, die zwei Jungs waren John und Paul, aber sie hatten keinen Drummer. Sie haben zweieinhalb Stunden bei uns geprobt und meine Mutter war sehr beeindruckt. Sie haben sich die Quarry Men genannt und dann an dem Tag mehrere Stunden lang gespielt.“ Ken Brown: „John war immer sehr ruhig. Er war ein Einzelgänger, sprach selten von seiner Familie, vielleicht, weil sein Vater ihn als kleinen Jungen zurückgelassen hatte und seine Mutter von einem Polizeiauto überfahren worden war. John war liebesbedürftig und sehr abhängig von Cynthia, dem Mädchen, das er später geheiratet hat. Cyn, ein hübsches Mädchen, mit langen, blonden Haaren, wohnte in Hoylake und wenn John spielte, fuhr sie mit dem Bus 30 Meilen weit, nur um ihn zu hören. Sie saß am Bühnenrand, in Pullover und Rock, und sagte nicht viel. Sie kam mir sehr schüchtern vor. Wenn wir eine Kaffeepause machten und unsere Sandwiches aßen, ging John zu ihr hin und sie redeten leise miteinander. Manchmal, wenn er sang, drehte er sich zu ihr hin und lächelte. George und Paul hielten das für übertrieben, dieses verliebte Getue. Paul kümmerte sich überhaupt nicht um Mädchen, obwohl sie total auf ihn abfuhren, besonders, wenn er Balladen wie Around The World sang.“ 1960

Ein wichtiger Freund für John wird in diesen Jahren der Schotte Stuart Sutcliffe (geb. am 23. Juni 1940), der im Januar 1960 endgültig als Bassist zu den Beatles stößt. Diese nennen sich zu diesem Zeitpunkt Johnny & the Moondogs und werden eindeutig von John dominiert. Auf einen Drummer haben sie bis jetzt immer noch verzichtet. Paul und Stu kommen schlecht miteinander aus, weil Paul eifersüchtig auf John ist. Für Paul, der auch vor einigen Jahren seine Mutter verloren hat, ist John das natürliche menschliche Gegenüber, ein Spiegelbild, der beste Freund. Es wird mehrmals so gehen, dass er andere Menschen, die John nahe gekommen sind, verletzen wird, nur um John ganz für sich zu haben. Cynthia: „Paul und Stu sind einander schnell auf die Nerven gegangen und haben sich beständig gegenseitig kritisiert. Paul hat dauernd genörgelt, dass Stu kein Talent hat, dass er Sonnenbrillen trägt und was immer er sonst sagen konnte. Stuart, der sehr sensibel und friedliebend war, hielt sich zurück, aber es gab manchmal Situationen, wo sich die beiden miteinander gekeilt haben.“ Am 23. April trampen John und Paul nach Caversham in Reading in Berkshire, wo Pauls Cousine Beth Robbins lebt. Gemeinsam mit ihrem Mann Mike betreibt sie dort den Fox & Hounds Pub, wo die beiden auftreten sollen. John: „Es war nicht leicht, mit zwei Gitarren und Verstärkern und unseren Koffern beim Autostoppen mitgenommen zu werden. Wir versteckten die Sachen in den Büschen, solange, bis die Autos stehen geblieben waren. Wir nannten uns The Nurk Twins.“ John und Paul sitzen bei ihrem Auftritt im Pub auf Barhockern mit ihren akustischen Gitarren. Das erste Lied, das sie spielen, ist in Butlin's Feriencamp sehr beliebt und heißt: The World Is Waiting For The Sunrise.6 Am 10. Mai bewerben sich John, George und Paul vergeblich als Begleitmusiker für die Tournee von , der schon ein Popidol ist. Mehrere Bands spielen im Wyvern Social Club vor, darunter auch die „Silver Beatles“, wie sie neuerdings heißen. , der Manager von Fury, erinnert sich: „ rief mich an und sagte mir, kommen Sie nach Liverpool, ich glaube, das ist der neue Sound dort. Das war das erste Mal, dass ich den Namen Beatles gehört habe. Natürlich war ich interessiert daran und ich brauchte dringend eine Begleitband für Billy Fury. Die Silver Beatles sahen sehr gewöhnlich aus. Sie trugen Jeans, schwarze Pullover und Tennisschuhe. Die Jungs vorn waren toll, und Lead-Gitarre und Bass waren Durchschnitt. Aber der Drummer, das sagte ich ihnen, das war nichts.“ Allan Williams betreibt in Liverpool einen Club und ist jetzt auch Teilzeitmanager der Quarry Men. Der Drummer, der am 5. Mai mit den anderen spielt, ist , ein Mann, den Williams für den Abend ausgesucht hat, und der nie wirklich Teil der Beatles werden wird. Am 20 Mai sind die „Silver Beatles“ für die neuntätige Konzertreise von in Schottland gebucht. Der weit ältere Tommy Moore ist als Drummer mit von der Partie, und wird von John während der Tour dauernd mit Streichen gequält. Wenn er sich schlafen gelegt hat, kann es ihm schon einmal passieren, dass John ein Handtuch um ein Bettbein schlägt und das Bett heimlich durch das Zimmer zur Tür schleift, um ihm beim Erwachen eine Überraschung zu bereiten. Paul nennt sich auf dieser Tour Paul Ramon, heißt Stuart da Stael und George ändert seinen Vornamen auf Carl. Man hat versucht, John den Namen Long John anzuhängen, doch der wehrt sich vehement dagegen. Von ihren Namen abgesehen haben die Silver Beatles nicht viel zu bieten. John, Paul und George tragen immerhin schwarze Hemden, sind aber sonst weder äußerlich noch in der Art, wie sie spielen, als Begleitband zu brauchen. Johnny Gentle erinnert sich später: „Zuerst fragte ich mich, was um alle Welt mir Larry Parnes da geschickt hatte. Sie kamen in Jeans und Pullovern und waren die härtesten Jungs, die ich jemals gesehen hatte. John und Stu waren auf der Kunstakademie und so sahen sie auch aus. Ihre Haare fielen ihnen auf die Schultern und Stu hatte einen Bart. George sah schick aus, er hatte damals schon eine Lehre angefangen und Paul gefiel mir auch, der damals für seinen Schulabschluss büffelte. John war sehr aufgeregt und

6 Eine Version von Les Paul: http://www.youtube.com/watch?v=7iGXP_UBog4 sagte mir: Das ist unsere große Chance, der Durchbruch. Wir haben darauf schon lange gewartet. Wir wohnten die ganze Zeit in , aber jeden Abend traten wir irgendwo in einer anderen Halle in Schottland auf. Einige Mädchen, die uns zuhören, mochten die Beatles nicht besonders und beschwerten sich beim Veranstalter, dass sie nichts taugten. Nach einer Woche wollte er sie mit einer anderen Gruppe ersetzen, und John war begreiflicherweise sehr niedergeschlagen und sagte zu mir: Wir dachten, das wäre unsere große Chance. Sie waren alle so verstört, dass sie mir leidtaten. Wir machten in Inverness eine Probe in der Hotelbar und gingen alle Nummern noch einmal durch, bis wir den gewünschten Sound hatten. An diesem Abend kam ein Mädchen nach der Show zu den Jungs und bat sie um ein Autogramm. John konnte es gar nicht glauben. George sagte zu mir, dass es das erste Mal überhaupt gewesen war, dass sie jemand um ein Autogramm gebeten hatte. Großartig, sagte John, das ist das Leben, super! Was denkst du darüber, fragte er mich, sollen wir alles andere hinschmeißen und nur mehr Musik machen? Wir sprachen noch darüber, als wir zur nächsten Show fuhren, als unser Wagen an einer Kreuzung mit einem anderen zusammenstieß. Die Jungs fielen auf den Vordersitzen übereinander und unsere Geräten rutschen nach vor. Der Wagen war hinüber und die Polizei gab mir eine Strafe wegen fahrlässigen Fahrens. Ich zahlte 5 Pfund. Das letzte Mal, als ich die Beatles sah, war am Bahnhof von Dundee, als sie in ihren Zug zurück nach Liverpool stiegen.“ Larry Parnes erinnert sich an diese Zeit: „Wir zahlten die Bands am Donnerstag für die Arbeit in dieser Woche. Ein Scheck ging am Donnerstag raus und spätestens am Samstag hatten sie das Geld dann. Schon am Montag kriege ich einen Anruf und es heißt, John Lennon sei am Apparat. Er: Larry, wo ist das verdammte Geld? - Was für ein Geld? - Wir sind pleite, völlig pleite. Ich sage: Aber ihr habt euer Geld schon für letzte Woche bekommen, und diese Woche habt ihr noch gar nicht gearbeitet. John darauf: Du hast gesagt, wenn wir eine kurze Woche arbeiten, kriegen wir Vorschuss. - Gut, wie viel willst du haben? - Fünf Pfund für jeden. - Gut, ich schicke jedem 5 Pfund. Es war merkwürdig, schon am Montag war er wieder am Telefon. Er war ihr Sprecher und er sagte dabei immer das gleiche: Wo ist das verdammte Geld?“ Nach der Rückkehr der Silver Beatles aus Schottland lockt ein neues Engagement: Die Beatles sollen in spielen. Dafür brauchen sie einen Drummer. Am 12. August 1960 läutet das Telefon im Casbah Club. Paul ist dran. Er möchte mit den Jungs vorbeikommen, verkündet er. Ken Brown, der inzwischen die Gruppe The Blackjacks gegründet hat, in der Pete Best spielt, erinnert sich: „Wir saßen in der Küche mit Frau Best und Pete und tranken Tee, als die Jungs kamen, ganz aufgeregt und fragten, ob sie mit Pete ungestört sprechen könnten. Er ging mit ihnen raus. Ich blieb sitzen und machte mir keine Sorgen, weil Pete und ich gemeinsam eine gute Gruppe aufgebaut hatten. Dann kam Frau Best herein und sagte: John, Paul, George und Stu haben Pete gefragt, ob er mit ihnen als Drummer nach Hamburg gehen möchte. Sie sollen die Saison im Indra spielen und haben Pete gesagt, dass sei seine große Chance. Am nächsten Tag sind sie dann schon abgereist.“ John: „Wir hatten jede Menge Drummer damals, weil es wenig Leute gab, die ein Schlagzeug hatten, es war zu teuer. Und die meisten davon waren Idioten. Wir haben Pete Best geholt, weil wir schnell einen Drummer brauchten. Wir mussten schon am nächsten Tag nach Hamburg. Alan Williams hat uns in seinem Bus hingefahren. Wir fuhren über Holland und haben dort ein bisschen in den Geschäften geklaut.“ Die Band heißt jetzt „“. Am 17. August 1960 spielen sie das erste Mal im Indra Club an der Großen Freiheit. Der Eigentümer des Clubs ist . John: „Als wir in Hamburg ankamen, quartierte man uns in diesem Schweinestall ein, wie eine Toilette, in einem Kino, das eine heruntergekommene Flohkiste war. Wir lebten auf der Toilette, genau neben der Frauentoilette. Wir wachten am Morgen auf und die führten einen Film vor und alte deutsche Frauen pissten im Nebenraum. Dort haben wir uns gewaschen. Das war unser Badezimmer. Das war schon ein Schock, erst mal. Wir mussten unsere Lieder über Stunden und Stunden spielen. Deshalb dauerte ein Song zwanzig Minuten und hatte zwanzig Solos darin. Die Deutschen mögen schweren Rock, und deshalb mussten wir die ganze Zeit rocken, und fingen dabei zu stampfen an. Alles war im Viervierteltakt, weil unser Drummer, Pete Best, auf seiner Basstrommel nicht schneller spielen konnte. Alles, was wir spielten, war dann Bumm, Bumm, Bumm, Bumm. Es war immer noch aufregend, auf der Bühne zu stehen, auch wenn es ein kleiner Nachtclub war. Es war kein Tanzsaal, sondern die Leute setzten sich hin und erwarteten etwas von uns. Sie wollten 'mach Schau'. Wenn wir dran waren, war es an mir, uns herauszureißen. Ich war es, der aufstehen musste und ans Mikro und ich spielte den für die, drei Wochen lang. Am zweiten Abend sagten sie zu uns: Den ersten Abend ward ihr schrecklich, ihr müsst Schau machen. Also stellte ich meine Gitarre weg und machte den Gene Vincent7 für alle, stampfte oder lag auf dem Boden oder warf mein Mikro herum oder tat so, als würde ich humpeln. Das war ein Erlebnis, die Deutschen rufen zu hören: Mach Schau, mach Schau. Die Polizei hat dann den ersten Klub zugemacht, weil wir zu laut waren.“ Über seine Kollegen erzählt Pete Best viele Jahre später: „John war ein Spaßvogel. Er besaß einen beißenden Witz. Weil wir uns in Hamburg sehr nahe kamen, durfte ich aber noch eine andere Seite von John sehen, die die Welt erst Jahre später entdecken sollte. Paul hatte schon damals großartige stimmliche Fähigkeiten. Und er war ein großer PR-Mann. Wenn jemand die Leute daheim über die Beatles auf dem Laufenden hielt, dann war es Paul. George als der Jüngste und wahrscheinlich Schüchternste und Ruhigste wollte vor allem eines erreichen: Ein großer Gitarrist zu werden. Er übte beständig, es war unglaublich. Stu war ein brillanter Künstler, der die Leute im Club mit Kreide oder Bleistift porträtierte. Ich verteidige ihn immer, wenn es heißt, er sei kein guter Bassist gewesen. Er spielte, was nötig war.“ Am 4. Oktober wechseln die Beatles in den „“, da das „Indra“ schließen muss. Ironischerweise, weil sich nach 10 Uhr abends dort noch Jugendliche aufhalten. Dass George selbst noch keine 18 ist, entgeht zu diesem Zeitpunkt der Polizei. John: „Der Kaiserkeller war größer und man konnte dort gut tanzen. Howey Casey spielte in dem Club und die waren gut. Sie konnten gut miteinander. Danach holten sie , wo Ringo dabei war, und die waren richtig professionell.8 Die waren schon seit Jahren auf Tour. Sie waren immer in Butlin's und was weiß ich wo noch. Die wussten, wie man eine Show macht, und gegen diese beiden Bands mussten wir uns behaupten.“ Bruno Koschmider: „Rory Storm And The Hurricanes waren beliebter als die Beatles, deshalb taten die Beatles alles, um das Publikum zu beeindrucken, und scheuten nicht davor zurück, sie als Nazischweine zu beschimpfen. Sie taten alles, um anders zu sein, was damals die Leute nicht verstanden haben. Auch akustisch. Außer der Manager des Clubs, der schrieb alles in ein großes, schwarzes Buch und erzählte mir am darauffolgenden Tag, was sie schon wieder ausgeheckt hatten.“ Am 15. Oktober 1960 spielt Ringo das erste Mal mit den Beatles zusammen, da deren Drummer Pete Best gerade verhindert ist. Die Beatles dürfen als Hintergrundgruppe für Wally Eymond fungieren, der gerade Plattenaufnahmen im Akustik-Studio in Hamburg macht. Eymond ist der Leadgitarrist von Rory Storm, deshalb macht es Sinn, dass er Ringo zu der Session hinzu bittet. Man nimmt eine Popversion von George Gershwins Summertime auf. sieht die Beatles das erste Mal im Kaiserkeller: „Die Bühne war so groß wie ein Sofa. Es waren fünf. John, Paul, George, Pete und Stuart, alle zusammengedrängt mit ihren Instrumenten. Ich war mit einem Freund da, . Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihnen lösen, diesen aufregenden, wilden Jungs. So was wie die hatte ich noch nie erlebt. Stuart trug dunkle Brillen und ich konnte sehen, dass er mich dauernd ansah. Zuerst war nichts Besonders zwischen uns, aber später war da eine unheimliche Anziehungskraft und wir wollten dauernd zusammen sein. Er war anders als die anderen auf seine Art. Sehr zart und ruhig und tiefsinnig.“ George: „Im Kaiserkeller gab es eine andere Band, aber das war keine Entlastung für uns. Jede Band war acht Stunden am Tag auf der Bühne. Wir begannen um zwei Uhr nachmittags, spielten eine Stunde, dann waren die anderen eine Stunde dran, und so ging es bis zum nächsten Morgen durch. Nach zwei Wochen davon begannen wir nach dem sechsten Set ein bisschen schlapp zu

7 Gene Vincent: http://www.youtube.com/watch?v=vDU9FP5_B2M 8 http://www.youtube.com/watch?v=rYAL- eBfBno&feature=PlayList&p=94EB3BE498A6CBE7&playnext_from=PL&playnext=1&index=18 werden. Aber der Boss des Ladens, der was von einem Gangster hatte, und alle seine Gangster- Freunde wollten, dass wir auf und ab springen und What 'd I Say9 singen. John: „Paul sang dann What 'd I Say eineinhalb Stunden lang und wir waren alle besoffen. All diese Gangster kamen da herein, von der Mafia dort, und schickten uns Kisten mit Champagner auf die Bühne. Es war Champagnerersatz und wir mussten ihn trinken oder sie würden uns umbringen. Sie sagten: Trinkt das und dann singt ihr: What 'd I Say. Wir mussten also trinken, immer dann, wenn sie nachts hereinkamen. Wenn das morgens um fünf war und wir schon sieben Stunden gespielt hatten, gaben sie uns eine Kiste Sekt und wir mussten weitermachen. Da gaben uns die Kellner Tabletten, damit wir wach blieben und wieder munter wurden. Ich war so besoffen. Ich lag auf dem Boden, hinter dem Klavier, betrunken, während die anderen spielten. Ich konnte auf der Bühne schlafen. Wir aßen auf der Bühne, weil wir sonst keine Zeit dafür hatten. Es war sehr intensiv. Wir waren für eine Saison gebucht, das waren viereinhalb Monate, und spielten jede Nacht sieben Stunden. Wir haben in der Zeit gelernt, miteinander zu leben und zu arbeiten und uns den Wünschen des Publikums anzupassen und haben in dieser Zeit einen eigenen Stil entwickelt, unseren Stil. Wir hatten weder Zeit noch Lust, anderen zuzuhören. Wir haben uns so entwickelt, wie es uns am Besten schien und als dann offensichtlich wurde, dass die Leute uns mochten, kam dann Selbstbewusstsein dazu und unsere Auftritte wurden immer besser.“ Am 21. November wird George aus Deutschland ausgewiesen, weil man herausgefunden hat, dass er noch keine achtzehn ist. Nachdem er in den Zug gestiegen ist, werden seine Freunde ins Gefängnis gesperrt, weil sie angeblich den Kaiserkeller anzünden wollten. Peter Eckhorn, der Eigentümer des Top Ten Clubs, stellt ihnen neue Räume zu Verfügung. Die alten wären fast abgebrannt. Es gibt kein Licht im Hinterzimmer des Bambi-Kinos, und Paul und Pete haben beim Packen ein Kondom in Brand gesetzt, um es als Lichtquelle zu nutzen, wie sie später erklären werden. Obwohl eigentlich kein Schaden passiert ist, lässt Koschmider die beiden verhaften und in eine Zelle stecken. Astrid: „Die Polizei war schrecklich. Sie wollten die Jungs nicht freilassen, aber Peter Eckhorn sagte, er würde alles zahlen, damit sie frei kämen. Er mochte sie sehr gern und er wusste, dass es die Beatles waren, die jede Nacht die Hamburger Clubs gefüllt hatten.“ Bei der Verhaftung spielt auch der Ärger Koschmiders mit, dass ihm die Beatles nun vom Top Ten Club aus Konkurrenz machen würden. John: „Wir hassten die Eigentümer des Kaiserkellers so sehr, dass wir so lange auf der Bühne auf und ab gesprungen sind, bis die Bretter zerbrochen sind. Zuletzt sind wir nur mehr auf dem Boden herumgesprungen.“ Peter Eckhorn: „Also kamen sie zu mir und fragten, ob ich für sie Arbeit im Top Ten hätte. Sie spielten mir ein paar Nummern vor und ich mochte, was ich hörte. Ich sagte: Okay, ihr habt den Job, aber dann zeigten sie die Eigentümer des Kaiserkellers bei der Polizei wegen Brandstiftung an, was natürlich nicht gestimmt hat. Das Ende vom Lied war, dass man die Beatles deportiert hat. Es dauerte sieben Monate, bis sie wieder zurückkamen. Wir kamen überein, dass sie im Top Ten spielen, wenn ich ihre Probleme mit der Einwanderungsbehörde kläre.“ Im Dezember sind die Beatles zu Hause und merken, dass die Shadows der neueste Schrei sind. Überall schwärmen die Teenager für sie, und überall kopieren Bands die Shadows, die mit ihrem Lied berühmt geworden sind.10 Deren Frontmann, , der nicht nur optisch Paul McCartney ähnelt, wird später ein berühmter Solo-Künstler werden und dominiert damals schon die Shadows, wie das auch Paul bald tun wird. John: „Wir aber hatten unseren eigenen Beatles-Sound und in der Gegend von Liverpool mochten sie uns trotzdem.“ Am 27. Dezember 1960 spielen die Beatles in der Town Hall in Litherland, Liverpool. Sie bringen aus Hamburg eine ganz eigene Energie mit, die man hier nicht kennt. Es ist das erste Mal, das das Publikum die Begeisterung zeigt, die später zur Beatlemania gehören wird. Bei diesem Auftritt spielt Chas Newby Bass, da Stu Sutcliffe in Hamburg bei seiner Freundin Astrid Kirchherr

9 : http://www.youtube.com/watch?v=65FOQpQpSwc&feature=related 10 http://www.youtube.com/watch?v=pY-rPDwzM9M geblieben ist. , der Gastgeber dieses Abends, erinnert sich: „Die Leute waren erwartungsvoll. Es war Weihnachtsstimmung. Die Vorhänge waren geschlossen. Wir machten eine Show daraus. Ich ging ans Mikrophon und rief: „Hier sind sie, direkt aus Hamburg, die sensationellen Beatles!“ Und als dann der Vorhang hoch ging, begann Paul zu singen. John: „Das war der Abend, an dem wir aus unserer Schale schlüpften und wirklich los legten. Wir stellten fest, dass wir schon recht berühmt waren. Und es war das erste Mal, dass wir richtig gut gespielt haben.“ 1961

Die Beatles setzen darauf, dass sie die Kunst ernähren wird. Sie nehmen jedes Engagement an, und sind dafür bereit, große Mühen in Kauf zu nehmen. Paul: „Wir fuhren überall hin mit diesem Bus, und eines nachts war die Heizung ausgefallen und es war bitterkalt, weil es Winter war. Da fiel uns ein, dass sich einer über den anderen legen sollte, um uns warm zu halten. Wir nannten das ein Beatles-Sandwich. Ganz unten schlafen war dann am wenigsten beliebt, das ist klar, deshalb wurde immer durchgewechselt.“ Anfang 1961 treten die Beatles auch wieder im Casbah auf. Pete: „Meine Mutter hatte uns als The Fabulous Beatles From Hamburg angekündigt. Das wollte jeder sehen. Dann kamen John, Paul, George, Stu und ich die Treppe herab und die Leute sagten: Warte mal, das sind nicht die Beatles, das sind die Quarry Men, die hier schon aufgetreten sind. Und das ist Pete, der bei den Black Jacks spielt. Was ist hier los? Aber als wir dann loslegten, war die ganze Atmosphäre anders. Die Leute sind ausgeflippt und es war alles anders als zuvor.“ Es ist der erste von zahlreichen Auftritten, die die Beatles um die Mittagszeit im Club machen werden, und die ihnen eine wachsende Fangemeinde bescheren wird. Am 1. April 1961 ist George volljährig geworden und darf nun wieder offiziell in Deutschland einreisen. Die Beatles kehren deshalb nach Hamburg zurück und treten deshalb bis zum 2. Juli 1961 92 Nächte lang im Top Ten Club an der Reeperbahn auf. Die deutsche Polydor bringt im August eine neue Platte von heraus, der zu diesem Zeitpunkt schon ein bekannter Popstar ist. Sie heißt My Bonnie11, und es singen die Beatles darauf, die auf der Platte als „Beat Brothers“ bezeichnet werden. Es sind die Beatles, denen man sagt, dass „Beatles“ so ähnlich wie Pimmel klingt und deshalb kein geeigneter Name für eine Gruppe sei. Die Platte wird unter der Aufsicht von Bert Kämpfert in Hamburg Harburg aufgenommen, in der Friedrich Ebert Halle. John singt auf der Platte beim Lied Ain't She Sweet12 ein Solo, und es gibt auf ihr auch eine Instrumentalnummer von John und George mit dem Titel Cry For A Shadow13. Tony Sheridan: „Ich spielte damals im Top Ten Club und sang mit verschiedenen Gruppen. Eines Tages kam eine neue Gruppe. Sie hatten Lederjacken und enge Hosen an und sahen aus wie Ted- Imitationen. Ich sang und sie spielten als Begleitband. Wir lebten alle auf dem Dachboden des Top Ten und es war schrecklich. Wir mussten vier Treppen hoch und in dem Raum standen Armeebetten. Es gab einen Kübel mit Wasser und Holzbohlen und keine Fenster und es zog wie Hechtsuppe, ein bisschen wie in Oliver Twist. Nebenan lebte eine alte Frau, und Peter Eckhorn bezahlte sie dafür, jeden Morgen frisches Wasser in den Raum zu stellen. John hat diese Frau gepiesackt. Er schlief ganz oben und wenn er aufwachte, konnte er ohne Brillen nichts sehen. Er machte jede Menge Lärm, wenn er wach wurde, also mussten wir auch alle aufstehen. John war ein wilder Typ.“ Zurück aus Hamburg wissen die Beatles nicht, wie es mit ihrer Karriere weiter gehen soll. Stu ist in Hamburg geblieben, aber er hält engen Kontakt zu John. Astrid: „Stu schrieb an John stundenlang Briefe, in die er alle seine Gefühle packte, und erzählte, was er erlebt hatte und er machte kleine Zeichnungen für John und Seiten voll mit Gedichten. Das waren Briefe, die konnten zwanzig Seiten lang sein. Und die Briefe, die er von John bekam, waren genauso lang und genauso gefühlvoll.“ Am 6. Juli 1961 erscheint im , der damaligen Zeitschrift für Beatmusik in Liverpool, ein Artikel mit dem Titel Being A Short Diversion On The Dubious Origins Of The Beatles, Translated From The John Lennon ... Pete Best: Johns abgründiger Humor hat uns immer wieder unterhalten und was in dem Artikel so witzig war, war, dass er McCartney falsch geschrieben hatte.“ Am 18. August spielen die Beatles das zweite Mal mit im Cavern-Club, kommen mit diesem Drummer aber bei dieser Begegnung gar nicht gut zurecht. Sie kennen die gleichen

11 http://www.youtube.com/watch?v=IQEAkg2-Jo8 12 http://www.youtube.com/watch?v=e1FSRMfNtLU&feature=related 13 http://www.youtube.com/watch?v=l9FacSNRBHk Nummern, aber die Beatles spielen sie anders als die Hurricanes, deren Tempo viel langsamer ist. Am 30. September fahren John und Paul zwei Wochen lang nach Paris. John: „Paul und ich fuhren per Autostopp nach Paris, oder das sollte es zumindest werden, aber wir nahmen dann trotzdem den Zug, aus Faulheit. Ich wollte meinen 21. Geburtstag dort verbringen. Zufällig trafen wir dort einen Freund aus Hamburg, Jürgen Volmer, und der hatte einen neuen Haarschnitt, vorne gerade herunter gekämmt, mit einer Franse, was uns sehr gefiel. Wir gingen zu ihm in sein Hotelzimmer und dort hat er unsere Haare ähnlich geschnitten oder besser gesagt, in eine ähnliche Form gehackt.“ Es ist die Geburtsstunde der „Pilzköpfe“. Es ist einigen Fans zu Ohren gekommen, dass die Beatles in Hamburg eine Platte aufgenommen haben, und sie fragen im NEMS Plattenladen in Liverpool danach, der von geleitet wird. Der 27jährige ist dafür bekannt, dass er auch obskure Plattenwünsche entgegennimmt und in der Regel auch erfüllen kann. Bei einer Platte der „Beatles“ muss er allerdings passen. Als er hört, dass sie ebenfalls aus Liverpool stammen, geht er am 9. November 1961 um die Mittagszeit in den Cavern Club, um sich die Gruppe anzuhören. Brian Epstein: „Ein Junge namens Raymond Jones fragte nach von den Beatles. Es war üblich, dass man bei Plattenwünschen von Kunden nachforschte. Nach ein oder zwei Wochen hatte ich herausgefunden, dass die Beatles sogar eine Gruppe aus Liverpool waren. Ich hatte sie für eine deutsche Band gehalten. Ich erfuhr, dass sie gerade aus Deutschland kamen und im Cavern spielten. Der Club war kaum hundert Meter von meinem Büro entfernt. Es war ein Lokal für Teenager und ich war nicht Mitglied dort, deswegen fragte ich vom Mersey Beat, mir zu helfen in dem Fall, dass ich dort abgewiesen werden würde. Ich sah die Beatles, als sie in der Mittagszeit auftraten und mochte sie sehr. Ich mochte ihren Sound. Ich beschloss, mit ihnen zu reden, auch wenn es nur war, um meine Neugierde zu befriedigen. Ich wollte wissen, wie sie ticken. Also arbeitete ich mich durch die Menge zu ihnen vor und hörte sie, bevor ich sie überhaupt sah. Ich halte das für wichtig. Ich denke, dass es allen Leuten so geht, dass sie zuerst hören, wie sie spielen und das mögen und das steht am Beginn des Interesses, das sie an ihnen haben. Als ich sie hörte, wusste ich gleich, dass ich etwas hörte, das vielen Leuten gefallen würde. Sie waren frisch, ehrlich und hatten, fand ich, eine Art der Präsenz und eine Starqualität, was immer das auch ist, was man mit diesen Worten auch meint.“ Sein Assistent, : „Brian und ich sahen mit unseren weißen Hemden und den schwarzen Anzügen dort wie Außenseiter aus. Die Beatles spielten A Taste of Honey14 und .15 Es beeindruckte uns, dass sie auch Eigenkompositionen spielten. Es war schrecklich, einerseits, und zugleich unglaublich. Sie waren schäbig gekleidet, laut und waren keine besonders guten Musiker, aber ihre Seele ging einem ins Herz. Später, als sie aufgehört hatten, zu spielen, kam es zu einem kleinen Gespräch. Brian sagte: Was haltet ihr davon, bei mir im Büro vorbeizuschauen? Ich kann mir vorstellen, euch zu managen. Sie zeigten Interesse, und wir gingen dann dort weg mit dem panischen Gefühl, was meinen wir eigentlich damit, eine Band zu managen? Wissen wir überhaupt, wie so was geht?“ : „Die Bühne im Cavern war sehr klein. Es war gerade Platz für ein Klavier, die Verstärker, die Mikrophone und das Schlagzeug. Bob Wooler, der Hausherr, ein tüchtiger und engagierter Mann, stellte die Bands sehr professionell und mit Stil vor. Der Eingang zu dem Club war winzig und der Schweißgeruch stieg einem in die Nase. Die Mittagssessions waren ein phänomenaler Erfolg. Wohlgekleidete Damen und Herren aus der Stadt, Studenten, Verkaufshilfen, Fabriksarbeiter, Schulkinder, alle stellten sich dort an und wollten ihre tägliche Dosis einer Musik, die sie noch nie zuvor gehört hatten.“ Paddy Delaney: „Der Club hatte keine Lizenz, Alkohol auszuschenken, das hat zu der harmonischen Atmosphäre beigetragen. Der Lärm war unglaublich. Die Musik der Beatles war tierisch, aufregend und sehr eindrucksvoll. Sie rauchten auf der Bühne und John steckte eine Zigarette unter die Saiten seiner Gitarre.“ Am 13. Dezember sieht Mike Smith von Decca Records die Beatles im Cavern Club: „Wir zeigten

14 http://www.youtube.com/watch?v=aklA-iwKkHE 15 http://www.youtube.com/watch?v=t0qq6AI7CiE Interesse, weil Brian einer unserer besten Kunden war. Ich fand die Beatles toll.“ Nach dem Konzert lädt er die Beatles nach ein. Am 15. Dezember unterschreiben die Beatles den Vertrag mit Brian Epstein. Brian: „Ich ermunterte sie dazu, ihre Lederjacken und Jeans abzulegen. Ich habe es ihnen zuerst nicht mehr erlaubt, in Jeans aufzutreten, und dann, stückweise, trugen sie Pullover auf der Bühne, und zuletzt Anzüge. Der Anlass dazu war ihr erster Auftritt im Fernsehen bei der BBC vor einem Live-Publikum.“ 1962

Am 1. Januar 1962 spielen die Beatles bei der Plattenfirma Decca in London vor. Eine andere Gruppe aus der Gegend, Brian Poole & the Tremeloes, wird ihnen aber mit dem Argument vorgezogen, dass die Beatles hier im Süden keine Fangemeinde haben, und dass Jungs mit Gitarren keine Zukunft haben. John: „Wir waren ziemlich aufgeregt, weil es die Decca war und so. Also fuhren wir hinunter und trafen diesen Typ Mike Smith und spielten unsere Nummern und waren dabei total nervös. Man kann es auf den Bootlegs hören. Am Anfang ist es schrecklich und dann wird es besser. Wir passten musikalisch zusammen, aber es ist primitiv und nicht besonders gut aufgenommen, aber die Kraft spürt man. Es waren die Nummern, die wir in den Tanzsälen spielten. Also fuhren wir nach Liverpool zurück und warteten und warteten und dann hörten wir, dass wir nicht angenommen worden waren. Wir dachten, das ist das Ende.“ Ganz anders sieht es in Liverpool aus. Dort werden sie am 4. Januar im ersten Mersey Beat Popularitätswettbewerb der Bands an erster Stelle gereiht. Der erste Auftritt der Beatles unter Brian Epsteins Führung findet im Thistle Cafe in West Kirby statt, der zu dieser Gelegenheit auf „Beatles Club“ umgetauft wird. Der Club ist an dem Abend voll. Brian Epstein nimmt 10 Prozent der Einnahmen, der Rest gehört den Beatles. Obwohl der Abend ein Erfolg ist, soll es das einzige Mal bleiben, dass die Beatles dort auf der Bühne stehen werden. Am 8. März 1962 treten die Beatles das erste Mal im Radio auf. Der Anlass ist die Sendung Teenager's Turn (Here We Go). Die Beatles haben sich auf den Weg zum Erfolg begeben, so viel ist klar. John sieht diesen Weg mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Wir hatten in Liverpool und in Hamburg und anderen Tanzsälen auf der Bühne gespielt und was wir rüber brachten, war phantastisch. Wir spielten ehrlichen Rock und in ganz England konnte uns da niemand das Wasser reichen. Als wir es dann geschafft hatten, wurden wir an den Kanten abgeschliffen. Brian steckte uns in Anzüge und so weiter und wir wurden sehr sehr groß. Aber wir verkauften uns dabei. Bis Brian kam, waren wir in einem Traum befangen. Wir wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Als wir dann unsere Marschpapiere bekommen hatten, wurde es offiziell. Brian wollte unser Image säubern, aber er wollte auch nicht, dass wir zu brav wurden. Er sagte zu uns, dass Jeans nicht so gut aussehen würden und wie wäre es, wenn wir richtige Hosen tragen würden. Und so hat er es geschafft, uns sauber zu kriegen. Ich habe mich mit ihm gestritten, dass ich keine Lust hätte, mich herauszuputzen, aber Paul und er wollten, dass ich mich verbessere. Paul und er hatten sich gegen mich verschworen, wollten mich auf den geraden Weg führen. Dabei mussten wir uns nicht vollkommen verleugnen. Und wir respektierten ihn, aber wir zogen auf der Bühne trotzdem unsere Mätzchen ab. Was wir machten, war bewusster und wir achteten auch auf Pünktlichkeit. Wir sahen einfach besser aus, wo wir vorher einfach nur schlampig auf die Bühne gegangen waren.“ Bob Wooler: „Als sie das erste Mal ihre Anzüge trugen, begannen sie zu schwitzen und platzten gleich aus den Nähten. Die Beatles sagten zu Brian: Das ist lächerlich! Und er war wütend, weil er keine schweißdichten Anzüge hatte. So hat das begonnen. Und sie lernten auch dazu. Sie begannen sich nach dem Auftritt zu verbeugen, und als sie das im Cavern machten, wurden die Fans verrückt!“ Am 10. April 1962 stirbt Stu Sutcliffe kurz vor dem Wiedereintreffen der Beatles in Hamburg an einer Hirnblutung. Er war seit dem Vorjahr nicht mehr in England und lebte bereits mit Astrid Kirchherr, seiner Verlobten, zusammen. Stu erleidet einen Schwächeanfall im Haus seiner zukünftigen Schwiegermutter. Er stirbt noch vor dem Eintreffen im Krankenhaus. Die Beatles sind vom plötzlichen Tod ihres Freundes geschockt, aber durch seine Abwesenheit wurde er schon länger nicht mehr als Mitglied wahrgenommen. Die Beatles treten noch am gleichen Abend auf, wenn auch ohne Spaß und Mätzchen. Paul wird nun fortan dauerhaft der Bassist der Beatles werden. Die Gruppe absolviert bis zum 31. Mai 48 Auftritte im neuen „Star-Club“ in Hamburg. Am 8. Mai besucht Brian Epstein in London den HMV Plattenladen an der Oxford Street, wo man Demo-Bänder auf Platte übertragen lassen kann. Ted Huntly, der die Bänder überspielt, findet die Lieder der Beatles gut und vermittelt den Kontakt zu , dem Plattenproduzenten von EMI. Epstein lernt Martin schon am nächsten Tag kennen, spielt ihm die Demos vor und kommt mit ihm überein, dass die Beatles nach ihrer Rückkehr aus Hamburg bei EMI vorsprechen sollen. Pete Best: „Wir waren in Deutschland, als die Nachricht von unserem Plattenvertrag kam. Wir feierten wie verrückt. Ich kannte keine Ahnung, dass ich bald nicht mehr Teil der internationalen Beatles sein würde.“ Gut – so weit ist es mit dem Vertrag noch nicht. Aber eine ehrliche Chance sollen die Beatles bekommen. Am 4. Juni machen sie in den EMI Studios einen Test für und spielen Besame Mucho16. Aber auch drei Eigenkompositionen sind dabei: P.S. I Love You, und . George Martin: „Ich war seit 1955 bei der Parlophone für Plattenaufnahmen zuständig. Es war damals eine kümmerliche Unterabteilung der EMI und ich hatte eine Menge Platten von Komikern aufgenommen. Im Jahr 1962 wollte ich unbedingt in die Popwelt einsteigen.“ Die Beatles machen auf George Martin Eindruck. George Martin: „Sie hatten eine Unverfälschtheit, die ich vorher noch nie gehört hatte und bei ihnen waren mehrere Sänger, was ungewöhnlich war. Ich wollte sie mir näher ansehen. Mein erster Eindruck war, dass sie alle recht manierlich waren, außer der Haare, die für damalige Verhältnisse schockierend waren. Ihre Persönlichkeiten machten mir Eindruck. Da flogen die Funken, wenn die spielten oder wenn man mit ihnen sprach. Sie waren große Fans der Goons, die ich in den 1950ern aufgenommen hatte. Das machte mich in ihren Augen zu einer Art Berühmtheit. Ich erinnere mich daran, dass George Harrison am meisten redete und Pete Best den ganzen Nachmittag kein Wort sagte. Es gab keinen wirklichen Anführer und ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Gruppe als Gruppe überhaupt erfolgreich sein konnte. Paul hatte die beste Stimme, also überlegte ich mir, aus ihm den Anführer zu machen und die anderen sollten ihn begleiten, so ähnlich wie Cliff Richard und die Shadows. Eine Weile darauf fuhr ich nach Liverpool, um mir anzusehen, was diese ganze Aufregung um die Beatles sollte. Der Cavern war vollgestopft mit Leuten, man konnte nicht tanzen und die Wände troffen von Schweiß. Mich hat es erstaunt, dass die Jungs keinen Elektroschock kriegten! Sie sangen harten Rock und das Publikum rastete aus. Da begriff ich, dass die Beatles eine Gruppe waren und dass sie eine Gruppe bleiben mussten. Als ich sie traf, kannte ich schon ein Probeband von ihnen, das mich offen gestanden nicht vom Hocker gerissen hat. Es war schlecht aufgenommen und die Songs taugten auch nicht viel. Es waren keine Eigenkompositionen, und trotzdem war da was dran, was mich interessiert hat. Deshalb sagte ich: Die holen wir uns ins Studio, und schauen sie uns an. Also schickte sie Brian nach London und als ich sie traf, machten sie auf mich zuerst mit ihrer Persönlichkeit Eindruck, weniger als Musiker. Sie waren sehr sympathisch. Sie hatten diese herrliche Art von Humor, und ich hatte das Gefühl: Das sind super Leute, um mit denen abends auszugehen und Spaß zu haben. Und ich dachte mir, die Lieder sind auch angenehm, also machen wir mit denen einen Vertrag, ich kann dabei nichts verlieren. Das war, wie das alles angefangen hat.“ Am 9. Juni 1962 spielen die Beatles das erste Mal seit einigen Monaten wieder im Cavern Club. Die Nachricht hat sich herumgesprochen und mehr als 900 Menschen drängen sich in den Kellergewölben. Die Beatles werden mittlerweile schon als Stars wahrgenommen. Zumindest gilt das für John, Paul und George. Pete Best fällt immer mehr aus der Gruppe heraus. Er hat zwar persönlich eine gewisse Ausstrahlung auf Mädchen, aber er ist kein guter Drummer, was auch George Martin nach den Plattenaufnahmen in London schon gesagt hat. Bob Wooler: „John, Paul und George haben das entschieden, dass Pete aussteigen muss. Wir trafen uns spät abends nach Feierstunde in einem Pub und redeten darüber. Ich war dabei, weil Brian Epstein meinen Rat schätzte. Er wollte keinesfalls, dass die Fans abgeschreckt würden. Pete hatte seine eigenen Fans und es war das eine kritische Zeit, weil sie in London gewesen waren und es hieß, der Drummer ist zu schwach. Für alle war Ringo Starr der beste Nachfolger.“

16 http://www.youtube.com/watch?v=LzfUDt_5L-s Am 18. sitzt Ringo das erste Mal am Schlagzeug für die Beatles, beim Jahrestanz der Gartenbaugesellschaft in Hulme Hall in Birkenhead. Ein Song vom Auftritt der Beatles am 22. August 1962 im Cavern Club wurde mit der Kamera aufgenommen. Sie geben darauf Some Other Guy zum Besten, einen Rocksong von Jerry Leiber, Mike Stoller und Richard Barnett, der gerade von Barnett veröffentlicht worden ist. Die Beatles sind schon proper gekleidet in hellen Hemden und Pullundern und klingen schon sehr wie die Beatles!17 John ist der erste Beatle, der eine feste Freundin hat. Und er ist auch der erste verheiratete Beatles. Als Cynthia unerwartet schwanger wird, beschließen die beiden zu heiraten. Die Hochzeit findet am 23. August 1962 in Liverpool im Mount Pleasant Register Office statt. Brian Epstein ist Johns Trauzeuge. Die Hochzeitsnacht fällt aus, denn die Beatles haben im Riverpark Ballroom bis spät in die Nacht ein Engagement. Cynthia: „Vor der Zeremonie wurden mir die Knie weich. Meine Kehle wurde trocken und ich hatte Angst, dass ich keinen Ton herausbringen würde. Wir schauten dabei beide aus dem Fenster in einen Hinterhof, wo ein Arbeiter mit einer Stoffmütze mit dem Drill das Pflaster aufstemmte. Als ob er es wüsste, begann er gerade in dem Augenblick zu hämmern, als die Zeremonie begann. Wir hörten keinen Ton, die ganze Zeit. Wir konnten nicht einmal hören, was wir dabei dachten.“ John: „Ich verstand keinen Ton, was der Beamte sagte, weil der Presslufthammer draußen so laut ging. Danach war ich ziemlich verunsichert, so als Verheirateter herumzulaufen. Es war so, als wäre man mit offener Hosentür unterwegs oder mit einem Socken, der ein Loch hat.“ Brian Epstein sieht Johns Ehe als Problem. Er fürchtet, wenn die Fans davon Wind bekämen, könne das der Popularität der Beatles schaden. Die Hochzeit und auch die Geburt des Sohnes Julian wird streng geheimgehalten. Für Cynthia ist es schwer zu ertragen, dass sie in der Öffentlichkeit von John abgeschottet werden soll. In den Cavern Club darf sie fortan nicht mehr gehen, und dann ist es auch so, dass die Beatles nun fast beständig auf Konzertreise sind und John deshalb kaum zur Erziehung des Kindes beitragen kann. Cynthia muss allein zurechtkommen. Sie behandelt John in Folge auch eher wie ein Kind als einen Ehemann, finden Freunde. Cynthia ist die Vernünftige, die sich um den Haushalt kümmert, das Kind aufzieht und am aufregenden Leben der Beatles nicht teilnimmt. Am 4. September 1962 finden die ersten wirklichen Plattenaufnahmen der Beatles in dem EMI Studio 2 in der statt, das nun für die nächsten acht Jahre ihre zweite Heimat werden wird. George Martin hat ihnen schon im Juni vorgeschlagen, How Do You Do It aufzunehmen, ein Lied von Mitch Murray, das ein Jahr darauf in der Version von Gerry & the Pacemakers auch tatsächlich ein Nummer-1-Hit werden wird18. Die Beatles spielen das Lied ohne große Begeisterung. Sie wollen ihr eigenes Material auf einer Platte unterbringen. George Martin sagt: „Und, habt ihr etwas Vergleichbares?“ John und Paul schlagen Love Me Do vor, das der Produzent schon von den Demo-Bändern kennt, und spielen das Lied. Paul: „Love me Do19 war unsere Version von einem Blues. Es hat weiß geklungen, schon weil wir Weiße und einfach junge Musiker aus Liverpool waren. Wir hatten nicht das Können, schwarz zu singen.“ John: „Paul hat das schon geschrieben, als er 15 war und wir haben es im Laufe der Zeit mehrmals umgearbeitet. Es war das erste von unseren eigenen Sachen, die wir gespielt haben. Wir spielten so tolle Nummern von anderen und unsere dazwischen und das war ein traumatisches Erlebnis, wenn man Ray Charles interpretierte und Little Richard und dann plötzlich Love Me Do singen muss. Wir hielten unsere eigenen Nummern für nichts Besonderes.“ Brian Epstein: „Die Mundharmonika musste fünfzehn Mal aufgenommen werden. Johns Mund war taub vom Spielen und die Stimmung war geladen. Als dann alle Stimmen im Kasten waren und die Session nach Mitternacht aufhörte, war jeder so fertig, dass keiner mehr wusste, ob es nun gut oder schlecht war, was man erreicht hatte.“ George Martin: „Ich fand Love Me Do ein gutes Lied, aber nicht gut genug für den Markt und

17http://www.youtube.com/watch?v=w2AXaOULs6Q 18 http://www.youtube.com/watch?v=Ig20b9EXU0Y 19 http://www.youtube.com/watch?v=zwqzRXDibeM dachte mir damals, dass die Beatles nicht das Zeug hatten, Hits zu schreiben. Es gab dafür keinen Anhalt. Sie hatten mir ihre Kompositionen gezeigt, die nicht besonders gut waren, also schaute ich mich immer nach Material für sie um. Ich hatte das Gefühl, dass sie eine Hitband waren, wenn ich nur die richtigen Lieder für sie finden konnte. Und weil nichts Besseres zur Hand war, fand ich mich schließlich widerstrebend dazu bereit, Love Me Do zu veröffentlichen.“ Bob Wooler, der Gastgeber im Cavern: „Ich hatte ein Wörtchen dabei mitzureden, was auf die A- Seite kam. Eine der Nummern, die sie eingespielt hatten, war P.S. I Love You20. Peggy Lee hatte zu der Zeit einen gleichnamigen Titel in den Charts, wovon die Beatles offenbar nichts wussten 21. Wir wollten Verwirrung vermeiden und so kam es, dass Love Me Do auf die A-Seite kam. Das Harmonikaspiel war Johns Beitrag zu der Nummer.“ Eine Woche darauf müssen die Beatles noch einmal nach London fahren, weil George Martin mit der Aufnahme nicht zufrieden ist. Der Tag ist sehr unangenehm für Ringo, da er von , einem Berufsmusiker, ersetzt wird. Der Aufnahmetechniker Norman Smith: „Ringo war eben zu der Gruppe gekommen und kannte sich noch nicht so gut aus, also hatten wir ihn geholt.“ Ringo: „Ich sah da ein Schlagzeug, das nicht mir gehörte und einen Schlagzeuger, der keinesfalls ich war.“ Paul: „Ringo wurde aus seiner ersten Beatles-Session ausgeschlossen, weil man der Ansicht war, er wäre nicht gut genug. Meiner Ansicht nach ist er einer der besten Drummer des Rock'n'Roll geworden, aber bei seiner ersten Sitzung fand man, dass er nicht gut genug war.“ Die Beatles nehmen an dem Tag außerdem ein Lied von John, und ein Lied von Paul, P.S. I Love You auf. Am 2. Oktober unterschreiben die Beatles einen Fünfjahresvertrag mit Brian Epstein. Am 5. Oktober wird Love Me Do als Single veröffentlicht. Die Beatles nehmen mehrere Termine in Plattenläden war, um Autogramme zu geben. Sie spielen am 12. Oktober in New im Tower Ballroom und treffen dabei auf Little Richard, der der Star des Abends ist. Am 17. Oktober findet ihr erster Fernsehauftritt statt. Es ist die Sendung People And Places in einem Regionalsender. Die Beatles geben Love Me Do und Some Other Guy zum Besten. Am 28. Oktober treffen sie im Liverpool Theatre wieder auf Little Richard, und fahren dann nach Hamburg, wo sie 14 Tage lang im Star-Club zu Gast sind. Am 18. Dezember 1962 kehren sie abermals nach Hamburg zurück, haben dann noch 13 Mal bis Silvester Auftritte und treffen dabei auf Johnny & the Hurricanes und Ted Taylor und seine Gruppe King Size Taylor & the Dominoes. John: „Diesmal ließen wir es richtig krachen. Wir spielten im Star Club, als auch Little Richard dort war. Wir waren dort immer gut behandelt worden, aber diesmal rollten sie den roten Teppich für uns aus, weil unsere Single in die Charts gekommen war. Bei manchen Shows trat ich nur in Unterhose auf, und das machte sie heiß. Ich hatte meine Unterhose an und einen Toilettensitz um den Hals und noch anderes Zeug. Ich war völlig verrückt, machte ein Schlagzeugsolo, was ich gar nicht kann, während spielte.“ Die Beatles hören, dass ihre Single Love Me Do am 27. Dezember 1962 auf Platz 17 der UK-Charts steht. Es wird gemunkelt, dass Brian Epstein 10.000 Platten selbst gekauft hat, um diesen Platz zu erreichen. Doch das ist Quatsch, wie sich schnell herausstellen wird. Das Lied, das von George Martin so kritisch gesehen wurde, ist ein Renner und macht die Beatles innerhalb weniger Wochen im ganzen Land bekannt.

20 http://www.youtube.com/watch?v=p41xLRmEPoY 21 In der Version von Billie Holiday: http://www.youtube.com/watch? v=VjLQ34PIjgA&p=40B30D92A5101BED&playnext=1&index=41 1963

Am 3. Januar 1963 fahren die Beatles nach Schottland, um dort aufzutreten und werden dort als Love Me Do Boys – The Beatles angekündigt. Es ist das erste Anzeichen dafür, dass sie überregional bekannt werden. Auf der Heimfahrt schneit es, und plötzlich zerbricht die Windschutzscheibe. Die Beatles und ihr Fahrer fahren dadurch 200 Meilen zurück nach Liverpool im offenen Wagen. John: „Mal hatte sich diesen Papiersack über den Kopf gezogen, mit einem großen Schlitz für seine Augen. Er sah aus wie ein Bankräuber. Und wir saßen hinten und taten das Gleiche. Wir froren wie die Schneider! Mal musste dann den Rest des Glases rausbrechen und weiterfahren.“ Von nun wird diese Fahrt ein Running Gag zwischen den Beatles und Mal werden. Wenn etwas schief läuft, sagen sie grinsend: „Noch zweihundert Meilen, Mal“, und jeder weiß, was gemeint ist. Am 2. Februar brechen die Beatles zu ihrer ersten Tour durch das ganze Land auf. Die Premiere findet im Gaumont Cinema in Bradford statt bei einer Veranstaltung, an der auch , Danny Williams und Kenny Lynch teilnehmen. Die Beatles verdienen 80 englische Pfund in der Woche, also pro Mann 20 Pfund. Privat tragen sie weiterhin Lederjacken und werden deshalb einmal aus dem Crown & Mitre Hotel in Carlisle geworfen. Helen Shapiro, die als Star der Show gebucht ist: „Die Beatles waren lustige Typen mit einer lustigen Frisur. Ich hatte schon von ihnen gehört und kannte Love Me Do. Ich liebte dieses Lied! Die Beatles waren nicht so poliert wie die Shadows, sondern spielten eine Musik, die ehrlich und gerade war und mit einem Rock'n'Roll, und das hat dem Publikum gefallen. Manchmal spielten sie sehr laut und hatten Probleme mit der Verstärkeranlage, aber sie hatten diesen Magnetismus, man musste ihnen dauernd zusehen, weil man nie wusste, was ihnen noch einfallen würde. Sie alberten auf der Bühne herum und machten eine wirklich aufmunternde Musik. Ich war total in John verliebt, aber ich war erst sechzehn! Er behandelte mich wie seine kleine Schwester. Er kümmerte sich um mich und achtete darauf, dass ich nicht überfahren wurde und so weiter. Keiner von uns wusste, dass er bereits verheiratet war.“ John: „Unsere Musik war schon tot, als wir diese Tournee machten. Wir fühlten uns scheiße, weil die zweieinhalb Stunden, die wir bis dorthin gespielt hatten, auf zwanzig Minuten runtergingen und diese ewig gleichen zwanzig Minuten spielten wir Nacht für Nacht. Die Musik der Beatles war tot, musikalisch gesprochen. Wir haben uns deshalb als Musiker auch nicht mehr verbessert. Wir hatten alles gegeben, um so weit zu kommen, und schon waren wir am Ende. George und ich sind eher dazu bereit, das zuzugeben.“ In dieser Zeit wird das Komponieren immer wichtiger für John und Paul. Roger Greenaway, der damals auf der Tour bei den Kestrels spielte, erinnert sich: „Die Beatles hatten eben ihren ersten Hit, und John und Paul schrieben hinten im Bus einen Song. Kenny Lynch, der sich damals selbst für einen Songschreiber hielt, beschloss, ihnen ein bisschen bei der Arbeit zur Hand zu gehen. Nach einer halben Stunde kam er wieder und sagte: Das war's. Mit diesen Idioten gebe ich mich nicht mehr ab. Die haben keine Ahnung von Musik. Denen ist nicht zu helfen! Das Lied, das die beiden damals gerade schrieben, war .22“ John: „Wir fuhren im Bus von York nach Shrewsbury und alberten auf der Gitarre herum, als wir auf eine gute Melodielinie kamen und ernsthaft daran zu arbeiten begannen. Bevor die Reise zu Ende war, waren wir fertig, den Text und alles. Wir waren total glücklich! Wir wussten, dass wir gerade unsere nächste Hit-Single geschrieben hatten. Wir fragten uns, wie wir auf den Titel gekommen waren und bemerkten dann, dass wir in der Zeitung eine Kolumne gesehen hatten, die From Us To You hieß.“ Paul: „Wir schrieben From Me To You im Bus. Es war toll. Der Mittelteil war was Neues für uns. Man kann von C nach A moll gehen, was ziemlich normal ist. Dann C auf G und dann F, genauso. Aber dann, wenn wir „got arms“ singen, wechseln wir auf G Moll. Wir gehen auf G Moll und dann ein C und das ist eine ganz neue Welt. Es war wirklich aufregend.“ Helen Shapiro: „Ich erinnere mich daran, wie John und Paul zu mir kamen und fragten: Möchtest

22 http://www.youtube.com/watch?v=JHDWyyUfMmQ du hören, was wir gerade geschrieben haben? Sie waren sich unsicher, was ihre nächste Single werden sollte. Wir versammelten uns um das Klavier und Paul spielte und die zwei sangen zusammen. Eines war Thank You Girl23 und das andere From Me To You, was mir am besten gefiel.“ Zurück in London nehmen die Beatles am 11. Februar 1963 über fast zehn Stunden ihre erste Langspielplatte mit dem Titel Please Please Me auf. Das gleichnamige Titellied wird den Beatles ihre erste Nummer 1 in der Hitparade bescheren. George Martin: „Ich hatte noch How Do You Do It von ihnen, aber sie wollten nicht, dass ich das herausgebe. Also sagte ich zu ihnen: Gebt mir ein Lied, das genauso gut ist, und ich nehme es auf. Also brachten sie mir ein Lied, das ich schon einmal zurückgewiesen hatte, weil sie es zu langsam gespielt hatten. Ich sagte ihnen: Spielt es schneller, und lasst es funkeln. Also spielten sie es und ich änderte noch ein bisschen am Ende und zuletzt war ich total von der Rolle, weil es eine tolle Aufnahme war. Ich sagte zu ihnen: Gentlemen, das ist euer erster Nummer-1-Hit!“ John: „Please Please Me24 ist einzig und allein mein Lied. Es war mein erster Versuch, wie zu schreiben. Ich schrieb es zuhause in der Menlove Avenue in meinem Schlafzimmer, bei meiner Tante. Ich kann mich gut an den Tag erinnern, und daran, dass ich von Roy Orbison Only The Lonely25 hörte. So ist das entstanden. Und ich war immer fasziniert von dem Lied Please, lend your little ears to my pleas von Bing Crosby. Dieser doppelte Gebrauch des Wortes Please hatte mich immer schon fasziniert. Also war es eine Kombination von Bing Crosby und Roy Orbison. Wir hatten es fast schon fallen lassen als B-Seite von Love Me Do. Stellen Sie sich das vor, eine Nummer, die uns an die Spitze führen würde, einfach in den Müll geworfen. Wir waren an dem Septembertag so müde nach der Aufnahme von Love Me Do, dass wir es schon wegwerfen wollten, weil das Arrangement schwierig war und wir müde waren und es nicht richtig hinkriegen konnten. In den Wochen darauf versuchten wir es immer wieder, bis wir es endlich drauf hatten. Wir änderten das Tempo und überlegten uns, wie bei Love Me Do die Mundharmonika hineinzunehmen, und als dann die Zeit für die Aufnahme kam, waren wir mit dem Resultat so zufrieden, das wir es nicht schnell genug aufnehmen konnten.“ Paul unterstützt George Martins Version der Ereignisse, als er später sagt: „George Martins Beitrag zu Please Please Me war sehr groß. Es war das erste Mal, dass er uns bewies, wie weit er schauen konnte, dass er Potential entdecken konnte. Am Anfang sollte Please Please Me so eine Art Roy Orbison Nummer sein. George Martin sagte: Wie wäre es, wenn ihr das schneller spielen würdet? Und das machten wir dann auch und waren sehr erfreut von dem Ergebnis.“ Es sind zehn Lieder, an denen sie damals arbeiten. John singt die Leadstimme von Twist & Shout26 und ist an dem Tag so heiser, dass sie das Lied nur einmal aufnehmen und so wie sie ist, auf Platte pressen. Paul: „Um zehn Uhr abends hatten wir uns in die Kantine des Studios zurückgezogen, tranken Kaffee und aßen Plätzchen, und George Martin und ich kamen in ein ernsthaftes Gespräch, was ein gutes letztes Lied auf der Platte wäre, und Alan Smith, ein Reporter, fragte George Harrison: Wie wäre es mit Twist and Shout? Gute Idee, sagte George.“ Norman Smith: Wir nahmen das Lied gegen 11 Uhr abends auf, aber John hatte keine Stimme mehr, weil sie schon sehr hart an dem gearbeitet und neun Lieder bereits eingespielt hatten. Die Band hatte eine Dose Rachenputzer und einen Karton Zigaretten auf dem Klavier, und John schluckte zwei oder drei der Rachenputzer und sie spielten es in einem Rutsch ein.“ John: „Hör dir Twist And Shout an, ich konnte das verdammte Ding gar nicht singen. Ich brüllte nur. Von da an war meine Stimme eine ganze Weile nicht mehr dieselbe. Wenn ich schluckte, fühlte sich das immer wie Sandpapier an. Wir hatten zwölf Stunden ohne Pause gesungen. Wir waren erkältet und machten uns Sorgen, wie sich das auf die Aufnahmen auswirkten würde. Am Ende des Tages wollten wir alle nur ein Maß Milch nach dem anderen trinken. Die Aufnahmen noch einmal anzuhören war eines der schwersten Dinge, wir waren so besorgt. Aber es hatte geklappt, und wir

23 http://www.youtube.com/watch?v=fd4w3IetgiE 24 http://www.youtube.com/watch?v=-E_whqPEKLY 25 http://www.youtube.com/watch?v=hOPah8Kby90&feature=fvw 26 http://www.youtube.com/watch?v=pVlr4g5-r18 waren sehr erleichtert.“ Ein anderes der Lieder ist Do You Want To Know A Secret27. John: „Das habe ich geschrieben, aber es war ursprünglich nicht dafür gemeint, dass George es singt. Ich lebte damals in der ersten Wohnung, die ich nicht mit vierzehn anderen teilte. Ich hatte gerade Cyn geheiratet und Brian Epstein gab uns dieses geheime kleine Apartment, das er für sich in Liverpool besorgt hatte für seine kleinen versteckten Liebesbeziehungen. Er gab Cyn und mir diese Wohnung. Meine Mutter konnte gut singen, nicht beruflich, aber doch in Pubs und so. Sie hatte eine schöne Stimme und als ich ein kleiner Junge war, ein oder zwei Jahre alt, gab es in einem Walt-Disney-Film, Aschenputtel oder Fantasia, ein Lied, das ging so: Do you wanna know a secret, promise not to tell, standing by a wishing well. Das hatte ich im Kopf, als ich es schrieb und ich gab es George, weil ich dachte, dass es für ihn gut geeignet war, weil es nur drei Noten hatte und er nicht der beste Sänger war. Damals hat er schlecht gesungen, weil er keine Gelegenheit dazu hatte, und sich mehr auf seine Gitarre konzentrierte.“ John: „Als Please Please Me im Kasten war, gingen wir in das West End von London feiern, und unsere Frisuren und wie wir uns kleideten erregte ein ziemliches Aufsehen. Nachdem uns niemand kannte, beschlossen wir, so zu tun, als ob wir die Shadows wären und riefen von Tisch zu Tisch: Hast du die Speisekarte gesehen, Hank? und gaben zur Antwort: Noch nicht, Liquorice. Und ich sah wegen meiner Brille wirklich aus wie Hank Marvin. Als der Kellner kam, fragte er mich: Was willst du bestellen, Hank? Ein junger Kerl und seine Freundin hatten uns schon die ganze Zeit betrachtet und nach einer Weile kamen sie an unseren Tisch und sagten: Ihr seid die Tornados, oder?“ Die Single Please Please Me kommt am 23. Februar 1963 auf Platz zwei der UK-Charts. Ein Reporter fragte John: „Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht von der Schule abgegangen und Rocker geworden wären?“ und John antwortet: „Der größte Junge in der Schule?“ Die Beatles touren durch das Land, sind vom 9. März an mit und Chris Montez auf Tournee. Eigentlich sollten Roe und Montez die Stars sein, doch der wachsende Ruhm der Beatles bewirkt, dass sie auf den Ankündigungen schon an erster Stelle genannt werden. John fällt bei drei Auftritten aus, da er so heiser ist, dass er keinen Ton mehr herausbringt. Die anderen machen als Trio weiter, während John nach Hause fährt. Paddy Delaney trifft den kranken John in Liverpool: „Eines Abends gehe ich in den und sehe John an der Bar. Er saß auf einem Barhocker und ich erkannte ihn gleich, weil er seine hellblaue Jacke aus Mohair trug. Er hatte immer dieser Jacke an und da waren seine blonden Haare. Ich hatte gedacht, er tourt mit den Beatles und ist in Bedford, und er sagte: Es ist wie auf einem Friedhof, ich habe genug davon, und deshalb bin ich wieder hier. Er bestand darauf, dass wir einen Whiskey nach dem anderen kippten und er blieb bis zwanzig nach vier Uhr morgens. Ich sah schon doppelt und fiel fast vom Stuhl, und John wird es nicht besser ergangen sein, aber er musste nach York, um dort wieder bei der Tournee einzusteigen.“ Am 17. April sind die Beatles in Bedfordshire. John: „Wie spielten und waren schweißnass, als mich ein hysterischer Fan in dem Tumult an der Krawatte packte und der Knoten wurde so fest, dass ich sie nicht mehr abnehmen konnte. Ich war so müde, dass ich mit ihr ins Bett ging. Sie hat wunderbar zu meinem Pyjama gepasst! Am Morgen musste ich sie mir mit einer Schere abschneiden.“ Am 18. April, während die Beatles in der proben, trifft Paul seine spätere Verlobte . Sie ist 17 Jahre alt und will Schauspielerin werden. Sie kommt zu den Beatles, weil sie sie für Radio Times interviewen will. Paul: „Wir hatten sie in diesem Jahr als dieses ziemlich gut aussehende, nette Mädchen mit der angenehmen Stimme in der Sendung Juke Box Jury gesehen. Wir dachten, dass sie blond wäre, weil wir sie nur in Schwarzweiß im Fernsehen erlebt hatten und weil wir damals Blondinen liebten. Sie kam nachher hinter die Bühne, und wir versuchten sie alle anzumachen. Danach gingen wir in die Wohnung von Chris Hutchins in King's Road. Es war alles sehr gesittet.“ Chris Hutchins: „Wir rückten die alten Möbel im Wohnzimmer für unsere unerwarteten Gäste zur Seite und setzten uns auf den dunkelgrünen Teppich. Jane als einzige Frau war in der Mitte. Sie war

27 http://www.youtube.com/watch?v=yHhRC7K0RHA blass und modisch dünn wie Twiggy. Ihre Aussprache ließ erkennen, dass sie in der Wimpole Street aufgewachsen war, und der oberen Mittelschicht angehörte, aber sie war eine Nette. Ich hob mein Glas Mateus Rose, der damals in Chelsea der angesagte Drink war und brachte einen Toast auf die Beatles aus.“ Das Gespräch wird auf Tonband aufgenommen und läuft so ab: John: Ja, die Gruppe, die bei den Fans so beliebt ist, dass sie uns in Stücke reißen wollen. Jane (lacht): Ach, John. Du bist so ein Zyniker. Gib es zu, du genießt doch die Aufmerksamkeit. John: Klar bin ich ein Zyniker. Was wir spielen, ist Rock'n'Roll in einem neuen Gewand. Rockmusik ist Krieg, Feindseligkeit und Eroberung. Wir singen über die Liebe, aber wir meinen Sex, und die Fans wissen das. Chris Hutchins: Die Fans halten euch für saubere, anständige Leute. John: Das ist unser Image, und es ist nichts Wahres dran. Schaut euch die Rolling Stones an. Roh wie Fleisch. Wir waren das am Anfang auch und jetzt haben sie uns das weggenommen. Ringo: Dafür können die nichts. Jane: Die Fans träumen davon, eines Tages einen Beatle zu heiraten. John: Das tun nur die, die noch nicht in der Pubertät sind. Ich gebe einem Mädel mein Autogramm und sie möchte meine Krawatte oder eine Locke von meinem Haar. Dann möchte sie Sex mit mir haben. Dann sagt sie, sie ist erst 15 und ich komme dafür ins Gefängnis. Gibt es hier noch was zu trinken? Chris (schenkt ein): Das war alles. Ich habe keine Gäste erwartet. John: Okay, also nichts mehr zum Saufen. Reden wir über Sex. Jane, wie macht ihr Mädchen es euch selbst? Jane: Darüber rede ich nicht. John: Du bist das einzige Mädchen hier und ich möchte es wissen. Wie befriedigst du dich? Chris: Der einzige, der einzige Wichser, der das hier wissen will, bist du. John: Na großartig. Nichts zum Saufen, keine Bienen, Beleidigungen durch den Gastgeber ... was für eine Party ist das? Na super. Ich muss noch was in den Bauch kriegen. Ruft mir ein Taxi. Jane (weint, und wird von George getröstet): Weißt du, John, manchmal kannst du brutal sein. John (an der Tür): Es ist das Biest in mir. Jane geht in Begleitung von George weg.

Am 21. April spielen die Beatles in Wembley schon vor 8000 Fans. Die Beatles-Mania ist voll im Schwung und wird von den Medien auch bereits als Phänomen diskutiert. Wann immer die Beatles auftauchen, rasten vor allem die weiblichen Fans voll aus, kreischen und heulen und laufen ihnen nach. Auch bei Konzerten beginnen sie, sobald die Beatles die Bühne betreten, ohrenbetäubend zu kreischen und hören nicht mehr auf, bis die Beatles verschwunden sind. Am 28. April fliegen John und Brian Epstein gemeinsam in den Urlaub nach Torremolinos an der spanischen Küste. John: „Wir machten Urlaub in Spanien, was Gerüchte ausgelöst hat, wir hätten was miteinander, aber es war nicht ganz so. Wir kamen nicht zusammen, aber es war ein intensives Erlebnis. Es war das erste Erlebnis, das ich mit einem Schwulen hatte. Er hat es mir zu der Gelegenheit gestanden, dass es so bei ihm ist. Der Urlaub kam zustande, weil Cynthia schwanger war und ich sie mit dem Baby in Ruhe lassen wollte. Brian und ich saßen in Cafés und Brian schaute sich nach Jungs um und fragte mich: Magst du einen von denen? Magst du den? Wir waren einander sehr nahe, und das hat die Gerüchte freigesetzt. Als er einmal draußen auf den Fliesen lag oder an einem Nachmittag, als er seinen Kater ausschlief, spielte ich für ihn .28“ Wendy Hanson, Brians Assistentin: „John war definitiv nicht schwul! Er machte dauernd Frauen an, und Brian war ein empfindsamer Typ. Er hätte sich nie an jemanden herangemacht. Er war von den Beatles völlig fasziniert und hätte das nie gefährdet, indem er John verschreckte.“ Paul: „John war ziemlich clever. Brian wollte nach Spanien in den Urlaub und war schwul und lud John ein, mit ihm zu kommen. Für John war das die Chance, Mr. Epstein zu zeigen, wer der Boss

28 http://www.youtube.com/watch?v=CLm_FMelIck&feature=related der Gruppe war. Ich glaube, dass er deshalb mitgeflogen ist. Und er war der bestimmende Mann der Beatles, der manchmal auch Entscheidungen getroffen hat. Die Leute haben John gefragt, ob er schwul wäre und er sagte: Nein, ich habe noch keinen Mann getroffen, der mich heiß genug gemacht hat. Ich habe in Millionen Hotelzimmern an Millionen verschiedenen Plätzen mit John geschlafen und es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er so gestrickt war.“ Am 4. Mai geht die Single From Me To You an die Spitze der Charts und wird 650.000 mal verkauft. Von nun an werden 11 Beatles-Hits hintereinander Platz 1 einnehmen, ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist. Am 11. Mai erreicht auch die Langspielplatte Please Please Me die Spitzenposition in der Hitparade. Acht der zwölf Hits wurden von Paul und John geschrieben. Am 18. Mai gehen die Beatles das dritte Mal auf eine landesweite Konzertreise. Diesmal sind Gerry & the Pacemakers dabei. Die Tour dauert 21 Tage und läuft bis zum 9. Juni. Aufregung gibt es am 19. Mai, als drei Mädchen in Polizeigewahrsam genommen werden. Sie haben versucht, über eine Metalleiter in die Garderobe der Beatles im Gaumont Kino in Hanley zu gelangen. Nachdem ihnen jeder Beatle ein Autogramm gegeben hat, werden sie wieder freigelassen. Am 4. Juni sind die Beatles Gäste einer ersten Radioshow, die für sie konzipiert wurde. Sie heißt Pop Go The Beatles und wird von der BBC ausgestrahlt. Am 8. Juni erreicht sogar My Bonnie, jene Single, die die Beatles in Hamburg mit Tony Sheridan aufgenommen haben, und auf der sie nur im Hintergrund singen, Platz 48 der englischen Hitparade. Am 18. Juni wird Paul 21 Jahre alt. Dazu findet eine Party im Garten hinter dem Haus seiner Tante Jin in der Dina Lane in statt. Es spielen die Fourmost, denen Paul die Gage für den Abend schuldig bleibt. Ein prägendes Erlebnis ist ein Handgemenge zwischen John und Bob Wooler, den DJ des Cavern, weil Bob behauptet hat, John und Brian Epstein wären Liebhaber. John gerät davon so sehr in Rage, dass er Bob im Handgemenge schwer verletzt. John: „Der schrieb auf der Rückseite über den Streit. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin bei der BBC und alle fuhren im Zug nach London, aber ich hatte keine Lust dazu. Brian kam zu mir und flehte mich an, aber ich sagte: Nein und nochmal nein. Scheiß drauf! Ich war völlig fertig, weil ich Wooler beinahe getötet hätte. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Ich habe ihn zusammengeschlagen. Er war blutig. Er hatte behauptet, dass Brian und ich in Spanien eine Affäre gehabt hätten. Ich war betrunken und konnte nicht denken. Er sagte: Komm schon, John. Erzähl es mir. Erzähl mir über dich und Brian. Wir wissen alles von euch. Ich glaube, er hat mich als warmen Bruder bezeichnet, und ich muss den Schwulen in mir gefürchtet haben, dass ich so wütend wurde. Wenn du 21 bist, möchtest du ein Mann sein und all das. Ich nahm einen Knüppel und prügelte auf ihn ein. Es war das erste Mal, dass ich gedacht habe: Den könnte ich töten. Ich sah es wie in einem Film, wenn ich noch einmal zuschlage, dann wäre es aus mit ihm. Er hat mich nachher verklagt, und ich habe ihm 200 Pfund Schmerzensgeld gezahlt.“ John schickt kurz nach dem Auftritt ein Telegramm an Bob mit dem Wortlaut: „Es tut mir wirklich leid, Bob. Schrecklich leid. Habe erst jetzt begriffen, was ich getan habe. Was kann ich mehr sagen?“ Das Telegramm wurde von Brian Epstein abgefasst. Die Aggressivität von John bleibt sonst eher verbal. Aber hier kann er gnadenlos sein. Manchmal ist es aber auch einfach ein Hang zum absurden Humor. Vor einem Konzert besuchen der Bürgermeister von Abergavenny mit Frau und Stadträten die Beatles in ihrer Garderobe und fragen, was das Glas Milch auf Johns Schminktisch bedeutet. John antwortet darauf: „Wir waschen uns damit die Haare.“ John: „Es wurde von uns erwartet, dass wir allen möglichen Schwachsinn von Oberbürgermeistern und ihren Frauen ertragen und uns von ihnen berühren und streicheln lassen ...“ Am 25. Juli kommen die Rolling Stones mit ihrem Lied Come On29 in die Charts. Das Lied hat etwas von Love Me Do und auch die Frisuren der Stones ähneln denen der Beatles. John ärgert sich sehr, dass diese Jungs aus guten Häusern als „unverfälscht“ und „rau“ bezeichnet werden. In einem Interview regt er sich über alle auf, die die Beatles kopieren. John: „Das geht bis hin zum Haarschnitt. Ich sehe Musiker in Bands, die genauso lange Haare haben wie wir. Da helfen keine Ausreden, sie wären Studenten und so. Wir waren auch Studenten

29 http://www.youtube.com/watch?v=-cFs-pKgBCk und haben nicht so ausgesehen. Ich nehme an, es ist ein Ehre, wenn man nachgeäfft wird. Ich würde darüber nicht reden, wenn wir nicht von denen angegriffen würden. Früher, in 'pool, war es uns egal, ob wir Erfolg haben würden. Wir haben nicht herumgesessen und gequäkt: Wir wollen einmal ein großer Star werden. Ich bin mir sicher, in vier Jahren sind wir nichts mehr!“ Diesen Eifersüchteleien zum Trotz werden die Beatles und die Rolling Stones gute Freunde, die immer wieder einmal auch gemeinsam Musik machen oder Erfahrungen austauschen. Am 10. September nehmen die Rolling Stones im Studio 51 eine Platte auf und John und Paul überlassen ihnen eine ihrer Eigenkompositionen. Es ist I Wanna Be Your Man30. John: „Wir hatten gerade I Wanna Be Your Man31 vor ihnen eingespielt, und sie brauchten eine schnelle zweite Platte nach Come On von . Wir gingen gemeinsam weg und trafen Andrew Oldham, der dann zum Manager der Stones, Georgio Gomelsky, ging und der fragte, ob wir nicht was für die Stones hätten. Klar, sagten wir, weil wir das Lied selbst nicht wirklich brauchten. Also ging ich ins Studio und brachte es ihnen bei. Brian Jones kam her und fragte mich: Was spielst du auf Love Me Do, was ist das für eine Mundharmonika? Weil ich so einen tiefen Klang drauf hatte. Ich sagte: Eine Mundharmonika mit Knopf. war eine Laune von Paul, eine Fingerübung. Es gibt nur zwei Versionen davon, von Ringo und von den Stones. Daran kann man ablesen, wie ernst wir es nahmen. Was Tolles wollten wir ihnen auch nicht geben.“ Keith Richards: „John und Paul kamen zu unseren Proben und gaben uns das Lied. Wir kannten ihre Version nicht, sondern nur, was sie am Klavier vorgespielt hatten. Wir spielten es nach und es wurde dann ein Jam. Sie mochten es, wir auch und am nächsten Tag haben wir es aufgenommen.“ Am 14. September 1963 erreicht She Loves You32 Platz 1 der Hitparade. 310.000 Platten waren schon vorbestellt. Die Single wird in England 1,6 Millionen mal über den Ladentisch gehen. John: „Wir haben zusammen geschrieben. Paul hatte die Idee. Anstatt dass wir wieder I Love You singen würden, beschloss er, dass wir eine dritte Person einführen würden und mit etwas anderem verbinden. Das Woo Woo stammte aus Twist And Shout von den Isley Brothers. Wir verpackten das überall. Ich weiß nicht, wo das Yeah Yeah Yeah her kam. Ich erinnere mich daran, als Elvis All Shook Up machte, dass ich Uh Huh, Oh Yeah und Yeah, Yeah alles zusammen in einem Lied gehört hatte.“ George Martin: „Ich saß auf dem Barhocker im Studio, und John und Paul standen vor mir und sangen und spielten ihre akustischen Gitarren und George sang beim Refrain mit. Als sie das erste Mal She Loves You sangen, fand ich es toll. Aber etwas war da, was mich störte, ein merkwürdiger Gesangsakkord, eine große Sext, wo George eine Sext spielte und die anderen eine Terz und eine Quinte, es war wie ein Arrangement von . Ich sagte zu ihnen: Ich liebe den Song, aber er kommt mir ein bisschen altmodisch vor. Das ist ein toller Akkord, sagten sie zu mir, das hat noch keiner gemacht. Natürlich hatte ich ihn schon sehr oft gehört, aber ich verstand, dass er gut war und es hat sich dann herausgestellt, dass dieser Akkord ein wichtiger Teil des Liedes war. Es setzte die Beatles-Tradition fort, dass immer Wörter wie You oder Me im Titel vorkamen.“ Am 13. Oktober sind die Beatles die Hauptattraktion bei dem Konzert Sunday Night At The . In den Medien wird von Szenen der Hysterie berichtet und es taucht das erste Mal der Begriff der „Beatlemania“ auf. John: „Es war das größte Erlebnis, das wir bis dorthin gehabt hatten. Nach dem Konzert, als wir heraus kamen, dachten wir alle so. Es war nervenzermürbend, bevor es losging, aber auf der Bühne war es dann toll. Eine großartige Atmosphäre, und kaum spielten wir, war die Nervosität weg. Das Schlimmste war es eigentlich, danach wieder von dort wegzukommen. Die Polizei hatte die Straße vor dem Palladium abgeriegelt. Wir drängten uns bis zum Taxi vor und merkten dann: Es gab gar keines. Dann liefen wir zu einem anderen Taxi weiter und stellten fest: Das ist ein Polizeiauto, und sie ließen uns nicht einsteigen. Dann fanden wir endlich ein Auto und bekamen eine Polizeieskorte auf beiden Seiten. Wir waren wie Hochadel. Manche versuchten uns mit den Autos nachzufahren, aber die Polizei leitete sie in die Nebenstraßen um.“

30 http://www.youtube.com/watch?v=t6myXYN5u80 31 http://www.youtube.com/watch?v=O-CjxASY3to 32 http://www.youtube.com/watch?v=fKICVianzIE&feature=related , der Publizist der Beatles: „Von dem Tag an war alles anders. Mein Job war nie mehr, was er gewesen war. Vorher hatte ich Zeitungen angerufen, die Beatles angepriesen wie saures Bier, und hatte nur Absagen bekommen. Jetzt lief mir jeder Journalist in England nach.“ Die Beatles fliegen am 25. Oktober nach Schweden auf eine 5-tägige Konzertreise, die in Karlstad beginnt. Auch in Schweden sind sie sehr erfolgreich und werden bei ihrer Rückkehr in England schon wie Stars empfangen. Reporter Reg Abbis von der BBC berichtet live vom Flughafen: „Was für Verwirrung hier am Londoner Flughafen. Aberhunderte Beatles-Fans kreischen, schreien, schwenken Regenschirme und Hüte und rufen nach ihren Helden, vier jungen Männern in dunklen Kleidern, die gerade aus dem großen weißblauen Jet Airliner aus Stockholm steigen. Ein Pulk von fünfzig Photographen umsteht das Heck des Flugzeugs, um die Aufregung mit Bildern einzufangen. Man sieht Lichtblitze. Es herrscht Tumult um die Stufen herum, ein Schwarm von Leuten drängt sich dort, während die Beatles versuchen, sich durch die Massen zu schieben. Es wurde eine große Anzahl von Sicherheitsleuten für die Aufgabe abgestellt, die Beatles in das Hauptgebäude zu bringen. Die Fans rasten auf den Balkon aus und fühlen sich großartig, obwohl es hier regnet. Jetzt kommen die Beatles in die große Abflughalle und winken und lächeln ihren Fans zu. Die typischen Beatles-Frisuren stechen aus der Menge heraus.“ Das englische Königshaus zeichnet die Beatles das erste Mal am 4. November 1963 aus. Sie erhalten das königliche Siegel am Band. Überreicht wird es von der Mutter der Queen, Prinzessin Margaret und Lord Snowdon. Die Beatles spielen im Prince of Wales Theatre in London anlässlich der Royal Variety Performance. Während der Show gerät die Gruppe durch einen Spruch von John in die Schlagzeilen, der das Publikum vor Twist & Shout anweist: „Die Menschen auf den billigen Sitzen können dazu klatschen. Und der Rest von euch rasselt einfach mit euren Juwelen.“ Der Spruch ist nicht spontan, sondern von langer Hand vorbereitet worden, weil sich John nicht damit abfinden möchte, dass die Beatles jetzt zum Establishment gehören. Aber er ist durchaus kompromissbereit. Bei den Proben hatte er noch gesagt: „Rasselt mit euren verdammten Juwelen.“ George: „Das hat alle prächtig amüsiert, aber ich kann Ihnen sagen, dass dieser Scherz genauestens vorbereitet war. Sie sagten zu einander: Nun, wir können das nicht so dröge mitmachen, klatscht eure Hände und so. Wir müssen etwas Besonderes veranstalten. Und John sagte: Ich könnte ihnen sagen: Rasselt mit euren Juwelen. Und so hat es begonnen und ging durch die ganze Welt. Bruce Forsyth, der Gastgeber das Abends, fand es dann, wie er meinte, großartig, und auch die königliche Familie hielt es angeblich für gut.“ Die Queen war bei dem Konzert abwesend, aber ihre Mutter gibt zu Protokoll: „Das war eine der besten Shows, die ich gesehen habe. Die Beatles sind sehr einnehmend!“ Jahre später gibt John zu Protokoll, dass er eigentlich gar nicht bei der Show auftreten wollte. „Ich schämte mich dafür, aber Brian sagte, wenn ihr nicht annehmt, wird keiner je davon erfahren, genauso wie dann auch keiner davon erfahren hat, dass wir immer wieder eingeladen wurden, aber keine Show mehr machten nach der ersten. Brian hat uns auf den Knien angefleht: Macht die Royal Variety und wir sagten: Nein, wir haben die Royal Variety schon gemacht. Einmal war genug.“ Am 30. November kommt die zweite Langspielplatte der Beatles an die Spitze der Charts. 270.000 Stück waren von den Fans vorbestellt worden. Wieder bilden Kompositionen von Paul und John den Kern, aber es wurden auch mehrere Rhythm & Blues Nummern wie und You Really Got A Hold On Me aufgenommen. Auch George hat ein Lied geschrieben: Don't Bother Me. Der derzeitige Hit ist I Want To Hold Your Hand33. Er wird fünf Wochen auf Platz 1 der Singles- Charts stehen und weltweit 15 Millionen mal verkauft werden. Der Musical Express reiht die Beatles an der Spitze der World Vocal Group und der British Vocal Group Ranglisten. John über Not A Second Time34: „Ich habe es für das zweite Album geschrieben und William Mann rezensierte es in der Times und sprach über Akkordwechsel, die Submediante in Moll und aelische Kadenzen vergleichbar mit Mahlers Lied der Erde. Für mich waren das einfach Griffe auf der Gitarre. Es war das erste Mal, dass man solche Artikel über uns verfasste.“

33 http://www.youtube.com/watch?v=iim6s8Ea_bE 34 http://www.youtube.com/watch?v=IQPtUQeRmPg

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Am 3. Januar 1964 sind die Beatles das erste Mal auch in Amerika im Fernsehen zu sehen. Die Sendung ist die Show auf NBC, und man spielt She Loves You als Clip vor, der der Dokumentation The Mersey Sound entnommen ist. Sie fahren nach Frankreich, treten am 15. Januar im Cinema Cyrano in Versailles auf und spielen dann 20 Mal hintereinander im Paris Olympia mit Trini Lopez und Sylvie Vartan. Beatlesmania ist in Frankreich noch unbekannt, doch es gefällt den Leuten, was sie hören. , der einen Film mit den Beatles drehen soll, begleitet die Truppe und hat Drehbuchautor Alan Owen mitgebracht. Lester: „Wir beobachteten die Beatles in ihrem Hotelzimmern im George V und ihr Verhalten war ungewöhnlich. Sie waren bereits zu Gefangenen ihres eigenen Erfolgs geworden.“ John ist verunsichert, weil man die Beatles in Frankreich noch nicht so gut kennt und schlägt bei der Pressekonferenz (wohl eher spaßhalber) vor, auf die eigenen Hits zu verzichten: „Wenn sie Long Tall Sally oder Roll Over Beethoven hören wollen, dann können wir das sogar, wenn wir auf dem Kopf stehen. Wir können unsere frühen Rocknummern aus Hamburg oder dem Cavern spielen, Sachen wie Sweet Little Sixteen35, kein Problem.“ Ein Reporter: „Warum essen Sie so unregelmäßig?“ John: „Wenn es nach mir ginge, würde ich überhaupt nichts mehr essen. Für mich könnte es eine Pille für alles geben. Pillen, die dich waschen und anziehen und den Hunger stillen und dich einschlafen lassen. Essen und Schlafen sind Zeitverschwendung.“ Am 18. Januar 1964 steigen die Beatles in die amerikanischen Charts auf Platz 45 mit ein. Die Platte wird in der Billboard als „treibender Rock mit einem Sound, als würde man auf der Themse surfen“ rezensiert. Die Single schießt kurz darauf auf Platz 1. Brian Epstein kommt in Paris in die Hotelsuite der Beatles, um sie darüber zu informieren. Paul: „Es war ein Telegramm gekommen, dass wir in Amerika Nummer 1 waren und wir waren völlig von der Rolle, sprangen uns gegenseitig auf den Rücken und schrien herum. Wir hatten Brian gesagt, dass wir nicht nach Amerika fliegen würden, bevor wir dort nicht an der Spitze waren. Cliff Richard, Tommy Steele und andere große Stars waren nach Amerika gegangen und hatten dann unter Frankie Avalon gespielt und kamen letztendlich zurück und erzählten in Interviews, wie toll das alles gewesen war, aber sie wurden dort nie berühmt. Man hätte erwartet, dass sie dort viele Platten verkaufen würden, aber sie hatten sich wohl alle ein bisschen überschätzt.“ Bei den Beatles wird diese Geschichte anders verlaufen. Ihr erster Erfolg wird gleich von zwei weiteren Singles gefolgt sein, die die Spitzenposition in den Charts einnehmen. Insgesamt werden die Beatles 20 mal in den USA die Hitparade krönen. Mittlerweile wird in England das Lied I Want To Hold Your Hand sowie auch die Langspielplatte Meet The Beatles vergoldet. John: „Das Lied war eines dieser Lieder, die wir gemeinsam geschrieben hatten, Auge in Auge. Es begann mit einem Akkord. Wir waren bei Jane Asher in der Wimpole Street unten im Keller und Paul spielte diesen Akkord auf dem Klavier und ich sagte: Das ist es. Mach das noch mal. Damals haben wir das so gemacht, Auge in Auge komponiert, gemeinsam. Als wir getroffen haben, sagte er, er hätte gedacht, wir singen: I get high, I get high statt I can't hide, I can't hide.“ George Martin: „Es war die erste Single, für die mehr als eine Million Vorbestellungen vorlagen. Sie kam in die Charts, als She Loves You Nr. 1 war, und löste sie ab. Und in Amerika war es genau so. Und damit hat ihre Karriere dann wirklich abgehoben.“ Am 6. Februar kommen die Beatles aus Frankreich zurück und John und George werden am Flughafen von June Harris interviewt. Die erste Frage hat die bevorstehende erste Amerika-Tournee der Beatles zum Thema. John: „Amerika wird super! Wir werden wenig Zeit für uns haben, aber ich werde einen Stapel Platten kaufen, soviel ist klar. Keiner von uns ist nervös, wie wir dort bei den Menschen ankommen

35 http://www.youtube.com/watch?v=fTomm9sHUPA werden. Die Amerikaner sind genauso wie die Engländer und Franzosen und alle anderen.“ Am 7. Februar landen die Beatles mit einem Pan-Am Flug in New York am John F. Kennedy International Airport. hat eine große Werbekampagne angeleiert, weshalb schon große Scharen von Fans am Flughafen auftauchen. Cynthia: „Ich erinnere mich, wie das war, als das Flugzeug zum Hangar nach vor rollte. Wir hörte etwas kreischen und dachten, das sind die Bremsen, aber es war das Kreischen der Fans.“ Die Reporter stellen bei der anstehenden Pressekonferenz den Beatles lustige Fragen, denn sie haben schon gehört, dass die Beatles schlagfertig und immer für einen lockeren Spruch gut sind, darunter vor allem John.

Reporter: „Singt ihr uns was vor?“ John: „Nein.“ Brian Sommerville (der Presseoffizier der Beatles): „Nächste Frage!“ Reporter: „Singt Ihr was für uns?“ John: „Schiebt erst die Kohle rüber.“ Reporter: „Wie viel Kohle denkt ihr, dürft ihr ausführen?“ John: „Eine halbe Krone.“

Frank Sinatra sagt später zu dem Beatles-Phänomen, das die Millionenstadt im Griff hält: „Ich hätte erwartet, dass die Beatles in New York wie eine Primel eingehen. Umso überraschter war ich über den Empfang, der ihnen bereitet wurde. Es sieht so aus, als hätte ich mich getäuscht.“ Die New Yorker Fans tragen Beatles-Fan-T-Shirts, die von der Reliant Shirt Corporation produziert wurden. Die Firma hat dafür drei Fabriken aufgekauft und schon am ersten Tag werden über eine Million T-Shirts verkauft. Später wird sich herausstellen, dass die Beatles davon keinen Cent bekommen, weil Brian Epstein einen schlechten Deal gemacht haben soll. John: „Ich mag Brian und ich hatte mit ihm eine sehr nahe Beziehung über mehrere Jahre. Ich stand ihm von allen Menschen am nächsten. So nahe, wie man jemandem sein kann, der einen schwulen Lebensstil hat. Er hatte große Stärken und man hatte Spaß mit ihm. Er hatte ein besonderes Flair und war mehr Künstler als Geschäftsmann. Also mochte ich ihn. Aber was die Geschäfte betroffen hat, hat er uns damals ausgetrickst. Brian hatte einen versteckten Deal gemacht, das weiß ich. Wir haben nie was dran verdient, aber Brian schon. Seine Firma war bald größer als die Beatles. Man hat ihn für einen großen, lieben Kerl gehalten. Brian war schwul und verstört, ein Wrack.“ Am 9. Februar treten die Beatles in der Show auf CBS auf, die an dem Tag 73 Millionen Zuschauer hat. Amerikaner aller Altersgruppen und aller sozialen Schichten sind hin und weg von den frischen, frechen Jungs aus England und ihrer Musik. Fast die Hälfte der amerikanischen Staatsbürger schaut zu, während die Beatles singen. Es wird später heißen, dass während der Ausstrahlung die Verbrecherrate im ganzen Land signifikant zurückgegangen sei. Die Beatles spielen , Till There Was You36, She Loves You, I Saw Her Standing There37 und I Want To Hold Your Hand. Sie erhalten für den Auftritt 2400 US-Dollar. Das ist nicht viel, doch die Publicity für die Fab Four ist enorm. Nach dem ersten Konzert werden die Beatles zu einem privaten Ball in der englischen Botschaft eingeladen und von dem englischen Botschafter Sir David Ormsby-Gore und Lady Ormsby-Gore empfangen. Ringo: „Sie sagten, es ist nur eine kleine Party, aber als wir dorthin kamen, waren alle ihre Freunde da aufgereiht wie Rekruten bei einer Parade, und wir kamen uns vor wie im Zoo, als die uns alle anglotzten.“ Reporter: „Wollt ihr hier Geld verdienen?“ John: „Wie es aussieht, könnten wir hier heute steinreich werden.“ Reporter: „Und was werdet ihr mit eurem Reichtum anstellen?“ John: „Nach Hause fahren.“

36 http://www.youtube.com/watch?v=VeYSUPQVoRI 37 http://www.youtube.com/watch?v=pZV7AitZX6g Bevor er weiter reden kann, wird er von einem Tumult unterbrochen, der durch einen Kampf zwischen weiblichen Fans - manche aus dem Hochadel, andere betrunkene Girlies aus reichem Haus - ausgebrochen ist. Alle wollen, dass die Beatles ihr Autogramm auf die LP Meet the Beatles setzen. Ringo: „Lass uns dass hier durchziehen!“ Es gibt heute ein Gewinnspiel. Unter den Preisen sind auch signierte Beatles-Platten. Ringo ruft sarkastisch ins Publikum: „Wenn sie euch nicht gefällt, könnte ihr sie gegen eine von austauschen!“ Als er sich umdreht, um zu gehen, zieht eine englische Balldebütantin eine Schere aus ihrer Tasche und schneidet Ringo eine Locke ab. Die Gastgeberin, Lady Ormsby-Gore, kommt auf die Beatles zu und sagt: „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Es tut mir so leid, was da passiert ist. Es kann für Sie nicht angenehm gewesen sein.“ Ringo: „Und wer sind Sie eigentlich?“ Louise Harrison, die Schwester von George, die in den USA lebt: „Ringo war plötzlich wütend und außer sich, schrie, er wolle gehen und rief ein Taxi und war auch schon weg.“ John später: „Irgend so ein verrücktes Tier schnitt Ringo eine Locke ab. Da haute ich einfach ab, mitten in der ganzen Veranstaltung.“ Harry Benson, einer der Photographen damals: „Die Beatles wurden wie Trophäen präsentiert. Es war so traurig. Sie wirkten sehr verletzt. Besonders John. Sie waren nicht zornig, sondern man hatte sie gedemütigt!“ John: „Um ein Beatles zu sein, musste man demütig werden. Das ging Stück für Stück, bis man merkte, dass man vom völligen Wahnsinn umgeben war. Plötzlich war man mit Leuten zusammen, die man nicht ertragen konnte und tat, was man absolut nicht tun wollte, und sprach mit Leuten, die man gehasst hatte, als man zehn Jahre alt gewesen war.“ Am 12. Februar treten die Beatles in New York in der auf. Der Plattenladen New Street Music bietet für alle Käufer einer Langspielplatte im nebenan gelegenen Friseurladen einen Gratis-Beatle-Haarschnitt an. Vor der Carnegie Hall warten mehr als 20.000 Menschen, die heulen und kreischen. Vic Lewis, der damals als Agent für die Beatles arbeitete: „Ich saß mit der Sängerin Shirley Bassey in dem Konzert, und als die Beatles auf die Bühne kamen, war das unglaublich, und auch Shirley war überwältigt. Schreie überall und die Leute sprangen von ihren Sitzen auf und Shirley sagte: Ich halte das nicht mehr aus, das ist zu viel. Ich muss hinter die Bühne. Und dort blieben wir dann auch während des Konzerts. Es war ein Erlebnis, das kann ich sagen.“ John: „Carnegie Hall war schrecklich! Die Akustik war schlecht und die Leute saßen mit uns auf der Bühne und es lief alles aus dem Ruder. Es war keine Rockshow, sondern eine Art Zirkus, und wir waren in den Käfigen. Sie berührten uns und redeten mit uns und streichelten uns, auf der Bühne und hinter der Bühne. Wir waren Tiere für die.“ Am 15. Februar erreicht Meet The Beatles die Spitze der US-Hitparade und wird dort 11 Wochen lang bleiben. Am Tag darauf treten die Beatles noch einmal in der „Ed Sullivan Show“ auf, die diesmal als direkte Ausstrahlung aus dem Deauville Hotel in Miami die Nation erreicht. George: „Wir hatten bei unserer Ankunft in New York gedacht, dass wir Amerika erobert hatten, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was uns in Miami erwartete. Die Fans zerbrachen die Fenster am Flughafen, um uns näher zu sein, und Cops auf Motorrädern fuhren bei Rot über die Kreuzung, damit wir den Fans entkommen konnten, die uns in ihren Autos verfolgten.“ Ringo: „Wir kannten Miami aus Filmen, aber es war noch schöner in Wirklichkeit. Jeder dort hat einen Swimmingpool, selbst wenn er am Strand lebt. Wer in Miami nur einen Wagen besitzt, ist ein Loser. Ein paar Millionäre dort haben sogar ihre eigene Polizeitruppe.“ Paul: „Miami war unglaublich. Es war das erste Mal, dass ich diese schwerbewaffneten Motorradpolizisten sah. Ich habe viel aus dem Wagen photographiert. Es war unglaublich. Und überall diese tollen, wunderhübschen, braungebrannten Girls. Wir hatten einen Phototermin am Strand und luden sie alle gleich zum Abendessen ein.“ In Miami hält sich gerade der Boxer Cassius Clay auf, der Weltmeister im Schwergewicht geworden ist. Die Beatles besuchen ihn in seinem Trainingscamp. Harold Conrad, ein Boxveranstalter: „Ich hatte es so arrangiert, dass die Beatles Cassius Clay treffen konnten, aber er wusste gar nicht, wer sie waren. Sie redeten dann mit ihm darüber, wie viel Geld jeder verdiente. Und Cassius Clay sagte dann etwas, was er überhaupt gerne von sich gab: Ihr seid gar nicht so dumm, wie ihr ausseht. Und John schaute ihm gerade zurück in die Augen und meinte: Stimmt. Aber du schon.“ Zurück in England gehen die Beatles am 25. Februar ins Studio, um eine neue LP aufzunehmen, die den Film begleiten soll, den die Beatles planen. Dazu gehört If I Fell38. John: „Das war mein erster Versuch, eine Ballade zu schreiben, ein Vorspiel zu . Die Akkordfolge ist die Gleiche, D, B moll und E moll. Das Lied ist ein bisschen autobiographisch, aber nicht gewollt. Es zeigt einfach, dass ich damals blöde Liebeslieder schrieb.“ Am 2. März 1964 beginnen die Beatles Dreharbeiten zu ihrem ersten Spielfilm in der Station in London. Es soll ein typischer Tag im verrückten Leben der Beatles gezeigt werden. John: „Wir wollten keinen verdammten Scheiß-Popfilm machen. Wir wollten keinen schlechten Film abliefern und forderten deshalb, dass ein wirklicher Schriftsteller das Drehbuch verfasste. Brian kam dann auf Alun Owen aus Liverpool, der für das Fernsehen ein Stück mit dem Titel „Keine Straßenbahnen nach Lime Street“ geschrieben hatte. Ich glaube, Paul kannte es. Er war berühmt dafür, Dialoge für Liverpooler zu schreiben. Wir sahen uns nach mehreren Autoren um und den haben sie dann gefunden und wir sagten: In Ordnung.“ Alun Owen: „Es war für mich wichtig, die Beatles kennen zu lernen. Ich wollte wissen, was sie ausmacht und warum diese Menschenmengen so auf sie reagieren. Ich mochte sie gleich, als ich sie sah. Ich mag Typen, die so sind. Sie sind viel lustiger und großartig, wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Ich lernte sie besser kennen und erkannte, dass die Beatles Magie sind. Es passiert ihnen dauert etwas Wunderbares wie damals, als sich dieses Mädchen vor sie hinkniete, ein Zimmermädchen in einem Hotel in Dublin, in dem die Beatles abgestiegen waren. Sie hatte Kaffee und Kuchen auf einem Tablett gebracht und plötzlich riss sie sich ihre Mütze vom Kopf und rief: Ich werde für euch beten, Jungs, ich werde für euch beten! Und sie waren gar nicht schockiert oder amüsiert. Paul half ihr hoch und redete mit ihr ganz normal. Das war das Besondere, dass sie nicht abgehoben waren, sondern immer noch Liverpooler Jungs.“ John: „Alun Owen war dabei, um zu sehen, wie wir wirklich waren, aber er war nicht echt. Er hatte die Tatsache, dass er aus Liverpool kam, zum Beruf gemacht. Er war zwei Tage mit uns zusammen und bastelte sich daraus unsere Filmrollen zusammen. Ich war witzig, Ringo blöd, George dies und Paul das.“ Alun Owen: „Als ich den Film konzipierte, explodierte die Sache für sie in Amerika. Man wollte dann einen Farbfilm machen, aber wir haben uns dem widersetzt und gesagt, das ist ein Schwarzweißprojekt, so wie ein französischer Nouvelle vague Film, quasi.“ Walter Shenson, der amerikanische Produzent des Films: „Die Beatles waren Schwarzweißcharaktere und deshalb blieb der Film Schwarzweiß. Sie waren in der Realität komplizierte Menschen, aber es dauerte eine Weile, bis man das bemerkte. Sie haben eine bestimmte Art, zu zeigen, wenn sie einen mögen. Ich war mit ihnen zwei Wochen zusammen, bis mir überhaupt auffiel, dass sie sich über mich lustig machten. Später habe ich verstanden, dass das ein Kompliment war, weil sie Leute, die sie nicht mochten, einfach ignorierten. Sie machten meinen amerikanischen Akzent nach und machten Späße über meinen Haarausfall. Leider konnte ich das Kompliment nicht zurückgeben!“ John: „Zuerst sollte der Film Beatlemania heißen, dann wollten sie etwas Verrückteres. George fiel It's a Daft, Daft, Daft, Daft World ein, und Paul sagte: Ich mag Oh, What a Lovely Wart. Ringos Idee war, es The Beatles In A Kind Of Film zu nennen. Dann gab es noch Ideen, über die wir uns krumm lachten, aber die man nicht verwenden konnte.“ Walter Shenson: „Wir brauchten unbedingt einen Titel. Der Film war zu drei Vierteln fertig und wir

38 http://www.youtube.com/watch?v=PeuSdfFeEyc hatten noch keinen. Also bat ich John eines Abends um halb elf, als wir vom Studio weg fuhren, ein Titellied zu schreiben.“ Ringo: „Wir fuhren zu einem Auftritt und arbeiteten den ganzen Tag und die ganze Nacht und kamen aus dem Theater heraus und dachten, es müsste noch Tag sein und ich sagte zu den anderen: Das war ein harter Tag und sah, dass alles dunkel war und sagte: Nacht. So kam es zu A Hard Day's Night39.“ John: „Wir sahen uns an und wussten, das war es.“ Walter Shenson: „Am folgenden Morgen rief er um halb neun an und sagte, dass Paul und er etwas auf einen Zettel gekritzelt hatten und wir nahmen das Lied dann an dem Tag auf.“ John: „Der einzige Grund, warum Paul auf A Hard Day's Night singt, ist, weil ich nicht so hoch hinauf singen konnte. Das machten wir manchmal, wenn der Ton zu hoch war, sang der andere Überstimme dazu.“ Norman Rossington, der im Film den Road-Manager der Beatles spielt: „Paul war sehr scheu vor der Kamera. Wenn es ein Close-Up auf ihn gab, konnte man sehen, wie unangenehm das für ihn war, und dass er sich zurückzog. Aber mit der Zeit kam er damit zurecht. John schrie seine Zeilen frei heraus und machte Spaß und verzog das Gesicht. George und Ringo segelten durch all das durch, ohne darüber viel nachzudenken.“ Ein Extra am Set ist das Model Patti Boyd, die spätere Frau Harrison. Patti: „Ich wurde ihnen vorgestellt und sie sagten Hello. Ich konnte es nicht glauben. Sie waren genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte, wie Bilder, die zum Leben erwachen. George sagte fast nichts, aber die anderen plauderten mit mir. Als wir zu Filmen begannen, merkte ich, dass George mich anstarrte und wurde rot. Ringo war der netteste von allen und man konnte mit ihm gut reden, auch Paul. Aber ich hatte große Angst vor John. Nach dem Dreh bat ich alle um ihr Autogramm, außer John, weil ich den Mut dazu nicht aufbrachte. Als ich George fragte, bat ich ihn, auch für meine Schwestern zu unterschreiben. Er malte unter seine Unterschrift zwei Küsse für jeden von ihnen, aber auf meiner Autogrammkarte sieben Küsse. Also dachte ich mir: Er mag mich.“ Cynthia Lennon: „George verliebte sich sofort, er war hin und weg. Patti aber hatte einen festen Freund. George machte sich aber sofort daran, sie zu erobern.“ Patti geht zu einem Abendessen, das Brian Epstein veranstaltet hat und sitzt züchtig neben George. Innerhalb weniger Tage aber sind die beiden ein Paar. Die Erfolge der Beatles gehen weiter, und mit ihnen wächst auch die öffentliche Anerkennung. Premierminister Harold Wilson verleiht den Beatles am 19. März einen Orden als Show Business Personalities Of The Year 1963. Als die Beatles am 20. März wieder in der Sendung „Ready Steady Go!“ im Sender ITV auftreten, erreicht diese ihre höchste Zuschauerzahl. Am 21. März gelangt She Loves You an die Spitze der amerikanischen Hitparade, während auf Platz 14 kommt. Am 23. März gibt John sein Buch heraus. Es ist eine Sammlung von kleinen Gedichten und Nonsense-Texten. Das Buch wird anlässlich einer weiteren Ehrenfeier präsentiert, die im Empire Ballrom am Leicester Square in London stattfindet. Der Duke of verleiht den Beatles zwei Carl-Alan Awards. Es wird auch angekündigt, dass die Beatles drei Ivor Novello Preise bekommen haben. Die Gruppe tritt am 25. März das erste Mal bei den auf BBC auf und singen Can't Buy Me Love.40 John: „Es ist Pauls Solo. Sonst singt keiner von uns darauf. Wir haben es genossen, die Platte aufzunehmen. Das Lied geht über 12 Takte, etwas, was wir immer schreiben wollten.“ Paul: „Es war mein erster Versuch, einen Blues zu schreiben.“ George: „Es ist das erste Mal, dass ich eine 12-saitige Gitarre spiele, die ja viel wilder ist.“ Dick James: „George genoss die Aufnahmen, weil es die erste Chance war, seine 12-saitige Gitarre zu spielen, die er aus Amerika mitgebracht hatte. Er legte sich richtig hinein und holte verschiedene Effekte aus dem Instrument heraus.“

39 http://www.youtube.com/watch?v=cD4TAgdS_Xw 40 http://www.youtube.com/watch?v=SMwZsFKIXa8 Am 28. März enthüllt Madame Tussaud's Wachsfiguren der Beatles.

Die australische Hitparade sieht an diesem Tag folgend aus:

1. I Saw Her Standing There 2. Love Me Do 3. Roll Over Beethoven 4. All My Loving 5. She Loves You 6. I Want To Hold Your Hand

Erst ab Platz 7 werden weitere Künstler in die Hitparade aufgenommen. Die Popularität der Beatles bewirkt, dass sich nun auch Johns Vater wieder bei ihm meldet. Am 1. April trifft John im Londoner Büro seines Managers Alf Lennon, der hier in der Stadt in einem Hotel arbeitet. Sie reden zwanzig Minuten lang. Alf damals zur Presse: „Ich erzählte ihm, dass er sein Talent von mir hätte. Ich will nicht angeben, aber vor 25 Jahren habe ich genau das gemacht, was er heute macht, und noch besser. Jetzt muss ich schauen, wo ich Arbeit bekomme. John hat seine Tausender und ich habe nicht mehr als 4 Shilling. Und ich bin trotzdem der glücklichste Mensch der Welt, ich bin sehr glücklich, John wiedergefunden zu haben.“ John später: „Mein Vater ging damals zur See und ich habe ihn nie wiedergesehen, bis ich eine Menge Geld verdiente. Dann kam er zurück. Ich schlug eines Morgens den auf und da war er, Tellerwäscher in einem kleinen Hotel in der Gegend, wo ich lebte. Und er erpresste mich. Er erzählte den Reportern, er hätte mir geschrieben und dass ich ihn abgewiesen hätte. Mich hat das furchtbar aufgeregt. Er kam, als ich reich war. Aber vorher hat er sich nicht um mich geschert. Zuerst wollte ich ihn gar nicht sehen, aber er hat über die Presse Druck gemacht und wir hatten dann so etwas wie eine Beziehung, bis er dann einige Jahre später an Krebs starb.“ Im April ist Can't Buy Me Love der große Renner im Musikgeschäft. Die Single hat sich in England schon in der ersten Woche 1,2 Millionen-fach verkauft. In den USA geht sie 2 Millionen Mal über die Ladentische. Die Vorbestellungen allein hatten 1,7 Millionen betragen. Auch in den Vereinigten Staaten haben die Beatles voll eingeschlagen. Ihre Hitparade sieht folgend aus:

1. Can't Buy Me Love 2. Twist And Shout 3. She Loves You 4. I Want To Hold Your Hand 5. Please Please Me

John sagt in der über den Erfolg der Beatles: „Ich fühle mich nicht berühmt und definitiv auch nicht anders. Ich hätte gedacht, dass es so ist, dass ich mich verändern würde, aber nein. Ich dachte immer, es müsste toll sein da oben. Anders. Es ist schön, aber es ist nicht anders. Wir sind immer noch die Gleichen. Merkwürdig, oder?“ Am 23. April 1964 wird John anlässlich des 400. Geburtstags von Shakespeare als Ehrengast zum Foyle's Literary Lunch im Dorchester Hotel eingeladen. Seine Rede fällt äußerst kurz aus: „Vielen Dank. Sie haben glückliche Gesichter.“ Am 27. April kommt Johns Buch In His Own Write auch in den USA auf den Markt. Die Rezensionen sind zustimmend. nennt John „einen unerwarteten Erben der englischen Tradition des Nonsense in der Literatur“. Am 23. Mai gelangt Ella Fitzgerald in Großbritannien in die Charts. Sie steigt auf Platz 34 mit einem Beatles-Lied ein: Can't Buy Me Love41. Ella löst mit dieser Jazz-Version einen Boom unter Jazzmusikern aus, Beatles-Songs zu vertonen, einer der Gründe, warum Paul und John mit ihren Liedrechten so viel Geld verdienen.

41 http://www.youtube.com/watch?v=fGOXLZEtdKA Am 3. Juni, am Tag vor dem Abflug nach Dänemark, wo die Beatles ihre erste Welttournee beginnen sollen, wird Ringo in das University College Hospital gebracht. Er ist während eines Photoshoots kollabiert. Man stellt eine Mandelentzündung und eine Rachenentzündung fest. : „Ringo war nie der Stärkste, deshalb musste ich immer ein Auge auf ihn haben. Er fiel einfach während des Shoots um. Ich war dabei und ich hatte schreckliche Angst, als ich ihn zusammenbrechen sah.“ Als Ersatz ist der Drummer Jimmy Nicol vorgesehen. Nicol: „Ich hielt gerade ein Mittagsschläfchen, als George Martin anrief und fragte: Was machst du die nächsten vier Tage? Ringo ist krank geworden und wir möchten, dass du bei der Tournee seinen Platz einnimmst. Würde es dir etwas ausmachen, nach Australien zu fliegen? Ich konnte gar nicht schnell genug zu den laufen, um mit ihnen die Nummern zu proben. Ich war sehr nervös, als ich sie traf, alles andere wäre nicht menschlich gewesen. Wir spielten fünf Nummern durch und ich hatte keine Noten, aber das wäre auch gar nicht notwendig gewesen, ich kannte die Lieder auswendig. John und George gab ein paar Anweisungen in der Art: Mach das hier so oder uns wäre es lieber so, und dann war die Probe zu Ende. Danach redete Brian Epstein mit mir über Geld, 2500 Pfund pro Konzert und 2500 Vorschuss. Ich war hin und weg. John protestierte: Um Himmels Willen, Brian. Du machst den Kerl doch verrückt. Gib ihm 10.000 Pfund! Und sie lachten alle. Zwei Stunden später packte ich meine Koffer für Dänemark.“ Am folgenden Tag beginnen die Beatles ihre erste Welttournee. Als Start fliegen sie nach Dänemark und treten dort in den K.B. Hallen in Kopenhagen auf. Nicol: „Bis jetzt hatten sich Mädchen überhaupt nicht für mich interessiert. Kaum aber hatte ich den Beatles-Anzug an und ihren Haarschnitt und fuhr mit John, Paul und George im Auto, wollten sie mich unbedingt berühren. Es war ziemlich furchteinflößend. Die Beatlemania begann schon am Flughafen. Wie wir es überhaupt in das Hotel geschafft haben, ist mir ein Rätsel. Aber wir schafften es. Die Beatles waren sehr nett, alle drei. Sie haben mich gleich aufgenommen und mir die Sache leicht gemacht. Ich war zuerst sehr nervös, mit ihnen gemeinsam auf der Bühne zu stehen, aber das war eine Nervensache. Die erste Nummer war I Want To Hold Your Hand. Jeder kannte sie auswendig, aber es ist ein Unterschied, ob man sie hört oder tatsächlich mit den Beatles spielt. Ich fragte mich dauernd: Stimmt das so? Die Fans waren enttäuscht, dass Ringo nicht dabei war, aber sie haben mich dann doch willkommen geheißen. John erklärte die Situation bei den Zwischenansagen und baute mich in den Augen der Fans dabei auf.“ Paul: „Es war das erste Mal, dass wir einen neuen Drummer hatten, und er saß da und starrte die ganzen Frauen an und wir begannen She Loves You, eins, zwei und nichts. Eins, zwei, und nichts.“ Die Reporter fragen, warum die Beatles nicht Pete Best als Ersatz für Ringo genommen haben und John sagt: „Er hat jetzt seine eigene Gruppe und es hätte so aussehen können, als würden wir ihn zurücknehmen und das wäre nicht gut für ihn gewesen.“ Am 11. Juni geht es nach Australien weiter. : „In Adelaide hatten die Jungs es gut. Sie fuhren im offenen Wagen, ohne dass ihnen jemand an die Wäsche wollte, obwohl die ganze Stadt auf den Beinen war.“ 300.000 Menschen, die gesamte Bevölkerung von Adelaide, steht am Straßenrand, die größte Menschenmenge, die bis zu diesem Tag in Australien zusammengekommen ist. Kym Bonython, Promoter für die Tournee: „Die Fans hüpften um vier Uhr morgens zu Hunderten auf der Straße herum und kreischten: Wir wollen die Beatles, wir wollen die Beatles!“ Die Beatles geben ein Interview: Reporter: „Also, Freunde, was haltet ihr von dem Empfang, den man euch in Adelaide bereitet hat?“ John: „Es war großartig. Den besten, den es jemals gab.“ Reporter: „So wie ich es im Flugzeug angekündigt hatte?“ John: „Besser.“ Reporter: „Habt ihr so etwas jemals erlebt?“ George: „Nein, es ist besser als alles.“ John: „Wir sind auch noch nie so im Wagen gefahren. Es war toll.“ Reporter: „Kann man es mit dem Empfang in den Vereinigten Staaten vergleichen?“ Paul: „Es war größer hier. Es waren viel mehr Leute da.“ Reporter: „Und wie haben sich die Leute verhalten?“ John: „Jeder war sehr zuvorkommend.“ Reporter: „Habt ihr euch vor dem Rathaus gefürchtet?“ John: „Nein. Aber wir waren geschockt, weil so viele Menschen da waren.“ Reporter: „Denkt ihr manchmal daran, dass euch da jemand, ihr wisst schon, was antun könnte?“ George: „Ich dachte daran, dass uns jemand erschießen könnte, wie wir da im Wagen saßen und winkten.“ Reporter: „Wart ihr enttäuscht, weil der Flughafen gesperrt war und die Fans nicht an euch ran konnten?“ John: „Ich glaube nicht, dass das wichtig war, sie standen ja am Wegrand.“ Reporter: „Habt ihr jemals Angst davor, dass euch bei dieser großen Begeisterung auch etwas passieren könnte? Ist schon einmal etwas passiert?“ Paul: „Deshalb sorgen wir uns ja, weil noch nie was passiert ist. Wenn es passiert wäre, hätten wir mehr Angst.“ Reporter: „Ihr seid sehr aufmerksam. Mir ist aufgefallen, dass ihr ganz genau beobachtet. Ihr schaut euch die Leute wirklich an, nicht wahr?“ Paul: „Ja, klar.“ Reporter: „Ihr merkt auf alles, was um euch herum passiert.“ John: „Ich glaube, das muss man, weil da einer dabei sein könnte, der auf einen schießt!“ Reporter: „Seid ihr bereits Millionäre, jeder von euch?“ John: „Das ist ein lausiges Gerücht. Schön wär's.“ Reporter: „Ist Brian Epstein ein Millionär?“ John: „Nicht mal der ist das. Der arme Kerl.“ Reporter: „Wohin verschwindet dann das ganze Geld?“ John: „Sehr viel davon bekommt Ihre Majestät!“ George: „Sie ist Millionärin.“ Ringo wird erst am 11. Juni entlassen und fliegt nach Australien, um am 15. Juni wieder in der Festival Hall in Melbourne mit den anderen Beatles aufzutreten. Auch in Melbourne werden die Beatles von einer riesigen Menschenmenge erwartet. John: „Unsere Tourneen waren wie Fellinis Satyricon, und das überall. Wo immer wir hinkamen, war was los. Wir hatten unsere vier Schlafzimmer und die von Derek und Neil und alle waren voll mit Leuten, Polizisten und so weiter. Satyricon! Wir mussten etwas unternehmen, und was macht man da, wenn die Wirkung der Pille nicht nachlässt? Ich war alle Nächte wach mit Derek, ich konnte nicht schlafen, so ging überall die Post ab.“ Jimmy Nicol erzählt nach der Tournee: „Über Nacht war ich der Ersatz-Beatle geworden. Aber obwohl sie von Anfang an nett zu mir gewesen waren, fühlte ich mich als Eindringling, als hätte ich mich in den exklusivsten Club der Welt geschlichen. Sie haben ihre eigene Atmosphäre, ihren eigenen Sinn für Humor. Es ist eine kleine Clique, in die keiner hinein kann. Wir haben lange genug miteinander gearbeitet, um gute Kumpel zu werden und ich habe jede Minute genossen, aber auch erkannt, dass ich nie ein Beatles sein möchte. Ich bin fast verrückt geworden. Sie verbringen ihr Leben in kleinen Schachteln in Flugzeugen, Hotelzimmern und Garderoben und leben aus ihren Koffern. Paul ist nicht der Saubermann, als der er sich ausgibt. Er liebt blonde Frauen und hasst die Massen. John mag Menschen, aber die Menschen, die ihm missfallen, wehrt er mit seinem Humor ab. Er trank auf der Tournee exzessiv. In Dänemark war sein Kopf ein Ballon und er hatte am Vortag so getrunken, dass er wie ein Schwein auf der Bühne schwitzte. Georg ist überhaupt nicht so schüchtern, wie er in der Presse dargestellt wird. Er liebte Sex und Partys die ganze Nacht. Ich konnte mit denen, was das Saufen und das Flachlegen der Frauen betrifft, überhaupt nicht mithalten. Jedenfalls bin ich etwas reifer geworden. Ich habe in den paar Wochen sehr viel erlebt. Man reift an der Seite der Beatles sehr schnell.“ Als die Beatles am 10. Juli 1964 kurz nach der Rückkehr aus Australien und Neuseeland nach Liverpool kommen, erwarten sie 200.000 Menschen auf dem Weg vom Speke Flughafen bis zum Stadtzentrum. An diesem Tag findet die Premiere des Films A Hard Day's Night im Rathaus statt. David Jacobs, der Gastgeber des Abends: „Wir flogen in einer Britannia von London hier her und saßen hinten im Flugzeug. Ich war erstaunt, wie nervös die Beatles waren, völlig verängstigt. Sie waren überall auf der Welt gewesen und überall gefeiert worden, aber sie waren völlig eingeschüchtert, dass sie in Liverpool versagen könnten. Es war ihr Zuhause. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie jemand dort für wichtig genug halten würde, um sie abholen zu wollen. Kurz vor der Landung starrten sie aus den Fenstern und man sah eine schwarze Masse um das Flughafengebäude herum, Abertausende von Menschen.“ David Jacobs, ein Fahrer der Beatles: „Vom Flughafen ging es neun Meilen weit bis in die Stadt hinein. Die Fahrt dauerte sehr lange. Wir fuhren ganz langsam, zentimeterweise, und überall am Fahrbahnrand waren Leute. Wenn man in ihre Gesichter sah, dann war das so, als wäre Jesus Christus vorbeigefahren.“ Die LP A Hard Day's Night wird wieder Nummer 1 in England und den USA. Es ist die erste Langspielplatte, auf der nur Kompositionen von John und Paul vorkommen. 1964 heißt es, John mache der Freundin von George, dem Model , den Hof, und habe etwas mit ihr am Laufen. John witzelt gerne mit ihr, und schmeichelt ihr, indem er davon spricht, sie sehe aus wie , die französische Schauspielerin, die gerade zum Schönheitsidol schlechthin geworden ist. Es handelt sich nur um ein Gerücht, aber es reicht aus, um Patties Verhältnis mit Cynthia empfindlich zu stören. Dieses Verhalten von John vermiest den vier auch ein bisschen den Maiurlaub, als John, George und ihre Partnerinnen nach Tahiti fliegen, um vier Wochen lang mit dem Boot von Insel zu Insel zu tuckern. Der Urlaub wurde von Brian Epstein geplant, der John und Paul als Songschreiberteam absichtlich getrennt hat, auch, weil die beiden auch häufig miteinander streiten. Die Boys sollen sich erholen. Doch der Urlaub wird schöner als erwartet. John und George spielen während des Urlaubs viel miteinander Gitarre. Und auch Pattie wird mit Cynthia warm, die sie bislang als abweisend empfunden hat. Man ist unter Pseudonym unterwegs. John und Cynthia geben sich als Mr. und Mrs. Leslie aus, George ist Mr. Hargreaves und Pattie Miss Bond. Am 26. Juli spielen die Beatles in Blackpool. Die Vorgruppe sind die High Numbers, die sich bald in The Who umtaufen werden. John Entwistle, Bassist der Who: „Wir standen in der Rangliste ganz weit unten und die Beatles waren die Stars. Sie konnten nicht verstehen, warum wir unsere eigene Ausrüstung mitbrachten, diese riesigen Verstärker auf die Bühne wuchteten. Danach räumte man unsere Sachen ab und die Verstärker der Beatles waren halb so groß und sie nutzten die Anlage im Theater, die mies war. Die kleinen Mikros sahen aus wie Rasierapparate. Wir konnten nicht verstehen, warum sie diesen Mist verwendeten.“ John fällt bei der Gelegenheit auf, dass mehr und mehr Menschen mit Behinderungen zu ihren Konzerten kommen und dabei in der ersten Reihe platziert werden. John: „Überall gab es ein paar Plätze für Krüppel und Leute in Rollstühlen, weil wir berühmt waren. Man erwartete von uns Gutes. Wenn wir mit denen allein waren, erwartete man von uns was, und sie sagten: Ich habe alle eure Platten oder wollten einen nur berühren. Und immer war da eine Mutter oder Krankenschwester, die einem diese Krüppel aufdrückte. Sie sagten Hallo und gingen dann wieder weg. Aber sie wollten, dass man für die den Jesus spielte oder so, als ob man eine Aura hätte, die abreiben könnte. Es war schrecklich. Jede Nacht spielte man, und anstatt da Kids zu sehen, war die erste Reihe immer voller Krüppel. Irgendwann einmal hatte ich das Gefühl, von Krüppeln und Blinden umgeben zu sein. Wir gingen einen Gang hinunter und überall berührte man uns. So wurde das, einfach schrecklich!“ Am 19. August 1964 brechen die Beatles zu ihrer zweiten Tournee nach Amerika auf. In Los Angeles spielen die Beatles in der . Bob Eubanks, der Veranstalter: „Wir wollten zwei Shows veranstalten, weil wir sofort ausverkauft waren. Das war vorher noch nie passiert.“ Die Beatles spielen in San Francisco mit den Righteous Brothers, Jackie De Shannon, the Exciters und Bill Black's Combo. Von der Westküste geht es dann über 26 Konzerte nach Osten bis zum Paramount Theater in New York. Für ihr Konzert im Municipal Stadium in Kansas City bekommen die Beatles eine Gage von 150.000 US Dollar, ein Weltrekord. In Las Vegas werden sie im Convention Center wieder mit Jelly Beans, eine Manie der Fans, die durch eine Bemerkung von John ausgelöst wurde, der behauptet hat, George stehe darauf. Gemeint waren allerdings die britischen Jelly Babies, die sehr weich sind, während die Jelly Beans durch ihre Härte zu Geschossen werden, die die Beatles von Konzert zu Konzert verletzen und ihnen große Angst einjagen. Diesmal muss das Konzert zweimal unterbrochen werden, weil Verletzungsgefahr für die Beatles besteht. Am 20. September lernen die Beatles Bob Dylan kennen. John: „Wir haben Bob Dylan im Januar zu bewundern begonnen, als wir in Paris waren. Wir hatten einem DJ eine Dylan-LP abgeluchst, der uns interviewen kam. Paul hatte von ihm schon gehört, aber bevor der die Platte spielte, wussten wir nichts von ihm. Wir waren verrückt nach der LP Freewheelin' und wollten dann noch mehr Platten, die er herausgebracht hatte. Während der Tour in Amerika sagte jemand zu uns: Wollt ihr Dylan treffen? und wir sagten: Klar, wenn er uns sehen will.“ Al Aronowitz, ein Journalist: „Die Beatles und ihr Manager waren gerade mit dem Abendessen fertig, als Bob Dylan und ich in Bobs blauem Ford vorfuhren. Victor, sein Roadie, hatte einen Packen Marihuana in der Tasche, als wir uns durch die Menge der Teenager ins Hotel vorarbeiteten. Im Eingangsbereich waren Polizisten, die uns anhielten,so lange, bis , der Roadie der Beatles, herunterkam. Wir wurden dann in die Suite der Beatles gebracht, und als die Lifttüren aufgingen, waren da noch mehr Polizisten und eine Menge Leute, und dann gelangten wir in die Suite und ich stellte jeden vor.“ John: „Er kam hoch auf unser Zimmer und wir lachten die ganze Nacht. Wenn das Telefon läutete, hob Bob ab und sagte: Hallo, hier ist Beatlemania. Er hatte den gleichen Sinn für Humor wie wir und auch unseren Musikgeschmack. Er ist kleinwüchsig. Das ist merkwürdig, wenn man ihn sieht, weil wenn er singt, hat man das Gefühl, dass er ein großer Mann ist. Er ist so groß wie Ringo und sehr dünn.“ Al Aronowitz: „Brian sagte zu Bob und mir: Ich fürchte, wir haben nur Champagner. Die Beatles boten an, billigen Wein und ein paar Pillen holen zu lassen. Bob sagte, dass er alles trinken würde, was da war und schlug vor, ein bisschen Gras zu rauchen. Die Beatles sagten, dass sie das noch nie gemacht hätten. Sie wollten wissen, wie Marihuana wirkt und wir sagten: Man fühlt sich gut dabei. Damals wusste ich noch nicht, wie man einen Joint dreht und musste Bob bitten, den ersten anzufertigen. Aber er konnte es auch nicht und eine Menge Gras fiel in die Obstschale. Wir erklärten den Beatles dann, dass Marihuana, wenn es einmal brennt, einen sehr charakteristischen Geruch hat und schlugen vor, dass wir alle ins Schlafzimmer gehen würden und die Tür zumachen. Dann gab Bob den Joint an John weiter, der ihn gleich an Ringo weiterreichte, ohne ihn zu probieren. Du versuchst es, befahl er ihm. Daran konnte man sofort ablesen, wie die Hackordnung bei den Beatles war. Ringo war der Mann, der ganz unten stand. Als Ringo zögerte, machte John einen Witz darüber, dass Ringo sein Vorkoster wäre. Ich empfahl Ringo, möglichst tief zu inhalieren und den Rauch möglichst lange in der Lunge zu behalten. Ringo nahm einen Zug nach dem anderen, und Victor, Bob und ich warteten darauf, dass er ihn an John weitergeben würde, aber die Beatles kannten die Rituale noch nicht. Wer Gras raucht, reicht es weiter, weil es wertvoll ist. Es ist illegal, teuer und nicht leicht zu kriegen. Deshalb verschwenden Grasraucher keinen Rauch. Wer den Joint einfach niederbrennen lässt, der macht etwas, was man „Bogarting“ nennt nach Humphrey Bogart, der eine Zigarette immer so lange zwischen seinen Fingern hielt, bis die lange Asche von selbst abfiel. Davon hatte ich Ringo noch nichts gesagt, und man konnte sehen, dass er den Joint wie eine Zigarette rauchen wollte. Ich bat Victor, noch ein paar Joints zu drehen und er konnte das sehr gut, so sehr, dass sie wie Zigaretten aussahen. Bald rauchte jeder seinen eigenen Joint wie eine Zigarette und nach einer Weile machte Derek Taylor mit, der immer raus und rein ging, um alle Leute, die die Beatles treffen wollten, in Schach zu halten. Bald begann Ringo zu kichern. Und dann lachte er völlig durchgedreht. Es sah so witzig aus, wie er lachte, dass wir bald auch alle selbst einen Lachkrampf kriegten und Ringo zeigte auf Brian, der lachte und wir schüttelten uns schon wieder vor Lachen darüber, wie Brian lachte. Brian sagte dauernd: Ich bin so high, ich bin oben an der Decke. Dann kam der Punkt, an dem Paul zu spüren glaubte, dass er das erste Mal in seinem Leben Gedanken hatte und er merkte das und es beeindruckte ihn schwer. Er bat Mal, ihm einen Notizblock und einen Stift zu holen und mitzuschreiben, was er ihm sagen würde. Dann ging Paul durch das Zimmer, schritt auf und ab und diktierte seine Gedanken, und Mal schrieb alles mit. Ich habe keine Ahnung, was mit den Notizen passiert ist. An dem Abend lachten wir alle, und immer, wenn John von da an einen Joint rauchen wollte, sagte er: Kommt, gehen wir eine Runde lachen.“ In Miami hört Bob Bonis, ein Mitglied des Tournee-Managements, im Casino, wie eine Mutter ihrer Tochter Anweisungen gibt, wie sie die Beatles erpressen kann. „Sie sagte: Wenn du dort oben bist, musst du dazusehen, dass auch John Lennon im Zimmer ist und dann schreist du: Vergewaltigung! Wir werden reich werden. Ich ging dann zum Hotel Management und gab strikte Anweisung, dass die Beatles völlig abgeschottet werden sollten.“ Am 7. September gibt es in Toronto Stress, weil die Beatles gehört haben, dass in Jacksonville, Florida, ein Konzert geplant ist, bei dem die Rassen von einander getrennt werden sollen. John in der Pressekonferenz: „Wir haben noch nie vor einem Publikum gespielt, das nach Rassen getrennt war, und wir werden damit auch jetzt nicht anfangen. Da geben wir lieber unsere Gage zurück. Was wir gehört haben, ist, dass Schwarze in Florida nicht auf dem Balkon sitzen dürfen. Wir werden nur auftreten, wenn freie Platzwahl herrscht.“ Die Gage der Beatles für diesen Abend beträgt 20.000 Pfund. Die Beatles treten auf, und die Rassen werden diesmal erstmals nicht getrennt. Bei einer Pressekonferenz: Reporter: „John, was hält deine Frau davon, wenn dir die Mädchen nachlaufen?“ John: „Das macht ihr nichts aus. Sie weiß, dass die mich nie erwischen.“ Reporter: „Paul, ist das Gerücht wahr, dass du heimlich mit Jane Asher verheiratet sein sollst?“ Paul: „Nein. Das ist nicht wahr. Wir sind nicht einmal verlobt. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.“ Reporter: „George, warum hast du einem Reporter in Los Angeles deinen Drink ins Gesicht gekippt?“ George: „Er war ein sehr unangenehmer Typ. Außerdem hatten wir ihn gebeten, den Raum zu verlassen, weil er schon sehr viele Bilder gemacht hatte und wir nichts sehen konnten. Deshalb dachte ich, dass man ihn taufen müsste.“ Reporter: „Welche Zigarettenmarke rauchst du?“ George: „Filterzigaretten.“ John: „Von uns gibt es keine Gratiswerbung!“ Reporter: „Hallo. Ich bin von der Variety.“ John: „Schön für Sie.“ Reporter: „Wer ist die aufregendste Frau, die Sie kennen?“ John: „Die Mutter von Ringo ist ziemlich heiß. Keine Sorge, Ringo, das ist nur ein Witz. Nur ein Witz.“ Reporter: „Was hältst du von Paul?“ John: „Er ist in Ordnung, aber manchmal muss man ihn zurechtweisen.“ Reporter: „John, nachdem gerade Warnungen über das Rauchen publiziert wurden, wirst du das Rauchen aufgeben?“ John (der gerade raucht): „Nein. Einmal müssen wir alle weg, denke ich.“ Reporter: „Mögt ihr das, wenn die Mädchen eure Bettlaken zerreißen und durchdrehen?“ Ringo: „Ich habe nichts dagegen, außer, wenn ich gerade darauf schlafe.“ In Kansas geraten die Fans außer Rand und Band. Bes Coleman, die zum Betreuungsstab der Beatles gehörte: „Zuerst war da eine Vorgruppe und alles war normal. Dann kamen die Beatles und ihr erstes Lied war Kansas City42. Dabei drehten alle durch. Alle Barrieren wurden durchbrochen, alle waren auf den Beinen. Wir hatten uns in einen Wohnwagen zurückgezogen, und der begann plötzlich zu schaukeln und zu schaukeln und dann kippte er über. Es war ganz schön merkwürdig,

42 http://www.youtube.com/watch?v=GOYq9JiBW3s seitlich in einem umgekippten Wohnwagen zu sitzen. Der Lärm war unglaublich. Polizeistimmen dröhnten aus den Lautsprechern: Treten Sie zurück, treten Sie zurück, aber das hat keiner gemacht. Ich weiß nicht mehr, wie man den Wohnwagen dann wieder in die Gerade gebracht hat, aber man hat es geschafft. Die Polizei kam mit Knüppeln heraus und das war die einzige Methode, mit der man die Fans in den Griff kriegen konnte. Es wurde ruhiger, und dann ging Derek Taylor ans Mikro und schrie die Fans an und sagte immer wieder, dass sie sich hinsetzen müssten, oder das Konzert würde ausfallen. Ich weiß nicht, wie es dann gekommen ist, aber die haben sich dann wirklich hingesetzt und die Beatles spielten eine halbe Stunde lang, aber danach brachen die Fans wieder durch die Barrieren, aber diesmal war die Polizei auf sie vorbereitet und hat die Beatles dann hinaus in ihre Wagen eskortiert.“ Für die Show in Kansas City bekommen die Beatles 150.000 Dollar. Das Ende der zweiten Amerika-Tournee zeigt erste Risse im jungenhaften, charmanten Bild, das die Beatles bislang in der Öffentlichkeit abgegeben haben. Im Gegensatz zu allen anderen Popgruppen dieser Zeit machen die Beatles nicht nur gute Musik, sondern verzaubern die Menschen auch mit ihrem Charme und ihrem Humor. Sie sind jungenhaft und wirken natürlich, wie Jungs aus der Nachbarschaft. Beatlemania aber verändert die Beatles. Sie merken, dass sie nicht mehr als Musikgruppe wahrgenommen werden, sondern als Katalysatoren für das psychologische Phänomen Beatlemania, das oberflächlich betrachtet zwar mit ihnen als Gruppe, aber in Wirklichkeit nur wenig mit ihrer Musik zu tun hat. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass Beatlemania die Beatles in Hotels und Häuser einschließt. Der Ruhm ist so groß geworden, dass man sie jederzeit auf der Straße erkennt und dann eine Horde meist junger Mädchen zu kreischen und ihnen nachzulaufen beginnt. Bei einer Tournee folgen außerdem die Termine so kurz aufeinander, dass die Beatles nur mehr wenig Gelegenheit haben, auszuspannen. Wo sie die erste Amerika-Tournee mit freudiger Erwartung und wilden Hoffnungen begonnen haben, wird ihnen die zweite bereits zur Belastung, und nach fünf Wochen Kreischen haben die Beatles genug und sind froh, wieder zu Hause zu sein. Nach ihrer Rückkehr nach England sagt John: „Was die Sache für mich verdorben hat, war dieser ganze Mist drumherum. Menschen treffen zu müssen, die man nicht sehen wollte. Wahrscheinlich bin ich da eigen. Wenn sie Autogrammbücher hereingereicht haben, dann waren das welche von der Polizei und Beamten und Veranstaltern, aber nicht von den Fans. Die wirklichen Fans, die Stunden oder Tage gewartet hatten, hat man als Idioten bezeichnet, weil sie Autogramme von uns wollten. Aber die Polizisten selber waren auch ganz scharf darauf. Ich bin mir sicher, dass jede Polizistentochter in Amerika jetzt ein Autogramm von uns hat. Die Hälfte davon steht gar nicht auf unsere Musik, aber was soll man machen? Es ist ziemlich unfair, aber man kann es nicht ändern.“ George nach der Tournee: „Ich habe genug von Tourneen. Vielleicht nicht in England, aber in Amerika auf jeden Fall. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal eine Konzertreise machen werden, die fünf Wochen lang dauert. Es ist so anstrengend und gibt uns nichts.“ Ringo: „Ich weiß, dass es gut geklappt hat. Und es hat mir gefallen, dass die Kids mir zugewinkt haben. Ich konnte es zuerst gar nicht glauben, weil der Drummer normalerweise der ist, den keiner beachtet. Weil er von vorne gar nicht zu sehen ist. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass ein Drummer von vorne zu sehen sein muss.“ John: „Wir werden nie mehr fünf Wochen durchmachen. Das war einfach die Hölle, vor allem, wenn man berücksichtigt, was da los war. Wenn Brian meint, dass wir noch einmal für zwei Wochen losziehen sollen, dann ist das okay für uns. Es hängt von ihm ab.“ Zuhause warten neue Termine. Am 9. Oktober gehen die Beatles auf ihre erste England-Tournee in diesem Jahr. Es sind 27 Konzerte. Am 19. Oktober befinden sich die Beatles in Edinburgh in Schottland. , ein Journalist, ist im Hotelzimmer der Beatles, als John seinen Frust herauslässt. Paul (der gerade vor dem Fernseher sitzt): „Also langsam reicht es mir mit deinen Nörgeleien, John.“ John: „Du sagst, was du sagen willst und ich sage, was ich sagen will, okay?“ Paul: „Du schadest meinem Image!“ John: „Weil du weich bist! Halt doch die Klappe und schau fern wie ein braver Junge!“ Bei der Pressekonferenz wird John gefragt, ob er ein Buch über die Beatles schreiben würde. John: „Keine Ahnung. Eher nicht, denke ich. Es würde mich zu sehr an die Schule erinnern, Aufsatzschreiben und so. Ich erfinde lieber Dinge, als eine Dokumentation zu machen. Außerdem habe ich ein schreckliches Gedächtnis. Ich kann mich an nichts erinnern, nicht, in welcher Stadt wir gerade sind, wohin wir müssen, in welcher Halle wir spielen. Für mich ist das ein Meer von Gesichtern und dann zurück ins Auto. Ich bin kein Mann für das Detail. Daheim ist es besser. Wenn mich etwas interessiert, erinnere ich mich sehr gut, aber alles andere macht Unruhe in meinem Kopf. Beispielsweise als Cyn und ich in dieses neue Haus in gezogen sind. Neulich wollte mich ein Chauffeur nach Hause fahren und fragte mich: Wohin? Und ich hatte selbst keine Ahnung! Obwohl wir schon einen Monat dort waren. Wir sind drei Stunden von London nach Surrey gefahren. Also könnt ihr euch vorstellen, wenn ich ein Buch über die Beatles schreiben müsste, was da herauskommen würde.“ Die Beatles geben dem ein Interview: Playboy: „Wie lange wart ihr schon zusammen, als Ringo dazustieß?“ John: „Vielleicht ein paar Jahre oder so, etwa drei Jahre. Paul: „Aber das war sehr amateurhaft.“ George: „Im Pub um die Ecke und im Haus eines Onkels und so.“ John: „Und auf der Hochzeit vom Bruder von George. Ringo hat zwischendurch gespielt, wenn unser Drummer krank war, was häufig vorkam.“ Ringo: „Er hat kleine Tabletten geschluckt, die ihn krank gemacht haben.“ Paul: „Ich habe einige total verrückte amerikanische Mädchen getroffen. Wie dieses Mädchen, das bei einer Pressekonferenz auf mich zu kam und sagte: Hallo, wie geht es dir? Kannst du dich nicht an mich erinnern? Und ich sagte: Äh, nein. Ich dachte: O Gott! Es ist eine dieser Personen, die man getroffen und im Gedächtnis vollkommen gelöscht hat. Derek war da, unser Presseagent, der uns bei Pressekonferenzen immer die lustigen Bemerkungen einsagt ...“ George: „Stimmt doch gar nicht.“ Paul: „Richtig. Das ist falsch, Beatles-Leute. Er hing also so rum und fragte sie: Hast du angerufen, oder geschrieben oder was? Und sie: Nein. Und er darauf: Wie bist du denn dann mit Paul in Kontakt gekommen? Woher kennst du ihn? Und sie sagte: Gott hat uns zusammengebracht. Da war dann eine gespenstische Stille und wir haben geschluckt und sind rot geworden. Ich sagte: Das ist sehr schön, Lilly. Vielen Dank, aber wir müssen weiter.“ Playboy: „Gab es keinen Blitz vom Himmel?“ Paul: „Nicht in dem Moment. Aber ich habe nachher noch einmal mit ihr gesprochen und sie sagte, dass sie eine Vision von Gott bekommen hätte ...“ John: „Und er sagte: Es war A Hard Day's Night.“ Paul: „Nein, Gott sagte, hör zu, Lilly, Paul wartet auf dich. Er liebt dich und möchte dich heiraten, also fahr hinunter und triff ihn und er wird dich sogleich erkennen. Es war sehr witzig, und ich versuchte dann, sie davon zu überzeugen, dass es nicht Gott gewesen war, der mit ihr gesprochen hatte, sondern ... George: „Einer, der sich als Gott verkleidet hatte.“ Paul: „Es gibt diesen Typ Frau in England gar nicht.“ Am 29. Oktober, auf dem Weg zu einem Konzert in Plymouth, muss der Wagen einen Augenblick stehen bleiben. Ringo: „Wir sprangen alle aus dem Auto und gingen in die Konditorei und haben uns jeder einen Kilo Süßigkeiten gekauft. Das hat uns allen viel bedeutet. Die Freiheit des Augenblicks war da. Wie Schule schwänzen. Der Enge des Terminplans entfliehen. Die meisten würden da einfach reingehen und sich was kaufen, aber für uns war das ein großes Ding. Es war ein sehr, sehr merkwürdiges Gefühl, wieder frei zu sein. Wir haben diese Süßigkeiten stärker genossen als andere Kaviar oder ein teures Abendessen.“ Bei ihrem letzten Konzert in Bristol am 10. November klettert ein Spaßvogel an die Decke des Theaters und schüttet von oben einen Sack Mehl auf die Beatles aus. Die Bristol Evening Post berichtet: „Die kreischende Menge flippte vor Freude aus, als eine große weiße Wolke von der Decke fiel und John, Paul, Ringo und George mit Mehl bedeckte. Es war perfektes Timing, denn die Beatles hatten gerade ihre ruhigste Nummer zu Ende gespielt. Die Beatles mussten selber lachen, zeigten aufeinander und begannen auf der Bühne zu tanzen. Mehl war in ihren Haaren, auf ihrem Anzügen, in ihren Augenbrauen und ihren Gitarren und auch auf Ringos Trommeln. Ringo drehte sie um, im Versuch, das Mehl herunter zu kriegen. Paul krümmte sich vor Lachen, schnappte sich das Mikrophon und rief: Heute ist der letzte Tag der Tour, müsst ihr wissen, und kicherte dann wieder. Das Publikum brüllte vor Lachen, bis sich die Beatles erholt hatten und sie mit Ringos Song I Wanna Be Your Man43 weitermachten. Der Manager des Theaters, Mr. Ken Cowley, sagte: Der Witz war toll, aber es ist trotzdem ein Problem, dass man unsere Sicherheitsvorkehrungen so leicht durchbrechen kann. Und dass der Witzbold sein Leben riskiert hat. Er war fast fünfzig Fuß von der Decke auf die Bühne gefallen und hätte dabei auch einen der Beatles schwer verletzen können.“ Als Schuldige für diesen „Anschlag“ werden später vier Jugendliche ausgemacht. Eine von ihnen ist die Tochter eines Polizisten, der beim Konzert auf die Beatles aufgepasst hat. Am 27. November kommt die Single I Feel Fine44 heraus. John: „Ich habe es um den Riff herumgeschrieben, den man im Hintergrund hört. Ich hatte diesen Effekt schon mehrmals in einem Lied unterbringen wollen, aber den anderen hat das nicht gefallen. Deshalb habe ich gesagt, ich werde ein Lied um diese Begleitung herum spielen und die anderen haben gesagt: Okay, mach das, weil sie wussten, dass das Album schon ziemlich fertig war. Am Morgen kam ich ins Studio und sagte zu Ringo: Ich habe dieses Lied geschrieben, aber es taugt nichts. Wir versuchten es und es wurde daraus eine A-Seite und wir haben es so veröffentlicht, wie es war. Was erfolgsträchtig an dem Lied ist, ist die Phrase , und wie die Gitarre danach klingt. George und ich spielen den Riff danach gemeinsam. Es ist ein bisschen Country und Western dabei.“ Paul: „Das Geräusch am Anfang des Lieds auf der Plattenaufnahme war Spaß. John hatte seine Jumbo-Gitarre und wir spielten das Lied vor der Aufnahme noch einmal durch und als dann das rote Licht für die Aufnahme ankam, spielte er es unbeabsichtigt.45 Es war ein bisschen Feedback, und wir haben dann darüber diskutiert und es dann doch so gelassen.“ George: „John hatte eine akustische Gitarre, die elektronisch verstärkt wurde und stand vor Pauls Verstärker und Paul spielte gerade die Note A und es entstand dieses Feedback in Johns Gitarre. Es war magisch, dass es passiert war und wir haben es dringelassen, weil es so hübsch klang.“ Das Album erscheint am 19. Dezember 1964 und übernimmt wieder Platz 1 der LP-Charts. Es enthält acht neue Kompositionen von John und Paul, und sechs Rock'n'Roll Standards von Chuck Berry und Buddy Holly. George Martin, John und Paul spielen bei Music46 alle gemeinsam auf einem Klavier. John über No Reply47: „Dick James hat gesagt, dass das der erste vollständige Song von mir war. Mit einer kompletten Geschichte. Ich hatte dieses Bild vor Augen, wie ich die Straße hinuntergehe und sie im Fenster stehen sehe, und wie sie nicht ans Telefon geht, obwohl ich noch nie ein Mädchen in meinem ganzen Leben angerufen habe! Weil man als Kind, als ich aufgewachsen bin, einfach kein Telefon hatte.“ Paul über Eight Days A Week48: Ich tauchte eines Tages bei John auf und hatte gerade meine Fahrerlaubnis verloren, weil ich zu schnell gefahren war, also wurde ich dorthin gefahren und als wir vor Johns Haus hielten, redete ich gerade mit dem Chauffeur und fragte ihn: Wie war Ihre Woche? Haben Sie viel arbeiten müssen? Und er antwortete: Ich habe acht Tage in der Woche gearbeitet, Paul! Mit dem Gedanken bin ich dann bei John aufgetaucht und dachte: Cool.“ John: „Das Lied war nie gut. Wir haben uns sehr angestrengt, um es zu einem guten Lied zu machen. Er hat es mitgebracht und wir haben uns beide daran abgemüht, aber es wurde nichts

43 http://www.youtube.com/watch?v=Iqw8m2shH54 44 http://www.youtube.com/watch?v=a3j6S8N8bTE&feature=related 45 http://www.youtube.com/watch?v=GlpMs_R3P6U 46 http://www.youtube.com/watch?v=TBiLhQpaUaM 47 http://www.youtube.com/watch?v=ILdBDOPoEDQ 48 http://www.youtube.com/watch?v=Vs5qsk0pc6Y draus.“ John über I Don't Want To Spoil The Party49: „Das war ein sehr persönliches Lied für mich. In den ersten Jahren habe ich weniger geschrieben als Paul, weil er so viel besser Gitarre spielen konnte. Er hat mir eigentlich das Gitarrespielen beigebracht.“ John sagt später, dass ihn Bob Dylans Besuch in New York dazu inspiriert habe, Lieder wie I'm A Loser50 zu schreiben. Am 24. Dezember lassen die Beatles im Hammersmith Odeon in London ihre zweite Weihnachtskonzertreihe steigen. Mit von der Partie sind Freddie & the Dreamers, die Yardbirds, Elkie Brooks, Jimmy Savile, Mike Haslam, Mike Cotton Sound, Sounds Incorporated und Ray Fell. Another Beatles Christmas Show läuft bis zum 16. Januar 1965.

49 http://www.youtube.com/watch?v=1O6gX0FCwpU 50 http://www.youtube.com/watch?v=5r0HTV7WkQk 1965

Im Januar unterschreibt Brian Epstein für die Beatles einen Vertrag über ein Konzert im in New York. Sie werden dafür mindestens 100.000 Dollar bekommen. Sie sollen noch in diesem Jahr auf eine dritte Amerika-Tournee gehen, meint Brian, der den Erfolg der Beatles für flüchtig hält. George Martin fährt am 25. Januar mit seiner neuen Freundin Judy und John und Cynthia in die Schweiz Schifahren. George Martin: „John und ich fuhren gemeinsam in den Schiurlaub nach St. Moritz, sehr gehobene Klasse, und stiegen im Palace Hotel ab, das noch gehobener war, und wir hatten großen Spaß.“ Cynthia Lennon: „George Martin und Judy schlugen den Urlaub vor. George war der perfekte Gentleman und Judy die perfekte Lady. Sie waren beide ein entzückendes Paar und passten wunderbar zueinander.“ Martin: „Wir vier teilten eine Suite, die sehr bequem war und sehr teuer und wir stellten auch einen Schilehrer an. Meine Begleiterin konnte Schifahren, aber weder John, noch Cyn noch ich hatten davon eine Ahnung. John sagte ganz großzügig, ob wir alle den Schilehrer teilen wollten: Ich zahle für ihn. Dann kam unser erster Tag auf der Piste und es war sehr aufregend für uns alle.“ Cynthia: „Unser Schilehrer war ein sehr gut aussehender Schweizer, der offensichtlich die Damen mochte. Unsere erste Stunde haben wir nur gelacht und dann gingen wir wieder für ein ein paar Drinks ins Hotel ...“ Martin: „Wir gingen ins Hotel, um unsere heiße Schokolade zu trinken und waren ziemlich aufgeregt über alles und John zog seinen Anorak aus und hatte darunter eng anliegende schwarze Unterwäsche und begann dann Max Wall, den Komiker, nachzumachen, was wirklich sehr, sehr witzig war. Er streckte den Hintern heraus und tat so, als würde er Klavier spielen. Er zog seine Haare über die Augen und schob seine Zähne hervor. Es war wirklich sehr erheiternd und wir alle fielen vor Lachen um. Ich wollte da nicht nachstehen und machte etwas Ähnliches, ich trug ein Paar Boxer Shorts, die seitlich ein bisschen vom Körper ab standen wie ein Tutu bei einem Tänzer und wickelte den Turban meiner Frau um meinen Kopf und kam dann wie Nureijev in den Raum getänzelt, huschte herum und machte dann einen großen Sprung, kam mit meinem Fuß auf und dann gab es ein Geräusch, als würde ein Ast brechen und ich knickte vor Schmerzen zusammen. Alle riefen: Sehr gut! Sehr gut! Mach das noch mal! Und ich stöhnte: Ihr Idioten! Ich habe mir den Fuß gebrochen! und sie glaubten es mir erst nicht. Aber es war so. Zu dieser Zeit schrieb John Lieder für Rubber Soul und eines davon hat er in diesem Hotelzimmer komponiert, weil wir uns dort viel aufhielten wegen meines gebrochenen Fußes. Er spielte mir ein kleines Lied auf der Gitarre vor und fragte: Was hältst du davon? Das Lied war Norwegian Wood.“ Ein weiteres Lied, das John bei seiner Rückkehr nach England im Gepäck hat, ist Ticket To Ride51. Dick James: „Paul sang mir zu Weihnachten einige Melodien vor, die er mit John verwerten wollte. Etwas später hörte ich sie von John und John sagte: Ich habe da einen Titel, den ich nicht mehr abschütteln kann. Sie hat schon eine Fahrkarte. Ich mochte die Phrase, weil sie origineller war als anderes, was man sonst verwendete, um Abschied und Trennung zu beschreiben. Ich ermunterte John, daran zu arbeiten, und im Februar dann, auf dem Schikurs, nahm John seine Gitarre in die Hand und spielte das Stück vor.“ George Martin: „Ich mochte es sofort. John sagte mir, dass er mit Paul daran arbeiten würde, sobald wir wieder in London waren.“ Bei der Vorstellung des Lieds vor der Presse entschuldigt sich Paul beinahe für den „arabischen Rhythmus“ und den merkwürdigen Text bei den Fans. John: „Aber es ist nicht so ungewöhnlich, es sind immer noch wir. Es ist wie wir. Ist das ungewöhnlich? Wir mögen das Lied sehr. Pauls Beitrag ist die Art, wie Ringo bei dem Lied Schlagzeug spielt.“ George: „Es ist vielleicht die schwierigste Single von uns. Es dauert eine Weile, bis man sich daran

51 http://www.youtube.com/watch?v=gHPxAnt1HE8 gewöhnt hat.“ George hätte es vorgezogen, wenn die B-Seite der Single, Yes It Is52, die A-Seite gewesen wäre, aber Paul bemerkt hier gleich schulmeisterlich: „Ich weiß, was du meinst. Mir geht es genauso. Aber man darf das, was man lieber hat, nicht damit verwechseln, was die beste A-Seite wäre. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.“ Cynthia aber springt George bei, indem sie bemerkt, dass ihr Lieblingslied von den Beatles ist. Am 11. Januar wird John über Ringos heimliche Heirat mit Maureen Cox befragt, die während seines Urlaubs stattgefunden hat. John: „Es gab keine Tränen. Wir haben Frau Starkey gedroht, wenn sie heult, gehört sie nicht zur Gang.“ Reporter: „Glauben Sie, dass Ringos Heirat den Erfolg der Beatles beeinflussen wird?“ John: „Nicht wirklich, aber es kann passieren, dass die Fans der Beatles neu gemischt werden wie damals, als bekannt wurde, dass ich verheiratet bin.“ Reporter: „Was war Ihre erste Reaktion, als sie davon gehört haben? Haben Sie daran gedacht, wie das die Fans aufnehmen werden?“ John: „Nein, auf keinen Fall. Mein erster Gedanke war, was für ein Heimlichtuer, dass er das durchzieht, während ich im Urlaub bin. Aber es ist gut, jetzt gehört er zum Club.“ George (der dabei war): „Die Feier war in zehn Minuten vorbei. Es gab keine Musik, obwohl ich daran gedacht habe, den Hochzeitsmarsch zu summen. Maureen ist klasse, und wir mögen sie alle sehr. Das bedeutet jetzt, dass es zwei verheiratete Beatles gibt und zwei ledige. Zwei hat's erwischt, zwei müssen noch weg.“ I Feel Fine wird Nr. 1 in den US am 26. Januar, und She's A Woman53 kommt auf Platz 4. Am 15. Februar besteht John seine Führerscheinprüfung in , Surrey nach einigen wenigen Fahrstunden. Sein Fahrlehrer, Paul Wilson, sagt dazu: „John war einer der besten Schüler, die ich in drei Jahren Berufszeit hatte. Er war sehr gut in sehr kurzer Zeit. Er ist ein schneller Kopf.“ John fährt nach der Prüfung ins Studio in der Abbey Road, wo die Beatles Ticket To Ride und andere Lieder aufnehmen. Einige Tage später gibt er – eine Vorschau auf die späteren Pläne der Beatles mit ihrer Firma Corps – bekannt, andere Musiker produzieren zu wollen. John: „Das werde ich einmal auf jeden Fall machen. Ich möchte jemanden finden, der so gut ist wie sagen wir Tom Jones, und eine Platte mit ihm machen, gemeinsam mit Paul wahrscheinlich. Bis jetzt hatten wir keine Zeit dazu, aber jetzt könnte es klappen. Wir werden nicht mit einer großen Zigarre herumlaufen, aber mein Ehrgeiz ist es, einen weiblichen Popstar zu schaffen, die so aussieht wie Brigitte Bardot und die Stimme von Dionne Warwick hat.“ Am 23. Februar 1965 beginnt man auf den Bahamas mit den Dreharbeiten zum zweiten Beatles- Film. Er soll Eight Arms To Hold You heißen. Treffender aber wird der spätere Titel Help! sein. Der Film ist eine lange Blödelei. Die Handlung beschränkt sich darauf, dass Ringo einen schönen Ring hat, und deswegen stellen die ursprünglichen Besitzer, die einem asiatischen Kult angehören, den Beatles nach. Der Film konfrontiert die Beatles das erste Mal – wenn auch als Parodie – mit der indischen Kultur, und dass in dem Film Sitar gespielt wird, wird auf die Beatles einen großen Einfluss nehmen. Richard Lester: „Help! hat als Film länger gedauert, weil wir mehr Zeit hatten und viel mehr Geld. Ich musste den Fans haut ab in vielen verschiedenen Sprachen sagen. Während der Dreharbeiten entdeckten die Beatles Marihuana. Sie haben dauernd gekichert.“ John: „Help! war, als wir Gras zu rauchen begonnen und keinen Alkohol mehr getrunken haben. Ich habe immer eine Droge gebraucht, um überleben zu können. Auch die anderen, aber ich habe immer mehr gebraucht, mehr Tabletten, mehr von allem.“ Cynthia: „Marihuana war für die Jungs ein Spaß und sie konnten damit gut abschalten. Das Problem war nur, dass sie es überall rauchten, wo sie nur konnten, auf dem Set und im Plattenstudio und zu Hause. Wenn sie Gras rauchten, dann kamen sie innerlich runter, das Karussell kam zum Stillstand.“

52 http://www.youtube.com/watch?v=7uVRIAinA3E 53 http://www.youtube.com/watch?v=L3W2Oa_Dqwc John: „Als wir auf den Bahamas zu den Dreharbeiten waren, kam dieser kleine Yogi auf uns zu. Wir hatten keine Ahnung, was der war. Ein kleiner Inder lief auf uns zu und gab jedem von uns ein kleines Buch, das er uns gewidmet hatte und das von Yoga handelte. Wir haben da gar nicht hineingeschaut sondern zu den anderen Sachen gesteckt, die wir dabei hatten.“ , ein Schauspieler, der bei Help! mitgespielt hat: „Einmal liefen wir auf den Bahamas durch eine Reihe von Armeebaracken. Wir dachten, die sind leer, aber dann kam John auf mich zu und sagte: Vic, schau dir das an. Und er hob eine Holzklappe auf und in der Baracke waren jede Menge alte Leute und spastische Kinder. Es stank in dem Bau und man hatte die Läden vor den Fenstern geschlossen, damit wir sie nicht sehen würden. John und ich waren sehr schockiert. An diesem Abend waren wir beim Finanzminister der Bahamas zum Essen eingeladen, ein Haus wie aus einem Hollywoodfilm. Riesig, und um einen Pool herum gebaut, so dass man beim Abendessen vom Stuhl fallen und unter das Haus durchschwimmen konnte auf die andere Seite. Es gab überall griechische Statuen und große Suppenschüsseln voller Kaviar. Der Generalgouverneur war da mit seiner Frau und der Finanzminister hatte dieses großartige Dinner veranstaltet. Es war unglaublich opulent, das prächtigste Abendessen in meinem ganzen Leben. All diese Leute aus der Oberschicht mit ihrem feinen Akzent, die fragten: Oh, wer von denen ist Ringo? Ist das der mit der Nase? und griffen ihm auf die Nase, um zu sehen, ob sie echt war. Sie wollten wissen, ob die Haare echt waren und zogen an ihnen. Sie hatten einfach keine Manieren. Dann saßen wir am Tisch und John schaute mich an und blickte sich im Kreis um und sagte: He, Lady. Was sind die da? und zeigte auf die Messern und die Gabeln. Es gab von jeder Sorte zehn auf beiden Seiten. Messer und Gabeln, sagte sie und drehte sich zu ihren Freunden um: Sie wissen nicht, was Messern und Gabeln sind! Die Beatles machten sich lustig über die. Dann brachte man uns einen riesigen Kelch mit Kaviar und John schaute den Finanzminister an und meinte: Darf ich Sie was fragen? Gestern hatten wir Dreharbeiten an einem Platz, von dem wir dachten, dass es aufgelassene Baracken der Armee waren, aber dann war das eine Art Heim für alte Menschen und Spastiker und offen gestanden, es war ganz schön abstoßend. Wie rechtfertigen Sie das? Und er zeigte auf das tolle Essen. Es wurde im ganzen Raum still und der Mann sagte: Mr. Lennon, als Finanzminister für die Bahamas bekomme ich kein Gehalt. Es ist ein Ehrenamt. Und John darauf: Dann geht es Ihnen besser, als ich vermutet hätte. Und jetzt war es ganz still geworden. Als wir am nächsten Tag abflogen, gab es Schlagzeilen in der Zeitung: John Lennon beleidigt den Generalgouverneur und wir wurden quasi von der Insel ausgewiesen.“ Am 13. März gelangt sofort auf Nr. 1 der amerikanischen Hitparade, ein Zeichen, dass die Beatles-Begeisterung anhält. Am 14. März kommt das Filmteam mit den Beatles in Österreich an. Victor Spinetti: „John sagte: Vic, schau dir das an. Wir standen auf dem Balkon und man konnte überall Österreicher sehen, Zehntausende davon. Sie waren früh aufgestanden und riefen und winkten. Und auch die Beatles sprangen an dem Morgen früher aus ihren Betten und holten ihre Kämme heraus und hielten sie über ihre Oberlippen, um einen Hitlerbart anzudeuten, und die zehntausend Leute brüllten vor Lachen. So etwas ließ man den Beatles durchgehen.“ Zurück in England gehen die Dreharbeiten im Studio weiter. Richard Lester: „Wir drehten Help! im Studio und in dieser Zeit gab es auf einer der Bühnen ein Klavier und Paul spielte die ganze Zeit sein Scrambled Eggs, und das so ausdauernd, dass ich zu ihm sagte: Wenn du dieses verdammte Lied noch einmal spielst, lasse ich das Klavier abholen. Entweder du machst es fertig oder du lässt es bleiben.“ Dick James: „In einer Drehpause bat ich Paul, mir das Lied vorzuspielen und er spielte es auf der Heimorgel in der Wohnung, die sie damals bewohnten. Zu dem Zeitpunkt hatten John und er noch nicht daran gearbeitet und deswegen gab es noch keinen Titel. Deshalb, anstatt Yesterday, sang er Scrambled Eggs. Nachdem er damit fertig war, schaute er mich neugierig an, wie er das immer tat, wenn sie eine neue Komposition gemacht hatten und ich sagte: Um Himmels Willen, macht das Lied fertig. Es ist toll. Und sie haben das dann auch gemacht.“ Im April probieren John, Cynthia, George und Pattie das erste Mal in einer Wohnung in Bayswater in London LSD aus. George: „Das erste Mal, dass wir LSD nahmen, war, als wir mit unserem Zahnarzt Abendessen waren. Er löste die Tabletten in unserem Kaffee auf. Wir hatten keine Ahnung, was es war. Wir hatten ihn nicht darum gebeten, aber wir bedankten uns.“ John: „Ein Zahnarzt in London hat uns vier damit bedacht, ohne uns davon zu erzählen. Er war mit George befreundet und auch unser Zahnarzt damals.“ Cynthia: „Als uns ein Freund von George LSD unterjubelte, wurde mir klar, dass ich ganz auf mich gestellt bin. Ich kann mich daran erinnern, wie wir in seinen Salon gingen und demonstrativ vier Zuckerstücke auf dem Kamin aufgereiht standen. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Das Abendessen war großartig und wir hatten viel Wein getrunken. Als dann der Kaffee kam, landete jeweils eines der Zuckerstücke in einer von unseren Tassen. Und es war dann so, als wären wir plötzlich in einem Horrorfilm gelandet. Der Raum wurde größer und größer. Es war ein schreckliches Erlebnis, das ich nie mehr vergessen werde, wie im Buch Alice im Wunderland. Ich hatte das Gefühl, als würde aus meiner Welt der Boden herausbrechen. Ich war dem Wahnsinn nie näher als in diesem Augenblick. Unser Gastgeber schien sich in einen Dämon zu verwandeln. Wir waren völlig verängstigt. Wir wussten, dass es etwas Böses war, was mit uns passierte. Wir mussten aus dem Haus heraus, aber dieser Mann sagte uns, dass wir nicht gehen durften.“ John: „Er sagte: Ich rate euch, hier zu bleiben. Wir dachten alle, dass er uns für eine Orgie bei sich haben wollte und wollten gar nicht wissen, wie die aussehen würde.“ Cynthia: „Wir kamen dann irgendwie im Mini von George davon, aber er fuhr uns mit dem Taxi nach. Es war, als würde einen der Teufel in einem Taxi verfolgen. Wir versuchten, zu einem Club zu kommen, wir vier in einen Mini eingezwängt. Jeder von uns hatte das Gefühl, verrückt zu werden.“ John: „Es war verrückt, während des Trips durch London zu steuern. Als wir dann im Club ankamen, hatten wir das Gefühl, dass alles brannte und dann sah es so aus als ob alles für eine Premiere erleuchtet wäre, aber es brannte nur eine fahle Lampe und wir dachten Scheiße! Was geht jetzt ab? Wir drehten einfach durch.“ Cynthia: „Pattie wollte aus dem Auto raus und hatte die Absicht, alle Scheiben der Geschäfte in der ganzen Regent Street einzuschlagen.“ John: „Wir dachten, dass der Lift im Club brannte, aber es war nur ein kleines, rotes Lämpchen. Wir schrien alle und es war uns heiß und wir waren hysterisch. Wir kamen in den Club und setzten uns hin und der Tisch schien sich zu verlängern. Ein Sänger kam zu mir her und fragte: Kann ich mich neben dich setzen? Und ich sagte: Nur, wenn du keinen Ton sagst. Ich konnte nicht denken.“ Cynthia: „Dann wollten wir heim und fuhren zu George nach Esher hinaus. Der Himmel weiß, wie wir dort gelandet sind.“ John: „George hat es irgendwie geschafft, uns in seinem Mini nach Hause zu bringen. Wir fuhren vielleicht 20 km/h, aber es kam uns vor, als würde er rasen. Pattie sagte: Kommt mit raus, wir spielen Fußball. Ich machte dauernd Witze, einen nach dem anderen, rasend schnell und George sagte immer wieder: Ich kann nicht lachen, bitte nicht!“ Cynthia: „Als wir bei George angekommen waren, ging der Trip weiter. John weinte und schlug seinen Kopf gegen die Wand. Ich versuchte, zu erbrechen, aber ich konnte es nicht. Ich versuchte zu schlafen, aber das ging auch nicht. Es war wie ein Alptraum, der nicht enden wollte, egal, was man tat.“ John: „Gott, es war furchteinflößend, aber es es war auch fantastisch. Das Haus von George war zu einem großen U-Boot geworden. Ich steuerte das U-Boot, während die anderen alle schlafen gingen. Ich steuerte hoch in die Luft und schwebte über die Mauer. Ich machte ein paar Zeichnungen von vier Gesichtern, die sagen: Wir stimmen dir in allem zu. Ich war danach für einen Monat oder zwei ziemlich benommen.“ George: „Es war etwas, das ich zuvor noch nie gekostet, gerochen oder gehört hatte. Für mich war es wie ein Blitz, der etwas in mir öffnete und ich begriff einige sehr große, schwere Dinge. Von da an wollte ich diese Tiefe und Klarheit der Gedanken immer haben.“ John: „Damals hat dann diese indische Sache begonnen. Es gibt eine Szene im Film Help! in einem Restaurant, in dem sie auf der Sitar spielen. Es sollte eine indische Musikgruppe sein, die im Hintergrund Musik machen. George starrte dauernd zu denen hinüber.“ George: „Wir warteten auf einen Dreh zu der Szene, wo ein Typ in einen Topf Suppe geworfen wird und im Hintergrund spielten indische Musiker. Ich erinnere mich daran, die Sitar in die Hand genommen zu haben und ich dachte: Was für ein merkwürdiger Ton. Es war Zufall, aber es hatte große Auswirkungen auf mich.“ John: „Dann, zwei Jahre später, begann George mit Yoga und deshalb, weil er auf dem Filmset diese ganzen merkwürdigen Instrumente gesehen hatte, begann er sich für indische Musik zu interessieren, und all das wegen diesem verrückten Film.“ Weitere Auszeichnungen folgen in diesem Jahr, darunter auch ein Grammy als Best New Artist des Jahres 1964. Ticket To Ride erringt am 24. April 1965 Platz 1 in Großbritannien und geht am 22. Mai 1965 in Amerika an die Spitze. Am 10. Mai, kurz vor dem Ende der Dreharbeiten zu Help! werden die Beatles von Buddy McGregor für eine amerikanische Radiostation in interviewt. Es ist das erste Mal, dass öffentlich über den Drogenkonsum der Beatles gesprochen wird. Weil es die Beatles sind, wird ihnen alles verziehen, auch das. Die Beatles können ihren Alltag nur mehr ertragen, indem sie immer wieder in den Pausen und abgeschottet in ihren Räumen einen Joint durchziehen. Sie isolieren sich damit auch von den Anforderungen, die man an sie stellt und den Menschen, die etwas von ihnen wollen. Bislang hat man ihnen das noch nicht angemerkt. Dieser Tag aber markiert für alle sichtlich den Beginn einer zunehmenden Distanzierung zwischen den Beatles und ihrem Publikum, und einer zunehmenden Isoliertheit der einzelnen Beatles, die zuletzt ja zum Auseinanderbrechen der Gruppe führen wird. In den ersten Tagen aber schottet Marihuana die Beatles noch als gemeinsame Gruppe gegen die ganze Welt ab. McGregor (diktiert ins Mikrophon): „Ich sollte die Beatles heute Nachmittag in einer Drehpause interviewen. Ich hatte alles bereit, Stühle aufgestellt, das Tonbandgerät war an, aber wir konnten die Beatles nicht finden. Es sieht so aus, als wären sie in Ringos Auto gestiegen, einen Facel Vega, und hätten eine Spritzfahrt durch Lord und Lady Astors Anlagen gemacht. Dann sollen sie im Wald verschwunden sein und soviel ich dann gehört habe, haben sie dann eine Marijuana-Pause gemacht. Sie waren eine Stunde weg und als sie zurück kamen, kicherten sie dauernd und waren sehr aufgeräumt.“ Als die Beatles wieder auftauchen, fehlt George. Die Beatles geben ein unverständliches Interview, kichern dauernd und müssen dann weiter zum nächsten Dreh, bei dem sie sich aus dem Fenster lehnen und „Hallo, was machst du dort drunten?“ sagen sollen. Sie schaffen es aber nicht, den Satz herauszubringen. Immer wieder beginnen sie zu lachen und zu kichern und stoßen sich gegenseitig mit den Ellenbogen an. Es gibt dreißig Wiederholungen der Szene, aber der Satz ist nicht zu meistern. Richard Lester beschließt, den Dreh für den Tag abzubrechen. John: „Wir hatten alle Gras geraucht und waren high. Die besten Szenen waren die, in denen wir auf dem Boden liegen und keinen Ton mehr herausbringen.“ In einer Fernsehshow werden die Beatles auf die Autobiographie von Brian Epstein angesprochen, der sie so beschreibt: „Vier junge Männer in ihren frühen Zwanzigern, die früher von der Schule abgegangen sind als es gut für sie war, die weder Noten lesen noch schreiben können, und die sich einen Dreck um andere kümmern, außer einer engen, abgeschotteten Clique von vielleicht zwölf Leuten.“ Offensichtlich ist Epstein wütend auf seine Jungs und hat sein Buch dazu verwendet, um einigen Frust abzulassen. Darauf sagt John nichts, und Paul meint, die Beatles würden sich schon um andere Leute kümmern, vor allem welche, die auch im Musikgeschäft sind, zum Beispiel die Stones. Doch der Vorwurf trifft ins Schwarze. Die Beatles kennen nur mehr sich selbst. Sie haben keine Freunde mehr, und der Erfolg ist ihnen auch schon zu Kopf gestiegen. Am 7. Juni strahlt die BBC The Beatles (Invite You To Take A Ticket To Ride) aus, die letzte Radiosendung der Gruppe. Am 12. Juni 1965 dringt an die Öffentlichkeit, dass die Beatles auf einer Ehrenliste der Queen stehen und zu „Members of the British Empire“ ernannt werden sollen. Die Auszeichnung ist relativ bescheiden, wie John auch in einem Interview meint: „Wenn es um unseren Beitrag zum Rock'n'Roll gegangen wäre, hätten wir die Auszeichnung Officers of The British Empire bekommen. Wahrscheinlich haben wir den Export gefördert, und das war dann der Grund für den MBE. Ich hätte nicht gedacht, dass man dafür diese Auszeichnung kriegt. Ich hätte gedacht, man muss dafür einen Panzer gefahren und Kriege gewonnen haben und Zeug.“ Die Auszeichnung mag nicht die höchste sein, die das englische Königshaus zu vergeben hat. Trotzdem treffen von zahlreichen bislang Geehrten Protestbriefe ein und einige schicken ihre Medaillen zurück, weil sie sich und ihre Verdienste jetzt mit den Beatles und deren Taten verglichen sehen. Unter den Empörten ist auch Colonel Frederick Wragg, der 12 Ehrenmedaillen zurückschickt und auch der frühere Premierminister von Kanada, Parlamentsabgeordneter Hector Dupuis, der dazu der Presse bekannt gibt: „Das englische Königshaus hat mich auf die gleiche Stufe mit einem Haufen primitiver Dummköpfe gestellt.“ Am 20. Juni 1965 gehen die Beatles auf eine Konzertreise durch Europa. Die Tour beginnt im Palais Des Sports in Paris. Der Empfang ist freundlich, doch in Paris wird kaum gekreischt. Für die Beatles ist das angenehm, weshalb sie auch privat in der Folge ganz gern Paris ansteuern werden. Am 20. Juni erscheint Johns zweites Buch A Spaniard In The Works und wird sowohl in England als auch in den USA und in Italien herausgegeben. Es enthält wie schon das erste Buch Zeichnungen und kleine lustige Anmerkungen von John. Am 3. Juli 1965 ist die Tour der Beatles auf der Plaza de Toros Monumental in zu Ende. Wieder werden sie ausgezeichnet, mit zwei Ivor Novello Preisen. Paul ist aber der einzige, der zu der Verleihungszeremonie im Savoy Hotel kommt, die anderen sind einfach zu erschöpft, um Pflichttermine wahrzunehmen. Auch Paul strengt sich mit seiner Rede nicht sonderlich an, sondern sagt nur knapp: „Danke. Hoffentlich schickt jetzt niemand seinen zurück.“ Am 29. Juli 1965 hat der Film Help! im London Pavilion Premiere. Schon am 7. August geht der Song Help!54 an die Spitze der Charts und verdrängt dort Hey, Mr. Tambourine Man von den Byrds. ist von dem Lied allerdings nicht begeistert. Mick: „Sie sollten etwas anderes machen, um die Leute vom Hocker zu reißen. Es ist großartig, aber ich mag es nicht so sehr wie Ticket To Ride. Mir gefällt die Einleitung sehr gut, aber ich verstehe den Text nicht, wenn sie singen: Hilf mir, die Füße auf dem Boden zu behalten. Ich frage mich, wie man dazu kommt, so eine Zeile zu schreiben.“ John später: „Ich habe das Lied so gemeint. Es ist real. Ich mag es nicht besonders. Wir haben es zu schnell geschrieben. Als es herauskam, habe ich wirklich nach Hilfe gerufen. Die meisten denken nur, das ist eine schnell Rock-Nummer. Ich habe es damals selbst nicht bemerkt, wie es mit mir steht und habe es nur geschrieben, weil der Film so hieß. Später aber wurde mir klar, dass ich nach Hilfe geschrien habe. Es war meine fette Elvis Zeit. Man schaut sich den Film an und sieht ihn – mich – sehr dick, sehr unsicher und merkt: Der Typ hat sich total verloren. Und ich singe ein Lied darüber, wie es war, jünger zu sein und zurückzublicken auf eine Zeit, als alles einfach war. Ich war dick und ich schrie nach Hilfe.“ Das hohe Tempo ihrer Karriere und die harte Arbeit, die das mit sich bringt, fordern ihren Zoll. John äußert Zweifel an dem, was sie in diesem Jahr geleistet haben. Dazu gehört auch der neue Film, der am 11. August in New York gezeigt wird. John: „Das beste Zeug wurde herausgeschnitten, wie wir zu Lachen anfangen und umfallen. Wir haben damals Marihuana zum Frühstück geraucht. Keiner konnte mit uns reden, weil wir immer glasige Augen hatten und über alles kicherten. Wir waren damals in unserer eigenen Welt. Der Film war nicht richtig für uns, so ähnlich wie das Lied Eight Days A Week nicht richtig für uns war. Viele Leute mochten das Lied und sie mochten den Film, aber beides war nicht das, was wir wollten. Wir haben uns für den Film geschämt. Das nächste Mal wollen wir einen besseren Film machen.“ Die LP Help! steigt an der Spitze der englischen Hitparade ein. Es sind sieben Lieder von John und Paul darauf, darunter You've Got To Hide Your Love Away55. John: „Das bin ich als Bob Dylan. Ich bin wie ein Chamäleon, werde durch alles beeinflusst. Als Teenager schrieb ich Gedichte, aber ich versuchte immer, meine Gefühle zu verbergen. Ich versuchte jeden Tag ein Lied zu schreiben, und die Zeile Hier stehe ich mit dem Kopf in der Hand, war ein Gefühl, das ich erst später verstanden

54 http://www.youtube.com/watch?v=TU7JjJJZi1Q 55 http://www.youtube.com/watch?v=KgI8o6SFirQ habe, als ich Dylan gehört habe.“ George Martin: „Ich bat ihn, nicht zu sehr wie Dylan zu klingen. Es war keine Absicht von ihm, eher unbewusst.“ John über It's Only Love56: „Dieses Lied von mir habe ich gehasst. Ich habe es immer für einen lausigen Song gehalten. Der Text ist abgrundtief schlecht. Ich habe das Lied gehasst.“ Über Yesterday57: „Dieses Lied stand Monate und Monate im Raum, bevor wir es fertig gemacht haben. Paul hat das meiste davon gemacht, aber wir hatten keinen guten Titel. Wir arbeiteten an anderen Liedern und jedes Mal kam die Rede auf dieses. Wir nannten es Scrambled Eggs und das wurde zu einem Joke. Das Lied war fertig bis auf dieses Wort, das den Titel bilden würde. Es musste ein einziges Wort sein. Dann, eines Tages, wachte Paul auf und das Lied und der Titel waren beide da. Fertig! Es klingt wie ein Märchen, aber es ist die schlichte Wahrheit. Es tat mir nachher leid, dass wir dauernd darüber geulkt hatten.“ Paul: „Ich hatte ein Klavier neben dem Bett und ich muss es geträumt haben, weil ich aus dem Bett fiel und meine Hände auf die Tasten legte und da war die Melodie in meinem Kopf. Alles war fertig, das ganze Lied. Es war so leicht. Ich konnte es nicht glauben. Ich konnte nicht glauben, dass ich es geschrieben hatte. Ich dachte, vielleicht habe ich es irgendwo gehört und spielte es wochenlang Leuten vor und fragte: Kennst du das? Ich glaube, das ich es geschrieben habe. Und die Leute sagten: Nein, ich kenne das nicht. Aber es ist gut.“ Auch George hat zu der Platte ein Lied beigesteuert. Es heißt I Need You58. George Martin: „I Need You war sehr gut. George wurde damals ein bisschen mutlos, weil keinem von uns gefiel, was er so schrieb.“ Am 30. Juli sprechen die Beatles in einem Interview darüber, dass sie musikalisch keine Fortschritte mehr machen. George: „Wenn wir es nicht so schnell geschafft hätten, würden wir heute modernen Jazz in einem abgetakelten Club spielen, weil wir es leid gewesen wären, immer die gleichen Sachen herunterzunudeln. Und wir wären dabei vorangekommen. Jetzt kommen wir nicht mehr weiter, weil wir jeden Tag das Gleiche spielen, überall. Früher, als wir noch keine Platten gemacht haben, haben wir uns musikalisch noch verbessert.“ John: „Früher haben wir die Lieder jedes Mal anders gespielt. Wenn man aber Platten gemacht hat, muss man sie möglichst genau so spielen wie auf der Platte. Man hat gar nicht die Chance, zu improvisieren.“ Vom 15. August an gehen die Beatles auf ihre dritte Tour durch Nordamerika. Sie beginnen im Shea Stadium in Flushing, Queens, New York. Es ist das bislang größte Rock-Konzert mit 55.600 Zuschauern, 2.000 Security-Leuten und einer Gesamteinnahme von 304.000 US-Dollar. Mick Jagger und Keith Richard sind auch im Publikum. Mick: „Es ist furchteinflößend!“ Keith: „Ohrenbetäubend!“ John nach dem Konzert: „Es war großartig. Das größte Publikum, das wir jemals hatten, weltweit. Ich glaube, es war die größte Show, die jemals jemand gegeben hat, und das ist fantastisch. Sie konnten uns fast hören, obwohl sie so viel Lärm gemacht haben, weil die Lautsprecher sehr gut waren. Die bekannten Nummern konnte man erkennen. Wir spielten I'm Down59, weil ich auf der Platte die Hammond-Orgel gespielt habe. Ich habe beschlossen, sie das erste Mal auf der Bühne zu spielen. Ich wusste nicht, was ich ohne Gitarre auf der Bühne tun sollte, und George konnte vor lauter Lachen darüber nicht mehr weitermachen. Es wäre noch besser gewesen, wenn wir gehört hätten, was wir da zum Besten geben. Während zwei Nummern wusste ich nicht, in welcher Tonart ich gerade bin. Es war lächerlich. Man hörte gar nichts. Ich hörte ein Flugzeug starten und dachte, da explodiert einer der Lautsprecher. Da habe ich Angst gekriegt. Wir konnten uns nicht singen hören. Alles, was wir hörten, waren unsere Gitarren, die voll aufgedreht waren. Es war eine gute Show.“

56 http://www.youtube.com/watch?v=p-AhUXmJyB8 57 http://www.youtube.com/watch?v=ONXp-vpE9eU 58 http://www.youtube.com/watch?v=X8xzAy1jqMQ 59 http://www.youtube.com/watch?v=JwqTrtri1J0 Man sieht, wie die Beatles herumalbern und wirklich großen Spaß haben. John und George können mitunter vor Lachen gar nicht mehr weitermachen. Auch Paul dreht sich mehrmals um, weil er von Lachen geschüttelt wird. 1972 sagt John darüber: „Es war unglaublich. Aber musikalisch gesehen war es enttäuschend. Es wurde zum Witz. Man sieht es im Film, dass sich George und ich die Hälfte der Zeit gar keine Mühe mehr geben, Akkorde zu spielen und uns nur mehr lustig machen. Musikalisch war für uns nichts drin und wir waren doch im Wesentlichen Musiker. Als Ereignis war es toll und wir fanden es gut, aber musikalisch war es ein Nichts.“ Am 16. August, zwischen den beiden Konzerten im Shea Stadium, kommen andere Popstars in das Warwick Hotel, in dem die Beatles abgestiegen sind, darunter Bob Dylan, The Ronettes, del Shannon, The Exciters und die damals besonders erfolgreichen Supremes, die sofort spüren, dass die Beatles bei weitem nicht mehr die lustigen und aufgeweckten Jungs sind, die sie in der Öffentlichkeit immer noch vorgeben zu sein. Mary Wilson von den Supremes: „Wir waren in New York wegen der Ed Sullivan Show und unsere Publizisten hielten es für eine gute Idee, wenn die erste und zweite Popgruppe der Welt zusammenkäme. Wir hatten Paul und Ringo schon im Vorjahr im getroffen, aber damals wegen des Lärms nicht reden können und freuten uns auf das Treffen. Wir trugen elegante Kleider und hochhackige Schuhe und Pelzjacken, Flo in Chinchilla, ich in einem roten Fuchs und Diane im Nerz. Als wir vor dem Hotel vorfuhren, dachten die Leute, dass wir die Beatles wären und begannen zu kreischen. Als wir ausstiegen, beruhigten sie sich aber schnell wieder und ignorierten uns fortan völlig. Wir kamen in guter Haltung in der Suite der Beatles an. Bob Dylan war schon da und die Ronettes. Das erste, was mir auffiel, war, dass es stark nach Marihuana roch, aber wir lächelten. Es war schwierig, höflich und freundlich zu bleiben, weil wir sehr kühl empfangen wurden, als hätten wir etwas unterbrochen. Paul war nett, aber meistens war da eine angespannte Stille in dem Raum. Immer wieder mal fragten uns Paul, George oder Ringo über den Motown Sound oder wie es war, mit Holland-Dozier-Holland zu arbeiten, dann war da wieder Stille. Irgendwer machte einen Witz, aber wir wussten nie, worüber. John Lennon saß in einer Ecke und schaute nur. Schon nach ein paar Augenblicken wollten wir nur mehr weg. Es war unerträglich dort. Jahre später besuchte ich George Harrison in England und er sagte zu mir erklärend: Wir hatten wilde Mädchen voller Soul erwartet. Wir konnten es nicht glauben, dass drei schwarze Mädchen aus Detroit so brav sein konnten wie ihr.“ Neil Aspinall, der Roadmanager der Beatles: „Die Jungs waren in einem Hotelzimmer eingesperrt und hassten es, besonders, wenn sie einige Tage zwischen Konzerten frei hatten und nirgendwo hin gehen konnten. Die Zimmer machten sie verrückt und es gab dauernd Streitereien. Sie fühlten sich wie Verbrecher, die man eingesperrt hat.“ Am 22. August, beim Anflug auf Portland, muss die Maschine notlanden, weil Rauch austritt. John:. „Beatles, Frauen und Kinder steigen zuerst aus!“ Bei der Pressekonferenz wird John gefragt: „Haben Sie schon Ihre Frau angerufen?“ John: „Nein. Dort, wo sie jetzt ist, gibt es keine Telefone.“ Reporter: „John, wie alt ist dein Sohn Julian?“ John: „Er war zweieinhalb, bevor ich weggefahren bin. Womöglich ist er jetzt fünf.“ Reporter: „Werdet ihr Lieder von Bob Dylan aufnehmen?“ John: „Nein. Der ist schon reich genug.“ Am 24. August sind die Beatles in Los Angeles. Sie haben sich in Beverly Hills ein Haus gemietet. Die Adresse lautet 2850 Benedict Canyon. Am Nachmittag besuchen der Schauspieler Peter Fonda und die Popgruppe The Byrds die Beatles. Sie haben Instrumente dabei, darunter auch eine Sitar, die George dazu inspirieren wird, so ein Instrument auch sofort nach seiner Rückkehr in einem Londoner Shop zu besorgen. Roger McGuinn von den Byrds: „Es war ziemlich verrückt, mit den Beatles zusammen zu sein. Als ob man den Präsidenten besuchen würde. Man fuhr in einer Limousine hin und überall waren kreischende Mädchen. Dann machten die Wachen die Tore auf und man fuhr auf das Anwesen und sie kriegten die Türen fast nicht mehr zu, weil jeder dagegen presste. Wenn man aber erst mal drinnen war, war es ziemlich normal.“ John: „Wir saßen im Garten und es war das zweite Mal, dass wir LSD nahmen. Wir wussten immer noch nicht, wie wir damit umgehen sollten. Wir nahmen es einfach. Danach stand beispielsweise ein Termin mit einem Reporter auf dem Plan und wir fragten uns: Wie verhält man sich jetzt normal? Alles, was wir taten, schien uns außergewöhnlich, obwohl es das gar nicht war. Wir hätten erwartet, dass man uns ansehen würde, dass wir auf Drogen waren. Wir hatten Angst und wollten, dass er wieder weggeht, und sagten zu Neil, der auch LSD genommen hatte, versuch, diesen Reporter loszuwerden, aber er wusste auch nicht, wie man das macht, und saß einfach da.“ Peter Fonda: „Ich kann mich daran erinnern, dass mir George erzählt hat, er würde sterben. Ich sagte zu ihm: Hab keine Angst, du musst dich nur entspannen. Ich sagte zu ihm: Ich weiß, wie sich das anfühlt, zu sterben, weil ich mir versehentlich in den Bauch geschossen hatte, als ich zehn Jahre alt war und mein Herz blieb drei Mal stehen, als man mich operierte, weil der Blutverlust so groß war. John ging gerade vorüber, als ich sagte: Ich weiß, wie das ist, tot zu sein. Er schaute mich an und meinte: Wenn man dir zuhört, hat man das Gefühl, nie geboren worden zu sein. Wer hat dir diese ganze Scheiße in den Kopf gesteckt?“ John: „Er sagte immer wieder, flüsternd, ich weiß, wie das ist, tot zu sein, und wir sagten: Was? Und er sagte es immer wieder, bis wir endlich ausriefen: Um Himmels Willen, halt die Klappe! Was kümmert uns das, wir wollen das gar nicht wissen. Aber er sagte es doch immer wieder.“ Roger McGuinn: „Wir hatten alle LSD genommen und John konnte damit nicht umgehen. Er sagte: Schmeißt diesen Typ – er meinte Fonda – raus. Es war krank und bizarr. Wir hatten gerade Cat Ballou gesehen, mit Jane Fonda, und John wollte mit keinem Fonda mehr etwas zu tun haben.“ John: „In Los Angeles nahmen wir das zweite Mal LSD und Paul wollte erst nicht mitmachen und wir waren grob zu ihm, weil er ein Spielverderber war, besonders George. Paul ist viel stabiler als George oder ich. Ich glaube, dass die Wirkung von LSD ihn dann tief getroffen, geschockt hat, und auch Ringo. Ich hatte den Eindruck, dass sie es nachher bereuten, LSD genommen zu haben.“ Drei Tage später, am 27. August, um zehn Uhr abends, treffen die Beatles Elvis. Es ist das erste und letzte Mal, dass der König des Rock und die berühmteste Popgruppe der Welt zusammenkommen. Der Ort liegt nicht weit vom Benedict Canyon entfernt, höchstens fünfzehn Minuten weit ist es nach Bel Air, wo der „King“ am 565 Perugia Way ein Haus gekauft hat. Elvis wird von diesem Treffen einen negativen Eindruck behalten und sich später bei der CIA dafür verwenden, dass die Beatles Einreiseverbot in die USA bekommen. John: „Es gab nur einen Menschen in den USA, der uns wirklich interessierte, und das war er. Ich glaube nicht, dass diese Neugier auf Gegenseitigkeit beruhte. Das war eben Elvis. Es ist schwierig zu beschreiben, was wir für ihn empfanden. Er war ein Gott für uns. Als wir das erste Mal nach Hollywood kamen, wollten Leute wie Dean Martin und Frank Sinatra uns besuchen, aber wir waren an ihnen nicht interessiert, weil wir das Gefühl hatten, dass sie unsere Musik nicht mochten. Schon 1964 hatten wir versucht, den King zu sehen, aber das hatte damals nicht geklappt. Im Sommer 1965 aber war er dort, um einen Film zu machen. Trotzdem hat es drei Tage lang gedauert, um ein Treffen in seinem Haus zu arrangieren. Wir wollten es geheim halten, aber die Fans und die Presse haben es mitgekriegt und deshalb standen Hunderte vor seiner Tür, als wir dort vorfuhren. Es war ein Tumult, bis wir dort hineinkamen. Wir waren Aufruhr gewohnt, aber der Gedanke, dass Elvis und die Beatles auf einem Fleck waren, war für manche einfach zu viel des Guten.“ Bob Bonis, der Tour-Manager der Beatles: „Sie waren sehr aufgeregt. Mal Evans war so etwas wie ein höherrangiger Offizier im Elvis-Presley-Fan-Club in England und mit den Nerven völlig am Boden. Er konnte kaum gehen, als wir zu Elvis fahren wollten. Wir mussten ihn tragen.“ John: „Ich weiß, dass Paul, George und Ringo genauso nervös waren wie ich. Hier war der Mensch, den wir über so viele Jahre bewundert hatten, schon als wir kleine Jungs gewesen waren. Er war eine lebende Legende, und es ist nicht leicht, so einen Giganten das erste Mal zu treffen.“ Tony Barrow: „Als wir ankamen, wartete Elvis an der Tür und begrüßte uns.“ John: „Er sah in seinen schwarzen Hosen, dem roten Hemd und der engen schwarzen Jacke toll aus. Er sagte in seiner sanften Art Hallo und führte uns in einen großen, kreisrunden Raum. Es kamen noch ein paar Angestellte von ihm dazu, und die Manager, und Brian Epstein.“ Zwei Journalisten werden vorgelassen, um das Treffen für die Nachwelt festzuhalten. Einer davon ist ein alter Bekannter der Beatles, der Journalist Chris Hutchins: „Elvis und Priscilla saßen in der Mitte einer großen hufeisenförmigen Couch, er in Schwarz und Rot mit einem hohen Kragen über seinen Koteletten. Priscilla war reines Hollywood. Riesiges Haar, eine Locke über der Stirn, dickes, schwarzes Mascara, mitternachtsblauer Eyeliner, pinkfarbener Lippenstift. Sie hatte eine eng anliegende cremefarbene Jacke an, lange Hosen und auf ihrem Kopf eine Tiara aus Diamanten. Um den King herum lungerte die Leibwache, offenes Hemd, Sportjacken, Jeans. Elvis stand auf, um seine Gäste zu begrüßen, braungebrannt und sehr entspannt. John schaute sich im Raum um und machte Inspektor Clouseau von Peter Sellers nach, als er sagte: Oh, zere you are! Dann setzten sich alle, John und Paul zur Rechten von Elvis und George und Ringo zu seiner Linken.“ John: „Er ließ Paul und mich auf eine Seite und Ringo auf die andere, und George setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden.“ Chris Hutchins: „Die Platte hörte zu spielen auf und es war da eine peinliche Stille. Niemand sagte etwas. Jeder wartete auf Elvis. Für ihn wurde das letztlich unerträglich. Er wurde nervös und nahm die Fernbedienung und begann, im Fernsehen von Kanal zu Kanal zu zappen. Dann warf er die Fernbedienung auf den Kaffeetisch und sagte: Wenn ihr zufrieden damit seid, mich anzustarren, dann gehe ich jetzt ins Bett. Gehen wir schlafen, Cilla, oder? Ich bin an einer Sache, wo die Untertanen dem König ihre Aufwartung machen, nicht interessiert. Ich hätte gedacht, wir setzen uns zusammen und reden über Musik und spielen ein bisschen. Das wäre toll, sagte Paul dann ganz enthusiastisch, um die Situation zu retten.“ John: „Eigentlich war es das, was wir alle wollten, und ich spürte sofort, dass die Spannung im Raum nachließ. Einer von den Angestellten von Elvis brachte uns was zu trinken, und wir hatten dann Scotch und Coke oder Bourbon und Seven Up, aber Elvis trank nur Seven Up. Er rührte auch keine von unseren Zigaretten an.“ Tony Barrow: „Elvis war ein sehr guter Gastgeber, aber die Party kam trotzdem nicht in Schwung. Alle waren nervös und schüchtern, und darüber konnte auch die gekünstelte Fröhlichkeit nicht hinwegtäuschen.“ Chris Hutchins: „Elvis rief nach Gitarren und dann brachte man elektrische Gitarren, die man in Verstärker steckte, die überall im Raum herumstanden, und ein weißes Klavier wurde herein geschoben. Elvis spielte seine erste Bassgitarre, auf der er das Gitarrenspiel erlernt hatte.“ John: „Zuerst spielten wir Cilla Blacks Hit You're My World60. Ringo wirkte etwas niedergeschlagen, weil er nur auf der Sessellehne mitklopfen konnte.“ Elvis: „Es tut mir leid, aber unser Schlagzeug ist in Memphis geblieben.“ Ringo: „Das ist in Ordnung, ich spiele lieber Billard.“ Alf Bicknell: „Aber im nächsten Moment hatte Ringo schon ein paar Bongos und spielte darauf.“ John: „Wir wussten am Anfang nicht, wie wir Elvis nehmen sollten. Ich fragte ihn, ob er einige neue Ideen für seinen nächsten Film hätte und er meinte: Ja, klar. Ich spiele einen Jungen vom Land mit einer Gitarre, der ein paar Mädchen trifft und einige Lieder spielt. Wir sahen einander ratlos an und dann lachten Presley und Colonel Parker auf und erklärten, dass müsse so sein, sie hätten einmal einen anderen Film nach einer anderen Formel gemacht, und der wäre nicht erfolgreich gewesen. Das einzige, was mir an Elvis nicht gefiel, war der Eindruck, dass er etwas bürgerlich geworden war.“ Elvis: „Ich kann mich daran erinnern, wie einmal in Vancouver nach ein oder zwei Nummern einige Fans die Bühne stürmten. Wir hatten Glück, dass wir da schon von der Bühne herunter waren, weil sie dabei fast umkippte.“ John: „Wenn die Fans auf dich zu kamen, warst du allein. Bei uns ist das so, dass wir zu viert gegen alle stehen und uns gegenseitig unterstützen können.“ Chris Hutchins: „Da kam Priscilla herein und ich sah, wie John ihren schönen Beinen zusah, die da über den Teppich glitten.“ Das Treffen geht in den frühen Morgenstunden zu Ende und ist offenbar nicht zur Zufriedenheit der beiden Seiten verlaufen.

60 http://www.youtube.com/watch?v=_T_XzZSfvio Chris Hutchins: „Gegen zwei Uhr morgen war die Party zu Ende, und John rief dann noch, als wir durch die Tür kamen, „Sanks for ze music“, und fügte dann sarkastisch hinzu: Lang lebe der König! Colonel Tom Parker, der Manager von Elvis, versuchte die Wogen zu glätten, indem er jedem Beatle eine Kiste mit den Platten von Elvis gab. Brian wollte auch den Bruch mit Elvis kitten, indem er Elvis für den nächsten Tag zu den Beatles nach Benedict Canyon einlud. Sehen wir mal, rief Elvis, ich kann nichts versprechen. Da drehte sich John zu einem der Jungen um, der uns gefolgt war und sagte zu ihm: Du kannst auch kommen, wenn er nicht kommt. Der Colonel sagte auf dem Weg zum Auto zu mir: Sag den Fans, dass es ein tolles Meeting war. John hörte das und lachte und sagte: Sag ihnen lieber die Wahrheit. Es war ein Haufen Mist.“ Mal Evans: „Elvis zu treffen, das war ein großer Moment und zugleich die größte Enttäuschung meines Lebens, weil ich ein riesiger Elvis-Fan war. Ich hatte meinen Anzug frisch pressen lassen, und ein schönes weißes Hemd und Krawatte an, und ging so aufgedonnert zu dem Treffen mit Elvis. Was ich nicht wusste: Die hatten mir die Jackentaschen zugenäht, in denen ich meine Plättchen hatte, und als Elvis dann fragte: Hat einer ein Plättchen, drehte sich Paul um und sagte: Mal hat so was immer dabei, und ich merkte dann, dass die Taschen zugenäht waren. In der Küche habe ich danach ein paar Plastiklöffel zerbrochen, damit sie spielen konnten. Ich hätte ihm gern eines meiner Plättchen gegeben. Elvis spielte Bass, und Paul, George und John Gitarre. Ich scheine auf ihn einen größeren Eindruck als die Jungs gemacht zu haben. Ray Connolly, ein Zeitungsreporter aus London, hat einmal Elvis interviewt und ihn gefragt: Erinnern Sie sich an Ihr Treffen mit den Beatles? Und er meinte: Klar erinnere ich mich daran. Am Besten erinnere ich mich aber an ihren Road-Manager, Malcolm Evans.“ Wieder gehen die Beatles in die Show von Ed Sullivan. Ihr dritter Auftritt findet am 12. September 1965 statt. Sie singen I Feel Fine, I'm Down, Ticket To Ride und Help! In einem Interview in diesem Jahr wirken die Beatles sichtlich genervt, als Fragen an sie gestellt werden. Als die Reporter wissen wollen, ob Ringo nun eine Karriere als Schauspieler beginnen wird, schweigen alle, bis endlich George sachlich anmerkt: „Dann wäre er ja kein Beatle mehr, oder?“ Über weitere Pläne redet die Gruppe nicht. Auf die Frage, in welcher Stadt es am Schönsten war, erwähnt John Atlanta, weil dort die Verstärkeranlagen gut funktioniert hatten, und man konnte „zuhören, und nicht nur schreien.“ Reporter: „Habt ihr letzte Woche etwas von Los Angeles gesehen?“ George: „Nein. Wir haben es erst gar nicht versucht.“ John: „Wenn man in einem Büro arbeitet, sieht man auch nichts um sich herum. So geht es uns auch. Wir erwarten uns keine Ausflugstouren. Wenn wir dann noch leben, kommen wir mit Vierzig zurück und schauen uns die Sehenswürdigkeiten an.“ Am 25. September kommt auf ABC eine Cartoon-Serie The Beatles heraus. Jede Woche werden zwei halbstündige Sendungen ausgestrahlt. Die erste Sendung heißt I Want To Hold Your Hand und es geht darum, dass die Gruppe auf dem Boden des Ozeans in einer Taucherglocke sitzt und dort einen liebeskranken Oktopus trifft. In der zweiten Sendung proben die Beatles in einem verwunschenen Schloss. Am 9. Oktober kommt Pauls Ballade Yesterday auf Platz 1 in den USA. Das Lied wird zum erfolgreichsten Lied der Popmusik und über 2500 mal von anderen Künstlern gecovert werden. Derek Taylor schreibt in seiner Kolumne: „Ich glaube, dass Yesterday eines der großen Lieder dieses Jahrhunderts werden wird.“ Am 12. Oktober gehen die Beatles wieder in das Studio 2 in der Abbey Road, um das Album Rubber Soul aufzunehmen. Neil Aspinall damals: „Heutzutage ist es für die Beatles kein Problem mehr, Lieder zu schreiben. Es wird für sie immer leichter. Sie haben jetzt auch mehr Zeit für sich. In den letzten zwei Jahren mussten sie spätnachts in Hotelzimmern komponieren, bis in die frühen Morgenstunden. Manchmal hörte man Paul schreien: John, einen Reim auf Girl? Heute sitzen sie bei John in seinem Haus und es gibt keine Unterbrechungen und niemand klopft an die Tür und möchte ein Autogramm. In dieser Ruhe haben sie die Hälfte der Lieder, die sie jetzt aufnehmen werden, in einer einzigen Woche verfasst.“ George Martin: „Rubber Soul war das erste Album, auf dem sich die Beatles neu zeigten. Bis dorthin waren Alben eine Sammlung von Singles gewesen, aber jetzt sollten sie ein Kunstwerk für sich sein, eine Einheit.“ Das Album gilt heute noch vielen Beatles-Fans als das beste überhaupt. Es steckt voller eingängiger Lieder, weist aber auch voraus auf die spätere, experimentierfreudigere Phase der Beatles. , der Kopf hinter den Beach Boys, sagte dazu: „Als ich das Album das erste Mal hörte, drehte ich durch. Ich sagte mir: So ein Album möchte ich auch machen. Es war wie eine Sammlung von Volksliedern. Danach machten wir ...“ John zu Rubber Soul: „Wir wurden musikalisch und technisch immer besser, bis wir schließlich das Kommando im Studio übernahmen.“ Zugleich beginnen die Beatles in dieser Zeit privat immer stärker auseinanderzudriften. Der Toningenieur Norman Smith: „Es wurde offensichtlich, dass sich John und Paul nicht mehr verstanden. Dazu musste sich George einiges von Paul anhören. Wir hatten eine neue Technik, die es uns erlaubte, vier Tonspuren aufzunehmen, so dass George sein Solo später allein einspielen konnte. Und davon hat er zunehmend Gebrauch gemacht. Wenn es nach Paul ging, dann machte George immer alles falsch.“ Der Photograph Robert Freeman: „Um die Zeit wurde es immer schwieriger, die vier gemeinsam vor die Linse zu bekommen. Das Photo von Rubber Soul ist das letzte, an dem ich beteiligt war. Wir haben es im Garten von Johns Haus in Weybridge aufgenommen, wo die drei am häufigsten zusammen kamen. Das Verzerrte an den Bildern sollte ein Kommentar über die Veränderungen in ihrem Leben sein.“ John: „Der Titel des stammte von Paul und sollte ein Kommentar sein wie der Titel , nämlich, dass wir hier die englische Form des Soul hätten.“ Das eindringlichste Lied des Albums ist Drive My Car61. Paul: „Ich kam mit einer ziemlich guten Melodie ins Studio und einem miesen Text wie: Ich kann dir Diamanten schenken und goldene Ringe, ich kann dir alles geben, und John sagte Oh! Weil er sie nicht mochte und wir hatten einen langen traurigen Moment. Also sagte ich zu ihm: Was hältst du davon, wenn wir eine rauchen und eine Tasse Tee trinken und einmal eine Minute abhängen? Danach waren wir besser drauf und ich sagte: Machen wir das so, es gibt da ein Mädchen in LA, die einen Chauffeur braucht.“ Paul über Norwegian Wood62: „Wenn John und ich zusammen schrieben, spielten akustische Gitarre, und da ich Linkshänder bin und er Rechtshänder, was das wie ein Spiegelbild, weil man die Griffe so gut sehen kann. Bei Norwegian Wood hatte John die ersten paar Zeilen und ich sagte: Das ist super, und wir machten dann weiter, bis das Lied zu Ende war. Wir spielten drei Stunden, bis jeder genug hatte und nur mehr nach Hause wollte.“ John: „Ich wollte von einer Affäre erzählen, die ich hatte. Ich wollte aber nicht, dass meine Frau das herausfindet, deswegen ist all das in einer Geheimsprache abgefasst.“ Paul: „Peter Asher hatte ein Zimmer mit viel Holz, wie viele damals. Norwegisches Holz. Es war Kiefer, sehr billig, aber der Titel wäre nicht so gut gewesen. Es war eine Parodie auf eines dieser Mädchen, die in so einem Zimmer leben. Aus meiner Sicht war das frei erfunden, aber nicht für John. Es basiert auf einer Affäre, die er damals hatte. Er muss im Bad schlafen und dann, im letzten Vers, hatte ich diese Idee, dass er aus Rache die Wohnung anzündet und mit ihr dieses norwegische Holz. Sie hatte mit ihm gespielt und dann gemeint: Schlaf lieber im Bad. So wie ich die Sache sehe, musste sich der Typ rächen, indem er ihr die Wohnung dafür abfackelte.“ John: „George hatte gerade seine Sitar gekauft und ich fragte ihn: Kannst du darauf was vorspielen? Wir haben sehr viele verschiedene Versionen des Lieds aufgenommen, aber es klang nie gut, und ich wurde ziemlich frustriert, weil es nicht so war, wie ich es haben wollte. Die anderen sagten: Wir machen alles so, wie du es willst und ich sagte: Ich will, dass es so ist und spielte sehr laut auf der Gitarre und sang dazu.“ George: „John klingt ein bisschen wie ein Ire auf der Platte.“

61 http://www.youtube.com/watch?v=MapMPHJObO8 62 http://www.youtube.com/watch?v=KkcRZSdc8us John über Nowhere Man63: „Ich saß da und überlegte mir ein Lied und merkte, dass ich da saß und nichts tat und dass ich nicht weiterkam. Sobald mir das aufgefallen war, wurde alles leicht. Es kam heraus. Eigentlich war es so, dass ich bereits aufgegeben hatte und mich hinlegen wollte und mich als Nowhere Man sah, der in seinem Nowhere Land sitzt.“ John über Michelle64: „Paul und ich waren irgendwo und er kam herein und summte die ersten Takte und fragte: Was mache ich daraus? Ich hatte gerade die Blues-Sängerin Nina Simone gehört, die so etwas wie I l-o-o-v-e you mitten in einem ihrer Lieder sang und das haben wir auch in Michelle gemacht.“ John über Girl65: „Es handelte von einem Mädchentraum. Paul und ich schrieben den Text gemeinsam und zuerst kasperten wir herum. Später haben wir den Text dann der Melodie angepasst. Es ist eines der besten Lieder von mir.“ Paul: „Ich erinnere mich daran, wie John zu dem Toningenieur sagte, dass er möchte, dass man hört, wie er bei Girl einatmet. Der Toningenieur ging dann weg und überlegte sich, wie er das umsetzen konnte. Wir kamen uns wie richtige Professionals vor.“ John: „Girl ist ein wahres Lied. Es gibt kein einzelnes Mädchen, über das hier gesungen wird, weil sie ein Traum ist, aber die Wörter passen. Es geht darum: Als sie jung war, lernte sie, dass Schmerz in Freude mündet, hat sie das verstanden und so weiter. Es sind philosophische Gedanken.“ Über In My Life66: „Ich habe es in Kenwood geschrieben, oben im ersten Stock, wo ich zehn Kassettenrecorder hatte, die miteinander verbunden waren. Man konnte damit keinen Rock'n'Roll Song basteln, aber einiges andere wie zum Beispiel In My Life. Es begann als Busfahrt von meinem Haus an der 250 Menlove Avenue in die Stadt, wo ich auf dem Tonband jeden Ort aufzähle, an den ich mich erinnerte. Das war lange vor Penny Lane, aber ich hatte darauf Penny Lane, Strawberry Fields, Bushaltestellen und alles mögliche andere langweilige Zeug. Dann aber begann ich, darüber nachzudenken, und das Lied entstand. Paul hat mir mit der Melodie dazwischen geholfen, aber der Text war schon geschrieben, bevor Paul es überhaupt gehört hat.“ Paul: „Ich erinnere mich daran, dass er die Wörter wie ein langes Gedicht niedergeschrieben hatte.“ George Martin: „Das Solo auf dem Spinett habe ich gespielt. Es gab eine Lücke in dem Lied und ich sagte: Hier brauchen wir ein Solo. Sie gingen dann weg und nahmen ihren Tee, und ich schrieb etwas, das wie eine Variante von Bach klang, spielte es ein und als sie zurück kamen, sagten sie: Das ist toll! Also haben wir es so gelassen.“ George lernt in diesen Wochen den Sitar-Virtuosen Ravi Shankar kennen und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Auch John und Ringo sind da. George beginnt bei Ravi Unterrichtsstunden zu nehmen. Am 26. Oktober 1965 verleiht die Queen den Beatles ihre MBEs im Großen Thronsaal des in London. 182 andere Bürger werden an diesem Tag ausgezeichnet. Später spricht sich herum, die Beatles hätten in einer der Toiletten einen Joint durchgezogen. John verstärkt dieses Gerücht: „Die Beatles haben in einem der Toiletten im Buckingham Palace Marihuana geraucht, als wir auf die Zeremonie gewartet haben. Für mich war die ein großer Witz. Wir alle haben darüber gelacht. Wenn es einem aber dann unmittelbar bevorsteht, lacht man nicht mehr darüber. Trotzdem platzten wir fast heraus, weil wir gerade vorher einen Joint durchgezogen hatten. Wir kicherten dauernd und brachen zusammen. Es war so komisch.“ Johns Behauptung wird von George später relativiert, es sei bloß eine normale Zigarette gewesen, die man aus Nervosität gebraucht hätte. Der Palast sieht sich bemüßigt, folgendes Statement zu veröffentlichen: „Selbstverständlich stehen Menschen, die zu Verleihungen eingeladen werden, die Toilettenanlagen zur Verfügung.“ Die Queen stellt bei der Verleihung ihre üblichen Small-Talk-Fragen. Bei Ringo beißt sie nach Angaben der Presse an dem Tag auf Granit. Als sie ihn fragt: „Und, wie lange spielen Sie schon zusammen?“ antwortet er: „Vierzig Jahre.“ Ringo selbst erinnert sich danach vor den Reportern anders daran: „Die Queen war klasse. Ich bin

63 http://www.youtube.com/watch?v=AvLj72apGLI 64 http://www.youtube.com/watch?v=3a4RlRk_klI 65 http://www.youtube.com/watch?v=3Hzg2PPFZ-Q 66 http://www.youtube.com/watch?v=rZ5N4-X_HWU jetzt ein großer Fan der Queen. Es war offensichtlich, dass sie ihr Bestes gab, um uns die Nervosität zu nehmen. Als sie mir meine Medaille überreicht hatte, sagte sie: Es ist mir eine Freude, Ihnen diese Auszeichnung zu geben, und ich sagte: Danke.“ John: „Sie war wie eine Mutter zu uns. Sie war so warm und süß. Sie hat sich um uns gekümmert.“ Reporter: „Was hat die Queen zu Ihnen gesagt?“ John: „Sie hat mich gefragt, ob wir in letzter Zeit schwer gearbeitet haben und mir fiel nicht ein, was wir gemacht hatten, also sagte ich zu ihr: Nein, wir waren auf Urlaub, obwohl wir eigentlich im Plattenstudio gewesen waren.“ Am 3. Dezember gehen die Beatles ein letztes Mal in England auf Tour. Neun Konzerte sind geplant. Mit von der Partie sind die Moody Blues, die Koobas und Beryl Marsden. Die Tour beginnt in Glasgow und endet in Cardiff. Reporter: „Wie geht es euch am Beginn einer neuen Tournee?“ John: „Es ist komisch. Wenn eine Tournee losgeht, sind wir immer nervös. Kaum stehen wir aber auf der Bühne, ist alles weg. So wird es auch am Sonntag in Liverpool sein. Liverpool ist zuhause für uns.“ Den Reportern ist aufgefallen, dass die Beatles mit dem Wagen gekommen sind – eine Zweitagesreise von London. John: „Wir hassen das Fliegen! Sobald wir irgendwohin fahren können, sind wir dabei. Wir sind schon so viel geflogen ohne Zwischenfälle, dass wir uns langsam sorgen, ob wir einmal abstürzen könnten. Jedenfalls haben wir es nicht eilig. Hauptsache, wir kommen rechtzeitig an.“ Auf der Fahrt nach Glasgow verliert Alf Bicknell, ein Fahrer der Beatles, eine der Gitarren auf dem Weg. Alf: „Einer der Gurte war gebrochen. Ich ging zum Wagen der Beatles und sagte: Ich glaube, eine der Gitarren ist weg. Da kam eine Stimme aus dem Dunkel: Wenn du sie findest, kriegst du einen Bonus. Es war John. Ich hatte immer etwas Angst vor ihm, also fragte ich: Was für einen Bonus? und er darauf`: Du kriegst deinen Job zurück! Also fuhren wir zwölf Meilen auf der Autobahn weiter, bis wir umdrehen konnten und kamen dann zurück und es war dunkel und es regnete und eine lange Zeit sahen wir nichts, aber dann fanden wir ein paar Stückchen Holz und einige Gitarrensaiten. Es wurde dann nicht mehr darüber geredet, und ich war sehr froh darüber.“ Am 3. Dezember erscheint die Single Day Tripper67. John: „Das ist mein Lied, den Lick inklusive, alles. Es ist einfach ein Rock'n'Roll Song. Day- Trippers sind Tagesausflügler, auf einem Boot oder so was. Aber das Lied sollte bedeuten: Du bist am Wochenende ein .“ Paul: „Das war der Beginn unserer psychedelischen Phase, als wir damit begannen, für Freunde oder Kumpels Andeutungen in Liedern zu verstecken, was die große Mehrzahl der Fans gar nicht bemerkt hat. Wir sangen She's a big teaser (sie ist kokett) und meinten She's a prick teaser (sie ist ein Schwanzlutscher). Väterchen und Mütterchen kamen da nicht mit, aber die Kids haben das schon begriffen. Das war zu einer Zeit, als bei uns LSD populär wurde.“ Auf der B-Seite hört man We Can Work it Out68. John: „Die erste Hälfte war Paul, die zweite ich. Er kam mit der ersten Hälfte zu mir und ich machte dann Life is very short, and there's no time for fussing and fighting my friend. Sein Teil ist sehr optimistisch und meiner ungeduldig: Das Leben ist kurz ...“ Paul: „George Harrison hatte die Idee, den letzten Abschnitt des mittleren Teils als Walzer anzulegen, während einer Probe.“ Ende 1965 ist auch ein dritter Beatles-Film ist geplant. Er soll A Talent For Loving heißen und basiert auf Richard Condons gleichnamigem Buch. Nach längeren Diskussionen stellen die Beatles das Projekt ein. John: „Die literarische Vorlage war toll, aber das Drehbuch, das sie uns gezeigt haben, war lausig. Das Problem ist, dass diese Leute versuchen, um uns herum zu schreiben und sich vorzustellen, dass wir das dann auch irgendwie spielen werden. Was wir wirklich wollen, sind handfeste Rollen,

67 http://www.youtube.com/watch?v=XwmtNk_Yb2Q 68 http://www.youtube.com/watch?v=eN-Ee7uXKYo die uns herausfordern.“ Ein Reporter schnappt während der Tour einen Gesprächsfetzen zwischen John und Ringo auf. John: „Ich habe einen Mann getroffen, der mit einem faulen Ei nach Glasgow gefahren ist und weißt du, keiner wollte im Zug neben ihm sitzen.“ Ringo: „Tiefsinniger Kerl.“ John: „Das ist nicht tief, Ringo.“ Ringo: „Oberflächlicher Kerl.“ John: „Ich habe mir gedacht, das würde dich interessieren, ein Mann mit einem faulen Ei.“ Ringo (zum Reporter): „Er erzählt Leuten gerne Sachen, dieser John.“ Am 16. Dezember wird auf ITV ein Tribut an die Songschreiber Lennon und McCartney ausgestrahlt. Die Sendung dauert 50 Minuten. Das Staraufgebot beinhaltet Peter Sellers, , , Peter & Gordon, Lulu, Billy J. Kramer, Esther Phillips und Richard Anthony. Die Beatles sind auch da und singen . John spielt Harmonium. Das neue Beatles-Lied in den Charts heißt . Die Single geht am 18. Dezember 1965 auf Platz 1 der englischen Hitparade. John über Weihnachten: „Ich habe keine Ahnung, was bei den Feiertagen bei uns laufen wird. Alles was ich weiß, ist, dass ich aufwachen werde und es wird Weihnachten sein. Der Rest hängt von Cyn ab. Es ist ohnehin eine Frauenzeit, dieses Weihnachten. Ich habe keine Ahnung, was wir zu Weihnachten essen werden. Ich habe damit nichts zu tun. Ich esse es nur. Ich hoffe, dass keine Sternsinger vorbeikommen. Die Tore sind verschlossen. Ich war selbst einmal Sternsinger, aber heute mag ich sie nicht mehr, besonders wenn ich daran denke, was für ein Räuber und Betrüger ich damals war!“ 1966

Am 4. März gibt John dem London Evening Standard ein Interview, in dem er sagt: „Der christliche Glaube wird verschwinden. Er wird verschwinden und untergehen. Darüber muss man gar nicht länger reden. Ich weiß, dass es so kommen wird. Heute sind wir bekannter als Jesus. Ich weiß nicht, was zuerst verschwinden wird, Rock'n'Roll oder das Christentum. Jesus war in Ordnung, aber seine Jünger waren dümmlich und gewöhnlich. Dass sie seine Lehre verändert haben, ruiniert die ganze Sache für mich.“ Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine große Aufregung über dieses Zitat, das später zu einer der bekanntesten Äußerungen Johns werden und den Beatles große Probleme bereiten wird. Am 11. März spricht John mit dem Reporter Chris Hutchins über die nächste LP, die die Beatles aufnehmen werden. John: „Es wird bunt. Elektronische Musik, Witze. Jedenfalls wird es eine ganz andere LP werden. Wir wollten etwas machen, wo es zwischen den einzelnen Nummern keine Pausen gibt, aber das wurde abgelehnt.“ Die Plattenaufnahmen für Revolver beginnen am 6. April. Mal Evans: „Manchmal entsteht auch zwischen guten Freunden dicke Luft, und Songs aufzunehmen ist nicht besonders einfach, besonders wenn da vier Leute sind, die vier verschiedene Meinungen haben und dann muss man daraus etwas Gemeinsames basteln. Ich machte immer den Tee, die Sandwiches und das Rührei und kümmerte mich um sie, um sie bei Laune zu halten. Das Motto war: Ihr macht eure Musik und ich tue alles dazu, um es euch angenehm zu gestalten. Eines Nachts kam ich ins Studio und die Stimmung war elektrisch geladen. Man hätte sie mit dem Messer schneiden können, jeder knurrte und ich kam herein und mir fiel das Tablett herunter und jeder sagte: Hey, schaut euch den Blödel an! Aber immerhin hatten sie da einen gemeinsamen Feind gefunden, und das lenkte sie ab und bald machten sie wieder Witze und lachten. Überall lagen die Tassen über den Boden verstreut, und sie machten dann mit ihrer Musik weiter. Mir war das egal. Mir war es lieber, wenn sie lachten, als wenn sie mich anbrüllten.“ Egal, wie die Beatles in dieser Zeit drauf sind: Sie machen tolle Musik, die die Menschen mitreißen wird. Zu den Liedern, die die Beatles derzeit einspielen, gehört Paperback Writer69. Das letzte Konzert der Beatles in England findet am 1. Mai 1966 im Empire Pool in Wembley statt. Reporter Derek Johnson: „Ich wartete an der Hintertür des Wembley Stadions auf die Beatles, vor den Küchen, als ein großer Lieferwagen vorfuhr, dem vier Köche entstiegen, mit hohen weißen Hüten und Schürzen und Fressalien in Händen. Als sie auf mich zu kamen, merkte ich: Das sind die Beatles. Sie waren es gewohnt, sich zu verkleiden, um nicht von Fans gemobbt zu werden. Niemand bemerkte sie an dem Tag, und dann in der Küche stolperte Ringo und die anderen fielen auf ihn drauf wie in einer Szene der Marx Brothers. Überall war der Boden mit Tortencreme verschmiert, aber sie waren so froh, den Massen entkommen zu sein, dass sie sogar das lustig fanden.“ Trotzdem liegen bei den Beatles in dieser Zeit die Nerven blank. Maurice Kinn, der Eigentümer der Zeitschrift New Musical Express, der das Konzert organisiert hat: „Die Stones hatten die erste Hälfte ihres Auftritts hinter sich, als die Beatles unten vor der Bühne auftauchten, mit ihren Gitarren in den Händen. Ich sagte ihnen, dass sie zu früh dran seien, aber Lennon bestand darauf, sofort auf die Bühne zu gehen. Ich sagte: Das ist unmöglich, aber John schrie: Hast du mich nicht gehört? Wir gehen jetzt rauf, oder wir gehen nach Hause. Brian Epstein eilte rasch herbei, und ich erklärte ihm das Problem, dass ich den Stones schriftlich zugesagt hatte, dass die Beatles nicht direkt nach ihnen spielen würden. Deshalb hatte ich eine Preisverleihung zwischen die beiden Auftritte eingeflochten. Wenn die Beatles darauf beharrten, gleich zu spielen, würde ich den MC Jimmy Savile auf die Bühne schicken und es ihm überlassen, den 10.000 Lesern des NME zu erklären, dass die Beatles heute nicht spielen würden. Und dann würde Chaos ausbrechen! Halb Wembley würde in Schutt

69 http://www.youtube.com/watch?v=Pwap79uy1G8 und Asche versinken und die Stadt Wembley und der NME würden Epstein verklagen. Brian teilte das den Beatles mit und John explodierte! Er überschüttete mich mit Ehrbeleidigungen, wie ich sie mein ganzes Leben noch nie gehört hatte. Man konnte ihn hinter der Bühne überall hören. Er sagte: Wir werden für dich nie wieder spielen! Aber er wusste, dass er keine Wahl hatte. Fünfzehn Minuten später gingen die Beatles auf die Bühne, holten ihre Preise ab und zogen dann ihre Show wie immer ab.“ Johnny Walters, Trompeter für das Alan Price Set: „Wir standen auf Boxen und schielten durch Schlitze in den Vorhängen, um ihnen zuzusehen. Das Kreischen war wie weißes Rauschen. Die einzige Musik, die ich gehört habe, war die Einleitung zu Day Tripper, dann verschwand wieder alles im Kreischen. Nach zwanzig Minuten liefen die Beatles von der Bühne, ihre NME- Auszeichnungen in Händen und rannten die Rampen hinab zur Limousine, die dort bereits vorgefahren war. Sie warfen ihre Preise ihren Assistenten zu und sprangen ins Auto, das bereits davonraste, bevor überhaupt die Türen zu waren.“

John und Bob Dylan werden im Frühjahr auf dem Rücksitz einer Limousine gefilmt, die von Johns Heim in Weybridge bis zum Mayfair Hotel in London fährt. Beide sind bekifft und ihr Dialog klingt auch danach. Bob: „Erinnerst du dich daran, was du gesagt hast, als ich diese Bänder vorgespielt habe? Es war: Das musst du bei der Firma herausbringen, bei der ich bin. Wie heißt die?“ John: „Ah, Dick James?“ Bob: „Nein, nein. Dick James, das war nicht der Name, der genannt wurde.“ John: „?“ Bob: „Genau. Ja, das war es. Genau. Du hast gesagt: Du musst bei Northern Songs sein. Ich fragte: Was ist Northern Songs? Keiner hatte mir das je gesagt, also musste ich versuchen, das herauszufinden.“ John: „Haben wir es dir nicht gesagt?“ Bob: „Nein, Mann. Du hast es mir nicht gesagt. Du hast gelacht und Paul McCartney hat weggeschaut.“ John: „Mick Jagger hat mich angeschaut, voll besoffen.“ Bob: „Du solltest in Texas leben, Mann. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass George Harrison viel Zeit in den Staaten verbringt. Du könntest etwas von George lernen.“ John: „Erzähl mir was von den Mamas & Papas, Bob. Ich habe gehört, dass du die sehr stark unterstützt und sie sind großartig. Ich glaube, dass du sie unterstützt.“ Bob: „Nein, du interessierst dich doch nur für die Große, das starke Mädchen, oder? Du bist nur an dem großen Mädchen interessiert. Du stehst auch in ihrem Bann! Sie hat jeden hypnotisiert, den ich kenne. Jeder fragt mich das Gleiche.“ John: „Weißt du, weißt du, weißt du ...“ Bob: „Du bist schrecklich, Mann.“ John: „Ralph Donner? Das ist ein toller Typ.“ Bob: „Wer? Nein, ich kenne nur die weniger bekannten.“ John: „Barry McQuire ist ein anderer toller Kriegsheld.“ Bob: „Barry McQuire? Soviel ich gehört habe, gehört er zu deinen engsten Freunden, John.“ John: „Du hast ihn mir vorgestellt, Bob, erinnerst du dich nicht mehr? Er ist ein toller Typ, Sergeant Barry.“ Bob: „Ja, ja, ja. Ich erinnere mich jetzt.“

Die Szene zerfasert und muss neu aufgenommen werden.

John: „Bob hat seinen Text schon wieder vergessen. Cut. Neue Szene. Tut mir leid, Bob, es wirkt so natürlich, aber wirklich, aber er zittert. Gut, weiter.“ Bob: „Hey, okay, ist doch auch egal. Also, erzähl mir was von den Silkies.“ John: „Nein, darüber sage ich nichts.“ Bob: „Ich habe einmal ein paar Milligramm Silky genommen. Barry McQuire hat mir erzählt, dass er ein guter Freund von dir ist.“ John: „Ich sage das ungern über Barry, Bob, Bobby, aber, ich kenne ihn gar nicht persönlich. Aber, ich habe einen Brief von seinem Manager erhalten, der mir schreibt, dass er dir sehr, sehr nahe steht, und zwar soll er ganz offensichtlich auf der niedrigsten Stufe des gegenwärtigen Folk-a-Rock- Booms sein. Das war das erste Mal, dass ich von Barry überhaupt gehört hatte.“ Bob: „Ich habe Johnny Cash in meinem Film ... du bist ein Scheißkerl.“ John: „Wirklich?“ Bob: „Du wirst kacken, wenn du ihn siehst.“ John: „Alles klar, Leute, John wird wieder scheißen.“ Bob: „Du weißt, wie er aussieht, Johnny Cash, oder? Er bewegt sich toll. Ich mag ihn sehr gern, er ist ein toller Kerl. Er ist vollkommen.“ John: „Ziemlich eindrucksvoller Typ, hm?“ Bob: „Du hättest gestern da sein sollen, John, du hättest gestern Nacht erleben sollen! Heute ist nichts los.“ John: „Wirklich, Bob?“ Bob: „Ich wäre froh, wenn ich Englisch könnte.“ John: „Ich auch, Bobby.“ Bob: „Ich kann neben John nichts machen, weil er so ein großer Schauspieler ist. Hey, ich möchte nach Hause. Ja. Ich möchte nach Hause. Wo ich herkomme, wo es Baseball gibt, und der Fernseher die ganze Nacht läuft. Ich komme aus dem Paradies, Mann.“ John: „Wenn du meinst...“

Eine lange Pause.

Bob: „Es muss an mir liegen, ich glaube, ich bin zu, damit es richtig klingt. Manche Leute kriegen diesen Sound nicht hin, dass man nicht einmal die Fähigkeit hat, zu sprechen. Ich, ah, ich weiß nicht, weißt du, ich war sehr krank, Mann. Ich bin froh, dass das vorüber ist, weil ich hier sehr krank war. Ist dir auch schlecht?“ John: „Eine Landegenehmigung, Bob.“ Bob: „Ich möchte nicht, dass mir jetzt schlecht wird vor der Kamera, oder dass ich in eine Kamera kotze. Ich habe sonst schon alles mit Kameras gemacht. Ich werde jetzt in eine hineinkotzen. Aber ich kann mich gar nicht erbrechen.“ Kameramann: „Das wäre ein schönes Ende.“ John: „Werde ich wieder in die Kamera scheißen?“ (er merkt, dass Bob wirklich schlecht ist, und sagt im Ton eines Werbesprechers): „Leiden Sie unter brennenden Augen, einer schönen Stirn oder krausem Haar, dann nehmen Sie Zoomdawn.“ Bob: „Bitte fahr zurück zum Hotel, Tom.“ Tom (der Fahrer): „Bin schon auf dem Weg.“

Am 1. Juni nehmen die Beatles Lieder für die neue LP Yellow Submarine auf. George Martin: „Es war eine der ungewöhnlichsten Plattenaufnahmen überhaupt, eher etwas, was man von den Goons oder Peter Sellers erwartet hätte. Die Jungs liebten jede Minute davon. Wir brauchten alle möglichen Geräusche und Sandsäcke wurden herumgewälzt und John blies Seifenblasen und George machte Blubbergeräusche mit Wasser. Es funktionierte sehr gut. Es gab auch eine Blaskapelle. Das war kein Sound-Effekt, sondern die Kapelle war wirklich im Studio. Wie auch der große Chor, den wir aus allen möglichen Leuten, die gerade da waren, gebildet hatten. Deswegen hört man auf der Platte nicht nur die Beatles, sondern auch Pattie Harrison, Leute aus dem Tonstudio, Toningenieure und die Roadmanager der Beatles, Mal und Neil. Übrigens spricht John nicht durch eine Flasche, wenn er die Worte von Ringo in dem Lied wiederholt.70 Diese Idee hat nicht funktioniert, deswegen kam Mal Evans dann auf die Idee, dass John durch den

70 http://www.youtube.com/watch?v=MCsYDZ2M04M Lautsprecher seiner Gitarre sprechen sollte.“ John: „Die Grundlage für den Song haben wir ohne George Martin aufgenommen. Er war mehrere Tage lang an Grippe erkrankt und gar nicht da, weshalb wir freies Spiel im Studio hatten.“ Am 12. Juni kommen die Mamas & Papas nach London. John scheint wirklich sehr an der Leadsängerin, Mama Cass, interessiert zu sein, denn er besteht darauf, sie kennenlernen zu wollen. John Phillips, der Bandleader: „Ich sah, dass Denny Doherty (von den Mamas) und John Lennon sich sofort gut verstanden. Bei Zwielicht sahen sie wie Zwillinge aus. Ich sagte zu Denny, wir müssen Cass abholen. Nein, sie wird das nie glauben, ich habe eine bessere Idee: Wir bringen die Beatles zu ihr ins Haus. John und Paul mochten unsere ersten Lieder sehr und besonders die Stimme von Cass hat ihnen gefallen. Also stiegen wir alle in Johns berühmten Paisley Rolls-Royce und fuhren zum Berkeley Square. Er hatte Lautsprecher auf der Unterseite des Wagens eingebaut, in der Nähe der Reifen. Er verwendete gern ein Mikrophon dazu, um über diese Lautsprecher den Frauen auf der Straße anzügliche Bemerkungen und lustige Grobheiten zuzurufen. Cass war früh nach Hause gegangen, um sich etwas hinzulegen und hatte eine Schlaftablette genommen. Denny flüsterte ihr ins Ohr: Der Mann deiner Träume ist hier! Und sie drehte sich ärgerlich herum und murrte im Halbschlaf: Hau ab! Es gibt nur einen Traummann für mich, und der ist nicht da, also lasst mich allein. Aber Denny beharrte: Ich schwöre es beim Leben meiner verdammten Mutter, das sie beide unten sind. Cass aber öffnete kurz die Augen, schloss sie wieder und schlief ein. Denny brachte deshalb Lennon zu Cass hoch und er beugte sich vor und flötete: Hallo, Schönheit! in einem ganz zärtlichen Ton. Sie wachte auf und rieb sich die Augen. Ihr Prinz war da. Der einzige Mann, der diese Stimme hatte. Sie setzte sich auf, erkannte Lennon und fiel vor Schreck zurück. Sie quietschte vor Freude und sprang ihm dann in die Arme und tanzte mit ihm durch den ganzen Raum. Sie war so aufgeregt und starrte ihn an. Dann haben wir die ganze Nacht wach gesessen, Haschisch geraucht und Musik gespielt. Es gab im Wohnzimmer ein verstimmtes, aber sehr schönes altes Klavier, und McCartney kroch da fast hinein und begann an den Saiten herumzuzupfen. Cass war wahnsinnig glücklich und sagte den Beatles, dass ihnen ihr Haus in L.A. immer offen stehen würde. Kurz vor Sonnenaufgang dann fuhr der Paisley Rolls mit den größten Songwritern der Welt davon ...“ Am 23. Juni gehen die Beatles für vier Konzerte nach Deutschland und erleben in Hamburg eine triumphale Wiederkehr. Sie fahren in acht Limousinen, begleitet von einem Dutzend Motorrädern der Polizei zum Hotel und spielen in der ausverkauften Ernst Merck Halle vor 7000 Menschen. Bis es aber so weit kommt, arbeiten sie sich stückweise von München über Essen nach Hamburg vor, um hier ihre beste Leistung abrufen zu können. Der Journalist Sean O'Mahony: „In Deutschland hatten die Beatles das Problem, dass sie sechs Monate lang ihre alten Titel nicht gespielt hatten. Paul organisierte dann im Bayerischen Hof in München einige Proben. Trotzdem, als sie dann am nächsten Abend im Zirkus Krone auftraten konnten ihre neuen flaschengrünen Anzüge nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich auf der Bühne unsicher fühlten. Aber schon die erste Nummer: Rock And Roll Music71, wischte diese Spinnweben hinweg.“ Von München aus geht es dann im Sonderzug nach Essen, den die Queen im Vorjahr bei ihrem Staatsbesuch benutzt hat. Bei einer Pressekonferenz zwischen zwei Konzerten stellen die Journalisten wieder einmal sinnlose Fragen.

Reporter: „Mögt ihr deutsche Mädels?“ Paul: „Ja.“ Reporter: „John, wie spät ist es?“ John: „Keine Ahnung.“ Reporter: „George, wie spät ist es?“ George: „Auf meiner Uhr ist es jetzt fünf vor acht.“ Ringo: „Zeit für euch, schlafen zu gehen.“ Reporter: „Paul, wann wirst du heiraten?“

71 http://www.youtube.com/watch?v=2L5Wjn0t9PM Paul: „Das weiß ich nicht genau.“ Reporter: „Planen die Beatles einen neuen Film?“ John (mit deutschem Akzent): „Ja!“ Reporter: „Wisst ihr schon, worum es sich dabei handeln wird?“ John: „Wir haben kein Drehbuch, kein Drehbuch.“ Reporter: „Wenn ihr eine Karte für euer Konzert kaufen müsstet, wie viel würdet ihr dafür zahlen?“ John: „Wir kennen den Manager, der lässt uns gratis rein.“ Reporter: „Wer hat die Begleitmusik für Michelle geschrieben? John: „Wir waren das.“ Paul: „Wir waren das alle zusammen.“ Reporter: „Was haltet ihr von den Fragen, die hier gestellt werden?“ John: „Sie sind ein bisschen blöde!“ Am 26. Juni geht es mit dem Zug weiter nach Hamburg. Neil Aspinall: „Wir spielten auf unseren Reisen meistens Karten. Das war auf unseren Tourneen oft das schönste. Brian hatte Spaß dabei, den Einsatz zu verfünffachen. Auf der Fahrt nach Hamburg verlor er hundert Pfund an mich und versuchte, als wir schon in den Bahnhof einfuhren, noch rasch etwas zurückzugewinnen. Er holte sein Feuerzeug heraus und sagte: Schau, das ist hundert Pfund wert. Alles oder nichts. Ich wollte nein sagen, aber machte dann doch mit und Brian verlor sein Feuerzeug. Da nahm er seine goldene Armbanduhr ab und sagte: Diese Uhr ist sehr gut. Sie ist 250 Pfund wert. Alles oder nichts? Ich wollte nicht weiterspielen, aber ich gab nach und er verlor seine Uhr. Zuletzt habe ich ihm beides für hundert Pfund zurückgegeben.“ In der Ernst Merck Halle haben die Beatles neue Konzerte gebucht, und dazwischen geben sie auch wieder eine Pressekonferenz, bei der John schon zu Beginn etwas gereizt wirkt und in deren Verlauf er mehrmals lauthals seinen Unmut über Fragen kund tut, die er noch im Vorjahr mit Gleichmut oder Witz ertragen hat. Ringo ist immer noch witzig und lächelt, George ist sarkastisch, und einzig Paul versucht noch, ernsthaft auf Fragen zu antworten oder ausgleichend zu wirken, wenn John seiner Ansicht nach bei der Beantwortung von Fragen über die Stränge geschlagen hat. Die Pressekonferenz ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Beatles als Boy-Group schon der Vergangenheit angehören und etwas Neues, Ernsthafteres suchen. Reporter: „Wie viel Mädchen hattet ihr hier in Hamburg?“ Paul: „Eine oder zwei. Wie viele hast du gehabt?“ John: „Was meinst du mit hatte?“ Reporter: „John, magst du Henry Miller?“ John: „Er ist okay. Ich würde mit ihm nicht ins Bett gehen.“ George: „Er ist nicht so gut wie Henry Mancini.“ Reporter: „Paul, was denkst du über die Anti-Baby-Pille?“ Paul: „Sie ist sehr gut, offensichtlich.“ John: „Ich wünschte nur, es hätte die schon vor ein paar Jahren gegeben!“ Paul: „Es ist normal, oder? Jeder sollte sie haben, sofern er Verlangen danach hat.“ John: „Wir wollen alle die Pille!“ Reporter: „John, es heißt, du hättest Teile deines Buchs woanders abgekupfert.“ Paul: „Stimmt das?“ Reporter: „Von ?“ John: „Nein, nicht von ihm. Ich habe es getan, ich geb's zu. Es ist aus einem alten italienischen Buch oder so was. Ich dachte, der sei tot und begraben, aber man hat es doch herausgefunden.“ Reporter: „Ringo, was hast du da auf deinem Gesicht? Uns gefällt dein Teint.“ John (sichtlich genervt): „Oh Gott!“ Reporter: „Ich empfehle einen Löffel Spinat, das wird deinem Gesicht helfen!“ Ringo: „Danke vielmals, aber nein.“ Reporter: „Wird dein Sohn Zak mit dir nach Tokio fliegen?“ John (verärgert): „Was sollen denn diese Fragen?“ Ringo: „Nein, nein, nein, er fährt nicht mit.“ John: „Sagt mal, gibt es hier echte Journalisten im Raum?“ George: „Da drüben ist Chris Hutchins.“ Reporter: „Ringo, wie geht es dir dabei, wieder in Hamburg zu sein?“ Ringo: „Es ist okay. Wie soll es mir dabei gehen?“ Reporter: „Möchtet Ihr den Star Club sehen?“ Paul: „Das wäre schön, wenn sich die Gelegenheit ergibt.“ Reporter (zu John): „Deine Gedichte in deinem Buch. Könnte die Paul vertonen?“ John: „Wenn das einer macht, dann bin das ich selbst.“ Reporter: „Wovon träumt ihr, wenn ihr schläft?“ Paul: „Von den gleichen Dingen, von denen andere träumen. In seiner Unterwäsche da zu stehen ...“ George: „Rosa Drachen ...“ John: „Was denkt ihr, wer wir sind? Wovon wir träumen? Was für ein elender Mist!“ Ringo: „Ich träume von den gleichen Dingen wie du. Wir sind alle gleich.“ John: „Wir sind ganz gleich wie du, Mann, außer, dass wir reich sind.“ Reporterin: „Warum seid ihr so schrecklich arrogant?“ Paul: „Wir sind nicht schrecklich und nicht arrogant.“ Reporterin: „Doch!“ Paul: „Wir scheinen nur so.“ John: „Das ist deine Version.“ George: „Wir sind das in deinem Kopf.“ John: „Ist das, weil wir dir keine Schmeicheleien sagen?“ Paul: „Ihr wollt nette Antworten auf eure Fragen, aber wenn die Fragen nicht nett sind, dann gibt es auch keine netten Antworten. Und wenn die Antworten nicht nett sind, heißt das nicht, dass wir arrogant sind, sondern natürlich.“ Reporter: „Paul, denkst du, dass eure neue LP, die ihr gerade in London aufgenommen hat, dass sie eine neue Wegmarke für die Beatles sein wird?“ Paul: „Das weiß ich nicht.“ George: „Es ist eine kleine Wegmarke, wie jede LP, aber sie wird nicht die Welt verändern.“ Reporter: „Was denkt ihr über eure Musik?“ Paul: „Ich mag sie. Sie ist nicht das beste, aber sie ist okay.“ Reporter: „John, was hast du über dieses Photo gedacht auf der letzten Single in England, wo du Fleisch über die Schulter hängen hattest?“ John: „Das war nicht auf der letzten Single in England. Es gibt dort keine Photos auf Singles. Es war ein Photo auf einer LP in Amerika. In England wurde das nur beworben. Es ist ein Bild von uns mit Fleisch. Das ist alles. Schaue es dir genau an. Ein Bild von uns und mit Fleisch. Ein lausiges Bild.“ Reporter: „Eine Frage an Brian Epstein!“ John: „Mit Liebe!“ Reporter: „Finden Sie das gut, was die Beatles mit George Martin im Studio machen?“ Brian: „Das ist ihre Sache. Sie beeinflussen sich selbst.“ Reporter: „Tragt ihr im Winter lange Unterhosen?“ George: „Nein. Hüftgürtel.“ Reporter: „Reinigt ihr eure MBE Orden?“ Ringo: „Jede Woche, regelmäßig, nein.“ Reporter: „Wie reich seid ihr?“ George: „Nicht so reich wie Harold Wilson.“ Reporter: „Wärt ihr ein Beatles Fan, wenn ihr nicht die Beatles wärt?“ John: „Nein!“ Am 30. Juni geht es weiter nach Japan, wo die Beatles dreimal in der Halle in Tokio auftreten. Das Flugzeug kommt um halb vier Uhr morgens an, doch auf den Straßen zwischen Flughafen und Hotel stehen auch hier die Fans dicht an dicht. Im Tokio Hilton belegen die Beatles die Präsidentensuite. Auch hier ist John bei der Pressekonferenz sehr verärgert. Als ein Reporter fragt: „Was werdet ihr tun, wenn ihr erwachsen seid?“ antwortet Ringo harmlos: „Und du?“ Aber John fährt dazwischen: „Wenn das ein Witz gewesen sein sollte, dann war das nicht komisch. Du siehst alt genug aus, um bessere Fragen zu stellen!“ Während sich die anderen nach dem Konzert im Keller des Hilton eine japanische Massage geben lassen, geht John in sein Zimmer und schläft. Zwei Konzerte später brechen John und Neil Aspinall aus dem Hotel aus und gehen durch die Straßen. John kauft in einem Elfenbeinladen eine hundert Jahre alte Schnupftabakdose. John, glücklich über den Fang, den er gemacht hat: „Da gab es Dutzende diese tollen Glücklichen Götter, aber ich habe nur was Kleines gekauft und einen großen fetten Buddha und dann sah ich dieses kleine Elfenbeinding und fragte den Verkäufer nach dem Preis. Er wusste es nicht. Bis jetzt hatte noch nie jemand danach gefragt!“ Die Tournee wird in den Philippinen fortgesetzt. Am 4. Juli treten die Beatles zwei Mal vor 80.000 Menschen im Rizal Memorial Fußballstadium in Manila auf. Da sie nicht beim Empfang des Präsidenten Marcos im Malacanang Palast erscheinen, muss die Gruppe am folgenden Tag vor einer aufgebrachten Menge zum Flughafen von Manila flüchten. Vic Lewis, der Organisator der Tournee: „Jemand hatte mir gesagt, dass die Beatles zu einer Gartenparty eingeladen waren, aber ich wusste nichts davon und Brian sagte mir, er hätte auch keine Ahnung. Also meinte er: Wir gehen nicht!“ Die Beatles und ihr Personal sind völlig überrascht, als am Morgen die Zeitungen von Manila mit der Schlagzeile „Beatles beleidigen den Präsidenten“ aufwarten. Der Tag beginnt mit einem Pochen an der Tür. Beamte erklären den Beatles, dass sie 80.000 Dollar Steuerschuld in den Philippinen begleichen müssen. Vic Lewis zeigt ihnen die Verträge, aber die Finanzbeamten lassen sich davon nicht überzeugen. Am Nachmittag spitzt sich die Stimmung zu. Paul: „Wir kamen zum Flughafen und es war schwierig, unser ganzes Gepäck, die Verstärker und so weiter einzuladen, weil alle Rolltreppen ausgeschaltet waren. Wir wurden in einen Glaskasten gesetzt und wurden hin und her geschubst.“ John: „Ihr werdet behandelt wie ganz normale Reisende, normale Reisende, sagten die, und traten nach uns. Wir sagten: Normale Reisende? Wie? Tretet ihr die Touristen hier?“ Paul: „Sie begannen unsere Road-Manager zu verprügeln. Es waren dreißig von ihnen.“ John: „Ich sah fünf, die gezielt zutraten, und brüllten. Mich hat keiner getreten. Ich bin ihnen ausgewichen. Zumindest glaube ich nicht, dass mich einer getreten hat. Ich war völlig geschockt! Ich werde nie wieder in dieses Narrenhaus zurückkehren.“ Vic Lewis: „Wir rannten über die Landebahn zum Flugzeug, neun oder zehn von uns und rannten die Treppe hoch in das Flugzeug. Mal Evans hatte gebrochene Rippen, und Brian war im Gesicht verletzt. Ich glaube nicht, dass einer der Beatles wirklich getroffen wurde, aber überall waren Leute, die Dinge auf uns warfen, es war schrecklich. Als wir dann im Flugzeug waren, begann ein Mädchen Mal Evans zu verarzten. Er hatte starke Schmerzen und blutete.“ Die Beatles verbringen nach diesem Schock drei Tage in New Delhi in Indien und stellen sich dann bei ihrer Rückkehr den Journalisten. George: „Sollte ich jemals nach Manila zurückkehren, dann nur, um dort eine Wasserstoffbombe abzuwerfen. Ich werde den Rolling Stones ein paar Tipps geben, denn so viel ich gehört habe, steht dort eine Tournee mit ihnen an.“ John: „Ich würde nicht einmal über das Staatsgebiet der Philippinen fliegen wollen. Geschweige denn dort landen.“ Ringo: „Dorthin zurückkehren? Du machst Witze!“ Paul: „Meine Antwort könnt ihr nicht abdrucken. Ich wünsche es meinem schlimmsten Feind nicht, dort hin zu gehen. Wir sind noch nirgends schlecht behandelt worden. Es war eine neue Erfahrung.“ George: „Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst. Wir werden dort nie wieder zurück gehen.“ John wird beschuldigt, für einen Teil der Ablehnung der Philippinen verantwortlich zu sein, weil er wie ein Hund gebellt hat, als Reporter in Manila ihm Fragen zu riefen. John: „Auf dem Weg zum Flughafen standen überall Leute, die uns zuwinkten, aber es gab auch einige alte Männer, die buhten. Es gab einen Haufen Affen, anders kann man die nicht nennen, die vor der Abreise auf uns gewartet haben. Als sie uns dann körperlich angegriffen haben, war ich völlig schockiert! Sie haben uns herumgeschubst. Ich hatte Angst, verletzt zu werden, also lief ich auf drei Nonnen und zwei Mönche zu, weil ich hoffte, dass sie dann aufhören würden. Die haben darauf gewartet, dass wir zurückschlagen, damit sie uns erledigen können. Ich weiß, dass ich herumgeschubst wurde, aber vielleicht bin ich auch getreten worden und weiß nichts mehr davon.“ George: „Keiner mag es, wenn er verprügelt wird, besonders wenn es ein Dutzend Hirnloser ist, die gar nicht genau wissen, warum sie es tun.“ Ringo: „Wahrscheinlich waren das Zolloffiziere, weil sie alle gleich angezogen waren und Schusswaffen hatten.“ Reporter: „Werdet ihr dort wieder zurückkehren?“ George: „Ich wollte schon diesmal nicht dorthin fliegen.“ John: „Ich auch nicht.“ George: „Weil ich gehört hatte, dass es ein schrecklicher Ort sein soll, und als wir dann dort waren, haben wir gesehen, dass es wirklich so war.“ Paul: „Davon abgesehen war die Tournee klasse. Die Kids in Tokio waren verrückt nach uns und auch die Shows in Manila waren gut. Wir haben vor 100.000 Leuten gesungen. Und natürlich hat uns auch Deutschland sehr warm empfangen, wie immer.“ Die Zeitungen in den Philippinen kommentieren die Behauptungen der Beatles, von der Einladung nichts gewusst zu haben, mit Schlagzeilen wie: „Die Beatles singen ein böses Lied“. John: „An dem Ganzen war Brian schuld, weil er die Einladung erhalten hatte und abgelehnt hatte, ohne uns davon überhaupt etwas zu sagen. Tags darauf wollten sie es nicht akzeptieren, dass wir abgelehnt hatten, und ließen an uns ihre Wut aus, als wir zum Flughafen fuhren. Es war schrecklich!“ Die Stadtverwaltung von Caloocan City auf den Philippinen erlässt einen Bann auf den Verkauf aller Produkte der Beatles. Stadträtin Marical Samson verkündet dazu der Presse: „Es war langsam Zeit, dass diese hochnäsigen Krawallmacher verstehen, dass wir es nicht erlauben oder akzeptieren können, wenn irgendjemand, ungeachtet der Person, die Präsidentenfamilie in irgendeiner Form herabwürdigt oder missachtet.“ Am 13. August stößt die neue LP Revolver an die Spitze der britischen Charts vor. Das Album ist stark von George dominiert und beginnt mit dessen Komposition Taxman72. John: „Das war ein Lied gegen die Gesellschaft. Wenn du nur auf der Straße spazieren gehst, besteuern sie dir die Beine und all das. George hat es geschrieben und ich habe ihm dabei geholfen. Er hat mich angerufen und ich habe dann ein paar Sprüche abgesondert für das Lied, weil er danach gefragt hat. Er kam zu mir, weil er zu Paul nicht gehen konnte. Paul würde ihm damals nicht geholfen haben. Ich hatte selbst keine Lust dazu und dachte: Bitte nicht, sag mir nicht, dass ich jetzt auch noch an den Sachen von George arbeiten soll. Es hat mir gereicht, was ich mit Paul gemacht habe. Aber, weil ich ihn geliebt habe und ihn nicht verletzen wollte, sagte ich: Okay. Und biss mir dabei auf die Zunge. Wir Beatles hatten von Steuern keine Ahnung. Das ist immer noch so. Unsere Meinung ist: Wenn man es verdient hat, sollte man es behalten dürfen, außer man lebt im Kommunismus oder in einer wirklichen christlichen Gemeinschaft. Solange es so ist wie heute in England, würde ich am liebsten gar keine Steuern zahlen.“ Zwei weitere Lieder, Love You Too73 und I Want To Tell You74 stammen aus der Feder von George, und Johns Komposition basiert fast vollständig auf Sitarklängen, die George einspielt. Auch Paul erweitert sein musikalisches Repertoire. Er hat gemeinsam mit George Martin mit einem Orchester Eleanor Rigby geschaffen, verwendet bei Got To Get You Into My Life Trompetenklänge und zeichnet auch verantwortlich für die klassische Ballade Here, There, Everywhere.

72 http://www.youtube.com/watch?v=lWAl5V-SiKQ 73 http://www.youtube.com/watch?v=MF90rX43VpE 74 http://www.youtube.com/watch?v=ytjSNap3BCk John: „Das Lied ist ganz von Paul geschrieben und eines meiner liebsten Beatles-Songs überhaupt.“ Über Eleanor Rigby75 merkt John an: „Die erste Zeile stammt von ihm und den Rest habe ich geschrieben. Er wusste, dass er ein Lied hatte, aber zu dem Zeitpunkt war es schon so, dass er mich nicht um Rat bitten wollte. Wir saßen mit Mal Evans und Neil Aspinall herum und er sagte einfach: Also, Freunde, schreibt noch was dazu. Ich war gekränkt und beleidigt, dass Paul das so formuliert hatte. Er wollte, dass ich den Text schreibe, und die anderen haben dazu keinen Ton beigetragen, sondern wir gingen dann ins andere Zimmer und haben es fertig gemacht.“ Es ist wahrscheinlich, dass John auch den Titel Eleanor Rigby beigesteuert hat, denn so hieß ein Grab auf dem Friedhof von Woolton, wo John als Junge lebte. Das Lied She Said She Said76 stammt von John. John: „Ich habe es über einen LSD Trip in Los Angeles geschrieben, den zweiten, den wir erlebt hatten, als Peter Fonda zu uns kam und Sachen sagte wie: Hey Mann, ich weiß was es bedeutet, tot zu sein.“ Paul: „Ein schönes Lied von John, das er im fertigen Zustand ins Studio brachte. Ich glaube, es ist eines der wenigen Lieder der Beatles, auf denen ich gar nicht spiele. Ich glaube, George spielt darauf Bass.“ John: „Es war ein trauriges Lied. Als ich ein kleiner Junge war und so. Es kam viel frühe Kindheit aus mir heraus, als ich das schrieb. Ich hatte zuerst nur die Worte 'Sie sagte, sie sagte', aber das bedeutete noch nichts. Es hatte damit zu tun, dass jemand etwas gesagt hatte und behauptet hatte, zu wissen, was es bedeutet, tot zu sein und dann brauchte ich einen Mittelteil und da fiel mir 'Als ich ein kleiner Junge war' ein.“ Paul hat für dieses Album Got To Get You Into My Life77 geschrieben, und John sagt darüber: „Ich halte es für eines seiner besten Lieder, weil auch der Text gut ist und ich habe ihn nicht geschrieben. Es beschreibt seine Erfahrung mit LSD, nehme ich an. Ich glaube das zumindest.“ Der Höhepunkt der Platte vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen ist aber Tomorrow Never Knows78. Das Lied markiert einen Aufbruch der Beatles in die experimentelle Musik. John öffnet sich durch Verwendung der Sitar und indischer Tabla-Rhythmen der Musik, die bislang nur George fasziniert hatte, kombiniert sie virtuos mit seinem charakteristischen Stil und vermengt sie mit Loops, kreisenden Klängen aus vielen Kassettenrecordern. John: „Timothy Leary ging damals herum und sagte: Nimm es, nimm es, nimm es und wir folgten seinen Anweisungen im Book Of The Dead, sein Buch darüber, wie man einen Trip gestaltet. Ich folgte da seinem Buch, als ich Tomorrow Never Knows schrieb, einer der ersten LSD-Songs. Lege alle Gedanken nieder und gib dich der Leere hin. Der Titel war einer der populären Versprecher von Ringo.“ Paul, der das Lied aus tiefsten Herzen verabscheut: „Ich erinnere mich daran, wie John zur Chapel Street 24 in Belgravia kam, wo Brian Epstein wohnte. Wir hatten dort ein Treffen und John zog seine Gitarre heraus und begann Tomorrow Never Knows zu spielen, ein Lied, das nur einen Griff hatte. Er war an indischer Musik interessiert und wir hatten einige indische Platten gehört und danach gefragt: Habt ihr gemerkt, dass es darin keinen Akkordwechsel gibt? Ich rechne es George Martin hoch an, dass er nicht zusammengezuckt ist, als John es ihm vorgespielt hat. Er sagte nur: Hmmm, verstehe. Ja. Er hätte auch sagen können: So ein Mist, schrecklich!“ George Martin: „Es war ein experimentelles Lied. John hatte dieses Lied geschrieben und dabei Wörter aus dem Book Of The Dead genommen und sagte zu mir: Ich möchte, dass meine Stimme so klingt wie der Dalai Lama, der auf einer tibetischen Bergspitze singt.“ John: „Ich stellte mir vor, dass auf der Platte tausende tibetische Mönche skandieren. Das war nicht umsetzbar, aber es wäre noch besser gewesen, wenn wir das hingekriegt hätten.“ George Martin: „Ich fragte mich, wann das nächste Flugzeug nach Tibet geht. Aber dann schickten wir seine Stimme durch einen Leslie-Lautsprecher, um diesen komischen Effekt zu erzielen und

75 http://www.youtube.com/watch?v=3Dsz4dB6DuM 76 http://www.youtube.com/watch?v=6wp91YPGnLw 77 http://www.youtube.com/watch?v=yJ8WI3Q9jm4 78 http://www.youtube.com/watch?v=rTMOSCh7aJU verwendeten dieses Tambur-Dröhnen mit dem Schlagzeug von Ringo. Interessant wurde es aber erst, als wir diese kleinen Tonschleifen mit Möwenschreien anfertigten und solche Dinge. Paul hatte entdeckt, dass man aus seinem Grundig-Kassettenrecorder den Löschknopf entfernen konnte und eine Schleife von etwa einem halben Meter einlegen, und um die Spulen wickeln, und wenn man sie einspielte, nahm sie sich selbst auf, immer wieder.“ Paul: „Die Leute glauben, dass John alles an dem Lied gemacht hat, aber die Schleifen und die Soundeffekte stammen von mir. Ich habe sie nur nirgendwo anders verwendet als bei diesem Lied.“ George: „Wir alle nahmen zu Hause Geräusche mit unseren Kassettenrecordern auf, schnitten Stücke von den Bändern ab, machten Schleifen daraus und steckten sie in die Maschine und hatten dann ganz viel Geräusche auf verschiedenen Maschinen, die wir alle im Studio einmischten.“ Woher aber stammt der Titel der LP? John damals: „Es ist nur ein Name, der keine Bedeutung hat. Warum will jeder immer alles wissen? Es heißt Revolver. Es ist alles, was das Wort Revolver bedeutet, weil es das für uns bedeutet und alles, was wir mit dem Begriff verbinden. Das Bedeutende an dem Album war, dass Paul und ich begriffen haben, dass wir zusammen kommen und arbeiten müssen. Wir haben uns bei Partys gesehen, aber jetzt haben wir beschlossen, ernsthaft miteinander zu arbeiten. Wir waren bei ihm oder bei mir und dachten über Lieder nach. Meist fängt einer mit einer Melodie oder einer Phrase an wie bei Paperpack Writer, was ihm auf der Fahrt zu mir eingefallen war.“ John später: „Rubber Soul war das Marihuana-Album und Revolver war LSD. Wir waren nicht alle high, als wir Rubber Soul gemacht haben, aber in dem Sinn.“ Der Sommer steht im Zeichen der Diskussion über den Spruch von John, die Beatles seien berühmter als Jesus. Maureen Cleave, die ihn interviewt hat, veröffentlicht ein Statement, in dem sie klarstellt, dass er falsch zitiert wurde. Ungeachtet dessen verkündet Senator Robert Fleming aus Pennsylvania, dass die Beatles in dem amerikanischen Bundesstaat nicht auftreten dürfen. Die Beatles fliegen am 11. August nach Amerika auf ihre dritte Tournee. Diese letzte Konzertreise steht von Anfang an unter einem schlechten Vorzeichen. Am 30. Juli muss ihre neue amerikanische LP mit dem Titel Yesterday ... And Today zurückgezogen werden, weil die Beatles auf dem Cover als Metzger dargestellt werden, die über gliederlosen Puppen stehen (darauf hatten sich die Fragen in Deutschland bezogen). Am folgenden Tag beginnt man gerade in den Südstaaten Beatles-Platten und Memorabilia zu verbrennen. Zwei Tage zuvor ist John Lennons Jesus-Interview im Datebook Magazine erschienen. Am 8. August spricht die South African Broadcasting Corporation einen Bann auf alle Beatles Platten aus. Mehr als dreißig Radiostationen in ganz Amerika inklusive Kanada folgen dem Aufruf, keine Beatles-Platten mehr zu spielen. Bei ihrer Abreise werden die Beatles, die eben noch mit Blessuren aus Asien zurückgekehrt sind, darüber befragt, ob sie mit Zuversicht nach Amerika aufbrechen. Reporter: Hallo, John. Freust du dich auf die Konzertreise?“ John: „Ja.“ Reporter: „Diese religiöse Kontroverse, ich weiß, dass du darüber nicht sprechen möchtest, aber hast du Sorge, dass sie jetzt weiter hochkochen könnte, wo ihr dort in den Staaten seid?“ John: „Ja, die Sorge habe ich. Ich hoffe, dass alles gut geht, wie man so sagt.“ Reporter: „Befürchtet ihr, dass es Schwierigkeiten geben könnte wie in den Philippinen?“ Paul: „Nein, nein, nein, nein. Alles wird gut gehen.“ Reporter: „Warum sagst du das, Paul?“ Paul: „Oh, es wird alles gut gehen, ihr werdet sehen. Ja, großartig.“ Die Beatles fliegen nach Chicago und werden schon am Flughafen von Protesten empfangen. Die amerikanischen Network-Sender haben sich zu einer gemeinsamen Konferenz mit den Beatles vereint, in der alle vier gemeinsam zu Johns Bemerkungen Stellung nehmen sollen. Offenbar empfindet man die Beatles als so wichtig, dass das Ergebnis weltweit live übertragen wird. Die Veranstaltung findet im Astor Towers Hotel in Chicago statt, wo die Beatles eben eingetroffen sind. Die Pressekonferenz ist sehr emotional. John gibt folgendes Statement ab: „Wenn ich gesagt hätte, dass das Fernsehen heute bekannter ist als Jesus, wäre ich damit davongekommen. Es ist eine Tatsache, dass wir für die Kids in England mehr bedeutet haben als Jesus oder irgendeine andere Religion. Ich wollte nichts Schlechtes darüber sagen oder es schlechtreden. Ich habe nur gesagt, wie es in England ist, und nicht wie es hier ist. Ich behaupte nicht, dass wir besser oder größer sind als Jesus Christus als Person oder Gott oder Ding, oder was immer es ist. Ich habe gesagt, was ich gesagt habe und es war falsch oder wurde falsch aufgefasst und jetzt ist daraus diese Sache entstanden!“ Reporter: „Es gab Todesdrohungen gegen dich, es gab Verbrennungen von Platten, ihr wurdet von mehreren Radiosendern verbannt, stört dich das?“ John: „Ja, es stört mich.“ Reporter: „Wirst du ans Kreuz geschlagen?“ John: „Nein, das würde ich nicht sagen. Gar nicht.“ Reporter: „War das ein Versuch, eure nachlassende Popularität zu steigern?“ John: „Ich denke, es gibt bessere Wege, eine nachlassende Popularität zu steigern.“ Reporter: „Wie zum Beispiel?“ John: „Keine Ahnung. Sich Streiche einfallen lassen, aber wir machen das nicht. Wir haben schon einen Rohrkrepierer geliefert.“ Reporter: „Bereust du es, davon gesprochen zu haben?“ John: „Ja, das tue ich, obwohl ich nie gemeint habe, was Leute glauben, dass ich gemeint habe. Ich bereue es, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben.“ Reporter: „Glaubst du immer noch, dass die Beatles populärer sind als Jesus?“ John (frustriert): „Ah ... wenn ich, also, als ich darüber gesprochen habe, war ich mit einer Person zusammen in einem privaten Gespräch. Sie ist zufällig auch Reporterin und ich redete über etwas, das ich gelesen hatte und vom Christentum abgeleitet hatte. Ich habe es zu einfach ausgedrückt, was für mich typisch ist. Populärer als Jesus und so weiter und so weiter, Worte, und Leute, die mich kennen, wissen, dass sie sie so nehmen müssen, wie ich sie meine, weil sie wissen, wie ich mich ausdrücke.“ Tony Barrow, der Konzertorganisator: „John hat fünf oder zehn Minuten dazu verwendet, genau zu erklären, was er gemeint oder nicht gemeint hatte, aber trotzdem kam dann wieder die Frage: Also John, wirst du dich dafür entschuldigen? Man hatte ihm gar nicht zugehört. Deshalb hatte John dann die Einstellung: Gut, ich entschuldige mich gerne, aber ich weiß nicht, was ich getan habe.“ Reporter: „Wie wirst du von heute an auf diese Fragen antworten? Wirst du überall Erklärungen abgeben?“ John: „Wenn sie mich fragen, werde ich das versuchen. Ich werde es immer wieder versuchen, bis es klar geworden ist. Weil es mir nicht egal ist, was die Leute von mir denken, vor allem, wenn sie im Irrtum sind.“ Reporter (zu George): „Was hältst du von dem, was er gesagt hat?“ George: „In dem Zusammenhang ging es darum, das das Christentum an Ausstrahlung verliert, und um nichts anderes.“ Reporter: „Ein Discjockey von Birmingham in Alabama, der die Kontroverse ausgelöst hat, verlangt eine Entschuldigung von dir, John.“ John: „Die kann er haben. Ich entschuldige mich bei ihm. Wenn es ihm weh getan hat und er das wirklich so meint, dann tut es mir leid. Es tut mir leid, dass ich diese Sache angerichtet habe, aber ich wollte nichts gegen eine Religion ausdrücken oder so. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Keine Worte mehr. Ich entschuldige mich bei ihm.“ Reporter: „Mr. Lennon, sind Sie ein Christ?“ John: „Dazu sind wir alle erzogen worden. Ich bin kein praktizierender Christ und Christus war was er war und wer gut über ihn spricht, hat recht. Ich bin kein praktizierender Christ, aber ich habe keine unchristlichen Gedanken.“ Am 19. August spielen die Beatles in Memphis, Tennessee, im Herz des Bibelgürtels, wo es die meisten Verbrennungen ihrer Platten gab. Stunden vor ihrem Auftritt im Colliseum stellen sich Abgesandte des vor die Presse und behaupten, dass sie die Macht haben, das Konzert der Beatles zu verhindern. „Wir sind als Terrororganisation bekannt“, sagt einer der Maskierten, „und wir haben Mittel und Wege, sie zur Strecke zu bringen, ja.“ „Welche Mittel und Wege?“ „Davon darf ich nicht sprechen, aber es wird viele Überraschungen geben, soviel kann ich sagen.“ John: „Wir waren in Memphis, und wir hatten Todesdrohungen erhalten und dann plötzlich lässt einer beim Konzert einen Knallkörper los. Es ging Bumm und wir schauten uns an und Ringo schrie: Wen hat's erwischt?“ Tony Barrow: „Es krachte und die Beatles schauten einander an, wer von ihnen zusammenbrechen würde. Es spricht für sie, dass sie ohne Zögern weiterspielten.“ Am 22. August rettet die New Yorker Polizei die Teenager Carol Hopkins und Susan Richmond vom Dach des Americana Hotels, das 22 Stockwerke hoch ist. Die Mädchen haben damit gedroht, vom Dach zu springen, wenn man es ihnen nicht erlaubt, die Beatles persönlich zu treffen. Es gibt diese Fans noch, aber die Beatlemania als Massenphänomen ist längst Geschichte. Bei der Pressekonferenz an diesem Tag klingt an, dass die Beatles nicht mehr auf Tour gehen werden. Reporter: „Die Trauben der Fans vor dem Hotel sind kleiner geworden und das Konzert morgen im Shea Stadium ist bei weitem nicht ausverkauft. Was haltet ihr davon?“ John: „Wir sind reich!“ Paul: „Man erwartet von uns, dass wir immer so weitermachen, mehr und mehr Geld verdienen, alles soll größer und größer werden, aber es kann so nicht weitergehen.“ George: „Wenn die Leute meinen, dass sie uns nicht mehr mögen, weil John etwas gesagt hat ...“ John: „Dann müssen wir sie los werden.“ George: „Uns sind Leute lieber, die uns mögen, anstatt so zu tun als ob, nur weil wir gerade schwer angesagt sind.“ Das vorletzte Konzert im Dodger Stadium in Los Angeles wird von Bob Eubanks veranstaltet, der dazu anmerkt: „Als die Beatles 1964 hier waren, waren McCartney und Harrison sehr nett. Im Jahr danach war McCartney sehr nett und im dritten Jahr waren sie alle sehr unangenehm. Ich habe es ihnen nachgesehen, weil sie sehr müde waren. Sie mochten ihre eigene Musik nicht mehr und sie mochten sich gegenseitig nicht mehr. Im dritten Jahr waren sie fertig miteinander.“ Das letzte Beatles-Konzert findet am 29. im in San Francisco statt. Die Begeisterung der Fans für die Beatles ist bei den Kids ungebrochen, aber es ist an diesem Abend sehr kühl, mit Wind und Nebel. Chris Hutchins: „Es war ein Publikum voller junger Mädchen. Sie wollten Paul oder Ringo sehen, weil die süß aussahen und wollten etwas von der neuen Platte hören. Aber sie spielten davon nichts, sondern nur das, was sie überall gespielt hatten.“ Auch die Prominenten, darunter , drängen sich in der Garderobe der Beatles. Tony Barrow: „Es herrschte eine Stimmung wie bei einer Jahresendfeier. Wir hatten das Gefühl, dass das das letzte Konzert der Beatles sein könnte. Paul sagte wie nebenbei: Hast du dein Tonbandgerät dabei? Klar, sagte ich. Dann nimm die ganze Show auf, sagte er.“ Aber es ist dann ein ganz normales Konzert geworden, Routine wie schon viele Male zuvor, außer dass die Beatles ein paar Witze machen und ein bisschen improvisieren. Das letzte Lied, das die Fab Four auf einer Bühne spielen, ist Long Tall Sally, eine Nummer von Little Richard. George: „Wir waren erleichtert, als das Konzert vorbei war. Vor einer der letzten Nummern stellten wir eine Kamera auf, die ein Weitwinkelobjektiv hatte. Wir stellten sie auf einen der Verstärker und Ringo kam her und wir posierten mit dem Rücken zum Publikum für ein Foto, weil wir wussten, dass das das letzte Konzert sein würde.“ Jim Marshall: „Der Ton war schlecht und die einzige Beleuchtung waren die Lichter im Baseball Stadium. Was Konzerte betrifft, spielten sie einfach ihre elf Nummern durch. Sie waren müde und enttäuscht, weil noch 10.000 Sitzplätze frei waren. Nach dem Konzert stiegen sie in ein gepanzertes Auto und waren weg. Das war's. Wir Journalisten liefen ihnen nach und fotografierten das Auto, mehr kriegten wir nicht vor die Linse. Sie fuhren direkt zum Flughafen und waren weg.“ Tony Barrow: „Als wir aus San Francisco abflogen, setzte sich George Harrison im Flugzeug in seinem Platz zurück, nahm einen Drink und sagte: Das war's. Das ist das Ende. Ich bin kein Beatle mehr.“ Zurück in London geht jeder Beatle seiner eigenen Wege. Sie haben voneinander genug, wollen sich erholen, überlegen sich, was nach den Beatles noch kommen soll. Die Tage der Beatlemania sind immer noch nicht ganz vorbei, doch die große Begeisterung ist abgeflaut. Andere Bands drängen in den Raum, den die Beatles bereitet haben. Gibt es die Beatles überhaupt noch? fragen die Medien. Privat gibt es nur wenig Kontakt. John: „Als wir nicht mehr auf Tournee gingen, war es mit uns immer ein bisschen ungeschickt im Umgang. Sollten wir gemeinsam zu Abend essen? Das war dann immer so gezwungen, dass keiner von uns mehr kommen wollte. Wenn man einen anderen oft Monate lang nicht sieht, wird man steif im Umgang miteinander und muss noch einmal ganz von vorne anfangen.“ Wer am stärksten unter dem Niedergang der Beatles leidet, ist Brian Epstein. Als sie ihn von ihrem Beschluss unterrichten, nicht mehr auftreten zu wollen, ist er am Boden zerstört. Hinzu kommt, dass Brian nach Tournee-Ende in Beverly Hills in Kalifornien auf der Straße ausgeraubt und niedergeschlagen wird. Danach wird er von dem Täter erpresst, was nur die Polizei klären kann. Nach London zurückgekehrt, unternimmt Brian Epstein Anfang September einen Selbstmordversuch. Nat Weiss: „Jeder wusste, dass er depressiv war, weil die Beatles keine Konzerte mehr geben wollten. Aber er war es auch, weil diese Sache in Beverly Hills passiert war. Er nahm eine Überdosis Tabletten, nachdem er einen Brief hinterlassen hatte, in dem stand, dass seine Freunde, Peter Brown, Geoffrey Ellis und ich sein Vermögen erben sollten. Glücklicherweise kam er rechtzeitig ins Krankenhaus. Ein paar Monate später hat er es wieder versucht, aber nur sehr halbherzig. Ich glaube, dass er das Selbstvertrauen verloren hatte. Er hat in dieser Zeit auch LSD genommen und es war schwierig, mit ihm zu arbeiten.“ John macht in dieser Zeit keine Musik. Er überlegt sich eine andere Karriere als Filmstar, weil man ihm mehrmals gesagt hat, dass er ein großartiger Schauspieler sei. John fliegt am 5. September nach Celle in Deutschland, um in einem Film von Richard Lester den Gefreiten Gripweed zu spielen. Der Film heißt Wie ich den Krieg gewann und ist eine Tragikomödie. Johns Familie, Cynthia und den kleinen Julian, ist bei den Dreharbeiten dabei. Cynthia: „Nach dem Film änderte sich sein Aussehen völlig. Seine schönen Locken wurden ihm abgeschnitten und er bekam diese hässliche runde Krankenkassenbrille. Er sah überhaupt nicht mehr wie ein Popstar aus. Aber ihm gefiel das.“ John damals: „Mein kurzer Haarschnitt? Man gewöhnt sich schnell daran.“ Am 16. September fahren John, Cynthia, Julian und Neil Aspinall nach Paris, wo sie Brian Epstein treffen. John: „Ich spazierte durch Paris, ging auf einen Flohmarkt und fuhr mit dem Bus und tat all das, was ich all die Jahre nicht tun konnte. Es war großartig! Ein paar Mal hat man mich erkannt, aber war sich unsicher.“ In den Hitparaden hat sich für die Beatles nicht viel geändert. Sie sind immer noch sehr erfolgreich. Revolver gelangt im September an die Spitze der US-Charts. Das Lied Yellow Submarine, gesungen von Ringo, kommt am 17. September auf den 2. Platz. Am 19. September geht die Reise der Familie Lennon weiter nach Spanien, wo in Almeria die Dreharbeiten zu fortgesetzt werden sollen. , der in dem Film mitspielt: „Almeria war schrecklich. Am Abend konnte man nichts unternehmen. John und ich hatten eine Wette laufen, wer als erstes den Nachtzug nach Madrid nehmen würde. Wir spielten am Abend Monopoly oder Risk, mehr konnte man dort nicht tun.“ Neil Aspinall: „Am Abend war es ruhig. Manchmal bereitete John seinen Text für den nächsten Tag vor. Aus Spaß haben wir manche Szenen auch umgeschrieben, was vielleicht keine gute Idee war, weil es ihn am nächsten Tag verwirrte, wenn er wieder vor die Kamera trat.“ Michael Crawford: „Das einzige, das mir an John auffiel, war, dass er Pommes mochte. Wir sprachen über alltägliche Dinge. Wir hatten auch nach dem Dreh unsere Uniformen an und er sagte zu mir Dinge wie: Ich fand das schrecklich, diese Szene heute, mit dem blutigen Sand, schrecklich! Und ich sagte: Ja, das stimmt. Der blutige Sand war schrecklich, John. Und er sah mich dann an und meinte: Oh Gott, mit so einem Typen teile ich mein Leben, oder: Cynthia, geh mit ihm in ein anderes Zimmer. Über sich selbst sagte er nichts. Er war rätselhaft. Er schrieb damals Strawberry Fields. Er saß in seinem Schlafzimmer und arbeitete an der Melodie mit seiner Gitarre. Ich hörte, wie er den gleichen Griff wieder und wieder spielte, bis er einen guten Anschluss gefunden hatte. Es war interessant, mitzuerleben, wie ein neues Lied entstand. Damals wusste ich noch nicht, was er machte, und wozu es gut war. Man sah ihn meistens am Strand sitzen oder auf dem Bett, das waren seine Orte, und er sang: Strawberry Fields Forever, na ja, weiß ich nicht. Und ich sagte: Das ist toll John, wirklich toll. Ich würde es so lassen. Es klang so gut. Er aber sagte: Ich weiß nicht, ich weiß nicht.“ John: „Ich war sechs Wochen in Almeria und hatte viel Zeit zum Nachdenken und zum allein sein und habe trotzdem gearbeitet und Strawberry Fields geschrieben und hatte Leute um mich herum.“ John vertraut einem Reporter an, dass er viel darüber nachdenkt, wie es sein wird, wenn es die Beatles nicht mehr gibt. Was er dann tun wird. Schauspieler wird er nicht werden, beschließt er. Richard Lester: „Nach ein paar Wochen auf dem Set sagte ich zu John: Warum genießt du es nicht? Du wolltest das doch, und du kannst es auch. Warum genießt du es nicht? Und er schaute zu mir hoch und sagte: Aber es ist doch ziemlich blöd, oder?“ John: „Es war langweilig. Ich fand es einfach langweilig. Ich konnte darin keine Erfüllung sehen.“ Ringo und Maureen besuchen John und Cynthia in Almeria, um Johns Geburtstag am 8. Oktober zu feiern. Es ist eine große Party, zu der alle eingeladen werden, die am Film beteiligt sind. Am folgenden Tag ziehen John und Cynthia in eine prächtige Villa. Der Strom ist allerdings ausgefallen und es dauert bis zum Nachmittag des nächsten Tages, bis sich die vier und Julian zu einem späten Frühstück mit Wurst und Ei hinsetzen können, die ein rasch herangeholter Koch zubereitet. Am 9. November 1966, zwei Tage nach seiner Rückkehr aus Spanien, trifft John das erste Mal Yoko Ono. Die sieben Jahre ältere japanische Künstlerin ist die Tochter eines Bankiers, der direkt von der kaiserlichen Familie abstammt. Yoko hat als kleines Mädchen in Japan eine Eliteschule besucht, lebte 1940 ein Jahr lang in New York und hat den Rest des Zweiten Weltkriegs dann in Tokio verbracht, wo sie die Bombardierungen und den Feuersturm vom 9. März 1945 miterlebte, danach aber mit anderen Kindern der kaiserlichen Familie nach Karuizawa in den Bergen gebracht wurde. Yoko selbst erzählt, dass sie damals nach dem Krieg bettelarm waren. Andere behaupten, dass ihre Mutter einen Teil ihres Reichtums retten und gegen Essen und Kleider eintauschen konnte. 1951 wird Yoko als erste Frau zum Philosophiestudium an der renommierten Gakushuin Universität zugelassen. Ihre Familie ist mittlerweile nach New York gezogen, und Yoko folgt ihnen 1952 nach, um am Sarah Lawrence College zu studieren. Während ihre Eltern nur in besten Kreisen verkehren, liebt Yoko Dichter und Musiker und hält sich zunehmend im , dem damaligen Künstlerviertel von New York, auf. Sie bewohnt in der Chambers Street eine Loft und möchte selbst Künstlerin werden. Sie veranstaltet Happenings. Einmal verbrennt sie live ein Bild. Der klassische Komponist John Cage, der einer ihrer besten Freunde werden wird, hat sie glücklicherweise beraten, wie man das pyrotechnisch sicher durchführen kann. John Cage ist einer der Begründer der Kunstströmung Fluxus. Gemeint ist damit ganz allgemein Kunst, die „strömt“. Die Kunstrichtung beginnt Ende der 1950er Jahre in New York und breitet sich in kurzer Zeit in andere Länder aus, darunter vor allem Japan und Deutschland, wo Joseph Beuys der bekannteste Vertreter werden wird. Fluxus vertritt Einfachheit im Gegensatz zu „komplizierter“ Kunst und eine Kunst zu ihrem eigenen Zweck im Gegensatz zu kommerzieller Kunst. Ein wesentliches Element dieser Kunstform sind so genannte Happenings, Kunstaktionen, bei denen Kunst durch den Künstler spontan und im Zusammenwirken mit dem Publikum entstehen soll. Yoko Ono ist mit dem Gründer des Fluxus, George Maciunas, eng befreundet und zählt, als sie John begegnet, bereits zu den renommiertesten Künstlerinnen des Fluxus – und der damaligen Avantgarde. Privat läuft es für Yoko nicht so gut. Sie heiratet im Jahr 1956 den Komponisten . Die Ehe ist unglücklich und führt 1962 zur Trennung. Yoko verfällt danach in eine Depression, unternimmt einen Selbstmordversuch und wird von ihrer Familie nach Japan geschickt und dort in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Im Krankenhaus sucht sie der New Yorker Jazzmusiker, Filmproduzent und Lebenskünstler auf, der ihr Bild in einem Kunstkatalog gesehen hat. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, und Yoko wird schwanger. Ihre Ehe mit Ichiyanagi wird geschieden und Yoko und Anthony heiraten, bevor die Tochter Koyko am 3. August 1963 geboren wird. Schon innerhalb weniger Wochen stellt sich heraus, dass Yoko und Anthony überhaupt nicht zusammenpassen. Privat trennen sie sich, beruflich aber arbeiten sie weiter zusammen. Einmal liegt Yoko in Tokio bei einer Performance auf einem Klavier, das John Cage spielt. Yokos erste große Arbeit, mit der sie internationales Aufsehen erregt, ist 1964 die Kunstaktion „Cut Piece“ im Sogetsu Art Center in Tokio, bei dem sie sich in einem Wickelkleid auf die Bühne hockt und dem Publikum die Aufforderung „Cut!“ gibt, worauf diese sie aus dem Kleid herausschneiden sollen, bis sie völlig nackt ist. Im gleichen Jahr erscheint ihr Buch „“, ein surreales Werk mit Handlungsanweisungen, die an die in Zen-Bücher erinnern. Unter der Überschrift „Ein Stück zum Versteckenspielen“ liest man da: „Verstecke dich, bis jeder nach Hause gegangen ist. Verstecke dich, bis dich jeder vergessen hat. Verstecke dich, bis jeder gestorben ist.“ Yoko benutzt das Buch als Vorlage für zahlreiche Performance Art Events, die ihr internationalen Ruhm bescheren. Von 1964 an macht Yoko auch Kurzfilme im Gefolge von , darunter im Jahr 1966 den Film Bottoms, ein Abfilmen von Gesäßteilen verschiedener Menschen. Die Zeit in Tokio gehört zu den kreativsten Schaffensperioden in Yokos Leben. Sie und Anthony einigen sich durch ihre beruflichen Aktivitäten bald darauf, dass er das Kind aufziehen wird, während sie sich ihrer künstlerischen Karriere widmet. Das geht bis in das Jahr 1969 gut, als sie längst mit John zusammen ist. Im Februar 1969 wird die Scheidung ausgesprochen, und Yoko und Anthony verwickeln sich in einen zunehmenden Konflikt über das Sorgerecht für Kyoko, der sich über viele Jahre hinziehen und Yokos Leben verschatten wird. Zwar gewinnt Yoko diesen Streit vor Gericht immer wieder und erhält das volle Sorgerecht zugesprochen, doch ihre Tochter wird sie erst Jahrzehnte später wiedersehen, da Anthony das Kind entführt und vor ihr versteckt. Diese seelische Verfasstheit von Yoko – beruflicher Erfolg und privates Unglück – sind die beherrschenden Elemente in ihrem Leben und prägen auch die ersten Jahre ihrer Beziehung zu John. Werden zur Belastung für ihre junge Liebe. Hinzu tritt, dass John ein großer Junge aus der Provinz ist, der einer weltläufigen New Yorkerin begegnet, die sieben Jahre älter ist als er und es schwer findet, ihn so richtig für voll zu nehmen. John hat in früheren Beziehungen den Macho gespielt und seine Frauen auch schon gern mal geschlagen. Mit Yoko muss er stattdessen reden, und sich ihren Ideen unterwerfen. Sie fordert auch, dass er sich als Künstler auf ihre Vorstellungen einlässt und mit ihr zusammenarbeitet, was sich negativ auf seine Kooperation mit den anderen Beatles auswirken wird. Aber die Beziehung hat auch viel Gutes für John, wird ihn letztendlich glücklich machen. Als sie sich treffen, ist John 26 und Yoko 33 Jahre alt. Sie wird für ihn zur mütterlichen Figur werden, die ihm anfangs die Flausen austreibt, die sein phänomenaler Erfolg schon bewirkt hat. Sie dringt durch seinen ständig bekifften, zwischen Alkoholexzessen und LSD-Trips gedämpften Verstand. Die letzten Jahre kannte John nur seine Arbeit. Yoko führt ihn aus der Isolation als Beatle und lässt ihn menschlich reifen. Kurz vor seinem Tod wird John deshalb in seinem Lied Woman79 auch singen: „Ich kann mein inneres Gefühl und meine Dankbarkeit kaum beschreiben. Du hast mir gezeigt, was Erfolg bedeutet. Ich liebe dich – jetzt und für immer.“ Im November 1966 veranstaltet Yoko eine Ausstellung ihrer Objekte in der in London. Der Galerist kennt John und lädt ihn zu einer privaten Führung ein. John hat von Yoko noch nie gehört. Yoko: „Damals habe ich nur an meine Arbeit gedacht, wollte überall den Namen Yoko verbreiten und ich war auch erfolgreich. Aber dann fühlte ich mich sehr einsam. Da dachte ich: Ich bin doch die Künstlerin, warum sollte ich mich mit einem Künstler umgeben? Ich brauche niemanden. Doch dann traf ich John.“ John: „Ich hörte, dass diese Frau eine Ausstellung macht und es dabei ein Happening geben würde. Eine Künstlergruppe genannt Destruction in Art Symposium hatte sie nach London eingeladen. Ich

79 http://www.youtube.com/watch?v=amU5f1YffLo war schon öfters in der Indica Gallery gewesen, um mir dort Dinge wie Takis anzusehen, diese glänzenden Lichter, die sich für ein Heidengeld verkauften. Ich dachte, es würde nichts Besonderes werden, aber der Eigentümer, John Dunbar, der mit Marianne Faithfull verheiratet war, hatte mir dieses Pamphlet geschickt oder mich angerufen, und hatte mir erzählt von diesem japanischen Mädchen aus New York, das einen Event oder ein Happening veranstalten würde. Es würden Leute in Säcken da sein und ich dachte: Gut, gut, großartig. Ich würde gern in einem Sack auftreten, zumindest, so lange sie mich nicht mit einem Fremden in einen Sack stecken. Es ist lustig, in einem Sack herumzulaufen, so als würde man sich ein Tuch über den Kopf ziehen und ein Kind sein. Also dachte ich mir, es würde Spaß machen, da zu sitzen und diese ganzen Leute zu sehen. Und es begann dann schon wirklich lustig. Ich hatte einen riesigen Fahrer und einen SS Cooper-Mini mit schwarzgetönten Fenstern. Ein langer Kerl macht mir also die Tür auf und ich gehe hinein.“ Yoko: „Ich war im Keller und bereitete die Show vor, bevor sie eröffnete.“ John hat von Fluxus noch nichts gehört und ist mit Avantgarde-Kunst wenig vertraut. John: „Niemand war da. Es gab da Nägel auf einem Ständer und einen Apfel auf einem Ständer, komisch, und andere merkwürdig aussehende Objekte. Fundstücke, die man weiß angemalt hat, mit kleinen Botschaften darauf. John Dunbar führte mich herum und ich schaute mich um. Wie viel kostet das? Hundert Pfund für einen Sack Nägel? Das muss ein Witz sein. Und der Apfel? Zweihundert Pfund? Ich dachte mir: Das ist eine Abzockerei hier, was zum Teufel soll das? Ich gehe hinunter und da laufen ein paar Assistenten herum und Dunbar versucht mir ein paar Sachen anzudrehen, weil der Beatles-Millionär da ist und stellt mich dann dieser merkwürdig aussehenden Japanerin vor.“ Die Befremdung ist auf beiden Seiten gegeben. Yoko hat schon von den Beatles gehört, aber kennt keines ihrer Lieder. Die Jugendkultur und Popmusik interessieren sie überhaupt nicht. Für sie ist dieser junge Mann, der in der Galerie herumläuft, vorerst einmal nichts anderes als ein interessanter junger Mann. Yoko: „Als ich ihn das erste Mal sah, wusste ich gar nicht, dass er John Lennon heißt. Ich kannte den Namen Beatles und ich hatte schon Ringo gehört, weil das leicht zu merken ist. Ich hatte keine Verbindung zum Pop oder der Popmusik.“ John: „Ich endete also nicht in einem Sack. Ich hatte eine Orgie erwartet, aber als wir uns trafen, war es sehr ruhig. Ich sagte: Also, wo ist denn das Happening, der Event? Sie gab mir eine kleine Karte, auf der Atmen stand. Ich atmete stark und fragte: Meinst du so? Und sie sagte: Ja, das ist es. Das ist gut. Ich wollte ein bisschen mehr und sehe diese Sache, die Hammer und Nagel heißt, ein Brett mit einer Kette und einem Hammer, der da runterhing und einen Haufen Nägel unten dran. Ich fragte: Also, kann ich da einen Nagel rein schlagen? Und sie sagte: Nein. Und John Dunbar nahm sie dann zur Seite und redete mit ihr und erzählte ihr, wer ich bin.“ Yoko: „Das war vor der Eröffnung der Show. Ich wollte nicht, dass irgendwer etwas berührt. Es war so weiß und schön und ein unberührtes Gemälde. Keiner hatte da einen Nagel hinein getrieben. Zumindest noch nicht.“ John: „Er führte sie in eine Ecke und sagte zu ihr: Das ist ein Millionär. Weißt du, wer das ist? Sie sagte nein. Dann kam sie herüber und sagte: Bitte fünf Shilling. Und ich darauf: Kann ich denn auch einen gedanklichen Nagel eingeschlagen? Und weil ich, wie die Queen, kein Geld bei mir hatte, fuhr ich fort: Ich gebe dir gedankliche fünf Shilling und schlage dann einen gedanklichen Nagel ein. Und sie meinte darauf: Das ist gut.“ Yoko: „Ich glaube nicht, dass John fünf Shilling bei sich hatte, weil er nie Geld bei sich hat. Ich dachte, gedankliche fünf Shilling, das ist eine wunderbare Idee. Meine ganzen Vorschriften für die Gemälde waren jetzt Vorstellungen geworden, also dachte ich, hier ist eine Person, die denkt wie ich.“ John: „Ich wollte mehr. Ich sah die Nägel und verstand den Witz. Vielleicht nicht bis ins Detail. Aber es gab mir ein warmes Gefühl. Ich wollte mehr. Dann sah ich diese Leiter, die hoch zu einem Gemälde führte, dass auf der Decke klebte, mit einer Lupe daran. Deshalb bin ich geblieben, und stieg auf die Leiter und nahm die Lupe, um zu lesen, was dort in winziger Schrift geschrieben stand. Man steht auf einer Leiter, kommt sich wie ein Idiot vor, weil man da jederzeit herunterfallen kann und schaut durch eine Lupe und liest das Wort Ja. Das war alles.“ Yoko: „Es war wie ein Zen-Treffen. Sehr komisch. Er stieg einfach auf die Leiter. Da gab es ein Stück, das hieß Plafond-Bild, und meine Idee war, dass Menschen diese lange, lange Leiter hoch klettern sollten, und wenn man dann an das Ende kam, sollte man sich das Bild ansehen. Aber die Indica Gallery war dafür nicht hoch genug. Das war das erste Stück, das er sah. Er sagte später: wenn da Nein drauf gestanden hätte, wäre ich gegangen. Aber Ja, das war eine Antwort für ihn.“ John: „Die Avantgarde zu dieser Zeit war negativ, dieser ganze Mist, wo man ein Klavier mit dem Hammer zerschlug, eine Skulptur zerbrach, alles langweilig und negativ. Aber das Ja ließ mich bleiben in dieser Galerie voller Äpfel und Nägel, anstatt rauszugehen und zu sagen, ich will diesen ganzen Mist nicht kaufen. Und das war der Moment, wo ich mich verliebt habe.“ Yoko: „Als wir einander trafen, konnten wir nicht erkennen, dass es irgendwelche Überschneidungen zwischen den Dingen gab, die wir taten. Nachdem er gegangen war, sagte ein Kunststudent zu mir: Ich glaube, das war John Lennon. Und ich fragte ihn, wer ist das? Er darauf: Kennst du die Beatles? Ja. Und er sagte: Das ist einer davon.“ John: „Es hat eine lange Zeit gedauert, bis wir zusammengekommen sind. Wir waren beide sehr schüchtern. Das nächste Mal trafen wird einander bei einer Claes-Oldenburg-Ausstellung, wo es eine Menge Objekte wie Cheeseburger aus Gummi und Abfall gab. Unsere Augen trafen sich. Aber es dauerte achtzehn Monate, bis wir zusammenkamen.“ Am 26. November fangen die Beatles nach zahlreichen Trennungsgerüchten mit einem neuen Album in den Abbey Road Studios an, das in den nachfolgenden Jahrzehnten von Musikkritikern immer wieder als das beste Album aller Zeiten bezeichnet werden wird. Vor Weihnachten nehmen die Beatles Strawberry Fields80, When I'm Sixty-Four81 und Penny Lane82 auf. Während Sixty-Four in den Film Yellow Submarine finden wird, zeigen die Filmaufnahmen zu Penny Lane und Strawberry Fields die neuen, privaten Beatles. Sie haben keine Pilzkopffrisuren mehr, tragen Bärte und wirken viel älter als noch vor einem Jahr. Während der Dreharbeiten zu Strawberry Fields Forever kauft John in Sevenoaks ein altes Zirkusplakat in einem Antiquariat, das die Inspiration für sein Lied Being For The Benefit Of Mr. Kite werden wird. Die Weihnachtssaison verläuft beschaulich. Am 18. Dezember hat ein Film mit dem Titel The Family Way Premiere, für den Paul die Musik geschrieben hat. John tritt noch ein letztes Mal zu Weihnachten als Schauspieler im Fernsehen auf. Die Sendung auf der BBC heißt Not Only ... But Also und ihre Stars sind Peter Cook und Dudley Moore. John spielt den Mann in der Garderobe.

80 http://www.youtube.com/watch?v=-7NoOhmVMac 81 http://www.youtube.com/watch?v=h3chFhCP5mQ 82 http://www.youtube.com/watch?v=_H6PdlJshCo 1967

Neil Aspinall zu Anfang des Jahres: „Man kann es so sagen, dass sie nicht mehr die Beatles sind. Sie treffen sich nur, wenn sie Aufnahmen machen wollen. Das ist eine Art intensives Hobby, wenn man darunter versteht, dass man damit kein Geld mehr verdienen möchte. Die Beatles sind heute vier sehr veränderte, vier unglaublich reiche Männer, die ihr eigenes Leben leben wollen.“ George Martin: „Sie konnten sich alles vornehmen, was sie wollten. Wenn sie eine Idee hatten, kamen sie zu mir und sagten: Wir wissen nicht genau, was wir wollen, aber wir werden es versuchen und dir Hinweise geben. Mein Job war es, in ihre Köpfe zu sehen und ihre Vorstellungen praktisch umzusetzen. Ich war bei Sergeant Pepper's Heart Club Band ganz stark beteiligt, aber ich gab ihnen keine Vorgaben mehr, sondern ganz im Gegenteil, versuchte ihre Anweisungen umzusetzen. Es war eine Partnerschaft. Pepper wuchs von selbst. Sie wussten nicht, was sie dabei machten und ich auch nicht, aber irgendwelche magischen Hände wussten es und haben es zu dem gemacht, was es geworden ist.“ Am 27. Januar 1967 unterzeichnen die Beatles einen Neunjahresvertrag mit EMI. Sie wollen von nun an vor allem Platten machen. Filmclips von Penny Lane und Strawberry Fields werden in der BBC-Sendung „Top Of The Pops“ gezeigt. In dieser Zeit beginnt seine Beatles-Biographie zu schreiben und ist erschrocken, was die Berühmtheit der Beatles für deren Familien bedeutet: „Während der ersten sechs Monate war ich in Liverpool unterwegs und sah ihre Eltern, Mimi und die anderen, die gerade aus ihren Häusern ausgezogen waren. Sie waren ans andere Ende des Flusses in neue, anspruchsvolle Häuser gezogen und wirkten darin völlig eingesperrt. Eine meiner stärksten Erinnerungen ist die an die Eltern der Beatles, die ihre alten Häuser verlassen hatten und in neuen Häusern lebten, in denen noch die Plastikverpackung auf den neuen Möbeln war. Sie konnten nicht mehr weggehen, weil sie auch von der Presse belagert wurden. Aus den Beatles waren Monstren geworden. Pete Best konnte man gar nicht erreichen, schon einmal, weil er die Beatles nicht mehr mochte, und auch wütend auf sein Schicksal war. Ich traf seine Mutter Mona in ihrem großen Haus, in dem sie den Casbah Club gehabt hatte und sie sagte: Pete wird mit dir nicht sprechen, oder mit wem auch sonst. Ich sagte: Aber das ist die offizielle Beatles-Biographie, aber sie lehnte ab und meinte: Die Beatles zahlen dich dafür und wollen, dass du alles aus ihrer Sicht schreibst. Nein, sagte ich, ich möchte von Pete hören, was wirklich passiert ist. Da stellte sich heraus, dass er die ganze Zeit im Haus gewesen war, im Nebenzimmer, und uns zugehört hatte. Er kam gerade von der Nachtschicht, wo er für 2 Pence die Stunde Brötchen geschnitten hatte. Er war sehr nett, setzte sich hin und erzählte seine Geschichte. Tante Mimi war anders. Sie war aus Liverpool weggezogen und lebte jetzt in Bournemouth in einem sehr schönen Haus. Es war ein schöner Tag, als ich sie interviewte, wir saßen draußen und schauten auf das Meer, und es fuhr gerade ein Boot vorbei und man hörte einen Mann mit Lautsprecher erklären: Und dort drüben ist Tante Mimi von John Lennon! Sie erklärte mir, dass sie aus Liverpool weggezogen war, weil Leute in ihrem Vorgarten schliefen. Einmal brachen Mädchen in ihr Haus ein und durchwühlten ihre Nähkiste nach Fäden und Knöpfen, die einmal John gehört hatten.“ Das neue Album der Beatles wird also Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band heißen. Am 10. Februar nehmen die Beatles A Day In The Life83 auf. Dabei brauchen sie für die Toncollage am Ende des Lieds 40 Orchestermusiker, was in der Popwelt noch nicht vorgekommen ist. Der wichtigste Beitrag von John auf dem Album ist Strawberry Fields84. George Martin: „Strawberry Fields war Ausdruck einer tiefen Veränderung im Leben der Jungs. Damit begann die Pepper-Episode und das einfallsreiche Komponieren, das manche Leute als psychedelisch bezeichnen. Für mich sind es Tongedichte, eher ein moderner Debussy oder Ravel. Die Ideen der Beatles wurden blumiger, aber auch sehr reichhaltig. Für mich ist Strawberry Fields ein großartiges Lied, eines der besten, das sie gemacht haben. Penny Lane85 hat Paul allein

83 http://www.youtube.com/watch?v=bBJj10rYmdg 84 http://www.youtube.com/watch?v=8A4r2RU1u3g 85 http://www.youtube.com/watch?v=_H6PdlJshCo komponiert und Strawberry Fields war nur John. An diesen Liedern kann man deutlich sehen, was die beiden ausmacht.“ John: „Strawberry Fields ist ein wirklicher Platz, ein schöner Name. Nachdem ich aus der Penny Lane weggezogen war, lebte ich mit meiner Tante in einer schönen Doppelhaushälfte mit einem kleinen Garten und Ärzten und Anwälten in der Gegend, gar nicht so armselig und bemitleidenswert, wie das die Beatles-Geschichten erzählten. In der Nähe war Strawberry Fields, ein Haus oberhalb der Schule, die ich mit Freunden wie Nigel und Pete besuchte. Wir gingen dort hin und verkauften Limonade für einen Penny. Es war schön dort. Im Lied ist es ein Symbol für Liverpool, über das wir schrieben. Ich sammelte hübsch klingende Namen wie Strawberry Fields, Penny Lane und Cast Iron Shore, die gut klangen. Strawberry Fields ist jeder Ort, den man gerne aufsucht. Es ist ein Lied über mich oder jeden, der so denkt wie ich. Es ist ziemlich einfach. Manches finde ich immer noch klasse. Zu leben ist einfach ... und alles falsch zu verstehen, was man sieht. Das wachsende Bewusstsein, das ich immer schon gehabt habe, schon im Kindergarten. Ich war anders als die anderen. Und bin das mein ganzes Leben lang gewesen. Im zweiten Vers heißt es: Niemand anders ist auf meinem Baum. Ich war einfach zu schlau und habe mich selbst angezweifelt. Ich hatte viel Angst als Kind, weil weder meine Tante oder meine Freunde oder sonst jemand sehen konnte, was ich machte. Ich las Oscar Wilde oder Dylan Thomas oder über Vincent van Gogh, Bücher, die meine Tante hatte und in denen man lesen konnte, wie viel sie gelitten hatten wegen ihrer Visionen. Sie waren einsam gewesen.“ George Martin: „Bei den Aufnahmen zu Strawberry Fields hatte John keine klaren Ideen, deswegen musste ich mir Gedanken darüber machen, was er wollte. Ich setzte hier ein Orchester und da Sound-Effekte ein. In der frühen Zeit waren die Lieder einfach gewesen und man musste wenig daran ändern. Jetzt wurden Klanggemälde erzeugt. Beim ersten Mal nahmen wir das Lied mit den Jungs auf und John ging dann fort und hörte es sich an und kam zurück und meinte: Ich bin nicht zufrieden damit. Es ist nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, als ich es schrieb. Ich möchte es anders machen. Ich sagte: Aber John, es ist jetzt schwerer geworden als damals, als du es mir auf der akustischen Gitarre vorgespielt hast, aber ich wollte es mehr fließen lassen. Und er: Das ist der Punkt. Ich möchte es weicher. Kannst du mir eine neue Orchesterbegleitung schreiben? Und ich: Wie soll die aussehen? - Streicher und ein paar Bläser. Also schrieb ich ein paar Cellos hinein und Trompeten und andere Dinge und wir machten eine neue Aufnahme. Er ging weg und kam zurück und sagte: Es ist viel besser, viel viel besser, aber immer noch nicht richtig. Ich fand, dass die ursprüngliche Aufnahme besser gewesen war, und es ist schade, dass man nicht beide veröffentlicht hat.“ Die endgültige Version hat dann Stücke von beiden Aufnahmen. John: „Ist Ihnen aufgefallen, dass meine Stimme im zweiten Vers ganz anders klingt? Es sind zwei verschiedene Stücke, die wir zusammengeklebt haben. Manchmal ging es so bei einem Lied, das mir sehr wichtig war, dass wir so hart daran arbeiteten, dass wir es kaputt gemacht haben. Es gab so viele Versionen davon, weil es so schwer aufzunehmen war. Weil eine davon zu schnell war, mussten wir sie langsamer machen, weshalb meine Stimme gar nicht mehr wie meine klingt.“ George Martin: „John sagte zu mir, wenn wir eines an den Beginn setzen und das andere an den Schluss, wäre das toll. Ich hörte mir die beiden Teile an und sagte: Die beiden sind verschieden schnell und in einer verschiedenen Tonart, aber sonst ist es kein Problem, das zusammenzuschneiden. Und er schaute mich an und lächelte und meinte: Ich bin sicher, du kommst damit zurecht. Das war eine große Herausforderung für mich, aber durch die Verlangsamung von einem Teil ging es zusammen.“ Am Ende des Lieds sagt John „Cranberry Sauce“ - Preiselbeersaft – was vage so klingt wie: „I buried Paul“ - ich habe Paul beerdigt. Paul, dem diese Zeile sehr zugesetzt hat: „Das war Johns Humor. Wenn man darauf nicht vorbereitet ist, glaubt man etwas zu hören, was nicht da ist.“ Auch Yoko begreift langsam, mit wem sie es hier zu tun hat. Sie erkennt Johns Genie: „Ich war auf einer Cocktail-Party und ein Kunstkritiker sagte zu mir: Hören Sie sich das an, und er legte Strawberry Fields auf und fragte: Können Sie sich vorstellen, dass die Popmusik so enden kann? Und ich dachte: Wow! Selbst heute bin ich ganz gerührt, wenn dieses Lied gespielt wird. Es war das erste Beatles-Lied überhaupt, das ich hörte.“ Die ursprünglichen Fans gehen diese neue musikalische Entwicklung der Beatles nur zum Teil mit. Menschen auf der Straße in Liverpool werden gefragt, was sie von der neuen Single der Beatles halten, und Feuerwehrleute der Allerton Road sagen: „Es ist Mist. Sie singen nur mehr Mist. Ist doch wahr!“ Die Männer sind auch sauer, weil sie in dem Lied Penny Lane einen Kollegen zu erkennen glauben. John: „In unserer Frühzeit hörten wir Dinge wie Elvis, der am Ende von Baby, Let's Play House einfach lacht, wahrscheinlich, weil es ein guter Tag für Aufnahmen war und er an etwas Komisches dachte. Man hörte verrückte Dinge in Hound Dog, von denen wir nicht wussten, ob sie da waren oder wir uns das nur einbildeten. In der Zeit von Pepper fingen wir damit an, kleine Botschaften auf unseren Platten zu verstecken, die Menschen aufmerksam machen würden.“ Am 28. Februar um acht Uhr abends beginnen die Beatles mit Aufnahmen zu dem Lied Lucy In The Sky With Diamonds86, das später zu den Highlights des Zeichentrickfilms Yellow Submarine zählen wird. Der amerikanische Journalist Thomas Thompson hält die Vorgänge für die Nachwelt fest: „Die Aufnahmesitzung beginnt. Ganz locker. Paul setzt sich ans Klavier und spielt ein paar Akkorde. John sieht einen Gedichtband auf dem Klavier und beginnt darin zu lesen. Ringo, entweder, weil er Hunger hat oder ihm langweilig ist, geht in ein Eck und beginnt einen Teller Kartoffelbrei mit Bohnen hineinzuschlingen, die ein Assistent zubereitet hat. George zeigt seinen neuen großen schwarzen Mantel, den er in einem Gebrauchtwarenladen in Chelsea erstanden hat. Der hat wohl einmal einem Chefkellner gehört, meint er. George Martin sitzt an einem Klavier. Paul und John erklären ihm, dass sie heute ein Lied geschrieben haben, dass sie jetzt aufnehmen wollen. Gut, lasst es hören, sagt Martin. Paul schlägt ein paar starke Akkorde an und John singt im Falsett die Melodie, ein halbes Dutzend mal, während Martin nickt und sich Notizen macht. John singt: Stell dir vor, du sitzt in einem Boot auf dem Fluss, wieder und wieder, während George Harrison sich eine Gitarrenbegleitung sucht und Ringo, der gerade Orangensaft trinkt, einen Rhythmus dazu schlägt. Schon ist es Mitternacht, vier Stunden später. Lucy In The Sky With Diamonds klingt immer noch schrecklich. George Martin meint zu mir: Wir sind immer noch Lichtjahre von einer konkreten Sache weg. Sie wissen, dass das Lied noch nichts taugt, und versuchen es zu verbessern. Das kann eine Woche dauern, wenn überhaupt! Immer wieder fällt ihnen etwas Neues ein, etwas, das mir nie in den Kopf kommen würde. Sie faszinieren mich immer wieder. Gegen zwei Uhr morgens beginnt das Lied Gestalt anzunehmen. Paul hat einen Rhythmuswechsel vorgeschlagen, John gestaltet den Text neu, George hat eine neue Gitarre, auf der er herumexperimentiert und Ringo hat jetzt Bürsten in die Hand genommen. Sie fragen nach einem Playback, und in der Pause möchte ich von Paul wissen, ob er nicht Angst hat, dass die Fans der Beatles ihnen nicht auf dem Marsch in das Weltall folgen werden und er sagt: Klar, wir werden einige Fans verlieren. Wir haben sie schon in Liverpool verloren, als wir unsere Lederjacken ausgezogen haben und in Anzüge geschlüpft sind. Aber man kann nicht stehen bleiben. Wir haben immer schon gesagt, dass wir uns nicht vorstellen können, 30 Jahre alte Beatles zu sein. Bald werden wir es aber sein und wir haben jetzt einen Punkt erreicht, wo es keine Grenzen mehr gibt.“ George Martin: „Während wir Pepper aufnahmen, fragten mich die Leute: Wie geht es so? Und ich sagte: Es läuft. Aber, ich muss gestehen, dass ich, je länger es dauerte, und je ungewöhnlicher es wurde, es langsam mit der Angst zu tun bekam. Gingen wir zu weit? Würde das Album als selbstverliebt empfunden werden? Ich fragte mich: Ist das Publikum dafür bereit?“ Von diesen Sorgen unbeeindruckt bleibt eigentlich nur einer. Ringo: „Woran ich mich bei Sgt. Peppers vor allem erinnern kann, ist, dass ich da Schach spielen gelernt habe.“ Lucy In The Sky With Diamonds ist ein eindrucksvolles Bild, das Johns Sohn Julian in der Schule gemalt hat, das Gesicht einer Schulkameradin in einem Himmel voller Sterne. Cynthia Lennon: „Ich erinnere mich daran, wie er aus der Schule nach Hause kam und es seinem Vater zeigte, der auf der Couch saß. Damals sagte John nicht: Toll, was für ein großartiger Titel für ein Lied, aber ich merkte, dass es in ihm arbeitete.“

86 http://www.youtube.com/watch?v=A7F2X3rSSCU John: „Als das Album herausgekommen war, fiel jemandem auf, dass die Initialen LSD lauteten, aber ich hatte das gar nicht bemerkt. Von da an achtete ich bei jedem Lied auf die Initialen, aber es gab sonst kein Lied mit einer bedrohlichen Botschaft. Es hat nicht von LSD gehandelt, aber keiner hat mir das geglaubt.“ Am 21. März spielen die Beatles Getting Better87 ein, als John merkt, dass er versehentlich LSD genommen hat. Er ist zu spät ins Studio gekommen, und als Paul schon singt: Ich gebe zu, es wird jetzt besser, kommt John gerade rein und singt dazu: Schlechter kann es nicht mehr werden. Die Studios in der Abbey Road sind von Fans umlagert, also kann George Martin John nur frische Luft verschaffen, indem er John, der sichtlich geschwächt ist, auf das Dach des Studios führt. John: „Ich hatte eigentlich Aufputschmittel nehmen wollen, aber hatte dann plötzlich vor dem Mikro Angst bekommen. Ich dachte, ich werde krank, und dann, dass ich durchdrehe. Ich sagte: Ich muss ein bisschen frische Luft schnappen. George Martin sah mich komisch an und dann kam es mir, dass ich wohl LSD genommen hatte. Ich sagte: Also, ich kann jetzt nicht mehr. Ihr spielt weiter und ich schaue euch zu.“ : „George Martin führte ihn hoch aufs Dach und ließ ihn dort, weil er glaubte, dass ihm einfach schlecht geworden war. Als die anderen das mitkriegten, ließen sie alles fallen und liefen hoch, um John zu retten, denn es gab dort oben keine Geländer und nichts und das Gebäude war über zehn Meter hoch.“ Das Lied ist aber auch inhaltlich für John sehr schwer zu verkraften, da er sich darin mit seiner eigenen Gewalttätigkeit konfrontiert. Viele Jahre später, kurz vor seinem Tod, sagt John im September 1980: „Es ist eine Art Tagebuch: Ich war gemein zu meiner Frau, ich habe sie geschlagen und habe sie daran gehindert, das zu tun, was sie wollte. Es war ein Lied über mich. Ich habe Cyn gemein behandelt, und seelisch gesehen, jede Frau. Ich war ein Schläger! Ich konnte meine Gefühle nicht ausdrücken und habe geschlagen. Ich habe mit Männern gerauft und Frauen, die heiß waren. Das ist auch der Grund, warum ich immer über Frieden gesprochen habe. Es sind die gewalttätigsten Leute, die über Liebe und Frieden reden. Man will immer das Gegenteil von dem, was man ist. Aber ich glaube ernsthaft an den Frieden und an die Liebe. Ich bin ein brutaler Mensch, der gelernt hat, seine Brutalität nicht auszuleben und zu bedauern, dass er brutal gewesen war. Ich muss noch viel älter werden, bevor ich damit umgehen kann, wie ich als junger Mann Frauen behandelt habe.“ Die neue Single Strawberry Fields/Penny Lane, die in England nur Platz 2 erreicht hat, ist auch in Amerika kein Spitzenreiter. Strawberry Fields Forever steigt im April in Amerika auf Platz 8 der Hitparade und beginnt dann wieder zu sinken. Trotzdem kann EMI im Mai bekannt geben, dass mittlerweile mehr 200 Millionen Platten der Beatles weltweit verkauft worden sind. Am 18. Mai 1967 gehen die Beatles mit den Rolling Stones ins Studio und singen im Hintergrund von We Love You. John verbringt mit ihrem Leadgitarristen, Keith Richards, viel Zeit. Keith Richards: „Eine wilde Geschichte aus der Zeit war ein LSD-getriebener Ausflug mit John Lennon. Es war eine extreme Zeit, so dass ich nur mehr wenig davon erzählen kann. Ich glaube, wir kurvten in der Gegend von Torquay und Lyme Regis herum über einen Zeitraum von zwei, drei Tagen, mit einem Chauffeur. Johnny und ich waren so weggetreten, dass wir Jahre später in New York uns gegenseitig fragten: Was war eigentlich los damals, auf diesem Trip? Kari Ann Moller war dabei, süßes Mädchen. Sie erinnert sich anders als ich daran, aber sie weiß noch mehr davon. Uns war damals nicht klar, dass wir zu hart arbeiteten. Wir haben erst später gemerkt, dass man auch mal Pause machen kann. Einmal drei Tage frei zu haben war so ungewöhnlich für uns, dass wir total durchdrehten. Kari Ann sagt, dass kein Chauffeur dabei war. Wir waren in einem engen Zweitürer unterwegs mit noch einer Person, vielleicht war das der Fahrer. Wir begannen in Dolly's und fuhren dann mehrmals durch den Hyde Park, weil wir nicht wussten, wohin. Dann ging es zu Johns Haus auf dem Land, sagt Kari, und sagten Hi zu Cynthia und dann wollte Kari ihre Mutter in Lyme Regis besuchen. Die wird sich gefreut haben, von ein paar LSD-Spinnern aufgesucht zu werden, die schon ein paar Nächte lang nicht geschlafen hatten. Wir kamen dort im Morgengrauen an, stoppten in einem Truckercafé. Man erkannte John dort. Kari sagte: In dem Zustand können wir

87 http://www.youtube.com/watch?v=gP4apO4dbhw meine Mutter nicht besuchen. Danach fehlen ein paar Stunden. Es gab Palmen, also müssen wir eine Weile in Torquay an der Promenade gesessen haben, in unsere kleine Welt eingesponnen. Alle waren heilfroh, dass wir es wieder nach Hause geschafft hatten. John wollte immer mehr und mehr Drogen nehmen, konnte nicht aufhören.Weit mehr als ich. Er hatte riesige Tüten mit Gras, Haschisch und LSD dabei. Ich hatte Respekt vor LSD, dafür brauchte man die richtige Umgebung, um sicher zu sein, aber er ging damit ganz locker um. Ich mochte John sehr. Er hatte seine Eigenarten.. Ich fragte ihn: Warum trägst du deine Gitarre so hoch? Er konnte sich kaum bewegen, so eng war die, als würde er Handschellen tragen. Du trägst deine Gitarre am Kinn, aber sie ist keine Geige! In Liverpool machten die das so, denke ich. Ich zog ihn damit auf, kauf dir einen längeren Riemen, und so weiter, und siehe da, beim nächsten Mal trug er sie schon ein bisschen tiefer. Er konnte sehr direkt sein. Über mein Solo in It's All Over Now sagte er, das ist Scheiße. Vielleicht war er an dem Tag ja falsch aufgestanden. Aber dass er überhaupt davon sprach, gefiel mir, weil es zeigte ja, dass er Interesse dafür hatte. Das er sich Gedanken machte. Er war so offen. Bei jedem anderen wäre das peinlich gewesen. Aber er hatte diese Ehrlichkeit in seinen Augen, die einen für ihn eingenommen hat. Er hatte auch diese Intensität. Er war einmalig.“ Am 19. Mai gründen die Beatles eine Gesellschaft mit dem Titel Beatles and Co., die später Apple Music Limited heißen wird und ab 12. Januar 1968 Limited. Am 20. Mai gibt die BBC bekannt, dass sie A Day In The Life im Radio nicht spielen wird, da zu befürchten sei, damit Drogenkonsum zu fördern. Am 8. Juni 1967 kommt die neue LP Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band auf Platz 1 der Hitparade. Die Produktionskosten haben mehr als 25,000 Pfund betragen, und die Beatles waren 700 Stunden lang für Aufnahmen im Studio. Sie haben mit diesem Album einen neuen Standard gesetzt, der die Arbeit vieler anderer Künstler anregt und vielfach als Messlatte an Kreativität empfunden wird. Später wird es heißen, diese Platte sei der Höhepunkt des Schaffens der Beatles gewesen. Es ist auch das erste Album der Beatles, das weltweit unter dem selben Namen und dem selben Design vertrieben wird. Das Album steckt voll von Hits. Einer der ergreifendsten Balladen ist She's Leaving Home88. George Martin: „Es ist fast eine kleine Oper und einer der am besten konstruierten Lieder, die sie gemacht haben. Der Text ist wunderbar ausdrucksvoll. Ich staune heute noch darüber, dass sie in ihrem Alter diesen Konflikt zwischen Jung und Alt so gut beschreiben konnten.“ Paul: „John und ich haben das Lied gemeinsam geschrieben. Es war mein Einfall. Es gab damals eine Geschichte in der Zeitung von einem jungen Mädchen, das zu Hause verschwunden und seither nicht mehr gefunden worden war. Der Text stammt zu einem großen Teil von mir. John hat den Chor hinzugefügt.“ George Martin: „John hatte die Idee, auch die alten Leute sprechen zu lassen, und sich Fragen zu stellen, was sie falsch gemacht hatten. Es war zweifelsohne Pauls Idee, aber die wurde erst wirklich interessant, als John den Chor der Alten antworten ließ.“ In dem Lied von John, Being For The Benefit Of Mr. Kite89, findet sich eine Anspielung auf , das bald Johns Leben verändern wird. John: „Alles in dem Lied ist von dem Zirkusplakat, außer der Name des Pferdes, das Henry hieß. Das hatte aber nichts mit Heroin zu tun. Bis dorthin kannte ich Heroin noch gar nicht.“ Auf dem Album findet sich von George auch Within You Without You90, das John überaus schätzen wird. John: „Es ist das beste Lied von George und eines meiner liebsten Lieder überhaupt. Ich mag das Arrangement, den Klang und den Text. Er ist sehr klar in dem Lied. Man kann hören, wie klar sein Verstand ist und die Musik. In diesem Lied kommt auch sein besonderes Talent zum Vorschein. George hat die indische Musik nach Europa gebracht und das Lied ist ein gutes Beispiel dafür.“ Das vielleicht beliebteste Lied When I'm Sixty-Four von Paul ist übrigens weit älter, als die Fans vermuten. John: „Paul hat es schon geschrieben, als wir im Cavern spielten. Wir haben nur mehr einige Wörter

88 http://www.youtube.com/watch?v=-lG3nXyI41M 89 http://www.youtube.com/watch?v=Khsn-nXBxs0&feature=related 90 http://www.youtube.com/watch?v=ljnv3KGtcyI&feature=related hinzugefügt wie Granny on your knee und Vera, Chuck and Dave. Es war ein halbes Lied gewesen, aber wir hatten es immer schon gemocht. Wir spielten es im Cavern, wenn die Verstärker ausgefallen waren.“ Paul: „Ich hatte das Lied schon geschrieben, als ich 16 war.“ Zu Good Morning, Good Morning91 bemerkt John, dass es schnell geschrieben war und sich auf eine Werbung für Cornflakes bezog, die er im Radio gehört hatte. Cynthia Lennon: „Wenn er zu Hause war, lag er meistens im Bett und hatte seine Kladde dabei. Wenn er aufgestanden war, saß er am Klavier oder er ging von einem Raum in den nächsten, hörte Musik oder schaute fern oder las Zeitungen. Um alles andere kümmerte er sich nicht.“ Paul: „Es war sein langweiliges Leben damals. In dem Lied kommt Nothing To Do vor und Meet The Wife, letzteres war der Titel einer Sendung, die am Nachmittag im Fernsehen kam.“ Beatles-Fans haben nachgeforscht, wann John dieses Lied geschrieben hat und kommen auf den 12. Dezember 1966, da die Textzeilen „Die Leute laufen herum, es ist fünf Uhr, überall in der Stadt ist es dunkel, jeder steckt voller Leben, es ist Zeit für eine Tasse Tee und Meet The Wife“ darauf hinweisen. Der Höhepunkt des Albums ist aber Johns A Day In The Life92. George Martin: „John nahm seine Anregungen immer aus dem Alltag, und an dem Tag war in der Daily Mail ein Bericht über einen Stadtrat in Blackburn, , der gesagt hatte, es gäbe 4000 Löcher im Straßenasphalt in der Gegend. John fand das komisch und ich auch. Also übernahm er es in den Text. So unschuldig ist das, und so brillant. Die Leute sagen, dass sich das auf die Einstichstellen im Arm bei Heroinsüchtigen bezieht, aber das ist Quatsch.“ John: „A Day In The Life, das war was. Ich mochte es. Es war eine gute Zusammenarbeit zwischen Paul und mir. Ich sang über die Zeitungslektüre, und das hat Paul angetörnt. Wir mussten es proben, was wir nicht häufig taten, und wussten genau, was in dem Lied kommt. Paul sang die eine Hälfte und ich sang die andere Hälfte. Es ging alles sehr flüssig, ohne Schwierigkeiten.“ George Martin: „Went upstairs and had a smoke von Paul war ein Hinweis auf Marihuana. Die Beatles haben in meiner Gegenwart nie Pot geraucht, sondern gingen in die Kantine, und Mal Evans stand Wache, während sie einen Joint durchzogen. Sie haben das Lied getrennt geschrieben, John hatte die Idee und sagte dann: Ich weiß nicht, wie ich hier weiter mache. Und Paul meinte: Also, ich habe da ein Lied, an dem ich gearbeitet habe, was hältst du von dem? Und das wurde dann der Mittelteil. Es war auch Pauls Idee, zwischendurch Platz zu lassen. Mal Evans hat die Takte ausgezählt, und wer scharfe Ohren hat, kann ihn im Hintergrund hören. Einmal ging ich aus dem Studio, und als ich zurück kam, hatte jeder komische Hüte auf und Karnevalsbekleidung, das ganze 41-Mann-Orchester, es war wirklich sehr lustig.“ Die Klangkaskade, die sich am Ende von Johns Teil hochschraubt, sollte an einen Orgasmus erinnern. George Martin: „John sagte: Es soll ein musikalischer Orgasmus sein. Es soll sich aus dem Nichts aufbauen und immer mehr an Spannung zunehmen und dann zu dem überwältigendsten Klang werden, denn man jemals gehört hat. Also habe ich den Score so geschrieben, dass der Ton, den sie spielten, auf jedem Instrument der tiefstmöglichste war, und das mündete dann im höchsten Ton, den die Instrumente in E-Dur herauskriegten. Am Ende von Pepper waren alle in Hochstimmung, und da verfielen wir auf die Idee, ganz an das Ende noch ein Geräusch zu legen, so dass die Leute sagen würden: Was zum Teufel ist das denn? Die vier gingen ins Studio und begannen herumzuschreien und Blödsinn zu reden auf eine chaotische Art und ich nahm dreißig Sekunden davon auf und baute eine kleine Schleife auf der Innenseite der LP. Das war noch nie gemacht worden und die Ingenieure von EMI erklärten mich für verrückt, als ich ihnen die Idee präsentierte. Als die Platte dann heraus war, drehten die Leute sie verkehrt herum und wenn man sie so spielte, konnte man ein obszönes Wort hören, und Paul kam zu mir und sagte, hast du das gehört? Und tatsächlich, es klang so.“ Paul: „Es war: We fuck you like supermen. Einige Fans hörten das auch und klingelten an der Tür

91 http://www.youtube.com/watch?v=tqmid9MlFSw 92 http://www.youtube.com/watch?v=wklSXNPtiPA&feature=related und fragten: Ist das auch wirklich wahr?“ Obwohl das Album von Anfang an auf Platz 1 der Hitparade schießt und schon zwei Tage nach der Veröffentlichung Jimi Hendrix den Titelsong in einem Club vorträgt93, sind die ersten Reaktionen der Kritiker auf das Album nicht positiv. In der Daily Mail steht: „Was ist denn bloß mit den Beatles passiert? Es ist jetzt vier Jahre her, seitdem sie aufgetaucht sind und seither haben sie sich völlig verändert. Sie begannen als Arbeiterhelden, waren der Nachbar, den jeder wollte, mit dem sich die Leute identifizieren konnten. Vier Jahre später grenzen sie sich ab, nicht nur persönlich, sondern auch musikalisch, sind nachdenklich und geheimnistuerisch geworden, grenzen sich ab und aus ...“ Am 25. Juni spielen die Beatles Live in den Studios in der Abbey Road in einer weltweit ausgestrahlten Sendung mit dem Titel „Our World“. Es ist die erste globale Fernsehausstrahlung überhaupt und man schätzt, dass weltweit 400 Millionen Menschen zusehen. Das Lied ist als europäischer Kulturträger angelegt. Die Brandenburg Konzerte von Bach, die Marseillaise und Greensleeves klingen an, aber auch She Loves You von den Beatles. George Martin mischt auch ein Segment von In The Mood von Glenn Miller darunter und wird später dafür von den Rechteinhabern verklagt. All You Need Is Love94 heißt das Werk und es ist eine Hymne an die Liebe. Neben den Beatles und 13 Studiomusikern sich auch Mick Jagger, Keith Richards, Marianne Faithfull, , , Jane Asher, die Walker Brothers und Pauls Bruder Mike McGear dabei. Die Single setzt sich am 22. Juni an die Spitze der englischen Hitparade. Im Juli machen die Beatles in diesem Jahr gemeinsam Urlaub in Griechenland. Es heißt, dass sie dort die Insel Leslo kaufen wollen. In einem kleinen Dorf namens Araxhova, 100 km von Athen, kaufen sie traditionelle Musikinstrumente. Nach ihrer Rückkehr lernt John Alexis Mardas kennen, einen Elektrotechniker aus Griechenland. John Dunbar, der Leiter der Galerie, in der John Yoko kennen gelernt hat, ist begeistert von dem jungen Man, der bald nur mehr „“ genannt wird. Er ist blond und sieht wie ein Engel aus und hat alle möglichen elektronischen Spielzeuge erfunden. Cynthia Lennon: „John war völlig von der Rolle durch diesen Magic Alex. John hatte keine Ahnung, was man mit Elektrizität so alles machen kann und glaubte, dass Alex wirklich magische Fähigkeiten hätte. Alex wurde für die Beatles in dieser Zeit sehr wichtig.“ Im August fliegen George und Patti nach San Francisco. Es ist zum Mekka der geworden, die ein freies Leben und freie Liebe propagieren und George möchte sehen, wie es in der Blumenstadt zugeht. Er kehrt von den Aussteigern enttäuscht zurück. Ausschlaggebend war die Trägheit der Hippies, die betteln und kiffen und ihn, kaum dass sie seiner ansichtig werden, deshalb, weil er ein Beatle ist, zu ihrem Anführer machen wollen. George ist ein Suchender, kein Messias. In diesem Sommer wird er sich intensiv der indischen Mystik zuwenden. Den Startschuss dafür bildet ein Treffen mit dem indischen . Am 24. August nehmen John, Paul und George mit ihren Partnerinnen an einer Lesung des 56jährigen indischen Gurus im Hilton Hotel in London teil. Cynthia Lennon: „Magic Alex wollte uns immer beeindrucken und diesmal gehörte dazu, dass er uns mit der Meditation vertraut machte. Der Maharishi Mahesh Yogi war gerade in London, um seine eigene Form davon, die transzendentelle Meditation, zu lehren. Alex hatte davon gehört und den Beatles vorgeschlagen, dorthin zu gehen.“ John: „Er machte diesen Vortrag und wir fuhren ins Hilton und dachten: Ein netter Mann, und das war es, was wir wollten, wonach jeder suchte. Wir trafen ihn und es war gut. Er hatte etwas Gutes in sich und wir sind dem gefolgt.“ Pete Shotton, der Jugendfreund von John: „John war sehr enthusiastisch, was uns alle mitgerissen hat. Er hat eine große Anzahl von Freunden dorthin mitgenommen und jeder von uns bekam im Austausch gegen ein sauberes Taschentuch, drei Früchte und eine Woche Gehalt ein Mantra vom Maharishi. Für mich waren das 25 Pfund, aber für die anderen weit mehr. Cynthia und die drei Beatles waren da, Mick Jagger, seine Freundin Marianne Faithfull, meine Frau Beth, ich selbst, und Yoko Ono. Ich wurde ihr das erste Mal vorgestellt. Sie war ruhig und lächelte nicht und keiner hätte

93 http://www.youtube.com/watch?v=eJ_Kip3FP0Q 94 http://www.youtube.com/watch?v=r4p8qxGbpOk gedacht, dass sie mehr ist als einer der typischen Fans, die John bei solchen Gelegenheiten umgaben.“ Cynthia: „Das erste Mal, dass ich Yoko Ono traf, war bei dieser Meditationssitzung in London. Aber es waren schon vorher Briefe von ihr gekommen, die an John gerichtet waren und in denen sie ihn um Hilfe bat, ihr Buch Grapefruit in England zu veröffentlichen. Sie sagte, dass keiner ihre Arbeit verstand und dass sie aufgeben würde, wenn ihr keiner helfen würde. Dot, unser Hausmädchen, hatte mir gesagt, dass Yoko schon öfters an der Tür gewesen war, um nach John zu fragen, aber er war nie da gewesen. Ich hatte mir über sie noch keine Gedanken gemacht bis zu dieser Nacht, als sie ganz in Schwarz still in einem Winkel saß. Als ich Yoko das erste Mal sah, wusste ich, dass sie für John gemacht war. Aus purem Instinkt. Die Chemie hat gestimmt und sie hatte eine große Ähnlichkeit in der Ausstrahlung. Zu dem Zeitpunkt hatte sich John noch keine großen Gedanken über sie gemacht, da bin ich mir sicher.“ Nach der Meditation werden die Beatles von der Presse nach ihren Reaktionen gefragt und sie sind sehr angetan. John: „Man braucht nach so einer Erfahrung eine Weile, um wieder auf die Erde zu kommen.“ Paul: „Das war einer der erhellendsten und aufregendsten Erfahrungen meines Lebens.“ Der Maharishi trifft sich nach der Sitzung mit den Beatles und sagt zu ihnen: „Ihr habt in eurem Namen einen Zauberstab geschaffen. Ihr müsst ihn nun benutzen, damit ihr die richtige Richtung im Leben findet. Kommt mit mir morgen zu einer meiner Meditationsschulen in Bangor in Nordwales. Wir werden im Zug für euch Platz schaffen.“ John (scherzend): „Zur Not gibt es immer noch den Gepäcksträger.“ Cynthia: „Als wir nach Hause fuhren, stieg Yoko einfach bei uns ins Auto und John und ich sahen uns an mit der Frage, was wir mit ihr anfangen sollten. Es war alles sehr merkwürdig.“ Als die Beatles am nächsten Morgen zum Zug nach Wales fahren, sind sie verspätet und müssen durch den Bahnhof laufen. Cynthia versäumt dabei den Zug ... Cynthia: „Es war am 25. August, dass die Beatles, der Yogi, Freunde und Familien, Reporter und Photographen vom Bahnsteig 8 in der Euston Station abfuhren. Und wer blieb zurück? Ich weinte, als ich den Zug langsam wegfahren sah. John merkte, dass ein Gepäckstück fehlte und steckte den Kopf aus dem Zug und andere auch, um zu sehen, was los war. Sag ihm, du gehörst zu uns! schrie John. Er meinte das, weil ein Polizist mich wie einen x-beliebigen Fan zurückhielt. Es war ziemlich peinlich. Brians Sekretär sagte zu mir, ich solle mich nicht sorgen, Neil würde mich nach Bangor fahren und dass wir wahrscheinlich vor ihnen dort eintreffen würden. Aber für mich war die Tatsache, dass ich den Zug versäumt hatte, ein Zeichen. In meinem Herzen wusste ich, was es bedeutete, dass die Menschen, die ich liebte, von mir wegrückten. Ich fühlte mich auf dem Bahnsteig allein und zitterte bei dem Gedanken, dass ich eine einsame Zukunft vor mir hatte.“ In Bangor werden der Maharishi und seine Anhänger von einer großen Menschenmenge mit Blumen erwartet. Das Seminar wird in einer Schule stattfinden, die in den Ferien geschlossen hat. Marianne Faithfull: „Als wir nach Bangor kamen, war das, als würde man wieder in die Schule gehen. Es war ein Internat, das im Sommer leer stand und sehr nüchtern ausgestattet war, fast spartanisch für uns, die in Rockkreisen verkehrten. Wir waren die einzigen Leute da, keine Presse, nur die Beatles, Mick und ich. Man hatte schon negative Dinge über den Maharishi gehört. hatte erzählt, dass er in Indien wegen dunkler Geschäfte und sexueller Belästigung Schwierigkeiten gehabt hatte und außerdem ein Faible für Feuerwerkskörper hatte. Aber wir versuchten echte Jünger von ihm zu werden und hielten dieses ganze Gerede für Quatsch. Jeder ging einzeln zu ihm rein. Er gab jedem von uns ein Mantra und ein paar Blumen und wir hatten ihm auch Blumen mitgebracht. Er kicherte viel und hatte diese leichte, fröhliche Ausstrahlung, was für uns eine große Erleichterung war. Er war so überhaupt nicht bedrückend. Wir waren jeder sehr ergriffen und ernst nachdem wir unsere Mantras und Blumen bekommen hatten. Keiner fragte den anderen, was der Maharishi zu ihm gesagt hatte.“ Am 27. August wird Brian Epstein tot in seiner Wohnung tot im Bett aufgefunden. Man spricht von einer Drogenüberdosis. In der New York Times erscheint ein Nachruf, in dem Epstein als der Mann bezeichnet wird, „der die heutige Popmusik revolutioniert hat“, eine ziemlich merkwürdige Auslegung seines Managerberufs. John: „Ich war von der Nachricht betroffen, wie alle. Und wir gingen zum Maharishi und er sagte so was wie: O vergesst das alles, seid fröhlich, wie Dummköpfe, wie Eltern, lächelt. Und weil er es gesagt hatte, verhielten wir uns auch so.“ Marianne Faithfull: „Der Maharishi reagierte völlig unpassend und direkt unbeholfen, finde ich. Er sagte das typische indische Ding in der Art: Jemand in der Familie ist gestorben. Es gibt viele Familien und eine Familie. Brian Epstein ist weitergezogen. Er braucht euch nicht mehr und ihr braucht ihn nicht mehr. Er war wie ein Vater für euch, aber jetzt, da er gegangen ist, bin ich euer Vater. Ich werde mich ab jetzt um euch kümmern. Ich war völlig baff und abgestoßen davon.“ John: „Ich hatte das Gefühl, das jemand hat, wenn ein naher Angehöriger gestorben ist. Ein bisschen hysterisch in der Art: He, he, wenigstens hat es mich nicht erwischt. Ich wusste, dass wir in Schwierigkeiten waren. Ich wusste, wie unfähig wir waren für die Dinge des täglichen Lebens. Wir konnten nur Musik machen, sonst nichts. Ich hatte Angst und dachte: Wir sind erledigt.“ Marianne Faithfull: „Die Beatles waren am Boden zerstört. Alle. Es war, als wäre einer von ihnen gestorben.“ Am 5. September versucht Hunter Davies, der offizielle Biograph der Beatles, mit John in dessen Heim Interviews durchzuführen, doch der Beatle wirkt völlig neben sich. Davies: „Ich schwamm an manchen Tagen drei oder vier Stunden in seinem Pool und er sagte kein Wort, entweder, weil er gehascht hatte oder einen Kater hatte. Ich war oft den ganzen Tag da, ohne dass wir ein Wort miteinander gewechselt hatten und kam am nächsten Tag zurück in der Hoffnung, dass er heute zugänglicher sein würde.“ Mit dem Tod Brian Epsteins beginnt die Phase, in der die Beatles Misserfolge kennenlernen. Verantwortlich ist dafür meist Paul, der sehr umtriebig wird und die Beatles in Projekte treibt, die das Auseinanderbrechen der Truppe beschleunigen werden. So die unselige Gründung von Apple Corps, einer eigenen Produktionsfirma, die die Beatles fast in den Ruin treiben wird, und der dritte Beatlesfilm , den sie am 11. September 1967 in Teignmouth in Devon zu drehen beginnen. John: „Magical Mystery Tour war etwas, das Paul mit Mal Evans entwickelt hatte und er zeigte mir, was diese Idee war und so und so, das Drehbuch, die Produktion und alles. Paul hatte diese Art, zu einem zu kommen und zu sagen: Ich habe diese zehn Lieder geschrieben, gehen wir ins Studio. Und ich sagte dann: Gib mir ein paar Tage und ich sortiere mal ein paar aus, oder so. Paul machte einfach weiter, als wäre Brian gar nicht tot. Er sagte: Jetzt, Jungs, machen wir eine neue Platte. Und ich war ein Typ, der dann eben mitmachte und so ist Magical Mystery Tour entstanden. Paul sagte: Hier in diesem Abschnitt, dafür schreibst du jetzt ein kleines Stück und ich dachte, verdammt, und ging weg und schrieb diese Traumsequenz für die fette Frau und diese ganzen Sachen mit Spaghetti. Es war ein Traum, basierend auf einem Traum, den ich wirklich gehabt hatte. Der Kellner in dem Film, das bin ich. Ich zog mich wie mein Vater und mein Stiefvater an, weil sie beide Kellner waren. Paul sagte: Hier, diese Viertelstunde, da muss noch was rein und ich fragte: Wie lange habe ich Zeit? Zwei Tage. Gut, sagte ich. Er hatte schon zehn Lieder geschrieben und ich noch keins. Dann haben sich George und ich über diesen blöden Film aufgeregt, aber dachten, dass wir ihn machen mussten und das unserem Publikum schuldeten. Ich schrieb dann I'm The Walrus95 und den Song Magical Mystery Tour.“ Pete Shotton: „Es gab kein Drehbuch, nur eine Zusammenfassung, die die Beatles in ihrer Presseerklärung abgegeben hatten, und die so lautete: Fern im Himmel, jenseits der Wolken, leben vier oder fünf Musiker. Mit ihrem Zauberstab verwandeln sie auch die gewöhnlichste Busfahrt in eine Magical Mystery Tour96.“ Hunter Davies: „Die Beatles hatten die Dreharbeiten zu Hard Day's Night und Help! nicht besonders genossen. Sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte, und hatten schon viele Drehbücher abgelehnt, zuletzt von Joe Orton. Sie hatten das Gefühl, einen eigenen Film machen zu müssen. John hat dann tatsächlich einen Nachmittag lang am Pool darüber nachgedacht, wen sie mit

95 http://www.youtube.com/watch?v=Nnpil_pRUiw 96 http://www.youtube.com/watch?v=Hnrsqf33MXA in den Bus nehmen würden. Er dachte an Nat Jackley, den Komiker. Er dachte an eine Szene, in der jeder betrunken sein würde, eingeschlossen Beatles und Kameraleute. Er plante Szenen, in denen sie irgendwo auf dem Land stehenbleiben würden und so tun, als wären sie die Beatles und die Reaktionen der Leute aufnehmen. Er überlegte noch eine Parodie auf eine Quizshow. Dann hörte er auf, sich darüber Gedanken zu machen.“ John: „Es gab ein süßes fünfjähriges Mädchen im Bus, Nicola. Weil sie so süß war, machten wir diese Szene, in der ich mit ihr rede und ihr einen Ballon gebe.“ : „Sie teilten sich in jeweils zwei Beatles auf. Paul und Ringo sagten dem einen Teil im Bus, was sie zu tun hatten und George und John arbeiteten an den Szenen am Strand und an einem Schwimmbecken mit Mädchen in Bikinis. Es war alles spontan. Die Beatles hatten den Bandleader im Ballsaal gefragt, was er am nächsten Tag vor hätte und er sagte nichts, und war auch schon gebucht.“ Ende September mieten die Beatles den Hangar Nr. 3 des Militärflughafens in Kent für Dreharbeiten an. John: „Ich filmte Walrus dort und hatte diese ganzen Polizisten oben auf der Mauer stehen. Es war eine Fellini-Szene, in der wir als Walrösser verkleidet waren, aber ich verwirrte mich letztlich selbst mit diesen ganzen Eggmen. Ich wusste nichts über wirkliche Filmaufnahmen und die Kameraleute auch nicht und letztlich niemand.“ Am 25. September fangen die Beatles damit an, den Film zu schneiden. John: „Ich saß den ganzen Tag in einem winzigen Raum in , schaute mir Filmstreifen an und schnitt sie zu.“ Bei einem Treffen mit einem Journalisten in einem Restaurant ist John optimistisch in Bezug auf das Ergebnis: „Es wird wohl noch einige Wochen dauern, aber wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir gemacht haben. Es ist eigentlich ziemlich leicht, einen Film zu machen. Man braucht dazu ein bisschen Vernunft, das ist alles. Wir haben bis jetzt noch nie Regie geführt, aber wir lernen jeden Tag dazu.“ Am 18. Oktober nehmen sie an der Weltpremiere des Films How I Won The War im Londoner Pavilion statt, in dem John mitgespielt hat. Am 19. November wird in der „Ed Sullivan Show“ auf CBS ein Werbeclip der Beatles ausgestrahlt. Die Beatles spielen Hello Goodbye97. Der Clip darf im englischen Fernsehen nicht ausgestrahlt werden, weil die Beatles in ihm Playback singen, und weil das laut Musikergewerkschaft nicht zulässig ist. Am 7. Dezember öffnet die in der Baker Street 94 in London. John: „Clive Epstein oder so ein Wirtschaftstyp kam zu uns und sagte: Ihr müsstet so und so viel Geld ausgeben, oder die Steuern werden euch auffressen. Wir dachten an so was Dämliches wie Kleiderläden, aber wir wollten etwas machen, was uns gefiel und hatten jede Menge Ideen. Paul schlug was Gutes vor, dass wir weiße Läden eröffnen würden und in ihnen alles verkaufen, was weiß ist, weißes Porzellan und so weiter, was cool war. Was dann herauskam, war Apple und der Müll, der dort verkauft wurde und The Fool und diese ganzen dämlichen Klamotten.“ Pete Shotton, der die Apple-Boutique übernommen hat: „Es war schwierig, sich mit allen Beatles über einzelne Fragen zu einigen wie zum Beispiel Innenarchitektur. Eines Morgens kam beispielsweise Paul herein und sagte: Ihr braucht hier eine Trennwand. Kaum hatten wir das gemacht, kam John daher, schaute sich um und sagte: Was zum Teufel geht hier ab? - Paul hat uns gesagt, wir sollen die hier aufstellen. - Ach zum Teufel, baut das ab, ich möchte keine verdammten blöden Trennwände hier! rief John und dann haben wir die wieder auseinander genommen.“ Am 29. September sind John und George im Fernsehen bei der Talkshow von David Frost eingeladen. Sie sollen über ihre Erfahrungen mit dem Maharishi sprechen und erzählen, dass die beiden Tage in Bangor sie sehr beeindruckt haben. John: „Ich habe mehr Energie, seitdem ich meditiere. Ich weiß, dass ich sie vorher schon hatte, aber nur an guten Tagen, wenn alles gut lief, und jetzt kann ich sie auch an schlechten Tagen nutzen.“ Frost: „Verwendest du das Mantra, um dein Ich zu finden, und Banales auszublenden, oder ist es mehr als das?“ John: „Also man sitzt einfach da und lässt seinen Verstand gehen, wo immer er hingeht, worüber

97 http://www.youtube.com/watch?v=Qf2S7kKLtEQ man auch denkt, lässt los und dann führt man das Mantra ein, die Vibration, die dann den Gedanken übernehmen soll. Man kann es nicht erzwingen.“ George: „Wenn man sich dabei ertappt, zu denken, ersetzt man den Gedanken wieder mit dem Mantra.“ Frost: „Fühlt man sich nachher entspannter? Ist man mehr man selbst? Weiß man mehr über sich oder andere?“ John: „Ich glaube nicht, dass ich mehr weiß. Ich habe mehr Energie, ganz einfach, um zu arbeiten oder auch anderes. Man kommt da raus und die Stimmung ist, jetzt geht’s los.“ Frost: „Ihr habt mit Drogen experimentiert. Hilft euch die Meditation, damit aufzuhören?“ John: „Wir haben schon lange vor dem Maharishi damit aufgehört. Wir haben das LSD nicht mehr genommen, weil es alles für uns gemacht hat, was es konnte, es gab nichts mehr. Mehr geht damit nicht.“ Frost: „Was macht es mit einem?“ John: „Es erhöht die Selbsterkenntnis, im Wesentlichen. Es ist eine psychologische Sache. Man nimmt es und man hat das Gefühl Was? Was? Was? Über einen selbst, weißt du, all das.“ Frost: „Hast du den Eindruck, dass du das selbst bist, was du mit LSD entdeckst, oder ein Trugbild?“ John: „Es ist man selbst. Man hat auch Halluzinationen, aber eigentlich geht es um einen selbst. Man findet in einem Trip mehr über sich heraus als sonst in hundert Jahren.“ Am 18. Oktober eröffnet Yoko ihre Show Yoko Plus Me in der Lisson Gallery in London. Das „Me“ in dieser Show ist John, der auch die Kosten für die Ausstellung übernommen hat. Pete Shotton: „Eines Tages in Kenwood begann John über Yoko Ono zu reden. Er sagte: Momentan ist sie in einer Krise. Und nachdem sie auch Künstlerin ist, sollte ich ihr vielleicht helfen. Ich weiß nicht, was sie will, aber ich habe ihr gesagt, sie soll zu Apple gehen und mit dir reden. Vielleicht kannst du etwas für sie tun. Schon am nächsten Tag kam Yoko vorbei. Sie war sehr aufgeregt, und konnte fast nicht reden. Ich verstand immerhin, dass sie ein paar Stühle in der Mitte durchschneiden wollte und das Resultat als Kunstwerk ausstellen. Damit sie das tun konnte, brauchte sie eine kleinere Summe an Geld ... ein paar Tausend Pfund. Ich sagte zu ihr: Ich habe keine Berechtigung, dir einfach 2000 Pfund in die Hände zu drücken, da muss ich John fragen. Als ich das dann tat, grunzte er zustimmend, aber sagte nichts weiter dazu.“ John: „Ich gab ihr das Geld, um die Ausstellung in der Lisson Gallery zu machen, einer dieser Underground-Lokale. In dieser Show war alles halb. Ein halbes Bett, ein halber Raum, alles fein säuberlich geteilt und weiß gestrichen. Es wurde als Yoko Plus Me angepriesen. Das war unser erstes gemeinsames Auftreten in der Öffentlichkeit, aber ich bin nicht einmal hingegangen. Ich war zu verkrampft dafür.“ Pete Shotton: „Keiner hätte geglaubt, dass die überkandidelte japanische Künstlerin dazu bestimmt war, sein Leben und seine Karriere zu beeinflussen. Damals glaubte John auch noch, dass der Maharishi und die Transzendentale Meditation die Lösung für alles sei.“ Am 24. November erscheint die Single Hello Goodbye / I'm The Walrus. Paul hat die erste Seite und John die zweite Seite geschrieben. Hunter Davies: „Ich war in Johns Haus in Weybridge und wir schwammen im Pool, als man auf der Straße eine Polizeisirene hörte: Da-da, da-da, da-da, da-da, und John summte mit und spielte diese Noten auf dem Klavier, und als Paul später kam, machten sie daraus ein Lied.“ John: „Den ersten Vers schrieb ich, ohne dabei zu denken: Ich bin er wie du er bist wie wir alle zusammen sind, zwei Zeilen auf meiner Schreibmaschine. Zwei Wochen später schrieb ich zwei weitere Zeilen dazu und dann sah ich etwas da drin und schrieb das Lied zu Ende. Ich wollte singen wie eine Polizeisirene, aber das hat dann doch nicht geklappt.“ George Martin: „John spielte immer herum, aber er war kein Techniker. Er konnte mit den Geräten nicht umgehen, aber er suchte immer neue Effekte. Während Walrus spielte er mit den Fade-Tasten herum.“ John: „Als wir es aufnahmen, hatten wir Live Radio dabei. Was immer da gespielt wurde. Ich sagte: Ich möchte das Radio dabei haben.“ Alistair Taylor: „Wir waren im Studio und John verschwand und kam dann zurück und sagte: George, ich suche ein Radio. Wir schauten ihn an: Was meinst du, Radio? George Martin sagte: Ich bin mir sicher, dass es irgendwo im Gebäude ein Radio gibt. Also ging John wieder los und fand eines ein Stockwerk höher und stellte es auf Kurzwelle, weil er diesen Sound wollte.“ John: „Ich hatte diesen Chor, der sagte: Jeder hat einen, jeder hat einen. Aber wenn man dreißig Leute, Männer und Frauen und dreißig Celli und auch noch die Rhythmusgruppe der Beatles hat, dann versteht man nicht, was sie sagen.“ Am 5. Dezember eröffnet der erste Apple-Shop der Beatles in der Baker Street 94 in London. John: „Wir hatten plötzlich einen Kleiderladen. Ich weiß nicht, wie das passiert ist! Diese Leute, The Fool, waren plötzlich da. Ich weiß nicht, wo die herkamen. Ich glaube, es waren Paul und George, die sie kannten und ab da ging es bergab.“ Alistair Taylor: „Es waren drei Leute aus Holland, die sich The Fool nannten. Ziemlich abgefahrene Leute. Was sich nicht bewegte, malten die in psychedelischen Farben an.“ Pattie Harrison: „Ich weiß nicht, wo wir die getroffen haben. Plötzlich waren die da.“ Neil Aspinall: „Sie haben sich an uns angeschlichen.“ Harry Pinsker, der Buchhalter der Beatles: „Eines Tages sollte ich eine Gruppe von Designern auszahlen, die sich The Fool nannten und stellte fest, dass mit ihnen ein Vertrag geschlossen worden war, der ihnen 40.000 Pfund Vorschuss gab. Ich war entsetzt und sagte zu den Jungs: Wisst ihr, dass es jede Menge Leute gibt, die für euch auch Kleider ohne Vorschuss verkaufen würden? Und sie sagten: Hör zu, wir sind die Beatles. Wir sind die Größten im Showgeschäft und wenn wir einen Kleiderladen aufmachen, dann wird der so groß wie Marks & Spencer, und wir können uns diese Ausgaben erlauben.“ Alistair Taylor: „The Fool hatte diese Idee, die Außenseite des Gebäudes anzumalen. Sie wollten uns nicht sagen, was da geplant war, stellten Gerüste auf, deckten alles ab und jeder war gespannt, was da kommen würde. Dann kam der Tag der großen Eröffnung und sie nahmen die Hüllen ab und da stand ein wunderschönes Haus, das mit Mond, Sternen und mystischen Figuren übermalt war, bis hoch zu den Kaminen. Es war großartig. Es war umwerfend. Der Anblick stoppte den Verkehr.“ Pete Shotton: „Man hatte den Eindruck, dass die Boutique ein Riesenerfolg werden würde. Über Weihnachten war er voll mit Leuten und die Regale waren sofort leer. Leider bezahlten viele Kunden ihre Ware nicht. Unser Personal war so hip, dass es dagegen nichts unternahm. Ganz im Gegenteil, es ließ selbst Ware mitgehen. Sogar The Fool musste über kurz oder lang ermahnt werden, weil sie klauten. Innerhalb von sieben Monaten hatte die Boutique fast 20.000 Pfund verloren.“ Alistair Taylor: „Die Leute kamen in den Laden und ging hinaus, ohne zu bezahlen. Es war ein Paradies für Ladendiebe.“ Der Laden verliert an Attraktivität, als die Fassade per Gerichtsbeschluss wieder weiß gemalt werden soll. John damals: „Wenn man bedenkt, was sonst auf der Welt so alles schief läuft, lohnte es sich einfach nicht, dafür zu kämpfen.“ Musikalisch klappt es weiterhin für die Beatles. Hello Goodbye ist ein Hit und steigt am 9. Dezember auf Platz 1 der englischen Hitparade. Die Firma Apple Music nimmt die erste Musikgruppe am 11. Dezember unter Vertrag. Sie heißt „Grapefruit“ und wird auch einige Charthits landen. Am 21. Dezember veranstalten die Beatles einen Kostümball aus Anlass der Magical Mystery Tour im Royal Lancaster Hotel in London. Alistair Taylor: „Es war eine fantastische Nacht. John war als verkleidet.“ Pete Shotton: „John meinte plötzlich: Wir gehen alle als Teddy Boys, da können wir uns so anziehen, wie wir es in der Schule nie durften. Diesmal machen wir es richtig. Es gab alle Varianten, Peter Brown als König Ludwig XIV, Derek Taylor als Hitler und so weiter. Freddie Lennon, Johns Vater, war auch da und war als Müllarbeiter verkleidet, was ziemlich realistisch wirkte.“ Cynthia Lennon: „Es war eine wunderbare Nacht. Wir genossen es, uns zu verkleiden und uns wie Narren zu verhalten. Ich ging als Lady auf dem Abziehbild einer Konservendose, in Krinoline, mit Häubchen und Schleifen.“ Pete Shotton: „John war gleich betrunken, was zum Kostüm passte. Es gab gegen Ende eine unangenehme Szene, als die Band, die Bozo Dog Doo Dah Band, auf der Bühne war und die Leute in Pärchen tanzten. John würdigte Cynthia keines Blicks und machte seinerseits Pattie Harrison den Hof, und tanzte sogar mit ihr.“ Cynthia Lennon: „John stürzte auf Pattie zu, die in ihrem Schleierkostüm unglaublich sexy aussah. Er war beständig an ihrer Seite und ich stand allein da und keiner kümmerte sich um mich.“ Pete Shotton: „Pattie hatte sich als Bauchtänzerin verkleidet und war unglaublich begehrenswert, und weder George noch Cyn fanden es lustig, dass John ganz offen mit ihr flirtete. Sie sagten aber nichts. Es blieb Lulu überlassen, dem kleinwüchsigen Schlagersänger, der ein Shirley-Temple- Kostüm an hatte, sich den sichtlich betrunkenen Beatle vorzuknöpfen.“ Cynthia Lennon: „Es war ein herrlicher Anblick, wie Lulu sich John schnappte und ihm seine Meinung sagte. John war sehr überrascht, von Shirley Temple eine ernsthafte Predigt darüber zu bekommen, wie man mit seiner Frau umgeht.“ Am 26. Dezember wird Magical Mystery Tour, ein Fernsehfilm, auf der BBC ausgestrahlt und von den Kritikern arg verrissen. Man versteht einzelne Szenen nicht und vermisst eine Handlung. Der Fernsehkritiker der Daily Express bekennt, noch nie so „einen Haufen Müll“ gesehen zu haben: „Je höher sie steigen, desto tiefer fallen sie auch. Und was für ein Fall das war ... Diese ganze langweilige Geschichte hat einen lange gehegten Verdacht bestätigt, nämlich dass die Beatles vier recht sympathische junge Männer sind, die mittlerweile so viel Geld verdient haben, dass sie es sich jetzt leisten können, verächtlich mit ihrem Publikum umzugehen.“ The Daily Sketch: „Wer immer es zugelassen hat, dass man diesen Film in der BBC1 zeigt, sollte dazu verurteilt werden, ein Jahr lang dem Maharishi Mahesh Yogi zu Füßen zu sitzen.“ John: „Ich mochte den Film, weil er ein Trip war. Jeder hat ihn verdammt, aber er war in Ordnung. Vielleicht passiert in dem Film zu wenig. Eigentlich passiert in ihm gar nichts. Es gibt interessante Szenen, die Traumsequenz, den Abschnitt über Your Mother Should Know98, wo wir mit diesen dämlichen Anzügen auftreten. Aber die Kritiker hatten sich schon vorher auf uns eingeschossen. Die BBC, diese Trottel, zeigten den Film in Schwarzweiß. Kann man sich das vorstellen? Man kann den Film höchstens in Farbe ertragen.“ Pete Townshend von den Who: „Es war ein großartiger Film. Die negativen Reaktionen basierten darauf, dass es nicht das Typische war, was man sonst am 2. Weihnachtsfeiertag ausstrahlt.“ von den Hollies: „Ich war sehr enttäuscht! Ich hasse es langsam, wenn man sieht, wie Leute in Zeitlupe über Felder laufen, seit sechs Monaten sieht man in TV-Pop-Filmen nichts anderes. Ringo war großartig, aber alles andere war abgeschmackt.“ Scott Walker von den Walker Brothers: „Ich konnte nur die ersten dreißig Minuten anschauen, weil ich so gelangweilt war.“ Am 29. Dezember schreibt Trudi Pacter in der Daily Mail: „Sie haben ihren ersten Fehler gemacht, haben es zugegeben und dafür teuer bezahlt. In wenigen Tagen hat die Legende von John, Paul, George und Ringo einen Riss bekommen ...“

98 http://www.youtube.com/watch?v=7R780p_NSq8

1968

Das Jahr beginnt mit einem Besuch des Maharishi in New York, wo er erklärt: „Die Beatles werden noch größere und bessere Lieder in der Zukunft veröffentlichen. Denn die Erweiterung ihres Verstandes durch Meditation ist dazu die Voraussetzung. Ihre Aufnahmen werden sich verändern, denn es wird die Tiefe ihres Talents sichtbar werden. Ich bin sehr erfreut, verkündigen zu dürfen, dass sie mir bald an die Ufer Indiens folgen werden, wo sie die transzendentale Mediation weiter kennen lernen werden, um sie in Zukunft eigenständig üben und auch lehren zu können.“ Am 8. Februar nehmen die Beatles Johns Lied Across The Universe99 auf. John: „Ich mag dieses Lied. Es hat einer der besten Texte, die ich geschrieben habe. Vielleicht der beste. Es ist wirkliche Poesie. Ich habe darin den Künstler herausgekehrt. Ich lag neben meiner ersten Frau im Bett und war irritiert. Sie hatte immer wieder geredet und geredet und war dabei eingeschlafen, aber ich hörte immer noch diese Worte überall, fließend wie ein endloser Strom. Ich ging hinunter und verwandelte es in ein kosmisches Lied anstatt in ein wütendes Lied. Es hat mich aus dem Bett getrieben. Ich wollte es nicht schreiben, ich war einfach ein bisschen gereizt und ging hinunter und konnte nicht einschlafen und schrieb es auf und dann ging ich wieder ins Bett. Die Beatles haben daraus kein gutes Lied gemacht, unbewusst, Paul war so, er hat manchmal unbewusst versucht, ein tolles Lied kaputt zu machen. Es war eine miese Aufnahme eines großen Lieds und ich war sehr enttäuscht.“ Am 15. Februar 1968 fliegen John und George mit ihren Ehefrauen nach Indien. Auch Magic Alex und Jenny, die Schwester von Pattie Harrison, sind dabei. Sie wollen in Rishikesh mit dem Maharishi meditieren. Cynthia Lennon: „Es war für uns alle gut, einmal eine Weile weg zu kommen. Die Jahre, in denen die Beatles berühmt waren, hatten uns alle verändert. John und ich kamen einander wieder näher. Wir hatten das Gefühl, persönliche Probleme lösen zu können. Und wenn unser Flug nach Indien das nicht schaffen würde, dann war keine Rettung mehr möglich.“ Vier Tage später kommen Ringo und Paul mit ihren Partnerinnen nach. Ringo hält es kaum zwei Wochen aus, er trifft bereits am 1. März wieder mit dem Flieger in London ein und gibt bekannt, es sei dort so ähnlich gewesen wie in Butlin's Ferienlager, in dem er vor einigen Jahren gespielt hat. Ringo will einfach Spaß haben – und dafür bietet Indien nichts. Und Paul steckt in einer kreativen Phase. Er möchte Musik machen, das ist alles. Für ihn ist der Indien-Trip nur ein Spiel, eine Ablenkung. Die Beatles spalten sich also in zwei Teile, und John gehört mit George zum spirituellen Teil, der eine tiefe seelische Erfahrung machen möchte. Cynthia Lennon: „Es waren John und George, die meditieren wollten. Sie wollten beide das Geheimnis des Lebens entdecken. Sie waren da wie Schwämme, die alles aufsaugten. Als wir in Delhi ankamen, wusste niemand von uns. Wir fuhren dann in drei alten, verbeulten indischen Taxis los und es war alles sehr entspannt und erfrischt. Nach unserer Ankunft zeigte man uns unsere Bungalows. Sie waren aus Stein gebaut, entlang einer Erdstraße. Es gab überall Blumen, um die sich indische Gärtner kümmerten, die ganz langsam arbeiteten.“ John nach der Ankunft: „So wie sich George entwickelt, wird er dann, wenn er vierzig ist, schon auf einem fliegenden Teppich herumreiten.“ : „Es war eine Möglichkeit, die Beatles jenseits des Pop-Geschäfts kennen zu lernen. Der Maharishi war ein sehr entspannter Mensch, aber in dem Raum, wo ich mit den vier Beatles, Mia Farrow und Mike Love saß, war die Stimmung ziemlich angespannt. Wir waren alle Neulinge und keiner wusste, was er sagen sollte. John war so lustig und direkt, dass er dann einfach auf den Maharishi zu ging, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und ihm den Kopf tätschelte und sagte: Das ist ein guter Guru, guter Guru! Wie bei einem Hund. Wir lachten alle, weil das so witzig war. John war immer komisch. Er sagte immer genau das, was er dachte. Ich konnte ihm auf der Gitarre einiges zeigen, vor allem eine besondere Art zu zupfen, die ich mir angeeignet hatte. Das konnten

99 http://www.youtube.com/watch?v=Rj-4t9drUlM damals in England nur drei Leute, und ich habe es John gezeigt und er hat es George beigebracht, und bei ihm war es, dass er dann gleich zwei Lieder in diesem Stil geschrieben hat, nämlich Julia100 und Dear Prudence101. Was er da auf dem Weißen Album spielt, habe ich ihm beigebracht. Aber auch ich habe von den Beatles viel über das Songschreiben gelernt.“ , die Schwester von Patti Harrison: „Ich war oft mit John zusammen, weil es ihm nicht gut ging, entweder, weil er noch Jetlag hatte oder Schlaflosigkeit. Er blieb lange wach, konnte nicht schlafen, und schrieb dann Lieder, die später auf dem Weißen Album herauskamen. Wenn es mir schlecht ging und ich Angina hatte, machte er eine Zeichnung von einem Flaschengeist mit Turban, der eine große Schlange hält und sagte: Durch die innere Kraft und die äußere Kraft treibe ich deine Gaumenmandeln aus. Manchmal, spätnachts, kann ich noch die traurigen Lieder hören, die John damals geschrieben hat, zum Beispiel I'm So Tired.102“ John: „Ich fuhr mit zum Maharishi, und egal was ich dort gemacht habe, ich habe einige meiner besten Lieder dort geschrieben. Es war ein guter Platz. Schön und sicher und jeder lächelte. Die Erfahrung war es wert, schon wenn man die Lieder betrachtet. Es hätte die Wüste oder Ben Nevis sein können. Das Komische an dem Camp vom Maharishi war, dass obwohl es sehr schön war und ich acht Stunden am Tag meditierte, dass ich meine unglücklichsten Lieder geschrieben habe wie I'm So Tired und Yer Blues103.“ Yoko: „Die Leute sagen, dass ich ihm nachgelaufen bin. Was wirklich passiert ist: Keiner von uns ist dem anderen nachgelaufen. Wir waren beide zu furchtsam. Wir waren beide verheiratet damals. John hatte große Angst, wegen der Beatles zu tun. Nachdem wir uns das erste Mal in der Galerie getroffen hatten, umkreisten wir einander zwei Jahre lang. Ich habe ihn nicht angemacht. Das habe ich nie getan. Ich war damals nach Paris gegangen, und John nach Indien. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir, dass es zwischen uns nie etwas werden wird.“ Cynthia Lennon: „Unsere Tage in Rishikesh begannen früh. Wir standen zwischen sieben oder acht Uhr auf, wuschen uns im eiskalten Wasser und aßen draußen unser Frühstück, gut fünfzig Meter von unserer Hütte entfernt. Indische Jungen bewirteten uns an langen Tischen mit Massen von Toast, Kaffee und Tee. Manchmal kamen kleine Äffchen dazu. Man musste aufpassen, dass sie einem nicht den Toast vom Mund weg schnappten.“ Wenn John nicht meditiert, klimpert er auf der Gitarre. George: „Ich hatte keine Gitarre dabei, aber John hatte eine. Aber er spielte dauernd darauf und da gab es höchstens zehn Minuten oder eine halbe Stunde am Abend, wo ich sie ausborgen und selbst ein Lied schreiben konnte.“ John: „Es war eine Zeit, als ich durch eine Wurstigkeitsphase ging. Lieder zu schreiben ist sinnlos und ich kann nichts und ich bin nichts und ich konnte nichts mehr mit mir anfangen, außer ein Beatle zu sein und was mache ich damit? Schon als wir Pepper machten, war es so gewesen, dieses Loswerden vom Ego. Ich hatte ein riesiges Ego und seit drei, vier Jahren hatte ich versucht, es zu zerstören, bis ich davon nichts mehr übrig hatte. Ich ging nach Indien und traf den Maharishi und er sagte zu mir: Das Ego ist gut, wenn du darauf aufpasst, aber ich hatte es längst zerstört und litt unter Verfolgungswahn und war schwach. Ich konnte nichts mehr ...“ Am 20. Februar verkündet der Maharishi: „Innerhalb von drei Monaten, das kann ich versprechen, werden Harrison, Lennon, McCartney und Starr vollständig qualifizierte Lehrer und Semi-Gurus der Hindu-Meditation sein. George und John haben großartige Fortschritte innerhalb der wenigen Tage gemacht, die sie hier sind. Ich will sie nicht antreiben, sie dürfen nur wenige Stunden am Tag meditieren. Ich gebe ihnen hochgeistige Philosophie in einfachen Worten weiter.“ Am 29. Februar kehren Ringo und Maureen nach England zurück, ein klares Zeichen, dass es bei Ringo nichts mit der Ausbildung zum Meditationslehrer werden wird. Ringo möchte aber nichts Negatives über sein Indienerlebnis sagen: „Wir sind nicht früher als geplant zu Hause. Wir wollten wegen der Kinder nie länger als zwei Wochen weg sein. Wir haben unseren Aufenthalt sehr

100 http://www.youtube.com/watch?v=ZcWzlxECaPo 101 http://www.youtube.com/watch?v=M-2lMstw6qs 102 http://www.youtube.com/watch?v=CxJOpr6Y5yI 103 http://www.youtube.com/watch?v=fevQPZDyxdk genossen. Es ist dort bequem und das Essen ist auch in Ordnung. Alles ist gut, und auf höchstem Fremdenverkehrsniveau.“ Cynthia Lennon, der es in Indien sehr gut gefällt: „Leider blieben Maureen und Ringo nur eine kurze Zeit. Maureen konnte die Fliegen nicht ertragen, und das Essen. Ringos Verdauung war schwach, da er als Kind öfter am Bauch operiert worden war.“ Am 29. Februar wird Sergeant Pepper als Album des Jahres ausgezeichnet. Die von den Beatles produzierte Band Grapefruit veröffentlicht am 23. März ihre erste Single mit dem Titel Dear Delilah, die prompt auf Platz 21 in der Hitparade kommt. Platz 1 nimmt ein Lied der Beatles ein: Lady Madonna104. Am 20. April kommt diese Fats-Domino-Parodie in Amerika auf Platz 4. John: „ ist wie aus der frühen Zeit des Rock'n'Roll. Wir hatten diese Musik nie ganz verlassen. Es gibt kein Beatle Album, auf dem nicht auch Rock zu hören ist.“ Am 26. März fliegen Paul und Jane Asher nach England zurück. Paul: „Ich habe mich besser gefühlt, bin jetzt zwar ein bisschen knülle vom langen Flug, aber die Meditation ist toll.“ Reporter: „Jane, warst du dort in den Ferien oder, um zu meditieren?“ Jane: „Oh, um zu meditieren. Es beruhigt einen.“ Am 12. April reisen auch John, Cynthia, Patti, George und Magic Alex aus Indien ab. John, flapsig: „Es gab diese große Aufregung darüber, dass der Maharishi Mia Farrow vergewaltigen wollte oder dass er mit mehreren Frauen davonmachen wollte.“ Was ist damals wirklich passiert? In ihrer Autobiographie schreibt Mia Farrow viele Jahre später, dass der Maharishi sie nach einer Meditationssitzung in einer dunklen Höhle umarmt hätte. Sie habe plötzlich Panik bekommen und sei davongelaufen. Von einer unsittlichen Berührung schreibt sie nichts. Der bekannte Arzt und Heiler Deepak Chopra, damals ein Jünger des Maharishi, schreibt später, der Meister habe ihm gesagt, die Beatles seien abgereist, weil er ihnen den Konsum von Drogen verboten hätte. Fest steht, dass Magic Alex mit seinen Angriffen gegen den Maharishi die spirituellen Beatles in Verwirrung stürzt. Pete Shotton: „John sagte, dass Magic Alex die Anschuldigungen verbreitet hätte, dass der Maharishi nach den Brüsten einiger Frauen gegrapscht hätte.“ Cynthia Lennon: „Alexis Behauptung, dass der Maharishi etwas mit einer jungen Frau gehabt hätte, breitete sich im Camp aus. Aber es gab keinen Beweis dafür. Es war nur Gerede. Ich bin mir sicher, dass Alexis genug hatte und nach Hause wollte und dass er die Beatles mit sich nehmen wollte. John und George waren geistig in keinem Zustand, damit umzugehen. Sie konnten gar nicht verstehen, was hier vorging. Wir verbrachten eine ganze Nacht damit, über alles zu reden und zu überlegen, was wir tun sollten. Alexis und die Anschuldigungen dieses Mädchens und unser Glaube an den Maharishi kollidierten miteinander. In dieser Nacht kamen wir zu dem Schluss, dass Alexis recht hatte, und das machte mich sehr unglücklich. Der Maharishi war schon verurteilt worden, bevor er überhaupt mit den Vorwürfen konfrontiert worden war.“ John: „Wir gingen zu ihm hin, nachdem wir eine Nacht lang darüber diskutiert hatten, was nun wahr und falsch war. Als George letztendlich zu dem Schluss kam, dass es wahr sein könnte, war ich davon überzeugt, dass es wirklich so war, weil er von uns am schwierigsten zu überzeugen gewesen war. Also gingen wir alle gemeinsam zum Maharishi, liefen hinunter in seine Hütte, seinen Bungalow, und als es dann dazu kam, mit ihm zu sprechen, war ich wieder der Sprecher und ich sagte: Wir fahren ab. Er: Warum? Und ich: Wenn du kosmisch so gut drauf bist, weißt du, warum! Er gab sich ja immer als Zauberer aus, und seine Jünger taten immer so, als könne er Wunder wirken. Er sagte: Ich weiß nicht, warum. Das müsst ihr mir schon sagen. Und ich sagte: Du solltest es wissen, immer wieder und er schaute mich an, als wollte er sagen: Ich bringe dich um, du Scheißkerl. Da wusste ich, dass ich recht gehabt hatte und wurde grob.“ Cynthia Lennon: „Der Maharishi muss sehr traurig gewesen sein, als John und George ihn beschuldigten. Ihre Argumente und Behauptungen waren fruchtlos, weil sie nicht auf Fakten basierten. Sie waren enttäuscht und verwirrt davon, was sie gehört hatten, aber sie gaben dem Maharishi immer noch keine Chance, sich zu rechtfertigen. Ich hatte das Gefühl, das wir etwas

104 http://www.youtube.com/watch?v=VfthrizXKOM Böses taten, es war sehr falsch. Und wir haben das Messer noch in der Wunde herumgedreht, als wir gingen. Sie standen auf, gingen an ihm vorbei und es gab kein weiteres Wort mehr. Die Reise aus dem Paradies war für mich schrecklich. John war nicht so bedrückt wie ich, aber er machte sich Sorgen. Er wollte nur mehr nach Hause. Er hatte den Selbstsicheren gespielt, als er den Maharishi zurückgestoßen hatte, aber jetzt war er sehr unsicher in der Position, in der er sich befand.“ Am 15. April wird John zu Hause über seinen Aufenthalt in Indien befragt. John: „Wir haben sehr viel Gutes erfahren und davon gelernt. Wir meditieren täglich weiter, nicht als Pflicht, sondern weil es uns hilft. Wir werden keine Meditationslehrer werden, weil wir als Beatles genug zu tun haben. Ich habe in Indien mehr als 20 Lieder komponiert, genug für eine Solo-LP. Ich werde jetzt mit den ersten Aufnahmen anfangen.“ Der Maharishi gibt nach der Abreise der Beatles bekannt: „Die Beatles waren außergewöhnlich gut in der Meditation. Sie gehören aber nicht zu den vierzig, die ich aus den siebzig Jüngern ausgewählt habe, um Lehrer zu werden.“ John wiederholt nach dieser Aussage des Maharishi: „Wir sind nicht dorthin gefahren, um Zeugnisse zu bekommen. Wir wollten keine Lehrer werden. Wir haben als Beatles genug zu tun, ohne Meditationslehrer zu sein.“ Cynthia Lennon: „Es dauerte nicht lange nach unserer Rückkehr, bis mir klar wurde, wie groß die Sehnsucht von John nach einer Partnerin war, die ihn ergänzen konnte. Keiner ahnte damals, dass er längst von Indien aus mit Yoko Briefe gewechselt hatte.“ Am 11. Mai fliegen John, Paul und Magic Alex von London nach New York. Bei einer Pressekonferenz sagt John auf die Frage, warum sie aus Indien abgereist seien: „Wir haben einen Fehler gemacht.“ „Welchen Fehler?“ John: „Mehr sage ich dazu nicht.“ Am 15. Mai treten Paul und John in der amerikanischen „Tonight Show“ auf NBC auf und sprechen über ihre Firma Apple. Der Gastgeber, Johnny Carson, ist auf Urlaub, und Joe Garagiola, ein Basketball-Star, vertritt ihn. John: „Es war schrecklich! Ein Basketballspieler war der Gastgeber, und keiner hatte uns vorgewarnt. Er fragte: Wer von euch ist Ringo und diesen ganzen Scheiß. Man geht in die Show von Johnny Carson und wenn du dort bist, ist da eine Art Fußballspieler, der nichts von dir weiß, und Tallulah Bankhead, besoffen, so dass sie fast nicht mehr laufen kann, die sagt, wie gut du aussiehst. Es war der schlimmste Auftritt, an den ich mich überhaupt erinnere.“ Tommy James, der damals mit den Shondells im Popgeschäft ist, ist überrascht, dass John und Paul in New York persönlich in seiner Wohnung vorbeischauen, um ihm einige ihrer Lieder anzubieten, die sie als Musikverleger vertreiben wollen. Die Kompositionen überzeugen James aber in keiner Weise. James: „Ich hörte mir das Tonband an, das sie bei mir zurückgelassen hatten. Ich mochte kein einziges Lied darauf. Eins oder zwei waren okay, aber der Großteil wirkte angestrengt. Es war so, als hätten sie die Absicht gehabt, ein Tommy-James-Lied zu schreiben. Aber das hat überhaupt nicht funktioniert.“ In diesen Tagen wird Magical Mystery Tour in Amerika in die Kinos gebracht und kommt dort bei den Kritikern gut an. Einer schreibt: „Ich verstehe gar nicht, warum man es in England nicht mit Freuden willkommen geheißen hat. Sicher, es ist sinnlos, aber gibt es dafür nicht Underground- Kino?“ Nach seiner Rückkehr, am 19. Mai, es ist ein Sonntag, lädt John Yoko in sein Haus in Kenwood ein unter der Vorgabe, dass man zusammen experimentelle Tonbandaufnahmen anhören könne. Cynthia ist gerade auf seinen Vorschlag hin in die Ferien gefahren ... Cynthia: „John hatte wieder damit begonnen, LSD zu nehmen und war freudig aufgeregt. Cyn, es war herrlich, sagte er zu mir, um Himmels Willen, Cyn, wir müssen viele Kinder haben. Wir brauchen eine große Familie. Als er das sagte, brach ich in Tränen aus. Alles, was ich heraus brachte, war, dass ich das nicht wollte. Ich war so verstört von seinem Ausbruch, dass ich sogar vorschlug, dass Yoko Ono die richtige Frau für ihn sei. John protestierte und sagte, das ist völlig verrückt und dass ich lächerlich wäre. Das Leben ging weiter, aber meine Befürchtungen nahmen zu und ich wurde nervös und depressiv. John merkte, dass es mir nicht gut ging und schlug vor, dass ich mit Jenny, Donovan, Gypsy und Alexis nach Griechenland auf Urlaub fahren solle. Und ich freute mich wirklich darauf, wenn ich an das Meer und die Sonne dachte.“ John: „Nachdem ich aus Indien zurückgekehrt war, sprachen Yoko und ich am Telefon. Ich schlug ihr vor, rüber zu kommen, und es war spät nachts und Cyn war nicht da und ich dachte: Jetzt oder nie, wenn ich sie kennenlernen will. Sie kam und ich wusste nicht, was ich tun sollte, also gingen wir hoch in mein Studio und ich spielte ihr alle Tonbänder vor, die ich gemacht hatte.“ Yoko: „Das erste, was er von mir gehört hatte, war mein Tonband, auf dem ich stöhne und kreische, aus New York. Ich musste ihm nie erklären, was ich da machte. Er hat es sofort verstanden.“ John: „All diese verrückten Sachen von mir und einige elektronische Musik. Sie war sehr beeindruckt und sagte: Machen wir doch eine Platte gemeinsam. Also nahmen wir Two Virgins auf. Es war Mitternacht, als wir damit begannen und der Morgen graute, als wir damit fertig waren und dann machten wir Liebe miteinander beim ersten Licht der Sonne. Es war sehr schön.“ Als Cynthia nach Hause kommt, ist Yoko immer noch da. Cynthia: „Die zwei Wochen in Griechenland waren toll, eine schöne Abwechslung. Als wir nach Hause kamen, war das unerwartet. Es war vier Uhr nachmittags. Das Licht auf der Terrasse war noch an und die Vorhänge waren geschlossen. Es gab kein Zeichen von Leben ... nur eine bedrückende Stille. Die Eingangstür war offen und deshalb gingen wir ins Haus und riefen: Hallo, wo bist du? Ist jemand zu Hause? Es gab keine Antwort, also gingen wir in den Frühstücksraum, wo man das Murmeln eines Gesprächs hörte. Als ich die Tür öffnete, raubte es mir den Atem, was ich da sah. Schmutziges Geschirr überall auf dem Tisch, geschlossene Vorhänge, Kerzenlicht. Vor mir John im Schlafanzug. Mit dem Rücken zu mir, und als wäre sie hier zu Hause, Yoko. Beide reagierten nicht auf mein Eintreten. Die einzige Antwort, die ich von beiden erhielt, war: Oh, hi. Sie passten zusammen und Yoko passte hierher. Ich fühlte mich wie eine Fremde in meinem eigenen Haus. Ich versuchte, meinen Schreck zu verbergen, indem ich sagte: Wir wollen heute alle noch zum Abendessen weggehen. Wir haben in Rom zu Mittag gegessen und dachten, es wäre jetzt schön, in London zu Abend zu speisen. Kommt ihr mit? Es klang so dumm, wenn man betrachtete, was sich ereignet hatte. Die einzige Antwort, die ich bekam, war: Nein, danke. Und das war es. Ich wäre am Liebsten im Erdboden versunken, und genau genommen war es das auch, was ich tat. Ich lief aus dem Raum und in den ersten Stock hoch und packte meine Sachen. Ich wusste, ich muss hier raus. Als ich durch den Gang rannte, merkte ich, dass außerhalb des Gästezimmers fein säuberlich zwei japanische Sandalen abgestellt waren. Jenny und Alexis waren auch schockiert von der Situation und schämten sich. Als ich sie bat, bei ihnen bleiben zu können, waren sie sofort damit einverstanden.“ John: „Ich hatte die Liebe noch nie so kennengelernt wie da, und es war schwierig, mir einzugestehen, dass damit meine Ehe mit Cynthia aufhören musste. Meine Ehe mit Cynthia war nicht unglücklich gewesen. Aber es war einfach eine normale Ehe gewesen, in der nichts passierte und die wir trotzdem aufrechterhielten. Man macht das so lange, bis man jemand anderen trifft, der einen entflammt. Mit Yoko war es das erste Mal Liebe. Unsere Anziehungskraft aufeinander war eine geistige, aber sie ist auch körperlich passiert. Ich verstand, dass sie alles wusste, was ich wusste, und wahrscheinlich noch mehr und dass das aus dem Kopf einer Frau kam. Das hat mich umgehauen. Es kam mir so vor, als wäre ich auf eine Goldmine gestoßen oder etwas Vergleichbares. Wenn sie mit mir redete, wurde ich high, und die Diskussionen fanden auf einer Ebene statt, die immer höher wurde und höher. Wenn sie wegging, sank ich wieder in den Alltag zurück. Dann traf ich sie wieder und mein Kopf öffnete sich erneut, wie bei einem LSD-Trip.“ Am 22. Mai wird ein zweiter Kleiderladen namens „Apple Tailoring“ in der New Kings Road 161 eröffnet, und John, George und Yoko - als die Frau an Johns Seite - sind bei dem Fest dabei. Am 30. Mai gehen die Beatles in das Studio, um ein neues Album aufzunehmen. Pete Shotton: „Es wäre nicht fair, wenn man Yoko Ono die Schuld an den musikalischen Differenzen geben würde, die die bei den Aufnahmen zum White Album auftraten. Aber dass sie rund um die Uhr dabei war, hat einige Unstimmigkeiten zum Sieden gebracht, die sonst vielleicht nicht ausgebrochen wären oder vielleicht auch freundschaftlich gelöst worden wären.“ Ein Techniker bei EMI: „Yoko ließ ihr Bett in das Studio bringen, blieb aber nicht darin liegen, sondern folgte ihm überall hin, selbst auf das Klo. Paul und George starrten die beiden an und äußerten sich lautstark darüber. Yoko wollte einer der Jungs sein und alles mit den Jungs machen.“ George Martin: „Yoko war krank und John bestand darauf, dass man Yoko im Bett ins Studio bringen solle, während der Aufnahmen. Das war kein guter Start für alle, dass die kranke Frau von einem während der Aufnahmen dabei ist.“ Über Yokos Bett wird ein Mikrophon angebracht, so dass sie jederzeit Kommentare machen kann, wenn sie das will. Yoko damals: „Wenn John etwas mit den Beatles macht, dann nehme ich daran teil, indem ich sitze und warte. Es reicht für mich aus, bei ihm zu sein, sonst vermissen wir einander. Ich mag die Beatles und ich glaube, dass es toll ist, was sie machen. Ich möchte sie nicht bei dem stören, was sie miteinander haben.“ Pete Shotton: „Früher gab es viel Spaß und Lärm und ein Kameradschaftsgefühl bei den Aufnahmen. Diesmal gab es nichts davon. Es wurde eine sehr ernsthafte, säuerliche Angelegenheit, ganz im Gegenteil zu der festlichen Atmosphäre bei Pepper.“ John: „Paul war immer wütend über das White Album. Er mochte es nicht, weil ich darauf meine Musik machte und er seine und George seine. Es passte ihm nicht, dass George darauf so viele Lieder hatte und er wollte eher das Gefühl, dass die ganze Gruppe etwas macht, was in seinem Fall hieß, dass mehr Paul darauf war. Deswegen hat er das Album nie gemocht. Mir war es lieber als alle anderen Alben, selbst Pepper, weil ich meine, dass die Musik darauf besser war. Der Mythos von Pepper ist größer, aber die Musik des White Albums ist besser.“ John ist während der Aufnahmen in Hochstimmung, wie man an dem Interview ablesen kann, dass er am fünften Tag der BBC gibt. Kenny Everett interviewt John. Kenny: „Habt ihr schon komplette Lieder eingespielt?“ John: „Nein! Wir sind erst beim zweiten halben Lied.“ Kenny: „Bist du aus Indien mit tollen fantastischen Dingen zurückgekehrt?“ John: „Ja, mit einem Bart.“ Kenny: „Neulich habe ich Donovan getroffen und er sah gut aus.“ John: „Ja, er ist gesund.“ Kenny: „Ich habe ein Photo von dir im Daily Mirror, da stehst du in einem Leintuch da. Du siehst sehr friedlich aus.“ John: „So etwas heißt Vanuse, Kenny, und ich habe es aus Marokko. In einem Leintuch stehen? Was meinst du damit?“ Kenny: „Es sieht aus wie ein Leintuch.“ John: „Ein Vanuse sieht so aus wie ein Leintuch, aber es heißt Vanuse, damit die marokkanische Unterschicht nicht so traurig darüber ist, ein Leintuch tragen zu müssen.“ Kenny: „Ich würde ein schwarzes anziehen, damit man den Schmutz nicht so sieht.“ John: „Sehr heiß, sehr heiß, Ken. Schwarze Kleider sind heiß.“ Kenny: Möchtest du unseren Zuhörern etwas sagen, was sie verstehen können? John: „Wie wär's mit: Guten Morgen?“ Kenny: „Ich meine, über die Plattenaufnahmen.“ John: „Wir haben zwei unfertige Lieder, eines ist von Ringo. Sein erstes, und an dem arbeiten wir gerade.“ Kenny: „Eine Komposition von ihm?“ John: „Ja, er hat es in einem Anfall von Trägheit komponiert.“ Am 18. Juni hat ein Stück im Old Vic Theatre in London Premiere. Es heißt In His Own Write und orientiert sich an Johns Buch. Am 17. Juli kommt der Zeichentrickfilm Yellow Submarine in die Kinos, der sich um das Leben der Beatles dreht. Ursprünglich hätte die Band zumindest die Stimmen der Zeichentrickbeatles sprechen sollen, doch das wurde wegen Terminschwierigkeiten verworfen. Am Ende des Streifens treten die Beatles stattdessen für wenige Minuten in natura auf und singen All Together Now105. Al Brodax,

105 http://www.youtube.com/watch?v=_sAKRpjmZj0 der den Film produziert hat: „Ich fand, das Paul rechthaberisch war und großsprecherisch und Ringo ein Klotz, der eines Tages im Drogen-High im Studio auftauchte, überall herumlief und letztlich über ein Glockenspiel stolperte und auf den Bauch fiel. Das Geräusch haben wir dann in den Film aufgenommen.“ Bei der Premiere kommen die Beatles mit ihren Frauen – und John mit Yoko. Am 28. Juli 1968 machen die Beatles ihre letzte gemeinsame Photo-Session. Tom Murray, einer der Photographen an dem Tag, berichtet: „Yoko Ono war dabei und stand dauernd bei John. Sie begann gleich damit, zu bestimmen, was photographiert werden sollte und wie. Ein merkwürdiger Vorfall passierte dann bei Wapping an einem Flussufer. Paul hatte sich gerade aus Spaß an ein Gleis gekettet, als sich John plötzlich auf den Boden warf und die anderen schauten ihn an, als wäre er jetzt ohnmächtig geworden oder tot. Sie sahen sehr besorgt aus. Ich machte zwei Aufnahmen, in einem hatte John die Augen offen, in der anderen geschlossen. George hat auf einem Bild Johns Brille auf, die er schnell aufgehoben hatte. Es ist ein merkwürdiges Photo. Ich weiß nicht, warum wir es gemacht haben. Eine Sekunde steht John noch, dann ist er auf dem Boden. Ringo hält seine Hand auf seinem Kopf, und das war dann das Bild. Als wir Wapping verließen, hörte man ein merkwürdiges Geräusch. Es waren hunderte und hunderte von Leuten, die auf uns zuliefen. Sie sahen die Autos und begannen zu kreischen. Später, vor Pauls Haus in St. John's Wood, standen vier Mädchen und als Paul mit seinem Mercedes dort aufkreuzte, fielen denen fast die Augen heraus. Sie weinten und schrien. Als dann alle vier Beatles ausstiegen, wurden sie hysterisch. Wir gingen hinein und tranken eine Tasse Tee. Paul hatte eine Art Tempel in seinem Garten, in dem man auf dem Boden sitzen konnte, und wenn man auf einen Knopf drückte, wurde man in die Kuppel hochgehoben.“ Am 31. Juli schließt die Apple Boutique in der Baker Street. John: „Yoko hatte die Idee, alles, was noch da war, zu verschenken. Und das taten wir auch. Das war das Beste, was jemals mit Apple passiert war.“ Pete Shotton: „In der Nacht, die dem Ereignis vorausging, räumten die Beatles und ihre engen Freunde den Laden selbst aus, und besonders John, der eine diebische Freude daran hatte, merkte man nichts davon an, dass er eigentlich sich selbst beraubte.“ John: „Wir gingen hinein und nahmen mit, worauf wir Lust hatten. Es war nicht viel. Es war wie ein Bankraub. Wir nahmen alles mit nach Hause, und am nächsten Tag schauten wir dann tausenden Kids zu, wie sie hineingingen und ihre Gratisgeschenke bekamen. Das war klasse. Derek und die anderen hassten es, aber an diesem Tag hatten wir das Sagen, wir hatten die Kontrolle.“ Pete Shotton: „Dem ersten Kunden wurde an diesem Morgen nebenbei gesagt, dass er nichts bezahlen müsse. Bald sprach sich das herum und dann kam es auch im Radio und plötzlich war da ein hungriger Mob, der den Laden bis auf den letzten Kleiderhänger leer räumte.“ John: „Es war ein Großereignis, und die Kids kamen und nahmen alles mit. Das war das, war mir an dem Laden am meisten gefallen hat.“ Eine Assistentin von damals: „Ein älterer Rentner kam herein, um ein Kissen zu kaufen. Als wir ihm sagten, dass er dafür nichts bezahlen müsse, wollte er es erst nicht glauben. Dann berührte er immer wieder seinen Hut und ging im Rückwärtsgang aus dem Laden raus. Später versuchte das Management, die Geschenke auf ein Stück pro Person zu begrenzen.“ Hunter Davies beendet in diesem Monat die offizielle Beatles-Biographie, die noch Brian Epstein bei ihm bestellt hatte. Davies: „Seine Mutter hatte den Vertrag geerbt. In der ersten Version hatte ich noch geschrieben, dass Brian schwul war, aber sie stritt das ab. Meine Theorie war die, dass Johns Hüftbewegungen auf der Bühne dafür verantwortlich gewesen waren, dass Brian die Beatles unter Vertrag genommen hatte. Und das hatte Brian mehr oder minder auch zugegeben, aber nicht so, dass man ihn zitieren konnte.“ John: „Es war eine ziemliche Verarsche, keine Familiengeheimnisse, meine Tante versuchte alles über meine Kindheit und meine Mutter herauszustreichen und ich erlaubte das auch, weil ich feige war. Es gibt in dem Buch nichts über die Orgien und die Scheiße, die auf den Tourneen passiert ist. Ich wollte ein richtiges Buch, aber wir waren alle verheiratet und wollten die Gefühle unserer Frauen nicht verletzen.“ Am 22. August reicht Cynthia Lennon die Scheidung ein, und gibt dabei an, dass Yoko Ono für das Scheitern der Ehe verantwortlich sei. Am 8. September treten die Beatles in der Sendung „Frost On Sunday“ auf ITV auf und singen Hey Jude106. Das Lied wurde von Paul für Johns Sohn Julian aus Anlass der Trennung von Cynthia geschrieben. Es dauert sieben Minuten und zehn Sekunden und wird der längste Nummer-1-Hit aller Zeiten sein. Cynthia Lennon: „Während die Scheidung lief, war ich sehr überrascht, dass an einem Nachmittag Paul auftauchte. Er war allein. Mich hat das berührt, dass er sich um mich und unser Wohlergehen sorgte. Er hielt mir eine rote Rose hin und scherzte über unsere Zukunft. Wie wär's, Cyn, sagte er, möchtest du mich heiraten? Wir lachten darüber, wie das die Welt aufnehmen würde. Auf der Herfahrt hatte Paul ein schönes Lied komponiert, . Er sagte, dass er das Julian widmen würde. Ich werde Paul nie vergessen, dass er diese Geste gemacht hat. Er hat mein Selbstwertgefühl gestärkt und mir das Gefühl gegeben, geliebt zu werden anstatt weggeworfen und nutzlos zu sein.“ Paul: „Ich fuhr gerade in der Nähe von Cynthia vorbei, kurz nachdem John und sie sich getrennt hatten und ich war ein guter Kumpel für Julian gewesen. Er ist ein netter Junge. Ich fuhr in meinem Auto und sang dieses Lied Hey Jules. Dann dachte ich, dass Jude ein besserer Name wäre. Mehr Country und Western für mich. In Cavendish habe ich ihn fertig gemacht und war oben im Musikzimmer, als John und Yoko auf einen Besuch vorbei kamen und sie standen hinter mir, als ich es ihnen vorgespielt habe.“ John: „Als Paul zuerst Hey Jude vorsang, spielte er mir ein kleines Tonband vor und ich nahm es sehr persönlich. Ich sagte: Das bin ich, oder? Und er: Nein, das bin ich. Ich sagte: Dann machen wir gerade das Gleiche mit.“ Paul: „Als ich zu der Zeile kam: The Movement you need is on your shoulder, schaute ich über meine Schulter und meinte: Das muss ich noch ändern, das taugt nichts. Ein bisschen wie Schatzinsel, einem Papagei oder so. Aber John meinte: Bloß nicht. Du machst Witze! Das ist die beste Zeile von allen!“ Revolution107, ein Lied von John auf dem Weißen Album, kommt in Amerika am 21. September auf Platz 12. Es gibt eine kleine Kontroverse darüber, ob John singt: „Und was Zerstörung betrifft, kannst du auf mich zählen“ bevor er dann hinzufügt: „Oder eben nicht.“ Paul Song ist weit erfolgreicher. Am 28. September kommt Hey Jude in Amerika auf Platz 1 und wird dort neun Wochen lang bleiben. In diesen Tagen gibt es eine Pressekonferenz zu Yokos Film Smile. John: „Es begann damit, dass sie eine Million Menschen auf der ganzen Welt bitten wollte, einen Schnappschuss zu schicken, auf dem sie lächelten. Dann wurden es sehr viele Leute und dann ein paar und zuletzt wie ich lächle, als Symbol des heutigen Lächelns. Und das bin ich ja. Also bin ich es, der lächelt. Mir ist es egal, ob Leute sich den Film anschauen werden, in dem ich lächle, es schadet nichts. Die Idee wird vielleicht erst in fünfzig oder hundert Jahren geschätzt werden. Es geht nicht um mich in dem Film, sondern um jemanden, der lächelt.“ Yoko: „Es wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera in drei Minuten gedreht und dann auf die derzeitige Länge verlangsamt. Wir wissen noch nicht, ob der Film veröffentlicht werden wird.“ Richard DeLillo: „Wir vermarkteten Yoko Onos Film Smile. Jemand schlug vor, dass jeder, der es sechzig Minuten lang geschafft hatte, John Lennon in Farbe lächeln zu sehen, den Preis für die Kinokarte zurückerstattet bekommen müsste.“ Am 18. Oktober werden John und Yoko in der Wohnung am Montagu Square 34, die sie von Ringo geliehen bekommen haben, verhaftet und auf die Paddington Green Polizeistation gebracht, weil sie sich geweigert haben, den Untersuchungsbefehl zu respektieren. Das Haus wird nachher durchsucht und man findet 219 Gramm Cannabis. Sie kommen am folgenden Tag gegen Kaution frei. Der Fall wird bis zum 28. November vertagt. Die Folgen dieser Verhaftung werden John und Yoko über mehrere Jahre verfolgen und letztendlich eine Wiedervereinigung der Beatles behindern, da John zu dem Zeitpunkt die Vereinigten Staaten nicht mehr verlassen will, um kein Einreiseverbot auferlegt

106 http://www.youtube.com/watch?v=BD3ovfZXO5Q 107 http://www.youtube.com/watch?v=CzCjGgrewYY zu bekommen. Diese Tatsache ist umso trauriger, als sich später herausstellen wird, dass der Polizeibeamte, der die Verhaftung durchgeführt hat, die Drogen selbst in das Haus geschmuggelt hat, um die Beatles zu schädigen und dabei seine eigene Karriere zu fördern. John: „Plötzlich war da ein Klopfen an der Tür und die Stimme einer Frau draußen und ich schaue mich um und sehe einen Polizisten am Fenster, der hereinwill. Wir waren gerade im Bett und unsere Schamteile lagen frei. Yoko lief ins Badezimmer, um sich anzuziehen und streckte gleich wieder den Kopf heraus, damit die nicht dachten, sie wolle etwas verstecken. Ich sagte: Ruf den Anwalt an, schnell, aber sie wählte die Nummer von Apple. Ich werde nie herausfinden, warum. Das Ganze war vorausgeplant. Der Daily Express war schon da, bevor die Polizei kam. Schon drei Wochen zuvor hatte mir Dan Short, der Reporter dort, gesagt: Sie werden euch schnappen. Deshalb hatte ich das Haus schon leergeräumt, weil Jimi Hendrix vorher hier gelebt hatte und ich bin nicht dumm. Ich habe das ganze verdammte Haus durchsucht.“ Am 9. wird die Scheidung zwischen den Lennons ausgesprochen. Scheidungsgrund: Eheliche Untreue von John mit Yoko Ono. In der Zeitung heißt es, John hätte sich bei den finanziellen Angelegenheiten großzügig und anständig verhalten. Am 28. November erklärt sich John schuldig im Drogenverfahren. Er wird wegen Besitz von Cannabis mit einer Geldstrafe von 150 Pfund belegt. Yoko zieht bei John in Weybridge ein. Yoko: „Nachdem wir begonnen hatten, miteinander zusammen zu leben, wollte John, dass ich dauernd bei ihm bin. Er wollte, dass ich mit ihm aufs Klo gehe. Er hatte Angst davor, was passieren würde, wenn ich mit einer Menge anderer Männer im Studio stand, dass ich mit einem von ihnen davonlaufen könnte. Er verlangte von mir eine Liste aller Männer, mit denen ich geschlafen hatte, bevor ich mit ihm zusammengewesen war. Ich begann damit im Scherz, aber dann merkte ich, wie wichtig das John war. Er war sogar dagegen, dass ich Japanisch konnte, weil das ein Teil meines Gehirns war, der nicht ihm gehörte. Nach einer Weile durfte ich keine japanischen Bücher oder Zeitschriften mehr lesen. Ich sagte zu ihm: Ich glaube, dass du eigentlich schwul bist. Weil John immer wieder einmal zu mir sagte: Weißt du, warum ich dich liebe? Weil du aussiehst wie ein Mann in Kleidern! Du bist wie ein Kerl.“ Diese Bemerkung ist interessant in Hinblick darauf, dass John auch bemerkte, dass ihm Brian Epstein von allen Menschen der Nächste gewesen sei. Am 7. Dezember 1968 erscheint das Weiße Album der Beatles, das den offiziellen Titel The Beatles trägt, und kommt sofort auf Platz 1 der englischen Hitparade. Es ist die erste LP, auf der die Beatles nicht alle zusammenspielen, sondern einzelne Arbeiten der Musiker vereint werden. Später würde John im Bezug auf das Album folgendes Resümee ziehen: „Das Auseinanderbrechen der Beatles kann man auf dem Doppelalbum The Beatles hören, auf dem jedes Lied von einem anderen Beatle stammt.“ John damals: „Dieses neue Album handelt vom Rock. Was wir auf Pepper taten, war rocken, und mal nicht rocken. Das ganze Weiße Album wurde in Indien geschrieben, als wir angeblich unser Geld dem Maharishi gaben, was nie der Fall war. Wir haben unser Mantra bekommen, haben in den Bergen gesessen und schreckliches vegetarisches Essen verspeist und haben dabei diese Lieder geschrieben. Wir haben eine Unmenge an Liedern in Indien verfasst.“ John über : „Geschrieben in Indien. Ein Lied über die Schwester von Mia Farrow, die ein bisschen abgedreht war und dauernd meditierte und nicht mehr aus ihrer kleinen Hütte kam. George und ich wurden dazu auserwählt, sie wieder zu holen, weil sie uns vertraute. Wenn wir im Westen gewesen wäre, hätte man sie in die Psychiatrie eingewiesen. Sie war schon drei Wochen in ihrer Hütte und wollte Gott schneller erreichen als jeder andere. Das war der Wettbewerb im Camp des Maharishi, wer zuerst kosmisch wurde. Was ich nicht wusste: Ich war bereits kosmisch!“ Prudence Farrow: „George hat mir als erster von dem Lied erzählt. Am Ende unserer Meditationskurses in Indien, kurz vor der Abreise, erwähnte er, dass sie ein Lied über mich geschrieben hatten, aber ich hörte es erst, als es auf dem Album herauskam. Ich war sehr geschmeichelt. Es war eine schöne Geste.“ John über Glass Onion108: „Es gibt darauf die Zeile Und hier noch ein Hinweis für euch alle: Das Walross war Paul! Das war ein Joke für alle Geheimnistuer, die unsere Platten rückwärts spielten. Aber es war auch ein ernster Hintergrund dabei, weil ich mich schuldig fühlte, jetzt mit Yoko zusammen zu sein, und dass ich Paul verließ. Es war eine perverse Art, Paul zu sagen: Hier noch eine Brotkrume, eine Illusion für dich, Paul, weil ich nämlich von dir weggehe.“ John über The Continuing Story of Bungalow Bill109: „Das wurde auch in Indien geschrieben über einen Typen, der eine kurze Pause machte, um ein paar arme Tiger zu schießen und dann zurück kam, um mit Gott zu kommunizieren. Es gab da einen Jungle Jim und ich machte aus ihm Buffalo Bill. Es ist ein pubertäres Lied und eine Art Witz. Yoko singt darauf im Hintergrund.“ John über George: „Die Lieder von George wurden besser und besser, und er wollte, dass man ihn ernst nimmt. Der Grund, warum die Beatles das White Album aufnahmen, und nicht nochmal Pepper machten, war, dass George so viel Material hatte und Paul und ich und Ringo auch. In Zukunft hätten wir nur mehr Doppelalben gemacht. Abbey Road war dann noch ein Ausrutscher, der Versuch, etwas zu machen, das wir schon mal gemacht hatten, weil alles auseinander fiel. Wenn wir eine einzelne LP gemacht hätten, wäre das immer so gelaufen, dass Paul und ich je zwei Lieder gehabt hätten, und das hätte Paul und mir nicht gepasst.“ Über Happiness Is A Warm Gun110: „Man hat behauptet, dass es von Drogen handelt, aber das war nicht so. Auch wenn mir keiner glaubt. Es war Edelkitsch, in dem alles, was Rock'n'Roll ausmacht, genannt wird. stand auf dem Umschlag eines Waffen-Magazins, das George Martin im Studio hatte. Unglaublich, dachte ich mir, dass Glück eine warme Pistole sein sollte, die gerade abgeschossen worden war und rauchte und jemanden getroffen hatte. Deshalb schrieb ich dieses Lied. Die erste Hälfte She's Not A Girl Who Misses Much war mit Yoko verbunden, eine Erinnerung an unser erstes Treffen. Von Heroin habe ich nicht gesungen. Ich kannte Heroin damals noch gar nicht, noch kannte ich jemanden, der es schon genommen hatte. Mother Superior war Yoko. Sie machte schnelle Spurenwechsel auf der Straße und ich sagte: Die ehrwürdige Mutter hat schon wieder voreilig geschossen, weil sie immer jedem vor die Motorhaube fuhr. Es war Edelkitsch. Shoot, shoot, bang, bang, das war Ersatz für Shoop shoop, doowah doowah. Wir lachten darüber, als wir all das sangen.“ John über I'm So Tired: Ich konnte in Indien nachts nicht schlafen. Ich hatte den ganzen Tag meditiert und konnte nachts nicht schlafen, das ist die Geschichte. Einer meiner liebsten Lieder. Ich mag den Klang und ich singe auch gut darauf.“ Paul über Rocky Racoon111: „Ich saß mit John auf dem Dach vom Haus des Maharishi und wir spielten Gitarre und Donovan war da und wir hatten Spaß. Ich spielte die Akkorde und zuerst hieß es Racko Sassoon, und jeder erfand was dazu.“ John über Julia: „Julia war meine Mutter, aber es war eine Art Kombination aus Yoko und meiner Mutter in einer Person. Ich habe das Lied in Indien geschrieben.“ John über Birthday112: „Das haben wir im Studio geschrieben, einfach spontan. Ich glaube, Paul wollte ein Lied schreiben wie Happy Birthday Baby, ein alter Hit aus den Fünfziger Jahren. Aber wir haben es im Studio zusammengebastelt. Es war ein Haufen Mist.“ John über Yer Blues: „Darin schreibe ich: Ich bin so einsam, ich möchte sterben. Das war kein Witz. So habe ich mich gefühlt. Schon bei Help! war da das Gefühl, verloren zu sein. Ich wollte das Lied noch einmal langsamer haben und neu einspielen und ich musste fast weinen, als ich die Worte sang.“ John über Everybody's Got Something To Hide Except For Me And My Monkey113: „Das war eine nette Phrase, die ich in ein Lied verwandelt habe. Es handelt von mir und Yoko. Jeder schien mir unter Verfolgungswahn zu leiden, außer wir zwei, die wir frisch verliebt waren. Alles ist klar und offen, wenn man liebt. Jeder um uns war angespannt auf die Art: Was macht die im Studio? Warum

108 http://www.youtube.com/watch?v=MosfOfDk5Ng 109 http://www.youtube.com/watch?v=lYj-XXMk3fA 110 http://www.youtube.com/watch?v=qE2Vdcv9Q_o 111 http://www.youtube.com/watch?v=nucSvl7VXVM 112 http://www.youtube.com/watch?v=m_Nz9B1XFio 113 http://www.youtube.com/watch?v=9lngGPsJ1pQ ist sie mit ihm zusammen? Dieser ganze Wahn um uns herum, nur weil wir gerne zusammen waren.“ John über Sexie Sadie114: „Das Lied handelt vom Maharishi. Ich wollte nicht Maharishi singen, was hast du getan, du hast jeden zum Narren gehalten. Ich schrieb das Lied, als wir unsere Koffer gepackt hatten, als wir abfuhren. Es war das letzte Lied, das ich in Indien verfasst habe.“ Hunter Davies über Cry Baby Cry115: „John sagte zu mir, ich habe da noch ein Lied, ein paar Wörter, ich glaube, sie stammen aus einer Werbung, , Make Your Mother Buy. Ich habe es auf dem Klavier gespielt, aber wieder vergessen. Es wird mir wieder einfallen, wenn ich das wirklich will.“ Paul über Good Night116: „John hat es zum Großteil geschrieben, es ist seine Melodie, was erstaunlich ist, weil er so etwas selten gemacht hat. Es ist eine süße Melodie und Ringo singt das toll, finde ich. Das Arrangement hat George Martin gemacht, was er sehr gut kann. Es ist sehr süß.“ John: „Good Night habe ich für Julian geschrieben.“ Das Gemeinschaftswerk der Beatles hindert Yoko und John nicht daran, gleichzeitig ein Konkurrenz-Album vorzulegen. Am 29. November erscheint Two Virgins117. Auf dem Plattenumschlag sind sie nackt abgebildet. John: „Ich habe es erwartet, dass wir deshalb Probleme bekommen, aber nicht so stark, wie es dann passiert ist. Ich wollte das Album mit Yoko machen, bevor wir Liebhaber wurden. Ich habe in Indien über das Album meditiert und überlegte mir, was das beste Cover wäre und dann dachte ich: A ha! Nackt! Das habe ich Yoko geschrieben, mit einer Zeichnung.“ Yoko: „Er hat mir aus Indien geschrieben mit einer Zeichnung von mir, wie ich nackt auf einem Glasball sitze und schrieb dazu: Wie wäre das als Cover für die Platte?“ John: „Und sie dachte: Hallo. Heißt das, dass er jetzt deutlich wird? Wenn ich sie als Nackte auf dem Cover möchte? Sie war überrascht, aber George und Paul noch weit mehr. Paul hat mir lange Vorträge darüber gehalten und sagte: Ist das wirklich notwendig? Ich habe fünf Monate gebraucht, bis ich sie überredet habe. Es war dann nur natürlich, dass auch ich auf das Bild kam, weil wir die Platte ja gemeinsam gemacht haben.“ Tony Bramwell, Werbeleiter bei Apple: „Auf der Plattenhülle waren John und Yoko nackt, aufge- nommen in ihrem Apartment am Montagu Platz. John hatte von Kameras keine große Ahnung, deshalb sorgte ich für die richtige Beleuchtung und Selbstauslöser und ging dann, damit sie das Bild selbst schießen konnten. Es wurde dann von einer bekannten Zeitung gedruckt.“ John: „Ich kenne mich mit Photos nicht aus. Als die Bilder zurückkamen, war ich schockiert. Ich hatte meinen Schwanz noch nie auf einem Album oder einem Photo gesehen. Ich dachte mir: Hallo! Was zum Teufel! Da ist ein Typ mit seinem Schwanz drauf. Das war das erste Mal, dass ich begriffen habe, was wir da machen. Wir sind vor der Kamera nackt. Das ist man nicht gewohnt. Ich dachte mir, wenn ich da schon schockiert bin, was werden die anderen darüber denken? Aber ich fand, es war die Sache wert. Es hat die Leute völlig überwältigt und Klarheit geschaffen. Das Album war nicht hässlich, nur ein Standpunkt. Ich hatte nicht vorausgeahnt, dass es das werden würde und freute mich dann darüber. Es wurde in Amerika in einigen Staaten in einer braunen Hülle verkauft. Kurz darauf kostete es am Schwarzmarkt schon 10 Pfund. Two Virgins zeigt, wie wir damals waren. Auf einer gewissen Ebene waren wir noch unschuldig. Unsere Geister trafen sich auf der Platte musikalisch und die Körper auf dem Umschlag. Es war einfach ein Konzept.“ Richard DiLello damals: „Es ist das revolutionärste Album des Jahrzehnts. Vielleicht wird man es nicht mögen, aber weil es von John stammt, ist es tiefgründig. Schauen Sie sich an, was da am Markt passiert, oder mit den Trends in der Industrie. Er steckt da seinen Schwanz raus und jetzt verfolgen sie ihn. EMI weigert sich, es zu verbreiten. Und keiner in der Industrie möchte Anzeigen dafür schalten.“ Am 11. Dezember gehen John und Yoko mit gemeinsam ins Fernsehstudio. Es ist die

114 http://www.youtube.com/watch?v=eSDFkjwMwes 115http://www.youtube.com/watch?v=4A3pX_shcyU 116 http://www.youtube.com/watch?v=rM40IzExGG8 117 http://www.youtube.com/watch?v=YXFKWW7jkcg&feature=related Sendung „Rock And Roll Circus“ und wird von den Rolling Stones produziert. Allerdings kommt es nie zu einer Ausstrahlung. Ian Anderson von den Jethro Tull: „Der Höhepunkt der Show war, als John Lennon, Eric Clapton, Keith Richards und Mitch Mitchell Yer Blues spielten. Anderes Zeug war total ungenießbar wie das schrille Schreien von Yoko Ono.“ Am 28. Dezember erreicht das Weiße Album auch die Spitze der amerikanischen Charts. Auf Platz 5 steigt ein melodiöses, poppiges Lied mit dem Titel I'm The Urban Spaceman ein. Es ist Paul, der es geschrieben und produziert hat unter dem Pseudonym Apollo C. Vermouth. Die Parallele zeigt, wie stark sich das Weiße Album von dem Bild entfernt hat, das Paul von den Beatles hat. Es hat mehr mit Two Virgins gemeinsam als mit den anderen Beatles-Alben. 1969

Das Jahr beginnt damit, dass John ein neues Buch zu schreiben beginnt. Es heißt John's Diary – Diary of A Working Man und beginnt so: „Aufgestanden. Zur Arbeit gegangen. Heimgegangen. Ins Bett gegangen.“ Am 2. Januar 1969 beginnen Dreharbeiten zu einem neuen Film der Beatles in den Twickenham Film Studios. Es sind Proben der Beatles, die hier öffentlich gemacht werden sollen. Die Idee des Films, der heißen soll, ist die, den gesamten kreativen Prozess der Entstehung eines Beatles-Albums sichtbar zu machen. John: „Wir konnten uns nicht darauf einlassen. Es war ein schreckliches Gefühl dort im Twickenham Studio. Um acht Uhr morgens konnte keiner Musik machen, an einem fremden Ort, wo einen dauernd Leute filmten und im Licht der Scheinwerfer. Ich war die Hälfte der Zeit high und es war mir alles egal.“ Im Tagebuch von John stand jeden Tag bis zum fünften Tag, was er schon am 1. Januar notiert hatte. Am 6. Januar kommt was neues: „Die Frau gefickt.“ In dieser Zeit bringt Paul seinen künftigen Schwiegervater, den New Yorker Anwalt Lee Eastman, als Manager für die Beatles ins Spiel. Der schickt seinen Sohn John vor, um die Lage zu peilen. John: „Die Leute haben uns an allen Ecken und Enden ausgeraubt. Bis zu 20.000 Pfund pro Woche gingen bei Apple verloren und keiner wusste warum. Alle Kumpels von uns, mit denen wir seit 50 Jahren zusammengearbeitet hatten, taten nichts, als zu leben und zu saufen und zu fressen wie im alten Rom! Und plötzlich wurde mir klar – wir verlieren so rasch unser Geld, dass wir bald pleite sind. Wirklich pleite. Wir hatten kein Geld auf der Bank, keiner von uns. Paul und ich hätten uns vielleicht gerettet, aber wir sanken schnell. Es war die Hölle, und das musste aufhören!“ John Eastman: „Ich traf mich sofort mit Clive Epstein und sagte ihm: Hör zu, du kannst nicht das Geld aus der Firma nehmen, um Erbschaftssteuer zu zahlen, da wäre es doch besser, wenn wir NEMS aufkaufen und du kriegst das Geld als Gewinn raus. Vergiss die 25 Prozent, die NEMS von den Beatles-Einkünften bekommen. Was ist die Firma denn wert? 800.000, 900.000 Pfund? Vergiss das, wir geben dir eine Million!“ Es stellt sich heraus, dass Brian Epstein vor seinem Tod die Beatles ganz schön über den Tisch gezogen hat, in dem er ihnen ein Viertel der Gesamteinkünfte vom Gewinn abgezogen hat als Entschädigung für die Mühsal, sie zu managen. Das erkennt Paul nun deutlicher, nachdem er es in seiner Familie mit New Yorker Geschäftsleuten zu tun hat. Nicht nur sein zukünftiger Schwager und Schwiegervater, sondern auch seine zukünftige Frau Linda sind sehr geschäftstüchtig und wundern sich, wie leger die Beatles mit ihrem Geld umgehen. Auf Lindas Betreiben hin holt sich Paul nicht nur die Eastmans ins Boot, sondern kauft auch heimlich Anteile an Northern Songs, ohne den anderen Beatles Bescheid zu geben. John: „Es war das erste Mal, dass einer von uns etwas hinter dem Rücken des anderen gemacht hatte. Ich fragte Paul, warum er die Anteile gekauft hatte und er sagte: Ich hatte ein paar Moneten und wollte noch ein paar mehr.“ Paul: „Ich habe einmal ein paar Anteile an Northern Songs gekauft. John und und ich hatten früher mal gesagt, wenn man eine Investitionsmöglichkeit sucht, wäre doch die beste unsere eigenen Lieder. Lennon-McCartney, etwas Besseres gibt es nicht, um sein Geld hineinzustecken. John hat das in die falsche Kehle gekriegt und dachte, ich möchte sie heraus kaufen, aber wenn ich das versucht hätte, hätte ich mich wohl nicht mit 200 Anteilen zufrieden gegeben.“ Am 10. Januar 1969 verlässt George nach einem Streit mit Paul mittags in der Kantine die Beatles. Ringo: „George musste weg, weil er den Eindruck hatte, dass Paul ihn beherrschen will. Der Regisseur des Films mochte Paul und uns nicht so sehr. Deshalb ist Let It Be auch Pauls Film geworden.“ George: „Diese Zeit war das absolut Letzte für mich. Normalerweise hätte mich das alles nicht so sehr gestört und um meine Ruhe zu haben, hätte ich Paul machen lassen, selbst wenn das Ergebnis war, dass meine Lieder nicht auf Platte aufgenommen wurden. Aber dann begann Paul auch noch vor laufender Kamera zu kritisieren, wie ich spielte. Im Film kommt das so vor, dass wir uns streiten und dann versöhnen wir uns und in der nächsten Szene kreischt Yoko ihre Nummer. Das war aber, als ich längst zuhause war und Wah Wah schrieb. Ich hatte von dem ganzen ein Wah Wah bekommen, Kopfweh.“ George Martin: „Paul versuchte, alles zusammenzuhalten und jedem zum sagen, was er zu tun hatte und tat das von oben herab. Das haben die anderen Jungs nicht vertragen. Aber es war der einzige Weg, um überhaupt noch was zustande zu bringen. John schwebte jedes Mal einfach mit Yoko davon und George sagte, dass er keine Lust hatte, überhaupt noch aufzutauchen.“ Als George an diesem Tag des Streits weg ist, kommen die anderen und Yoko betrunken ins Studio. John wirkt relativ gelassen, als ihm gesagt wird, dass George die Beatles verlässt: „Wenn er Montag oder Dienstag nicht kommt, dann fragen wir, ob Eric Clapton bei uns mitspielen will. Eric wird sich freuen. Er hat das Format, bei uns mitzuspielen. Die Frage ist nur, ob wir uns dann noch Beatles nennen sollen, wenn George nicht mehr dabei ist. Ich bin aber dafür.“ Michael-Lindsay Hogg, der Regisseur von Let It Be: „Für die Show könnte man sagen, dass er krank war.“ John: „Wenn er geht, dann geht er.“ Hogg: „Wie seht ihr das, wollt ihr weitermachen?“ John: „Ja. Wenn er bis Dienstag nicht da ist, holen wir Clapton.“ Am 12. Januar treffen sich die vier Beatles im Haus von Ringo, aber George verlässt das Treffen plötzlich und fährt nach Liverpool. Auch Ringo muss bald weg, weil er im Film Magic Christian mitspielen soll, weshalb die restlichen Beatles überlegen, ihn mit Ginger Baker, dem Drummer von Cream, zu ersetzen. Die Idee, die Beatles mit der damaligen Superband Cream zu verschmelzen, ist aus Johns Sicht sehr reizvoll, denn er mag den harten Rock, den Eric Clapten, Ginger Baker und Jeff Bruce spielen118. John am 13. Januar in einem Interview: „Die Leute halten mich für einen perversen Spinner, wegen dieser Nacktsache, aber dafür muss man sich nicht schämen, es sind die Leute, die so denken, die sich schämen sollten. Sie glauben, dass Yoko und ich nur Sex im Kopf haben und auffallen wollen, aber tatsächlich sind wir die ruhigsten Einsiedler, die es gibt. Ich suche eine Farm, wo ich mein eigenes makrobiotisches Essen wachsen lassen kann, mit einer Fahrzeit von zwei Stunden von London, mit acht Hektar, einem See und einem Fluss, und ich werde ein paar Küken kaufen.“ Frage: „Sind Sie damit zufrieden, wie sich Apple entwickelt?“ John: „Nein. Wenn wir so weiter machen, sind wir in sechs Monaten pleite.“ Am 14. Januar proben die drei Beatles gerade Get Back, als es Ringo schlecht wird und er das Studio verlassen muss. John ruft ihm nach: „Es war schön, mit dir zu arbeiten, Ringo!“ Am 15. Januar kommt es zu einem erneuten Treffen der drei Beatles mit George. Die Sitzung dauert fünf Stunden und findet im Büro von Apple statt. Er macht nur mehr mit, sagt George, wenn die Idee eines Konzerts fallen gelassen wird und man die Proben in das Plattenstudio von Apple verlagert. George später: „Ich wollte die Platte fertig machen und Schluss.“ Am 17. Januar kommt der Soundtrack zum Film Yellow Submarine mit Liedern der Beatles heraus. John über Hey Bulldog119: „Sie wollten ein anderes Lied, also habe ich das schnell herausgehauen. Es klingt gut und bedeutet nichts.“ Am 18. Januar war ein Konzert der Beatles im Roundhouse in London vorgesehen. Da George nicht mitspielt, muss das Konzert ausfallen. Am 20. Januar ziehen die Beatles in das Apple Aufnahmestudio, das von Magic Alex gestaltet wurde. Magic Alex: „Ich bin ein Rockgärtner, der jetzt elektronisch arbeitet. Vielleicht werde ich nächstes Jahr Filme machen oder Gedichte. Ich habe nirgendwo eine Ausbildung, aber das ist auch nicht relevant. Der Mensch ist nichts als ein kleines Glas, das durchsichtig ist, mit vielen Gesichtern, wie ein Diamant. Man muss nur einen Weg finden, die kleine Tür zu jedem Gesicht zu finden.“ George: „Das Aufnahmestudio, das Alex gebaut hatte, war die größte Katastrophe aller Zeiten. Er

118 http://www.youtube.com/watch?v=Cqh54rSzheg 119 http://www.youtube.com/watch?v=UaRz-3DYV7c hatte keine Ahnung, was er da tat.“ Aufnahmen sind in diesem Studio nicht möglich. George Martin leiht den Beatles seine Maschinen von EMI, damit sie ihre Aufnahmen fortsetzen können. Die Beatles spielen also wieder zusammen. Dass sie wieder besser miteinander auskommen, hat mit einem neuen Musiker zu tun: , ein ehemaliger amerikanischer Kinderstar, den die Beatles 1962 in der Truppe um Little Richard kennen gelernt haben. George Harrison: „Es war immer noch sehr angespannt im Studio, aber dann kam Billy Preston rein und ich fragte ihn: Möchtest du mit uns Klavier spielen? und das hat gut funktioniert, jeder zeigte sich von seiner besten Seite, nur weil er da war.“ Am 28. Januar trifft der New Yorker Manager John und Yoko im Dorchester Hotel, wo er eine prächtige Suite bewohnt. Er ist gekommen, um den Beatles wieder kommerziell auf die Beine zu helfen, wie er meint. Tatsächlich wird der Mann, der einen zweifelhaften Ruf hat, mit seinen Machenschaften die Beatles in große finanzielle Not stürzen und dabei auch ihren freundschaftlichen Beziehungen untereinander großen Schaden zufügen. Klein ist in New York ein geschäftlicher Konkurrent der Eastmans, die sich von nun an mit ihm befehden und dabei Paul gegen die anderen Beatles aufhetzen werden. Klein: „Als Lennon öffentlich sagte, dass die Beatles pleite wären, rief ich sie an. Ich wollte wissen, ob er weiß, in welcher Lage er sich befindet.“ John: „Ich bekam einige Nachrichten, dass Allen Klein mit mir reden wollte. Es war Mick Jagger, der uns zusammengeführt hat. Ich wusste, wer er war, wollte aber nicht mit ihm reden. Im November 1966 hatte er Brian einen Deal angeboten, von dem sich später herausstellte, dass er gut war. Ich hatte auch diese schrecklichen Gerüchte über ihn gehört, aber die Rollings Stones schienen mit ihm zufrieden zu sein. Als ich dann hörte, dass er mit mir reden wollte, wurde ich nervös. Ich ging nicht ans Telefon, als er mich in Kenwood anrief, weil ich Angst hatte. Ich kann mit Fremden nicht reden. Fremde wollen über wirkliche Dinge reden, oder so, und deswegen bin ich nicht rangegangen. Wir waren alle nervös. Er war total nervös und ich war total nervös und Yoko war nervös. Wir trafen uns im Dorchester. Wir fuhren hoch in sein Zimmer und gingen einfach rein. Er war allein, er hatte keiner seiner vielen Helferlein dabei, weil er das nicht wollte. Er war nervös, das konnte man an seinen Augen sehen. Da fühlte ich mich besser. Wir redeten ein paar Stunden und beschlossen an dem Tag, dass er es war, den wir wollten. Er kannte den Text von jedem verdammten Lied, angefangen von den Zwanziger Jahren. Er kannte nicht nur meine Arbeit und meine Texte, sondern er verstand sie auch, selbst die frühesten. Er war ein sehr intelligenter Mann. Er sagte mir, was mit Paul und George und Ringo gerade los war. Er wusste alles über uns. Er ist ein verdammt heller Kopf und jeder, der mich so gut kannte, ohne mich jemals getroffen zu haben, musste der Typ sein, der sich um mich kümmern würde. Deshalb schrieb ich noch an dem Tag an Sir Joe Lockwood: Lieber Sir Joe, von jetzt an wird sich Allen Klein um meine Sachen kümmern. Und ich schickte den Brief noch an dem Tag ab. Uns ging es gut. Mir war egal, was die anderen dazu sagen würden. Ich sagte zu Allen Klein: Sie kümmern sich ab jetzt um meine Sachen! Und er konnte es erst gar nicht glauben. Er war total aufgeregt. Endlich! Endlich! rief er. Er wollte mich zu nichts zwingen, aber ich sagte, ich werde den anderen sagen, dass Sie mir gefallen und Sie können dann George und Paul treffen und so weiter.“ Erst jetzt hört John, was Paul längst weiß: Brian Epstein hat sie im letzten Vertrag übers Ohr gehauen. Als die Beatles 1967 ihren Vertrag mit EMI erneuerten, hatte der Manager ohne das Wissen der Beatles eine Klausel in den Vertrag geschmuggelt, der besagt, dass seine Firma NEMS bis zum Jahr 1976 ein Viertel der Einnahmen der Beatles bekommt. Die erste Tat von Allen Klein ist die, die Beatles darauf hinzuweisen, dass ihr Plan, NEMS jetzt zu kaufen, um diese Klausel unwirksam zu machen, in Ordnung ist, aber dass sie auch noch keine Steuern auf ihre Einkünfte gezahlt haben und dieses Vorgehen dadurch erschwert wird. John begreift erst den Ernst der Lage. Was immer derzeit noch an Geld vorhanden ist, muss für die Steuernachzahlung zurückgelegt werden. Am 29. Januar 1969 stürzt John in die Apple Büroräume. Derek Taylor: „John verkündete: Ich gebe einen Scheiß darauf, was jeder andere will, aber ich werde Allen Klein nehmen!“ Linda Eastman: „Ach du liebe Scheiße.“ John veranstaltet ein Treffen mit Allen Klein. John: „Die anderen waren nervös, wie ich es gewesen war, weil dieser schreckliche Mann schon die Rolling Stones unter Vertrag hatte und und damals auch gesagt hatte, dass er die Beatles kriegen wird.“ Allen Klein: „Jeder in diesem Geschäft würde die Beatles gerne vertreten. Bis dahin hatte sie jeder ausgenutzt.“ Paul mag Allen Klein nicht. Paul: „Das erste, was meinen Verdacht weckte, war, dass er so etwas Bübisches hatte. Es war neun Uhr abends und wir hatten uns den ganzen Tag lang getroffen, also sagte ich: Ich glaube, ich gehe jetzt heim zu Linda und jeder sagte: Was? Wie kannst du so uncool sein, wir treffen uns hier gerade mit diesem tollen Kerl, und du gehst nach Hause. Ich dachte, er ist ein Geschäftsmann und man macht keine Geschäfte mehr nach neun Uhr abends, oder? Schwierig wurde es, als wir über Prozente sprachen. Ich sagte: Wir sind jetzt Stars, und nur in der Frühphase hat Brian Epstein von uns zwanzig Prozent bekommen. Ich sagte zu ihnen: Zwanzig Prozent? Ich dachte, ein Manager bekommt zehn Prozent? Allen Klein sagte: Nein, heutzutage sind es zwanzig Prozent. Also sagte ich: Okay, dann bin ich nicht so up-to-date. Ich sagte zu den anderen: Er wird es auch für fünf Prozent machen. Wir sind heute große Jungs. Aber da hatten sich schon zwei Lager gebildet. John, George und Ringo mit Klein auf einer Seite und auf der anderen ich. Ich sagte: Hör zu, Allen, du hast uns gesagt, das und das wird passieren, aber was ist jetzt daraus geworden? Und er sagte dann: Das geht heute nicht. Das war vor zwei Wochen. Damals war es möglich. Ich glaube, dass er dieses Thema eines Konflikts zwischen Eastman und Klein dazu gebrauchte, um die anderen in sein Boot zu holen.“ John: „John Eastman kam mir sehr unerfahren vor, regte sich schnell auf und war leicht in Verwirrung zu setzen. Wir wussten, dass Paul mit der Familie befreundet war ... Ich wollte keinen als Manager, der mit einem bestimmten Beatle ein nahes Verhältnis unterhält, aber auch davon abgesehen kamen sie mir nicht wie Leute vor, die erfahren genug sind und das Wissen dazu haben, den Job für uns zu erledigen.“ Allen Klein: „Plötzlich war John Eastman da und der alte Herr, Lee, weil sie auf die Stelle als Manager der Beatles aus waren. Ich reizte Lee Eastman ein bisschen und er verlor die Nerven und begann auf mich einzuschreien und mich zu beschimpfen. Da wussten sie, wie er war, alle sahen es, wie der Mann war, außer Paul.“ Am 30. Januar gehen die Beatles, verstärkt durch Billy Preston, auf das Dach des Apple Gebäudes in der und spielen Lieder von ihrem neuen Album. Stephen King, der Chefbuchhalter der Royal Bank of Scotland, ruft schließlich die Polizei wegen des Lärms und die Beatles müssen das Konzert abbrechen. Es ist das letzte Mal, dass die Beatles gemeinsam öffentlich auftreten. Das Konzert bildet den Schlusspunkt für den neuen Film, Let It Be. Am 3. Februar wird Allen Klein auf Druck von John zum Manager der Beatles bestimmt. Paul hatte für diese Rolle noch einmal ausdrücklich seinen künftigen Schwiegervater vorgesehen, der fortan aber auf Wunsch von Paul Anwalt der Beatles wird, um die Arbeit von Klein zu überwachen. Die Beatles haben aber keinen wirklichen Manager, da Paul den Vertrag nicht unterschreibt. Yellow Submarine, die Filmmusik zu dem Zeichentrickfilm, steigt am 8. Februar in England auf Platz 3 der Hitparade. George Martin hat einen Großteil davon geschrieben, aber auch 6 Lieder der Beatles finden sich darauf. Die LP gelangt am 1. März in Amerika auf den ersten Platz. Am 12. März 1969 heiratet Paul Linda Eastman im Marylebone Register Office. Die anderen Beatles sind nicht geladen. Den Behörden ist das nicht bekannt. Sie wollen bei George ungestört eine Hausdurchsuchung durchführen, stoßen aber auf George und seine Frau Pattie, die daheim geblieben sind. Auch bei John und Yoko läuten die Hochzeitsglocken. Da es Schwierigkeiten mit den Papieren gibt, heiraten sie am 20. März 1969 im britischen Konsulat auf Gibraltar, einer Kronkolonie, auf der die rechtlichen Bestimmungen weniger strikt sind als zuhause. Yoko: „Ich war bei der Trauung so außer mir, dass ich fast zusammengebrochen wäre, und John ging es ähnlich.“ John: „Wir hatten Gibraltar ausgewählt, weil es ruhig, britisch und freundlich war. Wir hatten es überall sonst schon versucht. Wir wollten auf einer Fähre auf dem Ärmelkanal heiraten. Das war romantisch, aber als wir dann nach Southampton kamen, durfte sie nicht aufs Boot, weil sie keine englische Staatsbürgerin war und kein Tagesvisum bekam. Sie sagten: Außerdem könnt ihr euch nicht verheiraten lassen, weil ein Kapitän heute gar keine Trauungen mehr durchführen darf. Wir versuchten einzelne Botschaften, aber in Deutschland musste man dafür drei Wochen im Land gewesen sein und in Frankreich zwei Wochen. Wir haben dann in Paris Peter Brown angerufen und gesagt: Wir schaffen es nicht, in den Stand der Ehe zu treten. Was können wir noch tun? Und dann rief er zurück und sagte: Nur in Gibraltar, nirgends sonst.“ Alistair Taylor: „Ich flog nach Paris, um die beiden frühmorgens abzuholen für den Flug nach Gibraltar. Wir saßen um 5:15 Uhr da und tranken Champagner. Ich hatte ihnen einen Haufen Geld mitgebracht, weil sie schon alles andere ausgegeben hatten.“ John: „Wir kamen dort an und es war wunderschön. Man nennt es die Herkulessäule und symbolisch das Ende der Welt. Es wurden keine Zuschauer bei der Hochzeit erlaubt. Die einzigen waren Angestellte der Beatles, Peter Brown und David Nutter, ein Photograph.“ Ringo: „Ich hatte von Pauls Hochzeit gehört, weil er mich angerufen hatte und von Johns über das Büro. Ich wusste, dass er weg war, um irgendwo zu heiraten, aber sonst nichts Genaues.“ Am 21. März sind John und Yoko in Paris und geben in ihrer Flitterwochensuite ein erstes Interview. John: „Wir sind beide schreckliche Romantiker. Am Liebsten wären wir vom Erzbischof von Canterbury getraut worden, aber das war wegen der Presse nicht möglich und der traut keine geschiedenen Personen. Intellektuell gesehen glauben wir nicht an die Ehe. Aber man liebt den anderen nicht nur auf geistiger Ebene.“ Yoko: „Die Ehe ist so etwas Altmodisches. Es ist, als würde man alte Kleider tragen. Aber es ist ein anderer Lebensabschnitt, den wir gemeinsam in Angriff nehmen werden.“ John: „Es gab keinen formellen Hochzeitsantrag. Wir haben einfach darüber gesprochen. Wir hatten unsere Flitterwochen vor der Heirat. Keiner wusste, wo wir waren und und wir haben vier Tage lang eingekauft, gegessen und Sachen gemacht. Sind verliebt gewesen im Frühling in Paris, es war wundervoll. Wir wollen keine Kinder. Aber wenn es passiert, dann passiert es. Wir improvisieren und auch unsere Ehe wird Improvisation sein.“ Reporter: „Yoko, werden Sie eine normale Ehefrau sein?“ Yoko: „Nein. Aber wenn ich ihm seine Pantoffeln bringen soll, dann werde ich tun, was nötig ist.“ John: „Alles was wir tun, werden wir gemeinsam tun. Ich werde die Beatles nicht zerstören, aber wir möchten alles teilen.“ Am 25. März veranstalten John und Yoko ein „Bed-In“ im Hilton Hotel von . Dieses Happening findet sechs Tage lang statt und soll dem Weltfrieden dienen. John und Yoko möchten jedem Staatsmann der Welt einen Eichensetzling schicken. Yoko: „Und wenn sie das wollen, fliegen wir in alle Länder und pflanzen ihn eigenhändig ein.“ Reporter: „Wie können wir euch dabei unterstützen?“ John: „Wir brauchen noch ein paar Adressen.“ Reporter: „Kommt da eine vier- oder fünf-Pence-Marke drauf?“ John: „Luftpost. Der Friede kann nicht warten.“ Reporter: „John, ist diese Sache hier ein Witz?“ John: „Wir lachen euch nicht mehr aus als ihr uns auslacht. Wir protestieren gegen Gewalt.“ Am 31. März fliegen John und Yoko nach Wien weiter, wo sie im Hotel Sacher absteigen. Ein Reporter berichtet: „Der rote Salon im Hotel Sacher, der sonst mit Gemälden und Wandschmuck verziert ist, trägt jetzt große weiße Tafeln, auf denen , Bed, Peace, Total Communication, Stay In Bed, Grow Your Hair, It's Spring, I Love John und I Love Yoko steht. Auf einem niedrigen Tisch sieht man einen weißen Sack, und da drin stecken John Lennon und Yoko Ono, die sich gerade auf ihre erste Pressekonferenz in Wien vorbereiten. Reporter: „Kommen Sie heraus?“ John: „Nein!“ Reporter: „Warum nicht?“ John: „Weil das ein Sack-Ereignis ist. Totale Kommunikation.“ Reporter: „Finden Sie das nicht selbst etwas ungewöhnlich?“ John: „Finden Sie, das das etwas mit Manieren zu tun hat?“ Reporter: „Womit hat es denn zu tun?“ John: „Totale Kommunikation.“ Reporter: „Was ist das?“ John: „Wir zeigen euch hier und jetzt, dass es das gibt. Das ist ein Beispiel davon.“ Reporter: „Wie fühlt es sich an da drin?“ John: „Nicht besonders warm, danke.“ Reporter: „Wollen Sie etwas trinken?“ John: „Nein, danke.“ Reporter: „Wenn Sie Ihr Gesicht ändern könnten, was würden Sie tun?“ John: „Keine Ahnung. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ Reporter: „Halten Sie sich für schön?“ John: „Ich bin zufrieden.“ Reporter: „Und Ihre Frau?“ John: „Ich finde sie wunderschön. Übrigens ist das ein weiterer Friedensprotest.“ Reporter: „Dafür oder dagegen?“ John: „Für den Frieden.“ John später: „Wir veranstalteten in Wien eine Pressekonferenz und die sind da recht rückständig. Sie erwarteten Beatle John in dem Sack und seine berühmte Frau, aber wir waren da drin und sangen und summten und die Presse fragte uns dauernd: Was habt ihr an? Sie standen da, hielten Mikrophone auf den Sack und fragten, wie es uns ging, ob uns Wien gefiel und ob wir wirklich John und Yoko wären.“ Am 1. April kehren John und Yoko nach Hause zurück. John gegenüber der Presse: „Ich werde pleite! Ich bin runter auf meine letzten 500.000 Pfund! Ich möchte mit den Beatles nach Amerika auf Tournee gehen, wo das Geld steckt, um mein Bankkonto aufzufetten.“ In einer Fernsehsendung sollen John und Yoko ihre öffentlichen Handlungen erklären. John sagt: „Es handelt alles vom Frieden“, und Yoko: „Es war sehr gut, was wir gemacht haben, weil wir tolle Reaktionen von den Menschen bekommen haben.“ Eamonn Andrews, der Gastgeber der Fernsehsendung, fragt an dieser Stelle das Publikum: „Gibt es unter ihnen einen, und haben Sie keine Scheu, den Arm zu heben, der wegen John und Yoko mehr über Frieden nachgedacht hat?“ Ein älterer Herr steht auf. Andrews: „Können Sie mir sagen, was Sie über Peace (Frieden) gedacht haben? Mann: „Ich dachte, dass es das größte Piece (Stück) Scheiße war, das ich in diesem Jahr gehört habe.“ John: „Haben Sie wenigstens lachen müssen?“ Mann: „Lachen? Ich meine, es ist nicht zum Lachen, welches Beispiel Sie hier unseren Kindern geben.“ John: „Was ist falsch daran, wenn zwei Leute im Bett bleiben?“ Mann: „Es ist okay, wenn Sie im Bett bleiben. Am Besten wären Sie überhaupt dort geblieben.“ (Lachen) John: „Das ist in Ordnung, Sie müssen ja nicht beleidigend werden. Bevor Sie das tun, schauen Sie selbst in den Spiegel.“ Mann: „Ich schaue lieber in den Spiegel, als dass ich Sie anschaue.“ John: „Und was haben Sie für den Frieden getan?“ Mann: „Während des letzten Krieges ...“ John: „Nein, jetzt!“ Yoko: „Jetzt, jetzt.“ Mann: „Während des letzten Krieges habe ich daran gearbeitet, dass Frieden ...“ John: „Waren Sie ein freiwilliger Soldat?“ Mann: „Ja, das war ich.“ John: „Na toll, mein Kompliment. Aber was tun Sie jetzt?“ Am 22. April ändert John seinen Namen von John Winston Lennon auf John Ono Lennon. Die Zeremonie findet auf dem Dach des Apple Gebäudes statt. John: „Yoko hat ihren Namen für mich geändert und ich meinen für sie. Einer für beide, beide für einen. Sie hat einen Ring und ich auch einen. Wir haben dann gemeinsam neun Os, was Glück bringen soll. Zen Os wären ungünstig. Drei Namen für jeden sind genug. Vier wäre schon gierig.“ In dieser konfusen Phase veröffentlichen die Beatles wieder ein tolles Lied. Die Single Get Back120 erreicht am 26. April Platz 1 der englischen Hitparade. John: „Ich habe darauf Solo gespielt. Wenn Paul guter Stimmung war, gab er mir ein Solo. Wahrscheinlich fühlte er sich schuldig, dass er die meisten A-Seiten bekam und deshalb ließ er mich darauf Solo spielen. Ich finde, dass George darauf schön Gitarre spielt, aber dass er schon zu verkrampft war, um wirklich alles rauszulassen.“ Auf der B-Seite findet sich Don't Let Me Down121. John: „Da singe ich über Yoko.“ Am 8. Mai unterschreiben John, George und Ringo einen Dreijahresvertrag mit Allen Klein. Paul: „Warum ich nicht bei Allen Klein unterschreibe? Weil ich ihn nicht mag und ich nicht glaube, dass er der richtige Mann für mich ist, selbst wenn die anderen ihn mögen. Da er nur drei Viertel der Beatles hat, vertritt er nicht die Beatles. Er ist zweifellos der Manager von John, George und Ringo, aber definitiv nicht mein Manager.“ Die erste Maßnahme von Allen Klein ist die, Angestellte zu feuern, darunter auch einige alte Freunde der Beatles. John ist damit zufrieden: „Er fegt mit dem eisernen Besen und hat dieses Altersheim für Hippies aus aller Welt geschlossen. Jetzt werden Leute nicht mehr wertvolle Möbel auf unsere Kosten kaufen.“ Die wichtigsten Überlebenden der Entlassungswelle sind Neil Aspinall und Mal Evans. Am 9. Mai treten John und Yoko in Cambridge bei einer Avantgardenummer auf. Yoko: „Sie fragten mich, ob ich meine eigene Band bringen würde, und John sagte: Ich bin die Band. Sag es ihnen nicht, aber ich bin die Band.“ John: „Wir kamen in Cambridge an und da war ein Typ namens John Tchikai der offenbar ein weltberühmter Saxophonspieler war. Ich kam als ihre Band und die Leute fragten sich: Ist das alles? Nur eine Gitarre und Verstärker? Ich schaltete die Gitarre ein und löschte meinen Verstand aus. Sie auch und entweder man versteht es oder eben nicht. Es ist nur Rückkopplung und Zeug auf der Platte. Das Publikum war merkwürdig, weil das alles diese intellektuellen arroganten Kunstliebhaber waren. Sie mochten es gar nicht, dass der Rock'n'Roll-Typ da war, obwohl ich keinen Rhythmus spielte. Es ist nur Klang mit einer Frau, die heult, als würde sich ein Kind ausdrücken.“ Das Ergebnis wird unter dem neuen Apple-Label Zapple herausgegeben. Eine weitere Platte der beiden ist No Bed For Beatle John122, eine vertonte Ansammlung von Presseberichten, die sie ausgeschnitten haben. Sind diese Kunstaktionen auch kommerziell erfolgreich? John: „Wir haben das Lied im Krankenhaus aufgenommen. Wir haben von Two Virgins in den Vereinigten Staaten 25,000 Platten verkauft und 60,000 Platten von Life With The Lions. Das ist ziemlich gut.“ John und Yoko veranstalten am 26. Mai ein zweites „Bed-In“ in Montreal im Zimmer 1742 des La Reine Queen Hotels. Es dauert wieder eine Woche, bis zum 2. Juni. John wird über seine finanziellen Verhältnisse befragt und sagt: „Apple ist sicher wie eine Burg und es ist der Firma nie besser gegangen. Wir haben viel Geld verloren, aber die Firma lebt von den Urheberrechten der

120 http://www.youtube.com/watch?v=-6G7MkBMVxE 121 http://www.youtube.com/watch?v=4lwzzln1WIk 122 http://www.youtube.com/watch?v=AXzmSHWsCQg Beatles und der Rest ist nur Verpackung. Das Gerede, dass die Beatles wieder Konzerte geben müssen, war nicht ernst gemeint. Wir brauchen nicht so viel Bargeld. Wir haben ein riesiges Einkommen von den Rechten auf die Lieder und jetzt kümmert sich Klein darum, was sich sehr positiv auswirken wird.“ Als Zeichen, dass er noch wohlhabend genug ist, kauft John in Ascot einen prächtigen Landsitz aus dem 18. Jahrhundert. Das Haus heißt und kostet 150.000 Pfund. Der Vorbesitzer war ein Fußballwettkönig. Einige Krishnas, die mit George befreundet sind, dürfen in dem Anwesen wohnen, wenn sie versprechen, es auch zu bewirtschaften. John: „Ich gehe nicht gern im Garten herum. Ich kann mich an meinen alten Platten mehr erfreuen als an der Größe und der Pracht meines Heims. Es bedeutet mir nichts. Das bisschen Elfenbein, das ich aus Japan mitgebracht habe, dass ist mein wichtigstes Besitzstück. Besitz ist okay, solange er dir nicht den Kopf verstopft. Mir wäre es egal, wenn ich eines Tages nichts mehr hätte. Wenn es mühsam wird, hier in diesem riesigen Haus zu wohnen, dann werde ich hier nicht mehr leben. Die Krishnas helfen mir jetzt bei der Bewirtschaftung des Landes. Wir haben 15 oder 30 von denen da und es gefällt ihnen, bei der Landwirtschaft zu helfen und ihr Leben zu führen. Wir haben keinen Vertrag miteinander, wir wollen Lebensmittel ohne Chemie hier anpflanzen, vielleicht können wir die an Harrods verkaufen.“ Am 1. Juni nehmen John und Paul zu zweit eine Single mit dem Titel The Ballad Of John And Yoko123 auf, die am 14. Juni Platz 1 in den englischen Charts erreicht. Es ist die letzte Single, die die Beatles veröffentlichen. Am 1. Juli haben John und Yoko einen Autounfall und werden in das Lawson Memorial Hospital in Golspie in Schottland gebracht. John erhält eine Gesichtsnaht mit 17 Stichen, Yoko 14 Stiche und ihre Tochter Kyoko 4 Stiche. Julian Lennon war auch mit von der Partie. Bis auf einen Schreck blieb er unverletzt. Es gibt Spekulationen, dass dieser Unfall etwas mit Drogenkonsum zu tun haben könnte. Am gleichen Tag beginnen im Studio 2 in der Abbey Road die Aufnahmen zu dem letzten Beatles Album, Abbey Road. Paul ist der einzige Beatle vor Ort, und arbeitet gemeinsam mit George Martin an You Never Give Me Your Money124. George Martin: „Nach Let It Be dachte ich, dass alles zu Ende sei. Deswegen war ich sehr überrascht, als Paul anrief und sagte: Hör zu, was da mit Let It Be lief, war dumm. Machen wir doch wieder ein Album wie früher. Möchtest du das produzieren? - Wenn du es zulässt, sagte ich. Und so organisierte Paul John, George und Ringo und wir arbeiteten daran und es war schön, sehr angenehm und hat wunderbar geklappt.“ In Amerika kommt am 12. Juli The Ballad Of John & Yoko auf Platz 8. Es herrscht hier eine Kontroverse über den Gebrauch des Wortes „Christ“ in dem Lied. Am 8. August werden die Beatles um zehn Uhr morgens dabei photographiert, wie sie einen Zebrastreifen vor den Abbey Road Studios kreuzen. Das Bild wird zum Cover-Bild des neuen Albums, das sie gerade aufnehmen. Die Straße war kurze Zeit abgesperrt worden, um ungestört photographieren zu können. Am 16. August veröffentlicht die Musikzeitschrift „Disc & Music Echo“ eine Umfrage, bei der John Lennon als „ehrlich“ und „Jesus-artig“ und „wichtiger als viele Politiker“ bezeichnet wird. Gefragt, welchen Beatle sie am Liebsten treffen würden, sagen fast 40 Prozent: John. Yoko: „Diese Umfrage hat uns gut getan, weil sie der Beweis dafür war, dass eine neue Generation heranwächst. Ich hatte das Gefühl, dass die 12jährigen von heute unsere Musik und das was wir tun, verstehen.“ John: „Ich hatte mich darauf vorbereitet, dass die Leute sagen würden, du bist verrückt geworden und hast die Beatles ruiniert. Ich habe es bald selbst geglaubt. Als dann die Umfrage herauskam, habe ich zu George gesagt: Schau, die Beatles haben noch ein paar Fans. Ihn hat das nicht überrascht, aber er war der einzige, der so gedacht hat.“

123 http://www.youtube.com/watch?v=_t3oaPNJieg 124 http://www.youtube.com/watch?v=OvA64O2LySc John verfällt in diesem Jahr dem Heroin, und das merkt man auch an seinem Äußeren. Nie zuvor ist er so dünn gewesen, nie hat er so zurückgezogen gewirkt. Keith Richards: „John und ich waren viel zusammen. Er kam mit Yoko bei mir vorbei. Die Sache mit John - auch wenn er immer den großen Maxe spielte - war so, dass er bei den Drogen einfach nicht mithalten konnte. Er versuchte alles, was ich genommen hatte, aber er hatte nicht meine Erfahrung mit Drogen. Ich nahm ein bisschen hier und ein bisschen da, ein paar Uppers, ein paar Downers, ein bisschen Kokain, ein bisschen Heroin, und dann ging ich zur Arbeit. Ich kam damit in Fahrt. John aber endete an diesen Tagen immer auf meinem Klo, mit den Händen um die Kloschüssel. Und Yoko war immer im Hintergrund und sagte: Er sollte das nicht machen, und ich darauf: Sehe ich auch so, ich zwinge ihn doch nicht dazu. Aber egal, wo wir waren, er kam immer wieder zurück und wollte noch mehr. Ich erinnere mich, einmal nachts im Plaza, tauchte er in meinem Zimmer auf und war plötzlich verschwunden. Ich war mit den Mädels beschäftigt, und plötzlich fragte einer: Wo ist eigentlich John? Ich fand ihn auf dem Klo, flach auf dem Teppich ausgestreckt. Zu viel Wein, zu viel Heroin. Ein Riesengähnen zeigte mir, dass er noch unter uns war. Lass mich da liegen, sagte er, diese Kacheln sind wunderschön, das Gesicht war von einem schrecklichen Grün überzogen. Da fragte ich mich: Kommen die Jungs zu mir, um mich zu besuchen, oder findet hier eine Art Wettbewerb statt, wer mehr konsumieren kann? Ich glaube, in der ganzen Zeit ist John nie anders als horizontal von mir weggegangen, oder zumindest wurde er dabei gestützt.“ Am 20. August 1969 sind die Beatles das letzte Mal gemeinsam in einem Studio. Sie spielen I Want You (She's So Heavy)125. Am 10. September zeigen John und Yoko in London einen Film namens Self-Portrait, eine Nahaufnahme von Johns Penis. John: „Self-Portrait hat Liebesschwingungen und eine klare Botschaft an die Menschheit. Als mir Yoko ihren Film Bottoms gezeigt hat, dachte ich, dass es lächerlich wäre, aber sie hat mir das erklärt und mich überzeugt. Wie, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, es war der Humor.“ Am 13. September sind John und Yoko in Toronto und spielen beim Rock & Roll-Revival-Concert. Sie waren eigentlich als Ehrengäste eingeladen, doch sie bringen ihre Band mit, Klaus Voormann und auch Eric Clapton. Eric: „Als John mich anrief, war ich sehr aufgeregt und erfreut. Es klang wie eine so gute Idee, obwohl wir noch nie gemeinsam auf einer Bühne gestanden hatten.“ John: „Wir versuchten im Flugzeug zu proben, aber das hat nicht geklappt. Wir konnten nichts hören. Ich habe zu dem Zeitpunkt gewusst, dass ich die Beatles verlasse. Ich habe Eric und Klaus davon erzählt. Mir wäre es lieber, mit ihnen zu spielen. Aber ich hatte noch keine definitiven Pläne. Später dachte ich: Scheiß drauf! Ich möchte mit keiner Gruppe mehr zusammen sein, egal, wer die sind. Als dann Klein zu mir kam, sagte ich zu ihm: Es ist alles vorbei. Und als ich dann zurückkam, hatten wir ein paar Sitzungen, aber Allen sagte: Halt still, es gibt viel zu tun, und das passt jetzt gerade nicht in den Plan.“ Das Ergebnis des Konzerts kommt als Live-Platte Live Peace in Toronto heraus. Großes Aufsehen erregt das Lied Cold Turkey126, in dem John einen Heroinentzug schildert:

Die Temperatur geht hoch Das Fieber steigt Du siehst keine Zukunft Du siehst den Himmel nicht mehr

Meine Füße sind schwer und mein Kopf auch Ich wäre am Liebsten ein Baby Ich wäre am Liebsten tot

125 http://www.youtube.com/watch?v=VgxzD5UeW4A 126 http://www.youtube.com/watch?v=IEnNEIVR9EM Der kalte Entzug hat mich im Griff ...

Bis jetzt hat John jede Behauptung, dass er mit Heroin Bekanntschaft geschlossen hat, abgestritten. Aber sein schlechter Zustand, den viele als Nervosität deuten, hängt offenbar damit zusammen, dass er immer noch heroinabhängig ist. John: „Ich habe stundenlang erbrochen vor meinem Auftritt. Auch während war mir schlecht. Ich konnte kaum singen. Ich war total erledigt und das Ergebnis war Scheiße.“ Ritchie Yorke: „Sobald er auf der Bühne stand, war alles okay, da zog er die Show durch.“ Mal Evans: „Nachdem sie einige Rocknummern gespielt hatten, sagte John: Jetzt macht Yoko ihr Zeug für euch. Yoko hatte bis dorthin in einem Sack gesessen und dauernd geheult wie ein Hund, während John seine Lieder spielte. Sie sang zwei Lieder: Don't worry Kyoko127 und Oh John (Let's Hope For Peace). Am Ende von Oh John stellten die Jungs ihre Gitarren vor die Lautsprecher, und während das Feedback sich aufbaute, rauchten sie ihre Zigaretten. Danach war es an mir, einen Lautsprecher nach dem anderen auszuschalten und das Konzert war zu Ende.“ John: „Yoko machte eine Nummer, die sie bis an den Rand des Wahnsinns brachte. Wir haben mit ihr aufgehört, weil danach kann keiner mehr spielen. Zuletzt haben die Leute Give Peace A Chance128 gerufen.“ Brian Simmons, der beim Bühnenaufbau beschäftigt war: „Sie haben die Lennons, besonders Yoko, ausgebuht. John hat ihr von der Bühne geholfen, als wollte er sagen: Keine Sorge, Baby, ich mach das wieder gut.“ John: „Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass 25.000 Leute dort waren und vielleicht waren darunter 15, denen es nicht gefallen hat. Ich habe keine Buhrufe gehört.“ Am 20. September schließt Allen Klein mit EMI eine Vertragsveränderung ab. Die Beatles sollen nun mehr Prozente vom Gewinn bekommen. Zu dieser Gelegenheit verkündet John in den Apple Büros, dass er die Gruppe verlassen wird. George hat das Meeting versäumt, weil er seine kranke Mutter besucht hat, die bald an einem Hirntumor versterben wird. Paul: „Die Gruppe war sehr angespannt und es sah wie ein Auseinanderbrechen aus. Es ging nicht mehr um Musik, sondern nur mehr um das Geschäft.“ John: „Paul wollte, dass die Beatles dieses oder jenes tun, und ich sagte zu allem nein.“ Paul: „Plötzlich schaute mich John an und sagte: Also, ich finde, dass du blöd bist, worauf es im Raum ruhig wurde. Er sagte: Ich wollte es dir zuerst nicht sagen, bis alles unterschrieben ist, aber wir hören auf. Klein möchte nicht, dass ich es dir sage, aber: Ich jedenfalls verlasse die Gruppe.“ John: „Es lief auf einen Punkt hin, wo ich etwas sagen musste und Paul fragte mich: Was meinst du eigentlich? Und ich darauf: Ich meine, dass wir als Gruppe erledigt sind. Ich höre auf. Allen hat mich gebeten, nichts zu sagen. Aber jetzt ist es raus. Ich konnte es nicht zurückhalten.“ Paul: „Jeder schluckte einmal. Jetzt war es ausgesprochen. Jeder wurde blass, außer John, der sagte: Das ist ziemlich aufregend. Mir geht es so wie damals, als ich zu Cynthia gesagt habe, dass ich mich scheiden lassen will. Wir haben dann alles ganz benommen unterschrieben.“ John: „Paul und Klein waren froh, dass ich es nicht öffentlich verkünden würde. So konnte Paul so tun, als ob ich es nicht gesagt hätte.“ Mal Evans: „Das war das Ende. Das hat Paul schwer getroffen. Ich habe ihn heimgefahren und danach im Garten geweint.“ Das neue Album der Beatles, Abbey Road kommt Ende September auf den Markt und erreicht in England und den USA rasch Platz 1 und wird in beiden Ländern dort 11 Wochen lang in den Charts bleiben. und Something sind auf einer Single vereint worden und erreichen nur Platz 4 in England, die erste Single der Beatles seit Love Me Do, die nicht auf den ersten Platz kommt. Trotzdem wird Something, eine Komposition von George, eine der erfolgreichsten Lieder der Beatles werden. Frank Sinatra bezeichnet es als das „größte Liebeslied der letzten 50 Jahre“. John: „Das Album war eine Auswahl aus zahlreichen Liedern. Jeder hatte wenigstens zehn Lieder

127 http://www.youtube.com/watch?v=b9fFnVudKSI 128 http://www.youtube.com/watch?v=xDG0n5KPpaI dafür komponiert, und die konnten nicht alle da drauf.“ George Martin: „Eine Seite war für Paul, nämlich die zweite, wo alles zusammenhängt, und für John, der keine Produktionen mochte und am Liebsten Rock hatte, machten wir die erste Seite.“ Ringo: „Die zweite Seite ist unglaublich.“ John über Come Together129: „Das ist ziemlich funky. Ich sollte das vielleicht über mein eigenes Lied nicht sagen, aber ich mag es. Der Ton am Anfang Shu – shu, das bin ich als Echo auf Band.“ Paul: „Bei dem Lied hätte ich gern Überstimme mit John gesungen und ich glaube, dass hätte ihm auch gefallen, aber ich war zu scheu, ihn zu fragen und unter solchen Bedingungen kann ich nichts leisten.“ John über Something130: „Es ist das beste Lied auf dem Album, von George. Es ist sehr gut.“ Paul: „Nach meinem Gefühl ist es das beste Lied, das George jemals geschrieben hat.“ John über Maxwell's Silver Hammer131: „Das ist ein typisches McCartney-Mitsinglied. Ich war bei der Aufnahme gar nicht dabei. Ich hasse es, dass er so lange daran gearbeitet hat, er wollte unbedingt eine Single daraus machen, wofür es nie geeignet gewesen wäre, und spielte Gitarrensoli drauf und ließ Leute auf Eisen klopfen und gab jede Menge Geld dafür aus, mehr als für jedes andere Lied auf dem Album.“ George über I Want You132: „Das ist harter Rock. John spielt Sologitarre und singt. Es ist gut und sehr bluesig. Der Mittelteil ist klasse. John hat ein starkes Gefühl für Timing.“ John: „Zuletzt wird es sehr schwer, weil wir den Moog Synthesizer darauf verwendet haben.“ George Martin über Because133: Es hat eines der schönsten Melodien, und John, Paul und George singen darauf harmonisch, was ziemlich schwierig ist, wir mussten es einstudieren. John hat es geschrieben, und die Begleitung ist ein bisschen wie Beethoven. Die meisten Leute glauben, dass Paul es geschrieben hat, weil John eher die härteren Sachen schreibt, aber es war John. Es ist mein liebstes Lied auf der Platte, weil es so einfach ist. Der Text ist einfach und die Melodie reißt einen richtig mit.“ Am 25. November gibt John seinen MBE zurück, um gegen die britische Politik in Nigeria zu protestieren. Im Dezember sagt John über Yoko: „Es ist schade, dass sie nicht mein Kind ist. Ich mag den Gedanken nicht, dass sie in einer anderen Gebärmutter entstanden ist. Das macht mich eifersüchtig. Es ist zu dumm, dass sie in einem anderen Bauch entstanden ist, aber ich kann da nichts dagegen tun.“ Am 12. Dezember kommt das Album Live Peace, das Konzert von Toronto, heraus. John: „Wir wollten es von Capitol veröffentlichen lassen, aber sie weigerten sich und sagten: das ist Müll! Wir veröffentlichen keine Platte, wo sie auf einer Seite schreit und du auf der anderen diesen Live-Stil machst. Aber wir konnten sie dann dazu überreden, dass Leute so was kaufen wollen. Klein hat durchgesetzt, dass die Platte als John-und-Yoko-Album herauskommt und nicht unter den Beatles-Bedingungen, weshalb wir mehr daran verdienen, und Capitol sagte: Das machen wir gerne. Keiner wird diesen Mist kaufen! Aber wie sich herausgestellt hat, wurde es erfolgreich und vergoldet.“ Am 15. Dezember spielt die Plastic Ono Band für die UNICEF in London. John: „Ich fand es fantastisch. Ich habe mich da richtig hineingeworfen. George und Bonnie und Delaney und Billy Preston und diese ganzen Leute. Ich fragte sie, ob sie mitspielen wollten und sie: Was willst du spielen? - Ein bisschen Blues, Cold Turkey, was nur drei Griffe hat, und Don't Worry, Kyoko von Yoko, was nur einen Akkord hat. Ich sagte: Wenn du den Akkord hast, dann bleib dabei und spiel' ihn bis zum Ende.“ Der Schlagzeuger : „Cold Turkey war gut, aber die andere Nummer war viel zu lang und begann abzugleiten. Jimmy Gordon, der andere Schlagzeuger und ich wurden immer schneller, um sie abzuschließen. Wir spielten immer schneller, aber die anderen wollten nicht aufhören. Es war so 129 http://www.youtube.com/watch?v=YcQGtigeadM 130 http://www.youtube.com/watch?v=55pEzqdhKBo 131 http://www.youtube.com/watch?v=kKdN_TNXZtE 132 http://www.youtube.com/watch?v=deSMlX4rFgo 133 http://www.youtube.com/watch?v=63LfaAyhgJY schnell, dass unsere Muskeln zu schmerzen begannen. Ich dachte: Um Himmels Willen, hört endlich auf, als es dann plötzlich zu Ende war.“ John: „Es war eine tolle Show! Und sehr heavy. Ein Teil des Publikums ging raus, aber andere blieben wie in Trance stehen. Ich weiß nicht, was manche Leute wollen. Ich versuche den Leuten zu vermitteln, dass die Plastic Ono Band das Unerwartete spielt. Es kann alles sein. Blue Suede Shoes oder die Neunte von Beethoven. Die Beatles und die Stones spielen etwas, was man erwartet hat, aber wir machen das nicht mehr.“ Die Fanzeitschrift „Beatles Monthly“ muss nach 77 Heften eingestellt werden, weil sich die Beatles nicht mehr für gemeinsame Unternehmungen zur Verfügung stellen. George Martin damals über John: „John ist einfach John! Ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen, weil er seine eigenen Sachen produziert. Ich habe ihm zum Teil dabei geholfen, aber das ist nicht mein Stil und er weiß das! Was er macht, ist fast nicht produziert, es sind Dinge, die einfach passieren. Wer weiß, was er 1970 machen wird? Er experimentiert und ich glaube, das wird er beibehalten. Was er früher gemacht hat, das ist ihm heute nicht mehr wichtig.“ 1970

Am 16. Januar 1970 schließt die Polizei eine Ausstellung von erotischen Lithographien von John mit dem Argument, sie seien pornographischen Inhalts. Am 6. Februar bringt die Plastic Ono Band die Single Instant Karma134 / Who Has Seen The Wind heraus. Instant Karma ist eines der schönsten Lieder von John überhaupt. John: „Ich habe Instant Karma am Morgen auf dem Klavier geschrieben und ging ins Büro und sang es immer wieder und dachte: Zum Teufel, das machen wir, und mieteten das Studio und kam herein und fragte mich: Wie willst du es machen? Und ich sagte: Wie in den 1950er Jahren und er: Okay, und Bumm! in drei Versuchen waren es fertig. Ich möchte Plattenaufnahmen so machen wie man Zeitungen macht. Sie sollten ein, zweimal pro Woche herauskommen. Ich schreibe Lieder darüber, was mich gerade bewegt.“ Zum gleichen Zeitpunkt kommt Let It Be heraus, ein Lied von Paul, das noch unter dem Namen der Beatles erscheint, und gelangt in England auf Platz 2. John: „Das Lied hat nichts mit den Beatles zu tun. Ich habe keine Ahnung, was er sich denkt, wenn er ein Lied wie Let It Be schreibt.“ Paul wird zuhause auf seiner Farm in Schottland über John befragt. Paul: „Früher habe ich ihn öfters angerufen oder bin zu ihm hinaus nach Weybridge gefahren und habe ihn besucht. Jetzt fahre ich gar nicht mehr zu ihm hin. Er hat mich nicht angerufen und ich habe ihn auch nicht angerufen. Das heißt aber nicht viel. Wir haben uns nicht gestritten. John hat viel zu tun. Und ich habe gar keine Lust dazu, etwas zu tun. Wir haben momentan nicht viel miteinander zu reden.“ Auch George hat sich von den Beatles zurückgezogen. Er zieht im März in sein neues Anwesen Friar's Park in Henley-on-Thames. Phil Spector wird am 23. März 1970 dazu beauftragt, noch ein Beatles-Album zusammenzumischen. Es soll Let It Be heißen. Die Beatles selbst kümmern sich um diesen Material nicht mehr. Am 29. März erzählt John im Radio: „Yoko und ich erwarten ein Baby! Wir brauchen den Frieden, damit es überleben kann.“ Derek Taylor, Sprecher der Beatles, bestätigt die Nachricht: „Mrs. Lennon, die vor kurzem eine Operation bekommen hat nach einem Abort, ist acht Wochen schwanger.“ Das Baby geht wenige Wochen später ab: Für Yoko ist das eine besonders schwere Zeit, da ihr Ex- Mann auch ihre Tochter Kyoko geraubt hat. John und Yoko geraten beide in eine seelische Krise und beschließen, sich therapeutische Hilfe zu holen. Am 1. April veröffentlichen John und Yoko eine scherzhaft gemeinte Presseerklärung, bei der sie verkündigen, gemeinsam eine Geschlechtsumwandlungsoperation durchführen zu lassen. Tatsächlich aber beschließen sie, bei Dr. Arthur Janov, einem amerikanischen Psychologen, der in London eine Privatklinik, eine Urschrei-Therapie zu beginnen. John hat Dr. Janov am Vortrag Yoko in Tittenhurst Park vorgestellt, weil er das Buch, dass ihm Janov vor einigen Wochen ungefragt zugeschickt hat, gelesen hat. Die Therapie kommt den beiden auch gelegen, weil Tittenhurst Park gerade umgebaut wird. John: „Janovs Buch kam in der Post und hat mich interessiert, weil es Urschrei hieß. Yoko hatte schon eine ganze Weile geschrien. Schon dieses Wort, der Titel, ließ mein Herz höher schlagen. Dann las ich die Patientenberichte: Ich bin Charlie So-und-So, ich habe das mitgemacht und das ist mir passiert. Ich dachte: Das bin ich. Das bin ich. Wir lebten in Ascot und es gab jede Menge Scheiße, die wir ertragen mussten. Und diese Leute sagten, dass sie diese Therapie gemacht und alles herausgeschrien hätten und danach wäre es ihnen besser gegangen, also dachte ich mir, versuch's. Man wird dort so lange gereizt, bis man mit diesem Schreien anfängt. Sie ermuntern das, dass man einen psychischen, geistigen, kosmischen Durchbruch mit diesem Schrei erlebt.“

134 http://www.youtube.com/watch?v=EqP3wT5lpa4&feature=fvst Im April gibt Paul sein erstes Soloalbum heraus. Es heißt McCartney und hat bis auf Maybe I'm Amazed135 keinen Hit darauf. Die anderen Beatles haben ihm untersagt, die Platte zu veröffentlichen. Am 9. April 1970 wird öffentlich, das Paul und die anderen Beatles in einen Streit verwickelt sind, bei dem sowohl finanzielle wie auch kreative Meinungsverschiedenheiten bestehen. Paul verkündet, dass er die Beatles verlässt. An diesem Tag erscheint nicht nur die LP Let It Be, sondern auch das Solo-Album von Paul. Paul ruft John in der Klinik an und informiert ihn über sein Soloalbum, sagt aber nichts davon, dass er die Beatles verlässt. John: „Paul sagte zu mir, ich mache jetzt das, was du und Yoko letztes Jahr gemacht habt. Ich verstehe jetzt, was euch dabei bewegt hat, der ganze Mist. Ich sagte zu ihm: Viel Glück dabei und tschüss.“ Am folgenden Tag erscheint ein Interview mit Paul, indem er die Zusammenarbeit mit den Beatles beendet. Die Reporter erreichen John in der Klinik und befragen ihn, der gerade über Zeichnungen sitzt, über die Sache und John sagt: „Schreibt, dass ich ironisch zur Antwort gab, er hat nicht bei uns aufgehört, sondern ich habe ihn gefeuert.“ Yoko später: „Ich habe das gehasst, dass man mir die Schuld dafür gegeben hat, dass sich die Beatles getrennt haben. Ich war dafür nicht verantwortlich. Es war Johns Entscheidung, nachdem Ringo und dann George ihm gesagt haben, dass sie aufhören wollen. Er hat sie dazu überredet, sich das noch einmal zu überlegen und dann hat er seine Meinung geändert. Er wollte sagen: Ich habe diese Gruppe gegründet und ich erkläre sie auch für beendet. Zuletzt aber war es Paul, der darüber gesprochen hat. John war wütend darüber, weil Paul gerade sein erstes Soloalbum veröffentlicht hatte und John dachte, dass der das nur wegen der Publicity macht.“ Am 18. April schlägt Dr. Janov vor, dass John seine erste Frau und ihren gemeinsamen Sohn Julian besuchen soll. John stimmt dem zu, doch kurz bevor er bei Cynthia eintrifft, wird er darüber informiert, dass Yoko gerade angerufen hat und gedroht hat, Selbstmord zu begehen, wenn er nicht sofort nach Hause kommt. Der Wagen dreht um und es kommt nicht zur geplanten Begegnung mit seiner ersten Frau und seinem Sohn. Die Therapiesitzungen dauern bis zum 29. April an. Dabei müssen John und Yoko unter anderem lang anhaltend rufen, schreien, malen und 28 verschiedene Arten von Speiseeis essen, wie sie später erzählen. Janov empfiehlt dem Paar, die Therapie in Kalifornien in seinem Primal Institute fortzusetzen. John und Yoko setzen sich prompt in den Flieger nach Los Angeles, wo sie vier Monate lang in einer Mietwohnung in Bel Air wohnen und tagsüber zu Therapiesitzungen gefahren werden. Währenddessen findet in New York das Fluxfest statt, für das John und Yoko einige künstlerische Aktionen bereit halten. Dazu gehört eine Show mit dem Titel Tickets By John And Yoko, bei dem Besuchern Fahrscheine für den Bus angeboten werden, eine Ausstellung namens Blue Room, bei der drei Löffel und eine Nadel von John Lennon bewundert werden können. Weight and Water heißt eine andere Kunstaktion, bei der John und Yoko den Ausstellungsraum mit Wasser fluten, und 29 Portraits Of John Lennon As A Young Cloud, bei der der Ausstellungsraum mit 100 Schubladen gefüllt wird, von denen 99 leer sind. In der letzten gibt es ein Photo, auf dem John lächelt. Am Ende der Show im Juni werden Museumsbesucher in der Ausstellung Exam By John And Yoko darüber geprüft, was sie in den vergangenen Wochen gelernt haben. Während John derzeit kein großes Interesse an der Musik zeigt, nimmt George die Gelegenheit wahr, selbst ein Soloalbum aufzunehmen. Er hat viele Songs im Repertoire, die John und Paul nicht als gut genug für eine Beatles-LP fanden. Das Album beinhaltet drei LPs und ist mit dem Produzenten Phil Spector aufgenommen worden, der auch Let It Be geschnitten hat. Sie wird ein Riesenerfolg werden. Auch Ringo Starr ist mit dem Titel Sentimental Journey in den Charts. Die Platte verkauft sich gut, und es zeigt sich, dass die Beatles auch als Solokünstler gefragt sind und gemeinsam noch größere Einnahmen für Apple erzielen als zu den Zeiten, als sie gemeinsame Platten herausgaben. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Obwohl McCartney aus Sicht seiner späteren Alben eine schwache Platte ist, verkauft auch sie sich ausgezeichnet. Und auch das von Phil Spector stark veränderte letzte Album der Beatles, Let It Be ist ein Riesenerfolg. Allein die Vorbestellungen

135 http://www.youtube.com/watch?v=6Gs0XaUabCc&feature=related belaufen sich auf 3,7 Millionen Exemplare. Am 8. Juni besuchen John und Yoko auf Anraten ihres Therapeuten Janov den Film Let It Be, der gerade in den Kinos läuft. Es ist eine eigene Nachmittagsvorführung für die Lennons in San Francisco gemeinsam mit dem Ehepaar Wenner. ist Redakteur des Rolling Stones Magazins. John: „Es gab eine Menge Jamsessions, bei denen Yoko mit den Beatles gespielt hat, aber das wurde nicht im Film aufgenommen, das ist klar. Heute verstehe ich das. Der Film ist von Paul für Paul geschnitten worden. Und ich kann nicht für George reden, aber ich weiß, dass wir die Schnauze voll hatten, die Staffage für Paul abzugeben. Das hat sich ergeben, nachdem Brian gestorben war. Die Kameras sollten Paul zeigen und sonst niemanden. Und die das geschnitten haben, halten Paul wohl für Gott und wir liegen auch noch irgendwo herum.“136 Drei Tage später verkünden John und Yoko der Presse, dass sie fortan in New York leben wollen. Paul über Let It Be und das Ende der Beatles: „Es war ziemlich schwierig, ein Lied zu schreiben, wenn Yoko da saß und mich anstarrte. Ich überlegte mir eine Zeile Text und wurde immer nervöser. Ich wollte so was sagen wie Ich liebe dich, Mädchen, aber wenn Yoko dabei war, hatte ich das Gefühl, dass ich etwas ganz Kluges und Künstlerisches sagen muss. Vielleicht hätten ihr auch die einfachen Sachen gefallen, aber ich hatte Angst vor ihr. Ich gebe ihr keine Schuld, die Schuld liegt bei mir. John kann nichts dafür, dass er sich in Yoko verliebt hat, genauso wenig wie ich etwas dafür kann, dass ich mich in Linda verliebt habe. Ich habe ihm das vor kurzem am Telefon gesagt, als ich sehr verärgert war. Ich war eifersüchtig auf Yoko und hatte Angst, dass sie eine großartige musikalische Partnerschaft zerstören kann. Es hat ein Jahr gedauert, bis ich begriffen habe, dass sie einander lieben, und das genauso intensiv, wie das bei Linda und mir der Fall ist.“ Im Juli 1970 beginnt John an einem neuen Album der Plastic-Ono-Band zu arbeiten. Es soll ein Gemeinschaftswerk mit Yoko werden. John erhält einen Brief von Paul, in dem er auf das Schreiben seines Schwiegervaters Bezug nimmt. John antwortet: „Ich werde der Auflösung der Beatles nur zustimmen, wenn auch George und Ringo dazu Stellung genommen haben.“ Am 26. Juli nimmt John auf seinem Recorder die Demo zu God137 auf, in dem die Zeile „Ich glaube nicht an die Beatles“ vor kommt. Am Ende des Monats verlassen John und Yoko das Primal Institute. Sie fühlen sich gestärkt und gesund und fliegen nach New York. Am 1. August heiratet Cynthia Lennon den italienischen Hotelbesitzer Roberto Bassanini in London. Ihr Sohn Julian nimmt an der Zeremonie teil. Cynthia: „Natürlich bin ich nervös und habe Angst. Ich möchte, dass es gut geht, ich bin nicht stärker, sondern höchstens klüger. Ich wollte nie etwas anderes als eine Hausfrau sein. Es ist schwer, sich wieder zu verheiraten, wenn man eine gescheiterte Ehe hinter sich hat, aber dieses Mal bin ich mir sehr sicher.“ Am 24. September kommen John und Yoko das erste Mal in fünf Monaten nach England zurück. John hat in dieser Zeit 15 Kilo Gewicht zugenommen. Er ist begierig danach, ins Studio zu gehen. Reporter fragen ihn darüber, warum er dicker geworden ist, und John antwortet: „Ich habe während der Therapie 28 verschiedene Sorten Eis essen müssen.“ Er zieht später Bilanz über die Urschrei-Therapie: „Wir waren dort sechs Monate. Wir hatten ein nettes Haus in L.A. Wir gingen zur Sitzung hinab, heulten uns aus und kamen zurück und schwammen im Pool. So fühlt man sich auch nach LSD oder einem guten Joint, weißt du, so ein bisschen am Pool abzuhängen und alles ist gut. Aber danach kamen diese ganzen Abwehrmechanismen zurück, wie eine Droge, die nachlässt, und man möchte wieder einen Fix. Aber immerhin habe ich von der Urschreitherapie Weinen gelernt, das konnte ich vorher nicht.“ In den Abbey Road Studios nimmt John mit Phil Spector mehrere Lieder für sein erstes Solo-Album auf. Darunter befinden sich Mother138, God und , aber auch Rock'n'Roll- Klassiker wie That's All Right Mama, Hound Dog oder Matchbox. Auch einige Lieder, die Yoko im Jahr 1968 aufgenommen hat, sollen auf das neue Album. Im Studio daneben arbeitet George an

136 Ein inoffizieller Mitschnitt, der die damalige Dynamik zwischen den Beatles zeigt: http://www.youtube.com/watch? v=PiT3BsK3JHA und die Beatles mit Yoko: http://www.youtube.com/watch?v=SYqCpvzXGTE&feature=related 137 http://www.youtube.com/watch?v=N5SlzEwL-Es 138 http://www.youtube.com/watch?v=gmhRm_92L_8 seinem Album All Things Must Pass. George: „Ich war in einem Raum und sang und John im anderen und sang: Ich glaube nicht an Jesus, ich glaube an nichts. Es war diese Urschreiphase, die ich keinem empfehlen möchte. Vielleicht musste er das machen, aber es war das eine Zeit, wo wir einander entgegengesetzt waren und dieses Lied Working Class Hero139 erinnert mich daran.“ Die Werke werden wie auch Pauls Arbeiten bei der Firma Apple erscheinen und die Einkünfte durch vier geteilt werden, egal, ob die Beatles zusammen oder gemeinsam Lieder einspielen. So will es der Vertrag, den die Beatles geschlossen haben, und den Paul nun anfechten will. Am 9. Oktober feiert John seinen 30. Geburtstag. Er trifft zu dieser Gelegenheit auf George und Ringo, die ihm als Geschenk das Lied It's Johnny's Birthday140 aufgenommen haben. Die Plattenaufnahmen gehen bis 27. Oktober. Danach fliegen John und Yoko nach New York. Sie treffen andere Patienten von Janov, darunter Jonas Mekas, und beginnen an zwei neuen Filmen zu arbeiten. Einer heißt Up Your Legs Forever und der andere Fly. John muss auch als Zeuge bei Gericht aussagen. Charles Manson und seine Freunde haben in Los Angeles die Schauspielerin Sharon Tate und andere getötet und dabei die Worte Helter Skelter an die Wand geschrieben, ein Hard-Rock-Lied der Beatles aus dem Jahr 1968. John soll seine Vermutung abgeben, ob das Lied diesen Gewaltexzess ausgelöst haben könnte. Paul verklagt die Beatles am 15. November am Londoner Höchstgericht auf Auflösung der Band. Anfang Dezember fliegt George nach New York, um Paul zu treffen und mit ihm über den Gerichtsprozess zu reden. Sie kommen zu keiner Entscheidung. Paul ist nach dem Treffen noch stärker dazu entschieden, die Beatles zu verlassen. Johns Album John Lennon/Plastic Ono Band erscheint am 11. Dezember. Es wird in den Rezensionen kritisiert, dass er das Wort Fucking so häufig darauf verwendet. Einig sind sich die Kritiker aber, dass man John und Yoko nicht vergleichen kann. „Disc & Music Echo“ urteilt so: „John und Yokos letzte Platten sind außen ziemlich gleich, und es spielt auf beiden die gleiche Band. Aber damit haben sich die Ähnlichkeiten. Johns Material ist geheimnisvoll und aufregend, und er scheint jeden Augenblick zu genießen, während er seine Lieder in seiner überzeugenden, reizvollen Art zur Geltung bringt. Über Yoko zu schreiben, ist sinnlos. Ihre Versuche sind einfach eine schreckliche Verschwendung von Vinyl. Lennon: Vier Sterne. Yoko: Keine Beurteilung.“ John erzählt, dass er und Yoko Kinder haben wollen: „Aber sie verliert eins nach dem anderen.“ Yoko: „Wir werden es weiter versuchen und in den nächsten zwei, drei Jahren hoffen wir, dass es klappt.“ John: „Falls nicht, adoptieren wir eins. Wir sind da offen für alles: Juden und Araber, Schwarze und Weiße und Gestreifte, sofern es welche gibt und man sie uns anbietet.“ Am 14. Dezember fangen John und Yoko mit den Dreharbeiten zu ihrem Film Up Your Legs Forever an, bei dem Menschen auf einem Podium stehen und dabei ihren nackten Hintern gefilmt bekommen. Sie erhalten dafür einen Dollar am Tag. Eine Assistentin am Set ist May , eine Angestellte im Büro von Beatles-Manager Allen Klein am Broadway in New York. Die Dreharbeiten dauern drei Tage und es werden zuletzt 300 nackte Gesäße mit der Kamera festgehalten. Darunter ist auch der Hintern des Schauspielers George Seagal. John wird von einem Reporter gefragt: „Reicht Ihnen all das nicht langsam?“ John: „Eigentlich nicht, aber es ist heilsam für mich.“ Reporter: „Was werden Sie als nächstes angehen?“ John: „Keine Ahnung ... irgendwas fällt uns schon ein.“ Drei Tage später beginnen John und Yoko mit den Dreharbeiten zu Fly in einem Abbruchgebäude in der Bowery in New York. Schauspielerinnen müssen dafür nackt und bewegungslos auf dem Boden liegen, während eine Fliege über ihre Haut kriecht. Die Titelrolle übernimmt eine gewisse Virginia Lust. Ein Problem ist, dass die für den Dreh ausgewählten Fliegen die Neigung haben, weg zu fliegen. Damit hören sie erst auf, als sie mit Kohlenstoffdioxid eingenebelt werden. So dauert es einige Sekunden, bis sie wieder auf der Haut erwachen. Als der Nachschub an Fliegen ausgeht,

139 http://www.youtube.com/watch?v=njG7p6CSbCU 140 http://www.youtube.com/watch?v=M1pXcMw-8Nk werden sechs Studenten mit Fliegennetzen in die Küchen von Greenwich Village geschickt, um neue Fliegen zu fangen. Der Film Fly dauert fünfzig Minuten und wird in einer gekürzten Version im Mai in Cannes gezeigt werden. Ende Dezember fliegen John und Yoko nach England und John nimmt in Tittenhurst Probedemos zum Titel I'm The Greatest141 auf.

141 http://www.youtube.com/watch?v=0hxxMZ_qiM4 1971

Das Jahr beginnt unangenehm für John, als er im Time Magazin als „Langweiler“ bezeichnet wird. John und Yoko besuchen Liverpool und John gibt den Fremdenführer. Er zeigt Yoko unter anderem den Cavern Club. Danach fliegen sie nach Miami und anschließend nach Toronto, wo John das erste Mal in einem Interview auf seine Drogensucht Bezug nimmt: „Meine Phase mit Drogen hatte ich, als ich hoffnungslos war, und wenn ein Mensch auf Drogen ist, ist es noch schwieriger, Hoffnung zu finden.“ Danach fliegen sie zurück nach Miami und von dort nach Japan, wo sie im Hilton in Tokio unter den Namen Mr. und Mrs. Gherkin absteigen. Da sie auch hier von der Presse verfolgt werden, benutzen sie die Feuerleitern, um den Reportern auszuweichen. Paul und Linda erlauben sich mittlerweile den Spaß, in ganzseitigen Zeitungsanzeigen als „John und Yoko“ aufzutreten, was dem Verhältnis mit den beiden nicht gerade förderlich ist. Allen Klein meldet sich aus New York und drückt sein Unverständnis über Pauls Klage aus. Er weist darauf hin, dass die Beatles im Jahr 1967 einen Zehnjahresvertrag abgeschlossen haben, in dem sie festgelegt haben, dass ihre Gewinne durch vier geteilt werden. Das Argument, dass nun Solo-Alben von einzelnen Beatles vorliegen, zieht dabei nicht. Denn schon 1965 hatte Paul Yesterday ganz allein aufgenommen. Die Einkünfte von diesem Lied aber wurden unter allen Beatles verbucht. Neuerliche Gerüchte machen die Runde, dass die Beatles pleite sein sollen. Apple Corps gibt dazu eine Presseerklärung heraus, dass über 2 Millionen Pfund auf dem Geschäftskonto liegen. Paul lässt dieser Darstellung widersprechen, es seien dabei die Steuerschulden der Beatles noch gar nicht eingerechnet. Würde man das tun, wären die Beatles mit 500.000 Pfund in der Kreide. Pauls Anwälte kritisieren, dass sie zu wenig Einblick in das Jahresgeschäft bekommen, und dass die anderen drei Allen Klein als Manager durchgedrückt haben, einer Lösung, der Paul nie zugestimmt hat. Das Gericht zitiert die Beatles herbei, doch John befindet sich nach Auskunft seines Anwalts „auf hoher See“. Will er sich vor Entscheidungen drücken? Auf Drängen des Gerichts wird John dann doch in Japan ausfindig gemacht. John: „Ich hatte niemandem gesagt, wo ich war. Plötzlich kriege ich diesen Anruf vom Anwalt. Verdammter Idiot! Ich hasste seinen Oberschichten-Tonfall, sobald ich ihn hörte. Er bestand darauf, dass ich nach Hause kam. Ich hätte das Ganze am verdammten Telefon erledigen können.“ Im Freundeskreis von John und Yoko heißt es, dass er dem Gerichtsprozess entfliehen wollte und deshalb nach Japan flog. In Japan trifft John das erste Mal Yokos Eltern. Die Mutter, Isako Ono, sagt über ihren Schwiegersohn: „Es war zauberhaft, ihn zu treffen. Er war ein so netter Mann. Ich glaube, dass all diese Artikel in den Zeitungen über sein merkwürdiges Verhalten Unsinn sind. Er war sehr ruhig, nachdenklich und rücksichtsvoll. Ich war am Telefon, als sie anriefen. Ich war völlig überrascht, dass Yoko dran war und dass sie in Japan waren. Ich weiß nicht, was sie hier vorhaben. Als sie in unser bescheidenes Heim kamen, zog John seine weißen Tennisschuhe aus und ließ sie an der Tür, aus Rücksicht auf unsere Gebräuche. Wir boten ihnen Tee an einem Tisch mit Stühlen an, aber John sagte, er wolle lieber auf die japanische Art seinen Tee einnehmen. Das hat uns sehr gefallen. Also knieten sie sich auf die Strohmatte, tranken Tee und wir sprachen. Meistens über Yokos Bruder und ihre beiden Schwestern, aber auch über ihr Heim in England. Es klingt wunderschön. Wir würden gerne dorthin reisen, aber ich fürchte, wir sind schon zu alt dazu.“ Schon am nächsten Tag fliegen John und Yoko nach England zurück. In Tittenhurst Park wird John von linksradikalen Aktivisten interviewt und ist davon so elektrisiert, dass er das Lied Power To The People142 schreibt. „Tariq Ali kam immer wieder vorbei, weil er Geld für die Zeitschrift Red Mole und so haben wollte und ich habe gespendet, aus Schuldgefühlen heraus, weil ich dachte, ich gehöre zur Arbeiterklasse und bin einer von ihnen, aber ich bin reich, deshalb muss ich was davon abgeben. Er hat mich angeschnorrt und ich schrieb das Lied auch aus Schuldgefühlen heraus...“

142 http://www.youtube.com/watch?v=Wos-dDxpJlQ Auf der B-Seite wird Yokos Lied Open Your Box143 untergebracht. John: „Ich weiß nicht, was zum Teufel mit Box in Amerika gemeint ist, aber offenbar sind es der Intimbereich oder so.“ Yoko: „Dieses Lied wurde verboten, weil ich eine Frau bin. Männer dürfen so etwas sagen, aber bei Frauen wird das verboten. Es ist ein philosophisches Lied darüber, dass man sich frei machen muss, den Verstand, die Fenster öffnen.“ In einem Interview in Tittenhurst Park über die Platte erwähnt John, als man über sein Lied Mother144 spricht, dass Yoko ihre Mutter nicht mehr mag, obwohl sie sie im Unterschied zu John ein Leben lang für sich gehabt hat. „Das ist ein ziemlich großes Haus, oder?“ fragt der Journalist. John: „Es ist nicht so groß, wie es wirkt, wenn man das erste Mal hierher kommt. Zuerst denkt man sich: Jesus. Aber es ist eigentlich die große Version eines kleinen Hauses.“ John erwähnt, dass er hier mit Ringo Billard spielt. Johns erstes Solo-Album hat einige starke Lieder. Instant Karma ist ein mitreißender Rocksong.145 Auch der Liedtext bleibt im Kopf mit der tröstlichen Zeile: Wir werden alle weiter scheinen, wie der Mond, die Sonne und die Sterne. Love146 ist eine Ballade, in der Art von Imagine147 ein Song, der wie ein Beatles-Lied klingt. „Die Liebe ist wirklich, die Wirklichkeit ist Liebe.“ John trifft sich mehrmals mit George und Ringo, um die Strategie vor Gericht zu besprechen. John: „Es ging Wochen und Wochen hin, und George und Ringo wurden immer unruhiger und hatten keine Lust mehr darauf. Zuletzt sagte George: Jetzt ist Schluss, ich habe genug, es reicht! Es ist mir egal, wenn ich hier arm rausgehe. Ich gebe auf und Schluss.“ Peter Brown, der im Lied The Ballad Of John And Yoko148 vorkommt als Mann, der die Hochzeit von John und Yoko organisiert hat, verlässt in dieser Zeit die Beatles, weil John mit ihm nicht mehr zusammenarbeiten will. Brown: „John denkt, dass ich Yoko das letzte Mal geschnitten habe, aber das ist schrecklich unfair. Als ich sie traf, war ich ziemlich angespannt, weil mir klar wurde, dass sich nicht mehr zwei alte Freunde treffen würden, die sich seit sechs Monaten nicht mehr gesehen hatten. John hatte sich total verändert. Ich habe ihn begrüßt wie sonst auch immer, mit einer Umarmung, und dann habe ich mich zu Yoko hin gedreht und hallo gesagt. Und das hat John als Zurückweisung von Yoko empfunden, dass ich sie nicht geküsst habe. Das ist eben John.“ Die Beatles sehen sich vor Gericht. Am 19. Januar sagt Ringo vor dem Londoner Höchstgericht aus, das die Auflösung von Apple verhandelt, Paul habe sich in der Angelegenheit „wie ein verzogenes Kind“ aufgeführt. Paul sitzt mit Linda im Gerichtssaal, um die Geschehnisse zu verfolgen. Er trägt einen langen Vollbart. John hat nur eine schriftliche Aussage geschickt und nimmt selbst nicht am Geschehen teil. Am 12. März entscheidet das Höchstgericht im Sinne der Klage von Paul. Die Beatles sollen als Gruppe aufgelöst werden. Es wird ein Sachwalter bestellt. Als John, George und Ringo von dem Urteil informiert werden, fahren sie zu den Apple Büros in Johns weißem Rolls Royce und sagen den Reportern: „Kein Kommentar.“ Angeblich sollen sie danach weiter zu Pauls Haus in der Cavendish Avenue in St. John's Wood gefahren sein, wo John zwei Ziegelsteine aus dem Auto holte, auf die Hausmauer stieg und die Ziegelsteine durch die Fenster von Pauls Haus geworfen haben soll. Danach seien sie zurück in die Büros gefahren und hätten dann der Presse Antwort gestanden. In den folgenden Tagen wird mit Klaus Voormann, dem deutschen Bassisten und Freund aus der Frühzeit der Beatles, darüber verhandelt, ob er der neue Bassist der Beatles werden möchte. Let It Be erhält in diesen Tagen einen Oscar für die beste Filmmusik. John ist sehr verärgert, dass Paul und Linda in Los Angeles bei der Preisverleihung auftauchen und die Statuette in Empfang nehmen. Warum eigentlich? Das Lied ist allein von Paul geschrieben worden, und auch der Film wurde auf sein Betreiben hin gedreht und geschnitten. Wenn nicht Paul dafür verantwortlich ist, wer

143 http://www.youtube.com/watch?v=wi877Z4hb5I 144 http://www.youtube.com/watch?v=NkOoZDK7Rz8 145 http://www.youtube.com/watch?v=EqP3wT5lpa4&feature=related 146 http://www.youtube.com/watch?v=2GmVajkqLNU 147 http://www.youtube.com/watch?v=2GmVajkqLNU 148 http://www.youtube.com/watch?v=PiT3BsK3JHA dann? Am 23. April werden John und Yoko in Palma de Mallorca in Polizeigewahrsam genommen, weil sie Yokos Tochter Kyoko von einem Spielplatz entführt haben. Sie sind am Vortag in ihrem Privatflugzeug angereist und haben den Reportern erzählt, dass sie „geschäftlich und aus Erholungsgründen“ auf die Insel wollen. Tatsächlich aber wohnt hier Yokos früherer Ehemann Anthony Cox, der seit eineinhalb Jahren auf Mallorca lebt, um mit dem Maharishi Mahesh Yogi in Cala Murada zu meditieren. John kennt den Maharishi nur zu gut, hat aber auch Cox schon getroffen. Rekapitulieren wir: Cox ist ein Filmproduzent, der 1961 mit Yoko seine große Liebe erlebt hat. Er sieht 1960 Yokos frühe künstlerische Arbeiten in einer Anthologie und fliegt nach Japan, um die Künstlerin persönlich kennen zu lernen. Das Paar heiratet im November 1962, lässt sich bereits vier Monate später scheiden, um dann im Juni 1963 noch ein zweites Mal zu heiraten, als Yoko schon hochschwanger ist. Nach der Geburt von Kyoko am 3. August wird Cox als Erziehungsberechtigter eingetragen, und Yoko und er arbeiten weiterhin gemeinsam an künstlerischen Projekten. Als Yoko im Jahr darauf John Lennon kennen lernt, trennen sich die beiden und lassen sich Anfang 1969 wieder scheiden. Das Gericht hat Yoko zu dem Anlass das Kind zugesprochen, doch Anthony Cox hat ein Besuchsrecht erhalten. Er ist über Yokos Beziehung zu John bitter geworden, wendet sich einem religiösen Kult zu und wird im Laufe der nächsten 25 Jahre Kyoko konsequent ihrer Mutter entziehen. (Zu einem Treffen zwischen Yoko und ihrem Kind kommt es erst Mitte der 1990er Jahre, als Kyoko schon selbst eine Tochter hat und sich mit Yoko in Denver trifft. Zu der Gelegenheit überweist Yoko 200 Millionen Dollar auf ein Konto für ihre Enkelin Emi, die sie noch nie getroffen hat.) Die gestohlene Tochter wird Yokos Leben in den 1970er Jahren prägen und die Jahre mit John belasten. Die misslungene Entführung gibt dazu den Startschuss. Anthony Cox hat seiner Tochter eingeschärft, dass Yoko der Teufel selbst ist. Als nun der spanische Richter hinter verschlossenen Türen den Fall untersucht, weist Yoko darauf hin, dass sie nach dem amerikanischen Gesetz das Sorgerecht für Kyoko hat. Das Kind aber möchte nicht mehr zur Mutter zurück, und der Richter entscheidet, dass es vorerst beim Vater verbleiben soll. Er rät Yoko, vom Gericht der zu den USA gehörenden Virgin Islands einen Beschluss erwirken zu lassen, der ihr Sorgerecht bekräftigt, denn dort ist die Scheidung ausgesprochen worden. Yoko möchte das tun, doch wenige Tage später sind Anthony Cox und seine Tochter spurlos verschwunden. Eine Entscheidung wird auf den 15. Mai vertagt. John und Yoko werden für diesen Tag wieder nach Mallorca bestellt, fliegen aber stattdessen nach Cannes, wo Yoko mit modischen schwarzen Hotpants auftaucht. Sie hat zu der Gelegenheit der Filmfestspiele einen Essay geschrieben, in dem es heißt: „Es gibt nur zwei gesellschaftliche Klassen. Die, die kommuniziert, und die, die nicht kommuniziert. In der Zukunft, hoffe ich, dass es nur eine Klasse geben wird.“ In Mallorca wird das Fernbleiben des Paars vom Richter angesichts der Prominenz des Ehepaares und aufgrund ihrer Rolle in Cannes entschuldigt. Im Mai veröffentlicht Paul sein zweites Solo-Album Ram. Darauf befinden sich mehrere Lieder, die von den anderen Beatles als persönliche Angriffe ausgelegt werden. Im Lied 3 Legs149 heißt es: „Mein Hund hat drei Beine, aber er kann nicht laufen“, und: „Ich dachte, du bist mein Freund, aber du hast mich verraten“. In Dear Boy150 spricht Paul davon, dass einer die Liebe nie kennen gelernt hat. In Too Many People151 heißt es: „Du hast deine Chance gehabt und hast es vermasselt. Das war deine letzte Chance. Die Liebe hat auf mich gewartet und ist erwacht. Was kann ich jetzt noch für dich tun? Sie wartet auf mich.“ John und Yoko fassen diese schmucklosen, fast banalen Texte als Frontalangriff auf John auf. John: „Da waren all diese Dinge wie „zu viele Menschen, die abtauchen“. Das waren Yoko und ich. Und mit Du hattest deine Chance, damit meinte er, dass wir uns glücklich schätzen durften, mit ihm

149 http://www.youtube.com/watch?v=cmGblSMH8Ug 150 http://www.youtube.com/watch?v=SCZs5QC6VtA&feature=related 151 http://www.youtube.com/watch?v=0P_HKQGq730&feature=related zusammen gewesen zu sein.“ Es beginnt eine Phase nachhaltiger Verstimmung, die mehrere Jahre lang dauern und eine Zusammenarbeit zwischen Paul und John auf immer verunmöglichen wird. Yoko bestärkt John in seiner ablehnenden Haltung. Der Frühsommer 1971 ist von der Suche nach Kyoko geprägt. John und Yoko wissen, dass Anthony Cox sich dem Kult „The Walk“ zugewandt hat und sich irgendwo in den Vereinigten Staaten aufhält. Aber die Behörden können hier nicht weiter helfen, Cox ist in den Untergrund abgetaucht. Die Lennons kehren nach New York zurück und Yoko stürzt sich in ihre Arbeit. Am 3. Juni geht John das erste Mal seit mehreren Jahren allein spazieren. Seit 1968 war immer Yoko an seiner Seite, oder Freunde, oder Fans. Jetzt kann er endlich wieder als einzelner anonymer Mensch durch eine Stadt gehen. John schlendert die 5. und 6. Straße in New York auf und ab und genießt die Freiheit. Am 6. Juni spielen John und Yoko mit Frank Zappa. Dafür muss dessen ganzes Studio geräumt werden. Einer, der die beiden spielen hört, erzählt später: „Zappa war ziemlich entspannt. Als John und Yoko hereinkamen, saß er auf der Couch und lächelte. Und John war wie ein aufgeregtes Kind und sah total fit und braungebrannt aus. Er war nervös, weil er so lange nicht mehr vor Leuten aufgetreten war. Als dann Zappa mit seinen Mothers Of Invention spielte, war es nur eine Bühne. Aber als Lennon darauf stand, war es wie eine Heiligenerscheinung. Zuerst ein Flüstern: John Lennon ist auf der Bühne! John Lennon ist da! Zappa sagte den Leuten: Regt euch ab. Yoko ging in die Mitte der Bühne auf das Mikrophon zu und John und Zappa stellten sich an die Seite. Lennon trug einen eierschalenfarbenen Anzug und Yoko sah sehr klein aus mit ihrem schimmernden schwarzen Haar. John verkündigte, dass er ein paar Lieder singen würde wie früher in Pubs. Er fingerte immer am Mikrophon rum und seine Finger verhakten sich mehrmals in der Gitarre. Wenn er die Griffe vergessen hatte, nickte er Zappa zu, der dann kam und ihm vorspielte, wie es ging. John war fasziniert davon, dass Zappa seinen gestreckten Mittelfinger zum Dirigieren des Publikums verwendete und machte es ihm nach. Während John die Band aus dem Takt brachte, sang Yoko mit ihrer elektronischen Stimme. Einer der Sänger der Turtles stülpte Yoko dann einen Leinensack über ihren Kopf und über ihr Mikro, aber sie jaulte einfach weiter. Sie jaulte noch, als Zappa schon die Bühne verlassen hatte und in seine Garderobe ging. John war noch auf der Bühne mit Yoko und spielte mit dem Feedback. Es war fast schon die Morgendämmerung, als alles vorüber war.“ Am 16. Juni sind die Lennons wieder in England und John und George gehen gemeinsam miteinander ins Studio, um eine Single aufzunehmen, die Paul McCartney frontal angreift. Auch Klaus Voormann ist bei der Session mit dabei. Die Aufnahmen finden in Tittenhurst Park statt, wo John ein Studio eingerichtet hat. Hier spielen die beiden zuerst Jealous Guy152 ein, und dann kommen zwei Lieder, die direkt auf Pauls letztes Album Bezug nehmen und mit ihm abrechnen. Dabei zieht John sprachlich alle Register. How do you sleep153 ist eine ganz unverblümte Attacke, und die geht so: „Sergeant Pepper's hat dich also überrascht, ja? Das kann jeder gleich durchschauen. Diese durchgeknallten Typen hatten recht, als sie gesagt haben, dass du tot bist. Der schwere Fehler, den du gemacht hast, war in deinem Kopf. Du umgibst dich mit Jasagern und springst, wenn deine Mutter das will. Ein hübsches Gesicht kommt ein, zwei Jahre damit durch. Aber bald werden sie sehen, was du drauf hast. Deine Musik ist wie Gummi in meinen Ohren. Eigentlich hättest du in all den Jahren auch was lernen müssen.“ Im Gedächtnis bleibt vor allem der Satz: „Alles, was du bist jetzt gemacht hast, war Yesterday. Jetzt bist du nur mehr Another Day“. (Die erfolgreiche Single Another Day154 von Paul kam als B-Seite im Februar 1971 heraus). Der Satz lässt sich im Englischen auch so lesen: „Was du erreicht hast, ist von Gestern. Heute bist du nur unter ferner liefen.“ Auch das Lied Crippled Inside155 scheint auf Paul gemünzt, in dem es heißt: Deine Fassade mag perfekt sein. Aber du kannst es nicht verbergen,

152 http://www.youtube.com/watch?v=6lLs2dC9NaE 153 http://www.youtube.com/watch?v=GK7CLXHSr1M 154 http://www.youtube.com/watch?v=Aw_Jao8hMPA 155 http://www.youtube.com/watch?v=M7v0O8M5vKc wenn du innerlich verdorben bist.“ Der ursprüngliche Text scheint noch aggressiver gewesen zu sein. Allen Klein hat John geraten, ihn etwas abzuschwächen. In dieser Zeit findet man einen jungen Amerikaner im Garten von Tittenhurst, der nachts dort in den Bäumen schläft. John und Yoko laden ihn zum Frühstück ein und zeichnen das Ereignis mit der Kamera auf. George spielt auf How Do You Sleep? mit und genießt es sichtlich, wieder mit John zusammen zu arbeiten. „Wussten Sie, dass George und How Do You Sleep noch einmal einspielen wollte?“ fragt John später in einem Interview, „aber es waren schon die besten Aufnahmen, die er jemals gemacht hatte. So toll konnte er gar nicht mehr spielen. Wenn man ihn gelassen hätte, hätte er nicht damit aufgehört.“ Nach dem Abschluss der Aufnahmen hört John, dass Pauls Album Ram auf Platz 1 der amerikanischen Hitparade steht. John und Yoko besuchen in New York eine Party, auf der auch Prominente wie Andy Warhol zugegen sind. Auch der Jazz-Gigant Miles Davis ist da und fragt John, ob Yoko Japanerin sei. „Nein“, sagt John, „sie ist New Yorkerin.“ „Warum hast du dir keine süße kleine weiße Braut gesucht?“ fragt Miles. „Ich habe mir gedacht, dass sie das war“, meint John, „und alle haben gemeint, ich bin blind.“ Am 13. Juli 1971 trifft George John in New York und bittet ihn, für sein Wohltätigkeitskonzert, das er gerade für die Hungernden von Bangladesh veranstaltet, auf der Bühne zu stehen. Schließlich schuldet ihm John dafür Dank, dass er auf seiner Platte Gitarre gespielt hat. John sieht das ein und verspricht, darüber nachzudenken. Er fliegt mit Yoko zurück nach England, wo ihr Buch Grapefruit vorgestellt werden soll, das nun einen englischen Verlag gefunden hat. Mit von der Partie ist , die zu einer Assistentin von John und Yoko aufgebaut wird. May ist 30 Jahre alt und als Kind chinesischer Einwanderer in New York aufgewachsen. Ihre Eltern betreiben eine Wäscherei. May hat das College besucht. Eine Stelle als Sekretärin bei Allen Klein ist ihr erster richtiger Job. Sie hat sich bei den Dreharbeiten der Kurzfilme von John und Yoko bewährt und kommt nun mit beiden als Faktotum mit nach England. Bald wird sie zur Assistentin und später Projektleiterin für Yokos Arbeiten aufsteigen. Im Vorwort des Buches verkündet John: „Grapefruit ist ein schönes und tiefes Buch eines Genies, eine Frau, die zu den wichtigsten Künstlern der Welt gehört. Es wird in der Zukunft bei Menschen viel Gebrauch finden, die dafür Zeit haben. Denn es wird ihnen dabei helfen, zu leben.“ Yoko bei der Pressekonferenz: „Grapefruit ist für mich wie Penicillin, als es erfunden wurde. Manche Bücher sind wie Adjektive oder Substantiva, dieses Buch ist ein Verb, etwas, das man tun muss, und deswegen lieben Kinder dieses Buch, weil sie auch lieber etwas tun und deshalb verstehen sie es auch.“ John: „Dieses Buch von Yoko hat das Leben von einigen Menschen verändert. Da ist ein Mädchen namens Charlotte Mormon, die eine sehr zugeknöpfte Cellistin war. Das hat sie bleiben lassen, als sie Grapefruit vor zehn Jahren gelesen hat und seitdem spielt sie nur mehr Yokos Stück auf der ganzen Welt. Sie haben vielleicht von ihr gehört, sie ist die, die Cello spielt, während ihre Titten aus dem Kleid heraushängen.“ In London treten John und Yoko in der Late-Night-Show von Michael Parkinson auf unter der Bedingung, dass Parkinson ab dem Moment, an dem er die Beatles erwähnt, sich einen schwarzen Beutel über den Kopf stülpen und das Interview in diesem Zustand zu Ende führen muss. Parkinson bezeichnet das Buch Grapefruit gleich zu Beginn als „unverständlich“. Danach wendet er sich auch an John: „Ihr habt einen Film über eine Fliege gemacht, die über eine nackte Frau kriecht und ihr habt euren berühmten Hintern-Film gemacht und auch einen Film über deinen Penis, nicht war, John?“ John: „Das war ein Selbstportrait. Zu der Zeit habe ich wirklich nur mit dem Schwanz gedacht.“ (Applaus aus dem Publikum) Michael befragt das Paar über die Behandlung, die es in England erfahren hat. John: „Die Presse hier hat sie hässlich genannt. Ich habe so etwas noch nie über jemanden in der Zeitung gelesen, selbst wenn die betreffende Person wirklich hässlich war. Sie ist nicht hässlich, und selbst wenn sie es wäre, wäre keiner so gemein, es auch noch zu sagen. Sogar die hässlichsten Menschen werden als attraktiv bezeichnet ...“ Parkinson: „Ein Grund, warum dich Leute nicht mögen, Yoko, ist, weil du die Frau sein sollst, die die Beatles zerstört hat.“ John: „Das stimmt einfach nicht! Die Leute auf der Straße, die Kids mögen uns. Es sind die Medien, sag ich dir. Wir gehen durch die Straßen und die Lastwagenfahrer winken: Hallo John, hallo Yoko und so weiter, und danach richte ich mich. Und meine Platten verkaufen sich immer noch gut. Und auch ihre Platten verkaufen sich gut.“ Yoko: „Die Beatles sind vier sehr talentierte junge Männer und vier sehr starke Leute, deswegen glaube ich nicht, dass ich sie überhaupt auseinanderbringen hätte können, selbst, wenn ich es gewollt hätte.“ John: „Wir haben uns selbst auseinandergebracht. Wenn man 28, 29 ist, fragt man sich: Was soll das Ganze eigentlich? Wir haben es geschafft. Wir haben uns entwickelt und George hat mehr Lieder geschrieben. Er hatte Schwierigkeiten, eines davon auf einem Album unterzubringen. Wir waren alle eingeengt. Jetzt verkaufen wir zusammengerechnet zehn Mal mehr Platten als die Beatles. Es geht uns allen besser als zuvor. Ich habe schon als Zwanzigjähriger gesagt, dass ich mit dreißig nicht mehr She Loves You singen möchte. Und so ist ja jetzt auch gekommen, ich bin aus dem Ganzen herausgewachsen.“ Am 21. Juli beginnen John und Yoko mit den Dreharbeiten zum 70-Minuten-Film Imagine. Dabei setzen sie sogar einen Hubschrauber ein, der über Tittenhurst fliegt, und ein Boot auf dem hauseigenen Teich. Dazu gehört eine Szene, in der Yoko im Boot sitzt und Bein zeigt und John Schachfiguren isst. Am folgenden Tag filmen Yoko und John die berühmte gewordene Szene, in der er am Klavier sitzt und Imagine156 singt, während Yoko die Fensterläden öffnet. Das Lied gehört zu den populärsten, die John jemals geschrieben hat und lässt sich darin mit Pauls Yesterday vergleichen. „Stell dir vor“, singt John, „wenn es keine Länder gäbe, nichts, um dafür zu töten oder zu sterben, und keine Religion ...“ Am 24. Juli fliegen John und Yoko auf die Virgin Islands und erhalten dort vom Gericht die Genehmigung, Kyoko aufzuziehen. Eine Bedingung ist allerdings die, Anthony Cox Zugang zum Kind zu gewähren. Das Problem ist nur: Keiner weiß, wo sich Kyoko gerade aufhält. Privatdetektive, die das Paar angeheuert hat, mutmaßen, dass das Mädchen in Amerika untergetaucht sein könnte. Drei Tage später sind John und Yoko wieder in England und geben ein Interview für das Liverpool Echo, in dem John sagt: „Man kann John Ono Lennon nicht mehr von Yoko Ono Lennon trennen. Sie sind, wenn man es so will, eine einzige Person ...“ John ist verärgert über Paul: „Er will immer alles bestimmen. Es geht hier nicht um Geld, sondern um das Prinzip. Ich denke, dass uns Paul wahrscheinlich seitdem diese Sache begonnen hat, eine Million gekostet hat. Es ist wie Monopoly, nur mit richtigem Geld. Es kostet uns eine Menge.“ Am 1. August findet vor 20.000 Menschen im in New York das von George organisierte Konzert für Bangladesh statt, an dem neben George und Ringo auch Bob Dylan, Eric Clapton, Billy Preston, Klaus Voormann, Ravi Shankar und andere teilnehmen. Das Konzert ist ein großer Erfolg. Dass John abwesend ist, löst das Gerücht aus, er hätte auf Yokos Teilnahme bestanden, während George diese abgelehnt hätte. John sagt einige Wochen später zu dem Thema: „Allen Klein hat das Gerücht ausgestreut, dass ich nach England abgehauen bin und deshalb nicht dabei sein konnte. Aber ich habe George schon eine Woche vorher abgesagt, weil ich keine Lust dazu hatte. Wir waren auf den Virgin Islands und konnten nicht in New York proben.“ Journalist Robert Bury erinnert sich anders: „Ich kam zum Park Lane Hotel, wo die Lennons drei mit einander verbundene Suiten bewohnten. Komm schnell herauf, sagte Yoko, wir haben ein Problem. Das Problem war, dass George nicht wollte, dass Yoko auf die Bühne geht und dann hatten John und Yoko gestritten und John flog weiter nach London und Yoko wollte ihm nach.

156 http://www.youtube.com/watch?v=okd3hLlvvLw Dummerweise war Yokos Schwester, Setsuko, extra für das Konzert gekommen und es konnte sich keiner um sie kümmern. Also fragte mich Yoko: Wie ist es mit dir? Kannst du das übernehmen? Ich zog in die Suite, und Yoko bot mir an, ihre Limousine und den Chauffeur zu verwenden und drückte mir Geld in die Hand, und da ich meine Koffer verloren hatte, durfte ich auch Johns Kleider anziehen. Mach, was du willst, sagte Yoko. Du kannst alles bestellen. Unterschreibe einfach mit Lennon, plus 15 Prozent. Dann war sie weg. Und ich zog in die Suite, zog Johns Kleider an, ein französisches Lederjackett und ein blaues Hemd und kümmerte mich um Setsuko, die genauso scheu und zurückhaltend wie Yoko war, und führte sie drei Tage lang in New York herum. Überall, wo wir auftauchten, hielten die Leute Setsuko für Yoko und dachten, ich sei Lennon. Danach flog ich nach London zurück und John wollte genau wissen, was passiert war und war sehr amüsiert. Wie war es denn als Beatle? fragte er mich. Ich antwortete: Es hat mir so sehr gefallen, dass ich diesen Beruf gerne ergreifen würde. John sagte: Denk nicht einmal daran. Außerdem braucht man Talent dazu, ein Beatle zu sein, falls du das vergessen haben solltest.“ John: „Der Grund, warum ich nicht beim Bangladesh-Konzert mitgespielt habe, war, weil dann die Leute gesagt hätten, die Beatles geben wieder Konzerte. Ich habe keine Lust dazu, My Sweet Lord zu spielen.“ George: „Was für mich ein Problem war: Wir wussten nicht, ob es ausverkauft sein würde. Das konnte es nur, wenn die Beatles angekündigt waren. Ich hatte noch nie bei einem Konzert vorne gestanden. Es war sehr schwierig für mich, aber es ist dann alles gut gegangen.“ Am 11. August protestieren John und Yoko aktiv mit 1000 anderen gegen die britische Nordirland- Politik. John ärgert sich über George Martin, der in einem Interview behauptet hat, dass er Wesentliches zu Please Please Me beigetragen hat. John schreibt eine Karte an den mit der Nachricht: „Lieber George Martin, ich habe Please Please Me allein geschrieben. Und es wurde genauso aufgenommen, wie ich es geschrieben hatte. Erinnerst du dich? Liebe, John und Yoko.“ George Martin sagt dazu: „Das ist natürlich Quatsch. Irgendwie tut er mir leid, weil er da eine schizophrene Ader hat. Entweder meint er es nicht so oder er tickt nicht immer richtig, wenn er so was sagt.“ Reporter: „Was sagen Sie zu den Solo-Projekten der Beatles?“ Martin: „Ich bewundere George. Er hat sich prächtig entwickelt und eine tolle Leistung geboten. Wir haben ihn in diese einsame Rolle gezwungen, fürchte ich ... John ist ein bisschen platt geworden. Power To The People ist ein Aufguss von und auch nicht besonders gut. Es hat nicht die Intensität, zu der John fähig ist. Paul hatte mit seinem ersten Album das gleiche Problem. Es war hübsch, aber ein bisschen hausbacken. Ich glaube nicht, dass Linda ein Ersatz für John Lennon sein kann, genauso wenig wie Yoko ein Ersatz für Paul McCartney ist.“ Wieder liest John, was George Martin gesagt hat und ist so wütend, dass er erneut einen Brief schreibt, der im Melody Maker veröffentlicht wird. „Ich sehe nichts Schizophrenes daran, wenn man mehrere Gefühle hat. Wenn mich die Leute fragen, was hat George Martin wirklich beigetragen, dann frage ich zurück: Was trägt er jetzt bei? Dass Martin bei Revolution Nr. 9 ein Klangbild gemalt hätte, ist pure Phantasie. Das wissen alle, die daran beteiligt waren. Yoko und ich haben das Lied allein redigiert. Sicherlich hat Martin dabei mitgeholfen, unsere Musik technisch umzusetzen, aber wenn ein Kameramann Filmregisseur gewesen sein will, ist das doch zu stark ...“ In dieser Zeit merkt John aber auch selbstkritisch – wenn auch ironisch - an: „Die Leute schreiben, dass Paul der brillante Schöpfer von Melodien war und George der Philosoph. Und was bin ich dann gewesen? Stimmt: Der Durchgeknallte.“ Am 3. August verkündet Paul die Gründung einer neuen Band mit dem Namen „Wings“. Sie besteht aus Denny Laine, dem ehemaligem Frontmann der Moody Blues, Paul und seiner Frau Linda. Wer sonst noch mitspielt, wird sich in den nächsten Jahren öfters ändern. Wings werden im Laufe der Jahre beinahe so berühmt und erfolgreich werden wie die Beatles. Ihre Single Mull of Kintyre wird die erfolgreichste Platte aller Zeiten werden und sich über 6 Millionen Mal verkaufen. Aber freilich wird Wings die Magie der Beatles fehlen. Und dass das so ist, hängt damit zusammen, dass John fehlt. Der „Durchgeknallte“ war auch die Seele und die Essenz der Beatles. Am 8. September setzen John und Yoko ihre Dreharbeiten zu Imagine fort und haben dazu Fred Astaire eingeladen, den bekannten Tänzer. Auch May Pang ist da, und alle nehmen gerne an den Szenen teil, in denen Yoko jeweils Arm in Arm mit einem anderen das Hotelzimmer betritt und zum Fenster geht. Fred Astaire ist ein alter Profi und meint, dass er diese einfache Szene noch besser machen kann, weshalb sie wiederholt wird. Auch George Harrison, der gerade in der Stadt ist, nimmt an diesen Dreharbeiten teil. Er scheint John nicht gram zu sein, weil dieser sein Versprechen, am Konzert für Bangladesh teilzunehmen, nicht eingehalten hat. Diese Großzügigkeit und Sanftmut hindert John aber nicht daran, sich tags zuvor in einem Interview sehr negativ über George zu äußern. „Man kann ihm nichts sagen“, meint er. „Er weiß immer alles. Er ist immer im Trend und trägt die richtigen Kleider und all das ...“ Yoko (unterbricht): „Aber er ist intellektuell nicht auf der Höhe.“ John: „Nein. Er ist sehr engstirnig und nicht offen. Paul ist da weit bewusster als George. Einmal, in den Apple Büros habe ich ihm einmal etwas gesagt und George hat gemeint: Ich bin genauso intelligent wie du, John.“ (George kritisiert John öffentlich nie. Er wird ganz im Gegenteil ein halbes Jahr später bei Dick Cavett auftreten und dabei selbstlos Johns neue Single Happy Christmas empfehlen.) In einem Interview in der Dick Cavett Show auf ABC rauchen die Lennons Kette, und einmal blickt John zur Kamera hoch und sagt: „Hat doch nicht funktioniert, oder, Arthur?“ Die Bemerkung ist an Dr. Janov adressiert, der auch die Nikotinabhängigkeit der Lennons heilen sollte. Beide kommen an diesem Tag nicht gut beim Fernsehpublikum an. Kritiker schreiben, dass John und Yoko „die Zuschauer einen Großteil der 90 Minuten lang verärgert haben, indem sie unablässig Werbung für sich machten, kaum Gespräche stattfanden und man dauernd Filmchen und Alben anschauen oder anhören musste, die die beiden gemeinsam oder getrennt verfertigt hatten.“ Als die Show am nächsten Tag auch im Fernsehen ausgestrahlt wird, beschweren sich Hörer auch hier darüber, dass die Lennons ihnen dauernd ihre Produkte andrehen wollten. Das Album Imagine kommt auf den Markt und John erhält Druck, weil er darauf mit Paul abrechnet. John verteidigt sich: „Das Lied ist nicht nur über Paul, sondern ein Lied an sich ...“ Reporter: „Paul hat gesagt: Warum macht er unseren Streit so öffentlich?“ John: „So ein Quatsch ... dann hört euch doch Ram an, Leute. Die Texte sind nicht gedruckt worden, hört es euch an. Es ist eine Antwort auf Ram. Als ich Ram gehört habe, habe ich mich sofort hingesetzt und mein Lied geschrieben, das eine Antwort auf Ram war. So einfach ist das. Es war eine momentane Laune, ein Augenblick der Wut, der da aufs Papier fand. Als ich es dann gesungen habe, war ich nicht mehr so wütend, weil vier Wochen vergangen waren und da war es schon zu einem Witz geworden. Wir haben es nicht so ernst genommen.“ Das Titellied Imagine157, ist, wie Ringo schon damals sagt, „sensationell.“ Eine eingängige Ballade, die nicht zufällig von Yoko fast zwei Jahrzehnte später zur Titelmelodie des John-Lennon-Films ausgewählt wird. Die Zeitschrift wird sie als drittbesten Rocksong aller Zeiten bezeichnen. Der Text lehnt sich eng an Yokos Buch „Grapefruit“ an, das das erste Mal im Jahr 1965 erschienen ist, und in dem sie schreibt: „Stell dir einen Regentropfen vor. Stell dir vor, wie die Wolken tropfen.“ John gibt das Jahre später freimütig zu: „Der Song wurde von ihrem Buch inspiriert und sie hat mir viel mit dem Text geholfen. Ich hätte der Mann sein müssen, der das anerkennt. Aber damals war ich noch so egoistisch und habe es noch gar nicht wahrgenommen, dass ich ihren Beitrag zu dem Lied nicht anerkannt und ihren Namen auf dem Album gar nicht erwähnt habe.“ , der auf dem Album am elektrischen Klavier spielt: „Ich komme mit Lennon sehr gut aus. Er ist bis zu einem gewissen Grad sehr von sich eingenommen, aber er sagt einem das. Er ist sehr ehrlich. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten. Wir waren eine Woche im Studio, das reichte. So schnell ist er. Das meiste haben wir in Ascot aufgenommen. John weiß genau, was er will.“ , der Drums spielte: „Einmal sagte Yoko zu uns, dass sie das Geräusch des Windes

157 http://www.youtube.com/watch?v=okd3hLlvvLw haben will, der über den Rücken eines Frosches streicht, und wir kriegten genau den Sound, den sie wollte.“ Von den anderen Liedern wird Jealous Guy158 heute noch viel gespielt, ein offenes, direktes Lied über Eifersucht und Liebe. John: „Die Melodie hatte ich schon 1968 geschrieben. Das Lied handelt von einem unsicheren Mann, einem, der seine Frau am Liebsten in einen Käfig sperrt und sie erst herausholt, wenn er mit ihr spielen will.“ Das bezeichnendste Lied für den Zustand, in dem sich John in dieser Zeit befindet, ist aber How?159, eine von Streichern begleitete Ballade.

„Wie kann ich weitermachen, wenn ich nicht weiß, wohin die Reise geht? Wie kann ich weitermachen, wenn ich nicht weiß, wo man abbiegen muss? Wie kann ich weitergehen, wenn ich innerlich so unsicher bin? Wie kann ich Liebe geben, wenn ich nicht weiß, wie man liebt? Wie kann ich Liebe geben, wenn ich nicht weiß, wie man etwas gibt? Wie kann ich Liebe geben, wenn Liebe etwas ist, das ich selbst nie hatte? Das Leben ist so lang Und man muss stark sein Und das Leben ist so schwer dass es mir manchmal zu viel wird.“

Im Oktober veranstaltet Yoko die Ausstellung This Is Not Here, die von den Kritikern gnadenlos verrissen wird. Im Katalog schreibt Yoko: „Diese Ausstellung soll Ihnen beweisen, dass ein Künstler kein Talent haben muss. Kunst ist eine Vorstellung. Jeder kann ein Künstler sein. Jeder kann sich ausdrücken, sofern er nur verzweifelt genug ist.“ Ringo hat zu der Ausstellung einen grünen Plastiksack beigetragen, der mit grünem Wasser gefüllt ist. George hat eine Milchflasche geliefert, die aber nur im Katalog vorkommt. Johns Beitrag ist eine rosige Masse in einem Plastiksack mit dem Etikett Napoleons Harnblase. Die Eröffnung fällt mit Johns 31. Geburtstag zusammen. Zur Party kommen Prominente wie Andy Warhol, Jack Nicholson, Frank Zappa, Bob Dylan, Dennis Hopper, John Cage und Ringo mit seiner Frau Maureen. Wenige Tage später ziehen die Lennons in eine Zweiraumwohnung an der Bank Street 105 im Greenwich Village. Mit im Haus wohnen Bob Dylan, John Cage und Jerry Rubin. Die Lennons kaufen zwei Fahrräder. Johns Fahrrad stammt aus englischer Produktion und das von Yoko ist aus Japan. John: „Jeder fährt hier Rad. Dylan macht das die ganze Zeit, und keiner erkennt ihn. Ich kann kaum darauf warten, es ihm nachzutun. Ich liebe es hier, es ist der beste Platz der Welt. Nach England zurückzugehen, das wäre wie nach Dänemark ziehen. Ich möchte nicht in Dänemark leben.“ Ende Oktober erfährt John zu seiner großen Freude und Erleichterung, dass die LP Imagine an der Spitze der Charts steht. John und Yoko setzen sich in dieser Zeit für einen Inhaftierten ein, treffen einen Indianerhäuptling, verfassen einen Brandbrief gegen Kapitalisten, treten wiederholt im Fernsehen auf und schicken weiter Briefe an den Melody Maker. Unter „P.P.P.P.P.S“ notiert Yoko einmal: „Bitte hört damit auf, John für How Do You Sleep? anzugreifen. Es ist einfach ein gutes Lied, sehr kraftvoll und voller Gefühle, und außerdem eine Antwort auf Pauls Ram. Hört genau, was er auf Ram singt, und ihr werdet es sehen.“ George wird im Fernsehen gefragt, ob er Kontakt mit den Beatles hat und erwähnt, dass er John Lennon bei einem Konzert gesehen hat. Dick Cavett: „Und, was hast du zu ihm gesagt?“ George: „Hallo.“ Cavett: „Und er?“

158 http://www.youtube.com/watch?v=6lLs2dC9NaE&feature=related 159 http://www.youtube.com/watch?v=Wq7jLEnZw6s George: „Hi.“ Am 18. Dezember reisen John und Yoko nach Houston, Texas, wo die Privatdetektive Kyoko aufgespürt haben. Anthony Cox weist sie ab, worauf ihn die Lennons anzeigen. Cox kommt fünf Tage lang wegen Missachtung des Gerichts ins Gefängnis. Yoko erfährt, dass Kyoko seit drei Jahren nicht mehr in die Schule gegangen ist. Am 1. Dezember geben John und Yoko das Lied Happy Christmas (War Is Over)160 heraus, eine eingängige Ballade, die man auch heute noch häufig zu Weihnachten hört. John: „Ich wollte immer schon etwas schreiben, das eines dieser Weihnachtslieder werden würde, die ewig bleiben. Vielleicht hat das dann doch nicht ganz geklappt.“ Zu Jahresende treffen sich Paul und John in New York. Paul: „Linda und ich besuchten John und Yoko in New York und es war zuerst ziemlich peinlich, aber als wir dann zu reden begannen, war es toll. Es war das erste Mal, dass ich ihn in zwei Jahren gesehen hatte. Wir kannten einander nur mehr von den Interviews, die wir gegeben hatten und über unsere Anwälte. Jetzt redeten wir wieder miteinander und es fühlte sich gut an. Es war so merkwürdig zu spüren, dass sie genauso wie Linda und ich waren. Sie hatten die gleichen Ansichten über Musik und Politik und wir hatten die gleichen Gefühle in Bezug auf Irland.“ John und Paul verstehen sich wieder, und beschließen, die gerichtlichen Streitigkeiten beizulegen. Es dauert bis Februar, bis Allen Klein verkündigt, dass die drei Beatles Paul seine 25% von Apple abkaufen werden, da sich das Verhältnis zwischen den beiden wieder gebessert hat.

160 http://www.youtube.com/watch?v=hb2YSAVHmIE&feature=fvst 1972

John läutet das Jahr mit einem Interview ein, in dem er gegen die Plattenindustrie vom Leder zieht. Anlass ist die Frage, wie viel die Beatles an ihren Platten und Auftritten verdient haben. John: „Glauben sie mir, wir haben am wenigsten bekommen. Wir sind abgezockt worden. Wir haben keine Millionen auf der Bank, das können Sie uns glauben. Mein Album Imagine und all das gehört nicht mir. Mir gehören die Lieder nicht und auch sonst nichts, das geht alles an Northern Songs in Lew Grades fette Taschen. Und zwischen Capitol, EMI, Lew Grade und diese ganzen Typen, geht das ganze Geld verloren. Wir sind wie all diese anderen Musiker, die von Anfang bis zum Ende um ihre Einkünfte betrogen werden.“ Ende Februar gibt John ein Interview, in dem er sein neues Lied Attica State161 spielt und dann abbricht, weil er den Text vergessen hat. Seine politischen Aktivitäten sind ihm viel wichtiger, sagt er: „Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu sagen, dass die Hoffnung lebt. Wir müssen das Denken der Menschen verändern. Deswegen gehen wir auf die Straße. Wir werden nichts dafür verlangen. Das Geld, das wir mit unseren Konzerten einnehmen, wird an Strafgefangene gehen oder an Arme. Wir werden durch Amerika ziehen und die ganze Welt und vielleicht auch . Wenn wir beispielsweise nach Chicago gehen und die Hälfte oder ein Viertel des Geldes, das wir einnehmen, wird dazu verwendet, dass 500 Leute freigelassen werden, die kein Geld für eine Kaution hatten. Wir werden in jeder Stadt Menschen frei setzen. Die Rolling Stones lassen sich dafür bezahlen, dass sie eine Tournee machen, aber wir machen eine Tournee für nichts!“ John schaut dann grinsend in die Kamera und fügt hinzu: „Und was machst du jetzt, Mick?“ Johns Auftritte rufen die Gegnerschaft konservativer Politiker in Amerika hervor. Er ist nur mit einem Gastvisum im Land, und Stimmen mehren sich, den Unruhestifter auszuweisen. Die Verbindung geht, wie der nun folgende dreieinhalbjährige Kampf um seine Greencard zeigen wird, hoch bis zum amerikanischen Präsidenten persönlich, Richard Nixon, der John „loshaben“ will. In der Hinsicht ist es ungünstig, dass John eine Vorstrafe wegen Drogenbesitzes hat. Aber auch diese steht, wie sich bald herausstellen wird, auf tönernen Füßen. Zwar sind John und Yoko 1968 verhaftet worden, weil in ihrem Haus Marihuana gefunden wird, doch der Polizist, der die Aktion durchgeführt hat, wird später verurteilt werden, weil er selbst das Rauschgift im Haus der Lennons deponiert hat, um sie anschwärzen zu können. Von Anfang an haben John und Yoko jedoch auch mächtige Unterstützer. Dazu gehört unter anderem der Bürgermeister von New York, John Lindsay. Am 1. März beginnt John mit Probeaufnahmen zu seinem nächsten Album Some Time In , auf dem das Lied Woman Is The Nigger Of The World162 vor kommt. Yoko wird erneut das Sorgerecht für Kyoko verliehen, doch Anthony Cox ist wieder mit dem Kind auf der Flucht und ihr Aufenthalt unbekannt. Einer der Gründe, warum John im Land bleiben will, ist der Wunsch, selbst in Amerika nach Kyoko suchen zu können. Im Mai werden die sehr erfolgreichen Doppelalben The Beatles 1967 – 1970 und The Beatles 1962 – 1966 veröffentlicht. Zu der Gelegenheit merkt John an: „Ich bin durch eine Phase gegangen, in der ich Dinge gesagt habe, die Paul anfeuern sollten, aber ich glaube, das hat er missverstanden. Dazu gehörte auch How Do You Sleep? Ich glaube, ich bin da etwas hart gewesen. Aber ich habe das damals so empfunden und so aufgenommen.“ John und Yoko treten in der Talkshow von Dick Cavett auf und spielen Woman Is The Nigger Of The World. John verursacht große Aufregung, als er behauptet, dass er in der ersten Zeit nach seinem Eintreffen in New York vom Geheimdienst abgehört wurde. Später erzählt er: „Meine Telefone wurden abgehört und sie folgten uns überall hin im Wagen. Als ich das meinem Anwalt erzählte, sagte er, dass ich unter Verfolgungswahn leide. Jeder sagte: Lennon ist ein Großmaul. Er ist ein Egomane, warum sollte man ihn verfolgen? Das Ganze hat begonnen, als wir gesagt haben, dass wir zur Parteikundgebung der Republikaner gehen und dort eine Protestkundgebung starten.

161 http://www.youtube.com/watch?v=IxLQw7SigLs 162 http://www.youtube.com/watch?v=6P91_H690z4 Als dann auch mein Anwalt abgehört wurde, hat er es geglaubt. Da habe ich dann richtig einen Verfolgungswahn bekommen und mir vorgestellt, dass ich sie auf der anderen Straßenseite sehe und so weiter. Deshalb habe ich in der Dick Cavett Show einfach darüber gesprochen und ich war sehr nervös, aber ein Bekannter sagte: Das Beste ist, wenn man darüber spricht, denn wenn dir dann was passieren sollte, wissen die Leute, was mit dir passiert ist. Und am Tag nach der Fernsehshow waren diese Typen dann verschwunden. Es war niemand mehr zu sehen.“ Am 28. Mai teilt Cynthia Lennon, die jetzt Bassanini heißt, in London einer Zeitung mit: „John hat seinen Sohn Julian nicht mehr gesehen, seitdem er in Amerika ist. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Er scheint jetzt vollauf mit Yokos Tochter beschäftigt zu sein. Er schreibt Julian, normale Briefe, wie es ihm in der Schule geht und so. Und er schickt ihm Geschenke. Zu Weihnachten hat Julian einen Spielzeuglaster bekommen. Ich habe mit John keinen Kontakt mehr. Wir verständigen uns nur mehr über Julian. Julian liebt seinen Vater. Er verfolgt seine Karriere in den Medien. Er besucht eine Privatschule, wo es den Leuten egal ist, wer er ist. In der normalen Schule hatte er deshalb Probleme.“ Am 12. Juni erscheint Some Time In New York City, ein Doppelalbum von Yoko und John. Es ist in nur neun Tagen aufgenommen worden. Es hat keinen Hit darauf und kommt auch bei Presse und Publikum nicht gut an. John sagt, man hätte es auf die Schnelle gemacht mit dem Gedanken an das nächste Album. Paul antwortet in einem Interview auf die Frage, was er davon hält: „Es ist gut. Wenn er so etwas machen will, ist das okay.“ „Aber Sie teilen nicht seine politischen und sozialen Ansichten?“ Paul: „Doch. Ich halte das alles für ziemlich gut, was er sagt. Oft hat er recht und es ist sicherlich auch nicht wirkungslos.“ Linda, die daneben steht, lenkt das Gespräch nun unmerklich auf die noch ungeklärte Sache mit dem Beatles-Vertrag, aus dem Paul aussteigen will. Linda: „Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen. Das Problem mit John Lennon ist, dass er eine Sache predigt und dann führt er sie nicht durch. Der Sachverhalt ist sehr einfach. Vor kurzem haben wir ihn getroffen und es war alles ja, ja, offene Herzen und Yoko, die sagte, zum Teufel, lösen wir das alles einfach auf. Aber nichts ist seither passiert. Nichts! Ich gebe ihm nicht die Schuld und auch nicht den anderen. Sie sind alle Marionetten von Allen Klein. Nette Leute, aber sie werden manipuliert.“ Am 27. Juli kommt der Film The Concert For Bangla Desh in die Kinos. John schaut ihn sich an und ist begeistert. John: „Fantastisch. Wenn sie den Film noch auf Kinoformat bringen, wird er Millionen einspielen. Das ist toll und George ist so was wie ein Weltbotschafter geworden. Er wird nach Indien gehen und Bangladesh, und schauen, wohin das Geld geflossen ist. Das ist eine große Verantwortung und er übernimmt sie, weil es ihm wichtig ist. Ich finde das großartig.“ Am 3. August begeben sich John und Yoko nach San Francisco, um Kyoko wieder zu suchen. Geraldo Rivera berichtet über diese Reise in „Eyewitness News“ auf ABC. Der Bericht zeigt, wie Rivera mit John und Yoko im Auto fährt, und in der Straßenbahn und auf der Golden Gate Brücke steht. Danach sieht man die Lennons im Hotel. John spielt Akustikgitarre, während sie beide mehrere Lieder singen. Es markiert das den Beginn der „One To One“ Konzerte, die jeweils einem guten Zweck gewidmet sind. Als erstes großes Projekt spielen John, Yoko und andere Prominente wie Stevie Wonder oder Roberta Flack 1,5 Millionen Dollar für die Willowbrook Schule ein. Das zweite Projekt ist eine Spendenshow im Fernsehen für Menschen, die an muskulärer Dystrophie erkrankt sind. Im November nimmt John in New York neue Songs auf, und Mick Jagger kommt an einem Tag vorbei und spielt auf einigen Tracks Gitarre und Klavier. Im Dezember erlebt der Film Imagine in London eine Premiere und wird arg verrissen. „Stellen Sie sich einen 70-minütigen Langweiler vor. Der Film beginnt mit John und Yoko, die Hand in Hand in dicken Fellmänteln spazieren gehen ... Nebel umgibt sie, und man erwartet jeden Moment, dass Frankenstein aus dem Gebüsch springt. Dann sehen wir die Beiden wieder an einem Strand, wo sie ihren Namen in den Sand schreiben, wieder Händchen halten und langsam eine Rampe aufs Meer hinausgehen. Ein Orchester schwillt an wie am Ende eines Hollywoodfilms, und dann ist der Film zu Ende. Irgendwo in der Mitte habe ich noch gehofft, dass sich etwas ereignen wird, das die Warterei belohnt. Wenn das ein harmloser Scherz gewesen sein sollte, dann frage ich mich, warum er 70 Minuten lang gedauert hat.“ Chris Charlesworth, der bald zu einem guten Kumpel von John werden wird, schreibt: „Dass Mr. und Mrs. Lennon sich ganz viel lieb haben, wissen wir inzwischen ja eigentlich. Leider demonstrieren sie es auch wieder in diesem Film, und belassen es unglücklicherweise dabei. Eine weitere Aussage hat der Film nicht. Nach fünfzehn Minuten begann ich zu gähnen, nach weiteren fünfzehn saß ich angespannt vor akuter Langeweile auf meinem Sitz und nach einer Stunde wünschte ich nur mehr eines: Dass jemand das Licht andrehen würde.“ 1973

Am 10. Januar gibt Yoko ihr erstes Solokonzert während eines Treffens der Organisation Of Women. Am 15. November sagt John über seine Ehe: „Ich möchte meine erste Ehe nicht schlechtreden, aber seitdem ich mit Yoko verheiratet bin, merke ich, dass ich vorher noch nie eine Beziehung mit einer Frau hatte, dass ich gar nicht wusste, wie das ist und was es bedeutet. Da werden jetzt eine Menge Typen darüber grinsen, aber ich gebe es zu. Ich war dadurch, wie ich aufgewachsen bin, für Frauen nicht beziehungsfähig. In der Schule schrien wir den Mädchen im Bus hinterher, pfiffen ihnen im Park nach und dann gab es vielleicht ein kleines Betatschen, bevor jeder nach Hause lief. Wir wurden dazu erzogen, mit Männern zurechtzukommen, auf dem Fußballfeld und so. Deswegen wusste ich gar nicht, wie man mit einer Frau umgeht. Ich dachte, das ist jemand, den man bei einer Party trifft und entweder man geht mit der aus oder nicht. Man konnte mit denen auf keinen Fall über Musik reden, nicht einmal Rock'n'Roll. Und wie die meisten Männer habe ich Angst vor dem anderen Geschlecht gehabt ... Yoko wird als die Hexe betrachtet, die die Beatles zerstört hat. Die Powerfrau, die Johns Musik ruiniert hat, weil er von den Bildern und dem Humor weggekommen ist und ernsthaft und politisch geworden ist. Das ist so ein Klischee, die zickige Ehefrau. Mit Paul habe ich mich auch immer angebrüllt, aber jetzt sagen sie, Yoko und Linda haben die Beatles auseinandergebracht. Das ist einfach idiotisch. Paul und ich haben uns musikalisch sehr entfernt, lange bevor wir unsere Frauen trafen.“ Dieser Worte ungeachtet gibt es Anfang Februar Gerüchte, dass die Ehe von John und Yoko in Schwierigkeiten ist. Am 12. März kommen die drei Beatles John, George und Ringo das erste Mal seit Jahren wieder in einem Studio zusammen. Der Anlass ist Ringos neues Album, bei dem George mitspielt. An diesem Tag schauen John und Yoko vorbei, und die drei nehmen mehrere Version von Johns Komposition I'm The Greatest auf. Richard Perry, der Produzent: „Es war einfach so passiert, ohne Vorplanung. Jeder im Raum strahlte ... es ist so etwas Besonders mit den Beatles.“ Im April ziehen John und Yoko in das Dakota-Gebäude und belegen dort ein 12-Zimmer-Luxus- Apartment. Die Wohngegend an der oberen West Side ist exklusiv. Das Gebäude ist einige Jahre zuvor im Film Rosemary's Baby für Filmarbeiten genutzt worden. Die Wohnung hat dem Filmschauspieler Robert Ryan gehört, dessen Frau gerade an Krebs gestorben ist. Kaum sind die Lennons dort eingezogen, halten sie eine spiritistische Sitzung ab, bei der sie mit Mrs. Ryan Kontakt aufnehmen wollen. Danach ruft Yoko die Tochter der Verstorbenen an und erzählt ihr, wie es ihrer Mutter „auf der anderen Seite“ geht. Diese ärgert sich so sehr darüber, dass sie zur Zeitung geht und dort ihr Herz ausschüttet, was John einem Reporter gegenüber mit den Worten kommentiert: „Daran sieht man, das die Sechziger doch vorbei sind.“ Am 1. April verkünden John und Yoko, dass sie ein Land mit dem Namen „“ gegründet haben. John verliest die Gründungsurkunde: Die Bürgerschaft wird allen verliehen, die das Bewusstsein entwickeln, Nutopianer zu sein. Das Land hat kennt keinen Besitzanspruch, keine Grenzen, keine Personalausweise, nur Menschen. Die Flagge dieses Landes ist ein weißes Taschentuch. Den Reportern wird schnell klar, dass es sich bei dieser Pressekonferenz um einen Aprilscherz des Paares handelt. Am 31. März ist der Managervertrag Allen Kleins mit den Beatles ausgelaufen und wurde nicht verlängert. Er verkündet nun Anfang April, dass er alle Verbindungen mit Apple und den Beatles abbricht. Seine Wut über die Beatles wird so weit gehen, dass er sich im Plagiatsprozess, in den George wegen My Sweet Lord verwickelt ist, einmischen wird, und das auf denkbar brutalste Art: Indem er nämlich die Firma des Gegners aufkauft und gegen George prozessiert, den er eben noch vertreten hat. John erklärt dazu: „Wir haben uns von ihm getrennt.“ Reporter: „Warum?“ John: „Was glauben Sie, warum? Darüber reden wir das nächste Mal.“ Die Pressekonferenz wird rasch abgebrochen, während die Lennons ein Flugzeug nach Los Angeles besteigen. Dort gehen die Fragen weiter. John: „Es gibt so viele Gründe, warum wir ihn rausgeworfen haben, aber ich möchte nicht ins Detail gehen. Sagen wir, dass Pauls Verdacht vielleicht doch nicht ganz unbegründet war.“ Wiedervereinigungsgerüchte begleiten die Beatles nun auf allen Wegen, seitdem der Hemmschuh Allen Klein weg ist. Als sie alle beim Album Ringo mitarbeiten, erreichen diese Hoffnungen eine Höhepunkt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Beatles aber das Problem, dass Paul wegen seiner Drogenverurteilungen nicht in Amerika einreisen darf und John das Land nicht verlassen kann, weil er sonst Gefahr läuft, kein Visa mehr zu bekommen. Die Wiedervereinigung der Beatles ist also schon räumlich schwierig. Am 14. Mai wird Yoko erneut das Sorgerecht für ihre Tochter vom einem Gericht in Houston, Texas, zugewiesen. Leider weiß niemand, wo sich Kyoko aufhält. Yoko tritt in New York ein weiteres Mal allein bei einem Konzert auf. Sie hat ihre Bühnenpräsenz verbessert. Darüber schreibt der Melody Maker anerkennend: „Yoko braucht keine Entschuldigungen mehr, sie hat ihre drei Akkorde beisammen und mehr. Sie kann wirkliche Lieder schreiben über Dinge, die zählen. John Lennon ist der Mann, der mit ihr verheiratet ist. Erinnert sich noch jemand an ihn?“ Auch Yoko, die bei einem weiteren Konzert im weißen Anzug mit weißen Schuhen und einem weißen T-Shirt auftritt, belustigt sich über John, als sie ins Publikum ruft: „Vielleicht kennt ihr mich als die Schauspielerin, die einen gewissen John geheiratet hat, oder Jack den Schreihals oder wie immer der heißt.“ Yoko verhökert auf der Bühne Memorabilia, darunter auch das Betttuch, mit dem sie damals in Amsterdam das Bed-In veranstaltet haben. Auch ihr T-Shirt soll sie verkaufen. „Aber ich bin nicht zu kaufen!“ ruft sie. Als der Mann im Publikum darauf besteht, es erstehen zu wollen, meint sie: „Okay, für 30 Dollar tu ich's.“ Dann zieht sie das T-Shirt aus und man sieht, dass sie darunter ein anderes T-Shirt trägt. Yoko: „Ha! Der Witz geht auf deine Kosten! Du Männerschwein! Du hast mich doch schon nackt gesehen, oder? Two Virgins?“ Am 29. und 30. Juni nehmen die Lennons in Washington an den Anhörungen zum Watergate- Skandal teil. John kommt mit einer Kurzhaarfrisur. Yoko ist sehr aufgeregt und schreibt während dieser Tage ihr Lied Men Men Men. Sie werden später erfahren, dass Richard Nixon persönlich versucht hat, John des Landes zu verweisen. Danach beginnen beide wieder mit Aufnahmen für ein neues Album. Yoko: „John ist ziemlich nervös. Er war schon lange nicht mehr im Studio.“ Eine Entlastung für den Leistungsdruck, unter John steht, ist die Tatsache, dass die alten Beatles- Platten sich immer noch wie warme Semmeln verkaufen. Im Juli steht eine Neuauflage der späten Hits, The Beatles 1967 - 1970 auf Platz 1 der Hitparade. Auf Platz fünf kommt von George Living In The Material World, auf Platz 6 die LPs der frühen Hits der Beatles und dann von Paul auf Platz 10. Die Beatles dominieren die Hitparade stärker denn je, und John hat in diesem Jahr immer noch als Mitglied der Beatles-Partnerschaft von 1965 Tantiemen in Millionenhöhe zu erwarten, selbst wenn seine eigenen Platten nicht erfolgreich sein sollten. Trotzdem ist es John recht, dass Ringo sein Haus in England, Tittenhurst Park, kaufen will. John gibt es im September an den Makler weiter, und Ringo schlägt innerhalb einer Woche zu. Er übernimmt dabei auch Kredite von John, die noch nicht abbezahlt sind. Wie kann das sein? Es liegt daran, dass die finanziellen Verhältnisse bei Apple immer noch nicht geklärt sind und das Geld zurückgehalten wird. Und im Gegensatz zu den anderen Beatles gibt John sein Geld mit vollen Händen aus, vor allem, seitdem Yoko darauf Zugriff hat. In dieser Zeit, in der das Geld nun für beide knapp wird, setzt Yoko John vor die Tür. Er zieht am 18. September aus und fliegt gleich nach Los Angeles. John: „Yoko hat mich rausgeschmissen! Es hat nichts damit zu tun, dass ich meine Freiheit leben will. Sie hat mir wörtlich gesagt: Verschwinde! Ich habe fürs Leben geheiratet und dabei gedacht wuuuu-wuuu-jippee! Aber das war einfach nur schrecklich.“ Ihm zur Seite steht May Pang. Die immer lustige und geduldige Assistentin scheint die ideale Begleiterin für John zu sein. Yoko hatte schon länger das Gefühl, dass John in der Ehe unglücklich war und eine andere Frau haben wollte. Also schlägt sie, wie May viele Jahre später erzählt, ihrer Assistentin vor, mit ihrem Chef eine Beziehung anzufangen. May: „Eines Tages im Juni 1973 kam Yoko in mein Büro im Dakota-Gebäude. Sie erklärte mir, dass John und sie eine Beziehungspause bräuchten, was jeder, der sie umgab, auch bemerkt hatte. Sie hätte entschieden, dass ich seine Gefährtin sein sollte, und zwar von jetzt an. Bis dorthin hatte mich in der verrückten Welt von John und Yoko noch nichts gewundert, aber das war schon ein Knaller. Yoko sagte: Er ist an dir interessiert. Und es war ja wirklich so, wie sich dann herausgestellt hat. Er hat mich umworben, und dann ist es passiert, dass wir ein Paar waren. Aber sie hat uns in dieser Zeit, die wir miteinander hatten, jeden Tag angerufen.“ John und May steigen in L.A. im Beverly Hills Hotel ab. John geht gerne zum Rainbow Bar & Grill oder fliegt nach Las Vegas, um sich Fats Domino anzuschauen. John bekommt in dieser Zeit nur einige tausend Dollar im Monat aus London, kann davon nicht leben und ist gezwungen, von Capitol Records 10.000 Dollar auszuborgen. Der englische Reporter Chris Charlesworth trifft ihn im Rainbow und erzählt: „Er wollte wissen, was in London in der Rockszene passierte, wie es Paul ging, wie das Wetter war, und die königliche Familie und die Regierung, und ich hatte das Gefühl, dass er sehr isoliert war und Heimweh hatte.“ Zurück in New York sagt Yoko in einem Interview über John: „Er war ein Macho, als ich ihn kennen gelernt habe und ich glaube, er war ziemlich überrascht, dass er so viel ändern musste. Ich habe ihn nicht dazu gezwungen, er ist sehr empfindsam und hat gleich bemerkt, worum es geht. Er hatte noch nie mit einer Frau zusammengelebt, vor allem einer Frau, die selbst berufstätig war.“ Das Gespräch wechselt dann auf Kyoko, und Yoko ist sehr traurig, als sie meint: „Sie ist jetzt zehn Jahre alt geworden, und das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie fünf. Ich weiß gar nicht mehr, wie sie heute aussieht. Fünf Jahre ist eine lange Zeit.“ John sagt über Yoko: „Jetzt weiß sie, wie man Platten aufnimmt und alles andere und ich glaube, das Beste ist, wenn ich sie dabei in Ruhe lasse. Wir kommen dauernd im Studio ins Streiten, aber das soll nicht heißen, dass wir nicht mehr miteinander arbeiten wollen. Es ist, wie wir uns momentan fühlen. Wir lassen die Dinge auf uns zukommen. Manchmal nehmen wir ein Bad zusammen und manchmal baden wir allein, wie uns eben ist. Yoko tritt jetzt in einem Club in New York fünf Abende lang auf, wozu ich nicht geschaffen bin. Sie probt dafür und ich lasse sie dabei in Ruhe.“ Reporter: „Ist das eine Trennung auf Dauer?“ John: „Wir sind schon vorher immer wieder einmal getrennt gewesen, mehr als die Leute glauben und jetzt rufen sie mich schon aus England an, um zu fragen, ob wir getrennt sind, aber das stimmt nicht.“ Zwischen Oktober und Dezember nimmt John in Los Angeles mit Phil Spector Rock'n'Roll Songs auf. Spector ist drogenabhängig und rastet zwischendurch aus. Einmal taucht er mit einer Pistole im Studio auf und schießt in die Decke. Zuletzt müssen die Aufnahmen abgebrochen werden, als Spector einfach verschwindet. Es heißt, er habe einen Autounfall gehabt. Die Aufnahmen nimmt er alle mit, und John wird sie erst ein Jahr später wieder zurückbekommen. John schreibt an Derek Taylor, dem früheren Pressesprecher der Beatles, Anfang Dezember eine etwas depressive Karte, auf der steht: „Ich bin in Lost Arseholes ohne besonderen Grund ... Yoko und ich sind in der Hölle, aber ich werde das ändern ... vielleicht schon heute. Und ich bin immer noch berühmt. Wer zuletzt lacht, hört am schlechtesten.“ 1974

Auf Anregung von May Pang holt John seinen Sohn Julian nach Amerika und macht mit ihm im Februar 1974 in Miami Ferien. Dabei besuchen sie auch Disneyworld. Am 18. Februar hat Yoko Geburtstag, und John und May besuchen sie im Dakota-Gebäude, um mit ihr zu feiern. Zwei Tage später fliegen sie nach Los Angeles zurück und leben einige Wochen im Haus des Plattenproduzenten Harold Seiders. John verfällt in dieser Zeit mehr und mehr dem Alkohol und gerät in Auseinandersetzungen, einmal mit einer Kellnerin in einem Nachtclub, und einmal mit einer Photographin, die John anzeigt. Der Vorfall wird außergerichtlich beigelegt. Ein Jahr später erinnert sich John über diese dunkle Zeit: „Ich war betrunken und schrie. Es war das erste Mal, dass ich Brandy Alexanders getrunken hatte, was Brandy und Milch ist, Freunde. Ich war mit da, der nicht so gut aufgestellt war wie ich, der Penner. Aber er hat mich zum Trinken ermuntert. Ich hatte sonst immer jemanden an meiner Seite, der sagte: Okay, Lennon. Halt die Klappe. Und ich war das gewöhnt, diese Aufpasser. Aber diesmal war keiner da, der das gesagt und deshalb kam das Ganze außer Kontrolle. Da war ein Mädchen, das behauptet hat, ich hätte sie geschlagen, aber ich habe sie gar nicht geschlagen. Sie wollte Geld abstauben und ich musste sie auszahlen, weil ich Angst hatte, dass es Schwierigkeiten mit meiner Aufenthaltsgenehmigung gibt. Sie hat behauptet, dass sie eine Photographin ist und hatte eine Instamatic dabei. Aber sie hat gar nicht photographiert. Ich habe gesagt: Wenn ich sie geschlagen habe, warum gibt es davon keine Bilder? Aber sie haben gemeint: Es ist besser, Sie gehen, Mr. Lennon, und führten mich aus dem Lokal ab. Okay, also war ich besoffen. Wenn es Errol Flynn gewesen wäre, hätten diese Showbiz-Schreiberlinge gesagt: So war das damals, wenn Sinatra oder Errol Flynn auf die Leute eingedroschen haben. Echte Männer, verstehst du. Tu ich das, bin ich ein Penner! Also gut, es war ein Fehler, aber zum Teufel, ich bin auch nur ein Mensch. Ich war schon in Liverpool betrunken und habe Telefonzellen zertrümmert, aber damals hat noch niemand darüber geschrieben. Ich habe keinen Reporter verprügelt. Ich musste ihr 1000 Dollars geben oder Scheiß, weil ich ihr Schweigegeld bezahlt habe. Das war es. Und dabei war sie gar keine Reporterin gewesen.“ John kommt wegen des Vorfalls auf die Titelseiten der Zeitungen und tritt von nun an mehrmals öffentlich mit May Pang gut gekleidet und sichtlich nüchtern auf, um diesen schlechten Eindruck wieder vergessen zu machen. Mit Nilsson besucht er dann auch noch einmal den Club, um sich bei allen Beteiligten zu entschuldigen. Als Yoko zu dem Vorfall befragt wird, beschränkt sie sich auf ein „Kein Kommentar.“ May Pang erzählt über ihre Zeit mit John: „Das Beste, was in den eineinhalb Jahren, die wir zusammen waren, passiert ist, waren zwei Dinge. Einerseits sein Album , das sehr erfolgreich war. Und die Tatsache, dass ich mit Cynthia, seiner ersten Frau, eine Freundschaft beginnen konnte. Sie hatte sich mit ihm wegen Yoko nie aussprechen können, und ich glaube, mit mir ist es ihr gelungen, weil ich mit Julian sehr gut zurechtgekommen bin.“ Reporter: „Wie war John als Mensch? Was gab es an ihm, wovon man in der Öffentlichkeit nichts gehört hat?“ May: „Er sagte von sich: Ich bin ein Chamäleon. Er sagte immer gerade das, was in seinem Herzen war. Das konnte zwei Wochen später schon wieder ganz anders aussehen. Damit sind die Leute nur schlecht zurechtgekommen. Er wollte immer etwas dazulernen. Wenn er morgens aufstand, saß er schon über der New York Times und saugte alles in sich auf. Er hatte immer etwas zum Schreiben dabei und machte sich Notizen oder kleine Zeichnungen und daraus entstanden dann auch seine Songs. An der Oberfläche war er immer gut drauf und charmant und hatte Witz. Aber es kamen auch immer Verletzungen aus seiner Kindheit durch. Er wollte sich immer verbessern. Er suchte nach Antworten. Nachdem er Some Time In New York City gemacht und die schlechten Kritiken gelesen hatte, kam er damit schlecht zurecht, als Musiker, aber auch als Aktivist. Eine Weile konnte er danach keine Lieder mehr schreiben, weil er merkte, dass er mit seinen politischen Liedern überhaupt nichts geändert hatte. Einmal fragte er mich: Was hältst du davon, wenn ich wieder mit Paul zusammen etwas schreiben würde? und ich sagte: Das ist eine tolle Idee. Ihr seid jeder allein sehr gut, aber gemeinsam seid ihr unschlagbar. Wir wollten Paul besuchen gehen, aber das hat sich dann zerschlagen, als er wieder zu Yoko zurückkehrte.“ Nach dem Vorfall in der Bar beschließen John und May, in Santa Monica ein Strandhaus zu mieten. Dieses entwickelt sich innerhalb der nächsten zwei Wochen zu einem Mekka für Musiker und Prominente. Ringo kommt vorbei, und Keith Moon, Klaus Voormann und andere. John: „Wir hatten jede Menge Spaß, lebten alle zusammen und hatten eine schöne Zeit. Aber bald merkte ich, dass ich unter all diesen Leuten noch der Nüchternste war. Ich beschloss, mein Album abzuschließen, wieder ernsthaft zu arbeiten.“ Als Paul wieder in Amerika einreisen darf, nutzen die McCartneys die Gelegenheit, um John zu besuchen. An diesem Tag steht John nicht im Studio in Burbank und relaxt am Pool. Am Abend findet in seinem Haus eine Jam-Session statt, an der auch Paul teilnimmt. „Dreht das verdammte Mikro hoch“, ruft John, „McCartney singt am Schlagzeug mit.“ Paul macht an diesem Abend den Drummer, John spielt Gitarre, auch Linda singt und unter den anderen, die mit jammen, ist auch Stevie Wonder. Die Sause dauert bis in die frühen Morgenstunden des 1. April. John: „Es waren noch fünfzig andere Leute da. Aber alle haben nur Paul und mich angesehen!“ In seiner Autobiographie schreibt Paul, dass Yoko ihn angerufen und ihn gebeten hätte, John in L.A. zu besuchen und ihn zu bitten, wieder nach New York zurückzukommen. Yoko wird diese Version, die nach Johns Tod verbreitet wird, allerdings bestreiten. Einige Stunden nach der gemeinsamen Jam Session von John und Paul kommt Ringo mit Keith Moon und Harry Nilsson vorbei und Ringo fragt wie ein Zwerg im Märchen: „Wer ist an meinen Trommeln gewesen?“ und die anderen sagen: „Paul, Paul war da.“ Am Vormittag kehren Paul und Linda in Johns Haus zurück. John schläft, aber Paul geht gleich zum Klavier und spielt mit Moon und Nilsson Beatles-Lieder. Nilsson bietet ihm später Angel Dust an, aber Paul verzichtet darauf. John steht um drei Uhr nachmittags auf, und sitzt am Pool und redet mit Paul. Dabei entsteht das letzte gemeinsame Bild der beiden. Am 10. April packen John und May ihre Sachen und ziehen in ein Haus in Santa Monica, das einmal dem Schauspieler Peter Lawford gehört hat. Hier zahlen sie 5000 Dollar Miete im Monat. Zwei Wochen später kehren sie nach New York zurück, wo sie im luxuriösen Pierre Hotel an der Fifth Avenue absteigen. John besucht seine Freunde, darunter auch Mick Jagger, der im Tonstudio steht. John schreibt spontan das Lied Please Don't Ever Change, das Jagger auch gleich mit seiner Stimme einspielt. Im Juni beginnt John an den Arbeiten zum Album Walls And Bridges. Er ist jetzt wieder nüchtern, was seinen Kumpels negativ auffällt. Am 13. Juni kommen beispielsweise die Who nach einem Konzert im Madison Square Garden im Pierre Hotel auf Besuch. Keith Moon möchte etwas trinken und nimmt aufgrund vergangener Ereignisse an, dass John einen großen Vorrat davon hat. Tatsächlich aber befindet sich in der ganzen Suite nur eine Flasche kostbaren Rotweins. Journalist Chris Charlesworth: „Der einzige Grund, warum es diese Flasche noch gab, war Johns Angst, dass sie vergiftet sein könnte. Er hatte sie von Allen Klein bekommen, mit dem er gerade eine rechtliche Auseinandersetzung hatte. John schlug vor, dass jemand den Vorkoster spielen sollte. Er sagte: Also, Keith, du kannst das nicht sein, du bist der Drummer der Who und musst morgen wieder spielen und wir wollen auch nicht, dass du stirbst. Ich bin John Lennon, der berühmte Beatle, ich darf auch nicht sterben. Ich liebe May Pang, sie ist derzeit meine Partnerin und ich möchte nicht, dass sie stirbt, deswegen bist du der einzige, der diesen Wein vorkosten kann, Chris, also bitte sehr, mein Lieber. Und er goss mir den Wein in das Glas und ich trank ihn und die anderen starrten mich an. Es war der beste Wein, den ich je getrunken hatte, so reichhaltig und schmackhaft, einfach großartig. Ich sagte zu allen: Er ist einfach wunderbar. Also hatte jeder ein Glas davon und kaum hatte Keith seines ausgetrunken, machte er sich schon wieder auf den Weg.“ Während John Walls And Bridges aufnimmt, informiert ihn ein Gesandter der Firma Capitol Records, dass es ihnen gelungen ist, die Rock'n'Roll Album Aufnahmen, die Phil Spector mitgenommen hatte, wieder zurückzubekommen. Man hat sie Spector für 90.000 Dollar abgekauft. John hat wieder Mut für die neue Platte und schreibt schöne Lieder. Gemeinsam mit , der Orgel, Klavier dazu spielt und Begleitstimme singt, nehmen sie Whatever Gets You Through The Night163 auf, ein Lied, das ein großer Hit werden wird. Ringo ruft John an und bittet ihm, für sein neues Album ein Lied beizusteuern. John schreibt Goodnight Vienna164. An Tagen, an denen John nicht arbeitet, fährt er mit May nach Long Island und sie verbringen lange Stunden am Strand. John liebt die Sonne und das Meer. Abends geht er gern in die Disco und ist sehr interessiert an neuen musikalischen Trends. Er isst gerne chinesisch, hat aber auch Phasen, in denen er jeden Morgen ein typisches englisches Frühstück haben will. Früher hat er Tee getrunken, doch in Amerika verlegt er sich mehr und mehr auf Kaffee. Am 14. Juli kommt sein Sohn Julian wieder nach New York, um einige Wochen mit seinem Vater zu verbringen. Tags darauf fliegen Paul und Linda ein, weil sie John und May in ihrer neuen Wohnung besuchen wollen. Es handelt sich um ein kleines Apartment in der East 52nd Street. May hat zwei Katzen, die weiße heißt Major (Dur) und die schwarze Minor (Moll). Die beiden Beatles und ihre Frauen verbringen, wie John es ausdrückt, „Beaujolais-Abende, an denen wir über alte Zeiten gequatscht haben“. Sie hören in diesen Tagen gerne eine alte Bootleg-Single aus ihrer Frühzeit, How Do You Do It?165, die John auf dem Plattenteller liegen hat. Für Julian ist diese Zeit schön, denn er erlebt, wie sein Vater eine erfolgreiche LP aufnimmt. Und er spielt auch bei Ya Ya166 auf dem Schlagzeug mit. Elton John nimmt John das Versprechen ab, als Gegenleistung für seine Mitarbeit bei Whatever Gets You Through The Night mit ihm im November im Madison Square Garden aufzutreten, falls die Single den Spitzenplatz in den Charts erreicht. John sagt zu, weil er sich sicher ist, dass das nie der Fall sein kann. Im August fliegt John nach Los Angeles, um Ringo bei den Aufnahmen zu seinem neuen Album zu helfen. Zu der Gelegenheit nimmt er selbst Only You167 auf, lässt seine Stimme weg und legt Ringos Stimme darüber. Das Lied ist dadurch weit effektvoller und wird ein großer Erfolg für Ringo werden. Auf dem Weg nach Hause verbringt John noch einige Tage auf der Caribou Ranch von Elton John in Colorado und wirkt bei der Aufnahme von Lucy In The Sky With Diamonds mit. May ist immer an seiner Seite. Yoko dagegen fliegt Anfang August nach Japan, um dort mit der Plastic Ono Super Band auf Tournee zu gehen, und spielt dort in Koryama, Osaka, Nagoya, Tokio und Hiroshima. John unterschreibt gemeinsam mit Paul einen Vertrag mit ATV Music, der ihm für Songrechte mehr als eine Million Pfund einbringt. Der Tag markiert das Ende der finanziellen Dürreperiode, da von nun an mehr und mehr Neuerscheinungen alter Beatles-Alben aufgelegt werden, die die Beatles zu Multimillionären machen. Am 23. August erlebt John um neun Uhr abends etwas Außergewöhnliches. Er steht nackt auf dem Dach des Apartmenthauses und sieht sein erstes UFO. Es ist ganz nah und fliegt weg, während John: „Nimm mich mit!“ schreit. Wochen später besteht er darauf, dass er wirklich ein UFO gesehen hat. John: „Es war da! Ich konnte es zuerst selbst nicht glauben. Es war ein oval geformtes Objekt mit roten Lichtern darauf. Es flog von links nach rechts und verschwand nach zwei Minuten über den East River hinter dem UNO Gebäude. Ich hatte nicht getrunken. Das ist die Wahrheit. Ich mache das nur an Wochenende oder wenn ich Harry Nilsson sehe.“ May Pang, die unter der Dusche stand, kommt auf das Dach gelaufen und sieht das UFO gerade noch, bevor es verschwindet. Die Polizei erhält an diesem Abend drei Anrufe, weil andere Menschen das UFO auch gesehen haben. Insgesamt werden 400 Menschen behaupten, dass es wirklich über New York geflogen ist.

163 http://www.youtube.com/watch?v=HNNxeovdN5U&feature=related 164 http://www.youtube.com/watch?v=OhY_TNkNddc 165 http://www.youtube.com/watch?v=fY5x7nQ4_UY 166 http://www.youtube.com/watch?v=IeCE6lslJRc 167 http://www.youtube.com/watch?v=tsNshfj-rJw Am folgenden Tag fliegen John und May nach Kalifornien, um wieder mit Ringo an seinem Album zu arbeiten. Nach ihrer Rückkehr geben sie eine Party für Paul und Linda, Mick und Bianca Jagger und Glyn Johns und . Am 14. September schreibt der bekannte Gitarrist Todd Rundgren im Melody Maker: „John Lennon ist kein Revolutionär, er ist ein verdammter Idiot, Mann. Schreit was über Revolution herum und führt sich wie ein Arsch auf, was für jeden unangenehm ist. In Wirklichkeit will er doch nichts anderes als Aufmerksamkeit und die Revolution hilft ihm dabei und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Eine Kellnerin im Troubadour zu schlagen. Was ist das für eine Revolution? Er ist eine wichtige Figur, klar, aber das ist Richard Nixon auch. Was John Lennon heute ist, war vor einer Generation Richard Nixon. Er schien die Werte seiner Zeit zu repräsentieren. In Wirklichkeit aber war er immer nur an seinem eigenen Fortkommen interessiert.“ John schreibt zurück: „Lieber Todd, ich mag dich und einiges von dem, was du geschrieben hast (I Saw The Light168 eingeschlossen, das mich an There's A Place von den Beatles erinnert hat) 1. Ich habe nie behauptet, ein Revolutionär zu sein. Aber ich kann doch singen über was ich will, oder? 2. Ich habe keine Kellnerin im Troubadour geschlagen. Ich habe mich wie ein Idiot aufgeführt, ich war betrunken. Also erschieß' mich. 3. Wir wollen alle Aufmerksamkeit, Rodd. Denkst du wirklich, das würde mir ohne Revolution nicht gelingen? Ich könnte meine Haare grün und pink färben, beispielsweise. 4. Ich lehne niemanden ab, außer mich selbst. Irgendwas muss ich für dich bedeutet haben, oder sonst wäre dein Ausbruch unverständlich. Vielleicht deinen Vater? 5. Ja, Dodd, Gewalt gibt es auf verschiedenste Weise, auch mit Worten kann man brutal sein. Aber damit kennst du dich doch aus, oder? Klar.

Ja, Godd, das einzige, was die Beatles nicht gemacht haben, war, mit den Köpfen der Leute zu spielen. Mir hat jemand deinen Rock-and-Roll-Weichei-Song vorgespielt, aber mir ist nichts aufgefallen. Ich glaube, der wirkliche Grund, warum du mir böse bist, ist, weil ich dich damals im Rainbow in L.A. nicht erkannt habe. Wie auch immer. Egal wie sehr du mich verletzt hast, mein Schatz, ich werde dich immer lieben.

J.L.

Todd Rundgrens Antwort darauf:

„Als erstes möchte ich mich bei John Lennon für meine extreme Ausdrucksweise entschuldigen. Man hat mir öfters vorgeworfen, dass ich kritiksüchtig bin, und meine Bemerkungen sollten nicht verbergen, dass ich großen persönlichen Respekt vor ihm habe. Ich möchte den Eindruck zerstreuen, dass ich eine persönliche Vendetta gegen irgendjemanden führe. Wichtig war mir wie auch uns, da bin ich sicher, ein ehrlicher Meinungsaustausch. Danke.“ Im September kommen die Single Whatever Gets You Through The Night wie auch das Album Walls And Bridges heraus. Sie werden auf beiden Seiten des Atlantiks von einer riesigen Werbekampagne begleitet. Johns Augen und der Slogan „Listen to this ...“ sind überall auf Anzeigentafeln, in Zeitungen, auf T-Shirts, Buttons und auch als 30-Sekunden-Werbung im Fernsehen zu sehen, bei der Ringo zur Einleitung „Hört euch das an“ sagt, worauf einige Ausschnitte aus dem Album kommen. Die Werbeeinschaltung endet mit dem Kurzdialog: John: „Danke, Ringo.“ Ringo: „Es war mir eine Freude, John.“ Am 21. Oktober setzt John die Arbeit am Rock'n'Roll Album fort, weil er die Bänder von Phil Spector zurückbekommen hat. Im November erscheint Ringos neue LP . Auch hier finden Werbeeinschaltungen

168 http://www.youtube.com/watch?v=fXq81-cGJr4 im Fernsehen statt, bei denen Ringo und John miteinander plaudern. Am 16. November erreicht Johns Single Whatever Gets You Through The Night die Spitze der amerikanischen Hitparade. Es ist seine erste Single, die es so weit geschafft hat. Auch das Album Walls And Bridges steht auf Nummer 1. Am 28. November löst John sein Versprechen an Elton John ein und spielt mit ihm im Madison Square Garden Whatever Gets You Through The Night, Lucy In The Sky With Diamonds und I Saw Her Standing There. John: „Es war toll. Er war aufgeregter als ich, weil er wegen mir aufgeregt war. Elton war im Büro von Dick James, als die Beatles ihre letzten Bänder einschickten, also ist er mit den Beatles emotional stark verbunden. Ich war bei seinem Konzert in Boston und hatte Lampenfieber für ihn. Ich dachte: Gott sei Dank bist nicht du das auf der Bühne, kurz bevor er hinausgelaufen ist. Aber dafür war ich heute überhaupt nicht angespannt. Ich hatte richtigen Spaß. Als ich auf die Bühne kam, kreischten sie und brüllten. Es war wie damals bei der Beatlemania. Ich dachte: Was ist das denn jetzt, weil ich das seit Beatleszeiten nicht mehr gehört hatte. Ich schaute mich um und sah jemanden mit einer Gitarre. Es war ein Deja-vu Erlebnis. Es hatte eine Probe gegeben, aber wir waren musikalisch nicht gut beisammen. Und als wir dann zu I Saw Her Standing There kamen, rutschte Eltons Klavier fast von der Bühne. Whatever Gets You Through The Night169 spielten wir wegen einer Wette, und natürlich Lucy In The Sky With Diamonds, weil wir dieses Lied gemeinsam im Caribou eingespielt hatten. Wer da verstimmt im Hintergrund spielt, bin ich mit dem Reggae- Rhythmus. Elton wollte, dass ich Imagine spiele, aber ich wollte kein Dean Martin sein mit meinen Klassikern. Ich wollte Spaß haben und Rock'n'Roll spielen und nicht mehr als drei Nummern, weil es Eltons Show war. Als ich von der Bühne kam, sagte ich zu den Journalisten: Es war klasse, aber ich würde damit nicht gern mein Lebensunterhalt verdienen.“ Das Konzert wird von 30.000 Besuchern gesehen, und Tausende von Menschen müssen von den Toren abgewiesen werden. Eine der Menschen, die es in den Madison Square Garden geschafft haben, ist Yoko. Beide haben es später abgestritten, dass sie miteinander Kontakt hatten, aber May Pang schreibt, dass John extra für Yoko zwei Plätze reserviert hatte und sie sich vor dem Konzert telefonisch beschwert hätte, weil ihr die Plätze nicht passten. Am 14. Dezember kommt George Harrison mit seiner neuen Freundin Olivia Arias nach New York und steigt im Plaza Hotel ab. Er ist sehr enttäuscht vom Verlauf seiner ersten Solo-Tournee, die er gerade – bis auf zwei Konzerte – hinter sich gebracht hat. Er war die meiste Zeit heiser und wurde viel kritisiert, weil er Menschen von der Bühne aus in Bezug auf Spiritualität belehrt hat. John und May Pang kommen am Abend ins Hotel und nehmen sich ein Zimmer. Am folgenden Tag lädt George sie zu seinem Konzert in Nassau ein und sie fliegen hin. John bemerkt dazu nur, dass er froh ist, nicht „den Teil mit Ravi hören zu müssen“. Ravi Shankar, der Sitarspieler, ist an diesem Tag nämlich erkrankt. Am folgenden Tag sind alle vier Beatles in New York, weil sie bis Mitternacht den Auflösungsvertrag zwischen ihnen unterschreiben sollen. Paul und Linda besuchen das Konzert, das George im Madison Square Garden gibt. Johns Sohn Julian ist auch da, weil John versprochen hat, an diesem Abend mit George auf der Bühne zu stehen. Es ist seine zweite Chance, der Bitte von George, noch einmal mit ihm ein Konzert zu geben, zu entsprechen. Aber wieder klappt es nicht. Als der Abend beginnt, ist John nicht da, und auch später bleibt er spurlos verschwunden. May Pang erklärt in ihrem Buch Loving John: „George rief an und sagte mir: Sag John, dass ich die Tour ohne ihn begonnen habe und auch ohne seine Hilfe beenden werde.“ Am folgenden Tag geht Julian abermals in das zweite Konzert von George, während sein Vater den Schwiegervater von Paul, Lee Eastman, trifft, um mit ihm noch einmal den Auflösungsvertrag zu besprechen. Später kommt John zur Abschlussfeier der Tournee von George. Er ist in Begleitung von May Pang. Yoko ist auch da. Sie ist allein gekommen, aber John und Yoko sprechen nicht miteinander. John: „George und ich sind immer noch große Kumpel und werden das auch bleiben, aber ich war mit dieser Vertragssache beschäftigt. George war ein bisschen durchgedreht, weil er seine Tournee im Kopf hatte und wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen. Ich habe einige Male mit Paul zu

169 http://www.youtube.com/watch?v=SsSUFuEeYZU tun gehabt, weil er viel nach New York kommt und ich sehe Ringo immer wieder in Los Angeles. Wie auch immer, ich war sehr nervös, als ich auf die Bühne sollte, aber hatte es versprochen, weil es gemein von mir gewesen wäre, nicht mit George zu spielen, wo ich doch mit Elton live gespielt hatte. Ich habe das Dokument nicht unterschrieben, weil mir mein Astrologe gesagt hat, dass gestern nicht der richtige Tag war, ha ha!“ Später, in einer ruhigen Minute, erklärt er weiter: „George war richtig sauer auf mich, weil ich es nicht rechtzeitig unterschrieben hatte und irgendwer hat mir gesagt, dass ich nicht mehr zum Konzert zu kommen brauche. Ich war sehr erleichtert, weil wir gar nicht geprobt hatten und ich wollte nicht einfach auf die Bühne springen und ein paar Akkorde spielen. Ich habe ihn in Nassau erlebt und es war eine gute Show. Die Band war toll und Ravi war nicht dabei, also habe ich diesen Teil der Show nicht gesehen, wo es heißt, dass die Leute unruhig werden. Ich habe nur eine gute, packende Show gesehen. George hatte keine Stimme, aber die Atmosphäre war gut und die Leute waren toll. Ich habe George danach wieder gesehen und wir sind wieder Freunde. Aber er war völlig in die Tourneesache eingespannt. Ich habe Achtung vor George, aber ich glaube, dass die Tournee ein Fehler war. Aus der Außenperspektive ist das leichter zu sagen als wenn man mitten drin steckt. Ich glaube, die Leute wollten das alte Zeug hören. George wollte das nicht und ich kann das verstehen. Als ich mein Wohltätigkeitskonzert im Madison Square Garden gab, bin ich noch auf der Erfolgswelle von Imagine geschwommen und das war okay für die Leute. Aber als ich dann Come Together angestimmt habe, sind die Leute ausgeflippt, und da habe ich gemerkt, was die Leute wirklich hören wollen.“ Unabhängig davon, was John hier der Presse erzählt: Von dem Tag an hat John George nie wieder gesehen. Die Verstimmung von George ist nachhaltig und wird den Tod von John überdauern. Am 27. Dezember unterschreibt John endlich den Auflösungsvertrag mit den Beatles in Disneyworld in Florida. Er ist mit seinem Sohn Julian und May Pang dorthin geflogen. John: „Wir waren an einem Tag in Disneyworld, wo es völlig von Menschen überlaufen war und ich saß auf der Achterbahn mit allen möglichen Leuten und keiner erkannte mich. Einmal sagte einer in meinem Rücken: Heute war George Harrison hier. Er lehnte sich gegen mich und hatte gehört, dass ein Beatle hier gewesen war, aber er konnte den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ 1975

Am 9. Januar 1975 wird die Beatles & Co. Gemeinschaft offiziell aufgelöst. Es gibt keine musikalischen oder finanziellen Gemeinsamkeiten zwischen den Beatles mehr. John nimmt mit David Bowie die Lieder und Fame170 auf. John: „David rief mich an und sagte, dass er Across The Universe einspielen wollte und ich dachte super, weil ich selbst nie eine gute Version davon gemacht hatte. Es ist eines meiner Lieblingslieder, aber ich mochte meine eigene Version davon nicht. Also ging ich mit ihm ins Studio und spielte die Rhythmusgitarre. Dann verfiel er auf diesen Rhythmus und wir machten ein Lied daraus, das wir dann Fame nannten. Ich hatte Spaß dabei!“ Am 31. Januar 1975 besucht John Yoko im Dakota-Gebäude. Seinen Freunden gegenüber begründet er das mit den Worten: „Mit ihr kann ich mit dem Rauchen aufhören.“ Später in diesem Jahr wird er sich an diesen Tag zurückerinnern: „Ich ging sie besuchen, das war alles. Und dann kam alles wieder zusammen. Es war so, als wäre ich nie weggewesen. Ich begriff an dem Tag, dass ich hierher gehörte. Ich glaube, dass wir beide wussten, dass wir früher oder später wieder zusammengehen würden, selbst wenn das fünf Jahre gedauert hätte, und deshalb hatten wir nie daran gedacht, uns scheiden zu lassen. Ich bin froh darüber, dass sie mich wieder zurückgenommen hat. Es war so, wie wenn man einen trinken geht, und dann dauert es ein Jahr, bis man den Drink bekommt!“ Im Jahr 1980 präzisiert John: „Ich musste mit ihr zusammen sein. Ich wollte mit ihr zusammen sein und konnte ohne sie praktisch nicht leben. Als Mensch bin ich ohne sie zerbrochen, stückweise. Ich hatte nicht gewusst, dass ich sie so sehr brauchte. Das hat mir Angst eingejagt, dass ich sie mehr brauchte als sie mich, und ich hatte immer das Gegenteil geglaubt. Das ist das Ehrlichste, was ich dazu sagen kann.“ Etwa acht Monate nach diesem Tag, am 9. Oktober 1975, wird geboren, John und Yokos gemeinsames Kind. Es ist zugleich der Geburtstag von John. Zufall? Nein. Der Kaiserschnitt wird einige Tage vor dem eigentlichen Geburtstermin durchgeführt, um die gewünschte kosmische Übereinstimmung zwischen Vater und Sohn zu intensivieren. Fünf Tage später trifft John zufällig May Pang beim Zahnarzt und sagt ihr: „Ich bin wieder mit Yoko zusammen.“ Das heißt auch, dass May ihren Job als Assistentin von John verloren hat. Sie findet aber bald bei einen neuen Job und betreut dort unter anderem . John und May beschließen, Freunde zu bleiben, was auch in eingeschränkter Art und Weise funktioniert. Sie sehen einander immer wieder einmal und plaudern miteinander, und das bis zum Juni 1980. Yoko dagegen bricht sofort jeden Kontakt mit May ab. Ganz anders verhält sich Cynthia Lennon. Sie bleibt mit May auch nach dem Ende ihrer Beziehung zu John eng befreundet. May hat viel Gutes bei John bewirkt. Auf ihre Anregung hin hat er wieder Kontakt zu seinem Sohn Julian aufgenommen und ihn zu sich in die USA eingeladen. Und er hat seine Depression und Trunksucht überwunden, als Musiker wieder zu sich gefunden und mit Walls And Bridges einen großen Hit gelandet. Ein besonderer Verdienst ist aber auch, dass May die Beziehung zu den anderen Beatles verbessert hat. May: „Egal, was er in der Presse über sie gesagt hat, er liebte sie wie Brüder. Ringo lebte mit uns in L.A. zusammen. George kam er wieder näher, als der seine Tournee durch Amerika machte, die gar nicht gut lief. John hätte einmal sogar mit ihm auf der Bühne stehen sollen, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Und Paul und Linda haben John zu den Aufnahmen von Venus And Mars eingeladen und John wollte hin. Aber dazu ist es dann nicht mehr gekommen.“ Am 8. Februar kommt ein Album mit dem Titel John Lennon Sings The Great Rock & Roll Hits heraus, das auch unter dem Namen Roots bekannt wird. Es ist eine illegale Version des offiziellen Albums Rock'n'Roll, das John gerade selbst vorbereitet und das zusammengemischt hat. John verklagt Levy. Über sein neues Album erzählt er: „Die Sessions in L.A. sind schrittweise ins Chaos abgerutscht. So

170 http://www.youtube.com/watch?v=RfeaNKcffMk kann man das bezeichnen. Es wurde richtig verrückt. 28 Kerle spielen am Abend und 15 davon sind durchgeknallt. Einer davon war ich. Die Aufnahmen sind zusammengebrochen, und Phil auch. Ich will gar nicht erzählen, was passiert ist. Es gab acht Songs, und die Hälfte davon waren wertlos. Das war das erste Mal, dass ich Aufnahmen für ein Album außer Kontrolle gelangen ließ. Das mache ich nie mehr. Phil hatte die Aufnahmen und ich musste 8 Monate warten, bis er sich erholt hatte. Ich kam nach New York zurück und am Tag bevor ich an Walls And Bridges zu arbeiten begann, bekam ich diese Aufnahmen zurück. Den Rest habe ich selbst mit Hilfe von 8 Typen erledigt. In fünf Tagen, drei Songs pro Nacht. Ich sagte einfach: Rock'n'Roll, okay, Rock. Und dann haben wir begonnen. Okay, Take One, Stand By Me. Take Two, Ba-Bop-A-Lula und so weiter. Ich hätte alles wegschmeißen können oder es durchziehen. Also dachte ich: Was mache ich jetzt? Lasse ich es in der Schublade? Ich hasse es, wenn Zeug in der Schublade bleibt. Ich habe nichts in der Schublade, und die Beatles auch nicht! Und jetzt, wo es draußen ist, fühle ich mich großartig. “ Am 25. Februar sieht man einen zufrieden wirkenden John außerhalb des Dakota Gebäudes. Er trägt einen großen Button auf dem Mantel mit dem Wort „Elvis“. Bei den Grammy Awards am 1. März ist er blendender Laune und scherzt mit Paul Simon und Andy Williams auf der Bühne. Yoko ist im Publikum und wirkt stolz über die Blödeleien ihres Mannes. In einem Interview sagt John über seine Beziehung zu Yoko: „Unsere Trennung hat nicht funktioniert.“ Er scheint versöhnt über seine Vergangenheit und sagte: „Ich habe diese ganzen negativen Gedanken verbannt. In den letzten zwei Jahren habe ich mich völlig verändert. Ich würde auch wieder mit den Beatles spielen, Help! und Hey Jude und all das und ich glaube auch, dass George das einmal einsehen wird. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Was immer das Richtige für ihn ist. Über Yoko bin ich glücklich, und ich hoffe, sie ist es auch. Wir kennen uns schon neun Jahre. Ich habe sie 1966 getroffen. Letztes Jahr hatten wir einen Totalausfall, aber wir haben oft miteinander am Telefon gesprochen, wenn ich da draußen an der Westküste durchgedreht habe und ihr vielleicht auch eine Menge Blödheiten gesagt habe, die mir heute leid tun.“ Im Juli rasiert sich John eine Glatze. Im September erwähnt Paul in einem Interview, dass sich John derzeit „sehr ruhig verhält.“ Am 9. Oktober wird Sean Taro Ono Lennon geboren, John und Yokos Sohn. Es ist ein Kaiserschnitt, der zeitlich so gesetzt wurde, dass Johns und Seans Geburtstage zusammenfallen. John wird mit den Worten zitiert: „Ich fühle mich high, höher als das Empire State Building.“ Taufpate des Kindes wird Elton John. Am 11. Dezember wird der Photograph in das Dakota-Apartment gebeten, um die offiziellen Baby-Photos von Sean aufzunehmen. Das Kind und seine Eltern sind zu dieser Gelegenheit alle in japanische Kimonos eingehüllt und John hat sein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die Aufnahmen dauern einige Tage. Einmal wird laut an die Tür geklopft, als die Lennons und Gruen zusammen bei einem Glas Wein sitzen. Dann hört man jemanden ein Weihnachtslied singen. Als John die Tür öffnet, sieht er die McCartneys, Paul und Linda, die dann auch für einige Stunden hereingebeten werden, um mit den Lennons Weihnachten zu feiern. 1976

Am 4. Januar 1976 wird Mal Evans, der langjährige Roadie und Freund der Beatles, in Los Angeles von einem Polizisten getötet, den er im betrunkenen Zustand angegriffen hat. Als John die Nachricht hört, bricht er in Tränen aus. John und Yoko werden das erste Mal wieder am 24. Januar in der Öffentlichkeit gesehen, als sie mit Mick Jagger und dem Gitarristen zusammen sind. Im April fangen sie beide damit an, ihre Körper zu reinigen und essen vierzig Tage lang keine feste Nahrung. In dieser Zeit beginnt Johns Interesse für gesunde Ernährung. Er vertieft sich in Kochbücher und probiert Rezepte aus. John zeigt großes Interesse an makrobiotischer Ernährung. Am 1. April stirbt Johns Vater Alfred in England. John hatte mit ihm nur sporadisch Kontakt, so lange er in seiner Heimat lebte. Seitdem John New York zu seinem Lebensmittelpunkt erklärt hat, kam es zu keinen Gesprächen mehr. In dieser Zeit kommen Beatles-Platten wieder in die Charts und verdrängen dabei auch die neuen Platten der Beatles, worüber sich Paul öffentlich ärgert: „Mir gefällt es nicht besonders, wenn Love Me Do ein Lied wie Silly Love Songs171 aussticht.“ Der neue Boom spült allerdings eine Menge Geld in die Kassen der Beatles, und erhöht auch das Interesse an ihren heutigen Aktivitäten. John und Yoko fliegen am 12. Juni nach Los Angeles, wo Ringo sein neues Album Rotogravure aufnimmt. John spielt Klavier bei den Liedern A Dose Of Rock'n'Roll172 und seiner Komposition Cooking' (In The Kitchen Of Love)173. Es wird das die letzte Plattenaufnahme in vier Jahren sein, die John macht. Am 27. Juli erhält John nach jahrelangem Gerichtsprozess seine Greencard. Das bedeutet auch, dass er im Jahr 1981 die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen können wird, sofern er das will. Richter Ira Fieldsteel überreicht ihm schon bei der Urteilsverkündung seine Greencard, woraus man erkennen kann, dass die Entscheidung bereits vorbereitet war. John umarmt nach dem Schiedsspruch Yoko und alle Menschen im Saal brechen in spontanen Applaus aus. Der Reporter Geraldo Rivera, der Schriftsteller Norman Mailer, die Schauspielerin Gloria Swanson und der Bilhauer Isamu Noguchi waren unter den Zeugen, die sich für John vor Gericht verwendet haben. John trägt ein weißes Hemd, einen schwarzen Anzug und Krawatte, hat Cowboystiefel an und ganz kurz geschnittene Haare. Interessante Details der Aussagen an diesem Tag sind, dass John Yoko für die letzten vier Jahre dankt, in denen sie ihm geholfen hat, sich „zusammenzureißen“, und dass sie ihren gemeinsamen Sohn geboren hat. „Es gab viele Momente, in denen ich aufgeben wollte, aber sie hat mich davor zurückgehalten.“ Die Stummfilmschauspielerin Gloria Swanson, ein großer Star ihrer Zeit, erzählt, dass ihr Mann John in einem Bioladen getroffen hat und dass sie viel über Gesundheit und Vollwerternährung gesprochen haben. Interessant ist auch, dass John den Reportern sagt, dass er nun endlich seine Verwandten „in Japan und anderswo“ besuchen kann. Wieder dankt er Yoko mit den Worten: „Hinter jedem Idioten steckt eine großartige Frau.“ Ringos neues Album ist erschienen und er erzählt den Reportern: „Ich habe John um ein Lied gebeten und er hat daran gearbeitet und gearbeitet und letztendlich ist ihm You Got Me Cooking eingefallen. Sie müssen wissen, das interessiert ihn derzeit wirklich, das Kochen!“ Als er gefragt wird, ob die Beatles wieder zusammenkommen – schließlich haben alle vier an seinem Album mitgearbeitet - wird Ringo ärgerlich: „Schauen Sie, wir sind Brüder“, sagt er. „Wir werden einander immer nah sein. Man geht miteinander nicht durch Dick und Dünn ohne Liebe füreinander, und deshalb ist es nur normal, wenn man mitunter am Album von einem anderen mitspielt.“ Am 9. Oktober schickt Ringo die Sängerin Cherry Vanilla in Johns Wohnung hinüber, wo sie ihre eigene spezielle Version von Romeo & Julia vorspielt. John und Yoko verkünden, dass sie ein Buch

171 http://www.youtube.com/watch?v=AK9QVN0bpa4 172 http://www.youtube.com/watch?v=vdzqUHDhUks 173 http://www.youtube.com/watch?v=Rw6blSUlj-o&feature=related über Sean vorbereitet haben. Bob Gruen hat jeden Tag seines ersten Lebensjahres ein Bild von dem Kind gemacht. Das Buch soll 365 Days Of Sean heißen. Von nun an werden die öffentlichen Auftritte des Paares rar. 1977

John und Yoko sind am 19. Januar 1977 bei der Amtseinführung von Präsident Jimmy Carter dabei. Als der Journalist Chris Charlesworth, der während der Trennungszeit von John und Yoko ein Freund von John geworden ist, wieder einmal um ein Interview bittet, erkennt er, dass sich die Zeiten geändert haben. Chris: „Wir kannten uns näher, weshalb ich nicht mit seinem Büro Kontakt aufnahm, sondern ihm einfach ein Telegramm schickte, und wenn er da war, rief er innerhalb von 24 Stunden an und wir trafen uns oder plauderten am Telefon. Diesmal schickte er mir eine Postkarte, auf der stand: Kein Kommentar, ich bin unsichtbar. Das war das letzte Mal, dass ich von John hörte.“ Im März fliegen John und Yoko nach Singapur, wo John eine Postkarte an einen weiteren Kumpel von der Presse, Ray Coleman, schickt. Auf ihr steht: „Far East, Man.“ Später sind sie in Kanada, wo sie in Wildwestkleidern abgelichtet werden. Die Anfrage von Francis Ford Coppola dagegen, ob John die Filmmusik für Apocalypse Now schreiben will, bleibt unbeantwortet. Wenn Paul und Linda in der Stadt sind, steigen sie weiterhin in einem Hotel in unmittelbarer Nähe des Dakota-Gebäudes ab, aber sie rufen nicht mehr an. Im Juni fliegen John und Yoko mit ihrem Kind nach Japan und bleiben dort vier Monate, um Yokos Eltern in Karuizawa zu besuchen. John hat zu diesem Zweck einen Japanisch-Kurs gemacht, um sich mit ihnen in ihrer Sprache unterhalten zu können. In Hongkong treffen sie bei einem Zwischenaufenthalt David Bowie. In Japan sind sie dann typische Touristen, besuchen Sehenswürdigkeiten und leben während dieser Zeit im Hotel Okura in Tokio. Dort nimmt John, inspiriert von der japanischen Landschaft und mit einem Gefühl großer innerer Freiheit, die Demo zu dem Lied Free As A Bird174 auf, das in den 1990er Jahre die verbleibenden Beatles für das „Anthology“-Projekt wieder im Plattenstudio vereinen wird. John spielt viel auf der Gitarre. Die Suite ist so groß, dass ein japanisches Paar den Raum irrtümlich betritt und glaubt, dass es sich hier um einen Gemeinschaftsraum handelt und einfach hinsetzt und John zuhört, der auf der Gitarre spielt. Als kein Kellner auftaucht, ziehen sich die Zuhörer wieder diskret zurück. Dieser Irrtum ist Johns letztes öffentliches „Konzert“. Vor ihrer Abreise geben John und Yoko eine Pressekonferenz, bei der John verkündet, dass die Erziehung seines Sohns fortan seine höchste Priorität sein wird. Sein kreatives Schaffen will er dafür zurückstellen. John: „Wir haben praktisch entschieden, ohne uns wirklich zu entscheiden, dass wir möglichst viel Zeit mit unserem Baby verbringen werden, und das so lange, bis wir wieder nach Außen gehen und schöpferisch tätig sein wollen. Das wird dauern, bis er drei oder vier oder fünf ist.“ John trägt bei dieser Verkündigung einen teuren schwarzen Zweireiher mit einer weißen Krawatte. „Wir haben wirklich nichts zu sagen“, sagt er. Die Reporter wollen trotzdem wissen, was er von Elvis hält, der vor einigen Tagen gestorben ist. John hat sich darüber schon respektvoll geäußert, jetzt aber meint er im sarkastischen Tonfall: „Elvis ist gestorben, als er zur Armee gegangen ist.“ Dann fügt er etwas ernsthafter dazu: „Bis dorthin hat er schöne Musik geschrieben und war für mich und meine Generation das, was die Beatles in den Sechziger Jahren waren. Ich bin Musiker geworden wegen Elvis Presley.“ Reporter: „Warum sind Sie jetzt so anders geworden?“ „Ich bin im Prinzip ein Zen-Heide“, sagt John. Yoko mischt sich nicht wie früher in seine Worte, sondern übersetzt einfach, was er sagt. Zurück in New York nimmt John andere Demos auf, darunter Real Love.175 Im Dezember besucht Julian seinen Vater in New York. Es gibt ein Bild von den beiden, wie sie im Central Park Schlitten fahren. Kaum ist das Kind nach England zurückgefahren, verfällt John in eine tiefe Depression, die fünfzehn Monate lang dauern wird. Er liegt in dieser Zeit auf dem Bett, schaut den ganzen Tag fern,

174 http://www.youtube.com/watch?v=glUFjjkYuAk 175 http://www.youtube.com/watch?v=tt3mOimgyc8 liest, raucht französische Zigaretten und schläft den Rest der Zeit. Er ist dabei nicht völlig unkreativ. So nimmt er mit dem Tonbandgerät kleine Geschichten über einen französischen Detektiv Maurice Dupont auf, Kindergeschichten für Sean. Als sie die Rolling Stones im Plaza Hotel besuchen, bringt John eine Flasche Scotch für Ronnie Wood mit, doch die beiden kommen nicht dazu, sie aufzumachen, weil John auf der Sofa immer wieder einschläft. 1978

Im Juni erscheint Cynthia Lennons Biographie als Vorabdruck in einer Zeitung. John verklagt sie sofort wegen „Verrats von Ehegeheimnissen“. Der Fall wird von einem Londoner Gericht abgewiesen. Cynthia schreibt, dass John sie während der Ehe dazu gezwungen hat, Drogen zu nehmen, und dass ihr Yoko John gestohlen hat. Der Richter verkündet zu dem Fall: „Nach meinem Urteil hat keine der beiden Parteien besonders viel Respekt, was die Heiligkeit der Ehe betrifft. Es ist für jeden klar ersichtlich, dass die Beziehung zwischen diesen Menschen längst eine öffentliche geworden ist.“ Im Juli fliegt John mit seinem Sohn Sean und Yoko in die Karibik. Während seines Urlaubs soll er sich nur in seinem Hotelzimmer eingesperrt haben, heißt es. Im August fliegen sie nach Japan weiter, um Yokos Eltern zu besuchen. 1979

John hat sich einen langen Bart wachsen lassen, den er dann am 27. Februar 1979 ohne weiteren Kommentar abrasiert. Am 1. April mietet er eine kleine Jacht in Palm Beach in Florida. Yokos Nichten Reiko, Akiko und Tokato sind auf Besuch, aber auch Julian, Sean, Sekretär Fred Seaman samt Frau und ihrer 12jährigen Tochter Helen. Julian fährt am Ende des Monats nach Hause. Es ist das letzte Mal, dass er seinen Vater sehen wird. Am 27. Mai 1979 veröffentlicht die New York Times auf Seite 20 E eine Anzeige von John und Yoko. Es ist ein öffentlicher „Love Letter From John And Yoko To People Who Ask Us What, When And Why“, eine allgemeine Erklärung über den Zustand der Dinge. „In den letzten zehn Jahren haben wir festgestellt, dass alles, was wir uns gewünscht haben, auch Wahrheit geworden ist, Gutes wie Schlechtes, jedes auf seine Art. Wir haben uns immer wieder gesagt, dass irgendwann einmal, wenn wir uns sehr bemühen, was Gutes kommen wird. Und da ist unser Baby aufgetaucht. Wir waren überglücklich und fühlten doch die Last der Verantwortung. Was immer wir uns wünschten, würde sich auch auf ihn auswirken. Wir wussten, dass es Zeit war, mit unseren Diskussionen aufzuhören und etwas zu tun, damit sich unser Wunschvorgang verbesserte: Ein Frühjahrsputz für unseren Verstand! Das war eine Menge Arbeit. In den alten Schränken unserer Gehirne fanden wir Dinge, von denen wir nicht wussten, dass sie dort waren, Dinge, die wir lieber nicht gefunden hätten. Während wir uns reinigten, fielen uns noch andere Dinge auf, die nicht stimmig waren. Da gab es ein Regal, das normalerweise gar nicht da gewesen wäre, ein Gemälde, das uns nicht mehr gefiel und zwei staubige Räume, die hell und frisch wurden, als wir die Wand durchbrachen. Wir begannen unsere Pflanzen zu lieben, obwohl einer von uns gedacht hatte, dass sie uns die Luft zum Atmen raubten! Nun genossen wir den Trommelschlag der Stadt, der uns vorher nur gequält hatte ... Viele Menschen schicken uns jeden Tag Impulse in Form von Briefen, Telegrammen, Klopfen an der Tür oder bringen Blumen und freundliche Gedanken! Wir bedanken uns bei allen und auch dafür, dass sie uns den Raum lassen, den wir für uns brauchen. Wir danken euch allen für die Liebe, die ihr uns schickt. Wir spüren sie jeden Tag. Wir lieben euch auch. Wir wissen, dass ihr euch Sorgen um uns macht. Das ist lieb von euch. Deshalb wollt ihr auch wissen, was wir tun. Das ist der Grund, warum uns jeder fragt: Was, Wann und Warum. Wir verstehen das. Jetzt wisst ihr, was wir tun. Wir hoffen, dass ihr alle den gleichen ruhigen Ort in eurem Kopf entdeckt, mit dem alle eure Wünsche erfüllt werden können. Wenn ihr das nächste Mal an uns denkt, erinnert euch daran, dass unser Schweigen ein Schweigen der Liebe ist und nicht der Gleichgültigkeit. Erinnert euch daran, dass wir auf dem Himmel schreiben anstatt auf einem Blatt Papier. Das ist euer Lied. Hebt auf eure Augen und schaut in den Himmel. Das ist unsere Botschaft. Hebt eure Augen wieder auf und schaut um euch und ihr werdet sehen, dass ihr auf dem Himmel spazieren geht, der bis zum Boden herabreicht. Wir sind alle Teil des Himmels, mehr als ein Teil der Erde. Erinnert euch daran: Wir lieben euch! John Lennon & Yoko Ono, am 27. Mai 1979, New York City. P.S. Wir haben gesehen, dass uns drei Engel über unsere Schultern sahen, während wir dies geschrieben haben.“

Im August reisen John und Yoko wieder nach Japan und kehren vier Wochen später zum Teil mit dem Zug wieder heim. Es wird ihr letzter Verwandtenbesuch sein. Am 5. September fängt John damit an, seine Memoiren zu diktieren. Er beginnt mit seinen ersten Kindheitserinnerungen, beispielsweise mit seiner Reaktion, als er seine Mutter dabei beobachtet hat, wie sie Oralsex an ihrem Lebensgefährten „Twitchy“ Dykins vornimmt, aber er nimmt auch beißende Kritiken von der Arbeit anderer Musiker, darunter Paul McCartney, Mick Jagger oder Bob Dylan auf. Am 5. November besucht Ringo John im Dakota-Gebäude und John gibt ihm seine Demo für das Lied Life Begins At 40 mit, die Ringo für sein nächstes Album gebrauchen will. Am 12. November verfasst John sein Testament. Er hat derzeit ein Vermögen von 30 Millionen Dollar, das er zur Hälfte seiner „geliebten Frau“ und zur Hälfte seinem Sohn Sean vermacht. Sein erster Sohn Julian geht leer aus. 1980

Im Januar 1980 verändert sich Yoko auffallend. Ihr Assistent Fred Seaman: „Yokos Verhalten wurde immer merkwürdiger und auch ihr Aussehen veränderte sich zunehmend. Ihr Gesicht wurde immer schmäler, ihre Augen glasig, ihre Pupillen winzig und sie hielt sich immer länger im Badezimmer auf, wo sie laute schnarchende Geräusche machte, was oft von schrecklichem Würgen gefolgt war. Ich begriff, dass sie wieder Heroin nahm. Wenn John und Yoko aufeinander trafen, beäugten sie sich misstrauisch. John warf Yoko vor, dass sie die Nacht zum Tag machte und kritisierte auch ihr abgetakeltes, zombiehaftes Aussehen.“ John ahnt nichts davon, was Yoko bewegt. Sie möchte ihren Zustand vor ihm und vor ihrem Kind verbergen. Als Paul am 14. Januar spät abends anruft, ist Yoko dran. Paul sagt, dass er John besuchen möchte und mit ihm „tolles Gras“ rauchen möchte. Yoko weigert sich, ihn mit John zu verbinden. Paul erzählt, dass er nach Tokio möchte und dass sie im Okura Hotel absteigen möchten. Yoko befürchtet, dass Paul damit das gute Karma für John und Yoko an diesem Ort beeinträchtigen könnte. John erfährt von dem Gespräch nichts. Bei seiner Ankunft in Japan wird Paul von der Polizei verhaftet, weil man am Flughafen das „tolle Gras“ in seinem Gepäck findet. Paul verbringt zehn Tage im Gefängnis. Es drohen ihm sieben Jahre Gefängnis. Im Umkreis von Yoko entsteht das Gerücht, dass sie den japanischen Behörden einen Tipp gegeben hat, dass Paul Marihuana bei sich trägt. Die Verhaftung hat gravierende Auswirkungen. Paul hat seit Jahren zunehmenden Erfolg und ist beliebt wie einst nur die Beatles geworden. In Japan zerbricht seine Gruppe Wings daran, dass Denny Laine abreist und sich an der Cote d'Azur sonnt, während Paul im Gefängnis schmachtet, was ihm Paul übel nehmen wird. Die McCartneys sind das erste Mal in ihrer Beziehung gezwungen, getrennt zu schlafen und erleiden den Schock ihres Lebens, als ihnen ihre Anwälte sagen, dass Paul womöglich mehrere Jahre im Gefängnis zubringen müssen wird. Paul verliert im Gefängnis seinen Ehering. Die McCartneys beschließen als Folge dieser Abläufe, mit den Tourneen zurückzuschrauben, schon weil sie durch die Absage der Konzerte mehrere Millionen Dollar Schadensersatz zahlen müssen, da sie keine Versicherung abgeschlossen haben. Die Verhaftung in Japan hat also schwerwiegende Auswirkungen auf Pauls Solokarriere. Im Februar photographiert man John erneut mit einem wild wuchernden Bart auf einem Floridaurlaub und stellt das Bild neben Ringo in seinem Höhlenmenschenkostüm im Film Caveman, der in diesen Tagen erscheint. Nach seiner Rückkehr verkündet John, dass er „revitalisiert und bereit für einen Zeitabschnitt konstanter Wiedergeburt“ ist. John schreibt in dieser Zeit die Hits (Just Like) Starting Over176 und Beautiful Boy177. Am 20. März feiern John und Yoko ihren 11. Hochzeitstag. Yoko kauft John zu dieser Gelegenheit einen Rolls Royce und John Yoko 500 Gardenien und einen herzförmigen Diamanten. Am 9. April reisen sie samt Tross wieder nach Long Beach, wo sie für eine Million Dollar ein Haus gekauft haben. Im Radio hört John den neuen Hit von Paul, Coming Up, und ist sehr beeindruckt.178 Im Urlaub spielt er mit Sean, isst mit Yoko auf dem Rasen zu Mittag und klimpert viel auf der Gitarre, während er auf das Meer hinaussieht. Zu den Kompositionen in dieser Zeit zählt Dear Yoko179. Zurück in New York fordert Yoko am 21. April John dazu auf, „seinen Kopf zu reinigen“. John fährt nach Long Island und spricht zehn Tage lang nichts. Am 30. April rasiert er seinen Bart ab. Im Mai fliegt John kurz nach Südafrika und kurz auch nach Spanien und Deutschland. Nach England aber reist er nicht. Am 1. Mai kauft er sich ein Segelboot, die Royal Isis, und beginnt das Segeln zu erlernen. Am 4. Juni beschließt er, mit drei anderen einen Segeltörn nach Bermuda zu machen. John: „Yoko schickte mich auf den Trip, weil ich immer getönt hatte, dass ich gerne segeln können

176 http://www.youtube.com/watch?v=iAJ2AoEwDvY 177 http://www.youtube.com/watch?v=Uldu_1-JCJE 178 http://www.youtube.com/watch?v=cDBkySeyiDo 179 http://www.youtube.com/watch?v=n4rBsbL0M6k würde, aber nie Unterricht bekommen hatte. Ich sollte meine Kreativität wieder aktivieren. Es war das faszinierendste Erlebnis, das ich jemals hatte. An einem Nachmittag bekamen wir einen Sturm, der drei Tage lang dauerte. Der Kapitän war seekrank und seine beiden Cousins und wir waren im Nirgendwo. Der Kapitän sagte zu mir: Kannst du ans Ruder? Und ich habe es gemacht, während er aufgepasst hat. Kurz darauf ging er hinunter und musste sich hinlegen. Es war allen so schlecht, dass sie nichts tun konnten. Mir sind sechs Stunden lang die Wellen ins Gesicht geplatzt, aber es ist wie bei einem Konzert, wenn man auf der Bühne steht, muss man weitermachen. Mehrmals haben mich die Wellen umgeworfen, aber ich habe mich an das Steuerrad geklammert und Seemannslieder gesungen und die Götter angerufen. Ich kam mir wie ein Wikinger vor, wie Jason und das Goldene Flies. Und so kamen wir nach Bermuda und als ich dort war, war mein Kopf so klar geworden, dass ich mit dem Kosmos verbunden war und da flossen diese ganzen Lieder aus mir heraus. Fred Seaman und Sean und ich saßen am Strand und wir spielten Gitarre und sangen und nahmen alles auf. Wir waren in der Sonne und diese Lieder kamen und kamen.“ Fred Seaman, der Sekretär von Yoko, und Sean haben John nach seiner neuntägigen Reise am Hafen abgeholt. Am folgenden Tag singt John Yoko am Telefon seine Lieder vor und auch sie ist sehr kreativ gewesen und kann ihm ihre Lieder „zurück“ singen. „Das hat mich total inspiriert“, erzählt John, „sobald sie mir etwas vorgespielt oder vorgesungen hatte, merkte ich, dass schon wieder ein Lied in mir entstanden war. Ich war immer der Meinung gewesen, dass die Lieder, die einem spontan eingefallen waren, die besten waren. Auch dass Sean da war, hat mich inspiriert und diesen kreativen Schub in mir ausgelöst.“ In einem botanischen Garten in Bermuda sehen John und Sean eine Blume, die „“ heißt. John erkennt sofort, dass das der Titel seines Albums mit Yoko werden wird. Am 27. Juni kommt Yoko nach Bermuda, aber es ist dort so heiß, dass sie schon nach zwei Tagen wieder nach Hause fliegt. John ist wütend und enttäuscht. Er versucht sie am 1. Juli anzurufen, wie jeden Tag, sie ist aber nicht da. Er schreibt an diesem Tag I'm Losing You180, ich verliere dich, während Yoko, wie sich später herausstellt, ein Lied darüber geschrieben hat, einen Partner zu verlassen. Als Fred Seaman am 4. Juli nach New York kommt, erzählen ihm Yokos Freunde, dass sie die Scheidung einreichen will. Es heißt, dass sie jetzt mit ihrem Freund Sam Green zusammen sein soll, einem Kunsthändler. Interessanterweise ist John in seinem Hotel auf Bermuda unter dem Namen Sam Green abgestiegen. In dieser Zeit ist John innerlich so geladen, dass er sich über die Autobiographie von George Harrison, , die gerade erschienen ist, maßlos aufregt und behauptet, sein Einfluss auf die Musik von George komme in dem Buch überhaupt nicht vor und er werde auch nicht erwähnt. Tatsächlich gibt es 11 Erwähnungen von John in dem Buch, mehr als von jedem anderen Beatle. John: „Ich war sehr verletzt. Diese schreiende Nichterwähnung in dem Buch, mein Einfluss auf sein Leben absolut Null, Nichts. Nicht erwähnt. Dieses Buch, das angeblich aus einer großen Klarheit heraus geschrieben sein will, wie jedes Lied entstanden ist und er erwähnt jeden durchschnittlichen Saxophonspieler oder Gitarrenspieler, den er getroffen hat, und ich bin gar nicht in dem Buch!“ Am 18. Juli ist John wieder auf Bermuda und lässt sich malen. Das Porträt von sich möchte er Yoko schenken. Am 29. Juli kehrt er mit seinem Sohn nach New York zurück. John und Yoko gehen gemeinsam essen und lassen sich dann mit einer Kutsche heimfahren. Danach spielt Yoko ihrem Mann auf dem Klavier ihre Komposition I'm Your Angel vor. In ihrem Freundeskreis spricht sich herum, dass sie ihre Pläne, John zu verlassen, aufgegeben hat. Zwei Tage später heuert Yoko den Produzenten Jack Douglas an. Er soll die Aufnahmen für das neue Album überwachen. Yoko gibt ihm die Demos vom John, die er am Strand von Bermuda aufgenommen hat. Es wird eine Band zusammengestellt und unter strenger Geheimhaltung in das Dakota Gebäude gebracht. Dort proben sie einige Lieder. Die nächsten Wochen werden hektisch, aber sehr produktiv. Der 4. August wird ein historischer Tag, weil John das erste Mal in vier Jahren im Studio steht. Obwohl Geheimhaltung erwünscht ist, berichten die Medien weltweit darüber. In den nächsten Tagen wird Jack John jeweils um neun Uhr morgens abholen. Sie werden bis elf Uhr

180 http://www.youtube.com/watch?v=Q6SL6yRvlCI im La Fortuna Cafe frühstücken, wonach John ein Mittagsschläfchen halten wird. Am frühen Nachmittag findet er sich dann im Studio Hitfactory ein und macht Aufnahmen bis spät in die Nacht. Am 12. August veranstalten John und Yoko eine Pressekonferenz, bei der sie bekanntgeben, dass ihr nächstes Album eine „Untersuchung der sexuellen Phantasien zwischen Männern und Frauen“ sein wird. Mehrere große Plattenfirmen bewerben sich für den Vertrieb der Platte, und überbieten sich in Bezug auf den Vorschuss, doch als John bekanntgibt, dass Yoko die Hälfte der Platte gestalten wird, sieht man saure Gesichter. Deshalb geht der Zuschlag an David Geffen, einer kleinen Firma, die den Wettbewerb gewinnt, weil Geffen gerne mit Yoko spricht, gar keine Lieder zur Probe hören will, und sofort mit dem Doppelalbum und Yoko als Künstlerin einverstanden ist. Am 13. August ruft Paul McCartney an. Er ist gerade im Urlaub und schlägt vor, dass man doch etwas gemeinsam machen könnte. Yoko stellt das Gespräch nicht durch und erwähnt John gegenüber auch nichts davon, so dass John nie davon erfährt, dass Paul mit ihm arbeiten wollte. Jack Douglas: „Was ich von John gehört habe, war er begierig danach, wieder einmal was mit Paul zu machen ...“ Am 23. August fragt Sean seinen Vater, wo er die ganze Zeit ist und John schlägt ihm vor, dass er ja mit ins Studio kommen kann. Sean geht am nächsten Tag mit und sieht seinem Vater dabei zu, wie er den Gitarrenpart von Just Like Starting Over und Gone From This Place181 einspielt. Am 10. September schließen John und Yoko ihre Aufnahmen ab. In Vorbereitung zu Seans fünften Geburtstag kaufen sie ihm für 62,500 englische Pfund ein Flugzeug samt Pilot und Flugbegleiterin. Im Interview mit Playboy sagt John: „Ich bin immer sehr stolz darauf, wenn man meine Lieder spielt. Es freut mich, wenn sie es überhaupt versuchen. Ich gehe in ein Restaurant und die Gruppen spielen immer Yesterday. In Spanien hatte uns einer Yesterday auf der Violine vorgespielt und ich signierte sein Instrument danach. Er hat das gar nicht verstanden, dass ich dieses Lied gar nicht geschrieben habe. Aber ich kann auch verstehen, dass er nicht von Tisch zu Tisch gehen und spielen kann.“ Am 18. September sagt John: „Ich habe die Beatles schon ewig nicht mehr gesehen. Ich denke gar nicht mehr daran und könnte es nicht sagen, ob ich in letzter Zeit mit Ihnen Kontakt hatte. Es ist mir egal. Es wäre mir egal, wenn ich sie öfters sehen würde oder nie mehr. Man hat mich gefragt, was ich über Pauls letztes Album denke und ich sagte so etwas wie dass er wohl depressiv und traurig wäre. Da habe ich gemerkt, dass ich es noch gar nicht gehört hatte. Ich hörte Coming Up, was ich für ein gutes Stück Arbeit halte. Dann hörte ich etwas anderes, das depressiv klang. Ich verfolge nicht, was Wings machen. Mir geht das am Arsch vorbei, was Wings machen oder wie das neue Album von George ist oder was Ringo macht. Es interessiert mich nicht. Oder was Elton John macht oder Bob Dylan. Das ist keine Abgebrühtheit. Ich bin einfach damit beschäftigt, mein eigenes Leben zu leben und deshalb verfolge ich nicht mehr, was andere tun.“ Am 25. September spricht Yoko im Dakota Gebäude mit dem Bodyguard ihres Sohns über neue Sicherheitsprobleme. Seitdem sich herumgesprochen hat, dass John wieder an einem Album arbeitet, lungern unten vor dem Eingang dauernd Fans herum. Am 29. September gibt John ein Interview, in dem er auf seine Beziehung zu Paul zu sprechen kommt: „Es ist jetzt zehn Jahre her, seitdem ich wirklich mit ihm kommuniziert habe. Ich weiß genauso viel über ihn wie er über mich, nämlich Null. Vor vier Jahren hat er bei mir geklingelt. Ich habe zu ihm gesagt: Sag mal, kannst du nicht zuerst anrufen? Ich habe gerade einen schlechten Tag mit dem Baby, bin fertig, und du kommst da mit einer verdammten Gitarre vorbei!“ Reporter: „Die Menschen geben Yoko die Schuld dafür, dass sie dich von den Beatles entfremdet und dadurch die Band zerstört hat.“ John: „Ich habe die ganze Zeit schon darauf gewartet, die Beatles zu verlassen, und zwar seit dem Film How I Won The War. Ich hatte einfach nicht den Mut dazu. Der Keim dazu war schon gelegt, als die Beatles nicht mehr auf Tournee gingen. Ich konnte damit nicht umgehen, nicht mehr auf der Bühne zu stehen. Aber das ist vorbei. Die Beatles gehören zu den Sechziger Jahren. Was wäre, wenn Paul und ich wieder zusammenkommen würden? Es wäre langweilig. Ob George und Ringo überhaupt mitmachen würden, ist irrelevant, weil Paul und ich die Musik gemacht haben. Zurück zu

181 http://www.youtube.com/watch?v=VwU85V4VKdA den Beatles zu gehen, das wäre wie noch einmal in die Schule gehen. Es ist vorbei!“ In Honolulu liest ein alter Beatles-Fan dieses Interview und entscheidet, dass John ein „Schwindler“ ist. Der Mann heißt und ist 25 Jahre alt. Am 9. Oktober versammelt sich eine größere Menschenmenge vor dem Dakota-Gebäude. Yoko hat ein Flugzeug damit beauftragt: „Alles Gutes zum Geburtstag John und Sean – Alles Liebe von Yoko“ neun Mal in den Himmel von New York zu schreiben. Später posieren John und Yoko anlässlich seines 40. Geburtstag für Photos und verkünden, dass sie gemeinsam im Frühjahr auf Welttournee gehen werden. In dem Rahmen möchte John auch seine Heimat besuchen. Am 18. Oktober borgt Mark Chapman in einer öffentlichen Bibliothek in Honolulu das Buch One Day At A Time von aus. Chapman ist seit zehn Jahren in psychologischer Betreuung. Das Buch überzeugt ihn, dass John ein Heuchler ist und alle Ideale und Prinzipien, zu denen er als Beatle verpflichtet ist, über Bord geworfen hat. Chapman kommt zu dem Schluss, dass die einzige Lösung für dieses Problem Johns Tod ist. Am 23. Oktober kündigt Mark Chapman seinen Job als Hausmeister in einem Apartmentkomplex. Das letzte Log unterzeichnet er mit: „John Lennon.“ Am folgenden Tag veröffentlicht John in England die von vielen erwartete Single (Just Like) Starting Over. Am 25. Oktober kauft Mark Chapman in Honolulu einen Revolver. Vier Tage später fliegt er nach New York. Der Revolver ist mit an Bord, aber es fehlt noch Munition. Am 30. Oktober kommt Chapman zum Dakota-Gebäude, um John zu treffen, aber John ist nicht da. Von nun an wird er fünf Tage hintereinander auf John warten. Tagsüber versucht er auch Munition für seinen Revolver zu bekommen, ist dabei aber nicht erfolgreich und kehrt entmutigt nach Honolulu zurück. John nimmt in diesen Tagen Demos auf. Plötzlich beginnt er dabei aus heiterem Himmel den September Song182 von Bert Brecht und Kurt Weill zu singen, in dem es heißt: „Oh the days dwindle down to a precious few – September, November ...“ (die Tage verkürzen sich auf einige kostbare wenige). Am 9. November kehrt Chapman nach New York zurück. Auf dem Flug liest er einen Artikel im Esquire Magazin, in dem Johns radikale Meinungen und sein exklusiver Lebensstil angeprangert werden. Er fährt nach der Landung direkt vom Flughafen zum Dakota und hört von Jay Hastings, dem 27jährigen Rezeptionisten, dass John und Yoko nicht in der Stadt sind. Auch Hastings ist ein langjähriger Beatles-Fan, und John kennt ihn. Wenn er spät nachts aus dem Studio kommt, grüßt John Hastings mit „Bonsoir, Jay!“ Chapman hat in New York eine Wohnung gemietet. Am 11. November ruft er seine Frau in Hawaii an und sagt: „Ich werde John Lennon ermorden!“ Sie bittet ihn, zurück nach Hause zu kommen und er reist wieder ab. Am 14. November macht John in seiner Wohnung seine letzten Demo-Aufnahmen. Die Lieder heißen: Pop is The Name Of The Game183, You Saved My Soul (With Your True Love)184 und Serve Yourself185. Am 15. November essen Ringo und Barbara mit John und Yoko im Plaza Hotel zu Abend. Hier haben die Beatles während ihrer ersten Amerika-Tournee im Jahr 1964 das erste Mal gewohnt. Am 17. November erscheint das neue Album von John und Yoko, Double Fantasy, in Amerika und in England. John sagt dazu: „Wir haben das Gefühl, als wäre das unser erstes Album in einer neuen Epoche. Wir haben vorher schon zusammengearbeitet, aber es ist so, als wäre es heute das erste Mal.“ John und Yoko wirken glücklich, als sie für die Presse posieren. Am selben Tag erscheint im Melody Maker eine sehr negative Kritik der neuen Platte. Sie sei „steril und selbstverliebt“ und „furchtbar langweilig“. John schickt seiner Tante Mimi in Vorausschau auf Weihnachten eine Perlenkette. Am 21. November werden John und Yoko im Central Park photographiert. John trägt eine schwarze Baskenmütze. Fünf Tage später filmen sie einen Spaziergang im Central Park, Aufnahmen, die

182 http://www.youtube.com/watch?v=a-ldVj34Sfo 183 http://www.youtube.com/watch?v=eQOHw3rkjog 184 http://www.youtube.com/watch?v=_X7sYqu7qQQ 185 http://www.youtube.com/watch?v=oXd25Jqi7G0 später im Video seines Lieds Woman verwendet werden sollen. Danach besuchen sie die Sperone Gallerie in Soho, in der es ein großes weißes Schlafzimmer gibt und machen dort weitere Aufnahmen, in denen sie sich ausziehen, küssen und dann auf dem Bett Liebe machen. Danach essen sie wieder mit Barbara und Ringo im Plaza Hotel zu Abend. Eigentlich hätte dieses Treffen nur eine Stunde dauern sollen, doch die vier amüsieren sich so gut, dass sie fünf Stunden dort sitzen bleiben. John verspricht während dieses Treffens, auf Ringos neuem Album Can't Fight Lightening mitzuspielen. Die ersten Aufnahmen sind für den 14. Januar 1981 geplant. John spricht auch davon, zu den Plattenaufnahmen von Paul zu gehen, die zwei Wochen später stattfinden sollen. Paul wird am 27. November zu Johns letzten Anmerkungen zu ihrem Verhältnis befragt, und antwortet: „Kann ich nicht viel dazu sagen. Ich kann hier selbst nur Vermutungen anstellen. In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt, lieber nichts zu sagen, weil er sich über alles ärgert, was ich über ihn sage. Ich weiß nicht, warum das so ist. Es ist besser, ich halte, wenn es um John geht, die Klappe.“ Während der Aufnahme dieses Interviews passiert etwas Gespenstisches: Als Paul über John spricht, geht im Studio das Licht aus und er redet im Dunkel. Tags darauf verkündet John in einem Schreiben, dass er mit den anderen Beatles anlässlich des Anthology-Projektes (das erst 15 Jahre später beendet werden wird) auch ein Wiedervereinigungskonzert plant. Am 3. Dezember posieren John und Yoko das erste Mal für Annie Leibowitz. Fünf Tage später entsteht das berühmte Bild von John, der nackt in Fötusstellung auf einer bekleideten Yoko liegt. John und Yoko haben an seine Tante Mimi eine Weihnachtskarte geschrieben. Es ist ungewöhnlich, dass er sie am 5. Dezember außerdem anruft. Mimi: „Er rief mich an und sagte ich schaue aus einem Fenster in New York hinunter auf die Landestege und die Schiffe und frage mich, welches davon nach Liverpool fährt. Ich habe Heimweh davon. Er wollte nach Hause kommen. Er hat mich gebeten, ihm seine alte Schulkrawatte zu schicken. Ich habe nach dem Anruf damit begonnen, ihm und seiner Familie ein Zimmer herzurichten.“ Am 5. Dezember kommt Mark Chapman wieder nach New York. Er zieht in den YMCA in der 63. Straße und geht danach wieder zum Dakota-Gebäude. In einem Plattenladen ersteht er das neue Album Double Fantasy. Am 7. Dezember zieht Chapman in das Sheraton Hotel um und kauft den neuen Playboy, in dem es ein längeres Interview mit John gibt. Im gleichen Heft ist die nackte Barbara Bach abgebildet, die im folgenden Jahr Ringo heiraten wird. Chapman hat einen Rucksack voller Kassetten dabei, darunter 14 Stunden Beatlesmusik. John beginnt den 8. Dezember um 7:30 morgens im La Fortuna Café beim Frühstück und lässt sich dann um 9 Uhr bei seinem Friseur die Haare kurz schneiden in einem Stil, der an die Fünfziger Jahre erinnert. Um 9:45 Uhr kehrt er in das Dakota zurück. Im gleichen Gebäude befinden sich die Büros einer Radiostation. Heute ist ein Interview mit John dran, der dabei sagt: „Neulich habe ich einem Bekannten gesagt, dass es in meinem Leben nur zwei Künstler gegeben hat, mit denen ich intensiv zusammengearbeitet habe. Einer war Paul McCartney und die andere Yoko Ono. Ich glaube, das war eine ziemlich gute Auswahl. Als Spürhund von Talenten war ich ziemlich gut. Mit Yoko bin ich jetzt länger zusammen als mit den Beatles. Mein neues Album widme ich allen Menschen, die mit mir aufgewachsen sind. Wie haben wir das bloß geschafft? Die Siebziger Jahre haben einen doch hinuntergezogen. Aber wir sind noch da, und wir werden die Achtziger Jahre schön machen. Wir können dazu beitragen. Ich glaube immer noch an die Liebe und an den Frieden und an die Kraft positiver Gedanken.“ Danach geht es zurück in die Wohnung, wo Annie Leibowitz das letzte Photo von John und Yoko macht. Um vier Uhr nachmittags verlassen die beiden das Dakota Gebäude. Unten steht Mark Chapman mit der Platte. John signiert die Platte und geht weiter. Der Moment wird von einem anderen Fan auf einem Photo festgehalten. Am Abend ruft John seine Tante Mimi aus dem Studio an. Sie erinnert sich: „Er war so glücklich, lachte und scherzte und redete aufgeregt davon, wieder zurück nach England zu kommen. Es war ein neuer John für mich.“ David Geffen, der Produzent von Double Fantasy, ruft an, um die freudige Nachricht mitzuteilen, dass die Platte zwei Wochen nach dem Erscheinen schon vergoldet worden ist. Während der Aufnahme sagt John seinem Produzenten Jack Douglas, mit dem noch weitere Aufnahmen laufen, etwas, das ihn völlig verstört. Douglas wird die Aufnahmen dieses Gesprächs noch im Laufe dieser Nacht löschen. Bis zum heutigen Tag hat er nie mitgeteilt, was es war, das ihn zu dieser Handlung veranlasste und was John dabei gesagt hat. Um 22:30 bricht John die Plattenaufnahmen ab. Sie haben über vier Stunden an Yokos Walking On Thin Ice186 gearbeitet. John hat eine neue Lederjacke an, wie sich sein Produzent Jack Douglas erinnert. Douglas: „Er sagte: Sollen wir heute aufhören? Ich bin fertig. Wir kommen morgen früh wieder. Yoko und ich wollen auf dem Nachhauseweg noch was essen und gehen dann gleich ins Bett.“ Yoko: „Wir wollten noch kurz zum Stage Deli, aber gingen dann gleich nach Hause, um nach Sean zu sehen und dann vielleicht später noch einmal wegzugehen.“ Sean ist mit der Frau ihres Sekretärs, Fred Seaman, zuhause geblieben. Es ist ein ungewöhnlich warmer Dezemberabend. Außen vor dem Dakota-Gebäude ist niemand. John steigt aus der Limousine, ein paar Schritte vor Yoko und geht zum Eingang. Dort taucht überraschend ein Mann aus dem Dunkel auf und sagt: „Mr. Lennon“. Er hat eine Schusswaffe, stellt sich breitbeinig auf, zielt und schießt fünf Mal auf John. Yoko: „Zuerst habe ich gar nicht bemerkt, dass John getroffen war. Er ging weiter und dann stürzte er und ich sah das Blut.“

Es ist 10:52 in New York.

Es gibt vier weitere Zeugen dieser Tat: Den Rezeptionisten des Dakota, den Liftboy, einen Taxifahrer und den Kunden, der gerade aus dem Taxi gestiegen ist. John kriecht hoch bis zur Tür des Dakota und schafft es über sechs Stufen in das Büro des Rezeptionisten. Yoko wirft sich neben ihn auf dem Boden, nimmt seinen Kopf in ihre Hände und er flüstert: „Hilf mir!“ Sie beginnt laut zu schreien: „Er ist verwundet, er ist verwundet, hierher!“ Jay Hastings, der Rezeptionist: „Ich las gerade in einem Magazin. Es war kurz vor elf. Draußen hörte ich mehrere Schüsse und das Geräusch von zersplitterndem Glas. Ich hörte, wie jemand die Treppen hoch kam und John taumelte herein mit einem schrecklich verwirrten Gesichtsausdruck. Yoko kam nach und schrie: John ist verletzt, man hat ihn angeschossen. Zuerst hielt ich das für einen verrückten Scherz. Aber dann sah ich, wie John auf den Boden sank und die Tonkassetten von den letzten Aufnahmen über die Fließen klapperten und wusste, dass es ernst stand.“ Hastings löst den Polizeialarm auf und kümmert sich um John. Er nimmt ihm die Brille ab und legt ihm dann seine Uniformjacke über. John rührt sich nicht und aus seinem Mund fließt Blut. Hastings flüstert: „Es ist alles okay, John. Es wird alles gut.“ Erste Polizeibeamte kommen durch die Tür. Sie sind gerade mit dem Auto in der Nähe gewesen. Ihre erste Amtshandlung ist der Versuch, den Mörder zu fassen: „Hände hoch!“ schreien sie Hastings an. „Nicht ihn!“ ruft der Liftboy, „er arbeitet hier. Den dort“, und zeigt auf Mark David Chapman, der draußen vor der Tür steht und im Buch Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger liest. Die Waffe hat er in die Büsche geworfen, in die Nähe der Stelle, wo auch die Platte Double Fantasy liegt, die John am Nachmittag unterzeichnet hat. Die Polizeibeamten fordern Chapman auf, sich breitbeinig hinzustellen und die Arme auf die Außenfassade des Dakota-Gebäudes zu legen, bevor sie ihn nach einer weiteren Waffe abtasten. Chapman macht keine Anstalten, zu fliehen. Bei sich trägt er nichts als seine Schlüssel, das Buch und eine Brieftasche mit 2000 Dollar. Er sagt: „Ich habe einen großen Mann in mir und einen kleinen Mann. Der kleine Mann ist der, der abgedrückt hat.“ In der Zwischenzeit sind weitere Polizisten am Tatort aufgetaucht. Einer davon untersucht John und berührt ihn und fragt: „Wie heißen Sie?“ Nach einer kurzen Pause antwortet John: „Lennon.“ Der Beamte merkt, dass man nicht mehr auf die Rettung warten kann, weil der Zustand des Verletzten zu schwerwiegend ist. Er fasst ihn unter

186 http://www.youtube.com/watch?v=x1DHm7p1sm4 den Achseln und ein Kollege nimmt die Beine und sie heben ihn in ihren Streifenwagen und legen ihn dort auf den Rücksitz. Dann geht es im vollen Tempo und mit Sirene durch die Straßen Richtung St. Luke's Roosevelt Hospital in der 59. Straße West. Die Strecke ist etwa einen Kilometer lang. Während der Fahrt versucht einer der Beamten, mit John zu reden. „Sind Sie sicher, dass Sie John Lennon sind?“ „Ich bin's“, sagt John kaum hörbar. „Wie geht es Ihnen?“ „Schmerzen.“ Schon um 23 Uhr, acht Minuten nach der Tat, kommt diese in die Medien. „Ein Mann, um den es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um John Lennon handelt, wurde angeschossen.“ Im Krankenhaus weiß man schon Bescheid, dass ein Schwerverletzter kommt. Yoko sitzt im nächsten Streifenwagen. Sie verhält sich hysterisch und schreit: „Sag mir, dass das nicht wahr ist, bitte sag mir, dass das nicht wahr ist.“ Nach drei Minuten kommt der Streifenwagen mit John zum Krankenhaus und wird sofort in den OP der Notaufnahme gebracht. Mehrere Ärzte sind da, darunter der Leiter der Notaufnahme, Dr. Stephan Lynn. Yoko ist draußen und telefoniert, um zu sehen, ob es Sean gut geht. Sie fürchtet, dass der Attentäter Sean getötet haben könnte. Als sie aufhängt, kommt Dr. Lynn auf sie zu und sagt zu ihr, dass man alles versucht hätte, aber dass es vergeblich war und dass John tot ist. „Wir hatten keine Chance“, sagt er. „Wir haben alles versucht, ihn zu retten. Ich glaube, dass ihn die erste Kugel getötet hat. Sie hat eine größere Schlagader getroffen, die dabei zerplatzt ist.“ Yoko schreit: „Meinen Sie, dass er schläft?“

Es ist 11:15. Auf dem Totenschein steht, dass John am 8. Dezember 1980 um 11:07 gestorben ist.