Das Bibliothekskonzept Aby M. Warburgs im Vergleich mit modernen Methoden der Sacherschließung

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Arbeit zur Erlangung des Grades eines Diplom-Bibliothekars (FH)

eingereicht von Daniel Schatz, Matrikel-Nr. 2239 im Oktober 2002 am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam

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Erstkorrektor: Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm Zweitkorrektorin: Prof. Dr. Dagmar Jank

1 Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung 1

II. Die Person Aby Warburgs 3 II.1. Der familiäre Hintergrund 3 II.2. Warburgs Promotion und die daraus resultierenden Interessen 4 II.3. Warburgs Reise in die USA – Beginn der Kulturtheoretischen Arbeit 6 II.4. Die Theorie vom Menschen als zweipoligem Wesen 9 II.5. Die Ausdrucksformen des Menschen (Bild - Orientierung - Wort - 10 Handlung) II.6. Warburgs Persönlichkeit und sein Eindruck auf Mitarbeiter und Freunde 12

III. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg – Geschichte, 16 Aufbau, Organisation III.1. Der Beginn der Sammlung 16 III.2. Geschichte der Bibliothek bis zum Umzug ins eigene Haus 1926 16 III.3. Der Aufbau der neuen Bibliothek entsprechend Warburgs Theorien 21 III.4. Die Erwerbungspolitik 25 III.5. Aufstellung, Klassifizierung, Signierung der Bücher 28 III.6. Die Emigration nach London 1933 35 III.7. Die Wirkung der Bibliothek auf die jeweiligen Zeitgenossen 39

IV. Die bibliothekstheoretischen Methoden Warburgs – eine 45 Zusammenfassung

V. Heutige Methoden der Sacherschließung – Anwendbarkeit im 50 Warburgschen Sinne V.1. Methoden der handwerklichen Sacherschließung 50 V.1.1. Die Schlagwortvergabe 50 V.1.2. Die Klassifikation 53 V.1.3. Die Facettenklassifikation 56 V.2. Methoden der automatischen Sacherschließung 60 V.2.1. Der historische Hintergrund 60 V.2.2. SMART – das Vektorraummodell 62 V.2.3. Suchstrategien für elektronische Datenbanken 71 V.3. Bewertungen und Zusammenfassungen 74 V.3.1. Die vorgestellten Methoden im Vergleich mit Warburg 74 V.3.2. Der aktuelle Stand der Forschung 77 V.3.3. Anwendbarkeit für den Nutzer 82

VI. Schlussfolgerungen 87

VII. Literaturliste 88

2 I. Einleitung

Für berufliche oder private Zwecke macht man sich beinahe täglich auf die Suche nach Informationen. Um diese zu erhalten – ob in Archiv- oder Bibliotheksbeständen, in Dokumentationen, Datenbanken oder dem Internet – stets ist es notwendig, sich nicht nur mit dem Kontext des Wissens, dass man benötigt, sondern auch mit den Methoden der Erschließung dieses Wissens zu beschäftigen. Man schaut nach kontrolliertem Vokabular, nach Klassifikationssystemen oder einfach nur nach den richtigen Fachtermini. Da das Erlernen einer Indexierungssprache aber sehr zeitaufwendig und auch zur Erlangung der benötigten Informationen nicht immer notwendig ist, kommt es oft dazu, dass man sich beispielsweise in einer Bibliothek einfach an die Regale begibt und versucht, mit Hilfe des „browsings“ einiges herauszufinden. Dasselbe gilt für das Eingeben von frei gewählten Suchbegriffen in elektronische Systeme. Stößt man dann auf Treffer, welche dem Gewünschten ähnlich sind oder ihm sogar gleichen, kann man fast sicher sein, dass sich durch die Klassifizierung des Bestandes in Bibliotheken die nächsten relevanten Medien in der Nähe des ersten Treffers befinden. Bei elektronischen Publikationen sind es die Fachtermini, welchen man bei seiner Suche begegnet und welche man für eine neue Suche benutzen kann.

Dieses Herangehen an eine Suche und die Methoden ihrer Erweiterung und Verbesserung durch assoziatives Vorgehen, wurde das erste Mal im großen Stil von dem Hamburger Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg in seiner Privatbibliothek praktiziert. Alle Bereiche des Bibliothekslebens – von der Erwerbung bis zur Signierung und Aufstellung – wurden diesen Grundsätzen unterworfen. Ziel dieses Vorgehens war es, einen „Denkraum“ zu schaffen, welcher die konventionellen Fächergrenzen durchlässig werden lässt. Dieser Denkraum war durchaus sehr groß: Er umfasste das, was wir heute als die Geistes- und Sozialwissenschaften bezeichnen, sowie einen Teil der Naturwissenschaften. Alles musste mit den kulturellen Ausdrucksformen des Menschen, welche Warburg auch beschrieb und klassifizierte, zu tun haben. Aus diesem Projekt entstand nicht nur eine Bibliothek mit internationalem Ruf, sondern auch eine neue Art, Wissen zu organisieren und zu vermitteln. Mit der Person Aby Warburgs und mit seiner Bibliothek und ihren 3 Besonderheiten befassen sich die Kapitel II. und III. Darauf folgt eine Zusammenstellung bibliothekstheoretischer Besonderheiten in Warburgs Ansätzen, welche Kapitel IV. bildet.

Diese Arbeit will nun einige aktuelle Instrumente der Wissenserschließung mit den Methoden Warburgs vergleichen, um zu zeigen, dass diese Art zu erschließen und zu suchen durchaus wieder modern geworden ist. Aufgrund vieler Fächerübergreifender Disziplinen, welche heute gelehrt werden, ist es bei der Erschließung nicht mehr so einfach, die dazugehörige Literatur in die dafür vorgesehene „Schublade“ zu stecken und dort für den Rest ihres Verbleibens in der Informationseinrichtung zu belassen. Deshalb wird sich das V. Kapitel mit den Methoden der Ähnlichkeitsanalyse sowie der Facettierung beschäftigen. Die Auswahl der beschriebenen Instrumente erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber eine repräsentative Darstellung der Methoden für die Erschließung sowohl gedruckter als auch elektronischer Medien sein.

4 II. Die Person Aby Warburgs

II. 1. Der familiäre Hintergrund

Aby Moritz Warburg, welcher während seiner wissenschaftlichen Laufbahn so manche revolutionäre These aufstellen sollte, war ursprünglich für eine ganz andere Tätigkeit vorgesehen. Als 1866 geborener, ältester Sohn des Hamburger Bankiers Moritz M. Warburg und seiner Gattin Charlotte1 sollte er in das väterliche Bankhaus eintreten. Allerdings zeigte sich schon früh sein Interesse an der Wissenschaft sowie am Sammeln von Büchern. Eine recht häufig zitierte Anekdote erzählt, dass Warburg bereits als 13jähriger seinem Bruder Max angeboten haben soll, ihm das Erstgeborenenrecht abzutreten, wenn er alle Bücher bekommt, die er bräuchte.2,3 Gegen die familiären Regeln und mit einiger Überredungskunst schrieb er sich dann im Jahre 1886 an der Universität Bonn ein, um Kunstgeschichte zu studieren.

Zu diesem Zeitpunkt beginnt er, über alle neu angeschafften Bücher detailliert Buch zu führen, was die Absicht einer Bibliotheksgründung andeutet. Zunächst allerdings gibt er sich unstet und besucht die Universität von München sowie die Stadt Florenz, bevor er nach Straßburg wechselt um dort sein Studium zu beenden sowie zu promovieren.

Schon während seines Studiums hatte er sich intensiv um die Unterstützung seiner wohlhabenden Familie für die gezielte Anschaffung von Büchern bemüht, da er inzwischen den Anspruch hatte, dass er alles, was er zu Studienzwecken an Literatur benötigte, selbst besitzen wollte.4 Nun artikulierte er auch den Wunsch, gezielt eine Bibliothek aufzubauen. Die Verbindung mit seinen Brüdern, welche als Kuratoriumsmitglieder später die institutionalisierte Bibliothek begleiteten, war sein ganzes Leben hindurch fruchtbar. Nur durch das umfangreiche Vermögen seiner

1 Aby M. Warburg war der älteste von fünf Söhnen der Familie. Seine Brüder, welche später als Mitglieder des Kuratoriums seiner Bibliothek eine Rolle spielten, waren: Max M. (welcher als zweitältester das väterliche Bankhaus übernahm), Paul M., Felix M. sowie Fritz M. 2 Häufig zitierte Werke werden nur mit dem Namen des Autors bzw. einem Kurztitel benannt. Die genauen bibliographischen Daten bitte ich dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. 3 vgl. Roeck, S. 30 4 vgl. Pfister, S. 15 5 Familie, zu dem er Zugang hatte, konnte er seinen Neigungen als Gelehrter nachgehen und war niemals darauf angewiesen, eine beamtete Stelle in einer wissenschaftlichen Institution anzunehmen.5

II. 2. Warburgs Promotion und die daraus resultierenden Interessen

Warburgs erste Veröffentlichung, welche den neuen, „Warburgschen“ Denkansatz enthält, ist seine 1891 beendete und 1893 veröffentlichte6 Dissertation. In Straßburg gab es innerhalb der Universität und des kunstgeschichtlichen Seminars etwas, dass Warburgs Wesen und seinen breit gefächerten Interessen sehr entgegenkam: frei benutzbare Spezialbibliotheken. Das Element des Freihandbestandes wird später ein tragender Pfeiler seiner Bibliothekstheorie werden und stand für ihn bereits bei Gründung seiner eigenen Bibliothek fest.

Angeregt von seiner Florenz-Reise wählte er als Thema der Promotion „Sandro Botticellis 'Geburt der Venus' und 'Frühling'. Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance". In dieser Untersuchung versucht er nachzuweisen, dass es bei der Betrachtung von Kunst notwendig ist, nicht allgemein vom „anonymen und kollektiven Wirken von Geschmack, Stil und Stimmung“7 auszugehen, sondern das Kunstwerk innerhalb seiner Zeit zu betrachten und dies unter Zuhilfenahme aller relevanter Disziplinen. Diese Interdisziplinarität, dieses Herangehen an ein Problem der menschlichen Ausdruckformen unter verschiedenen Gesichtspunkten sollte später „Kulturwissenschaft“ heißen, wurde allerdings nie von Warburg theoretisch begründet. Aus dieser Fülle von Themen leitet sich auch später der Themenkreis seiner Bibliothek ab. Dieser Ansatz beinhaltet ausdrücklich auch die Betrachtung anderer Kunstformen neben der Malerei. Besonderen Stellenwert räumt er dem „Wort“ ein, welches Warburg auf eine Stufe mit dem „Bild“ stellt. In seiner späteren Bibliothek erhält daher die Literaturwissenschaft einen hohen Stellenwert.

5 vgl. Aby M. Warburg und seine Bibliothek. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 652 6 die Daten aus Warburgs Leben sind der zusammengestellten Kurzbiographie auf der Website des Warburg- Hauses entnommen: http://www.warburg-haus.hamburg.de 7 Aby M. Warburgs Kulturwissenschaft. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 746 6 Außerdem sollte bei der Deutung des Inhalts eines Kunstwerkes nicht vom Allgemeinen, vom Gesamtbild bzw. –kunstwerk ausgegangen werden, sondern es sollte jedes Symbol für sich im gesellschaftlichen Rahmen gedeutet werden. Dieses Konzept wurde die Ikonologie, die „Bildkunde“, als deren Schöpfer oder zumindest Neuentdecker Warburg gilt und die ihm half, noch manches zur damaligen Zeit „verschlossene“ oder „undeutbare“ Kunstwerk vollständig oder halbwegs zu entschlüsseln.8 Bei der Wahl des Wortes „Ikonologie“ kam ihm zugute, dass dieser Begriff aus dem Griechischen sowohl das „Bild“ (eikon) als auch das „Wort“ (logos) enthält und somit der Gleichbetrachtung dieser beiden zentralen Ausdrucksformen noch zusätzlichen Ausdruck verleiht.9

Vor allem ging Warburg gegen die fast blinde Renaissanceverehrung seiner Kunsthistoriker-Vorgänger sowie des 19. Jahrhunderts allgemein an. Er ging an gegen „gefühliges Schwärmen und ästhetisierendes Genießen im Umgang mit Kunst und [...] für Kenntnis und Denken“.10 Er scheute sich auch nicht, so manchem „... geheiligten Genie Abhängigkeiten nachzuweisen“11, was die Inspiration ihrer Kunstwerke anbetrifft.

Später in seinem Leben und Schaffen wird er sich dem „Nachleben der Antike“ in den verschiedenen Zeiten widmen. Da in der Zeit der Renaissance eine verstärkte Rückbesinnung auf die Werte der Antike stattfand, war dies immer sein größtes Forschungsgebiet. Hier setzt er bei der Einordnung von Kunstwerken an: Die Meister der Renaissance hatten sich auf antike, vergangene Muster besonnen, sie aber den Gepflogenheiten des ausklingenden Mittelalters angepasst. Zusammengefasst bedeutet sein Ansatz: Ein kultureller Gegenstand entsteht „... aus dem Zusammentreffen dessen, was auf die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt eindringt und sie bewegt, mit dem, was aus der Vergangenheit an bewältigtem

8 Unter anderem gelang es ihm 1912, die lange als „undeutbar“ geltenden Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara zu entschlüsseln und zu deuten, was er in einem sehr beachteten Vortrag tat. 9 Porträt aus Büchern, S. 16 10 Aby M. Warburgs Kulturwissenschaft. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 749 11 Aby M. Warburg und seine Bibliothek. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 654 7 menschlichen Erleben ... tradiert ist“.12 Mit „bewältigtem menschlichen Erleben“ meint er die überlieferten Ausdrucksformen der vergangenen Zeit.

„Nebenbei“ entwickelt Warburg mit Hilfe dieser Ansätze noch weitere Spezialgebiete der kulturwissenschaftlichen Forschung: die schon erwähnte Ikonologie, außerdem Rezeptionsgeschichte, historische Psychologie sowie Kunstsoziologie. Ebenso gilt sein Blick dem so genannten „Festwesen“: Er interessiert sich für Feste und Riten von Kulturen sämtlicher Kontinente und Zeiten und wertet sie als Ausdrucksformen des Menschen. Selbstverständlich stehen auch hier die Feste der Antike im Vordergrund, welche die Traditionen der Renaissance und späterer Zeiten, etwas zu zelebrieren, nachhaltig beeinflusst haben. Die wichtigsten, aus den oben geschilderten Ansätzen geformten Theorien werden in den Kommenden Abschnitten dieses Kapitels dargestellt.

II. 3. Warburgs Reise in die USA – Beginn der Kulturtheoretischen Arbeit

Abbildung 1: bei den Indianern13

12 Pfister, S.51 13 Quelle des Bildes: Website des , London: http://www.sas.ac.uk/warburg 8 Nachdem Warburg seinen Wehrdienst als Reiter in einem Artillerieregiment absolviert hatte, zog es ihn für weitere 2 Jahre nach Florenz, wo er Studien in Archiven und Bibliotheken betrieb. In den Jahren 1895/96 schließlich findet seine berühmte Amerika-Reise statt, die ihn auch zu den in New Mexico lebenden Hopi-Indianern führt, welche zur Gruppe der in Dörfern (spanisch Pueblos) lebenden Pueblo-Indianer gehören, welche er beobachten und fotografieren darf und über die er seine kulturtheoretischen Ansichten erweitern kann. Zunächst ist anzumerken, dass es Warburg scheinbar nichts ausmacht, für das indianische Leben das Wort „primitiv“ zu benutzen, welches ja heute eine sehr abwertende Bedeutung hat. Unter Garantie meint er es nicht abwertend, allerdings wäre dieses Wort in der heutigen Kulturwissenschaft nicht mehr legitim. Außerdem merkt man der Beziehung zwischen Warburg und der seit mehreren hundert Jahren von Unterdrückung geprägten Geschichte der Indianer eine deutliche Kühle an. Er wertet in seiner typischen Art die Einflüsse der spanischen Missionare sowie der in den Westen vordringenden Vereinigten Staaten auf die Symbolik und andere Dinge des täglichen Lebens aus. Auf der einen Seite entwickelt Warburg hier seine bereits in Straßburg erdachten, neuartigen Theorien weiter, auf der anderen Seite ist er ein Mensch des 19. Jahrhunderts, der den Kolonialismus als legitim und normal ansieht.

Ein Beispiel aus dem Schlangentanz-Vortrag zeigt die Mischung aus Anerkennung der kulturellen Traditionen der amerikanischen Ureinwohner einerseits und Warburgs Bewunderung von „Fortschritt“ und „Vernunft“ andererseits:

„Was mich als Kulturhistoriker interessierte, war, dass inmitten eines Landes, das die technische Kultur zu einer bewundernswerten Präzisionswaffe in der Hand des intellektuellen Menschen gemacht hatte, eine Enklave primitiven heidnischen Menschentums sich erhalten konnte, das – obgleich dabei durchaus nüchtern im Kampf ums Dasein tätig – mit einer unerschütterlichen Festigkeit gerade für landwirtschaftliche und Jagdzwecke magische Praktiken betreibt, die wir nur als Symptom eines ganz zurückgebliebenen Menschentums zu verurteilen gewohnt sind. Hier aber geht so genannter Aberglaube Hand in Hand mit Lebensaktivität.“14

Weiterhin kann Warburg nachweisen, dass in den Tätigkeiten des Alltags die eben beschriebenen Einflüsse europäischer Missionare, Kolonisten etc. zu spüren sind. Er

9 weist dies unter anderem anhand der Töpferkunst nach, von welcher es eine „urindianische“ und eine spanisch beeinflusste Technik gibt, welche sich im Alltag vermischen.15

Seine wichtigsten Erkenntnisse jedoch liegen in der Weiterentwicklung der Ikonologie. Warburg beschäftigt sich mit der Bedeutung von Tieren und Pflanzen als Symbole für verschiedene Eigenarten der Natur. Beispielsweise verschmelzen bei der graphischen Darstellung die Schlange und der Blitz zu einem einzigen Element. Die Schlange ist die Wettergottheit der Indianer und auf jeden Fall ein „urindianisches“ Symbol, da auch schon der oberste Gott der Azteken, Quetzacoatl, eine gefiederte Schlange war. Dieses Bild findet sich in vielen indianischen Kulturen. Hier setzt die Theorie an: In New Mexico gibt es wenig Regen. Durch ihre magischen Praktiken und den Umgang mit lebendigen Schlangen dabei beten sie für das erlösende Gewitter mit dem Regen. Eine ebenfalls interessante Verknüpfung fand Warburg, als er die Kirche eines missionierten indianischen Dorfes besuchen konnte. Hier fanden sich Darstellungen der indianischen Mythologie neben einem Altar und christlichen Heiligenfiguren. Hier zeigt sich wieder die Wahrheit der im vorigen Abschnitt besprochenen Theorie von der geistigen Verknüpfung der Erfahrungen aus Gegenwart und Vergangenheit.

Interessant wäre zu erfahren, was Warburg im Zusammenhang mit seiner Theorie, dass sich benachbarte Kulturen gegenseitig beeinflussen16, gesagt hätte, wenn er den heutigen Wissensstand gehabt hätte: ihm ist damals schon aufgefallen, dass es weltweit verschiedene Symbole gibt, welche von vielen unterschiedlichen Völkern, auch von solchen, die sich nach herkömmlicher historischer Überlieferung nicht begegnet sein können, benutzt werden. Als Beispiele sollen hier die weltweite Errichtung von Pyramiden (Mittelamerika, Ägypten, China) sowie die Verehrung der Sonne in verschiedensten Kulturen (bei den von Warburg besuchten Indianers das „Weltenhaus“17) stehen. Dafür gibt es zwei elementare Lösungsansätze, von denen keiner bis heute nachweisbar ist: 1. Die Völker haben doch zueinander gefunden und

14 Warburg: Schlangenritual, S. 10 15 vgl. Ebd., S. 15 16 laut Warburg kann man aus der Herkunft der verschiedenen Ausdrucksformen des Menschen, wenn man sie geographisch darstellt, die „Wanderstraße der Kultur“ erarbeiten. Vgl. Pfister, S. 53

10 es liegt nur keine Überlieferung vor oder 2. die Völker haben diese Symbole und ihre relativ ähnliche Bedeutung unabhängig voneinander entwickelt, was Warburgs Theorie von der „Wanderstraße der Kultur“, welche unter anderem die gegenseitige Übernahme von Symbolen und Deutungsweisen postuliert, schwächen würde.

II. 4. Die Theorie vom Menschen als zweipoligem Wesen

Während seiner Studien und vor allem während seines Besuchs bei den Indianern hatten sich bei Warburg einige kulturhistorische Theorien herausgebildet, von denen zwei der wichtigsten in den nächsten Abschnitten behandelt werden sollen.

Zur Verarbeitung der Eindrücke, welche auf den Menschen einwirken, gibt es laut Warburg zwei Möglichkeiten der Verarbeitung: Die „mythisch-fürchtende“ und die „wissenschaftlich-errechnende“ Orientierung. Das Wort „Orientierung“ ist neben dem „Bild“ und dem „Wort“ eine weitere tragende Säule seiner Theorien und wird später bei der Einrichtung seiner Bibliothek auch dem Magazingeschoß mit der Religionswissenschaft, der Philosophie und anderen Gebieten seinen Namen geben.

Warburg geht allerdings nicht von einer linearen Entwicklung von der mythisch- fürchtenden hin zur wissenschaftlich-errechnenden Orientierung aus, sondern eher von einer Art Pendelbewegung in der kulturellen Entwicklung des Menschen. Er sieht diese Pendelbewegung wie einen „hin- und zurückfließenden Energie- und Kraftstrom“18. Gleichwohl zieht er persönlich die wissenschaftliche Orientierung vor, da zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa und anderen, kulturell ähnlich geprägten Gebieten sich mehr auf den „Denkraum der Besonnenheit“ (Warburg) konzentriert wird als auf die mythischen Ausdrucksformen.19

Später stellt er die beiden Orientierungsformen wie die Pole einer Ellipse dar, welche den „Denkraum“ des Menschen, aber auch sein Inneres versinnbildlicht. Aus diesem

17 Warburg: Schlangenritual, S. 16 f. 18 Pfister, S. 60 19 vgl. Ebd., S. 59 f. 11 Grund hat sein späterer Lesesaal in der Hamburger Heilwegstraße auch den Grundriss dieser geometrischen Form.

II. 5. Die Ausdrucksformen des Menschen (Bild - Orientierung - Wort - Handlung)

Als im Jahre 1926 mit dem Umzug in die Heilwegstraße 116 die Institutionalisierung der Bibliothek Warburg abgeschlossen wurde, taucht verstärkt die Teilung der Bestände in vier Bereiche auf, welche jeweils durch ein „Schlagwort“ aus den Warburgschen Forschungen überschrieben sind: 1. Bild 2. Orientierung 3. Wort 4. Handlung Diese Ordnung bildet dann die Grundlage für die Aufstellung der Bücher in den einzelnen Geschossen des Magazins, welche in Abschnitt III. 3. näher erläutert werden soll.

Warburg geht in seinen Forschungen immer vom „Bild“ aus, da er studierter Kunsthistoriker ist und zu diesem Zweck eigens die Ikonologie entwickelt hat. Das Bild ist seiner Meinung nach der Schlüssel zu Gedächtnis der Menschheit. Laut Warburg gibt es eine Art elementare Überlieferung von Ansätzen, welcher jeder Mensch durch Überlieferung in sich trägt. Diese kollektive „Erinnerung“ nennt er „Mnemosyne“. Das Thema wird ihn bis an sein Lebensende beschäftigen und ihn veranlassen, den Mnemosyne-Atlas, eine Zusammenstellung von Bildern zur Kulturgeschichte des Menschen, herauszubringen.

Auf das Bild folgt bei ihm die Orientierung, die, wie im vorigen Abschnitt erläutert wurde, „zweigleisig“ sein kann und es laut Warburg mit wechselnden Ergebnissen auch ist. Auf die Orientierung folgt die Sprache, das Wort, welches die Ergebnisse der Orientierung ausdrückt und hin zu den Handlungen leitet.

12 Dass es keinesfalls so eindeutig ist, zeigen die Differenzen, welche die Literatur überliefert: „Bild“ und „Handlung“, also die erste und die vierte Stufe, werden diskussionslos auch als solche übermittelt. Allerdings gibt es selbst bei den engsten Mitarbeitern Warburgs Widersprüche über die Reihenfolge von „Orientierung“ und „Wort“.20 Der interdisziplinäre Ansatz Warburgs sowie die Tatsache, dass man die Unterthemen, welche den klassisch eingeteilten Wissenschaftsbereichen entsprechen, je nach wissenschaftlicher Problemstellung einem der vier großen Komplexe zuordnen kann, was auch durchaus beabsichtigt ist, lassen verschiedene Deutungsweisen zu, was auch nachher dazu führt, dass nach dem Neubau des Gebäudes für das Warburg Institute in London die Ordnung der Bücher nach dem Prinzip Bild – Wort – Orientierung – Handlung, also von der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg zu Hamburger Zeiten abweichend, erfolgt. Die damalige Direktorin des Instituts, Gertrud Bing, erklärt die Neuaufstellung mit folgender Deutung der menschlichen Entwicklung:

„The library was to lead from the visual image (Bild) as the first stage in man’s awareness, to language (Wort) and thence to religion, science and philosophy, all of them products of man’s research for orientation (Orientierung) which influence his patterns of behaviour and his actions, the subject matter of history. Action, the performance of rites (dromena) in its turn is superseded by reflection, which leads back to linguistic formulation and crystallization of image symbols that complete the cycle.“21

So unterschiedlich, wie man ein wissenschaftliches Problem laut Warburg angehen konnte, nur um zwangsläufig auf neue Fragen zu stoßen, so unterschiedlich kann wohl auch dieser „Entwicklungskreislauf“ gedeutet werden. Die Konsequenzen für die Buchaufstellung in Warburgs Bibliothek werden in Abschnitt III. 5. geschildert.

20 vgl. zu den Differenzen: Stockhausen, S. 82 ff. und Pfister, S. 70 ff. 21 Stockhausen, S. 88 13 II. 6. Warburgs Persönlichkeit und sein Eindruck auf Mitarbeiter und Freunde

Dieser Abschnitt soll sich dem Verhältnis widmen, welches Aby M. Warburg zu denen hatte, mit denen er täglichen Umgang pflegte. Es soll außerdem ein Blick auf seine Persönlichkeit geworfen werden.

Warburg war ein gesundheitlich nicht sehr stabiler Mensch. Er litt unter einer schweren Diabetes und unter einem Nervenleiden, was ihn sogar zwang, zwischen 1921 und 1924 die Leitung seiner Bibliothek auszusetzen und sich in eine Privatklinik in Kreuzlingen zu begeben, wo er behandelt wurde. Als Heilmittel sah er unter anderem das Schreiben an. So schrieb er von Kreuzlingen aus Abhandlungen zur Kunstgeschichte, hielt den berühmten „Schlangentanz-Vortrag“ und begann mit seiner Rückkehr nach Hamburg und dem Einzug der Bibliothek in das Gebäude auf dem Nachbargrundstück seines Hauses mit dem Schreiben des „Tagebuchs der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“, welches nicht nur den bibliothekarischen Alltag schildert, sondern ebenfalls Warburgs Gedanken und seine Befindlichkeiten. Über die Rolle des Schreibens für Warburgs Genesung heißt es:

„Der Akt des Schreibens ist in diesem Prozess keineswegs ein zweitrangiges Element; Er ist vielmehr lebenslang das Verbindungsglied gewesen zwischen Warburgs psychischen und wissenschaftlichen Energien. [...] Zum einen entfaltet sich seine Biographie durch sein Schreiben: Durch Briefe, Tagebücher und wissenschaftliche Texte. Daher muss seinem Leben und seiner intellektuellen Entwicklung in einer Genealogie von Texten nachgespürt werden. Zum anderen wird die Zurückeroberung (im klinischen Sinn) der Person durch das Schreiben eines Textes erreicht (den Vortrag von Kreuzlingen) und diese Zurückeroberung („recovery“) ist auch die des Schreibens selbst.“22

Neben dem Wissenschaftler, den wir bereits kennen gelernt haben, war Aby Warburg auch ein Pädagoge. Durch seine Professur, welche er 1912 von der in Gründung begriffenen Hamburger Universität angetragen bekam, hielt er in den zwanziger Jahren regelmäßig Seminare ab. Dabei führte er meist Themen seiner Forschungsgebiete aus wie „Übungen über die künstlerische Kultur der Florentinischen Frührenaissance“ oder „Einführung in die Methode einer

22 Tagebuch, S. XIII 14 Kunstgeschichtlichen Kulturwissenschaft“.23 Seine Pädagogik ging allerdings auch über den Lehrbetrieb hinaus. Wenn er beispielsweise jemandem (einem jungen Forscher oder Studenten) ein Buch lieh, erwartete Warburg, dass dieser das Buch nicht einfach zurückbringt, sondern sich über seine Erkenntnisse und auch neu aufgekommene Fragen mit Warburg unterhält. Ebenso verhielt es sich mit Neuankömmlingen, die in der Bibliothek ihre Forschungen betreiben wollten. Sie wurden zunächst von den Mitarbeitern zu Warburg geführt, welcher sie ausgiebig über ihre wissenschaftlichen Interessen und Ziele befragte sowie von seinen eigenen Gedanken und Ansichten sprach. Diese Gespräche konnten oft mehrere Stunden dauern und endeten oft mit einem Vergleich: Der Student übernahm eine zeitlich befristete und frei einteilbare Aufgabe in der Bibliothek, durfte aber dafür die Bibliothek nutzen sowie an Vorträgen und ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen.24

Außerdem war Warburg eine Leitfigur: Er stand einem Kreis von ca. zehn Personen vor, von denen er viel verlangte. Neben ständigen Umgruppierungen der Bücher25 gab es bis zu Warburgs Weggang nach Kreuzlingen keine klare Klassifikation sowie kein klares Erwerbungsprofil. Alles spielte sich in Warburgs Kopf sowie auf seinem Schreibtisch ab. Erst , welcher die kommissarische Leitung der Bibliothek in den Jahren 1921 bis 1924 innehatte, führte mit der Hilfe der 1922 eingestellten Gertrud Bing eine Klassifikation und ein Erwerbungsprofil ein, welche aber trotz aller Schwierigkeiten mit Warburgs Konzepten konform gingen. Allerdings hörte das Ordnen, Umgruppieren und Umsignieren der Buchbestände nie auf. Wenn etwas eingeordnet war, so wurde es oft kurze Zeit später wieder in Angriff genommen und nach neuen Erkenntnissen Warburgs und der Mitarbeiter umsortiert. Die Methode Warburgs war „... zeitaufwendig, arbeitsintensiv, mühsam und konnte nur mit einem sehr großen Stamm an vorgebildeten und hoch motivierten Mitarbeitern realisiert werden“.26 Hoch motiviert waren Warburgs Mitarbeiter sicherlich. Ihre lange Dienstzeit in der Bibliothek spricht dafür. Ebenso die Tatsache, dass die innovative Atmosphäre, welche die neue Herangehensweise verbreitete, alle ansteckte. Dies ermöglichte einen familiären Umgang miteinander, welcher in der Aufmerksamkeit,

23 Quelle: Website des Warburg-Hauses Hamburg 24 vgl. Pfister, S. 86 25 vgl. Stockhausen S. 90 sowie die Einträge im Tagebuch der KBW 26 Stockhausen, S. 90 15 mit der Warburg an den Problemen seiner Mitarbeiter teilnimmt und teilweise im Tagebuch der KBW27 festhält, zum Ausdruck kommt.

Einem Kollegen war Warburg geistig besonders nahe: Dem Philosophieprofessor Ernst Cassirer. Warburg und er hatten sich bereits in Kreuzlingen kennen gelernt und als Cassirer an die Hamburger Universität berufen wurde, ergab sich zwangsläufig für ihn die Möglichkeit, Warburgs Bibliothek zu benutzen. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass beide ähnliche wissenschaftliche Ansätze verfolgten. Cassirer war, ähnlich wie Warburg, interdisziplinär eingestellt. Er war ein sehr universell gebildeter Mensch und hatte sich bereits mit Mathematik, Literatur, Kunstgeschichte, Religionswissenschaften und anderen Gebieten beschäftigt und sah auch wie Warburg den Standort der Philosophie nicht als übergeordnete, sondern als gleichberechtigte und „dienende“ Disziplin. Bei Warburg zeigt sich der letzte Fakt in der Tatsache, dass die einzelnen philosophischen Unterthemen wie beispielsweise die Rechtsphilosophie, bei den jeweiligen Grundthemen, hier bei den Rechtswissenschaften, aufgestellt waren und die Philosophie keinesfalls ein Fach ist, welches „... allem empirischen Wissen immer schon voraus gewesen ist“.28 Im zitierten Aufsatz zählt Jürgen Habermas die Gemeinsamkeiten Warburgs und Cassirers auf:

1. „Cassirer musste die der Philosophie zugewiesene Rolle gefallen. 2. In der Sammlung artikulierte sich ein Begriff von Kultur, der Cassirer unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten interessierte. 3. Cassirer begegnete der Literatur der Renaissance, über deren philosophische Strömungen er gearbeitet hatte, hier auf ganzer Breite. 4. Cassirer konnte in der Art von Warburgs Interesse am Nachleben der Antike in der Moderne unschwer ein Motiv wieder erkennen, dass sein eigenes Denken bewegte.“29

27 Seit der Umwandlung in ein öffentliches Institut zu Anfang der zwanziger Jahre trug die Bibliothek den offiziellen Namen „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“. 28 Habermas: Ernst Cassirer und die Bibliothek Warburg. In: Vorträge aus dem Warburg-Haus, Bd. 1, S. 6 29 Ebd., S. 5 16 Abschließend beschrieb er Warburgs Bibliothek wie folgt: „Die Fragen, die ich [...] behandeln möchte, hatten mich seit langem beschäftigt: aber nun schienen sie gleichsam verkörpert vor mir zu stehen. Ich empfand aufs stärkste [...] dass es sich hier nicht um eine bloße Sammlung von Büchern, sondern um eine Sammlung von Problemen handle. Nicht das Stoffgebiet der Bibliothek war es, dass diesen Eindruck in mir erweckte; sondern stärker als der bloße Stoff wirkte das Prinzip ihres Aufbaus.“30 Seine Ehefrau Tony schrieb außerdem: „Ich erinnere mich, wie Ernst nach dem ersten Besuch der Bibliothek in einer für ihn sehr ungewöhnlichen Erregung nach Hause kam und mir erzählte, dass diese Bibliothek etwas unerhört Einmaliges und Großartiges wäre. Die Entdeckung der Bibliothek Warburg glich einer Fundgrube, in der Ernst einen Schatz nach dem anderen zu Tage förderte.“31 Cassirer hatte Warburgs System nicht nur in Gänze verstanden, er war auch hundertprozentig mit den Ansätzen einverstanden. Bis zu Warburgs Tod 1929 pflegten sie eine enge Beziehung. Oft hielt Cassirer Vorträge in Warburgs Bibliothek und übernahm kleinere bibliothekarische Tätigkeiten. Auf der anderen Seite wurde in der Inflationszeit Cassirer jedes gewünschte Buch von den Mitarbeitern der Bibliothek Warburg besorgt und sogar nach Hause gesandt.32

30 Ebd., S. 4 31 Website der „Ernst-Cassirer-Arbeitsstätte“ in Hamburg: http://sun07.sts.tu-harburg.de/eca/homepage- eca.htm#top 32 Pfister, S. 84 17 III. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg – Geschichte, Aufbau, Organisation

III. 1. Der Beginn der Sammlung

Der eigentliche Beginn der Sammelleidenschaft Warburgs fällt bereits in seine Studienzeit in den neunziger Jahren. Er hatte sich das Ziel gestellt, alles an Literatur selbst zu erwerben und zu besitzen, was er für sein Studium und seine Forschungen benötigte. Dies führte bei seinen vielseitigen und breit gefächerten Interessen zwangsläufig zu einer raschen Vergrößerung seiner Sammlung. Dabei war es ihm nicht so wichtig, die Bücher, welche er erwarb, auch zu lesen. Der bloße Besitz genügte Warburg in diesem Moment erst einmal. Gelesen bzw. durchgearbeitet konnten sie immer noch werden, wenn man sie für die aktuellen Forschungen brauchte.

Der assoziative Gedanke, der später der Ordnung seiner Bibliothek zugrunde lag, leitet sich unter anderem aus seiner Persönlichkeit ab. Sein Bruder Max sprach davon, dass Warburg zuviel auf einmal in sich aufgesogen hätte und „... wenn er anfing, kam er von Einem ins Andere. So entstand auch die Bibliothek.“33 Bald jedoch musste er sich Fragen hinsichtlich des Zweckes seiner Sammelleidenschaft sowie des ausgegebenen Geldes anhören. Kühl, sich seiner Sache, der Gründung einer Bibliothek, sehr sicher, erwiderte er: „Die Bibliothek wird noch bestehen, wenn das Bankhaus nicht mehr bekannt sein wird.“34 Nun, zumindest was die Bibliothek anbetrifft, existiert sie in erstaunlich erweiterter und in Warburgs Sinne gepflegter Weise bis heute, allerdings nicht ohne eine wahre Odyssee hinter sich zu haben.

III. 2. Geschichte der Bibliothek bis zum Umzug ins eigene Haus 1926

Wenn man heute von Warburgs Bibliothek als Bau oder auch als nach bestimmten Vorstellungen konzipierten „Denkort“ spricht, meint man gemeinhin das Haus in der

33 Roeck, S. 30

18 Heilwegstraße 116, in das die Bibliothek erst im Jahre 1926 einzog. Zuvor jedoch war die Bibliothek Warburg, zunächst „nur“ die Bibliothek eines Privatgelehrten, in seinem Privathaus untergebracht, welches zuerst in der Hamburger Benediktstraße und ab 1908 auf dem Grundstück Heilwegstraße 114 stand. Dieses Haus hatte Warburg für sich und seine Familie gekauft, nachdem die Raumnot aufgrund der ständig wachsenden Büchersammlung extrem geworden war.

Was machte Warburg zu einem Bibliotheksgründer? Welche Eigenschaften besaß er, um dieser Beschäftigung ein Leben lang nachzugehen? Zunächst hatte er einen Hang zur Dokumentation. Er ließ gerne Dokumente für sich sprechen. Dies führte unter anderem dazu, dass er neben der Bücher- auch eine Fotografiensammlung anlegte, welche seine Theorien unterstützen sollte. Aus dieser Sammlung schöpfte er beispielsweise, wenn es galt, Ausstellungen in seiner Bibliothek auszustatten. Diese Ausstellungen verdrängten in seiner späteren Schaffensperiode sogar die schriftlichen Ausarbeitungen weitgehend. Warburg ließ allein die Dokumente und deren Anordnung für sich sprechen, wobei er die Deutung allerdings dem Betrachter überließ.35

Neben Fotos sammelte er Zeitungsausschnitte, welche er gerade während des Ersten Weltkrieges zu einer erstaunlichen Dokumentation zusammenfasste. Warburg wertete täglich die einlaufenden und extra zu diesem Zweck angeschafften Tageszeitungen aus und schuf so ein einzigartiges dokumentarisches Bild des Kriegsgeschehens, welches neben den ca. 1.500 Artikeln 100.000 Indexkarten enthielt. Die Herkunft der Zeitungen war durchaus international, es wurden also Stellungnahmen beider Kriegsparteien ausgewertet. Dabei ließ Warburg keinen Zweifel daran, dass er, wie oben schon erwähnt ein Mensch des 19. Jahrhunderts, auf deutscher Seite Stand. Er gründete sogar eine Zeitschrift, welche in Italien erschien und die deutsche Position erklärte, um Italiens Austritt aus der Entente herbeizuführen.36 Diese Weltkriegssammlung musste 1933 auf Druck der Nazis in Deutschland zurückbleiben.

34 Ebd., S. 31 35 vgl. Pfister, S. 15 f.

19 Zunächst war Warburg sein eigener Bibliothekar. Alle Arbeitsgänge, vom studieren der Verlagsprospekte und Antiquariatsverzeichnisse bis hin zum Signieren und Einstellen der Bücher führte er selbst durch. Dies ist auch der Grund, weshalb es lange Zeit keinen brauchbaren Katalog der Warburgschen Bibliothek gab. Alles befand sich in seinem Kopf und das Anfertigen eines Katalogs hätte nur eine weitere, zudem sehr arbeitsaufwändige Tätigkeit bedeutet.

Im Jahre 1908 jedoch begann es ihm über den Kopf zu wachsen und neben dem Kauf des Hauses Heilwegstraße 114 (und des Nachbargrundstücks Nr. 116 für einen späteren Bibliotheksbau) stellte er seinen ersten Assistenten ein. Anzumerken ist hier, dass seine ersten drei Assistenten (die Doktoren Hübner, Waetzoldt und Printz), welche er von 1909 bis 1913 beschäftigte, nicht so lange zu seinem „Stab“ gehörten wie die späteren bekannten (Saxl, Bing) und auch nicht so bekannten Mitarbeiter, wie der Fotograf Otto Fein. Die Gründe für die eher kurze Zusammenarbeit zwischen Warburg und den vorgenannten lagen an einem gegenseitigen Unverständnis des anderen (bei Hübner) sowie an lukrativen Stellenangeboten für die Herren Waetzoldt und Printz.37

Erst als er 1913 den österreichischen Kunsthistoriker Fritz Saxl einstellte, hatte er einen Mitarbeiter gefunden, welcher seine Herangehensweisen und Theorien wirklich verstand und welcher ihm zu einem Mitstreiter für den Rest seines Lebens werden sollte. In der Zeit von Warburgs Aufenthalt im Kreuzlinger Sanatorium „Bellevue“ aufgrund seiner Nervenkrankheit fungierte Saxl als kommissarischer Leiter der Bibliothek und nach dem Tod Warburgs im Oktober 1929 wurde er der neue Leiter der Bibliothek. Nach der Emigration blieb er bis zu seinem Tode im Jahre 1948 der Direktor des nunmehr der zugehörigen „Warburg Institute“.

Zu diesem Zeitpunkt dachte Warburg bereits daran, seine Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Jahre 1911 nahm er am Bibliothekartag in Hamburg teil. Sein Interesse für die Bibliotheksarbeit schlug sich unter anderem auch darin nieder, dass er zu Robert Münzel, dem damaligen Direktor der Hamburger

36 vgl. Ebd., S. 24 f.

20 Stadtbibliothek, bis zu dessen Tod im Jahre 1917 einen engen Kontakt pflegte. Warburg und Münzel waren sich vom Charakter her ziemlich ähnlich, hatten beide einen Teil ihres Studiums in Bonn absolviert und teilten beide die Liebe für das klassische Altertum einerseits und für das Buch andererseits. Auch waren sie beide Mitbegründer der „Gesellschaft der Bücherfreunde zu Hamburg“. Warburg bediente sich oft der Stadtbibliothek, um dort wertvolle alte Bücher einzusehen sowie sich Handschriften über den Leihverkehr zu bestellen, was damals noch möglich war. Ansonsten stand er der Institution Stadtbibliothek und ihrer Aufstellung der Werke eher kritisch gegenüber. Das damalige Bibliothekswesen entsprach nicht seinen Vorstellungen von einer Bibliothek.38 Allerdings half er nach Münzels Tod bei der Suche nach einem Nachfolger für die Leitung der Stadtbibliothek mit. Dies liegt nicht nur in der Freundschaft zu Münzel begründet, sondern auch in der Tatsache, dass Warburg weiterhin gut mit der Hamburger Stadtbibliothek zusammenarbeiten wollte, was sehr von deren neuem Direktor abhing.

Mittlerweile war die Warburgsche Bibliothek auch bekannter geworden. 1912 hatte Warburg auf dem Kunsthistorikerkongress in Rom die bereits angesprochene Deutung der Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara durchgeführt und damit einen größeren Kreis seiner Kollegen mit seinen Theorien vertraut gemacht. 1913 besprachen Warburg und Saxl auf einer Italienreise die weiteren Schritte zur Institutionalisierung ihrer Bibliothek. Als dann jedoch der I. Weltkrieg ausbrach, wurde Saxl zum österreichischen Militär eingezogen39 und Warburg begann seine bereits zu Beginn dieses Abschnitts besprochene Weltkriegssammlung. Während des Krieges verstärkte sich sein Nervenleiden. Der labile Warburg war ständig zwischen Vaterlandsliebe und seiner gleichzeitigen Liebe zu Italien, welches auf Seiten der Entente kämpfte, hin- und her gerissen. Mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und damit seines seit der Kindheit erlernten Weltbildes wurde er nicht so leicht fertig, so dass er seit 1919 arbeitsunfähig war und sich ein Jahr später in ein Kreuzlinger Sanatorium begab, wo er bis 1924 blieb. Warburg, der anfangs meinte, nicht mehr

37 kurze Abrisse ihrer beruflichen Werdegänge und die Gründe für das frühe Ausscheiden der genannten Personen finden sich bei Pfister, S. 84 f. 38 zur Beziehung zwischen Warburg einerseits und Münzel sowie der Stadtbibliothek andererseits vgl. Gronemeyer, Horst: Aby Warburg und Robert Münzel – Eine Freundschaft von Bibliothek zu Bibliothek. In: Porträt aus Büchern, S. 35 ff. 39 Pfister, S. 24 21 nach Hamburg zurückkehren zu können, verfasste vorher sein Testament, in dem er anordnet, dass im Falle seines Todes die Bibliothek, welche er als seine „eigenste Lebensarbeit“ bezeichnet, unbedingt zusammenbleiben muss.40 Fritz Saxl wird von Warburgs Familie nach Hamburg zurückgerufen und übernimmt die kommissarische Leitung der Bibliothek.

Unter der Leitung Saxls beginnt nun die schon vor dem Krieg ins Auge gefasste Institutionalisierung der Bibliothek und deren Öffnung für die Öffentlichkeit. Dieser Umbruch fällt mit einem Ereignis zusammen, welches für die Stadt Hamburg von besonderer Wichtigkeit war: Der Gründung der Universität. Mit der Universitätsgründung kamen nun verstärkt Wissenschaftler nach Hamburg, welche hier eine gut ausgebaute, nach Maßstäben, die eher die eines Wissenschaftlers denn die eines Bibliothekars sind, aufgebaute Bibliothek vorfanden. Bald wurden Professoren wie die Philosophen Cassirer und Panofsky ständige Leser und gern gesehene Gäste der Bibliothek.

Um diese Gemeinschaft enger zusammenzufügen, entwickelt Saxl die Publikationsreihe „Vorträge der Bibliothek Warburg“, welche die in Schriftform gebrachten, in den Räumen der Bibliothek gehaltenen Vorträge der Wissenschaftler aus Kunstgeschichte, Philosophie etc. enthielt sowie die „Studien der Bibliothek Warburg“, welche wissenschaftliche Abhandlungen publiziert, die den Themen und Forschungsschwerpunkten der Bibliothek nahe kommen. Seit 1921 erschienen diese Reihen beim Verlag Teubner in Leipzig, bis 1933/34 das Erscheinen der Bände aufgrund der antijüdischen Haltung der neuen Machthaber, welche auch die Verlage nachhaltig beeinflusste, eingestellt wurde.41 Nach der Emigration und einer gewissen Eingewöhnungsphase wurden die Serien wieder belebt. Aus den „Studien“ waren die „Studies of the Warburg Institute“42 geworden und aus den „Vorträgen“ wurde das „Journal of the Warburg Institute“, welches heute aufgrund der engen Zusammenarbeit mit dem „Courtault Institute of Art“ „Journal of the Warburg and Courtault Institutes“ heißt.43 Diese Reihe erscheint noch heute jährlich.

40 vgl. Ebd., S. 25 f. 41 zu den Publikationen der Bibliothek vgl. Porträt aus Büchern, S. 19 ff. 42 endete 1995 mit dem 43. Band. Quelle: Website des Warburg Institute 43 bisher 63 Bände erschienen. Quelle: Website des Warburg Institute 22 1922 stellte Saxl eine zweite, neben ihm fest angestellte wissenschaftliche Bibliothekarin ein: Gertrud Bing. Diese, schon einige Male erwähnte Doktorin der Philosophie hatte 1921 bei Ernst Cassirer promoviert und war dann zur Bibliothek Warburg gewechselt, welcher sie bis zu ihrem Tode, am Ende als Direktorin des Warburg Institute in London, treu blieb.44 Ihre erste große Aufgabe bestand damals darin, zusammen mit Saxl die Kataloge zu erstellen.

Die Bibliothek Warburg war nun mit ihren 20.000 bis 25.000 Bänden45 eine öffentlich zugängliche Forschungseinrichtung in privater Trägerschaft, deren Finanzierung ganz in den Händen Warburgs und seiner Familie lag. Um sie jedoch der Öffentlichkeit auch verständlich zu machen, brauchte es jedoch ein definiertes Erwerbungsprofil, eine klare Aufstellungssystematik und nicht zuletzt einen Katalog. All das gab es bisher nur in Warburgs Kopf und auch da nur insoweit, wie es seine aktuellen Forschungen verlangten. Die Bibliothek war ein geistiges Abbild seines Inneren. Daraus mussten Saxl, Bing und die anderen Mitarbeiter nun, in Abwesenheit des geistigen Vaters dieser Zusammenstellung von Büchern bzw. Medien, eine nach wissenschaftlichen Maßstäben kanonisierte Bibliothek machen, welche beispielsweise auch die Standartwerke der behandelten Disziplinen enthält, ohne Warburgs geistiges Konzept dabei in Frage zu stellen. Über das Problem des Erwerbungsprofils sowie die Aufstellungssystematik wird in den nächsten Abschnitten referiert werden, das Problem des Katalogs ist in Warburgs Abwesenheit Anfang der zwanziger Jahre durch Saxl gelöst worden, der einen alphabethischen und einen systematischen Katalog anfertigen ließ.46

III. 3. Der Aufbau der neuen Bibliothek entsprechend Warburgs Theorien

Nach der Rückkehr des geheilten Leiters und Eigentümers der Bibliothek aus Kreuzlingen 1924 ging es vornehmlich um die Pläne für den Neubau der Bibliothek

44 zu Leben und Werk Gertrud Bings vgl. u. a. Michels, Karen [u. a.]: Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Gertrud Bing. In: Frauen im Hamburger Kulturleben, S. 27 ff. 45 Pfister, S. 27 46 Stockhausen, S. 70 23 auf dem Nachbargrundstück. Saxl hatte seit Anfang der zwanziger Jahre arge Platzprobleme, da die Kapazität des Warburgschen Wohnhauses ausgelastet war. Er berichtet von dauernden Umbauten aufgrund von Neuanschaffungen und schreibt 1923:

„Es entsteht durch diesen Platzmangel eine Unübersichtlichkeit in der Bibliothek, die selbst durch die größte Sorgfalt kaum mehr zu beheben ist; denn wenn an der Stelle, an die ein Buch in dem System, das durch Aby Warburgs Gedankengänge der Bibliothek vorgeschrieben ist, eingestellt werden sollte, absolut kein Platz mehr ist, dann nützt es nichts, wenn vielleicht an einer anderen Stelle noch etwas Platz wäre; denn dort ist es nicht mehr auffindbar: Es wird also ein dauerndes Herumrücken der ganzen Bestände notwendig, das sehr viel Zeit und Arbeit kostet, eine Arbeit, die ganz unfruchtbar ist.“47

Nach einigen Entwürfen Hamburger Architekten, deren Pläne hier auszubreiten den Rahmen sprengen würde, einigt man sich, auch zu Kreuzlinger Zeiten immer unter Rücksprache mit Warburg, auf den Entwurf des mit dem Bibliotheksgründer befreundeten Architekten Fritz Schumacher, welcher von Gerhard Langmaack realisiert wird. Dieser Entwurf beachtet sowohl alle Wünsche Warburgs für ein Bibliotheksgebäude als auch die Notwendigkeit einer architektonischen Eingliederung des neuen Hauses Heilwegstraße 116 in den Baustil dieser Straße. Auch wird das Wohnhaus mit dem Bibliotheksgebäude verbunden. Im Mai 1926 findet dann die Eröffnung der Bibliothek im neuen Haus statt.

47 Ebd., S. 44 24 Abbildung 2: Aby Warburg ca. 192548

Zu den Dingen, welche an der Inneneinrichtung der KBW besonders auffällig sind, gehört zweifellos der Lesesaal in Form einer Ellipse. Es war Warburgs persönlicher Wunsch, dies auch trotz baulicher Schwierigkeiten durchzusetzen. Dies hat verschiedene Gründe:

1. In Warburgs bereits besprochener Theorie hatte er postuliert, dass die Seele des Menschen, sein Inneres, aus den zwei Polen der Deutung von Ereignissen besteht, zwischen denen der Mensch eine Pendelbewegung vollzieht. (Abschnitt II. 4.) Da Warburg seine Bibliothek als sein Lebenswerk und ein Abbild seines Geistes betrachtete, wählte er die von ihm so verehrte Form für den zentralen Punkt (im geistigen Sinne) der Bibliothek. Weitere Deutungsmöglichkeiten für die Zweipoligkeit sind das Zusammentreffen von Mittelalter und Neuzeit in der Renaissance oder von Vergangenheit und Gegenwart in seiner Bibliothek. 2. Während seiner Genesung in Kreuzlingen beschäftigte er sich mit Johannes Kepler und dessen Lebenswerk, den Planetengesetzen. Im brieflichen Zwiegespräch mit Cassirer zog er die selben Schlüsse wie Kepler zu Beginn des 17. Jahrhunderts und erfasste dessen Theorien vollständig, was stark zu seiner erneuten inneren Festigung und schließlich zu seiner Genesung beitrug. Da Kepler errechnet hatte, dass die Bahnen der Planeten um die Sonne

25 elliptisch sind, was nach der beginnenden Akzeptanz des heliozentrischen Weltbildes eine zweite große Zäsur in der Astronomie der Renaissance darstellt, etablierte sich laut Warburg auch hier der „... Fortschritt vom bildhaften zum mathematisch-zeichenmäßigen Denken.“ Warburg weiter: „Ich hatte das Drama, ‚Wie die Ellipse den Kreis überwindet’, als Höhepunkt des um Aufklärung ringenden modernen Menschen richtig ohne Hilfsmittel erwittert.“49 Dieses Erlebnis schien die Bedeutung der Ellipse für Warburg noch einmal zu untermauern. 3. Den Kreis lehnte Warburg als Form für seinen Lesesaal ab. Er war ihm aufgrund seiner richtungslosen Form zu statisch. Die Ellipse jedoch baut seiner Meinung nach ein gerichtetes Energiefeld auf, „... dass den Nutzern des Lesesaals später ein Gefühl gespannter Konzentriertheit vermittelt.“50 4. Außerdem hatte die Wahl dieser Form noch praktische Gründe: Für die bereits damals stattfindenden Vorträge war ein elliptischer Vortragssaal vom visuellen und akustischen her die beste Lösung.

Was die Einrichtung des Lesesaals angeht, so ist zu berichten, dass er nun als Arbeits- und Vortragsraum genutzt werden kann. Als täglicher Arbeitsraum bot er Platz für ca. 20 Personen, für einen Vortrag mussten die Arbeitstische entfernt und durch Stühle ersetzt werden. Den Informationsbestand des Lesesaals bilden bibliographische Handbücher (ca. 1.500 Bände), zahlreiche Zeitschriftenbände (ca. 2.500) sowie die aktuelle Zeitschriftenauslage.51 Über die Anschaffung von Standardwerken zu den einzelnen Wissenschaften oder von allgemeinen bibliographischen Handbüchern, welche nach Warburgs Meinung nicht unbedingt notwendig war (oder nur, wenn es seine Themenkreise berührte), gab es mit Saxl Differenzen, über die im nächsten Abschnitt noch gesprochen wird.

Die Arbeit der Nutzer, welche nicht zum „Kreis“ der KWB (Angestellte, Hilfskräfte, „befreundete“ und geförderte Forscher) gehörten, war nun auf den Lesesaal beschränkt. Als die Bibliothek noch in Warburgs Wohnhaus untergebracht war, waren

48 Quelle des Bildes: eine Website der Universität von Lissabon: http://www.educ.fc.ul.pt 49 beide Zitate: Stockhausen, S. 38 50 vgl. Ebd. 51 Ebd., S. 81 26 alle Bücher in den unterschiedlichen Zimmern frei zugänglich. Nach dem Umzug in das Nachbarhaus waren die Bücher mit Ausnahme der im Lesesaal aufgestellten Werke im Magazin konzentriert, zu dem aus Gründen der Enge in Treppenhaus und Magazin sowie zur Vermeidung von Unruhe nur der oben genannte Kreis Zugang hatte.52 Die Mitglieder dieses Kreises wechselten oft: Es waren meist Professoren der Universität und junge Wissenschaftler, welche gerade an ihrer Dissertation arbeiteten und durch Warburg mit einer bibliothekarischen Aufgabe betraut worden waren, wie in Abschnitt II. 6. geschildert.

Der zweite architektonische Teil der Bibliothek, dessen Einrichtung auf Theorien Warburgs zurückgeht, ist demnach das Magazin. Der Standort, an dem, im Gegensatz zum alten Haus, nunmehr die Mehrzahl der Bücher konzentriert sein sollte, musste aufgrund der vier „Säulen“ der Warburgschen Entwicklungstheorie des Menschen viergeschossig sein. Diese vier Magazingeschosse hatten eine sehr niedrige Deckenhöhe, wobei die Decke nur aus einem metallenen Laufgitter bestand. Die Geschosse waren wie folgt geordnet: 1. „Bild“, 2. „Orientierung“, 3. „Wort“ und 4. „Handlung“. Die genaue Untergliederung sowie die Probleme bei der Zuordnung bestimmter Bücher oder Büchergruppen sollen in Abschnitt III. 5. beschrieben werden.

III. 4. Die Erwerbungspolitik

Es begann kompliziert zu werden, als Warburg sich in das Sanatorium zurückzog. Gleichzeitig trat der Prozess der Institutionalisierung in das Endstadium und Saxl, welcher zwar zuvor mit Warburg einige Jahre zusammengearbeitet hatte, aber doch in einigen Dingen abweichende Vorstellungen besaß, übernahm die Leitung der Bibliothek. Bisher war es so gewesen, dass alles, was Warburg für seine Forschungsschwerpunkte benötigte, angeschafft wurde. Er ging von einem Problem aus (daher wird oft von einer „Problembibliothek“ gesprochen), welches es zu lösen galt. Dafür wurden unterschiedliche Quellen herangezogen und die Suche beim Auftreten eines Folgeproblems entsprechend erweitert. Die KBW hatte ein einziges

52 zu dieser Änderung in der Benutzungsordnung vgl. Ebd., S. 72 f. 27 „Ausgangsproblem“, nämlich das Nachleben der Antike in den verschiedenen Zeiten und Kulturen zu erforschen. Dies jedoch warf so viele neue Fragen und Problemstellungen auf, dass sich die Bibliothek sehr rasch vergrößerte. Hatte Warburg in Hamburg mit 500 Bänden begonnen, so waren es Anfang der zwanziger Jahre ca. 25.000 und vor der Emigration sogar ca. 66.000.53

Über den Erwerbungsetat ließ die Bibliothek nie etwas nach außen dringen. Warburg und seine Brüder, welche Mitglieder des Kuratoriums waren, stellten jedenfalls selbst in der Inflationszeit immer genug Geld aus dem Familienvermögen zur Verfügung. Anfangs, in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Gründung der Bibliothek erst eine Idee in Warburgs Kopf und die Bibliothek selbst noch eine größere Büchersammlung war, musste er seinen Vater in langen Briefen überzeugen, einen Teil des Vermögens bereitzustellen. Sein Bruder sagte später darüber: „Aby war immer zu üppig“ und „Der Bücherankauf war dem Vater zu teuer; die Mutter stand auf dem Standpunkt: ‚Du musst schreiben und studieren, eine Bibliothek kann sich Jeder kaufen.’“54 Letztendlich schien die Überzeugungsarbeit jedoch gefruchtet zu haben, obwohl er trotzdem jedes Jahr mit seinen Brüdern regelrechte Verhandlungen führen musste. Angaben über die genaue Höhe des Budgets erteilte er höchstens engen Forscherkollegen und dies auch nur mündlich.

Das Erwerbungsprofil ist sowohl eng als auch weit gefasst. Eng deshalb, weil alles an Büchern angeschafft wurde, dass Forschungsergebnisse zum Nachleben der Antike vermittelte. Weit deshalb, weil aufgrund der verschiedenen möglichen Deutungen und Lösungsansätze für dieses Problem ein Wissenschaftszweig nach dem anderen in das Erwerbungsprofil integriert wird. Jedoch gab es, nicht zuletzt aufgrund Warburgscher Vorlieben, welche er seit der Zeit seiner Promotion und der Amerika- Reise verfolgte, bestimmte Gebiete, welche ganz gezielt und sehr flächendeckend angeschafft wurden. Dazu gehörten:

S Bildende Kunst (insb. der Renaissance) S Fest- und Kostümwesen

53 vgl. Pfister, S. 61 f. 54 Roeck, S. 30 28 S Archäologie S Religionsgeschichte S Philosophie (besondere Aufstellung derselben s. Abschnitt II. 6.) S Psychologie S Anthropologie S Wissenschaftsgeschichte S Literatur zur „dunklen Seite“ des Menschen (Astrologie, Mythologie, Dämonologie etc.)55

Während Saxl die Leitung der Bibliothek und damit das Vorantreiben der Institutionalisierung innehatte, legte er jedoch Wert darauf, auch Lücken zu ergänzen und allgemein anerkannte Standardliteratur, speziell für den Lesesaal, anzuschaffen. Auch über den Stil des neu zu bauenden Bibliotheksgebäudes gab es zwischen Saxl und Warburg Differenzen: Während Saxl einen avantgardistischen Bau für die Bibliothek favorisierte, setzte Warburg einen Zweckbau durch, der zwar innen nach seinen Wünschen und Theorien gegliedert war, sich außen jedoch harmonisch in das Straßenbild einpasste. Diese Unstimmigkeiten führten dazu, dass Saxl für einige Zeit die KBW verließ und in England eigenen Studien nachging. Über diese Differenzen, auch über den Fakt, dass er nach vierjähriger Leitung der Bibliothek wieder an die zweite Stelle rückte, was ihm schwer fiel, verlor er jedoch in seinen Berichten über diese Zeit später kein Wort; seine Loyalität zu Aby Warburg war entsprechend groß. Auch hatte Warburg den jüngeren Wissenschaftler bereits als seinen Nachfolger ausersehen.56 Da ihn Saxl auch nach seiner Krankheit bei Abwesenheit immer wieder vertrat, kam es auch hier zu einer gewissen Diskontinuität in der Leitung. Erst als Saxl im Jahre 1928 auf Reisen war, fühlte sich Warburg „endlich als Leiter normal genommen“57. Im Tagebuch hatte Warburg nach der großen Italienreise 1929 auch vermerkt, dass er mit Saxl „dornige Gespräche über die ‚Räumung des besetzten Gebietes’“58 geführt hätte, was sich auf die Leitung der Bibliothek bezog.

55 Aufzählung vgl. Pfister, S. 64 56 vgl. Ebd., S. 34 f. 57 Tagebuch, S. 274 58 Ebd., S. 469 29 Zwei Dinge sind noch, was den Bestand angeht, interessant: Der hohe Anteil alter Drucke sowie das Einstellen von Dokumenten, welche keine Bücher sind, in die Buchreihen. Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass eine von Warburgs größten Quellen bei der Erwerbung der antiquarische Handel war. So war es ihm vergönnt, sogar Drucke aus dem frühen 16. Jahrhundert in seine Sammlung zu integrieren. Eine seiner ältesten Schriften im Bestand war eine Handschrift von 1482.59 In der Warburgschen Bibliothek gab es jedoch nichts, was wir heute eine Rara-Sammlung nennen würden. Alle Bücher wurden, egal wie alt oder wertvoll sie aus der Sicht eines konventionellen Bibliothekars oder Bücherfreundes waren, nur dort eingestellt, wo sie thematisch hingehörten. Überhaupt zählte für Warburg beim Sammeln von Büchern lediglich der Inhalt; Form, Alter oder der Wert spielten dabei keine Rolle. Warburg war kein Bibliophiler, der sich eine wertvolle Bibliothek zusammensucht, welche dann mehr oder weniger nicht benutzt werden kann; bei ihm steht jedes vorhandene Medium dem Lösen wissenschaftlicher Probleme zur Verfügung.

Ebenso wie eine Rara-Sammlung fehlte weitgehend die getrennte Aufstellung der gesammelten Nicht-Buch-Materialien. Mit weitgehend ist hier die Weltkriegssammlung gemeint, welche in Karteikästen untergebracht war sowie die gebundenen Zeitschriften, die im Lesesaal ihren Platz hatten. Da Warburg aber auch Broschüren oder andere „Graue Literatur“ sammelte, wenn er ihr habhaft wurde und sie sich mit Themen oder kleineren Problemen seiner Arbeit beschäftigten, wurden diese, streng nach dem geschilderten Prinzip, dass alles zur Bewältigung eines Problems an einem Ort zu stehen hatte (ähnlich dem Pertinenzprinzip im Archivwesen), in Pappdeckel gebunden, signiert und an die entsprechende Stelle in der Systematik gestellt. Nicht nur die Anschaffungs-, auch die Buchbinderkosten müssen enorm gewesen sein.

III. 5. Aufstellung, Klassifizierung, Signierung der Bücher

Dieser Abschnitt soll sich mit dem geistigen Kern der Warburgschen Bibliothek beschäftigen: der Aufstellungssystematik. Hier finden wir das Bindeglied zwischen

59 Pfister, S. 65 30 den von Aby Warburg entwickelten wissenschaftlichen Theorien und einer theoretischen Möglichkeit, Wissen sehr innovativ zu ordnen und dem Nutzer verfügbar zu machen. Auch bei dieser Schilderung geht es nur um den Neubau ab 1926, da aufgrund der zuvor geschilderten Platznot in Warburgs Wohnhaus alle Bücher zwar in Freihandbestand zur Verfügung standen, jedoch auf ungefähr zehn verschiedene Standorte innerhalb des Hauses verteilt waren, was eine sinnvolle Gliederung innerhalb der Aufstellung – in dem von Warburg gewünschten Maße – unmöglich machte.

Wie schon bei der Architektur kurz angerissen, bestanden die Magazingeschosse aus vier Etagen, zu denen nur das Bibliothekspersonal sowie die befreundeten und „Teilangestellten“ Forscher Zutritt hatten. Dies überrascht, wenn man bedenkt, dass Warburg so viel Wert auf den Freihandbestand legte. Zieht man jedoch die baulichen Gegebenheiten dazu, wie in Abschnitt III. 3. geschildert, so kommt doch Verständnis dafür auf, da man Unruhe im Lesesaal und viel Betrieb in der Enge des Magazins vermeiden wollte. Außerdem hatten diejenigen, welche Warburg ihr Anliegen geschildert hatten oder sogar teilweise einer Beschäftigung in der Bibliothek nachgingen, ihm also quasi am Herzen lagen, sowieso Zutritt.

Jede Etage war einer von Warburgs Schlagworten der menschlichen Deutung von Eindrücken zugeordnet. Ohne nochmals auf die bereits geschilderten Diskrepanzen in der Schilderung des Personals und die Verwirrung um die Unterschiede Hamburg vs. London einzugehen, waren dies mit den dazugehörigen Wissensgebieten:

1. Etage – „Bild“: I. Theorie der Bildgestaltung – Ästhetik II. Literarische Quellen zur Bildgeschichte III. Ikonographie der neueren Kunst IV. Kunsttopographie V. Urgeschichte der Kunst, Kunst der Naturvölker VI. Kunst des Orients VII. Klassische Archäologie VIII. Antike in Südrussland, Kunst der Völkerwanderung

31 IX. Altchristliche Kunst X. Miniaturen XI. Italienische Kunst seit dem Mittelalter XII. Geschichte der Architektur (außerhalb Italiens) XIII. Geschichte der Plastik (außerhalb Italiens) XIV. Geschichte der Malerei (außerhalb Italiens) XV. Buchdruck und Buchillustration XVI. Kunstgewerbe XVII. Geschichte des Kunstsammelns XVIII. Das Nachleben der antiken Kunst

2. Etage – „Orientierung“: I. Das Symbol im Dienste der Orientierung II. Religion III. Magische Praktik (Zauberei) und die aus ihr sich entwickelnden Naturwissenschaften IV. Divination V. Kosmologie VI. Philosophie

3. Etage – „Wort“: I. Sprachphilosophie II. Klassische Literaturen III. Literarische Transmission des klassischen Bildungsgutes IV. Geschichte des Bildungswesens V. Nationale Literaturen

4. Etage – „Handlung“: I. Theoretische Grundlagen II. Geschichtliche Grundlagen III. Morphologie des sozialen Lebens60

32 Diese Aufstellung aus dem Ende der zwanziger Jahre ist nicht die eigentliche Systematik, sondern eine vereinfachte Darstellung der Themengebiete. Sie zeigt lediglich die erste Ebene (römische Zählung) der Systematik, welche insgesamt vier Stufen hat. Auf die römische Zählung folgen bei dieser Aufstellung eine lateinische Zählung als zweite Ebene, Kleinbuchstaben als dritte Ebene und simple Anstriche bzw. Unterpunkte als vierte Ebene, welche allerdings nur bei besonders stark zu untergliedernden Bereichen benutzt wird. Diese drei bzw. vier Ebenen spiegeln sich dann bei den fertig signierten Büchern in den drei Farbstreifen und der Zählung wieder, auf die weiter unten eingegangen wird. Auffällig ist hierbei, dass der Bereich „Bild“, also das 1. Geschoß, schon in der ersten Ebene am stärksten gegliedert ist. Dies liegt sicherlich daran, dass die Beschäftigung mit dem „Bild“ der Ausgangspunkt der Warburgschen Forschungen ist und Literatur zur Kunstgeschichte sehr großzügig angeschafft wurde, was die Anschaffungslisten belegen.61

Um den Unterschied zwischen dieser und einer herkömmlichen Systematik aufzuzeigen, soll nachfolgend der Punkt „Orientierung V.“, also „Kosmologie“, näher betrachtet werden:

V. Kosmologie 1) Astrologie a) Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Astrologie b) Astralmythologie - Tierkreiszeichen - Planeten c) Astrologie und Bild 2) Astronomie 3) Orientierung in der Zeit a) Geschichte in der Zeitbestimmung b) Kalender; Almanache c) Prognostika

60 vgl. Stockhausen, S. 192 ff. 61 Nach dem I. Weltkrieg, in dessen Zeit sehr viel Literatur zu diesem angeschafft wurde, hielt die Kunstgeschichte immer die relative Mehrheit an Neuanschaffungen; im Jahre 1925 z. B. betrug ihr Anteil 26,9%. Vgl. Ebd., S. 191 33 d) Meteorologie e) Periodenlehre 4) Orientierung im Raume a) Astronomische und nautische Instrumente b) Geschichte der geographischen Forschung c) Kartographie62

Zunächst ist anzumerken, dass die Themenkomplexe der Systematik sich mehr als gewöhnlich bei Systematiken der Struktur des zu behandelnden Wissens- bzw. Problemgebietes angleicht. Hier ist nicht vorher eine Systematik geschrieben worden, in welche dann die Bücher eingeordnet werden; Hier wurde der Buchbestand genau studiert und dann, nur um diesen Buchbestand zu erschließen, diese Systematik konstruiert. Auch stehen hier Wissensgebiete nebeneinander, welche sonst strikt voneinander getrennt wären: Die Astronomie und die Astrologie. In einer herkömmlichen Systematik würde die Astronomie als „richtige Wissenschaft“ bei den Naturwissenschaften zu finden sein, während die Astrologie zusammen mit allen anderen magischen oder metaphysischen Themen eher bei der Psychologie zu finden wäre. Laut Warburgscher Theorie wird hier jedoch vergessen, dass der Mensch erst durch das mythische Betrachten der Sterne, durch das Untergliedern in Sternbilder und ähnliche Konstellationen, in sich das Interesse für die wissenschaftliche Erforschung der Sterne geweckt hat. Einerseits wird hier wieder die Entwicklung vom mythisch-fürchtenden hin zum wissenschaftlich-errechnenden Denkansatz sichtbar, andererseits findet man auch die „Pendelbewegung“ zwischen den beiden Denkansätzen wieder, da mit diesem Wandel, welcher in der Renaissance begann, die mythische Betrachtung der Sterne ja nicht beendet war, sondern bis in unsere heutige Zeit andauert, was den noch heute beliebten Konsum von Horoskopen erklärt. Insofern ist es laut Warburg wichtig, die beiden Denkansätze eines Problemfeldes, in diesem Fall die Sternenbetrachtung, in einem gemeinsamen kulturhistorischen Zusammenhang zu sehen und die Literatur über beide Felder möglichst nah beieinander zu haben.

62 Ebd., S. 198 34 Diese Aufzählung von Unterschieden zwischen „herkömmlichen“ Systematiken und der Warburgschen lässt sich beliebig fortsetzen. Auch das Kalenderwesen und die Chronologie, obwohl geradezu abhängig von den Sternen, werden sonst den historischen Hilfswissenschaften und damit der Geschichte zugeordnet. Was damit gesagt sein soll, ist: Bei der Konstruktion der Systematik wurde, genau wie bei den Warburgschen Forschungen, von einem Problem ausgegangen und die „Kreise“ um das Problem konzentrisch erweitert. Bei einer Suche nach kulturwissenschaftlicher Literatur, die sich mit dem Sternglauben und der Beschäftigung des Menschen mit den Sternen auseinandersetzt, erfolgen die Assoziationen „Astronomie“ und „Astrologie“ sehr bald nacheinander. Der Nutzer möchte sich ein Thema aussuchen und dann die Suche konzentrisch erweitern und nicht von den Naturwissenschaften zur Psychologie und von dort zur Geschichte „springen“ müssen, was den Gedankenprozess des Suchens und Findens unterbrechen würde. Mit einem Wort: Das Warburgsche Ordnungsschema unterstützt den gedanklichen Suchprozess im Kopf mit, da es selbst assoziativ aufgebaut ist.

Bereits vor dem Umzug in das neue Haus und der Grobgliederung in vier Bereiche wurde, von einer Idee Bings ausgehend, ein farbiges Signierungssystem entwickelt. Saxl schrieb in einem Brief an Warburg 1922:

„Ich will nicht, dass in der Bibliothek ewig gesucht wird! Dieses Suchen kostet Nerven und die dürfen nicht verschwendet werden an solche Dummheiten... Das Signierungssystem denke ich mir so, dass wir acht Grundfarben nehmen, die in Gruppen zu drei Teilen sind und dann innerhalb der drei immer variieren. Jede Abteilung bekommt eine Farbe, z.B. schwarz-rot-grün; wird durch Unvorsichtigkeit das Buch verstellt, so schreit die Farbe sofort heraus: schwarz- rot-grün steht dann z.B. in einer Abteilung weiß-gelb-blau. Das ist das System, das ich aus großen Bibliotheken kenne, und das, wie ich glaube, sich sehr bewährt hat.“63

Jedes Buch bekam also eine Signatur, welche aus drei farbigen Streifen sowie einer Nummer bestand. Der erste Farbstreifen stand für das klassische wissenschaftliche Fach, der zweite und dritte dann jeweils für eine chronologische, geographische oder thematische Unterteilung des Fachs. Sinn der Sache war, dass die Farben den Nutzer

63 „Exhibition: Privatbibliothek to World Wide Web: Images from the history of the Warburg Library“ auf der Website der Universität Hamburg. http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/WIL6.html 35 (dieses System stammt noch aus der Zeit der Freihandbibliothek) inspirieren und zu weiteren relevanten Büchern führen sollte. Die Farbstreifen hatten immer die selbe oder eine ganz ähnliche Bedeutung, egal auf welcher Ebene der Signatur sie zu finden waren, was darauf hindeutet, dass hier eindeutig Elemente der Facettenklassifikation verwendet wurden. Die abschließende Zahl, welche anfangs mit sehr groben Lücken vergeben wurde, um eine Erweiterung zu ermöglichen, stellte eine weitere Gliederung dar. Zwei Beispiele für Signaturen:

1. Cumont, Die Mysterien der Mithra: hellgrün (Religion) zinnoberrot (historisch, vor Christi Geburt) violett (hellenistische Mysterienreligionen) Nummer 25 (persische Herkunft)

2. Al-Farabi, Das Buch der Ringsteine: dunkelgrün (Philosophie) dunkelbraun (Texte) hellrot (orientalisch des Mittelalters) Nummer 10 (Araber)64

Innerhalb dieser „Signatur“ (3 Streifen + Zahl) konnten sich sehr wenige, aber auch einige hundert Bücher befinden. Der genaue Standort des Buches innerhalb dieser Signatur war dann nicht genau definiert, was dazu führte, dass auch die Angestellten, welche dann später im Neubau die Bücher aus den Magazinen holten, erst eine Weile suchen mussten. Die Angestellten mussten sich also sehr genau mit den inhaltlichen Aspekten der Bibliothek und mit den Gedanken, welche zu dieser Gliederung geführt hatten, auseinandersetzen. Außerdem war das Signierungssystem so konzipiert, dass man schnell Bereiche zusammenlegen oder trennen konnte, was davon abhing, welche Erkenntnisse die Wissenschaftler um Warburg, der meist über die einzelnen Projekte der Leser informiert war, aus diesen Beständen zogen und welche Fortschritte die Bereiche der Kulturwissenschaften im allgemeinen machten. So kam es, dass der größte Teil der täglichen Arbeit für die Bibliothekare und

36 studentischen Hilfskräfte über Jahre hinweg darin bestand, einzelne Bereiche von Büchern umzusortieren. Auch das Einstellen der Neuanschaffungen wurde kein stumpfsinniges Einordnen in vorbestimmte Systematikgruppen. Mit jedem Buch musste sich intellektuell beschäftigt werden und wenn es nicht in eine bestehende Signatur passte, wurde extra für dieses Buch eine neue geschaffen.65

Das System der farbigen Streifen musste schließlich nach der Emigration der Bibliothek aufgegeben werden, da die Farben durch das Sonnenlicht verblassten und so sehr ähnliche Farben wie orange und hellrot nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, was dem System seinen Sinn nahm. Aufbauend auf dieses System wurde am Warburg Institute ein neues Signierungssystem mit Buchstaben geschaffen, welches im übernächsten Abschnitt nach der Beschreibung der Emigration angerissen wird.

III. 6. Die Emigration nach London 1933

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 verschlechterte sich die Lage für die Bibliothek Warburg zusehends. Warburg selbst und viele seiner Mitarbeiter, Kollegen und Freunde waren Juden und somit Einschränkungen ausgesetzt, was den Lehrbetrieb anging. An der Universität wurde bald die Leitung durch eine den Nationalsozialisten freundlicher gesinnte ersetzt und so hatten es Professoren wie Cassirer und Panofsky schwerer, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Gerade in den Fächern der Kulturwissenschaft waren viele Denkansätze den Nazis ein Dorn im Auge. So schrieb einige Jahre nach der Emigration der KBW ein in Deutschland gebliebener und mit dem neuen System offensichtlich auf gutem Fuß stehender Kunsthistoriker: „Das Ausscheiden der jüdischen Kunstgelehrten aus Forschung und Lehre befreite von der Gefahr eines allzu begrifflichen Denkens, dessen Richtung – dem Wesen unserer Kunst ebenso fremd wie dem unserer Wissenschaft – der Auswirkung rein deutscher Forschung hinderlich sein konnte.“66 Da solche und ähnliche Töne jetzt überall in Deutschland an der Tagesordnung

64 Stockhausen, S. 77 f. 65 zum System der Signierung vgl. Pfister, S. 76 ff. sowie Stockhausen S. 76 ff.

37 waren, beschloss man in der KBW im Laufe des Jahres 1933, seine Fühler in Richtung Großbritannien oder USA auszustrecken.

Warburg selbst erlebte den Aufstieg der Faschisten nur noch in Ansätzen. Durch die Wirtschaftskrise, welche 1929 ausbrach, bekamen sie in großen Teilen der Arbeiterschaft und auch des Bürgertums eine große Anhängerschaft. Der Wissenschaftler Edgar Wind, welcher Ende der zwanziger Jahre einer von den Mitgliedern des Kreises um die Bibliothek Warburg war, welche sowohl Lehrtätigkeiten an der Universität als auch bibliothekarische Tätigkeiten in der KBW durchführten, schrieb dem in Italien weilenden Warburg einen Brief, in dem er ihn vor den Gefahren des Nationalsozialismus für die Wissenschaft einerseits und für das deutsche Judentum andererseits warnte. Kurz darauf starb Warburg jedoch und bekam die weitere Verschlimmerung der Lage nicht mehr mit. Viele Wissenschaftler an der Hamburger Universität lehnten es jedoch ab, Winds Warnungen Glauben zu schenken und traten immer noch für die politische Neutralität der Wissenschaft und der Universitäten ein. So kam es, dass es bereits zu Anfang der dreißiger Jahre Anzeichen einer „Selbstgleichschaltung“67 der Universitäten gab. Als dann die tatsächliche Machtergreifung der NSDAP 1933 eintrat, war es für sie ein leichtes, die Universitäten von unbequemen Geistern einerseits und von so genannten „Nichtariern“ andererseits zu reinigen, da sie bereits über heimliche Sympathisanten oder zumindest über Personen verfügte, die unpolitisch genug waren, die Ziele der Nazis zu tolerieren. Viele der Professoren, gerade der Geisteswissenschaften, verließen dann freiwillig den Lehrbetrieb, da sie die Einschnitte, welche ihnen von der neuen Führung gemacht wurden, nicht mittragen konnten. Einer der damaligen Hochschullehrer schrieb 1953:

„Als vor zwanzig Jahren der neue Rektor sein Amt an unserer Universität Hamburg übernommen hatte, versuchte ich, in einem sehr offenen Gespräch ihm darzulegen, dass sich gerade an unserer Universität die Maßnahmen nicht durchführen ließen, die überall drohten, und ihm mit sachlichen Argumenten zu zeigen, dass damit das Fundament der Wissenschaft zerstört würde. Ich bekam zur Antwort: „Glauben Sie denn, dass sich unter den Professoren ein wirklicher

66 Diers, Michael: Porträt aus Büchern – Stichworte zur Einführung. In: Porträt aus Büchern, S. 12 67 vgl. Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg nach England – Edgar Wind und die Emigration der Bibliothek Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 92 f. 38 Widerstand regen wird, wenn wir das tun, was wir für richtig halten?“ Ich habe mich selten in meinem Leben so tief geschämt wie damals.“68

Da die wichtigsten Mitarbeiter der KBW (Saxl, Bing, Wind) sowie viele der Hochschulprofessoren (u. a. Cassirer) jüdischen Glaubens waren, konnte die Bibliothek Warburg nicht länger in Deutschland bleiben, ohne mit Repressalien gegen die Mitarbeiter oder die Bibliothek selbst rechnen zu müssen. So wurde Edgar Wind im Frühjahr 1933 quasi auf Erkundungsmission geschickt, um in Großbritannien zu ermitteln, wie die Einwanderung der gesamten Bibliothek Warburg zu bewerkstelligen wäre und ob man sie mit offenen Armen empfangen würde. Parallel dazu hatte sich Saxl, der nunmehrige Direktor der Bibliothek, an Warburgs Brüder gewandt um mit deren Hilfe eine eventuelle Niederlassung in den USA zu arrangieren. Es stellte sich jedoch heraus, dass in den USA weniger Interesse an einer kulturhistorischen Einrichtung dieser Art bestand.

In England hatte sich unterdessen eine Gesellschaft gegründet, welche sich „Academic Assistance Council“ nannte und als Hilfsorganisation für emigrierte deutsche Wissenschaftler tätig war. Einige Vertreter statteten der Bibliothek im Sommer 1933 einen Besuch ab, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Nach diesem Treffen ging es Schlag auf Schlag: In Verhandlungen, welche teils in Hamburg und teils in London stattfanden, wurden zunächst finanzielle Zusagen gemacht, später wurde das Problem der Räumlichkeiten vorläufig gelöst und im Oktober desselben Jahres gelang es Saxl, eine Einladung der KBW nach London für drei Jahre zu erreichen. Parallel dazu hatten Warburgs Brüder mit Hilfe des amerikanischen Generalkonsuls erreicht, dass die KBW als amerikanischer Besitz deklariert wurde, um Beschlagnahmungen durch die Nationalsozialisten zu verhindern. Nach zähen Verhandlungen und der Zusage seitens der KBW, ca. 2.000 Bände zum Ersten Weltkrieg nicht mit in die Emigration zu nehmen, konnte die gesamte Bibliothek mit allen Möbeln und Geräten auf die Frachter „Hermia“ und „Jessica“ verladen werden.69 So verließ am 12. Dezember 1933 eine der

68 Ebd., S. 95 69 vgl. Diers, Michael: Porträt aus Büchern – Stichworte zur Einführung. In: Porträt aus Büchern, S. 9 39 innovativsten Einrichtungen dieser Art – im kulturhistorischen wie im bibliothekarischen Sinne – Deutschland für immer.70

Bereits im Mai 1934 konnte die Bibliothek Warburg, welche nun „The Warburg Institute“ hieß, den Betrieb wieder aufnehmen. Sie war nun in Thames House, London, angesiedelt. Dazu beigetragen hatten nicht nur die Mitarbeiter selbst, welche fast alle ebenfalls emigriert waren, sondern auch Warburgs Brüder, der englische Kunstsammler Samuel Courtault sowie eine Reihe privater Kunstsammler und Mäzene, welche sich zur „Warburg Society“ Zusammengeschlossen hatten, deren Ziel es war, das Institut endgültig und fest in England zu etablieren.

Zu diesem bewährten Kreis von Mitarbeitern und Freunden stießen dann im Laufe der dreißiger Jahre auch einige aus Deutschland ebenfalls emigrierte Wissenschaftler. Ein Beispiel dafür ist der spätere Direktor des Hauses, Ernst H. Gombrich. Die weitere Entwicklung bis zur endgültigen Institutionalisierung soll hier kurz zusammengefasst werden: 1936 drohte das erneute Aus für die Bibliothek, da der Vertrag von 1933 mit den Mäzenen, welche die Übersiedlung begleitet hatten, auslief. Abermals schaltete sich Samuel Courtault ein und vermittelte den Umzug der Bibliothek in eins der Gebäude in den Imperial Institute Buildings, aus denen gerade die Bibliothek der University of London auszog. Als der II. Weltkrieg ausbrach, mussten die Buchbestände aus diesen Gebäuden ausgelagert und in Räumen, welche unter bibliothekarischen Gesichtspunkten schädlich sind, untergebracht werden. Während eines Bombardements der deutschen Luftwaffe kam einer der engsten Mitarbeiter des Institutes, der Bibliothekar Hans Meier, ums Leben und ein fast druckfertiger dritter Band der „Bibliographie zum Nachleben der Antike“ wurde vernichtet. Bei einem weiteren Bombardement verbrannte auch ein Teil des Katalogs.

Trotz aller Schwierigkeiten in den dreißiger und Anfang der vierziger Jahre bemühten sich die Mitarbeiter der Bibliothek doch, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Außerdem wurden Gefälligkeiten und Freundschaftsdienste geleistet sowie eine große Ausstellung organisiert, welche Fotos von nicht zugänglichen Kunstwerken zeigte und

70 zu den Verhandlungen und Schwierigkeiten vgl. Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg nach England – Edgar Wind und die Emigration der Bibliothek Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 96 ff. sowie Pfister, S. 42 f. 40 für die Londoner Bevölkerung bestimmt war, die das Angebot in den Kriegszeiten auch gern annahm. Als der Vertrag für die Räume und Unterstützung ebenfalls gekündigt wurde und aufgrund der geschilderten Ereignisse, sah sich das Warburg Institute im Jahre 1943 fast der Auflösung oder der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten gegenüber. Auch lag ein Angebot vor, welches von der Library of Congress und der ausgesprochen wurde und auch den Unterhalt sicherte. Saxl jedoch fühlte sich den Briten, welche ihn zehn Jahre lang unterstützt hatten, zu sehr verpflichtet. In diesem Moment bekam das Institut die Chance seines Lebens: Es sollte als kunsthistorisches Institut der University of London angegliedert werden. Es hatte sich nämlich bei einer Studie, an der auch die British Library beteiligt war, herausgestellt, dass 30% der Bücher, welche die Bibliothek des Warburg Institute im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte, in den Beständen der British Library fehlten.71 Daraufhin äußerte sich die britische Nationalbibliothek dahingehend, dass sie die Bestände der Warburgschen Bibliothek gern als Ergänzung zu ihren eigenen Sammlungen in ihrer Nähe wissen wollte. Ein entsprechender Übergabevertrag zwischen der Universität und der Familie Warburg wurde dann 1944 unterzeichnet. Damit wurde die endgültige Institutionalisierung der emigrierten Bibliothek Warburg in London abgeschlossen.72 In einem kleinen Aufsatz aus dem Jahre 1944 nimmt Saxl auf die Situation seiner Bibliothek sowie auf die weltpolitische Situation Bezug und schreibt abschließend:

„So wurde ein von einem deutschen Gelehrten geschaffenes Institut von seinen Stiftern, in der Mehrzahl amerikanischen Bürgern, einer britischen Universität übergeben, mit dem Wunsch, dass es den Wissenschaftlern dieses Landes dienen und sich dem internationalen Kreise der gelehrten Gesellschaften als ein würdiges Mitglied einreihen sollte. Vielleicht kann es auf seine bescheidene Weise dazu beitragen, dem Humanismus in der Welt wieder seine Geltung zu verschaffen.“73

III. 7. Die Wirkung der Bibliothek auf die jeweiligen Zeitgenossen

71 Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In: Knowledge Organisation – 22(1995),1, S. 25 72 zu den Problemen der Anfangszeit in London vgl. Pfister, S. 44 ff. sowie Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg nach England – Edgar Wind und die Emigration der Bibliothek Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 110 ff. 73 Saxl, Fritz: Das Warburg-Institut. In: Porträt aus Büchern, S. 131 41 In diesem Abschnitt soll darauf eingegangen werden, wie die Bibliothek Warburg und später das Warburg Institute auf diejenigen gewirkt hat, welche sie für ihre Forschung genutzt haben. Dabei ist es sicher am besten, noch einmal die Mitarbeiter selbst zu Wort kommen und sie erklären zu lassen, wie sich die Bibliothek selbst sieht. Fritz Saxl schrieb beispielsweise in einem Artikel über die Bibliothek:

„Die Bibliothek Warburg ist sowohl Bibliothek wie Forschungsinstitut. Sie dient der Bearbeitung eines Problems, und zwar so, dass sie erstens durch Auswahl, Sammlung, und Anordnung des Bücher- und Bildmaterials das Problem, das sie fördern will, darstellt und zweitens die Resultate der Forschungen, die sich auf dieses Problem beziehen, veröffentlicht.“74

Diese zwei Dinge – darstellen und veröffentlichen – sind die Grundpfeiler der Warburgschen Bibliothek. Sie ist einerseits ein „Museum“, in dem die Probleme in Form von Büchern, Fotos und anderen Medien und ihrer Anordnung dargestellt werden, andererseits ist sie ein „Labor“, in dem die Probleme, auf die gestoßen wurde, mithilfe der vorhandenen Materialien gelöst und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Viele Benutzer haben damals, wenn sie zum Kreis derer gehörten, die die Magazine betreten durften, sich aus Neugier vor die Regale gestellt und unwahrscheinliche Entdeckungen gemacht. Gertrud Bing beschreibt es so:

„Ich würde Heinz Brauer deshalb den Besuch der Magazine nicht verwehren, [...] Er hat in den letzten Wochen wichtige und ihn selbst sehr beglückende Funde gemacht durch dieses „browsing“ (Frl. Reichardts Ausdruck.)“75

Dieser völlig andere Ansatz, eine Bibliothek zu gründen, zu führen und auszubauen, ist nicht unumstritten. Wenn man sich nicht auf das „Gedankengebäude“ des Gründers Warburg einlässt, kann man die Ordnung der Warburgschen Bibliothek schnell für ein ausgewachsenes Chaos halten. Mitte der neunziger Jahre hat sich ein Team von drei Wissenschaftlern der Universität Oulu in Finnland mit dem Klassifikationsschema der Bibliothek des Warburg Institute auseinandergesetzt. Die Wissenschaftler unterzogen das Klassifikationsschema mit dem Stand 1995 einer Analyse und wiesen daran die wissenschaftlichen Herangehensweisen Aby Warburgs nach. Zum Vergleich zu der in Abschnitt III. 5. geschilderten Aufstellung und

74 „Exhibition: Privatbibliothek to World Wide Web: Images from the history of the Warburg Library“ auf der Website der Universität Hamburg. http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/WIL6.html 75 Tagebuch, S. 123 42 Klassifikation sollen hier noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie genannt werden.

Wie schon erwähnt wurde bereits zu Anfang der dreißiger Jahre die Farbstreifen durch ein System von Großbuchstaben ersetzt. Das System, welches an die Facettenklassifikation erinnert, bleibt jedoch unangetastet bzw. wird nur im Sinne Warburgs erweitert und verbessert. Die vier Säulen der menschlichen Deutung von Ereignissen existieren immer noch, auch wenn seit den fünfziger Jahren und dem Umzug an den Londoner Woburn Square „Orientierung“ und „Wort“ die Plätze getauscht haben, was zu dem in Abschnitt II. 5. besprochenen und von Gertrud Bing beschriebenen gedanklichen Kreis führt. Zu den „Säulen“ gehören jetzt folgende Klassen (general subject areas), welche durch den ersten Buchstaben der Signatur gekennzeichnet werden:

„Image“: C = European post-classical art K = Pre-classical & Eastern art, Minoan, Greek & Roman art „Word“: N = Humanism, survival of classical literature, books and manuscripts, education E = Classical & Modern literatures „Orientation“: A = Philosophy G = Eastern religions, ancient & modern B = Comparative, Graeco-Roman & Christian religion F = Magic & Science „Action“: D = Social history H = Political history76

76 vgl. Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In: Knowledge Organisation – 22(1995),1, S. 25 43 Auf diese Oberklassen folgen der zweite und dritte Buchstabe, wobei die Bedeutung derselben an den verschiedenen Positionen unterschiedlich ist. Das folgende Schema soll die Bedeutung der drei Buchstaben und ihre Beziehung zueinander veranschaulichen:

Buchstabe 1 ist immer das „general subject area“

Buchstabe 2 kann folgende Bedeutung haben: systematische Unterteilung historische Unterteilung geographische Unterteilung

In diesem Fall ist Buchstabe 3: In diesem Fall ist Buchstabe 3: In diesem Fall ist Buchstabe 3:

historische und geographische und systematische und geographische Unterteilung systematische Unterteilung historische Unterteilung77

Gleichzeitig gibt es einige spezielle Eigenschaften dieser Unterteilung zu beachten. Die Bibliothek des Warburg Institute trennt streng zwischen den „Sources“ und den „Studies“. Ähnlich der Unterteilung in Primär- und Sekundärquellen in der Geschichtswissenschaft sind die „Sources“ hier Bücher, welche sich mit dem Thema selbst befassen und „Studies“ sind Bücher, welche eine wissenschaftliche oder historische Aufarbeitung der Themen beinhalten. Die Bücher, welche den Quellen zugeordnet werden, tragen als dritten Buchstaben quer durch alle Themen immer das H, welches an dieser Stelle für „general“ steht. Eine weitere Unterteilung erfolgt dann durch die Zahl, welche auf die Buchstaben folgt, wobei es immer noch so ist, dass es keine spezifischen Signaturen für einzelne Bücher gibt. Die folgende Tabelle soll ein Beispiel für die Hierarchie geben:

F: Magic & Science FO: ZOOLOGY, BOTANY, PHARMACY

SOURCES FOH 50 ff Zoology 520 ff Botany 2005 ff Mineralogy

77 diese Tabelle wurde erarbeitet nach Ebd., S. 26 44 STUDIES FOF Biology FON Zoology FOM Botany FOB Mineralogy FOG Pharmacy78

Viel wichtiger als die Hierarchie sind jedoch die weiteren Eigenschaften dieses Klassifikationssystems. Viele wurden bereits angerissen und sollen hier nur noch einmal kurz genannt sein:

Das Aufteilen der Philosophie und die Unterbringung der Bücher bei den jeweiligen „Philosophien“ der Unterthemen wird auch weiterhin praktiziert. Nur die allgemeine Philosophie verbleibt bei dieser Gruppe (siehe Abschnitt II. 6.) Dies gilt ebenfalls für andere Themen, deren Bestände zur Lösung anstehender wissenschaftlicher Probleme oder zur Betrachtung eines Phänomens aufgeteilt werden können.

Auch das „Prinzip der Guten Nachbarschaft“ wird weiterhin erfolgreich angewandt. Die Bücher über ein Phänomen werden mit derselben Notation versehen wie literarische oder kunsthistorische Betrachtungen über dieses Phänomen. Hier gilt weiterhin: Die Bibliothek Aby Warburgs ist eine „Problembibliothek“. In einem Regal nebeneinander stehen unter der Notation DCA 1320 (Fools) beispielsweise: S Der weise Narr in der englischen Literatur von Erasmus bis Shakespeare S Clowning. An Exhibition Designed and Catalogued for Nottingham Festival 1977 by Rattenburg S Fools and Folly: During the Middle Ages and the Renaissance S Hofnarren im Mittelalter S Iconographical Notes towards a Definition of the Medieval Fool S Dwarfs and Jesters in Art S A Social History of the Fool S The Fool: His social and Literary History79 Hier werden Ansätze der Literaturwissenschaft, der Kunstgeschichte und der Sozialgeschichte zu einem Phänomen unter einer Notation zusammengefasst.

78 Ebd. 79 Ebd., S. 26 f. 45 Außerdem werden die Polaritäten, welche sich aus den zwei unterschiedlichen Deutungsweisen ergeben, verwendet. So gibt es sogar ein „general subject area“, welches schon beide Polaritäten enthält: Magic & Science. Auch das kulturhistorische Phänomen der Alchimie beispielsweise wird mit der heutigen Chemie in einer Notation zweiten Grades zusammengefasst. Auch das bereits angerissene „Gedächtnis der Menschheit“ wird unter der Überschrift „Memory and Symbol“ in die Nähe der Psychologie gebracht, was größtenteils mit Warburgs Gedanken und Denkweisen zusammenhängt, auf welche man sich auch in der heutigen Bibliothek noch einlassen muss.

Wenn man also ein Phänomen der Kulturgeschichte in dieser Bibliothek untersuchen will, benötigt man einen möglichst speziellen Ausgangspunkt. Dafür sind die Ordnung und die Klassifikation da. Wenn man diesen Punkt gefunden hat, kann man das Prinzip des browsings anwenden und wird Literatur zu den Dingen finden, welche man untersucht, aber auch zu Dingen, die man nicht untersucht. Hier besteht die Gefahr des Chaos, welchem man nur mit einer gewissen Einschränkung des Themas und der Suche Herr werden kann. Eine Bibliothek, welche dem menschlichen Geist nachempfunden ist, sieht sich ebenfalls mit einer Polarität konfrontiert: Die Ordnung in der Bibliothek, welche notwendig ist, um die benötigte Literatur zu finden – oder im Falle der Warburg-Bibliothek, um an den Ausgangspunkt der eigenen Suche zu kommen – wird hier verbunden mit dem Chaos des menschlichen Geistes, welcher durch seine Gabe, assoziativ zu denken, die Suche stark verbessern kann, da man nur im Kopf genau weiß, was man wirklich sucht. Insofern sind beide Faktoren, Chaos und Ordnung, notwendig, um eine derartige Bibliothek zu betreiben.80

80 vgl. Ebd., S. 29 46 IV. Die bibliothekstheoretischen Methoden Warburgs – eine Zusammenfassung

In diesem Kapitel soll eine Zusammenfassung der in den Kapiteln II. und III. gewonnenen Erkenntnisse erfolgen, mit dem Ziel, die Besonderheiten herauszustellen, welche die Bibliothek Warburg oder eine hypothetische, ähnlich einzurichtende und zu betreibende Bibliothek zu einer Besonderheit machen.

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass es sich um eine Bibliothek von Wissenschaftlern für Wissenschaftler handelte und handelt. Das gesamte System der Klassifikation ist im Kopf von Wissenschaftlern mit bibliothekarischen Erfahrungen, ohne das Zutun von rein bibliothekarisch ausgebildetem Personal, entstanden. Das hat den historischen Grund, dass diese Bibliothek durch Aby Warburg nicht angelegt wurde, um eine Bibliothek zu besitzen, sondern um Probleme seiner Forschungen lösen zu können. Auch Vorgänge, die für eine konventionelle Bibliothek von existentieller Bedeutung sind, wie eine kontrollierte Erwerbung und Katalogisierung, gab es anfangs nicht: Erworben wurde das, was Warburg für seine Arbeit brauchte. Es gab also keine Ausgewogenheit zwischen Erwerbungstiefe und Erwerbungsbreite, da es nicht einmal ein ausformuliertes Erwerbungsprofil gab.

Ebenso im Kopf des Gründers der Bibliothek befand sich der Katalog. Jemand wie Aby Warburg, der einerseits gezielt Bücher zu einzelnen Problemen sammelt und andererseits das assoziative Denken und Forschen auf seine Fahnen geschrieben hat, weiß aus dem Kopf, welche Bücher er besitzt und wo sie ungefähr zu finden sind. Dies geht natürlich nur effektiv bis zu einer gewissen Menge an Literatur und nur in

47 Anwesenheit des Gründers oder langjähriger Mitarbeiter. Irgendwann führte es dazu, dass Warburg sich in seinen Karteikästen, in denen er die Desideraten, die eingegangenen Bücher u. ä. vermerkte, verzettelte. Als jedoch seine Krankheit seine mehrjährige Abwesenheit bedingte und gleichzeitig die Bibliothek öffentlich gemacht werden sollte, musste auch in diesem Haus ein mehr „bibliothekarischer Stil“ an den Tag gelegt werden, einschließlich der Einführung einer kontrollierteren Erwerbung und der Konstruktion zweier Kataloge.

Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, ist es jedoch so, dass gerade bei der Schaffung der Systematik durch Saxl und Bing damals und bei der ständigen Erweiterung und Aktualisierung derselben durch die Mitarbeiter des Warburg Institute heute bibliothekarische Gesichtspunkte nach herkömmlicher Art nur insoweit eine Rolle spielen, wie sie dem Nutzer den Einstieg in das „geordnete Chaos“ und die Orientierung darin erleichtern können. Ausschlaggebend für diese Systematik waren und sind das „Gedankengebäude“ Warburgs und die von ihm entwickelten Theorien. Da es sich jedoch mit ihrer innovativen Art der Wissenserschließung und –vermittlung um eine sehr erfolgreiche Bibliothek handelte und handelt, soll hier versucht werden, die Grundsätze der Bibliotheksarbeit Aby Warburgs und seiner Nachfolger aus den Beschreibungen der Kapitel II. und III. zu extrahieren. Dabei treten folgende Punkte in den Vordergrund:

1. Assoziation: Dieser Gedanke Warburgs ist der grundlegendste von allen und sollte auch in vielerlei Gestalt in einer ähnlich seinen Gedanken aufgebauten Bibliothek zu finden sein. Allerdings ist es fraglich, ob man eine solche Bibliothek „aus dem Boden stampfen“ könnte, das heißt, ob man ohne das grundlegende Problem, auf dem dann die Assoziationen aufbauen, den Faden finden würde. Warburgs Bibliothek hätte sich ohne seine Studienthemen, sein Promotionsthema, seine Reisen etc. nie zu dieser reichen Fundgrube entwickeln können, die sie für Kulturwissenschaftler war und ist, da der Ansatz, das Nachleben der Antike zu erforschen, sich nicht ergeben hätte. Die Assoziation funktioniert nur von innen nach außen, also vom speziellen Problem hin zum allgemeinen Thema. Am wichtigsten ist dieses Konzept bei der Aufstellung der Bücher, was voraussetzt, dass es sich um einen

48 kompletten Freihandbestand und um eine Präsenzbibliothek handelt. Nur wer als Suchender alle Bücher vor sich hat – kein Magazinbestand und keine entliehenen Medien – kann mit Hilfe des „browsings“ den Aufbau und die Aufstellung des Bestandes begreifen und anhand dieser Dinge die Lösung seiner Forschungsprobleme in Angriff nehmen. Auch die Mitarbeiter müssen ihren Beitrag leisten: Eine derartige Systematik erfordert sehr viel mehr inhaltliche Beschäftigung mit dem Gesamtbestand sowie mit den neu angeschafften Medien, als es das Einordnen von Büchern in eine vorgefertigte Klassifikation erfordern würde. Die Medien müssen – zumindest grob – inhaltlich verstanden werden, damit die Pflege der Systematik konsistent und gleichmäßig voranschreiten kann. Wenn der Nutzer durch das browsing allein den Bestand erschließen soll, muss ihm der Weg dorthin durch kompetente Wissensspezialisten geebnet werden. Die Assoziation, die Erweiterung der Suche in benachbarten Sachgebieten, führt auch dazu, dass Erschließungsinstrumente über die Grenzen der konventionellen Fächer hinaus anwendbar sind (Interdisziplinarität) und diese auch wie Facetten eines Ganzen miteinander verbinden können. Dabei ist es notwendig, die Gliederung des Bestandes zu überdenken bzw. dynamischer zu gestalten, was zur zweiten wichtigen Eigenschaft führt:

2. Flexibilität: Diese Eigenschaft muss auch wieder für Bibliothekar und Nutzer gleichermaßen gelten, da eine Bibliothek diesen Stils von einer „Partnerschaft“, von einer Zusammenarbeit beider abhängig ist. Wie weiter oben bereits geschildert, gilt Flexibilität hier zum Beispiel für die Systematisierung und Aufstellung der Bücher (Schaffung neuer Systematikgruppen etc.) sowie für die Erwerbung. Auch im Hinblick auf das nächste Kapitel und die Beschreibung automatischer Instrumente der Inhaltserschließung ist es hier wichtig, dass die geschilderte Methodik der Wissenserschließung gleichermaßen anwendbar auf große und thematisch unterschiedliche Bestände mit großen Datenmengen einerseits und spezialisierte Bestände mit sich ähnelnden Inhalten andererseits ist. Dies führt zum abschließenden Punkt der Kette:

49 3. Beschränkung: Bei solchen Herangehensweisen wie Assoziation und Flexibilität, also der Erweiterung des „Wissensraumes“ von innen nach außen sowohl im Bestand einer Wissenseinrichtung als auch im Kopf eines Suchenden, kann es zwangsläufig dazu kommen, dass man sich einer Datenflut gegenüber sieht, welche man als Mensch nicht mehr auswerten kann. Beispielsweise ist der assoziative Gedanke, wenn man ihn fort spinnt, durchaus fähig, „alle Assoziationen der Welt“ oder zumindest der Wissenschaft nacheinander auszulösen. Hier muss ein Element greifen, welches so in Warburgs Werk aus nachfolgenden Gründen nicht vorkam: die Beschränkung. In materieller Hinsicht musste sich Warburg bei den Käufen für den Bestand nie beschränken, in gedanklicher Hinsicht kam es bei Aby Warburg jedoch häufig zu „Verzettelungen“, was die weiter oben bereits angeführten Aussagen seines Bruders Max über den jungen Warburg sowie Saxls über den Gelehrten, der über seinen Zettelkästen „brütet“, belegen. Von Seiten des Wissensspezialisten bedeutet dieses Problem den schwierigen Spagat zwischen den obigen zwei Punkten, also dem Drängen nach „außen“, und der Entscheidung, wo beispielsweise das Erwerbungsprofil für Bücher, Dokumente etc. endet. Aber weit schwieriger ist diese Entscheidung für den Nutzer: Er muss seine Suche und seine Forschungen trotz der vielen Möglichkeiten der Warburgschen Methodik letztendlich auf seine Problemstellung beschränken. Dies setzt eine genaue Kenntnis und Sicherheit der Aufgabenstellung sowie eine Menge Disziplin voraus und den Mut, notfalls einen „inhaltlichen Schlussstrich“ zu ziehen. Gerade im Internet, wo einerseits alle Probleme der Welt dargestellt werden und andererseits immer noch ein informationswissenschaftliches Chaos herrscht und die Assoziationen auch sehr einprägsam durch die Links dargestellt werden, ist es wichtig, durch Beschränkung eine Gliederung des Bestandes zu erreichen. Hier müsste ein Erschließungsinstrument ansetzen.

Diese Ausführungen bilden eine gedankliche Kette, bei der sich die Punkte 1 bis 3 gegenseitig hervorrufen. Die im nächsten Kapitel angeführten Erschließungsmethodiken und –instrumente müssen sich fragen lassen, ob sie, aus

50 Warburgscher Sicht diesen Anforderungen genügen. Letztendlich ist es der Nutzer, welcher genau weiß, welche Art von Wissen er benötigt. Der Informationsspezialist kann ihm aber mit einer zeitgemäßen, nutzerfreundlichen und inhaltsspezifischen Erschließung – solange das allgemeine Instrument nicht darunter leidet – entgegenkommen. Hier treten wieder einmal die „Polaritäten“, das Betrachten aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, hervor. Einerseits muss der Inhalt der erschlossenen Dokumente verstanden werden, andererseits ist es nötig, das Instrument zur Erschließung des Bestandes – zur größeren Flexibilität – möglichst allgemein zu halten.

51 V. Heutige Methoden der Sacherschließung – Anwendbarkeit im Warburgschen Sinne

Aufbauend auf die Schlussfolgerungen des IV. Kapitels soll dieses Kapitel klären, welche Methoden der Sacherschließung heute angewandt werden und ob und in welchem Maße sie sich für die Warburgschen Theorien instrumentalisieren lassen. Letztendlich wird die Frage sein: Ist Warburg wieder modern? Wie können die informationswissenschaftlichen Grundsätze dieses Wissenschaftlers zur Verarbeitung der heutigen Wissensmengen beitragen?

V. 1. Methoden der handwerklichen Sacherschließung

Der grundlegendste Unterschied zwischen den Methoden von heute ist wohl, dass es die „handwerkliche“, also die vom Menschen in geistiger Arbeit vorgenommene Sacherschließung sowie die automatische, mit Hilfe von Softwaretools vorgenommene Sacherschließung gibt. Zur ersteren gehören solche Instrumente wie Schlagwortvergabe und Klassifikationen, wobei es unterschiedliche Arten von Klassifikationen sowie unterschiedliche Herangehensweisen bei der Schlagwortvergabe gibt.

V. 1. 1. Die Schlagwortvergabe

Die „verbale Sacherschließung“, das Vergeben von Schlagwörtern, kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen: Entweder unter Zuhilfenahme von Schlagwortlisten wie beispielsweise in Deutschland der Schlagwortnormdatei (SWD) oder Thesauri. Bei Schlagwortlisten werden die gewählten Schlagwörter zu Ketten

52 verbunden, welche das Buch oder Medium dann möglichst inhaltsnah beschreiben sollen. Bei einem Thesaurus kommt das Element der Hierarchie hinzu. Bestimmte Schlagwörter, welche hier „Deskriptoren“ genannt werden, sind in einer mehrstufigen Anordnung so zueinender gesetzt, dass sich hierarchisch logische Verbindungen ergeben. Beide Methoden arbeiten mit „kontrolliertem Vokabular“, das heißt, es sind nur solche Schlagwörter zur Vergabe erlaubt, welche in der Schlagwortliste oder im Thesaurus vorkommen. Damit soll sichergestellt werden, dass beim Prozess der Inhaltsbeschreibung für ein und denselben Sachverhalt ein und derselbe Deskriptor verwendet wird. Trotz des zugrunde liegenden Regelwerks ist bei der Verschlagwortung jedoch immer noch Spielraum für Subjektivität. Die – um auf das bibliothekarische Tagesgeschäft zurückzukommen – Fachreferenten könnten bei schwierigen Fällen durchaus unterschiedliche Beschreibungen für dasselbe Medium finden, da in ihrem Bewusstsein unterschiedliche Assoziationen ausgelöst werden. Mit steigender Erfahrung des Referenten werden diese schwierigen Fälle jedoch weniger werden, was auf größere Routine zurückzuführen ist.

Im Dokumentations- und verwandten Archivwesen (Medienarchive etc.) sind diese Methodiken in Verbindung mit an die Themen angepassten Regelwerken noch immer das Standardinstrument. Im Bibliothekswesen haben die Schlagwörter als erster Einstieg in den Bestand allerdings ein wenig an Bedeutung eingebüßt. Dies liegt sicherlich unter anderem daran, dass durch die OPAC-Arbeitsplätze gleichzeitig auf die Daten der Formal- und Sacherschließung zurückgegriffen werden kann und man mit Hilfe des Sachtitels und des Zusatzes zum Sachtitel meist schon den Inhalt eines Mediums recht eindeutig intellektuell erfassen kann. Dies kann jedoch zu großen Fehlern bei der Suche führen, da es sich bei den Titelstichwörtern nicht um das kontrollierte Vokabular handelt. Ein Abgleich mit den vergebenen Schlagwörtern der einzelnen gefundenen Medien und eine Wiederholung der Suche mit dem kontrollierten Vokabular dürfte die Ergebnismenge deutlich erhöhen. Falls es sich jedoch bei den Bibliotheksbeständen – wie heute sehr oft anzutreffen – um klassifizierte, systematisierte Freihandbestände, bei denen man aufgrund der Anordnung und mit Hilfe eines beschränkten browsings innerhalb der Sachgruppe seine Literatur verhältnismäßig leicht findet, handelt, treten die Schlagwörter als Suchmethodik schon wieder etwas in den Hintergrund. In wissenschaftlichen

53 Bibliotheken mit größeren Spezialbeständen sind die Schlagwörter jedoch sehr nützlich beispielsweise zur Beschreibung des Inhalts von Büchern mit mehreren Aufsätzen, deren Themen oft nicht alle durch den Sachtitel und seine Zusätze abgedeckt werden können.

Im Dokumentationswesen nimmt die Ansicht zu, dass bei der heutigen Menge an spezialisiertem Wissen die Vergabe von Schlagwörtern, gleichgültig ob aus Liste oder Thesaurus, die Präzision des Suchergebnisses, die „Precision“, verschlechtern kann. Dies liegt vor allem daran, dass die Schlagwortvergabe und auch die Klassifikation „... nicht in der Lage sind, über eine rein syntaktische Gruppierung von Schlagwörtern hinaus dokumentspezifische Beziehungen zwischen Schlagwörtern zu erfassen und in eine Inhaltsbeschreibung aufzunehmen.“81

Nachteile einer rein verbalen Sacherschließung sind daher unter anderem: S Die Gefahr einer nicht konsistenten Erschließung aufgrund der vielen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bibliotheken an der ständigen Überarbeitung der SWD S Die Gegenstände, welche erschlossen werden, stehen aufgrund der unabhängigen und gänzlich hierarchielosen Erschließung inhaltlich „allein“ da und können nicht so einfach zu Gruppen kombiniert werden, was dem Nutzer aber entgegenkommen würde, da er ein gewisses Ordnungsschema benötigt, um feststellen zu können, ob er in punkto Precision und Recall nach der Suche richtig liegt S Nach den Indexaten einer Schlagwortsuche kann nicht hierarchisch oder assoziativ gesucht werden, da durch die Schlagwörter nur Einzelgegenstände, aber keine Themen beschrieben werden. Es fehlt das verknüpfende Element, welches die inhaltlichen Beziehungen der Dokumente untereinander darstellt.82

81 Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, S. 182 82 vgl. Heiner-Freiling, Magda: Der aktuelle Stand der Diskussion über die Dewey-Dezimalklassifikation (DDC) in der Bundesrepublik Deutschland. In: Vorträge am Österreichischen Bibliothekartag 2000, Wien auf http://www.uibk.ac.at/sci-org/voeb/kofsebt.html 54 Allerdings kann man, ähnlich dem in Abschnitt V. 2. 3. beschriebenen „Citation pearl growing“, die Schlagwörter eines Dokuments benutzen, um die Suche zu erweitern. Dazu muss aber erst einmal ein Dokument oder Medium gefunden werden, welches durch den Nutzer als relevant eingestuft wurde.

V. 1. 2. Die Klassifikation

Das Hauptinstrument der Sacherschließung von heute ist jedoch die Klassifikation. Dies war in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik nicht immer so, da es noch Bibliotheken mit Magazinbeständen gab, welche ihre Bücher nicht systematisch aufzustellen brauchten. So wurde nur durch Schlagwörter erschlossen und zu diesem Zweck auch die deutschlandweit verbindlichen RSWK erarbeitet. Durch das Scheitern des Projektes „Einheitsklassifikation“, welches zwischen 1972 und 1977 versuchte, die unterschiedlichen angewandten Klassifikationen durch Konkordanzen miteinander vergleichbar zu machen, geriet diese Art der Sacherschließung für einige Jahre ins Hintertreffen. Erst durch das Aufkommen der Online-Kataloge und die Gründung der Bibliotheksverbünde wurde es nötig, die unterschiedlichen, sich in Benutzung befindlichen Klassifikationen miteinander kompatibel zu machen, da jetzt die gleichzeitige Recherche in mehreren Bibliothekskatalogen sowie die Fremddatenübernahme an der Tagesordnung waren.83

Die Klassifikation ist eine hierarchisch von außen nach innen, also vom allgemeinen hin zum speziellen Thema, aufgebaute Anordnung von Notationen, oder, um es anders auszudrücken, „ ... die schriftlich fixierte und systematisch geordnete (strukturierte) Darstellung von Klassen und der zwischen ihnen bestehenden Begriffsbeziehungen“.84 Sie legt bei der Festlegung des Wortlautes der Notationen mehr Wert auf den Inhalt denn auf die semantischen Beziehungen untereinander.

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, eine Klassifikation in einer Bibliothek anzuwenden:

83 vgl. Klassifikationen für wissenschaftliche Bibliotheken, S. 13 ff. 84 Lorenz, S. 19 55 1. Als reines Rechercheinstrument, welches dem Bibliothekar und dem Nutzer den Einstieg in die Suche in einem nach Numerus currens aufgestellten Bestand ermöglicht und keine Auskunft über den Standort des Mediums gibt. Die Notation stellt hier nur den Inhalt des Mediums dar. In dieser Funktion ähnelt es dem System des Schlagwortkataloges, nur dass bei einem systematisierten Bestand schon eine Grobgliederung vorhanden ist, auf die der Nutzer zurückgreifen kann. Elemente des browsings greifen hier nur in dem Maße, dass ein potentieller Nutzer die Medien einer Systematikgruppe anhand des Kataloges durchsehen kann und auf Autopsie als Mittel der Vorauswahl verzichtet. Bei dieser Methode muss er sich jedoch auf die Erschließung des Bibliothekars verlassen und kann die Suche nicht assoziativ erweitern. 2. Als Rechercheinstrument, welches Inhalt und Standort der gesuchten Medien gleichermaßen darstellt, wobei die Notation schon ein Teil der Individualsignatur ist. Die Signatur ist hier „ ... ein formelhafter Ausdruck für den Platz, den das Buch innerhalb der Gesamtaufstellung einnimmt; sie fungiert im Katalog als Stellvertreter des Buches und zugleich als Wegweiser zu ihm“.85 Der entscheidende Vorteil einer systematischen Aufstellung ist „ ... für den Benutzer die Möglichkeit des direkten Zugangs zum Gesamtbestand der Bibliothek (Autopsie) ohne Rücksicht auf Fachgrenzen und Einzelregelungen von Instituten. Benutzer geraten nicht mehr in die Rolle eines ‚Bittstellers’, verbringen weniger Wartezeit bei der Ausleihe und haben Zugang auch ohne Katalog“.86 Hier kommt man den Warburgschen Methoden schon näher; der Bestand ist zwar immer noch „bibliothekarisch“ gegliedert, die Möglichkeit des browsings besteht jedoch.

Mögliche Kritiker des zweiten Modells könnten bei ihren Einwänden genau da ansetzen, wo es auch in Warburgs Theorien bzw. in seiner täglichen Arbeit in der Bibliothek zu gewissen Problemen kam. Die Warburgsche Systematik ist auch eine Aufstellungssystematik, wenn auch eine im theoretischen Ansatz viel ausgefeiltere als die konventionellen. Also ist die Pflege einer solchen Systematik Personal-, Zeit-, und

85 Ebd., S. 25 86 Ebd., S. 30 56 Arbeitsaufwendig; auf Änderungen oder Erweiterungen der Systematik folgen auch immer Änderungen der Aufstellung, was zu Lasten das Platzes in einer Bibliothek geht. Auch die Erweiterungsfähigkeit einer konventionellen Systematik ist, gerade bei den Dezimalklassifikationen, nicht unendlich. Außerdem kann man bemängeln, dass die Reihen und Serien zu Problemen bei der Aufstellung des Bestandes führen können.87 Kurz, hier treten genau die „Probleme“ zutage, mit den Warburg und seine Mitstreiter während ihrer ganzen Arbeitszeit in Hamburg zu kämpfen hatten und welche in den Kapiteln II. und III. geschildert wurden. Warburg jedoch nahm diese Probleme billigend in Kauf, um die Qualität des bereitgestellten und vermittelten Wissens sehr hoch zu halten. S Geld- und Personalsorgen hatte er aufgrund seines Vermögens kaum. S Der Platzmangel konnte durch den Zweckbau, den seine Familie ebenfalls finanzierte, behoben werden. S Das „Hin- und Herschieben“ der einzelnen Bestände hielt er aufgrund seiner theoretischen Ansätze ebenfalls für nötig, damit der Bestand in seiner Gliederung immer den Erfordernissen der Forschungslage entsprach; außerdem konnte so erreicht werden, dass die Bibliothekare das Wissen, welches in den Büchern steckt, aktiver im Kopf behalten konnten. S Die Reihen und Serien stellte er aus den beschriebenen Gründen mit Absicht an die inhaltlich richtigen Stellen. S Die ständige Erweiterung der Systematik hielt Warburg für geradezu essentiell. Für Warburg waren die Probleme einer Aufstellungsbasierten Klassifikation also höchstens kleine, lösbare Probleme, wenn nicht sogar nützlich.

Eine mögliche Einteilung für Klassifikationen kann anhand der Strukturierungsmittel, welche bei ihrer Gestaltung eingesetzt wurden, vorgenommen werden. 1. Präkombinierte Klassifikationssysteme 2. Klassifikationssysteme mit Schlüsseln 3. Facettenklassifikationen88

87 vgl. Ebd., S. 29

57 Die Unterschiede zwischen diesen Formen wirken sich nachhaltig auf die Flexibilität bei der Erschließung der Dokumente oder Medien aus. Bei konventionellen, präkombinierten Klassifikationen werden die begrifflichen Präkombinationen, also die von Anfang an festgelegten Möglichkeiten der Inhaltsbeschreibung, zu Klassen, in welche das Medium eingeordnet wird. Ein großer Vorteil ist, wie beschrieben, dass eine solche Klassifikation auch als Aufstellungssystematik genutzt werden kann. Die Nachteile dieses Instruments sind 1. eine ungleiche Konstruktion der Hierarchieebenen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse bei der Beschreibung von Gegebenheiten der einzelnen Wissensgebiete und 2. kann mit diesem Instrument der spezifische Inhalt eines Dokuments oftmals schwer dargestellt werden, da man nur die vorgegebenen Klassen zur Verfügung hat und somit zum Beispiel spezielle geographische, zeitliche oder Formbeschreibende Aspekte nur schwer berücksichtigt werden können.89

Bei einem Klassifikationssystem mit Schlüsseln handelt es sich um eine Zwischenstufe auf dem Wege zur Facettenklassifikation. Hier werden die allgemeinen präkombinierten Klassen aufgelöst und es besteht die Möglichkeit, die Notation mit einem oder mehreren Schlüsseln zu versehen und somit den Inhalt des zu erschließenden Dokuments spezifischer darzustellen. Für den Suchenden ergibt sich hier bereits die Möglichkeit, die Treffermenge durch die Auswahl von speziellen Merkmalen (Geographika etc.) einzuengen. Allerdings ist es schwieriger, eine solche Klassifikation zur Aufstellung von Medien zu verwenden.90 Für das dritte Modell, die Facettenklassifikation, soll aufgrund ihrer Bedeutung und ihrer vielen Berührungspunkte mit Warburgschen Ansätzen ein eigener Abschnitt bearbeitet werden.

V. 1. 3. Die Facettenklassifikation

Eine Art Zwischending zwischen der Schlagwortvergabe und der konventionellen Klassifikation sowohl von der Benutzung als auch vom Grad der Formalität her ist die

88 vgl. Gödert: Typen von Klassifikationssystemen und ihre Struktur. PDF-Dokument unter http://www.fbi.fh- koeln.de/fachbereich/personen/goedert/goedert_lehre.htm 89 vgl. Ebd., S. 11 f. 90 vgl. Ebd., S. 12 58 Facettenklassifikation. Sie kombiniert Begriffe (den Schlagwörtern ähnlich) nach bestimmten Regeln so miteinander, dass möglichst viele Aspekte des zu beschreibenden Sachverhalts abgedeckt werden.

Diese Art von Klassifikation wurde das erste Mal im Jahre 1933 von S. R. Ranganathan herausgebracht.91 Ihre Bedeutung steigerte sich jedoch erst nach dem II. Weltkrieg, was unter anderem folgende Gründe hatte: 1. Themen und Titel wurden vor allem in Zeitschriften und bei Dissertationen immer spezieller, was eine Systematisierung erschwerte 2. Aus bisherigen Wissenschaften entwickeln sich Fächer übergreifend neue Disziplinen, die besonders viel Literatur produzieren. Durch die aufkommende Interdisziplinarität kommt es bei der Einordnung in konventionelle Systematiken zu Dopplungen, was gerade bei der Aufstellung der Bücher nachteilig ist. 3. Bei Erschließung und Retrieval zeigen sich Unzulänglichkeiten bei den hierarchischen Klassifikationen, was an der Menge und dem Spezialisierungsgrad der Literatur liegt. 4. Die wachsenden Möglichkeiten der Datenverarbeitung sollten genutzt werden, mit deren Methoden man jeden Aspekt des Themas ansprechen könnte und nicht mehr den Einstieg über die Hierarchie finden müsste. Außerdem ließen sich mit Hilfe der EDV einzelne Aspekte bei der Suche miteinander kombinieren.92

Die Facettenklassifikation verzichtet auf eine Hierarchie und ist dennoch in der Lage, sowohl komplexe als auch sehr spezielle Themen einer Inhaltsbeschreibung zu unterziehen. Das Erstellen eines solchen Systems erfordert große Beschäftigung mit den Themen, mit denen sich die Klassifikation befassen soll. Aus Fachwörterbüchern etc. werden Fachtermini extrahiert, aus denen dann die Facetten gewonnen werden. Jede Facette stellt ein mögliches Wesensmerkmal des zu erschließenden Dokuments dar. Anzahl und Art der Facetten sowie der „Isolaten“ (die „erlaubten“ Begriffe innerhalb einer Facette) sind abhängig von den Notwendigkeiten des jeweiligen

91 Lorenz, S. 107 92 vgl. Ebd. 59 Wissensgebietes. Facetten können unter anderem Inhalte, Formen, Zeiten aber auch Bezüge zu anderen Themen und weitere Merkmale des zu erschließenden Dokuments sein, wobei sich alle Facetten grundsätzlich gleichwertig sind. Die Ordnung der Facetten erfolgt – auch im Hinblick auf die Notationsbildung – von dem „wichtigsten“ bzw. „konkretesten“ Aspekt des Dokuments angefangen in absteigender Reihenfolge, wobei das System erst richtig funktioniert, wenn gerade auch die Randgebiete des zu erschließenden Dokuments mit bedacht werden, da die Inhaltsbeschreibung desselben dann viele Facetten aufweist und so bei einer Recherche von vielen unterschiedlichen Stellen aus gefunden werden kann. Auf die inhaltlichen Facetten folgen, ähnlich den hinteren Stellen bei den RSWK-Ketten, die formalen Facetten, welche über Orte, Zeiten, Publikationsformen und ähnliches informieren. Die Kombination all dieser Facetten soll das Dokument möglichst präzise und aus möglichst vielen Blickwinkeln gleichzeitig beschreiben.93

Die Vorteile eines solchen Systems liegen auf der Hand: Durch die flexible Handhabung und die nichthierarchische Gestaltung kann ein Dokument nach seinen Gegebenheiten und im Einklang mit den Besonderheiten des Wissensgebietes – oder der Wissensgebiete – aus dem es stammt, präzise aber sehr flexibel erschlossen werden. Durch das Nichtvorhandensein einer Hierarchie veraltet ein solches System nicht so schnell, da die sich stets verändernde hierarchische Einteilung und Gliederung der Wissenschaften hier keinen Niederschlag findet. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der Kombination der Facettenklassifikation mit den Möglichkeiten der EDV: Bei einer Suche kann jede Facette sofort angesprungen werden und dann kann die Treffermenge durch Hinzufügen oder Entfernen weiterer Facetten eingeengt oder erweitert werden. Allerdings erfordert das Arbeiten mit einem solchen System, ähnlich wie bei der Warburgschen Systematik, ein hohes Maß an Kenntnissen sowohl der wissenschaftlichen Inhalte als auch des Erschließungsinstruments, um eine hohe Qualität und eine gleich bleibende Konsistenz der Erschließung zu gewährleisten.94

93 Zu den Merkmalen und Besonderheiten der Facettenklassifikation vgl. Ebd., S. 107 ff. sowie Gödert: Typen von Klassifikationssystemen ... 94 zu den Vorteilen vgl. Lorenz, S. 111 60 Für eine Buchaufstellung ist dieses System jedoch ungeeignet, da man ein zu erschließendes Medium hier quasi einer „Stammfacette“ zuordnen müsste, um seinen Standort festzulegen, was nicht im Sinne des Systems ist.

Es ergeben sich einige Berührungspunkte zwischen dem eben geschilderten System der Facettenklassifikation und den Warburgschen Ansätzen und deren praktischen Umsetzungen in den Bibliotheken in Hamburg und London. Da die Warburgsche Systematik für eine Buchaufstellung konzipiert war, konnte sie nicht ganz ohne Hierarchie auskommen. Allerdings musste sie immer mit Warburgs Theorien im Einklang bleiben, was auf eine Mischform aus Aufstellungssystematik und facettierter Klassifikation hinauslief. Die Farbstreifen bzw. Buchstaben zweiter und dritter Ordnung sind, wie in Abschnitt III. 7. beschrieben, in ähnlicher Weise konzipiert worden wie Facetten, allerdings wurde, um die Bücher aufstellen zu können, eine Ordnung zugrunde gelegt, die den Ablauf der einzelnen Gebiete innerhalb eines Themas regelt. Die Eingliederung der „general subject areas“ in die vier großen geistigen Teile der Bibliothek sowie die Unterteilung der GSA in Unterthemen bei den „studies“ tragen jedoch eindeutig hierarchische Züge. Insofern ist das Warburgsche System eine Mischform aus hierarchischer und facettierter Klassifikation.

Ein weiterer Berührungspunkt ist die Herangehensweise an die inhaltliche Gliederung. Sowohl bei Warburg als auch bei der Methode der Facettenklassifikation werden die einzelnen Bestandteile so gebildet und untergliedert, wie es die Gegebenheiten und Notwendigkeiten der einzelnen Wissenschaften erfordern. Außerdem besteht bei beiden Modellen durch das Vorhandensein von Lücken und durch den hierarchielosen (bzw. –armen bei Warburg) Aufbau die Möglichkeit einer schnellen Erweiterung oder Aktualisierung, ohne das ganze System überarbeiten zu müssen. Dies war in Kapitel IV. mit dem Stichwort „Flexibilität“ beschrieben worden und findet sich sowohl bei Warburg als auch bei der Facettenklassifikation.

Der wohl wichtigste Berührungspunkt ist aber sicherlich der informationswissenschaftliche Ansatz, welcher beiden Modellen zugrunde liegt: Die Recherche von innen nach außen. Was bei Warburg das „Problem“ ist, ist hier die inhaltliche Facette, mit der der Nutzer seine Suche beginnen kann. Im Gegensatz zu

61 den hierarchischen Klassifikationen, bei denen das Problem des Nutzers erst in die Hierarchieebenen umformuliert werden muss, was zu Komplikationen führen kann, da in einigen Fällen – bewusst oder unbewusst – beim Nutzer Unsicherheit über das Informationsbedürfnis besteht (Abschnitt V. 3. 3.), kann hier mit einem beliebigen Aspekt des Problems begonnen und die Suche dann durch das Hinzuziehen weiterer Facetten fortgesetzt werden. Dies ähnelt dem Warburgschen Prinzip der Assoziation. Auch wird die „Ausbeute“ an Wissen bei einer solchen Suche höher sein, da alle Treffer aufgelistet werden, die sich mit dem gesuchten Thema befassen, egal ob als Hauptthema oder als nebensächlich behandeltes Thema. Letztere Treffer wären bei der Benutzung einer konventionellen Klassifikation nicht erschienen, da sie unter dem Thema zu finden gewesen wären, mit dem sie sich hauptsächlich befassen.

Dies führt zu einem weiteren Berührungspunkt: Bei einer Facettenklassifikation ist es möglich und auch erwünscht, Randthemen des zu erschließenden Buches bzw. Dokumentes mit in die Erschließung einzubeziehen. Dies ist hilfreich bei Dokumenten aus Wissenschaften, welche Fächer übergreifend bzw. interdisziplinär sind und damit mehrere potentielle Möglichkeiten einer Eingliederung in eine konventionelle Klassifikation aufweisen und damit zu Problemen bei einer Suche führen würden. Durch die Anwendung einer Facettenklassifikation wird dieses Problem umgangen und der Nutzer findet auch Dokumente, welche sonst gar nicht unter diesem Punkt erschlossen worden wären. Die geschilderte Herangehensweise ist mit Warburgs grenzenlosem „Denkraum“ vergleichbar bzw. mit dem in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Prinzip der Interdisziplinarität. Auch kann man hier die Erschließung von Beständen mit einer hohen Erwerbungstiefe besser durchführen, da das Facettenmodell eine speziellere Beschreibung des Inhalts eines Dokuments ermöglicht und nicht einfach alles, was sich einigermaßen inhaltlich ähnelt, in eine Systematikgruppe gesteckt wird. Die Facettenklassifikation entfaltet also ihre Wirkung am besten bei Spezialbeständen mit großer inhaltlicher Tiefe, was ja auch auf die Bibliothek des Warburg Institute zutrifft.

V. 2. Methoden der automatischen Sacherschließung

62 V. 2. 1. Der historische Hintergrund

Bei der automatischen Sacherschließung, welche seit den sechziger Jahren erforscht und entwickelt wird, liegt das Augenmerk auf der Auswertung großer Datenmengen unter Berücksichtigung vorher festgelegter Spezifikationen. Es handelt sich dabei um Software, welche die ihr zur Verfügung gestellten Texte oder sonstigen Dokumente nach semantischen oder syntaktischen Gesichtspunkten auswertet oder die Häufigkeit und Anordnung gewählter Wörter innerhalb des oder der Texte an den Anwender zurückgibt. Eine der Herangehensweisen an diese Problematik, die Theorien des Gerald Salton und das darauf aufgebaute Tool SMART sollen an späterer Stelle genauer unter die Lupe genommen werden, da sie durchaus Ähnlichkeiten mit Warburgs Assoziationen aufweisen.

Zunächst soll hier kurz auf die Geschichte der automatischen Inhaltserschließung eingegangen werden. Seit Anfang der Fünfziger Jahre werden, meist an den ausbildenden Einrichtungen des Bibliotheks- und Informationswesens, regelmäßig Retrievaltests durchgeführt. Am Anfang waren dies noch Vergleiche verschiedener intellektueller Ansätze der verbalen Sacherschließung, später richtete sich das Augenmerk dann auf die Evaluierung automatischer Tools zur Indexierung und zum Retrieval. Es stellte sich sehr bald heraus, dass für die Suche eine Erschließung der Bestände mit natürlichsprachlichen Mitteln eine ähnlich hohe Trefferquote erzielen konnte wie mit kontrolliertem Vokabular, was sich mit der Erkenntnis deckt, dass der Nutzer selbst am besten weiß, welche Art von Information er benötigt. Daraus ergab sich die Entwicklung der so genannten „Relevance Feedback“-Modelle, welche es erlauben, die Parameter einer Suche nach dem ersten Durchgang abzuändern und so einen möglichen „Drall“ der Suchergebnisse hin zu einem vom Suchenden nicht gewünschten Thema zu vermeiden. Diese durch die „Iteration“ erhaltenen Ergebnisse des zweiten Suchdurchgangs sind dann den vom Suchenden gewünschten Themen schon viel näher und beinhalten unter Umständen auch Treffer, welche durch das Erschließen mit verbalen Methoden nicht gefunden worden wären. Wie bei Warburg hat der Suchende am Anfang des Prozesses eine Frage, welche er dann mit assoziativen Methoden, durch das eigenständige Verändern der Suchkriterien, versuchen kann zu beantworten. Dies wurde unter anderem bei den

63 Projekten der Salton-Schule erforscht und entwickelt.95 Die Unterschiede zwischen den Strategien der erfahrenen Datenbankexperten einerseits und der unerfahrenen Nutzer andererseits bei den Retrievaltests zeigt das folgende Zitat:

„Differiert das Themenverständnis der Versuchsperson von dem des Jurors, wirkt sich das nicht nur in der Beurteilung der gefundenen Dokumente aus, sondern es bestimmt durch die entsprechende Suchfrageformulierung auch, welche Dokumente überhaupt gefunden werden und somit für die Beurteilung vorliegen. Darüber hinaus führt dieses Beispiel vor Augen, wie groß der Einfluss der Versuchspersonen bei derartigen Tests ist und wie schwierig es ist, letztlich die Leistung des Retrievalsystems von den Fähigkeiten der Recherchierenden Personen zu trennen.“96

Etwas später heißt es dann über die unerfahrenen Rechercheure weiter: „Gleichzeitig haben weniger rechercheerfahrene Versuchspersonen teilweise bei einzelnen Fragestellungen bessere Ergebnisse erzielt als erfahrene Versuchspersonen. Die weniger erfahrenen Versuchspersonen haben in diesen Fällen die Frage unmittelbarer in Suchbegriffe umgesetzt und weniger ausgefeilte Strategien angewendet.“97 Dies zeigt, dass auch die unmittelbare Kommunikation zwischen dem Nutzer und dem Retrievalsystem, ohne die „Dazwischenschaltung“ eines Informationsspezialisten, funktionieren kann. Im Hinblick auf die weitere gezielte Nutzbarmachung der enormen Wissensmengen des Internets ist dies eine wichtige Erkenntnis.

V. 2. 2. SMART – das Vektorraummodell

In diesem Abschnitt soll das Modell des Gerald Salton beschrieben werden, welches eine mathematische Grundlage zur Verarbeitung der Informationen verwendet. Auch hier gibt es Berührungspunkte mit Warburg, die an entsprechender Stelle erläutert werden sollen.

Bei konventionellen Retrievalsystemen liegt im Hintergrund die so genannte „invertierte Liste“, welche für alle Deskriptoren die Verweise auf die entsprechenden

95 zur historischen Entwicklung vgl. Sachse, Elisabeth [u. a.]: Automatische Indexierung unter Einbeziehung semantischer Relationen, S. 7 ff. 96 Ebd., S. 21 97 Ebd., S. 21 f. 64 Dokumente enthält, so dass die Suchanfrage nur mit der invertierten Liste und nicht mit den – falls vorhanden – Volltexten verglichen werden muss. Dies ist eine große Zeitersparnis und ein unbestrittener Vorteil. Ein weiterer Vorteil kann darin liegen, dass, ähnlich wie bei der Schlagwortvergabe, das kontrollierte Vokabular durch die Indexierer so routiniert und konsequent vergeben wird, dass wirklich eine sehr konsistente Erschließung des Materials vorliegt. Arbeiten jedoch mehrere Indexierer an einer Dokumentation oder das Personal wird ausgetauscht, kann es zu Brüchen in der Erschließung des Materials kommen. Ein weiteres Problem ist die Darstellung der syntaktischen Beziehungen der Dokumente untereinander. In Retrievalsystemen ist die Beurteilung und Ausgabe von „benachbarten“ Dokumenten meist schwierig, da die invertierte Liste willkürlich geordnet ist. Die Suche in der „Nachbarschaft“, also das assoziative Herangehen und Erweitern der Suche, ist aber für spezialisierte, Fächerübergreifende oder einfach nur sehr große Datenmengen wichtig, um von einem Punkt ausgehend die Suche mit möglichst hoher und vor allem relevanter „Ausbeute“ abschließen zu können. In den letzten Jahren sind zu diesem Zweck verstärkt Verfahren zur Deskriptorgewichtung aufgekommen, um zumindest während des Suchprozesses ein ranking erstellen zu können, was dann dem Nutzer erlaubt, gefundene Dokumente besser beurteilen zu können, ohne sie erst lesen zu müssen. Dieses Problem, das Berechnen und Darstellen der Beziehungen zwischen den einzelnen Dokumenten einer Datenbank, ist dann auch das Hauptanliegen des SMART-Projekts.98

Zunächst geht das Vektorraummodell von zwei grundlegenden gedanklichen Voraussetzungen aus, die hier genannt seien: 1. Der Wissensraum hat so viele Dimensionen, wie Deskriptoren verwendet wurden. 2. Jedes Dokument ist der Endpunkt eines Vektors, was bedeutet, jedes Dokument hat seinen Platz im Wissensraum.99 Dies ist ein sehr abstraktes Modell. Da der Mensch sich in seinen Denkprozessen nur drei Dimensionen vorstellen und auch nur so viele grafisch darstellen kann, wird bei der Erklärung dieses Modells meist mit einem dreidimensionalen Raum gearbeitet.

98 zu den Vor- und Nachteilen konventioneller Retrievalsysteme vgl. Salton, S. 125 ff. 99 vgl. Ebd., S. 136 f. 65 Das SMART-System verfügt über die nachfolgend aufgelisteten Fähigkeiten, welche weiter unten detaillierter erläutert werden:

1. „Es benutzt vollautomatische Indexierungsverfahren zur Vergabe von Deskriptoren. 2. Es sammelt inhaltlich verwandte Dokumente in Sachgebietsklassen. Dadurch wird es möglich, die Informationssuche mit den spezifischen Dokumenten eines Sachgebietes zu beginnen und dann über Dokumente von Nachbargebieten fortzusetzen. 3. Es bestimmt Dokumente durch eine Berechnung der Ähnlichkeit zwischen den gespeicherten Dokumenten und der Suchanfrage. Es erstellt zudem eine Rangfolge der nachgewiesenen Dokumente entsprechend ihrer Ähnlichkeit zur Suchanfrage. 4. Es verfügt über ein Verfahren zur automatischen Präzisierung von Suchanfragen, das auf die bereits nachgewiesenen Informationen zurückgreift.“100

Es soll hier noch kurz angemerkt werden, dass bei der Beschreibung der Arbeitsweise des SMART-Systems darauf verzichtet wird, die mathematischen Formeln zu zitieren. Stattdessen wird eine verbale Erklärung versucht werden.

Werden nun Dokumente in die Datenbank aufgenommen, also indexiert, so passiert das vollautomatisch. Das System extrahiert aus dem Text des Dokuments die Deskriptoren, wobei es sich um Wörter aus dem Dokumenttext oder auch um Mehrwortbegriffe handeln kann. Bei der Analyse der Dokumente wird darauf geachtet, dass die Begriffe, welche später als Grundlage für die Bildung von Deskriptoren dienen, in den Abstracts oder den Volltexten – je nachdem, welche Art Dokumente indexiert werden sollen – nicht zu selten und nicht zu häufig vorkommen. Nur Begriffe mit mittlerer Häufigkeit können nach dieser Theorie einzelne Dokumente gut beschreiben und sind deswegen besser dafür geeignet, das Dokument von den anderen Dokumenten der Datenbank zu unterscheiden. Begriffe mit einer höheren Häufigkeit gelten als zu allgemein und zu unspezifisch, werden aber noch dazu

66 verwandt, Mehrwortbegriffe aus sich selbst und anderen Begriffen zu kombinieren, um diese dann als Deskriptoren verwenden zu können. Begriffe, welche den vorher festgelegten Schwellenwert unterschreiten, sind meist zu spezifisch und werden mit Hilfe der bereits vorhandenen Deskriptoren der Datenbank sowie mit untergelegten Thesauri verallgemeinert und so den Deskriptoren hinzugefügt.101

Um all diese sprachlichen und inhaltlichen Analysen durchführen zu können – noch vor dem Abgleich von Suchanfragen mit den abgelegten Dokumenten – ist ein umfangreiches Hintergrundmaterial notwendig, welches in das System integriert wurde. Diese Sprachanalysekomponenten sind: 1. Synonymwörterbücher oder Thesauri zur Gruppierung einzelner Begriffe in synonyme Begriffsklassen oder Klassen verwandter Begriffe. Mit einem Thesaurus kann der ursprüngliche Begriff durch eine Klasse verwandter Begriffe ersetzt werden, um eine breitere Deskribierung zu erzielen. 2. Begriffshierarchien, um Begriffe eines bestimmten Sachgebietes miteinander verknüpfen zu können. Mit Begriffshierarchien kann die standardmäßige Deskribierung von Dokumenten dadurch erweitert werden, dass hierarchisch höher stehende Begriffe (Oberbegriffe) und hierarchisch tiefer stehende Begriffe (Unterbegriffe) zusätzlich verwendet werden. 3. Eine syntaktische Analyse zur Spezifikation syntaktischer Rollen und zur Deskribierung mit Mehrwortbegriffen und größeren syntaktischen Einheiten. Mit einer syntaktischen Analyse können sehr spezifische Deskriptoren generiert werden. Ferner wird die Erzeugung nichtsinntragender Mehrwortbegriffe durch statistische Mehrwortbegriffsbildungsverfahren unterbunden. 4. Eine semantische Analyse, die zur Generierung semantischer Informationen der jeweiligen syntaktischen Rollen dient. Die semantische Analyse basiert auf einer Wissensbasis, die meist über „semantische Netze“ oder andere Beziehungssysteme realisiert wird.102

100 Ebd., S. 127 101 vgl. Ebd., S. 136 102 Ebd., S. 138 f. 67 Wird nun ein Dokument durch den Indexierungsprozess geschickt, geschieht folgendes: 1. Extraktion der einzelnen Wörter eines Abstracts bzw. einer Suchanfrage 2. Ausschluss von Hochfrequenzbegriffen mit Hilfe einer Stoppwortliste 3. Reduzierung der übrigen Begriffe auf die Wortstämme unter Verwendung einer Suffixanalyse 4. Zusammenfassung von mehrfach gefundenen Begriffen zu einem Deskriptor, welcher dem Dokumentvektor oder dem Vektor der Suchanfrage hinzugefügt wird. Um dem maschinellen Erstellen der Deskriptoren eine intellektuelle Note geben und damit die Suche weiter präzisieren und den Vorstellungen des Suchenden angleichen zu können, kann nun noch einem oder mehreren der gefundenen Deskriptoren ein bestimmtes Gewicht zugeordnet werden, was mit Hilfe von Worthäufigkeiten bzw. Wortstellungen innerhalb des zu indexierenden Abstracts oder Volltextes geschieht.103

Nun „trifft“ das indexierte Dokument auf andere Dokumente innerhalb des Vektorraums. Das System berechnet die Ähnlichkeit von Dokumenten miteinander durch den Winkel, welchen die Vektoren der Dokumente zueinander haben. Je kleiner der Winkel zwischen den Vektoren, desto ähnlicher sind sich die Dokumente. Es wird also nicht mehr auf einer völligen Übereinstimmung zwischen Anfrage und Suchergebnis bestanden, sondern durch mathematische Prozesse die Ähnlichkeit festgestellt und die ähnlichsten Dokumente als ein ranking ausgegeben. Bei der Berechnung der Ähnlichkeit spielen sowohl die vergebenen Deskriptoren als auch die Despriptorgewichtung, welche während des Indexierens angegeben werden kann, eine Rolle und bestimmen so letztendlich die Position des Dokuments im Vektorraum.104

SMART ist mit Tools ausgestattet, die es gestatten mehrere ähnliche Dokumente und deren Vektoren zu so genannten Clustern zusammenzufassen. Die Zusammenstellung der Dokumente zu Clustern erfolgt automatisch nach

103 vgl. Ebd., S. 139 f. 104 zur Berechnung der Ähnlichkeiten vgl. Ebd., S. 128 f. 68 vorgegebenen Spezifikationen. So können ähnliche Dokumente in viele kleinere, aber auch in wenige große Cluster unterteilt werden. Sinn des ganzen ist es, alle Dokumente mit ähnlichem Inhalt nahe beieinander zu haben, wobei es durchaus sein kann und auch beabsichtigt ist, dass einige Dokumente zu mehreren Clustern gleichzeitig gehören, da diese Dokumente mehrere Themen berühren. Diese Überlappungen sind der Anwendung der Facetten bei der in Abschnitt V. 1. 3. beschriebenen Facettenklassifikation sehr ähnlich, da auch hier aufgrund des Vorkommens gemeinsamer Aspekte des Inhalts oder anderer Gemeinsamkeiten besser auf die benachbarten Dokumente zugegriffen werden kann. Aus dem Mittelwert der Dokumentvektoren wird dann der so genannte Zentroidvektor berechnet, welcher stellvertretend für alle Dokumente des Clusters agiert, bis der spezifische Inhalt des Clusters betrachtet werden soll. Das ganze lässt sich auf mehreren Ebenen praktizieren, was ganz von der Menge der Dokumente in der Gesamtdatenbank abhängt. Die Cluster können dann ihrerseits zu Superclustern zusammengefasst werden, wobei es auch wieder zu Überlappungen kommen kann.105

Wird nun eine Anfrage formuliert, wendet das System die selben Schritte wie bei einer Indexierung an. Die Begriffe der Anfrage werden also sprachlich bearbeitet, zu Deskriptoren bzw. Vektoren umgewandelt und mit dem bisher indexierten Material verglichen. Für die Anfrage wird ein Vektor generiert, welcher seinen Endpunkt an einer bestimmten Stelle in diesem mehrdimensionalen Raum hat. Die dort vorgefundenen Dokumente werden dem Nutzer zur Beurteilung ausgegeben, wobei man die „Nähe“ vorher definieren kann. Nun greift ein weiteres Feature des SMART- Systems: das Relevanzfeedback. Alle ausgegebenen Dokumente können nun vom Nutzer auf ihre Relevanz hin überprüft werden und mit einem „relevant“ oder „nicht relevant“ gekennzeichnet werden. Das System formuliert nun die Suchanfrage aufgrund der übrig gebliebenen Dokumente neu und gibt eine neue Liste gefundener Dokumente aus. Dabei hat sich der Vektor der Suchanfrage verschoben und zeigt jetzt deutlicher in die Richtung, in der sich das Wissen, welcher der Nutzer benötigt, in diesem Wissensraum befindet. Dabei kann es sein, dass Dokumente gefunden werden, welche der Nutzer gar nicht erwartet hatte, ihm aber nun, aufgrund

105 vgl. zur Clusterung Ebd., S. 131 ff. 69 assoziativer Erweiterung der Suche, zugänglich sind. Dieses Vorgehen kann theoretisch beliebig oft wiederholt werden, bis das Wissensbedürfnis des Nutzers befriedigt ist oder das System keine neuen relevanten Dokumente mehr findet.106 In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass sich nach der zweiten Reformulierung der Suchanfrage das Retrievalergebnis in der Regel nicht weiter verbessern lässt.107

Etwas komplexer findet der Prozess statt, wenn die Datenbank in Cluster aufgeteilt ist: Ein zu indexierendes Dokument wird nach den oben beschriebenen Methoden behandelt, gleichzeitig wird durch das System versucht, das neue Dokument einem bestehenden Cluster hinzuzufügen. Wie bei einer Anfrage vergleicht das System die Vektoren – in diesem Fall die Zentroiden – und ordnet das Dokument dem Cluster zu, mit dem es die größte Ähnlichkeit aufweist. Sollte es zu keinem der Cluster inhaltlich gehören, bleibt das Dokument außen vor; es bildet sich also, ähnlich wie bei Warburgs Systematikgruppen, die extra für ein Buch neu geschaffen werden können, ein neuer Cluster für dieses eine Dokument. Sollte jedoch das neue Dokument in einen Cluster hineinpassen, wird es mit diesem vereinigt und der Zentroidvektor mit den neuen Daten neu berechnet. Durch das neue Dokument hat sich die Lage des Clusters und dessen Zentroidvektor leicht verschoben. Eine dritte Möglichkeit ist die, dass das neue Dokument zwar in einen der Cluster hineinpasst, mit diesem jedoch den Cluster „überfüllt“, das heißt seinen Schwellenwert für die Größe der Cluster überschreitet. Nun wird durch das System das „Cluster-Splitting“ eingeleitet. Nach neuen Ähnlichkeitsanalysen werden aus dem einen großen zwei kleinere Cluster gebildet und neue Zentroiden gebildet. Die Datenbank des SMART-Systems hat also keine feste Struktur, sie gliedert sich inhaltlich selbst nach den formalen Vorgaben des Menschen.108

Betrachtet man nun die gedanklichen Berührungspunkte, die das SMART-System mit den Warburgschen Theorein gemeinsam hat, so fällt auf, dass auch in einem solch abstrakten, mathematischen System die informationswissenschaftlichen Grundsätze ähnlich sind. Auch hier erfolgt die Arbeit von innen nach außen: Das einzelne

106 vgl. Abb. 4-8 „Vereinfachtes Flussdiagramm des SMART-Systems“ in Ebd., S. 137 sowie Kaiser, Abs. 3. 3. 2.: http://wwwai.wu-wien.ac.at/Publikationen/Kaiser/diss.html#HTMLSection3.3.2 107 Kaiser, Abs. 3. 3. 2. 108 zum Cluster-Splitting vgl., Salton, S. 147 f. 70 Dokument bzw. die einzelne Anfrage werden als Grundlage sowie für die Suche als auch für die Gliederung des Bestandes genutzt. Das zu indexierende Dokument ähnelt hier dem zu erschließenden Buch bei Warburg, welches inhaltlich erfasst und dann in eine der Sachgruppen integriert werden muss, wobei es auch erlaubt ist, für dieses Medium extra eine Sachgruppe zu schaffen. Die Cluster, welche mit jedem neuen Dokument ihren Gesamtinhalt und ihre innere Struktur verändern, ähneln den Sachgruppen, welche bei Warburg immer aufs neue inhaltlich kontrolliert und umgebaut werden müssen.

Die Anfrage und deren Vektor zeigen in die Richtung der möglichen Lösung des Problems. Die Anfrage ist mit dem „Problem“ bei Warburg zu vergleichen, welches am Anfang jeder Suche steht. Sie begibt sich in den Bestand, findet relevante und irrelevante Dokumente, wird verändert und stößt im Idealfall am Ende auf die Informationen, welche der Nutzer benötigt, durch eine hierarchisch von außen nach innen gestaltete Suche aber vielleicht gar nicht gefunden hätte. Eine Fortsetzung der Suche bei den Nachbardokumenten und gegebenenfalls bei den Nachbarclustern steht dem Nutzer jederzeit offen, was mit dem System des „browsings“ identisch ist.

Auch das Relevanzfeedback ist ein der assoziativen Suche nahe stehender Aspekt. Es erlaubt nach einer ersten Recherche einen gewissen Richtungswechsel bei der Suche, das Einschlagen einer bestimmten inhaltlichen Richtung, was auch beim Laufen zwischen den Regalen der Warburgschen Bibliothek möglich war und ist.

Zum Thema „Interdisziplinarität“ ist zu sagen, dass eine Datenanalyse sowohl von breit gefächerten als auch spezialisierten Beständen möglich ist. Da die Extraktion der Deskriptoren aus dem Wortschatz der indexierten Dokumente stammen und dann die einzelnen Dokumente ihren Platz im Wissensraum einnehmen, ist es egal, wie ähnlich sich die Dokumente am Anfang des Aufbaus einer solchen Datenbank sind. Später, beim Hinzufügen weiterer Dokumente zur Datenbank, werden sich die Ähnlichkeiten der Dokumente untereinander sowie die Gesamtstruktur der Datenbank relativieren und der Grad der „Breite“ des verarbeiteten Wissens wird anhand der Anordnung und Struktur der Cluster sowie an der Häufigkeit der Überlappungen zwischen den Clustern zu erkennen sein. Nicht nur die Suche, auch

71 der Aufbau der Datenbank selbst funktioniert also von innen nach außen. Außerdem ist das SMART-System, ähnlich wie die Facettenklassifikation, sehr gut dafür geeignet, Literatur aus mehrere Fächer umfassenden Wissensgebieten zu erschließen, da durch die Facettenmethode bzw. durch die Vergabe von Deskriptoren auch für kleinere Aspekte des Inhalts eines Dokuments eine Erschließung möglich ist und ein einzelnes Dokument dann bei der Suche aus verschiedenen „Richtungen“ kommend gefunden werden kann.

In punkto Flexibilität seien hier noch einmal die selbst gliedernden Möglichkeiten des Systems genannt. Ähnlich den immer wieder neu aufzustellenden Sachgruppen in der Bibliothek Warburgs gliedert sich hier die Datenbank nach den Gegebenheiten des Bestandes. Es „erkennt“ die verschiedenen Themen oder Probleme und gliedert die indexierten Dokumente um sie herum, wobei es gleichgültig ist, ob sich die indexierten Themenkomplexe inhaltlich nahe sind oder nicht. So kann das System sowohl für breit gefächerte als auch für spezialisierte Bestände genutzt werden. Bei spezialisierten Beständen dürfte das System sogar hilfreicher sein als konventionelle Retrievalsysteme, da es aufgrund der Wortanalysen die Unterschiede zwischen den einzelnen Dokumenten noch feiner bestimmen kann.

Ein System, bei dem die meisten Abläufe vollautomatisch funktionieren, braucht vor der Aufnahme des Betriebes detaillierte Anweisungen. Hier liegt die menschliche Komponente, welche dem Programm sagt, was als inhaltliche Nähe einzustufen ist, welche Art von Clustern zu bilden sind, welche Begriffe zu Deskriptoren gemacht werden können etc. Der Mensch setzt also die Maßstäbe, nach denen das Programm dann mit seinen überlegenen Fähigkeiten (Bearbeitung großer Datenmengen, Schnelligkeit, Verknüpfungsmöglichkeiten, Vergleiche etc.) die Texte indexieren kann. Außerdem ist es eine Eigenschaft der Computerprogramme, alle Daten mit denselben Mitteln zu bearbeiten, das heißt hier, jeder zu indexierende Text wird mit der gleichen Intensität und Methodik bearbeitet, was bei einem menschlichen Indexierer, dem vielleicht bestimmte Themen mehr liegen als andere, nicht unbedingt selbstverständlich ist. Aber auch hier nimmt der Mensch dann das Heft des Handelns wieder in die Hand, wenn es um die Beurteilung der Dokumente für das Relevanzfeedback geht. Der Computer kann nur (in diesem Falle sehr ausgefeilt)

72 mathematische Vergleiche ziehen, der Mensch kann allerdings assoziativ denken und so das genaue Wissen, welches er benötigt, aus dem SMART-System herausholen. Es handelt sich hier also um eine ziemlich gut gelungene Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, um an das Wissen zu gelangen.

V. 2. 3. Suchstrategien für elektronische Datenbanken

Dieser Abschnitt soll sich mit bestimmten Suchstrategien befassen, welche den Warburgschen Ansätzen ähneln und bei der Recherche in elektronischen Datenbanken behilflich sein können, das Wissen zu extrahieren. Obwohl diese Methoden keine Tools zur automatischen Inhaltsbeschreibung sind, werden sie doch für die Bearbeitung von in elektronischen Systemen abgelegten Daten verwendet und werden deshalb innerhalb dieses Kapitels angerissen.

Das „Citation pearl growing“ ist eine Suchstrategie, bei welcher ein oder zwei Dokumente, welche als relevant bekannt sind, benutzt werden, um die darin enthaltenen Zitate der Literatur weiterzuverfolgen. Man beginnt die Suche also mit einem bekannten Dokument und setzt sie über die zitierten Werke fort. Dies kann mehrere Ebenen der Weiterverweisung umfassen. Aber nicht nur Literatur kann so gefunden werden, sondern auch weitere Deskriptoren für die Verbesserung der Suchanfrage. Man beginnt hier mit einer hohen Precision und erhöht dann schrittweise den Recall.109 Die Gewinnung von weiteren Informationen von innen nach außen ähnelt dem Wachsen einer Perle um ein Sandkorn herum, deshalb die Bezeichnung für diese Strategie.

109 vgl. „Themenblock Theorie des Online-Retrieval: Retrievalstrategien“: http://www.phil.uni- sb.de/~werner/ir/strat.htm 73 Abbildung 3: Modell des „Citation pearl growing“110

Zusammengefasst lässt es sich so ausdrücken:

„With one or two key books or articles, perhaps the question is answered — but perhaps not. The next step is to use the references in those key sources as pointers to other sources. This has been called "citation pearl growing": the other sources contain bibliographies that provide further references, some highly relevant, and these provide still more references, and so on, and the "pearl" of information grows larger and larger.“111

Für die Suche nach Deskriptoren sieht die Strategie wie folgt aus: 1. Begin with a known relevant article (the pearl). If a known relevant article isn't available, conduct a high precision search limiting all terms to the title field. 2. Search the database for that article's record. 3. Review the descriptors (subject indexing) assigned to the record. 4. Conduct a new search using the relevant descriptors from the pearl. 5. Examine any new relevant records retrieved. 6. Review the descriptors assigned to the new records. 7. Conduct a new search using any additional relevant descriptors found in the new records.

110 Quelle der Abbildung: Ebd. 111 „Appendix: Additional Sources of Sex Information“: http://www2.rz.hu- berlin.de/sexology/GESUND/ARCHIV/SEN/CH26.HTM 74 8. Repeat the process (steps 5-7) with additional relevant records until enough relevant material has been retrieved.112

Wie bei Warburg geht man hier vom speziellen aus und führt die Suche von innen nach außen durch, wobei diese Methode sowohl zum Ermitteln von bibliographischen Nachweisen direkt als auch zum Ermitteln besserer Deskriptoren für eine neue Suche geeignet ist. Da jedes neu gefundene Dokument auch in eine Sackgasse führen kann und deshalb vom Suchenden erst auf seine Relevanz hin beurteilt werden muss, kann man die Methode auch als „manuelles Äquivalent des Relevanzfeedback- Verfahrens“113 bezeichnen. Anwendung finden kann diese Methode sowohl bei der Suche nach gedruckten Quellen als auch in Online-Datenbanken. Im Internet, wo die Links auf die nächsten Quellen verweisen und man vermuten könnte, dass exzellente Websites auch exzellente Links haben, was aber keinesfalls der Wahrheit entsprechen und deshalb durch den Menschen überprüft werden muss, sollte man auf die „Clearinghouses“ zurückgreifen, welche die verschiedenen Seiten auch bewerten. In der Welt der gedruckten und durch die „peer review“ bewerteten Quellen sowie in den einschlägigen Datenbanken ist das „pearl growing“ jedoch eine für jedermann praktikable Methode, um den Anfang des Fadens zu finden und die Suche von diesem Punkt aus fortzusetzen, womit die Methodik Warburgs wieder in Erscheinung tritt. Wer mit der Thematik, der Literatursituation und der Terminologie eines Wissensgebietes noch nicht vertraut ist, findet hier eine Methode des Einstiegs.

Eine zweite Möglichkeit der Informationssuche nach dieser Art ist der „Most specific facet first approach“, bei dem das zu bearbeitende Problem in verschiedene Facetten eingeteilt wird, welche dann nach und nach dem System präsentiert werden. Dabei wird mit der Facette begonnen, welche die spezifischsten Ergebnisse im Bezug auf die Gesamtfrage verspricht.114 Falls die Suche nach dem ersten Durchgang nicht befriedigend war, kann eine nächste Facette, welche allgemeiner ist, dazurecherchiert werden. „Dieser Ansatz eignet sich vor allem bei Fragestellungen,

112 „Citation pearl growing – Using one good article to search for others“: http://www.hsl.creighton.edu/hsl/Searching/PearlGrowing.html 113 vgl. „Query Expansion“: http://faculty.washington.edu/efthimis/pubs/Pubs/qe-arist/QE-arist.html 114 vgl. Bekavac, Bernard: Skript zum Kurs „Information Retrieval“. PDF-Dokument unter http://www.inf-wiss.uni- konstanz.de/CURR/winter0102/IR/ir_script_ws01.pdf 75 die im Kernproblem relativ spezifische Suchbegriffe enthalten, bei denen nicht allzu große Treffermengen erwartet werden.“115

Abbildung 4: Modell des „Most specific facet first approach“116

V. 3. Bewertungen und Zusammenfassungen

V. 3. 1. Die vorgestellten Methoden im Vergleich mit Warburg

Dieser Abschnitt soll die im bisherigen Kapitel V. beschriebenen Methoden der Informationserschließung mit den in Kapitel IV. benannten Eigenschaften des Warburgschen Bibliothekskonzeptes vergleichen. Dazu soll wieder auf die herausgearbeiteten drei Punkte zurückgegriffen werden.

Punkt 1: Assoziation:

Verschlagwortung S Die assoziative Suche kann nur dann stattfinden, wenn man ein Werk gefunden hat, dass man für sich persönlich als relevant eingestuft hat. Dann kann mit dessen Schlagwörtern nach weiteren Dokumenten gesucht werden. Klassifikation S Eine Klassifikation funktioniert in diesem Punkt konträr zur

115 Ebd. 116 Quelle der Abbildung: http://www.phil.uni-sb.de/~werner/ir/strat.htm 76 Warburgschen Theorie: von außen nach innen. Das Problem wird mit Hilfe einer Hierarchie vom allgemeinen zum speziellen gelöst. S Wenn es sich bei der Klassifikation um eine Aufstellungssystematik handelt, muss das Medium in eine bestimmte Systematikgruppe eingeordnet werden. Da die meisten Medien jedoch mehrere inhaltliche Aspekte aufweisen, geht hier Potential für die Inhaltsbeschreibung verloren. Auch Wissensgebiete, die einem ähnlichen Kontext entspringen aber traditionell verschiedenen Wissenschaften zugeordnet sind (Bsp. Astronomie/Astrologie), werden hier künstlich getrennt. Für die Suche braucht man also mehrere Einstiegspunkte, nach Warburg sollte jedoch einer genügen, um die Suche zu beginnen. Allerdings verfügt man hier über die Möglichkeit der Autopsie als Mittel des browsings. S Bei einer aufstellungsfreien Klassifikation kann man die Suche nur so weit ausdehnen, wie es die Systematikgruppen zulassen. Eine Erweiterung der Suche auf Nachbargruppen ist schlecht möglich. Auch die Autopsie gestaltet sich schwierig, da diese Art von Klassifikation meist für Numerus currens-Bestände angewandt wird. Facettenmethode S Alle inhaltlichen Aspekte eines Dokuments – auch Randthemen – werden gleich behandelt. Demzufolge sind alle Facetten einer Inhaltsbeschreibung gleichwertig. S Die Suche kann mit einer bestimmten Facette begonnen und über weitere Facetten ausgedehnt werden (assoziative Suche). Der Suchansatz erfolgt von innen nach außen, wie bei Warburg. S Diese Methode unterstützt die schnellen Verknüpfungsmöglichkeiten der EDV. Für eine Aufstellung ist die Facettenmethode nicht geeignet, da es keinen Stamm- oder Hauptaspekt eines Mediums gibt, welcher in eine Systematikgruppe umgewandelt werden könnte. Dies wird jedoch durch die vorgenannten Argumente wettgemacht. Salton-Modell S Bei Indexierung und Suche werden inhaltlich ähnliche Dokumente anhand der vergebenen Deskriptoren mathematisch berechnet und in einem abstrakten Wissensraum nahe beieinander positioniert. Eine Suchanfrage mit einem bestimmten Problem stößt in den Wissensraum vor und wird mit den gefundenen Dokumenten abgeglichen. Die assoziative Suche wird vom Menschen spezifiziert und vom Computer durchgeführt. Durch die nahe beieinander positionierten Dokumente sowie durch den Ansatz von innen nach außen kann die Suche beliebig auf die Nachbardokumente ausgedehnt werden. 77 S Die Gliederung des Bestandes selbst ist immer in Bewegung, also nur für dynamische (elektronische) Bestände geeignet. CPG u. a. S Diese Methoden sind für die Suche nach weiterer Literatur bzw. weiteren Deskriptoren für die Recherche geeignet, wenn man bereits einen literarischen bzw. inhaltlichen Ansatz hat. Dann erfolgt mit Hilfe von Zitaten weiterer Literatur bzw. weiterer gefundener Deskriptoren die Suche von innen nach außen (CPG) bzw. mit Hilfe inhaltlicher Facetten die Suche von „speziell“ nach „allgemein“ (most specific facet first).

Punkt 2: Flexibilität:

Verschlagwortung S Eine Schlagwortliste und ein Thesaurus müssen aufgrund der sich verändernden Begrifflichkeiten in regelmäßigen Abständen aktualisiert und erweitert werden. Da sich aber nicht nur die Begrifflichkeiten, sondern auch die hierarchischen Zusammenhänge ändern und neue hinzukommen, ist eine Aktualisierung immer eine „Generalüberholung“, welche viel Zeit und Arbeit in Anspruch nimmt. Klassifikation S Für die Aktualisierung gilt im Grunde dasselbe wie für die Verschlagwortung. Zusätzlich gibt es bei einer Aufstellungsbasierten Systematik das Problem, dass bei einer Neuordnung des verwendeten Klassifikationssystems verschiedene Bestände umgestellt werden müssten. Was bei Warburg gewollt war, ist in einer (beispielsweise Öffentlichen) Bibliothek zu zeitaufwendig. Auch weisen viele Klassifikationssysteme keine Lücken in den Notationen auf, so dass bei einer Neufassung der ganze Bestand oder ein Teil davon umsigniert werden müssten. Facettenmethode S Da das System auf eine Hierarchie verzichtet, ist es relativ einfach aktualisier- und erweiterbar. Die Facetten sind außerdem so aufgebaut, dass es den Besonderheiten des jeweiligen Wissensgebietes entgegenkommt. So kann auch die Erschließung nach flexiblen Methoden durchgeführt werden. Salton-Modell S Hier liegt die flexible Komponente vornehmlich bei der „Selbstgliederung“ des Bestandes. Dieser lässt sich hier, da nur elektronisch vorhanden, dynamisch und nach den jeweiligen Bedürfnissen des Nutzers gliedern. So kann beispielsweise die Größe der Themenklassen (Cluster) durch den Suchenden vorher festgelegt werden. Auch können zu große und thematisch unübersichtliche Cluster durch das automatische Clustersplitting geteilt werden. S Da für alle Aspekte des Systems Schwellenwerte und

78 Spezifikationen definierbar sind, sind sowohl Indexierung als auch Suche und Relevanzfeedback flexibel durchführbar. CPG u. a. S Die flexible Komponente liegt hier in der Anwendung: Da man von innen nach außen recherchiert, ist es je nach Literaturverweisen oder Deskriptoren möglich, die Suche in eine gewisse Richtung hin zu lenken.

Punkt 3: Beschränkung:

Verschlagwortung S Hier muss dem Verschlagworter vertraut werden: Es werden nur die Dokumente gefunden, welche ein bestimmtes Schlagwort erhalten haben. Allerdings kann bei mehreren Dokumenten versucht werden, andere gefundene Schlagwörter auszuprobieren, wobei nicht sicher ist, ob es sich bei dem Beispielmedium um eines handelt, dass den „Kern“ des Problems trifft und somit die „richtigen“ Schlagwörter enthält. Klassifikation S Das Ende der durchsuchten Klassifikationsgruppen ist auch erst einmal das Ende der Suche – durch die „Schubladen“ beschränkt sich die Suche auf diese. Da die Suche von außen nach innen verläuft, ist es schwieriger, diese wieder zu verallgemeinern Facettenmethode S Die Begrenzung liegt hier vor allem darin, wie viele inhaltliche Aspekte bei der Indexierung des Dokuments berücksichtigt wurden. Je mehr Aspekte (Facetten), desto mehr Möglichkeiten der Verknüpfung bestehen und desto mehr Dokumente werden gefunden. S Bei einer Suche entscheidet der Recherchierende, wie viele Facetten er einbeziehen will. Salton-Modell S Die Suche wird durch den Menschen nach subjektiven Gesichtspunkten begrenzt. Jedes Dokument ist von der Stelle des Eintritts in den Wissensraum aus erreichbar. CPG u. a. S Der Mensch entscheidet, wie viele Facetten er in die Suche einbeziehen will und wann er genug Literatur bzw. neue Deskriptoren gefunden hat.

V. 3. 2. Der aktuelle Stand der Forschung

Alle Methoden, bei denen Berührungspunkte mit den Warburgschen Theorien nachgewiesen wurden, haben eines gemeinsam: den Umgang mit Facetten. Dieser Aspekt, das Finden von Dokumenten, Büchern oder sonstigen Medien aus verschiedenen „Richtungen“ einer Suche, ist gerade bei den elektronisch betriebenen

79 Suchverfahren sowie bei der Suche nach elektronischen Dokumenten die Grundlage des Arbeitens. Für eine Mischform, wie es die Warburgsche Bibliothek in London ist, ist es wichtig, aufstellungssystematische mit facettierten Methoden zu verbinden. Dies geschieht in letzter Zeit dadurch, dass in die konventionellen Klassifikationssysteme die Möglichkeit von Schlüsseln, also die eingeschränkte Facettierung, eingebaut wird, um sowohl die Möglichkeit einer Aufstellungssystematik für Medien zu haben als auch das Indexieren elektronischer Dokumente möglich machen zu können. Das bedeutet, dass bei der Neufassung von Klassifikationssystemen jetzt neben dem formalen, klassifizierenden, der kognitive Aspekt ebenfalls beachtet wird117, welcher eine Wissensorganisation nach den Denkstrukturen des Menschen erleichtern soll, was ja laut Warburg zur besseren Formulierung des Problems und zum besseren Finden der Lösung beiträgt.

Um eine Klassifikation auch im 21. Jahrhundert sowohl für die Erschließung konventioneller wie elektronischer Medien benutzbar zu machen, sollte sie folgende Bedingungen erfüllen: S “Continuous updating to keep pace with knowledge S Support of classifier productivity S Development of meaningful notation S Expanded international use S Provision of flexible structures S Ongoing research”118 Um diesen Vorgaben gerecht zu werden, soll hier am Beispiel der Dewey Decimal Classification beschrieben werden, wie die Klassifikationsforschung voranschreitet und was noch für die Zukunft zu beachten ist.

Die DDC liegt seit 1996 in der 21. Auflage vor. Zusätzlich gibt es eine „abridged edition“ in der momentan 13. Auflage. Außerdem fährt Dewey seit 1993 zweigleisig: Zu den Print-Ausgaben gibt es auch die elektronische Version „Dewey for Windows“. Vor dem Erscheinen einer neuen Auflage stehen immer größere, dem wissenschaftlichen Stand sowie dem aktuellen Stand an Literatur angepasste Updates

117 vgl. Newton, Robert: Information technology and new directions. In: The future of classification, S.53 f.

80 ganzer Schedules. Es werden Umstrukturierungen vorgenommen, welche sich sogar von unten ausgehend bis zur dritten Ebene (dreistellige Zahl) erstrecken können.119 Dabei sind naturgemäß die „weichen Wissenschaften“, wie Kultur-, Sozial- und Politikwissenschaften stärker von den Veränderungen betroffen, da sich hier die Themen stärker verändern und umstrukturieren. Auch ist eine Internationalisierung zu beobachten, weg von der amerikanischen zu einer eher globalen Sichtweise, sowie bei den Religionswissenschaften weg von der christlich dominierten Struktur.120 Dies ist der zunehmenden internationalen Anwendung der DDC geschuldet.121 Die nächste Gesamtauflage ist für 2003 geplant, jedoch werden in der jährlich erscheinenden Publikation „Decimal Classification Additions, Notes and Decisions“ sowie auf der ebenfalls jährlich erscheinenden Updatediskette für „Dewey for Windows“ auch in der Zeit zwischen den Gesamtauflagen Änderungen publik gemacht. Auf der Website der DDC gibt es sogar ein monatliches Update zum Download.122 Auch findet dort eine Verknüpfung mit den „Library of Congress Subject Headings“ statt, was eine konkordante Erschließung und Suche sowie gegebenenfalls einen Wechsel zwischen den Erschließungsinstrumenten ermöglicht.

Unter dem Stichwort „meaningful notation“ wird die Bildung der Notationen verstanden, welche sich zunehmend neben der reinen Hierarchie auch auf Facetten stützt. Mit Hilfe von „facet indicators“ werden Notationen synthetisiert, welche den genauen Inhalt des Dokuments wiedergeben, aber zum Zwecke der Buchaufstellung nicht ganz auf eine hierarchische Gliederung verzichten sollen. Ein Beispiel:

„Rock groups“: 782.421660922

782.42 Songs 1 Facet indicator for general principles (from Table under 782.1-782.4)

118 Mitchell, Joan S.: The Dewey Decimal Classification in the twenty-first century. In: The future of classification, S. 81 119 vgl. Ebd., S. 83 120 zu den Veränderungen von der 20. zur 21. Auflage vgl. Ebd., S. 83 f. sowie zu den Veränderungen bei der Darstellung der Religion vgl. Broughton, Vanda: Eine neue Klassifikation für das Fach Religion. In: 66th IFLA Council and General Conference auf http://www.ifla.org/IV/ifla66/papers/034-130g.htm 121 im Jahr 2000 war die DDC die Grundlage für weltweit 59 Nationalbibliographien, meist in Amerika, Asien und Afrika. Vgl. Ebd., S. 88 f. 122 zu den Updatemöglichkeiten vgl. Ebd., S. 84 f. 81 66 Rock music (from 781.66 Rock) 0922 Collected persons treatment (from Table 1-0922)123

Dieses zugegebenermaßen komplizierte Beispiel zeigt, wie die unterschiedlichen Aspekte einer Thematik alle in derselben Notation vereinigt werden können. Diese Art der Facettierung ähnelt der Bedeutung der unterschiedlichen Buchstaben in der Warburgschen Systematik und verbindet hier gekonnt aufstellungssystematische mit kognitiven Bedürfnissen einer Klassifikation. DDC und andere, ähnlich funktionierende Klassifikationen sind die von Gödert geschilderten „Klassifikationen mit Schlüsseln“, welche beide Aspekte einer Bibliothek, Sammeln und Ordnen sowie Vermitteln von Wissen, miteinander in Einklang bringen. Dieser Ansatz fand sich schon bei Warburg, als er zwischen der „Bibliothek als Museum“ und der „Bibliothek als Labor“ unterschied.124

Die DDC will nach eigenen Angaben (J. S. Mitchell im zitierten Artikel) das führende Erschließungsinstrument weltweit werden. Um das zu erreichen, wird verstärkt Wert gelegt auf regelmäßige Updates, eine internationale Sichtweise, viele Möglichkeiten der Facettenbildung sowie flexible Strukturen für nationale, ethnische und kulturelle Besonderheiten in den einzelnen anwendenden Ländern. So kann beispielsweise die Erschließung von Literarischen Werken in mehrsprachigen Staaten anders gelöst werden oder es wird die Erschließung religionswissenschaftlicher Literatur etwa im Islam oder Judentum speziellen Strukturen unterworfen. Auch die Verknüpfung mit bestimmten Fachthesauri steht im Vordergrund, um die Dewey-Klassifikation aus der Sicht bestimmten Gebiete der Wissenschaft anwenden zu können. Sollte dann jemand eine Suche beginnen, werden seine – beispielsweise mathematischen – Fachtermini in Dewey-Zahlen umgewandelt, ohne dass sich der Nutzer erst in die Arbeit mit der Universalklassifikation einarbeiten muss. Aber auch interdisziplinäre Ansätze gibt es: So arbeiten zum Beispiel zwei Wissenschaftler an der Universität von Alberta (Kanada) an einem Projekt namens „Fem/DDC“, welches einen Thesaurus zu Frauenstudien („women’s studies“) mit der DDC verbindet und so den Sucheinstieg

123 Ebd., S. 87 124 vgl. Pfister, S. 55 ff. 82 aus der Sicht der Frau zu ermöglichen.125 Diese Projekte erleichtern den Umgang mit der DDC, da man bei der Suche dann das zwar kontrollierte, aber doch gewohnte Vokabular statt der verwirrenden Zahlen benutzen kann.

Die Forschung am OCLC, welches die DDC seit einigen Jahren betreut, konzentriert sich neben den Grundlagen auch auf die Entwicklung automatischer Tools für die beiden Aspekte Organisation und Navigation. So forscht man beispielsweise an einem Tool, das die Sprache des Nutzers, die „end-user language“, in Dewey-Klassen übertragen kann und damit mit Dewey erschlossene Dokumente recherchierbar machen soll. Dies ist vor allem für die Erschließung von Web-Dokumenten nützlich, da die Anfragen an die Suchmaschinen in Worten oder Wortgruppen der natürlichen Sprache gestellt werden. Daraus ergeben sich jedoch einige Probleme: Die Webangebote müssten zuerst einmal mit Hilfe eines automatischen Tools analysiert und mit Ähnlichkeitsstudien (SMART etc.) zu Dewey-Zahlen geformt werden. Diese müssten dann wieder mit den natürlichsprachlichen Nutzeranfragen verglichen werden, was ein ähnlich funktionierendes Tool erfordern würde. Da sich die Forschung zur Erschließung von Webdokumenten aber gerade erst bei der formalen Ebene einigermaßen einig ist (Dublin Core Set), dürfte es noch lange dauern, eine ähnlich einheitliche Verfahrensweise für die Inhaltsbeschreibung zu finden. Dies liegt sicherlich unter anderem an der Dynamik von Webdokumenten, an ihrer großen Menge sowie an der allgemeinen „Narrenfreiheit“, welche im Internet herrscht. Es gibt jedoch ein Projekt von OCLC, welches sich mit dieser Problematik beschäftigt: das „Scorpion“-Projekt. Hier werden die Dewey-Klassifikation und eine SMART- Datenbank miteinander verknüpft, um nach einer natürlichsprachigen Suche und einer Ähnlichkeitsanalyse (siehe Abschnitt V. 2. 2.) zumindest eine Reihe von Dewey- Klassen errechnet zu bekommen. Diese werden noch sortiert und als ranking ausgegeben.126

Diese Methodiken und Ansätze, welche hier am Beispiel der DDC geschildert wurden, finden sich auch bei den anderen, auf der Welt stark verbreiteten

125 zu den „flexible structures“ vgl. Mitchell, Joan S.: The Dewey Decimal Classification in the twenty-first century. In: The future of classification, S. 89 f. 126 vgl. Ebd., S. 90 83 Klassifikationssystemen.127 Die aktuelle Forschung läuft also auf eine Synthese zwischen dem klassifizierenden, die Hierarchie bildenden und Aufstellungsbasierten Modell und einer facettierten, flexibel und assoziativ anwendbaren Methode hinaus, welche man für die Erschließung sowohl gedruckter Medien als auch elektronischer Dokumente nutzen kann. Hauptsächliche Messpunkte für die Qualität werden dabei, wie oben geschildert, inhaltliche und methodische Aktualität, internationale Anwendbarkeit sowie eine flexible Notationsbildung sein.

V. 3. 3. Anwendbarkeit für den Nutzer

Die vorgestellten Ansätze und Methoden sind alle sehr ausgefeilt und stellen zum Teil hohe Ansprüche an die Informationsspezialisten und Nutzer. Letzterem soll jedoch entgegengekommen werden, um die Suche transparenter und beeinflussbarer zu machen und damit die Precision des Suchergebnisses zu erhöhen. Seit den sechziger Jahren werden deshalb Untersuchungen durchgeführt, welche das Verhalten von Nutzern in Bibliotheken allgemein und bei der Suche im Besonderen erforschen sollen. Eine dieser Studien ist die Untersuchung des „information need“, des Informationsbedürfnisses, durch den Wissenschaftler Robert S. Taylor.128 Darin postuliert er, dass es vier verschiedene Arten des Wissensbedürfnisses gibt, welche sowohl aufeinander aufbauen, als auch als Ausgangspunkt für die Suche dienen können. Die Levels sind:

1. „The actual, but unexpressed need for information (the visceral need) 2. The conscious, within-brain description of the need (the conscious need) 3. The formal statement of the need (the formalised need) 4. The question as presented to the information system (the compromised need)“129

127 beispielsweise wird die UDC dahingehend überarbeitet, dass eine stärkere Facettierung, eine komplette Überarbeitung ganzer Bereiche und eine stärkere Anpassung an die Webumgebung vorgenommen wird. Vgl. Woldering, Britta: Klassifikationen UDK und DDC : Workshop in Frankfurt. In: Bibliotheksdienst – (2001),3 auf http://bibliotheksdienst.zlb.de/2001/01_03_07.htm 128 Taylor, Robert S.: Question-negociation and information seeking in libraries. In: College and research libraries, 29(1968), S. 178-194 129 Ebd., S. 182 84 Diese gedankliche Kette kann unterschiedlich bearbeitet werden. Entweder es beginnt tatsächlich mit einem unbewussten Informationsbedürfnis, welches erst kanalisiert werden muss, oder der Nutzer hat bereits Vorstellungen von den Inhalten oder Methodiken und es ist möglich, bereits mit Stufe 2 oder 3 zu beginnen.

Die erste Stufe ist noch keine Frage, sondern laut Taylor „a vague sort of dissatisfaction“.130 Das Problem kann noch nicht genau in Worte gefasst werden und kann sich in Inhalt und Form noch sehr stark verändern, je nach dem, wie sich die Wissensbasis des Nutzers oder die Dringlichkeit einer Lösung für den Nutzer verändern.

In der zweiten Stufe hat der Nutzer das Problem bereits in natürlichsprachige Worte gefasst, kann es aber noch nicht klar abgrenzen und beschäftigt sich noch mit einigen inhaltlichen Problemen. Es fällt ihm jedoch noch schwer, Fachtermini zu finden, um seine Suche zu formalisieren. In einem Auskunftsgespräch in einer Bibliothek würde der Nutzer hier erwarten, dass der Bibliothekar durch Gegenfragen versucht herauszufinden, welche konkreten Wünsche der Nutzer hat, um die Unklarheiten bei der Formulierung des Problems verschwinden zu lassen.

Bei der dritten Stufe des Informationsbedürfnisses ist der Nutzer in der Lage, seine Anfrage in qualifizierten und rationalen Fachtermini zu formulieren. Er weiß über den Kontext des Problems und über die potentiellen Möglichkeiten der Problemlösung bescheid und betrachtet den Bibliothekar und die Bibliothek als gleichberechtigten Partner beim Auskunftsgespräch und der Lösung des Problems.

Die vierte Stufe stellt sowohl Nutzer als auch Informationsspezialist vor ein konkretes Problem: Eine erste Suche ist bereits durchgeführt worden und man hat einen ersten Überblick über das, was das Informationssystem oder die Bibliothek zu dem formulierten Problem leisten kann. Nun geht es darum, die Frage so zu formulieren, dass die Möglichkeiten des vorgefundenen Bestandes am besten genutzt werden können. Dabei geht es darum, eventuell auch geistige Abstriche bei der Lösung des Problems zu machen und einen Kompromiss mit dem Informationssystem zu

85 schließen, welches oftmals keine hundertprozentige Lösung anbieten, sich aber bemühen kann, der Lösung bzw. den benötigten Informationen möglichst nahe zu kommen.

Bei dieser Aufzählung sollte es darum gehen, zu zeigen, wie diffus das Informationsbedürfnis eines Suchenden in den meisten Fällen ist und wie viel geistige Arbeit es erfordert, das Bedürfnis zu kanalisieren und in die Termini und Strukturen eines Informationssystems zu übertragen. Daher laufen die neueren Forschungen des Informationssektors auch darauf hinaus, automatische Tools zur „Übersetzung“ von natürlicher Sprache in die Sprache des jeweils genutzten Informationssystems zu entwickeln. Nun könnte man sagen, diese Art von Arbeit wäre der eigentliche Job des Informationsspezialisten und automatische Tools würden diesen stark beschränken. Allerdings ist dazu zu sagen, dass erstens das Wissen, über das die Menschheit verfügt, inzwischen astronomische Mengen angenommen hat und weiterhin wächst und zweitens es sich schon längst nicht mehr ausschließlich um statische Buchbestände handelt, sondern auch um hochdynamische elektronische Publikationen, welche mehr als eine inhaltliche Erschließung benötigen, da sich der Inhalt eines Dokuments nach einer Überarbeitung auch zugunsten eines anderen Faktors des Inhalts verschieben kann, was die inhaltliche Erschließung ungenau macht. Dem kann mit facettierter Erschließung, aber auch mit elektronischen Tools begegnet werden, welche die Anpassung der gefundenen Dokumente an das Bedürfnis des Nutzers erst kurz vor der Konsumierung der Informationen vornehmen, wie es beispielsweise das SMART- Projekt mit der Gleichstellung von Indexierung und Abfrage, von „Füttern“ des Systems und Entnahme der Informationen, vorführt. Durch diese Art der Verfahrensweise gliedert sich der Bestand immer in aktuellster Form. Außerdem sollte es verstärkt die Aufgabe der Informationsspezialisten der Zukunft sein, nicht nur gesammeltes Wissen zu verwalten und zu vermitteln, sondern auch neue Möglichkeiten zur möglichst inhaltsnahen Erschließung zu erdenken.

Da einzelne Klassifikationsgruppen oder einzelne Facetten das Informationsbedürfnis oftmals nicht ganz befriedigen, der Nutzer aber seine Suchanfrage in natürlicher

130 Ebd. 86 Sprache recht gut präsentieren kann und die Systeme von heute damit auch umgehen können, sollte es in der Zukunft möglich sein, dem Nutzer bereits bei Stufe 2 der Taylorschen Skala behilflich sein zu können. Eine natürlichsprachliche Anfrage lässt sich in Deskriptoren oder Notationen der einschlägigen Erschließungsinstrumente umwandeln, was das „Scorpion“-Projekt beweist. Damit ist man bei Stufe 3, dem formalisierten Bedarf, angelangt. Nun müssen diese formalen Bestandteile mit den gespeicherten Medien oder Dokumenten verglichen, ein Relevanzfeedback ermöglicht und die Suche erneut durchgeführt werden. Da das Relevanzfeedback dem „Kompromiss“ von Taylors Stufe 4 entspricht, müsste es jetzt möglich sein, dem Nutzer auf eine natürlichsprachliche Anfrage eine Antwort zu geben, welche sein Problem im Rahmen der Möglichkeiten der gespeicherten Dokumente inhaltlich erfasst und beantwortet hat. So braucht der potentielle Nutzer die Erschließungsinstrumente gar nicht zu kennen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Es reicht, wenn er weiß, dass sie im Hintergrund das Wissen für ihn bearbeiten und er auf eine Anfrage in aus menschlichen Gründen nicht ganz präziser natürlicher Sprache eine Antwort bekommt, welche ihn trotzdem befriedigt.

Zwischen Taylor und Warburg lassen sich auch einige Berührungspunkte feststellen. Die Gedankenketten der Suche stellen sich auf eine ähnliche Art und Weise dar: Taylors Stufen 1 und 2 ähneln dem Sucheinstieg mit dem „Problem“ bei Warburg. Das noch nicht in informationswissenschaftliche Einheiten gekleidete Problem des „wisceral need“ und des „conscious need“ lassen sich mit dem browsenden Sucheinstieg bei Warburg vergleichen, bei dem noch nicht klar ist, in welche Richtung sich die Suche entwickeln wird. Hat man dann mit Hilfe der Warburgschen Methode den Sucheinstieg und die ersten befriedigenden Treffer gefunden, so befindet man sich auf gleicher Höhe mit dem „formalised need“ Taylors, da man jetzt auf die entsprechenden Systematikgruppen, Deskriptoren oder Notationen der gefundenen Medien zurückgreifen kann, um die Suche entsprechend zu verändern und zu wiederholen. Die dann durch das „Prinzip der guten Nachbarschaft“ Warburgs bzw. durch die Wiederholung der Suche unter den neuen Gesichtspunkten bei ähnlich funktionierenden Systemen gefundenen Treffer sind dann identisch mit dem „compromised need“, dem Kompromiss zwischen gewolltem und gefundenem, den man laut Taylor mit dem Informationssystem schließen muss.

87 Damit soll folgendes gesagt sein: Die Suche, wie sie Taylor vorschlägt, besteht aus den Anfragen des Nutzers und den Gegenfragen des Bibliothekars bzw. des Informationssystems. Gemeinsam nähert man sich dann einem Kompromiss aus dem, was der Nutzer fordert mit dem, was das Informationssystem zu bieten hat, wobei die Befriedigung des Nutzerbedürfnisses im Vordergrund stehen muss. Auch bei den beschriebenen Projekten der elektronischen Sacherschließung ging es darum, Nutzeranfrage und bereitgestelltes Wissen einander anzunähern und so auf die genauestmögliche Weise zu beantworten, wobei der Nutzer Kriterien für die Suche und die Organisation des präsentierten Wissens festlegen kann. Letztendlich läuft es auf eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen dem Nutzer und dem Informationsspezialisten bei der Beantwortung der Nutzerfrage hinaus. Die Mittel dazu können die von Warburg aufgestellten Methoden der Assoziation und der Flexibilität bei Suche und Strukturierung des Wissens sein.

88 VI. Schlussfolgerungen

Es war das Ziel dieser Arbeit, den von Warburg für sich und seine Bibliothek aufgestellten Kanon von Herangehensweisen und Methoden mit den theoretischen Ansätzen heutiger gebräuchlicher Sacherschließungsmethoden und –instrumente zu vergleichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass der theoretische Ansatz des assoziativen Suchens unter Mitarbeit sowohl des Nutzers als auch des Informationsspezialisten dabei ist, sich zu verbreiten. Er tritt zutage sowohl in den Überarbeitungen der modernen Klassifikationssysteme, welche auf eine flexible, facettierte Erschließung hin verändert werden, als auch in den Arbeitsweisen der automatischen Tools zur Erschließung und Vermittlung der großen Datenbestände unserer Zeit. Der Ansatz, dem Nutzer bei seiner Suche mehr Spielraum und Entscheidungsfreiheit einzuräumen, beginnt sich durchzusetzen. Dazu haben neben den oben beschriebenen modernen Mitteln der Wissensorganisation auch die technischen Voraussetzungen beigetragen, welche sich in den letzten Jahren gravierend weiterentwickelt haben und nun von jedem normalen Nutzer bedient werden können. Die Lösung eines Problems mit Hilfe assoziativer und flexibler Suchstrategien, kombiniert mit einfach zu bedienenden und die Suche, Verarbeitung und Präsentation der Daten erleichternden elektronischen Systemen, lässt sich nun relativ einfach bewerkstelligen. Voraussetzungen dafür sind jedoch eine konsistente Anwendung der Erschließungsmethoden durch den Informationsspezialisten sowie eine ebensolche Nutzung durch den Suchenden. Außerdem ist es nun ebenfalls die Aufgabe des Nutzers, seine Suche bei einer derartig flexiblen Strategie sinnvoll zu beschränken, um nicht zu viele Daten zur Verfügung gestellt zu bekommen und diese unter Umständen nicht verarbeiten zu können. Letztendlich bleiben alle diese Methoden nur Hilfsmittel für den Menschen, der sie sinnvoll nutzen muss, um das Problem, welches er allein am besten in Worte fassen kann, lösen zu können.

89 VII. Literaturliste

Zu den Kapiteln II. und III.:

Diers, Michael (Hrsg.): Porträt aus Büchern : Bibliothek Warburg und Warburg Institute ; Hamburg - 1933 - London. - Hamburg, 1993.

Frauen im Hamburger Kulturleben. – Hamburg, 2002.

Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In: Knowledge Organisation – Frankfurt/M. – 22(1995),1, S. 23-29

Gombrich, Ernst Hans: Aby Warburg : eine intellektuelle Biographie. – Hamburg, 1992.

Habermas, Jürgen: Ernst Cassirer und die Bibliothek Warburg. - Berlin, 1997.

Pfister, Silvia: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg : Geschichte und Konzeption in ausgewählten Aspekten. – Köln, 1992

Roeck, Bernd: Der junge Aby Warburg. – München, 1997.

Schäfer, Hans-Michael: Das Warburg-Haus Hamburg : Denkort und Denkmal ; seine Buchbestände und eine bibliothekarische Situationsbestimmung. In: Auskunft – Herzberg. – 19(1999)1, S. 48-53

Stockhausen, Tilman v.: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg : Architektur, Einrichtung und Organisation. – Hamburg, 1992.

Warburg, Aby M.: Schlangenritual : Ein Reisebericht. – Berlin, 1996.

Warburg, Aby Moritz: Gesammelte Schriften : Studienausgabe. - Berlin, 2001. - Abt. 7 7, Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg

Wuttke, Dieter: Dazwischen : Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren. – Baden- Baden, 1996.

Website des Warburg Institute in London: http://www.sas.ac.uk/warburg/default.htm

Website des Warburg-Hauses Hamburg: http://www.warburg-haus.hamburg.de

Website und verschiedene Unterseiten der Universität Hamburg: http://www.uni- hamburg.de

Website der „Ernst-Cassirer-Arbeitsstätte“ in Hamburg: http://sun07.sts.tu- harburg.de/eca/homepage-eca.htm#top

90 Zu Kapitel V.:

Dervin, Brenda u. a.: Information needs and uses. In: ARIST, 21(1986), S. 3-33

Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation : ein Handbuch zur Einführung in die fachliche Informationsarbeit. – 4., völlig neu gefasste Ausg. – München [u. a.], 1997.

Klassifikationen für wissenschaftliche Bibliotheken : Analysen – Empfehlungen – Modelle. – Berlin, 1998.

Kognitive Ansätze zum Ordnen und Darstellen von Wissen. – Frankfurt/M., 1992.

Kuhltau, Carol C.: Inside the search process : Information seeking from the user’s perspective. In: JASIS, 42(1991), S. 361-371

Lorenz, Bernd: Klassifikatorische Sacherschließung : Eine Einführung. – Wiesbaden, 1998.

Moens, Marie-Francine: Automatic indexing and abstracting of document texts. – Boston [u. a.], 2000.

Sachse, Elisabeth [u. a.]: Automatische Indexierung unter Einbeziehung semantischer Relationen : Ergebnisse des Retrievaltests zum MILOS II-Projekt. – Köln, 1998.

Salton, Gerald [u. a.]: Information Retrieval : Grundlegendes für Informationswissenschaftler. – Hamburg, 1987.

Satija, M. P.: The revision and future of Colon Classification. In: Knowledge Organisation, 24(1997),1, S. 18-23

Taylor, Robert S.: Question-negociation and information seeking in libraries. In: College and research libraries, 29(1968), S. 178-194

The future of classification. – Aldershot [u. a.], 2000.

Westbrook, Lynn: User needs. In: Ecyclopedia of library and information science, vol. 59 (suppl. 22) – New York, 1997. S. 316-437

Kaiser, Alexander: Computer-unterstütztes Indexieren in Intelligenten Information Retrieval Systemen. Ein Relevanz-Feedback orientierter Ansatz zur Informationserschließung in unformatierten Datenbanken: http://wwwai.wu- wien.ac.at/Publikationen/Kaiser/diss.html (Dissertation)

Website der „Health Sciences Library“ der Creighton University in Omaha, Nebraska: http://www.hsl.creighton.edu/

91 Website der „Information School“ an der University of Washington: http://www.ischool.washington.edu/

Website der Fachrichtung „Informationswissenschaft“ der Universität des Saarlandes: http://is.uni-sb.de/

Website des „Labors für bibliographisches Information Retrieval“: http://www.fbi.fh- koeln.de/fachbereich/labor/bir/suche.htm

Website des Fachbereichs „Informationswissenschaften“ der Universität Konstanz: http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de

Website von Prof. Dipl-Math. Winfried Gödert, Fachhochschule Köln: http://www.fbi.fh-koeln.de/fachbereich/personen/goedert/goedert.htm

Website der Zeitschrift „Bibliotheksdienst: http://bibliotheksdienst.zlb.de/index.html

Website der IFLA: http://www.ifla.org/index.htm

Website der Kommission für Sacherschließung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare: http://www.uibk.ac.at/sci-org/voeb/kofse.html

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