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Größe für die Musiksender, stärker auf den Newcomer. Viva ist erfolgreich in eine Lücke gestoßen, die MTV – 1987 vom US-Unternehmen Viacom auch in Europa gestartet – zu lange übersehen hatte. Während beim längst traditionellen Music-Awards-Spektakel in den USA die besten Songschreiber, Gagautoren, Choreographen und Popstars Jahr für Jahr ein furios-komisches Feuerwerk der Popkultur veranstalten, gab es in Berlin bloß schlechte Witze. Moderator Tom Jones fragte die Sängerin Neneh Cherry, ob sie Neneh Cheddar heiße – matter Applaus; Tom Jones zum Publi- kum: „Sagt mal Do Do.“ Unfreiwillig komischer Höhepunkt: Bryan Adams, der einen Preis als bester Sänger erhielt und die Frisur des Selbstmörders Kurt Cobain spazierentrug. , Michael Jackson und die Rolling Stones, die den diesjährigen US- Awards bizarre Auftritte schenkten, wurden in Berlin als Spitting Images verhöhnt. Man hatte ja viel bessere Stars: Ace of Base, Roxette, Marusha, Take That und, ach ja, den Mann, den sie früher nur Prince nannten und der heute auch unter dem Namen „Love

FOTOS: AP Symbol“ recht erfolglos Platten produ- Popstar Adams, Hosteß in Berlin: Ruch von Haargel und „Bac“-Deo ziert. Er war extra exklusiv aus den

Starandrang fast nur Unterhaltung aus der zweiten Liga und ein Verkehrscha- os, das die deutsche Hauptstadt auf Stun- Sagt mal den lahmlegte. Doch die MTV-Ma- terialschlacht für ge- Do Do schätzte zehn Millio- nen Mark brachte am Im Kampf um die Pop-Jugend Ende nicht mehr als überbieten sich die ein zweieinhalbstündi- ges Flimmern auf den TV-Musikkanäle Viva und MTV mit heimischen Bildschir- men der Zielgruppe – pompösen Showspektakeln. die Show hatte wenig Glamour, dafür um so ielleicht hatte Otto die ultrahippe mehr den Ruch von Tanzband „The Prodigy“ Strickmütze etwas zu tief übers Ge- Haargel und „Bac“- Sonnenbrillen-Schwachköpfe im Siegestaumel Vsicht gezogen. Bei seinem Lauf Deo. durch den Paparazzi-Korridor vor dem Mit der Trophäenshow wollte der glo- USA eingeflogen. Irgendwo muß auch Stareingang des MTV-Spektakels um bale Musiksender einen kleinen und un- er sein Geld verdienen. die „European Music Awards“ blitzte liebsamen deutschen Gegner in die Dabei hatte MTV zunächst furios bei für den Ostfriesen jedenfalls nur ein ein- Schranken weisen: Ohne Viva, das Köl- Zuschauern und Geldgebern Maßstäbe sames Fotografenlicht. ner Popclip-Programm, hätte es die gro- gesetzt: Der Sender entwickelte eine Keine Chance für lokale Größen: Nur ße Gala wohl so nicht gegeben. faszinierende neue Fernsehästhetik: ra- bei , George Michael und Denn seit rund einem Jahr spürt der sende Schnittfolgen, verdrehte Kamera- beim blonden „Baywatch“-Babe und erfolgreiche Ex-Monopolist MTV in einstellungen, eine „In your face“-Bild- Playboy-Model Pamela Anderson ge- Deutschland, dem drittgrößten Musik- sprache, die dem Zuschauer buchstäb- witterte die Fotografen-Meute pflichtge- markt der Welt, lästigen Wettbewerb. lich ins Gesicht springt. mäß. „MTV“, so Coca-Cola-Manager Hanno Zudem half MTV bei der Internatio- Am dekorativ-historischen Ort, dem Hoekstra, sei zwar immer noch der nalisierung der Jugendkultur, trug dazu Brandenburger Tor, den der Londoner wichtigste Jugendsender. „Aber in deut- bei, die treudeutsche Rockpalast-Ödnis Ableger des Musikkanals MTV für seine schen Klubs und Läden“, den trendset- zu beenden, und schenkte besorgten erste Preisverleihung in Europa ausge- zenden Orten der Jugendkultur, „sieht Volkserziehern einen Namen, mit dem wählt hatte, gab es erwartungsgemäß man immer mehr Viva.“ Deshalb baut sie eine ganze Altersgruppe abhaken Medienrummel, kreischende Teenager, die Werbekundschaft, entscheidende konnten: die Videogeneration. Inzwi-

DER SPIEGEL 48/1994 207 .

KULTUR

schen zollt sogar die linksalternative taz Teenager – und erleichtert den Kids dem „ehemaligen Trendsetter MTV“ den vermeintlichen Jugendverblödern durch deutsche Moderationen das Ver- hierzulande kräftig Konkurrenz zu ma- Respekt. Habe MTV, so fragte die Zei- ständnis. Allerdings leidet der Sender chen: „Deutsche Stars, deutsche Mode- tung anläßlich der Preisverleihung, etwa noch darunter, als Proll-Sender unter ratoren und ständige Szenepräsenz sind nicht „das Teenagerverhalten rundum den Popformaten zu gelten. bei den 14- bis 25jährigen entscheidend formatisiert, modernisiert, internationa- Als beim MTV-Spektakel die Jungs und damit auch bei denen, die mit ihnen lisiert – und sich ganz nebenbei noch das der britischen Tanzband „The Prodigy“ Geld verdienen wollen.“ Deutschlands Image des politisch Korrekten zuge- als Sonnenbrillen-Schwachköpfe im Sie- größter Textilhändler C & A zappte be- legt?“ reits die Fernsehschirme in allen Filialen Doch der Erfolg des Marktes, den von MTV auf Viva. MTV selbst geschaffen hatte, kostet den „Nicht so angestrengt Um gegenhalten zu können, startet Musik-TV-Pionier womöglich mehr als auf hip wie MTV, der MTV-Eigentümer Viacom im näch- den Verlust der exklusiven Dominanz. sten Jahr einen eigenen Kanal für Nachdem das Konzept vom 24-Stunden- eher lässig intelligent“ Deutschland: VH-1, das vor allem die Musikkanal erfolgreich etabliert worden kaufkräftigen Musikfans um die 30 an- war, machen sich nun regionale Heraus- gestaumel auftraten, zeigten sich auch in peilt. Allerdings soll im nächsten Jahr forderer daran, an der von MTV ver- diesem Punkt Angleichungstendenzen. auch Gornys Viva 2 in die Kabelnetze nachlässigten Basisarbeit vor Ort zu ver- Auf der anderen Seite versuchte Viva in kommen, ein kopiertes VH-1. dienen. Berlin den MTV-Glamour zu kontern, Schon jetzt jagen sich die beiden Me- Viva, der derzeit erfolgreichste Kon- indem es als Veranstalter der längst zur dienunternehmen gegenseitig Topleute kurrent, setzt neben dem unvermeidli- lachhaften Massenattraktion verkom- ab: Der ehemalige Viva-Programmchef chen Abspielen internationaler, zumeist menen Techno-Party „Mayday“ in der Christoph Post soll VH-1 aufbauen und angloamerikanischer Popgrößen konse- Deutschlandhalle auftrat. kann dabei auf die internationalen Be- quent auf den einheimischen Musik- Viva-Geschäftsführer Gorny brüstete ziehungen von MTV und Viacom bau- markt und die Lebenswelt deutscher sich auf einer Pressekonferenz in Berlin, en. Steve Blame, gefeierter MTV-Mo-

Moral „Die Gage war saugut“ Interview mit dem Sänger Konstantin Wecker über Karrieren beim Sexfilm

SPIEGEL: Herr Wecker, Sie waren als und ihnen gegenüber höchstens eine junger Mann Anfang der siebziger Jah- gewisse Nostalgie empfunden wird, re Sexfilm-Darsteller. Was denken Sie wie etwa gegenüber Heimatfilmen mit über Politiker, die damals mitgespielt Heinz Erhardt. Diese Toleranz müssen haben? die dann aber beibehalten. Mir wäre es Wecker: Mir sind Politiker dann näher, noch lieber, wenn die Herren einmal wenn sie etwas Menschliches an sich ihre Sachen auf den Tisch legen. haben und nicht alles vertuschen. SPIEGEL: Sie haben aus Ihrer Sexfilm- SPIEGEL: Aber sind sie nicht gezwun- Karriere kein Geheimnis gemacht. gen zu vertuschen, wenn sich Bild an- War es schwer, an diese Rollen zu gesichts des Auftritts der CSU-Abge- kommen? ordneten Dagmar Wöhrl im Film „Die Wecker: Ich hatte erst keine Ahnung,

Stoßburg“ sorgt: „Stürzt sie über um was für eine Art von Film es sich ATLANTIS Nacktfoto?“ handelte. Ich hatte beim Künstler- Erotikfilm-Darstellerin Wöhrl Wecker: Jeder Mensch hat in seinem dienst in München angerufen und be- Revolution im Parlament? Leben schon einen Softporno gedreht, kam einen Vertrag mit dem kleinen ich meine das jetzt symbolisch. Jeder Zusatz: „Der Darsteller hat nichts da- und ich sollte nun zur Sache gehen. hat irgend etwas, worüber sich die Ge- gegen, sich nackt zu zeigen.“ Ich hätte Allerdings mit dem festen Verspre- sellschaft auslassen könnte. Und wenn sowieso nichts dagegen gehabt. Die chen, den Rammler nur zu mimen. es nur Phantasien sind. Insofern gefällt Gage war saugut, erst 300, später 500 SPIEGEL: War die Atmosphäre bei es mir ganz gut, daß etwas von einer Mark pro Drehtag. Ich hatte mehrere den Dreharbeiten vergleichbar mit CSU-Politikerin herauskommt, das die Kameraleute und Tonassistenten er- der bei Pornofilmen heute? Gesellschaft eigentlich erregen müßte. wartet, ein Studio, aber das Atelier Wecker: Nein, damals gab es keine SPIEGEL: Zumindest nach außen hin war in der Garage von Alois Brum- Pornoatmosphäre. Erst mal haben wir zeigt die CSU ihre Erregung nicht. mer. den Geschlechtsverkehr eh nicht voll- Glauben Sie, daß die offizielle Libera- SPIEGEL: Der war damals der größte zogen. Moralische Gründe hätten lität echt ist? Münchner Produzent von Erotikfil- mich damals, um es ehrlich zu sagen, Wecker: Die Partei konnte nicht an- men. nicht daran gehindert. In puncto Sex ders reagieren, weil diese Erotikfilme Wecker: Ja. In der Garage stand ein gab es eine solche Freiheitswelle, daß auf Sat 1 niemanden mehr aufregen riesiges Bett, da wartete eine Dame, einen niemand deshalb schräg an-

208 DER SPIEGEL 48/1994 derator der ersten Stunde, wird Pro- grammchef von Viva 2 und büffelt täg- lich zwölf Stunden Deutsch. „Ich werde einen Sender für meine Generation ma- chen“, sagt Blame, 35, „ich glaube, die Menschen haben die Nase voll von Mo- dels.“ Seinen künftigen Sender wünscht er sich „nicht so angestrengt und atem- los auf hip wie MTV, eher lässig intelli- gent, cool und mit einer Menge Selbst- ironie“. Als der ehemalige Superstar Prince nach der Awards-Verleihung um halb drei Uhr morgens zur intimen Jam Sessi- on aufspielte, hatte MTV für die Promi- nenz aus dem Popbusiness eine eigene VIP-Galerie reserviert. Mit Champa- gner feierte das MTV-Management sich selbst: „So was können nur wir, das bringt Viva niemals zustande.“ Doch das Wall Street Journal, treuer Seismograph amerikanischer Geschäfts- interessen, prophezeite: „Wenn die Fete vorbei ist, schalten die Leute wieder Vi- va ein.“ Y

schaute. Da wäre es schlimmer gewe- sen, wenn ich einen Schlager gesun- gen hätte. SPIEGEL: Nach zwei Jahren sind Sie ausgestiegen. Sind Ihnen Filme wie „Unterm Dirndl wird gejodelt“ heute peinlich? Wecker: Bis heute ist mir die Tatsa- che, daß ich irgend etwas in den Bet- ten gemacht habe und nackt zu sehen war, nicht peinlich. Es ist mir pein- lich, daß die Filme so schlecht sind. Ich war erschüttert, daß der Film „Oh mei, haben die Ostfriesen Rie- sen“, in dem ich mitgespielt habe, mit seinen billigen Witzen so gut ankam. SPIEGEL: Ist mit Frau Wöhrl 20 Jahre nach der „Stoßburg“ die sexuelle Re- volution nun im Parlament angekom- men? Wecker: Ich glaube, die Politiker ha- ben nur verstanden, daß es geschick- ter ist, kein großes Aufheben zu ma- chen, denn im Volk fühlt sich durch diese harmlosen Erotikfilme niemand mehr provoziert. SPIEGEL: Sie halten das Parlament für verklemmt? Wecker: Ja. Wir leben, denke ich, in sehr viel spießigeren Zeiten als da- mals, in so einer Art neuem Bieder- meier. Es gibt aber eine neue Gene- ration von Politikern, die zu den 68ern gehören. Vielleicht können die bewirken, daß sich etwas ändert. Aber ich bin mal gespannt, wie sich diese Enthüllung auf die Karriere von Frau Wöhrl auswirkt. Ich bin da pes- simistisch.