LUDWIG THUILLE AUSGEWÄHLTE LIEDER

LEILA HARTMUT

PFISTER 1 HÖLL 2 LUDWIG THUILLE (1861-1907) AUSGEWÄHLTE LIEDER SELECTED SONGS

1 op. 12/3: Die stille Stadt (Richard Dehmel)...... [3:44] aus / from op. 19 2 1 Die Kleine (Joseph von Eichendorff)...... [1:56] 3 2 Sommermittag (Theodor Storm)...... [3:02] 4 4 Frau Nachtigall (aus »Des Knaben Wunderhorn«)...... [1:53] 5 5 Spinnerlied (aus »Des Knaben Wunderhorn«)...... [1:53] aus / from op. 15: 6 1 Mädchenlied (Otto Julius Bierbaum)...... [2:18] 7 3 Lied der jungen Hexe (Otto Julius Bierbaum)...... [1:49] op. 5: 8 1 Klage (Karl Stieler)...... [2:24] 9 2 Sommermorgen (Karl Stieler)...... [1:47] 0 3 Es klingt der Lärm (Karl Stieler)...... [3:12]

! op. 7/7: Am Heimweg (Karl Stieler)...... [2:15] op. 36: @ 1 Mein Engel hüte dein (Wilhelm Hertz)...... [3:15] # 2 Letzter Wunsch (Wilhelm Hertz)...... [3:33] $ 3 Komm, süßer Schlaf (Wilhelm Hertz)...... [3:39] op. 4 % 1 Gruß (Otto Gensichen)...... [1:40] ^ 2 Die Verlassene (Hermann von Lingg)...... [2:29]

& op. 32/1 Der Tod krönt die Unschuld (Otto Julius Bierbaum)...... [4:07] op. 24: * 1 Wenn die Sonne (Clemens Brentano)...... [3:07] ( 2 Die Spinnerin (Clemens Brentano)...... [3:32] ) 3 Ich wollt’ ein Sträußlein (Clemens Brentano)...... [2:47]

¡ op. 26/3: Seliges Vergessen (Joseph von Eichendorff)...... [3:29] ™ o.op.: Urschlamm- Idyll (Theodor von Vischer)...... [6:25] Leila Pfister, Mezzosopran / Mezzo-soprano Hartmut Höll, Klavier / Piano

Aufnahme / Recording: Bayreuth, Studio Steingraeber & Söhne, 22.-26.09.2013 Tonmeister & Schnitt / Recording Supervision & Editing: Teije van Geest • Klaviertechnik / Piano Technician: Thomas Gärtner Instrument: Steingraeber Konzertflügel E-272 Produzent / Producer: Johannes Kernmayer © + (p) 2015 CAPRICCIO, 1010 Vienna, Austria www.capriccio.at 3 Jede Generation wird die ‚große Erzählung’ Sohn des Kunst- und Musikalienhändlers Johann Thuile Musikgeschichte überdenken und erweitern wollen: nur so in ein musikalisch hochgebildetes Elternhaus. Schon früh kann unser musikalisches Leben vielfältig, überraschend verlor er Vater und Mutter; durch die Vermittlung eines und mit neuen Perspektiven Vergangenheit und Zukunft Onkels kam der begabte Knabe mit elf Jahren an das verbinden. Dazu gehört ein beständiges Infragestellen der Benediktinerstift Kremsmünster im oberösterreichischen Tradition; ein neuer, befreiender Blick auf das Repertoire Alpenvorland und erhielt als Chorsänger eine Freistelle für vermag den Reichtum künstlerischer Inspiration auch das humanistische Gymnasium. Hier bekam er Klavier- und im 19. Jahrhundert weiterhin zu eröffnen: „Das ist das Violinunterricht sowie eine grundlegende Ausbildung in den Problem jeden Kanons: nicht, dass die Klassiker darin zu Fächern Komposition und Musiktheorie. Bereits vier Jahre unrecht stünden, sondern dass ihre Aufnahme auch von später finden wir den jungen Ludwig Thuille in Innsbruck, Gesetzen des Marktes und der Aufmerksamkeitsökonomie wo er in seiner kompositorischen Begabung weiter abhängt – also die Verdrängung anderer voraussetzt“ , so gefördert wird durch die dort bekannte Musikerfamilie Jens Jessen in dem Essay ‚Schaut hin, sie leben!’ (Die Nagiller. In deren Kreisen verkehrte auch das Ehepaar Franz Zeit, 8.Januar 2015). Viele große Künstler, Musiker und und Josepha Strauss; bald lernte Thuille den drei Jahre Schriftsteller seien in Vergessenheit geraten, obwohl sie jüngeren Sohn kennen, mit dem ihn eine einst berühmt und mächtig waren – woran mag das liegen? lebenslange Freundschaft verband. Angeregt durch diese „Hört hin, sie leben“ – hierfür stehen auch Werk und Verbindung nahm Ludwig Thuille ab 1879 sein Studium Wirken des ‚spätromantischen’ Komponisten Ludwig an der Königlichen Musikschule in München auf, wo er Thuille (1861 – 1907) in München. Seit den 1990er Jahren fortan seinen Lebensmittelpunkt finden sollte und sich als erfährt sein kompositorisches Schaffen ein beständig Komponist, Pianist und Lehrer einen herausragenden Ruf wachsendes Interesse und damit eine neue künstlerisch- erwarb, so dass man ihn sogar als Vater der ‚Münchner interpretatorische Würdigung. Nach dem ersten Album Schule’(Friedrich Klose, , Hans Pfitzner, ‚Ausgewählte Lieder’ mit dem Bariton Roman Trekel und Richard Strauss) bezeichnete. Hartmut Höll am Klavier folgt nun das zweite mit der Für sein kompositorisches Schaffen (Schwerpunkt: Mezzosopranistin Leila Pfister und wiederum Hartmut Höll Kammermusik und Bühnenwerke) war die Ausbildung als Liedpianist. bei Joseph Rheinberger prägend: der Professor Ludwig Thuille war ein umfassend und vielfältig für Komposition, gleichzeitig Hofkapellmeister für gebildeter Musiker: Komponist, Pianist, Chorleiter, Sänger, Kirchenmusik, vermittelte seinen Studenten die Kunst Musikpädagoge (Kompositions- und Klavierlehrer) und des strengen Kontrapunkts und achtete in der damals Musiktheoretiker. Seine Familie kam ursprünglich aus jüngeren Vergangenheit insbesondere das Werk Savoyen und war seit langem in Bozen ansässig, wo der von Schumann und Brahms – eine im besten Sinne damals berühmte Sohn der Stadt bereits 1922 mit Portrait konservativ gediegene musikalische Position. Rheinberger und Inschrift an seinem Geburtshaus geehrt wurde. förderte den jungen Musiker besonders und vermittelte Geboren wurde er am 30.November 1861 als jüngster ihm nach Studienabschluss eine Anstellung als Klavier-

4 und Theorielehrer an der Musikschule. Nach dem Tod und Melodiebildung, findet sich auch im Liedschaffen von Rheinbergers im Jahr 1901 wurde Thuille dort sein Ludwig Thuille. Sein Liedkatalog umfasst 90 Kompositionen. Nachfolger. In allen Werken lebt der Geist der romantischen Bewegung Als‚ Gegenwelt’ zur Münchner Schule bestimmte fort: die Suche nach dem Unendlichen im Begrenzten. den ästhetisch-musikalischen Diskurs des 19. Als Grundimpuls künstlerischer Verarbeitung von Text Jahrhunderts ein geradezu prophetisch verkündeter entstehen vielschichtige Zeitgefüge, „in denen Erinnerung Modernisierungsprozess, welcher im Bayreuth Richard und Vorahnung so unmittelbar und machtvoll sind wie die Wagners seinen symbolischen Ort fand – ein Ort, direkte Wahrnehmung, die ihrerseits zum größten Teil der damals kaum eine Tagesreise von München entfernt. Vermittlung von Erinnerungen oder Vorahnungen dient“ Die Idee der absoluten Musik, oft polemisch fixiert im (Charles Rosen). Wir erleben in der hier getroffenen Auswahl Werk von Johannes Brahms, sei veraltet und durch den ein komplexes Empfindungsgefüge von gleichzeitigem Finalsatz von Beethovens 9. Symphonie zu Ende ‚gesetzt’ Glücksgefühl und Trauer über dessen Verlust, eine (kompositorisch gedacht); nun gelte es, in der Verbindung lustvoll-wehmütige Ambivalenz, die seit Schuberts mit anderen Künsten bis hin zu philosophisch-utopischen Liederzyklen immer wieder im Kunstlied aufscheint; hier Projekten Neues zu schaffen und der alten Formensprache zeigt sich am deutlichsten die atmosphärische Dichte der ‚Ade’ zu sagen. Sinfonische Dichtung, Oper, Musikdrama, Sehnsuchtsmotivik als weitender Spiegel einer unruhigen gar ‚Bühnenweihfestspiel’ – dieser Auseinandersetzung Seele, welche wohl erst im „Seligen Vergessen“(op.26,3), mit Wagner und der neudeutschen Schule konnte sich im Schlaf, Traum oder Tod (op.36,1-3) Erlösung finden damals kein Komponist entziehen. So war auch Ludwig wird. Thuille bald fasziniert vom Aufbruchswirken der ‚Neutöner’. Die ‚Wunderhorn-Welt’ und ihre Naturbilder tauchen in Durch den Einfluss von (Violinist, Dirigent diesem Spiegel auf (op.19,4u.5), oft tröstend, fast immer und Komponist), verheiratet mit einer Nichte des Meisters psychologisch zeichenhaft: Sommerszenen (op. 19,2; und beseelt von dessen Genie, wurden Thuille und Strauss op. 5,2; op. 24,1), Liebe und Verlassenheit (op. 4,2;op. zu glühenden Wagnerianern: beide betrachteten nun das 15,6; op. 7,7), Kindheits- und Märchenträume (op.12,3; Opernschaffen als die avancierte Kunstform der Zukunft. op. 15,6), die Sehnsucht nach dem ‚guten Ort’ (op.7,7), Während Richard Strauss diesen Weg nun entschieden der Utopie (u-topos, kein Ort) bleibt – oder im kuriosen verfolgte und damit sein künstlerisches Credo anstimmte, „Urschlamm-Idyll“ (o.op) grotesk auf die Gegenwarts- hielt bei Thuille die Begeisterung nur fünf Jahre an: die Nase fällt. Ästhetik der “alten Formenwelt” blieb ihm weiterhin ein Musik und Text bilden für den eben angesprochenen tragfähiger Resonanzraum der Inspiration; sie fand ihren Spiegel des Bewußtseins eine besondere Erlebnisform, Ausdruck in seiner Kammermusik und Lehrtätigkeit in der welche der Naturphilosoph Johann Wilhelm Ritter im Nachfolge Rheinbergers. Anhang seiner Fragmente aus dem Nachlasse eines Diese unerschütterliche Rückbindung an das Tradierte, jungen Physikers, ein Taschenbuch für Freunde der Natur bei gleichzeitig feinsinniger Experimentierlust in Harmonik bereits im Jahr 1810 hellsichtig beschrieben hat:

5 „Denn nur ausgesprochen ist der Mensch sich zentrale Persönlichkeit des Münchner Musiklebens – bewusst; dieses geschiehet allemal zunächst in der und geriet dennoch lange in Vergessenheit. Woran mag allgemeinen Sprache (der Musik, N.D), und die besondere das liegen, fragen wir nochmals, wie am Anfang unserer folgt. So ist jedes von uns gesprochene Wort ein geheimer Überlegungen: Gesang, denn die Musik im Innern begleitet ihn beständig. Neue, über Jahrzehnte wirkmächtige ästhetische Im lauten Gesange erhebt die innere Stimme sich bloß Positionen, u.a. programmatisch konzentriert in der mit. Gesang wird Schöpferlob, er spricht den Moment des Avantgarde um Arnold Schönberg, verstellten in Daseyns ganz aus.“ ihrem Fortschrittsdenken oft die Anerkennung von In den letzten Liedersammlungen op. 32 und Komponisten‚jenseits des Modernisierungszwangs’. Davon op. 36 findet sich eine zarte, besonders innige hat sich das Musikleben heute größtenteils verabschiedet, Abschiedsstimmung, welche die Jahre 1904 bis 1906 was die künstlerische Dignität der Zeiten Wiener Schule in den Lebensweg der ‚letzten Dinge’ zu rücken scheint, keinesfalls schmälert. Richard Strauss (1864 – 1949) sollte was nahe liegt, wenn man – wie Ritter – den Gesang auch den einstigen Freund um mehr als vierzig Jahre überleben, als eine Sprache der „Momente des Daseyns“ verstehen und die spätromantische Tradition im 20. Jahrhundert ist kann. Thuilles plötzlicher Tod am 5. Februar 1907 nach wesentlich mit seinem Namen verbunden, ja geradezu einem Herzanfall im Alter von nur 45 Jahren beendete ‚kanonisiert’: „Die spätere Kanonbildung, in der die einen unerwartet ein reiches, vielfältiges Künstlerleben, das in Patz fanden und die anderen nicht, hat insofern nichts Familie und Lehrtätigkeit einen Halt finden konnte und falsch gemacht, aber die Welt der Kunst ärmer gemacht“ doch in der Intensität der musikalischen Tätigkeiten wohl (Jens Jessen, ebd.) Freuen wir uns also über den neu zu auch an der Gesundheit zehrte. Ludwig Thuille war eine entdeckenden Reichtum der Klangwelt von Ludwig Thuille.

Dr. Nanny Drechsler

6 Every generation will re-think and seek to expand the early age. As a result of the agency of an uncle, at the age ‘grand narrative’ of music history. Only this way can our of eleven the gifted boy was accepted by the Benedictine musical life combine the past and the future in diverse Abbey of Kremsmünster in the foothills of the Alps in Upper and surprising new ways and with new perspectives. This Austria and as a choirboy was given a vacancy at the includes a constant challenging of tradition; a new and humanist grammar school. There, he received piano and liberating view of the repertoire can continue to open up violin lessons as well as basic education in the subjects the wealth of artistic inspiration in the 19th century, too. ‘It of composition and music theory. Four years later, we can is not the problem of every canon that it unjustly includes already find the young Ludwig Thuille in Innsbruck, where the classical composers, but that their inclusion is also his compositional talent was promoted by the Nagiller contingent on the laws of the market and the economy family of musicians, well-known there. Franz and Josepha of attentiveness, i.e. presupposes that others are ousted’, Strauss also kept company in their circles, and Thuille wrote Jens Jessen in the essay ‘Schaut hin, sie leben!’ (Die soon got to know their three-year younger son Richard Zeit, 8 January 2015). Many great artists, musicians and Strauss, with whom he remained a lifelong friend. Inspired writers have faded into obscurity, although they were once by this connection, after 1879 Ludwig Thuille commenced famous and powerful – how can that be? his studies at the Royal Academy of Music in , ‘Hört hin, sie leben’ – describes the oeuvre and activity where he was to find his main residence and acquired an of the ‘late Romantic’ composer Ludwig Thuille (1861 excellent reputation as a composer, pianist and teacher, so – 1907) in Munich. Since the 1990s, his compositional that he was even termed the father of the ‘Munich School’ oeuvre has acquired steadily growing interest and hence (Friedrich Klose, Max von Schillings, Hans Pfitzner and a new artistic and interpretational appreciation. The first Richard Strauss). album ‘Selected Songs’ with the baritone Roman Trekel and His training with Joseph Rheinberger was decisive for Hartmut Höll on the piano is now being followed by the his compositional oeuvre (a focus on chamber music and second one with the mezzo-soprano Leila Pfister and again stage works). The professor of composition, simultaneously with Hartmut Höll as the accompanist. the court director of church music, taught his students the Ludwig Thuille was a comprehensively and art of strict counterpoint, paying attention in the recent multifariously educated musician: a composer, pianist, past particularly to the works of Schumann and Brahms. choir director, singer, music teacher (composition and This was, one could say, a conservatively sound musical piano) and music theorist. His family originally hailed position in the best sense. Rheinberger gave the young from Savoy and had long been resident in , where musician special promotion, and on completion of his the famous scion of the city was already honoured with studies procured him employment as a piano and theory a portrait and an inscription at his birthplace in 1922. He teacher at the academy. On Rheinberger’s death in 1901, was born into a musically highly educated family on 30 Thuille became his successor there. November 1861 as the youngest son of the art and music As a ‘counter-world’ to the Munich School, the dealer Johann Thuile. He lost his father and mother at an aesthetic and musical discourse in the 19th century was

7 determined by an almost prophetically proclaimed process as direct perception, which, for its part, largely serves to of modernization that found its symbolic location in Richard convey memories or premonitions’ (Charles Rosen). In Wagner’s Bayreuth, a town hardly a day’s journey away the selection made here, we can experience a complex from Munich at that time. emotional structure of simultaneous bliss and grief at its The idea of absolute music, often polemically fixed in loss, a sensual and melancholic ambivalence that has Johannes Brahms’ oeuvre, was obsolete and ‘composed’ appeared time and again in the art song after Schubert’s to an end (in terms of composition) in the final movement song cycles. Here, the atmospheric density of the motif of of Beethoven’s 9th Symphony; now it was a question of yearning is seen most clearly as the widening mirror of a creating something new in union with other forms of art, restless soul, which will probably only find redemption in including philosophical and utopian projects, and saying ‘Seliges Vergessen’ (op. 26,3), in sleep, dream or death (op. good-bye to the old diction of form. The symphonic poem, 26, 1-3). opera, music drama, even the sacred festival drama – no The ‘Wunderhorn world’ and its images of nature composer could escape this involvement with Wagner and appear in this mirror (op.19,4 and 5), often comforting and the New German School at that time. So, Ludwig Thuille almost always symbolic in psychological terms: summer was also soon fascinated by the revolutionary effects of the scenes (op. 19,2; op. 5,2; op. 24,1), love and forlornness ‘new composers’. Through the influence of Alexander Ritter (op. 4,2; op. 15,6; op. 7,7), children’s and fairy tale dreams (violinist, conductor and composer), married to a niece of (op.12,3; op. 15,6), the yearning for the ‘blessed location’ the maestro and inspired by his genius, Thuille and Strauss (op.7,7), for utopia (u-topos, no location) remains – or became ardent Wagnerians: both now considered the grotesquely falls flat down in the face of the present in the opera the advanced art form of the future. Whereas Strauss curious ‘Urschlamm-Idyll’ (no op.). consistently pursued this course, thus striking up his For the mirror mentioned, music and text form artistic credo, Thuille’s enthusiasm only lasted five years. a special kind of experience already perspicaciously For him, the aesthetics of the old ‘world of form’ continued described by the philosopher of nature Johann Wilhelm to remain a sustainable soundboard for inspiration; it Ritter in the appendix to his Fragmente aus dem Nachlasse found expression in his chamber music and teaching as eines jungen Physikers, ein Taschenbuch für Freunde der Rheinberger’s successor. Natur in 1810. This unswerving bond to tradition together with ‘For only in utterance is man aware of himself, this simultaneous delight in experimentation with harmony initially occurs in general language (N.B. of music) and the and melody can also be found in Thuille’s songs. His song special diction follows. So, every word uttered by us is a catalogue comprises 90 compositions. In all of the works, secret song, for internal music always accompanies it. In the spirit of Romanticism lives on: the quest for eternity in loud song, the inner voice merely joins in. Song becomes the finite. The basic inspiration for the artistic arrangement praise of the Creator, it completely expresses the moment of a text produces multi-layered time structures ‘in which of being.’ memory and premonition are as immediate and powerful The final song collections op. 32 and op. 36 express a

8 tender and particularly heart-felt atmosphere of farewell, around Arnold Schoenberg, often block the recognition of seeming to move the years 1904 to 1906 into the realm composers ‘beyond the dictates of modernization’. Today, of the ‘four last things’, which is obvious once we can musical life has largely departed from this viewpoint, which understand, like Ritter, song also to be a language of the by no means detracts from the artistic dignity of the Second ‘moments of being’. Thuille’s sudden death following Viennese School. Richard Strauss (1864 – 1949) was to a heart attack on 5 February 1907 at the age of only 45 survive his erstwhile friend by more than forty years, and unexpectedly terminated a rich and diverse artistic life, the late Romantic tradition in the 20th century is largely which was able to find a footing in his family and teaching, associated with his name, indeed almost ‘canonized’: ‘The but whose musical intensity probably wore out his health. later formation of canons, in which some find positions and Ludwig Thuille was a salient personality in Munich musical others not, has not really done anything wrong, but made life, but fell into oblivion for a long time. How can that be? the world of art poorer’ (Jens Jessen, ibid.). So, let us enjoy We ask once more, as at the beginning of our reflections. the wealth of Ludwig Thuille’s world of sound, which has In their progressive thinking, new aesthetic yet to be discovered. positions that have been effective for decades, including programmatic ones concentrated in the avant-garde Dr. Nanny Drechsler

9 Leila Pfister, geboren in Basel, studierte an den Guttenberg, Péter Halász oder Alexander Liebreich; mit Hochschulen für Musik und Theater Zürich und Bern. Orchestern wie dem Sinfonieorchester Aachen, Berner Weitere Studien in Meisterkursen u.a. bei Pierre Boulez, Sinfonieorchester, Zürcher Kammerorchester, Capriccio Hartmut Höll, Irwin Gage und KS Brigitte Fassbaender. Basel, Klangverwaltung, Münchner Kammerorchester, Die Mezzosopranistin ersang sich Stipendien und Staatsphilharmonie Nürnberg oder Sofia Philharmonic Preise in der Schweiz und an diversen internationalen Orchestra. Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Werner Gesangswettbewerben. In der Kritikerumfrage des Düggelin, Kristian Frédric, Peter Konwitschny, Stefan Magazins Opernwelt wurde sie für ihre Angelina (La Otteni, Joan Anton Rechi, Georg Schmiedleitner, Laura Cenerentola) zur besten Nachwuchssängerin 2011 Scozzi, Alexander von Pfeil. nominiert. Pfister’s breit gefächerte Konzerttätigkeit führte sie In ihrem ersten Engagement am Theater Aachen ans Menuhin Festival Gstaad, den fränkischen Sommer, sang sie u.a. Mrs. Quickly, Geneviève, Suzuki, Ljubov die Herrenchiemsee Festspiele; in die Tonhalle Zürich, (in Tchaikowskij’s Mazeppa) und die Titelpartie in La die Liederhalle Stuttgart und die Berliner Philharmonie. Cenerentola. Danach war sie im Ensemble der Staatsoper 2009 debutierte sie, begleitet von Hartmut Höll, mit Nürnberg z.B. als Magdalene in Wagner’s Meistersingern, einem Lied-Rezital am Lucerne Festival. Ihre intensive als Dorabella oder als Hedwige in Rossini’s Guillaume Tell Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik führte zu hören. Die folgenden Spielzeiten brachten ihr Debut als die Sängerin an internationale Festivals wie 2D2N Odessa, Carmen in Nürnberg, daraufhin debutierte sie mit Ulrica Melos-Étos Bratislava, World New Music Days Luzern oder in Verdi’s Maskenball am Landestheater Coburg und als an die Münchener Biennale. Rheingold Erda und Waltraute am Staatstheater Nürnberg, Eine CD mit Judit Polgar, Klavier (Lieder von gefolgt von u.a. Hexe in Hänsel&Gretel sowie Erda in Schönberg, Berg, Honegger und Debussy) ist bei Oehms Wagner’s Siegfried. Classics erschienen; auf einer Guild Music CD mit Admir Sie musizierte u.a. mit den Dirigenten Paul Doci (Gitarre) singt sie Lieder von Joaquin Rodrigo. Die Agnew, Fabrice Bollon, Marcus Bosch, Andrey Nürnberger Inszenierung der ‘Meistersinger’ erschien als Boreyko, Srboljub Dinic, Howard Griffiths, Enoch zu DVD bei Coviello Classics.

10 Leila Pfister, born in Basel studied at the Academies of zu Guttenberg, Péter Halász or Alexander Liebreich; with Music and the Theatre in Zurich and Bern. She has pursued orchestras such as the Aachen Symphony Orchestra, the further studies or attended master classes with e.g. Pierre Bern Symphony Orchestra, the Zurich Chamber Orchestra, Boulez, Hartmut Höll, Irwin Gage and Kammersängerin Capriccio Basel, Klangverwaltung, the Munich Chamber Brigitte Fassbaender. Orchestra, the State Philharmonia in Nuremberg or the Sofia The mezzo-soprano has won scholarships and Philharmonic Orchestra. She has co-operated with directors prizes in Switzerland and at various international singing like Werner Düggelin, Kristian Frédric, Peter Konwitschny, competitions. In the critics’ survey held by the magazine Stefan Otteni, Joan Anton Rechi, Georg Schmiedleitner, Laura Opernwelt, she was nominated best young singer in 2011 Scozzi, Alexander von Pfeil. for her Angelina (La Cenerentola). Pfister’s wide-ranging concert activity has taken her During her first commitment at the theatre in Aachen, to the Menuhin Festival in Gstaad, the Frankish Summer, she sang Mrs. Quickly, Geneviève, Suzuki, Ljubov (in the Herrnchiemsee Festival; to the Tonhalle in Zurich, the Tchaikovsky’s Mazeppa) and the title role in La Cenerentola. Liederhalle in Stuttgart and the Berlin Philharmonic Hall. In Then she was a member of the ensemble of the State Opera 2009, accompanied by Hartmut Höll, she held her debut in Nuremberg, e.g. as Magdalene in Wagner’s Meistersinger, at the Lucerne Festival with a song recital. Her intensive as Dorabella or as Hedwige in Rossini’s William Tell. work with contemporary music has taken the singer to The following seasons brought her debut as Carmen international festivals such as 2D2N in Odessa, Melos-Étos in Nuremberg, her debut as Ulrica in Verdi’s Un ballo in in Bratislava, the World New Music Days in Lucerne or to the maschera at the Provincial Theatre in Coburg, as Rheingold Biennale in Munich. Erda and Waltraute at the State Theatre in Nuremberg, A CD with Judit Polgar, piano (songs by Schoenberg, followed by e.g. the witch in Hänsel und Gretel and Erda in Berg, Honegger and Debussy) has been released by Oehms Wagner’s Siegfried. Classics; on a Guild Music CD she sings songs by Joaquin She has performed, amongst others, with the Rodrigo with Admir Doci (guitar). The Nuremberg production conductors Paul Agnew, Fabrice Bollon, Marcus Bosch, of Die Meistersinger was released as a DVD by Coviello Andrey Boreyko, Srboljub Dinic, Howard Griffiths, Enoch Classics.

11 Hartmut Höll, Klangsinn, Sensibilität und das Vermögen, Meisterklassen für Lied gab er in Finnland, beim »hinter« den Tönen zu denken, Atmosphäre zu schaffen, Internationalen Musikseminar Weimar, beim Schleswig- Empfindungen im timbrierten Klang unmittelbar erleben Holstein Musikfestival, am Mozarteum Salzburg, in zu lassen, zeichnen das Spiel Hartmut Hölls aus. Seit Jerusalem, Kairo und in den USA. 1998/1999 war Jahrzehnten gehört er zu den gefragten Klavierpartnern. Hartmut Höll Gastprofessor in Helsinki, von 1994 bis Dabei weiß er um den Wert kammermusikalischer 2003 Gastprofessor an der Universität Mozarteum Zusammenarbeit und ist klug genug, langjährige in Salzburg. Beinahe zehn Jahre hatte er auch eine Partnerschaften zu pflegen. Dozentur für Liedgestaltung an der Zürcher Hochschule Fast vier Jahrzehnte ist Hartmut Höll im Liedduo der Künste inne. Seit Oktober 2007 ist er als Rektor für Mitsuko Shirai verbunden. Beide haben mit Konzerten die Hochschule für Musik Karlsruhe verantwortlich. und CDs Maßstäbe der Liedinterpretation gesetzt. 1990 erhielt Hartmut Höll den Robert-Schumann- Von 1982 bis 1992 war Hartmut Höll zudem Partner Preis der Stadt Zwickau. Er ist Ehrenmitglied der von Dietrich Fischer-Dieskau. Liederabende bei den Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau und der Salzburger Festspielen, den Festivals von Edinburgh, Philharmonischen Gesellschaft St. Petersburg. 1997 Florenz, München und Berlin, in der New Yorker Carnegie erhielt er gemeinsam mit Mitsuko Shirai den ABC Hall begründeten die viel gerühmte Zusammenarbeit. International Music Award. Rund sechzig CD-Produktionen liegen vor, viele davon Als Juror bzw. Juryvorsitzender wurde er zum wurden international ausgezeichnet. Seit über einem Robert-Schumann-Wettbewerb Zwickau, zum Naumburg Jahrzehnt begleitet Hartmut Höll Renée Fleming bei Competition New York und zum Internationalen ARD- Konzerten in Europa, Australien, Asien und den USA. Musikwettbewerb München eingeladen. Für ihn ist sie die Sängerin unserer globalisierten Von 1985 bis 2007 war Hartmut Höll künstlerischer Welt, und mit Bewunderung erlebt er mit, wie diese Leiter der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie für einzigartige Sängerin es versteht, mit einem breiten Gesang • Dichtung • Liedkunst e.V. Stuttgart, die unter Repertoire an Werken aus vier Jahrhunderten Menschen seiner Leitung eine exemplarische kulturelle Arbeit unterschiedlicher Kulturen in aller Welt anzusprechen leistete: 1988 »Eduard Mörike«; 1990 »Deutschlande«; und für die Musik zu begeistern. sWeitere Sängerpartner 1992/93 unter der Schirmherrschaft von Simone Veil waren oder sind Hanno Müller-Brachmann, Roman »Europa im Aufbruch – Menschen • Metropolen • Trekel, Urszula Kryger, Yvonne Naef, Jochen Kowalski, Wanderungen«; 1997 die Gesamtaufführung der von Christoph Prégardien, Hermann Prey, Jadwiga Rappé. Schubert selbst für die Veröffentlichung vorgesehenen Eine neue beglückende Partnerschaft verbindet ihn seit 108 Werkgruppen; 1998 »Naturlaut / Menschenlaut« mit kurzem mit Leila Pfister. einer Einladung nach Weimar – Kulturstadt Europas; 2002 Als Professor an der Hochschule für Musik Karlsruhe eine musikalisch-literarisch-filmische »Donaureise«. ist Hartmut Höll nach früheren Professuren in Frankfurt Diese Arbeit fand weit über die Landesgrenzen hinaus und Köln der jungen Künstlergeneration eng verbunden. Beachtung und führte zu Einladungen ans Lincoln

12 Center New York und in den Louvre Paris. Hartmut Höll: a feeling for sound, sensitivity and the 2012 erschien »WortMusik« im Staccato-verlag ability to think ‘behind’ the notes, create atmosphere Düsseldorf, ein Buch, in dem Hartmut Höll seine and make emotions palpable in a nuanced sound Erfahrungen, seinen Umgang mit Lied schildert, zudem characterize Hartmut Höll’s performances. For decades, ein Buch voll persönlicher Erinnerungen. he has been among the piano accompanists most in demand. He appreciates the value of chamber music co-operation and is clever enough to cultivate long- standing partnerships. For almost four decades, Hartmut Höll has been associated with Mitsuko Shirai in a song duo. With concerts and CDs, the two of them have set standards in song interpretation. In addition, from 1982 to 1992 Hartmut Höll was Dietrich Fischer-Dieskau’s partner. Song recitals at the Salzburg Festival, the festivals in Edinburgh, Florence, Munich and Berlin and in New York’s Carnegie Hall testify to their much-praised co- operation. About sixty CD productions are available, many of which have received international awards. For more than a decade, Harmut Höll has accompanied Renée Fleming at concerts in Europe, Australia, Asia and the USA. For him, she is the singer of our globalized world and it is with admiration that he experiences how the unique singer manages to appeal to people of different cultures throughout the world with a broad repertoire of works from four centuries and to make them enthusiastic about music. Further singing partners were or are Hanno Müller-Brachmann, Roman Trekel, Urszula Kryger, Yvonne Naef, Jochen Kowalski, Christoph Prégardien, Hermann Prey and Jadwiga Rappé. Recently, a new felicitous partnership has associated him with Leila Pfister. As a professor at the Academy of Music in Karlsruhe after earlier professorships in Frankfurt and cologne, Hartmut Höll is closely connected to the young

13 generation of musicians. He has held master classes in ARD Music Competition in Munich. song in Finland, at the International Music Seminar in From 1985 to 2007, Hartmut Höll was artistic Weimar, at the Schleswig-Holstein Music Festival, at director of the International Hugo Wolf Academy of the Mozarteum in Salzburg, in Jerusalem, Cairo and the Singing – Poetry – Song in Stuttgart, which performed USA. In 1998/99, Hartmut Höll was visiting professor in exemplary cultural work under him: Eduard Mörike Helsinki, and from 1994 to 2003 visiting professor at the in 1988; Deutschlande in 1990; ‘Europe Awakening Mozarteum University in Salzburg. For almost ten years, – People – Metropolises – Wanderings’ under the he held a lectureship for song performance at the Zurich patronage of Simone Veil in 1992/93; the complete Academy of the Arts. Since October 2007, he has also performance of the 108 work groups intended for been rector of the Academy of Music in Karlsruhe. publication by Schubert himself in 1997; ‘Naturlaut/ In 1990, Hartmut Höll was awarded the Robert Menschenlaut’ with an invitation to Weimar – cultural Schumann Prize of the city of Zwickau. He is an capital of Europe – in 1998; a musical, literary and filmic honorary member of the Robert Schumann Society in ‘journey down the Danube’ in 2002. The latter work was Zwickau and the Philharmonic Society in St. Petersburg. heeded far beyond the borders of Germany, leading to In 1997, he received the ABC International Music Award invitations to the Lincoln Center in New York and the together with Mitsuko Shirai. Louvre in Paris. He has been invited as a juror or jury chairperson In 2012, WortMusik was published by Staccato- to the Robert Schumann Competition in Zwickau, to the verlag in Düsseldorf, a book in which Hartmut Höll Naumburg Competition in New York and the International portrays his experiences and dealings with the song, a book full of personal memories.

14 1 Die stille Stadt lieb Mutter, Liegt eine Stadt im Tale, Küsst Euch, wie er will. Ein blasser Tag vergeht. Und ich werfe mich in Bettchen Es wird nicht lange dauern mehr, Nachts ohn Unterlass, Bis weder Mond noch Sterne Kehr mich links und kehr mich rechts hin, Nur noch Nacht am Himmel steht. Nirgends hab ich was, lieb Mutter, Von allen Bergen drücken Nirgends hab ich was. Nebel auf die Stadt, Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus, Bin ich eine Frau erst einmal, Kein Laut aus ihrem Rauch heraus, In der Nacht dann still Kaum Türme noch und Brücken. Wend ich mich nach allen Seiten, Küss, soviel ich will, Doch als dem Wandrer graute, lieb Mutter, Da ging ein Lichtlein auf im Grund Küss, soviel ich will. Und durch den Rauch, dem Nebel Joseph von Eichendorff Begann ein leiser Lobgesang Aus Kindermund. 3 Sommermittag Richard Dehmel Nun ist es still um Hof und Scheuer, Und in der Mühle ruht der Stein; 2 Die Kleine Der Birnenbaum mit blanken Blättern Zwischen Bergen, liebe Mutter, Steht regungslos im Sonnenschein. Weit den Wald entlang, Reiten da drei junge Jäger Die Bienen summen so verschlafen; Auf drei Rösslein blank, Und in der offnen Bodenluk’, lieb Mutter, Benebelt von dem Duft des Heues, Auf drei Rösslein blank. Im grauen Röcklein nickt der Puk.

Ihr könnt fröhlich sein, lieb Mutter, Der Müller schnarcht und das Gesinde, Wird es draussen still: Und nur die Tochter wacht im Haus; Kommt der Vater heim vom Walde, Die lachet still und zieht sich heimlich Küsst Euch, wie er will, Fürsichtig die Pantoffeln aus.

15 Sie geht und weckt den Müllerburschen, Spinn, spinn, meine liebe Tochter, Der kaum den schweren Augen traut: Ich kauf dir ein Paar Strümpf. »Nun küsse mich, verliebter Junge; Ja, ja, meine liebe Mutter, Doch sauber, sauber! nicht zu laut.« Schön Zwicklen darin; Theodor Storm Kann wahrlich nicht spinnen Von wegen meinem Finger, 4 Frau Nachtigall Meine Finger tun weh. Nachtigall, ich hör dich singen, Das Herz möcht’ mir im Leib zerspringen, Spinn, spinn, meine liebe Tochter, Komme doch und sag mir bald, Ich kauf dir einen Mann. Wie ich mich verhalten soll. Ja, ja, meine liebe Mutter, Der steht mir wohl an; Nachtigall, ich seh’ dich laufen, Kann wahrlich gut spinnen, An dem Bächlein tust du saufen, Von all meinen Fingern Du tunkst dein klein Schnäblein ein, Tut keiner mir weh. Meinst, es wär’ der beste Wein. Aus »des Knaben Wunderhorn«

Nachtigall, wo ist gut wohnen? 6 Mädchenlied Auf den Linden, in den Kronen, Auf einem jungen Rosenblatt Bei der schön’ Frau Nachtigall: Mein Liebster mir geblasen hat Grüß mein Schätzchen tausendmal! Wohl eine Melodei. Aus »des Knaben Wunderhorn« Es gab mir Dinge viele kund, Das Rosenblatt am roten Mund, 5 Spinnerlied Und war kein Wort dabei. Spinn, spinn, meine liebe Tochter, Ich kauf dir ein paar Schuh. Und als das Blatt zerblasen war, Ja, ja, meine liebe Mutter, Da gab ich meinen Mund ihm dar Auch Schnallen dazu; Und küsst an ihm mich satt. Kann wahrlich nicht spinnen Und viel mehr Dinge tat noch kund Von wegen meinem Finger, Der rote Mund am roten Mund, Meine Finger tun weh. Noch vielmehr selbst als das Rosenblatt. Otto Julius Bierbaum

16 7 Lied der jungen Hexe Ich lehn’ im offenen Gemache, Als nachts ich überm Gebirge ritt, Und lausche, wie der Lenzwind weht; Rack, schack, schacke mein Pferdchen, Wie einsam geht der Lenz vorüber, Da ritt ein seltsam Klingeln mit, Der ohne dich vorüber geht! Kling, ling, klingelalei. Karl Stieler

Es war ein schmeichlerisch bittend Getön, 9 Sommermorgen Es war wie Kinderstimmen schön. Was ist mir denn geschehen? Bin ich vom Traum erwacht? Mir wars, ich streichelt’ ein lindes Haar, Wie meine Augen sehen! Mir war so weh und wunderbar. O, wie der Mund mir lacht! Als hätt’s noch nie gegeben Da schwand das Klingeln mit einemmal, So lichtes Himmelsblau; Ich sah hinunter ins tiefe Thal. Auf meinem ganzen Leben Liegt es wie Morgenthau. Da sah ich Licht in meinem Haus, Rack, schack, schacke mein Pferdchen, Und in dem tiefsten Innern, Mein Bübchen sah nach der Mutter aus, Da rieselt’s wie ein Quell Kling, ling, klingelalei. Von Hoffen und Erinnern -- Otto Julius Bierbaum Wie schön ist das, wie hell! 8 Klage Ich lehn’ im offenen Gemache, O gold’ne Feierstunde! Es ist die Stunde still und spät; O komm, du heißer Mann, Wie einsam geht der Tag vorüber, Und küss’ mir still vom Munde, Der ohne dich vorüber geht! Was ich nicht sagen kann! Karl Stieler Es liegt mein Licht in deinen Augen, 0 Doch deine Augen meiden mich, Es klingt der Lärm Es liegt mein Heil in deinen Händen, Es klingt der Lärm der Welt, - Doch nimmermehr gewinn ich dich. Ich hör’ ihn nimmer; Denn nur was du gesagt, Das hör’ ich immer.

17 Die Menschen schau’n mich an, - @ Mein Engel hüte dein Kaum denk’ ich dessen; Und willst du von mir scheiden, Ich hab’ sie alle ja mein herzgeliebter Knab’, Um dich vergessen. soll alles dich begleiten, was ich von Freuden hab’. O, laß mich schweigen doch, Mir bleibt, wenn du geschieden, Mein Lieb, mein Eden! mein traurig Herz allein; Du hast mich stumm geküsst - fahr’ hin, mein Lieb, in Frieden! Ich kann nicht reden! mein Engel hüte dein!

Ich gab ja alles her, Ihm ward zur Hut gegeben Nichts ist mir blieben; mein Glück und meine Ruh’; Ich kann nur Eines mehr - ach, Glück und Ruh’ und Leben, Dich lieben, lieben! Herzlieb, das ist ja du! Karl Stieler Und bist mir du geschieden, flieht auch der Engel mein; ! Am Heimweg fahr’ hin, mein Lieb, in Frieden! Ich wandre heim durchs hohe Feld, mein Engel hüte dein! Die Wolken ziehn. In tiefer Ruhe liegt die Welt - O, dass er dir verschwiege, Du bist dahin! was dich betrüben mag, wie ich verlassen liege Das Abendläuten ist verhallt in Sehnsucht Nacht und Tag! Im Lindengrün, Mein Bild soll mit dir gehen Der letzte Vogel singt im Wald - im alten Freudenschein; Du bist dahin! fahr’ hin, auf Wiedersehen! Mein Engel hüte dein! Da fühl’ ich’s leise, wie ich krank Wilhelm Hertz Vor Sehnen bin, Der Vogel schwieg, die Sonne sank - # Letzter Wunsch Du bist dahin! Mein Schatz will Hochzeit halten, Karl Stieler Ich liege auf den Tod

18 Und nehme mit zu Grabe, Nun ist er längst zu Grab gebracht Was ich in Schmerz und Not Und Lieb’ und Glück dazu. Um ihn gelitten habe. Komm, süßer Schlaf, du Trost der Nacht! Mein Herz verlangt nach Ruh. An meinem Fenster blühen Wilhelm Hertz Gelbveigel und Rosmarin; Wenn ich von Lieb und Jammer % Gruß Hinweggeschieden bin, Unter blühenden Bäumen Tragt still sie aus der Kammer! Hab’ bei schweigender Nacht Ich in seligen Träumen Zwei Sträußlein sollt ihr binden, Dein, du Holde, gedacht. Eins heftet mir an’s Kleid, Eins sendet meinem Knaben; Duftend streute die Linde Es ist für alle Zeit Blüten nieder zu mir; Die letzte meiner Gaben. Schmeichelnd kosten die Winde Wie ein Grüßen von dir. O dürft’ ich ungesehen Dem frohen Paare nah’n, Und ein himmlisches Singen Und, wenn die Glocken läuten, Schien vom Sternengezelt Ihn segnend noch umfah’n, Leise hernieder zu klingen Und treten still beiseiten. Durch die schlafende Welt. Wilhelm Hertz Otto Gensichen $ Komm, süßer Schlaf ^ Komm, süßer Schlaf, du Trost der Nacht, Die Verlassne Immer leiser wird mein Schlummer, Deck sanft mein Auge zu! Nur wie Schleier liegt mein Kummer Ich hab’ vergangner Zeit gedacht, Zitternd über mir. Mein Herz verlangt nach Ruh. Oft im Traume hör’ ich dich Einst stilltest du nach Kuß und Scherz Rufen drauss’ vor meiner Tür: Verborg’ner Liebe Glück, Niemand wacht und öffnet dir, Und lehntest an sein warmes Herz Ich erwach’ und weine bitterlich. Mein trunk’nes Haupt zurück. Ja, ich werde sterben müssen,

19 Eine Andre wirst du küssen, Dunkelheit muss tief verschweigen Wenn ich bleich und kalt. alles Wehe, alle Lust; Eh’ die Maienlüfte wehen, aber Mond und Sterne zeigen, Eh’ die Drossel singt im Wald: was mir wohnet in der Brust. Willst du einmal noch mich sehen, Komme bald, o komme, komme bald! Wenn die Lippen Dir verschweigen Hermann Lingg meines Herzens stille Glut, müssen Blick und Tränen zeigen, & Der Tod krönt die Unschuld wie die Liebe nimmer ruht. Kind, ich schenke dir den Reif der Reine, Clemens Brentano Kind, ich kröne dich mit goldenem Scheine, Kind, ich nehme dich in meinen Schoß. ( Die Spinnerin Deine Mutter muss dich mir verlassen Es sang vor langen Jahren Meine Fittiche wollen dich umfassen, Wohl auch die Nachtigall! Meine Fittiche sind weich und groß. Das war wohl süßer Schall, Ruhst darin wie unterm Mutterherzen, Da wir zusammen waren. Schlafumfangen, ledig aller Schmerzen, Deine Seele bleibt vom Leben rein. Ich sing’ und kann nicht weinen, Linde bin ich, eine gute Amme, Und spinne so allein, Tränke dich mit Träumen, kleine Flamme, Den Faden klar und rein Schlafe, schlaf auf meinem Schoße ein. So lang’ der Mond wird scheinen. Otto Julius Bierbaum Als wir zusammen waren, * Wenn die Sonne weggegangen Da sang die Nachtigall; Wenn die Sonne weggegangen, Nun mahnet mich ihr Schall, kommt die Dunkelheit heran, Dass du von mir gefahren. Abendrot hat gold’ne Wangen, und die Nacht hat Trauer an. So oft der Mond mag scheinen, Denk ich wohl dein allein. Seit die Liebe weggegangen, Mein Herz ist klar und rein - bin ich nun ein Mohrenkind, Gott wolle uns vereinen. und die roten frohen Wangen dunkel und verloren sind. 20 Seit du von mir gefahren, Und hätt’s nicht so gesprochen, Singt stets die Nachtigall; Im Garten ganz allein, Ich denk bei ihren Schall, So hätt ich dir’s gebrochen, Wie wir zusammen waren. Nun aber darf’s nicht sein.

Gott wolle uns vereinen! Mein Schatz ist ausgeblieben, Hier spinn ich so allein. Ich bin so ganz allein. Der Mond scheint klar und rein; Im Lieben wohnt Betrüben, Ich sing und möchte weinen. Und kann nicht anders sein. Clemens Brentano Clemens Brentano

¡ Seliges Vergessen ) Ich wollt ein Sträußlein binden Im Winde fächeln, Ich wollt ein Sträußlein binden, Mutter, die Blätter, Da kam die dunkle Nacht, Und bei dem Säuseln Kein Blümlein war zu finden, Schlummre ich ein. Sonst hätt ich dir’s gebracht. Über mir schwanken Da flossen von den Wangen Und spielen die Winde, Mir Tränen in den Klee, Wiegen so linde Ein Blümlein aufgegangen Das Schiff der Gedanken, Ich nun im Garten seh. Wie wenn ohne Schranken Der Himmel mir offen, Das wollte ich dir brechen Daß still wird mein Hoffen Wohl in dem dunklen Klee, Und Frieden ich finde, Doch fing es an zu sprechen: Und bei dem Säuseln »Ach, tue mir nicht weh! Schlummre ich ein.

Sei freundlich im Herzen, Erwachend dann sehe, Betracht dein eigen Leid, Als ob sie mich kränzen, Und lasse mich in Schmerzen Rings Blumen ich glänzen, Nicht sterben vor der Zeit!« Und all meine Wehen Verschweben, vergehen,

21 Der Traum hält sie nieder, Und Leben gibt wieder Das Flüstern der Blätter, Und bei dem Säuseln Schlummre ich ein. Joseph von Eichendorff

™ Urschlamm-Idyll Ein Ichthyosaurus sich wälzte, am schlammigen, mulstrigen Sumpf. Ihm war in der Tiefe der Seele So sauerlich, saurisch und dumpf, so dämlich, so zäh und so tranig, so bleiern, so schwer und so stumpf. Er stürzte sich in das Moorbad Mit platschigem tappigen Pflumpf.

Da sah er der Ichthyosaurin, so zart und so rund und so schlank ins schmachtende Eidechsenauge, da ward er vor Liebe krank. Da zog es ihn hin zu der Holden Durchs klebrige Urweltgemüs’, da ward aus dem Ichthyosauren… der zärtlichste Ichthyosüß. Theodor von Vischer

22 23 C5238

THUILLE: AUSGEWÄHLTE LIEDER • Vol. 1 C5058 C5238 LUDWIG THUILLE (1861-1907) AUSGEWÄHLTE LIEDER SELECTED SONGS

1 op. 12/3: Die stille Stadt (Richard Dehmel) 2-5 aus / from op. 19: 1 Die Kleine (Joseph von Eichendorff) 2 Sommermittag (Theodor Storm) – 4 Frau Nachtigall

5 Spinnerlied (aus »Des Knaben Wunderhorn«)

6-7 aus / from op. 15: 1 Mädchenlied – 3 Lied der jungen Hexe (Otto Julius Bierbaum) LUDWIG THUILLE • AUSGEWÄHLTE LIEDER

8-0 op. 5: 1 Klage – 2 Sommermorgen – 3 Es klingt der Lärm (Karl Stieler) LEILA PFISTER • HARTMUT HÖLL ! op. 7/7: Am Heimweg (Karl Stieler)

@-$ op. 36: 1 Mein Engel hüte dein – 2 Letzter Wunsch

3 Komm, süßer Schlaf (Wilhelm Hertz)

%-^ op. 4: 1 Gruß (Otto Gensichen) – 2 Die Verlassene (Hermann von Lingg) & op. 32/1 Der Tod krönt die Unschuld (Otto Julius Bierbaum) *-) op. 24: 1 Wenn die Sonne – 2 Die Spinnerin 3 Ich wollt’ ein Sträußlein (Clemens Brentano) LEILA PFISTER • HARTMUT HÖLL • HARTMUT LEILA PFISTER ¡ op. 26/3: Seliges Vergessen (Joseph von Eichendorff)

LUDWIG THUILLE • AUSGEWÄHLTE LIEDER THUILLE • AUSGEWÄHLTE LUDWIG ™ o.op.: Urschlamm- Idyll (Theodor von Vischer)

Leila Pfi ster, Mezzosopran / Mezzo-soprano Hartmut Höll, Klavier / Piano

Aufnahme / Recording: Bayreuth, Ꭿ + ൿ 2015 CAPRICCIO, A-1010 Vienna Studio Steingraeber & Söhne, 22.-26.09.2013 www.capriccio.at

Tonmeister & Schnitt / Recording Supervision Coverfoto: Ꭿ Tom Kohler C5238 & Editing: Teije van Geest Made in Austria Klaviertechnik / Piano Technician: Thomas Gärtner 8 45221 05238 0 C5238

erleih. Keine un ein V erlaub n. K te V alte erv eh iel rb fäl vo tig te un ch g e , V zr e ut C5238 rm ch ie s tu s n g g n , tu A is u e ff L ü d h n r u u n - r g , e b S e e h n r d U u

n e l l g .

A

.

A

s

l

e

l

t

i

r

c

i

i

l

g

l i

h

t

t

n

s

o

r s

e

s s

e e

é r s v i r e o d t

. u

U a

n n a o n u t n h LUDWIG THUILLE o i o t r c i z u e AUSGEWÄHLTE LIEDER d o d r p d e u r p s li LEILA HARTMUT n c o a ti t c io u n PFISTER HÖLL d ro is p e a r v u i Ꭿ + ൿ 2015 CAPRICCIO, A-1010 Vienna o ol s at Made in Austria • www.capriccio.at ie io op n c o D.P. es f a . L pp és lic erv abl rés e la oits ws. us dr To

eTiKeTT_4c