Auf Den Spuren Eines Literarischen Serientäters
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BlaubartAuf den Spuren eines literarischen Serientäters 20. Juni – 7. September 2008 Museum Strauhof Literaturausstellungen Er liebte mehr als irgend einer, AufBlaubart den Spuren eines literarischen Serientäters denn seine Sehnsucht war ein Meer. Er liebte viele – aber keiner gab er die ganze Seele her. Es war einmal das Märchen vom Blaubart. Die Ausstellung zeigt, wie sich die Sicht Der tötet alle seine Ehefrauen, weil auf Blaubart und seine letzte Frau – wer ist sie seinem Verbot zuwiderhandeln, ein Täter? wer ist Opfer? – in über 00 Jahren bestimmtes Zimmer zu betreten. Nur gewandelt hat und wie sie vom jeweiligen Und sah er sich im Lustgeniessen, seiner letzten Frau gelingt es, sich vor ihm Stand des Geschlechterkonflikts abhängt. zu retten. Am Ende ist es der Frauen- Sie macht auch deutlich, dass die Männer mörder selbst, der sterben muss. die Deutungsmacht über den Blaubart- nach dem sein Blut verzweifelnd schrie, Das Märchen ist das literarische Werk Stoff verloren haben. Seit der zweiten des französischen Schriftstellers Charles Hälfte des 0. Jahrhunderts erzählen in eine Frau hinüberfliessen – Perrault, der es 1697 in Paris veröffentlich- vermehrt Frauen ihre Version der Ge- te. Seitdem sind unzählige Bearbeitungen schichte. Und weil der Streit um die Rolle erschlug er sie. von „Blaubart“ in allen Gattungen (Mär- der Frau in der Gesellschaft noch nicht Reinhard Koester: Ritter Blaubart, 1911 chen, Erzählungen, Romane, Dramen, entschieden ist, lebt das Blaubart-Märchen Opern, Illustrationen) entstanden. Zu den weiter. bekanntesten Bearbeitungen zählen das Märchen von Ludwig Bechstein, die Oper von Béla Bartók nach Béla Balázs, das Reinhard Koester (1885-1956) war Puppenspiel von Georg Trakl, das Tanz- Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift theaterstück von Pina Bausch, die Erzäh- „Simplicissimus“, Rundfunk- und lung von Max Frisch. Als Subtext lauert Drehbuchautor wie auch Übersetzer. der Blaubart-Stoff im „Todesarten“-Projekt Er schrieb eines der seltenen Gedichte von Ingeborg Bachmann, und in den über Blaubart, das 1911 in der Zeit- 1990er Jahren haben Autorinnen wie schrift „Pan“ veröffentlicht wurde. Karin Struck, Undine Gruenter oder Damals herrschte in der deutsch- Dea Loher sich damit auseinandergesetzt. sprachigen Literatur eine regelrechte Blaubart-Konjunktur. Viele dieser Be- arbeitungen brachten die Bedrohung zum Ausdruck, als welche die weibliche Sexualität um 1900 empfunden wurde, so auch Koesters „Ritter Blaubart“. > 1 Am Anfang war das Märchen von Perrault Charles Perrault: Blaubart – Schlüsselszenen 1 Vorstellung des Blaubart 2 Brautwerbung und Hochzeit Blaubart betrat die literarische Bühne mit „La Barbe-Bleue“ verkörpert die Idealform der 1697 in Paris veröffentlichten Mär- des Märchentypus vom vielfachen Frauen- Es war einmal ein Mann, der hatte schöne Eine seiner Nachbarinnen, eine Dame von chensammlung „Histoires ou Contes du mörder in Verbindung mit der verbotenen Häuser in der Stadt und auf dem Lande, Stand, hatte zwei wunderschöne Töchter. temps passé“. Dabei handelte es sich nicht Kammer und der glücklichen Rettung der Tafelgeschirr von Gold und Silber, kostbare Er hielt bei ihr um eine von beiden an und um die schriftliche Überlieferung münd- letzten Ehefrau. Welche Vorbilder Perrault Möbel und Kutschen, die ganz und gar überliess ihr die Wahl derjenigen, welche sie licher Volkserzählungen, sondern um das neben mündlichen Märchenvorlagen für vergoldet waren. Aber unglücklicherweise ihm geben wollte. Aber alle beide wollten ihn literarische Werk eines Autors, des Franzo- seinen „Blaubart“ herangezogen hat, ist hatte dieser Mann einen blauen Bart; das durchaus nicht und schoben ihn sich gegen sen Charles Perrault, auf der Grundlage ungewiss. Auffallend ist die inhaltliche machte ihn so hässlich und abschreckend, dass seitig zu, da sie sich nicht entschliessen volkstümlicher Märchenstoffe und -motive. Nähe zu einer Legende aus dem 6. Jahr- alle Frauen und Mädchen vor ihm flohen. konnten, einen Mann zu nehmen, der einen Die Märchen sind kunstvoll schlicht, zum hundert, in der ein bretonischer Adeliger blauen Bart hatte. Was sie ausserdem abstiess Teil auch witzig erzählt, von feiner Ironie seinen Ehefrauen öffentlich die Kehle war, dass er schon mehrere Frauen geheiratet durchdrungen und enden jeweils mit einer durchschneidet, sobald er sie geschwängert hatte und dass man nicht wusste, was aus zwiespältigen Moral. Perrault schuf so u. a. hat. Als historisches Vorbild wird immer diesen Frauen geworden war. die „Prototypen“ von „Aschenbrödel“, wieder Gilles de Rais angeführt – der Um Bekanntschaft zu schliessen, führte „Dornröschen“ und „Blaubart“, die bis Kampfgefährte von Jeanne d’Arc soll Blaubart sie mit ihrer Mutter und drei oder heute in der Literatur und den Künsten reihenweise Kinder entführt und getötet vier ihrer besten Freundinnen sowie einigen lebendig sind, aber auch massgeblich auf haben – oder Heinrich VIII. – der englische jungen Leuten aus der Nachbarschaft auf die volkstümliche mündliche Erzähltradi- König trennte sich von zwei seiner sechs eines seiner Landhäuser, wo man volle acht tion zurückgewirkt haben. Frauen durch Scheidung, von zwei anderen Tage verweilte. Da gab es nichts als Spazier durch Hinrichtung. gänge, Jagdausflüge und Angelpartien, Bälle, Festessen und Nachtmähler: man schlief kaum und brachte die ganze Nacht damit hin, einander Streiche zu spielen; kurz, alles liess sich so gut an, dass die Jüngere allmählich fand, der Herr des Hauses habe gar keinen so blauen Bart mehr und sei ein höchst ehren werter Mann. Sobald man in die Stadt zurückgekehrt war, wurde die Ehe geschlossen. 5 > 1 Am Anfang war das Märchen von Perrault 3 Verbot, die Kammer zu betreten 4 Eintritt in die verbotene Kammer 5 Entdeckung und Bestrafung 6 Aufschub „Hier“, sagte er zu ihr, „sind die Schlüssel zu Aber die Versuchung war so stark, dass sie ihr „Warum ist Blut an diesem Schlüssel?“ Als sie allein war, rief sie ihre Schwester und den beiden grossen Möbelspeichern; hier ist nicht zu widerstehen vermochte: sie nahm „Davon weiss ich nichts“, antwortete die sagte zu ihr: „Liebe Schwester Anne“, denn so der Schlüssel für das Tafelgeschirr von Gold also den kleinen Schlüssel und öffnete zitternd arme Frau bleicher als der Tod. hiess sie, „ich bitte dich, steig oben auf den und Silber, das nicht alle Tage im Gebrauch die Tür zur Kammer. Anfänglich sah sie „Ihr wisst davon nichts?“, erwiderte Turm hinauf und schau, ob nicht meine ist; hier ist der Schlüssel zu meinen eisernen nichts, weil die Fensterläden geschlossen Blaubart, „aber ich, ich weiss es wohl. Brüder kommen; sie haben mir versprochen, Truhen, in denen mein Gold und Silber waren. Nach einigen Augenblicken begann sie Ihr habt in die Kammer hinein gewollt? mich heute zu besuchen; und wenn du sie steckt; dieser ist für die Schatullen, die meine zu erkennen, dass der Fussboden ganz mit Nun gut, Madame! Ihr werdet dort hinein siehst, so winke ihnen, sich zu beeilen.“ Juwelen enthalten; und das ist der Haupt geronnenem Blut bedeckt war, und dass sich kommen und Euren Platz einnehmen Die Schwester Anne stieg oben auf den Turm schlüssel zu allen Zimmern. Was nun diesen in diesem Blut die Körper mehrerer toter, bei den Damen, die Ihr dort gesehen habt.“ hinauf, und die arme, jammervolle Frau rief kleinen Schlüssel angeht, so ist es der Schlüssel längs der Mauer aufgehängter Frauen Sie warf sich ihrem Ehemann zu Füssen, ihr von Zeit zu Zeit zu: „Anne, meine zur Kammer am Ende des langen Ganges im spiegelten: das waren alle die Frauen, die weinte und bat mit allen Zeichen einer Schwester Anne, siehst du nichts kommen?“ unteren Stockwerk: öffnet alles, geht überall Blaubart geheiratet und eine nach der aufrichtigen Reue um Verzeihung dafür, Und die Schwester antwortete: „Ich sehe hin; doch was diese kleine Kammer anbe anderen umgebracht hatte. Sie glaubte vor dass sie nicht gehorsam gewesen sei. Sie nichts als die Sonne, die stäubt, und das Gras, langt, so verbiete ich Euch, dort einzutreten, Furcht zu vergehen, und der Schlüssel zur hätte einen Stein erweichen können, schön das grünt.“ und ich verbiete es Euch so sehr, dass Ihr, Kammer, den sie eben aus dem Schloss und jammervoll wie sie war; aber Blaubart Unterdessen schrie Blaubart mit einem wenn es Euch ankommen sollte, sie zu öffnen, gezogen hatte, fiel ihr aus der Hand. hatte eine Herz, das war härter als Stein. grossen Hirschfänger in der Hand aus alles von meinem Zorn zu erwarten habt.“ „Es gilt zu sterben, Madame“, sagte er, Leibeskräften nach seiner Frau: „Komm „und das sofort.“ rasch herunter oder ich komme hinauf!“ „Noch einen Augenblick“, antwortete seine Frau; und dann rief sie: „Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?“ Und die Schwester antwortete: „Ich sehe nichts als die Sonne, die stäubt, und das Gras, das grünt.“ 6 7 > 1 Am Anfang war das Märchen von Perrault 7 Rettung Moral Andere Moral „Komm endlich rasch herunter“, schrie In diesem Augenblick schlug man so heftig an Die Neugier, trotz all ihrer Reize, Wenn man auch noch so wenig Blaubart, „oder ich komme hinauf!“ die Tür, dass Blaubart kurz innehielt. Man kostet oft reichlich Reue; Scharfsinn hätte, „Ich gehe schon“, antwortet die Frau; und öffnete, und sogleich sah man zwei Reiter Jeden Tag sieht man tausend Beispiele und verstände kaum das dann rief sie: „Anne, Schwester Anne, siehst hereinkommen, die mit dem Degen in der dafür geschehen. Zauberbuch der Welt, du nichts kommen?“ Faust geradewegs auf Blaubart zustürzten. Das ist, wenn es den Frauen auch gefällt, man sähe rasch, „Ich sehe“, erwiderte die Schwester, „eine Er erkannte, dass es die Brüder seiner Frau ein ziemlich flüchtiges Vergnügen, dass diese Geschichte ein Märchen aus grosse Staubwolke, die von dieser Seite waren, Dragoner der eine, Musketier der sobald man ihm nachgibt, vergangener Zeit ist. herkommt.“ andere, und floh sogleich, um sich zu retten schwindet es schon, Es gibt keine so schrecklichen Gatten mehr, „Sind das meine Brüder?“ Aber die Brüder folgten ihm auf dem Fuss, so und immer kostet es zu viel. und keinen, „Ach nein, Schwester, es ist eine Herde dass sie ihn einholten, ehe er die Freitreppe der das Unmögliche verlangt, Schafe.“ gewinnen konnten. Sie stiessen ihm ihre wenn er unzufrieden oder eifersüchtig ist.