Lutz Danneberg

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Lutz Danneberg Version, 9.3. 2020 (1. Version 5. 2. 2010) http://fheh9.org/images/fheh/material/akkomaesth-v01.pdf Lutz Danneberg Von der accommodatio ad captum vulgi über die accommodatio secundum apparentiam nostri visus zur aestetica als scientia cognitionis sensitivae1 1 Diese Untersuchung ist während meines Aufenthalts am FRIAS (Freiburg Institute for Advanced Studies) entstanden. 1 1. Problemstellung 2. Die condescensio bei den Kirchenväter und die accommodatio in der Rhetorik 3. Accomodatio ad captum vulgi 4. Die Akkommodation in der Reformation, vornehmlich bei Calvin 5. Verwendungsweisen der Akkommodation 6. Die Unterscheidung zwischen cognitio philosophica und cognitio vulgaris 7.1. Die Anwendung der Trennung von sensus verus und veritas sensu auf die Scriptura Sacra 7.2 Der Gedanke der Akkommodation bei Spinoza 8. Secundum apparentiam nostri visus, die Aufwertung der cognitio sensitiva und die Entstehung der Ästhetik 2 1. Problemstellung Zu den im 17. Jahrhundert mit vehementer Intransigenz ausgetragenen Konflikten ge- hört die Auseinandersetzung um den Gedanken der Akkommodation. Wendet man jedoch den Blick auf die Kirchenväter wie auf die ,Väter‘ der Reformationen, so er- scheint diese Intransigenz als überraschend, da der Akkommodationsgedanke auf den ersten Blick im 17. Jahrhundert kaum Neues zu bietet. Selbst dann scheint das noch zu gelten, wenn man ihn nutzte zur Schlichtung von Konflikten zwischen dem, was sich im wörtlichen Sinn in der Heiligen Schrift niedergelegt findet, und den neuen, insbesondere kosmologischen Wissensansprüchen. Gleichwohl halten die Auseinandersetzungen bis ins 18. Jahrhundert an. So trügt denn auch der erste Eindruck; den Gründen hierfür werde ich nachzugehen versuchen. Nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, wenn die erste Kontroverse um die Akkommodation abgeebbt und mehr oder weniger geschlichtet war, begann die zweite. Im Unterschied zur ersten stehen bei ihr weniger naturwissen- schaftliche Wissensansprüche im Mittelpunkt, als vielmehr theologische Lehrstücke, und nicht mehr das Alte, sondern das Neue Testament. Die zweite Debatte löste sich dann im wesentlichen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf, und zwar durch einen sich anbahnenden, nicht minder radikalen Wandel wie bei der ersten. Nun liegt dieser Wandel allerdings nicht in der ästhetischen Aufwertung der cognitio communis, sondern in der zunehmenden Ausrichtung der hermeneutica sacra am Ideal der interpretatio grammatico-historica. Im weiteren werde ich mich auf die erste Kontroverse um die Akkommodation beschränken.2 2. Die condescensio bei den Kirchenväter und die accommodatio in der Rhetorik Bereits bei den Homer-Exegeten findet sich die Unterscheidung zwischen kat¦ dÒxan, germäß der Meinung der Masse, und kat¦ ¢l», gemäß der Wahrheit.3 2 Vgl. L. Danneberg, Schleiermacher und das Ende des Akkommodationsgedankens in der hermeneutica sacra des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Ulrich Barth und Claus-Dieter Ost- hövener (Hg.), 200 Jahre »Reden über die Religion«. Berlin/New York 2000, S. 194-246. 3 Hierzu John Tate, Plato and Allegorical Interpretation (Continued). In: Classical Quarterly 24 (1930), S. 1-10, insb. S. 7ff. Zu Aristoteles Ansicht, Homer ahme in seiner Dichtung 3 Zumeist ist man dann der Ansicht, die Anpassung erforder eine allegorische Auslegung, anderes entspreche im Wortsinn der Wahrheit. In der Auseinandersetzung um die Akkommodation hat man jedoch sich im 17. Jahrhundert immer wieder der Autorität der patres ecclesiae versichert. Der Ausdruck sunkat£basifindet sich nicht im Neuen Testament.4 Zentral sind Vorstellungen der Herablassung, der klugen Haushal- tung, die bei kaum einem Kirchenvater fehlen, sich allerdings in vielfacher und unterschiedlicher Ausprägung darbieten. Der ältere Gedanke der Akkommodation manifestiert sich beispielsweise in Formeln wie Scriptura humane loquitur oder hebräisch dibra tora kileshon bne `adam5 und in Ausdrücken wie condescensio oder sunkat£basimitunter auch der Ausdruck filan…aa.6 eben Augustinus (354-430) findet er sich bei Origenes (185-253/54),7 bei Ireneus (130-200),8 bei gelegentlich die Vorstellungen der Masse nach, Hubert Hintenlang, Untersuchungen zu den Homer-Aporien des Aristoteles. Diss. Heidelberg 1961, S. 44-52. Allgemein in Aristoteles, Poetica, 1460b6, 1461b9. 4 In der Apostelgeschichte 25, 5, findet sich zwar Ausdruck sunkatab£ntej, aber er bedeutet an dieser Stelle etwas anderes. 5 Vgl. Amos Funkenstein, Theology and the Scienfic Imagination from the Middle Ages tot he Seventeenth Century. Pirnceton 1986, S. 213. 6 Zum Gebrauch dieses Ausdruck S. Tromp de Ruiter, De vocis quae est FILANQRWPIA significatione atque usu. In. Mnemosyne 59 (1931), S. 271-306. Zu filan…aa bei Origenes Catherine Osborne, Eros Unvieled: Plato and the God of Love. Oxford 1994, S. 164-184; er findet sich beispielsweise auch bei Klemens von Alexandria, Protrept, IX, 85, 3, Id., PaedI, 8, 74, 4. Dionysius, De coelesis Hiercharchia (PG 3, Sp. 119-368, hier, 240D), bezeichnet die oikonomia als philantropia (filanrwp…aa). Hierzu ferner Siegfried Lorenz, De progressu notionis philandrōtias. Weidae 1914, Glanville Downey, Philanthropia in Religion and Statecraft in the Fourth Century after Christ. In: Historia 4 (1955), S. 199-208, Jürgen Kabiersch, Untersuchungen zum Begriff der Philanthropia bei dem Kaiser Julian. Wiesbaden 1960. 7 Vgl. u.a. Richard P. C. Hanson, Allegory and Event. A Study of the Sources and Signifi- cance of Origen’s Interpretation of Scripture. London 1959, insb. S. 224-231, auch Rick Benjamin, The Analogy Between Creation and the Biblical Text in Origen of Alexandria. In: Arjo Vanderjagt und Klaas van Berkel (Hg.), The Book of Nature in Antiquity and the Middle Ages. Lueven/Paris/Dudley 2005, S. 13-20. Zu diesem Aspekt bei Origenes – er scheint häufiger „konomšwkonomšw und sunkat£ba…anw zu verwenden – gibt es offenbar kaum spezielleren und detaillierteren Studien, vgl. aber J. W. Trigg, God’s Marvelous Oikonomia: Reflections on Origen’s Understanding Divine and Huamn Pedagogy in the Address Ascribed to Gregory Thaumaturgus. In: Journal of Early Christian Studies 9 (2001), S. 27-52, Hendrik S. Benjamins, „konomšwkonom…aa bei Origen: Schrift und Heilsplan. In: Gilles Dorival und Alain L Boulluec (Hg.), Origeniana Sexta. Louvain 1995, S. 244-246. 4 Clemens von Alexandria (bis ca. 215),9 Bei Eusebius (260/64-339/340),10 bei Athana- sius (295-373),11 bei Hilarius von Poitiers (ca. 315-367),12 bei Basilius von Caesarea (330-379),13 bei Johannes Chrysostomos (334-407),14 Gergor von Nyssa (335/340 – nach 394),15 bei Cassian (ca. 360-430/35)16 oder bei Gregor den Großen (ca. 540-604) 17 und an nicht wenigen weiteren Stellen der christlichen wie der jüdischen Tradition.18 Nicht nur bieten die patres ecclesiae unterschiedliche Bezeichnungen – und bereits in der griechischen Antike ist die Beschreibung einer göttlichen Hausverwaltung des Universums („konomšwkonom…aa à à; oeconomia divina) nicht ungewöhnlich, trans- 8 Vgl. Adhémar de Alès, Le mot oikonomia dans la langue théologique de Saint Irénée. In: Revue des Etudes Grecques 32 (1919), S. 1-9, auch Robert M. Grant, Irenaeus of Lyons. London 1997, S. 46-53, auch Vinzenz Buchheit, Göttlicher Heilsplan bei Prudentius (Cath. 11, 25-48). In : Vigiliae Christiana 44 (1990), S. 222-241. 9 Vgl. etwa Clemens, Stromateis, VII, 9 (PG 9, Sp. 473ff) – sunkat£basi sowie „konomšwkonom…aa; dazu auch Michel Spanneut, Le stoїcisme des pères de l’église de Clément de Rome à Clément d’Alexandrie, Paris 1957, insb. S. 304-310. 10 Vgl. Die Hinweise bei Manfred Kertsch, Traditionelle Rhetrorik und Philosophie in Euse- bios’ Antirrhetikos gegen Hierokles. In : Vigiliae Christianae 34 (1980), S. 145-171, insb. S. 156/5.7. 11 Zum Substantiv o„konomšwkonomoj wie zum Verb o„konomšwkonome‹n bei Athanasius vgl. Thomas F. Torrance, The Hermeneutics of John Calvin, Edinburgh 1988, vor allem S. 259-272. 12 Vgl. Hilarius, De Trinitate, 8, 43. 13 So erklärt er einige Momente im Alten Testamnet, etwa der Umstand, dass Gott zu einem Befehl greift, zu der Annahmen, dass Moses sich bei den Darlegungen zur Erschaffung der Welt, denjenigen, die es zu unterweisen gelte, sich angepasst habe, umd die Sache leichter fassbar zu machen, vgl. Basilius, Homulien zum Hexaemeron. Ed. E. Amand de Mendieta und S. Y. Rudberg. Berlin 1997 (GCS NF 2), 2, 7 (S. 33). 14 Vgl. u.a. sunkat£basi bei Chrysostomos, Homilae in Genesin, 17, 1 ad Gen 3, 8 (PG 53, S. 134), auch Id., Homiliae XLIV in Epistolam primam ad Corinthios, Homil. III und XII (PG 61, Sp. 9-380, hier Sp. 23 und Sp. 95-97) sunkat£basiˆ o„konomšwkonom…aa, Id., De incomprehensibili Dei Natura, Homiliae XII, Hom. II, 3, 4 (PG 48, Sp. 722), dort ebenfalls die Formulierung sunkat£basiˆ o„konomšwkonom…a, Id., Espositio in Psalmos, VI, 1 (PG 55, Sp. 71) die lateinische Übertragung des Griechischen hat: „sunt enim verba quibus se ad captum nostrum demitti.“ Der griechische Ausdruck ist sunkat£basewVgl. zudem u.a. Fabio Fabbi, La ,condiscendenza‘ divina nell’ispirazione biblica secondo S. Giovanni Crisostomo. In: Biblica 14 (1933), S. 330-347, Pietro Moro, La ,condiscendenza’ divina in S. Giovanni Crisostomo. In: Eunte docete 11 (1958), S. 109-123, Reiner Kaczynski, Das Wort Gottes in Liturgie und Alltag der Gemeinden des Johannes Chrysostomus. Freiburg 1974, S. 26-30, Bertrand de Margerie, Introduction à l’histoire de l’exégèse. I: Les Pères grecs et orientaux. Paris 1980, S. 214-239, R. C. Hill, „On Looking Again on Sunkatabasis“, in: Prudentia 13/1981, S. 3-11, Mel Lawrenz, The Christology of John Chrysostomos. Milwaukee 1987, insb.
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