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"Und aus des Horizontes Tiefe ..." - zum 200. Todestag

Eine musikalische Annäherung (1)

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SWR 2 Musikstunde, 14. November 2010 Text 16‘30

"Und aus des Horizontes Tiefe ..." - Heinrich von Kleist zum 200. Todestag Eine musikalische Annäherung (1)

Wer war Heinrich von Kleist? Einer der bedeutendsten deutschen Dichter und Dramatiker. Darüber sind wir uns heute einig. Und zumindest eines seiner Werke dürfte jedem präsent sein: „Der zerbochne Krug“ oder „Das Käthchen von Heilbronn“.

Zu Lebzeiten Kleists sieht das ganz anders aus. Kaum einer kennt ihn, kaum eines seiner Werke wird veröffentlicht. Die Intendanten wollen seine Dramen nicht aufführen, die Zuschauer sie – mit Ausnahme des Käthchens - nicht sehen, zu brutal, zu gewalttätig, zu politisch, viel zu modern.

Als Dichter ist Heinrich von Kleist gescheitert, als Mensch eigentlich auch: eine abgebrochene Militärlaufbahn, verfehlte Beziehungen, ein ewig Suchender, ein Aussteiger, ein Provokateur. Am Ende der inszenierte Freitod.

Kleists Leben, salopp gesagt, alles andere als eine Erfolgsstory.

Wie gerne hätten wir ihm damals zugerufen, deine Zeit wird kommen, ein großer Geiger und Komponist, nämlich wird schon bald eine Ouvertüre dir zu Ehren schreiben. „Dem Andenken Heinrich von Kleist“. (1’00)

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Musik 1 Joseph Joachim: Elegische Ouvertüre op.1 „Dem Andenken Heinrich von Kleist. Philharmonisches Orchester Maastricht / Roland Bader / M0036491 Schwann MUSICA MUNDI 31514-2 10‘32 „Dem Andenken Heinrich von Kleist“, so lautet die Widmung dieser Elegischen Ouvertüre von Joseph Joachim. Roland Bader leitete das Philharmonische Orchester Maastricht.

Vor 200 Jahren, am 21. November 1811, ist Heinrich von Kleist mit nur 34 Jahren durch Freitod aus dem Leben geschieden. Aus einem kurzen Leben, ein Leben, geprägt von seiner adligen Herkunft, der militärischen Tradition seiner Familie, den preußischen Kriegen und dem verzweifelten Versuch, sich selbst zu finden, den Menschen, den Schriftsteller Kleist. Ein Weg voller Hindernisse, voller Höhen und sehr viel mehr Tiefen, voller Abstürze. Kleist ein Mensch der Extreme.

Wir wollen uns diesem Freigeist, diesem lange Zeit verkannten Genie in den SWR 2 Musikstunden dieser Woche nähern über seine Zeit, sein Leben, sein Werk, über Kleist-Vertonungen und über den Musiker Heinrich von Kleist. Er spielte gut Flöte und Klarinette und schnitzte mit großer Perfektion die Rohrblättchen für sein Instrument selbst.

Wäre sein holpriges Leben anders verlaufen, vielleicht hätte er sich viel intensiver mit der Sprache der Töne auseinandergesetzt.

„Denn ich betrachte diese Kunst – die Musik“, so Kleist, „als die Wurzel aller übrigen ... und so habe ich von meiner frühsten Jugend an, alles Allgemeine, was ich über die Dichtkunst gedacht habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, dass im Generalbass die wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind“.

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Das notierte Kleist, im Sommer 1811, wenige Monate vor seinem Tod.

Also in der Harmonie der Musik liegt die Erkenntnis über Klang und Rhythmus der Sprache, der Poesie. (1‘45)

Musik 2 Robert Schumann:“Der Dichter spricht“ aus den Martha Agerich M0066952 013 Deutsche Grammophon 453566-2 2‘03

“Der Dichter spricht“ aus den Kinderszenen von Robert Schumann, Martha Agerich am Klavier.

Im Kleistjahr 2011 wird vor allem der Dramatiker Kleist gefeiert. Das Berliner Maxim Gorki Theater spielt in diesem Monat alle Dramen Kleists. Allein diese Woche können Sie in Berlin „Penthesilea“ und den „zerbrochnen Krug“ sehen. Ohnehin steht der Dorfrichter Adam mit seinem absurden Verstrickungsszenario bundesweit ganz hoch im Kurs.

200 Jahre Kleistforschung, Kleistrezeption haben den sprachgewaltigen Dramatiker und Dichter dahin gestellt, wo er hingehört. In die Reihe der großen deutschen Literaten seiner Zeit, zwischen Schiller, Goethe, Hölderlin und und als Wegbereiter der Moderne. Spätere Dichter beziehen sich auf Kleist als radikalen Traditionenbrecher. Kleists Werke sind heute Pflichtlektüre auf deutschen Gymnasien und Michael Kohlhaas immer wieder Sternchenthema im Abitur.

Kleist in all seinen Facetten so präsent, so aktuell wie nie zuvor. Bei der Recherche zu diesen Sendungen bin ich auf ein von nach einem Gedicht von Kleist gestoßen. Kannte Schubert

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seinen Zeitgenossen Kleist? 1810 wurde immerhin das romantische Ritterstück „das Käthchen von Heilbronn“ am Theater an der Wien uraufgeführt.

Aber das Gedicht des Schubert Liedes stammt nicht von Heinrich, sondern von Ewald Christian von Kleist, einem entfernten Verwandten, der romantische Verse verfasst hat und damals um 1800 weitaus bekannter war als Heinrich, zu dessen Lebzeiten wird keines seiner Werke vertont.

Kleists musikalische Entdeckung fällt ins späte 19., vor allem ins 20. und 21. Jahrhundert. Wolf, Goldmark, Pfitzner, Henze, Schoeck oder Rihm, sie alle haben Kleist vertont. Rihm und Schoeck sogar eines der schwierigsten Dramen Kleists für die Opernbühne: Penthesilea.

Karl Goldmark und haben sich zuvor schon in Orchesterwerken an die blutrünstige Penthesilea gewagt. Wolf schrieb eine sinfonische Dichtung, daraus hören wir gleich den Anfang.

Kurz zum Inhalt: Penthesilea, Königin der Amozonen verliebt sich in den griechischen Helden Achill. Nach dem Gesetz muss sie den Mann, den sie liebt, im Kampf besiegen. Zuerst unterliegt Penthesilea, beim zweiten Mal erscheint Achill ohne Waffen, das erkennt Penthesilea zu spät. Sie durchbohrt ihn mit einem Pfeil, jagt die Hunde auf ihn, zerfleischt ihn und trinkt sein Blut. Sie tötet das, was ihr am liebsten ist. Eine schaurige Geschichte. (2’30)

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Musik 3 Hugo Wolf: Penthesilea, Symphonische Dichtung, Aufbruch der Amazonen nach Troja Radio Sinfonieorchester Stuttgart des SWR / Dietrich Fischer Dieskau M0041524 009 EMI CLASSICS 562195-2 5‘20

Eine todbringende Liebe, ein kanibalistisches Ende, psychologisch hoch kompliziert: Penthesilea, eines der brutalsten Stücke Kleists über extreme Charaktere, Liebe und Hass, Erotik und Aggression, Individualität und gesellschaftliche Ordnung. Ein Spiegel seiner zerrissenen Seele, seiner selbst. Das Radio Sinfonieorchester Stuttgart spielte „Aufbruch der Amazonen nach Troja“ aus Hugo Wolfs symphonischer Dichtung „Penthesilea. Dietrich Fischer-Dieskau war der Dirigent.

Die Wiener Philharmoniker haben Wolfs Werk damals 1886 abgelehnt, wegen des Inhalts, der musikalischen Brüche oder weil Wolf, nach seinen Angriffen gegen Brahms, nicht wohl gelitten war.

Gunst und Missgunst, das bekommt auch Kleist zu spüren. Voller Zuversicht vertraut er seine Penthesilea Goethe an, mit der stillen Hoffnung auf eine Aufführung in , aber Goethe weist das Stück entschieden zurück. Für ihn bleibt unverständlich, wie Kleist das Bild der griechischen Antike, die Inhalte der deutschen Klassik, die Ideale des Humanismus so brutal zerstören kann.

Alles, was Goethe mit seiner Iphigenie, dem Abbild des redlichen Humanisten, geschaffen hat, scheint mit einem Mal dahin. Nicht nur Goethe strebte mit der Iphigenie nach dem göttlichen Ideal, Christoph

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Willibald Gluck hat das Drama des griechischen Dramatikers Euripides in einer Oper vertont. In der großen Arie im letzten Akt hadert Iphigenie mit ihrem Schicksal, sie soll nach altem Brauch den eigenen Bruder opfern:

„Den Unglückseligen morden / ist mir zur Pflicht geworden / Ich folge ihr, doch ist mein Herz von jeder Qual zernagt.“ (1’40)

Musik 4 Christoph Willibald Gluck: „Iphigénie en Aulide“, Arie der Iphigenie, 4. Akt, Patricia Petibon / Köln, Daniel Harding M0107018 013 Deutsche Grammophon 00289 477 7468 3‘02

In Glucks Oper „Iphigenie in Aulis“ tötet die Hohepriesterin ihren Bruder nicht. Durch Vernunft und reine Menschlichkeit wird sie auf den rechten Weg geleitet, ganz anders als Kleists mordende Penthesilea. Patricia Petibon sang die Iphigenie. Daniel Harding leitete Concerto Köln.

Kleist damals ein Randfigur, kaum bekannt, heute omnipräsent: Im Internet in 13 Sekunden über anderthalb Millionen Eintragungen.

Unter heinrich-von-kleist.org. findet man das offizielle Kleist-Portal mit der schönen Überschrift: „Herzlich willkommen zum Webauftritt für Heinrich von Kleist“. Kleist hat eine eigene Homepage.

Herausgegeben von der Kleist Gesellschaft in Köln und dem Kleist- Museum in Oder, wo der Dichter am 18. (nach eigenen Angaben am 10.) Oktober 1777 geboren wird.

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In seinem kurzen Leben zieht er oft ziellos durch Europa, so dass heute viele Orte, Städte, Länder Anspruch auf den Dichter erheben.

Frankfurt an der Oder und Berlin, als Geburts- und Sterbestädte, ebenso Würzburg, Königsberg, Paris, , Weimar, Heilbronn allein wegen des Käthchens oder Thun in der Schweiz, wo Kleist zweimal für kurze Zeit wohnt und wo er sich zeitweise am liebsten als Bauer im Sinne Rousseaus niederlassen würde.

Auf einer kleinen Insel in der Aare arbeitet Kleist an seinen ersten Dramen, die Familie Schroffenstein und Robert Guiskard. Die kleine Insel, die heute mitten in Thun liegt, heißt seit März dieses Jahres „Kleist-Inseli“.

Sie ist im Privatbesitz und nicht offiziell zugänglich, das Kleisthäuschen wurde ohnehin 1940 abgerissen, zu einer Zeit, wo man nicht so gut auf die Deutschen und ihre Dichterfürsten zu sprechen war. Davon abgesehen, haben sich viele deutsche Künstler am Thuner See wohlgefühlt. erlebte hier, so wie einst Kleist, glückliche Stunden in der herrlichen Bergluft, am schimmernden See. Man riecht und spürt es in der Brahms‘schen Musik.

(2’00)

Musik 5 Johannes Brahms: 4. Satz aus der Cellosonate Nr. 2 F-Dur, op. 99 Alban Gerhardt und Markus Groh M0026385 010 HARMONIA MUNDI FRANCE HMN 911641 4‘20

Alban Gerhardt und Markus Groh mit dem Finale aus Johannes Brahms 2. Cellosonate F-dur, in der Schweiz, am Thuner See entstanden, wo

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auch Kleist gearbeitet hat und wo in diesem Jahr Kleist Gedenktage stattfinden.

In einem Kleistjahr gibt es Festivals, Aufführungen, Ausstellungen und viele neue Veröffentlichungen, auf unserer SWR 2 Seite finden Sie eine Literaturempfehlung zu diesen Musikstunden. Besonders hervorheben möchte ich die Biographie von Peter Michalzik, die uns den Menschen Kleist besonders nahe bringt und eine Neuerscheinung aus der Reihe Musikwissenschaften des Centaurus Verlags „Die Bedeutung der Musik für Heinrich von Kleist“ von Irene Krieger, eine detaillierte Aufführung sämtlicher Kleist-Vertonungen und es ist erstaunlich, wie viele sich an Kleist herangewagt haben und wie viele an ihm gescheitert sind. Heimo Erbse zum Beispiel, Komponist und Opern-Regisseur, Schüler von Boris Blacher. Er schrieb eine Oper nach Kleists Novelle "Die Marquise von O...", in der es um die Folgen des Krieges, um Vergewaltigung und um heftige Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft geht. Die Oper von Erbse heißt „Julietta“ und ist als semiseria bezeichnet, ist aber eher eine Burleske, eine Operette und hat Kleists Psychologie und Sozialkritik komplett verfehlt. 1959 wurde sie bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und aus diesem Mitschnitt hören wir eine kurze Passage, eine Tarantella. (1’30)

Musik 6 Heimo Erbse: Julietta, Tarantella, Wiener Philharmoniker, Antol Dorati Tarantella M0288412 025 2‘20

Ballettmusik aus der Oper „Julietta“ von Heimo Erbse, nach Kleists Novelle "Die Marquise von O..., von Kleist ist hier nicht mehr viel übrig.

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Ein Mitschnitt von der Uraufführung. Antol Dorati leitete die Wiener Philharmoniker.

Wir kennen vielleicht Kleists Werke, schmunzeln über seine Anekdoten, aber Vieles aus seinem Leben liegt im Dunkeln, Originale sind verschollen, darunter viele seiner eigenen und an ihn andressierten Briefe, rund 230 sind erhalten, einige davon nur in Abschrift.

Es sind wertvolle Dokumente, Briefe an Freunde, an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge und vor allem an seine ältere Halbschwester Ulrike von Kleist.

Da nur wenige Zeitgenossen Kleists Genialität erkannt haben, gibt es kaum Dokumente, die uns den Dichter, den Dramatiker beschreiben. Und zuletzt, da Kleist meist auf Reisen war, bewahrte er die an ihn adressierten Briefe nicht sorgfältig auf. So bleibt vieles bis heute Spekulation.

Wie sah Kleist aus. Verbindliche Porträts gibt es nur zwei, eine Kreidezeichnung nach einer Miniatur von Peter Friedel aus dem Jahr 1801, sie ist auf den meisten Biographien abgebildet, und ein Porträt aus der Zeit seiner Gefangenschaft im französisch besetzten Berlin. Ein Mitgefangener hat ihn damals gemalt, frontal mit leuchtend-blauen Augen.

Aus dieser Zeit stammt auch eine der wenigen äußeren Beschreibungen:

„fünf Fuß drei Zoll groß, (also etwa 1,70 m) Haar und Augenbrauen kastanienbraun, Augen blau, Nase klein, Mund mittelgroß, Kinn rund, Gesicht oval.“

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Ludwig Tieck, der erste Herausgeber von Kleist Werken, betont seinen starken Körperbau.

Clemens Brentano beschreibt Kleists Wesen als sanft und ernst, „gemischt launig, kindergut, arm und fest“ und erkennt in ihm eine „sehr eigenwillige, ein wenig verdrehte Natur“.

Heinrich ist der erste Sohn der preußischen Adelsfamilie Kleist, der Stammhalter und ganze Stolz des Vaters, der - wie alle männlichen Vorfahren - bei Militär ist, allerdings nur als mäßig erfolgreicher Offizier im königlich-preußischen Regiment. Zurzeit von Heinrichs Geburt regiert in Preußen schon seit fast 40 Jahren der mächtige, belesene und Musik- vernarrte Friedrich der Große. (2’30)

Musik 7 Friedrich II: Sonate b-moll, 4. Satz Vivace assai Emmanuel Pahud, Flöte, Trevor Pinnock, Cembalo, Jonathan Manson, CD EMI LC 06646, 084220 2 2‘40

Emmanuel Pahud, Trevor Pinnock und Jonathan Manson mit dem letzten Satz aus der Flötensonate b-moll von Friedrich dem Großen, er ist König von Preußen als Kleist geboren wird.

Aus der Kindheit Heinrich von Kleists wissen wir nicht viel. In den ersten Jahren kommt ein Privatlehrer ins Haus, mit zehn besucht er in Berlin die Privatpension eines hugenottischen Predigers. Französisch spricht und liest er fließend, das gehört zum preußischen Bildungsideal. Als der Vater plötzlich stirbt, muss Kleist die Ausbildung in Berlin abrupt beenden. Das Geld wird knapp, Heinrich kehrt nach Frankfurt zurück. Mit 14 (Jahren) beginnt er kurz nach seiner Konfirmation seine militärische

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Laufbahn als Gefreiter im preußischen Regiment. Preußen befindet sich gerade im Kampf gegen die französischen Revolutionstruppen.

Von Kleists sieben Militärjahren herrschen drei Jahre Krieg. Wegen mancher politischer Äußerungen, wird Kleist oft als Kriegsverherrlicher bezeichnet, nicht zuletzt wegen des patriotischen Dramas „Die Hermannsschlacht“, unter der Bedrohung entstanden. Aber Kleist hat sich in vielen Werken und Briefen sehr kritisch mit dem Krieg auseinandergesetzt, wie in dem wenig bekannten Gedicht das „letzte Lied“, ein düsteres, fast apokalyptisches Bild des Krieges, fatalistisch, abgrundtief, dem Tod geweiht. (1’25)

Kleist „das letzte Lied“, gelesen von Karl-Rudolf Menke, Quelle: Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Band 1, München 1977, S. 31-32. Aus Radiomax 2‘42

Karl Rudolf Menke las „das letzte Lied“ von Heinrich von Kleist.

An seine Schwester Ulrike schreibt Kleist während des Krieges gegen das revolutionäre Frankreich aus seinem Quartier in Eschborn bei Frankfurt:

„Gebe uns der Himmel Frieden, um die Zeit, die wir hier so unmoralisch tödten, mit menschenfreundlicheren Thaten bezahlen zu können.“

Kleists Sehnsucht erfüllt sich. Ab Mai 1795 herrscht Frieden zwischen Frankreich und Preußen. Kleist wird zum Fähnrich befördert. Das Regiment kehrt nach Potsdam zurück. Dort findet Kleist Freunde fürs

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Leben, Otto August Rühle und den späteren preußischen Ministerpräsidenten, Ernst von Pfuel. Die beiden unternehmenslustigen Männer stehen Kleist über lange Zeit besonders nahe. Mit Rühle studiert Kleist Mathematik, Philosophie, Griechisch und Latein und die beiden machen gemeinsam Musik. Potsdam, eine musikbegeisterte Stadt. Friedrich Wilhelm II ist ebenfalls musikalisch wie sein Onkel Friedrich der Große, er spielt Cello und man erzählt, er habe sich bemüht, den großen Mozart nach Potsdam zu locken, allerdings erfolglos. Kleists Militärzeit ist eine musikalische Zeit. Mit Rühle und zwei andern Militärfreunden gründet er ein Quartett. Als fahrende Musikanten ziehen sie durch den Harz, spielen in Dörfern und Städten und leben allein von den erspielten Einkünften. (1’20)

Musik 8 Michel Yost: Petit duo pour clarinettes Nr. 1 C-Dur Michel Portal, Paul Meyer M0015145 028+029 EMI CLASSICS 556732-2 1’40

Michel Portal und Paul Meyer mit dem Rondo aus dem Duo Nr. 1 C-Dur von Michel Yost, der beim selben Klarinettenlehrer Unterricht hatte wie Kleist, bei Johann Josef Beer.

Auf dieser unbeschwerten Reise mit seinen Freunden durch den Harz entdeckt Kleist vielleicht zum ersten Mal das Gefühl von Freiheit, von Unabhängigkeit und eine Form von Glück, das er bei Militär vergeblich sucht. Der Soldatenstand erscheint ihm als „Lebendiges Monument der Tyrannei“, diesem Joch will er sich nicht länger unterwerfen. Mit 21reicht Kleist bei Militär seinen Abschied ein, ein unglaublicher Bruch mit sämtlichen gesellschaftlichen und familiären Konventionen. Der Kleist-

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Biograph Peter Michalzig schreibt auf den ersten Seiten seiner Biographie: „Mit diesem Tag beginnt er sichtbar, er selbst zu werden“. Auf diesem Weg wollen wir ihn morgen weiter begleiten. Heinrich von Kleist. (1‘00)

Musik 9 Maurizio Kagel: Marsch Nr. 1 um den Sieg zu verfehlen. Für Bläser und Schlagzeug SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern Leitung: H.K. Gruber M0049607 001 1’52