Mittwoch, 7. April 2021 Schweiz 9

nicht mitgerechnet). Der Titel der dritt- nen neuerdings auch für Kandidaten von grössten Stadt der Romandie ging 2019 «oben» stimmen – was für den zustän- Gleicher Wein, verschiedene Schläuche an Freiburg verloren. Nach den Ge- digen Staatsrat Alain Ribaux alles an- meindefusionen in Neuenburg ist La dere als eine nebensächliche Neuerung Tamedia legt den «Bund» und die «Berner Zeitung» vollends zusammen Chaux-de-Fonds Anfang 2021 gar auf ist. Entscheidend sei, dass die Kandida- Rang fünf zurückgefallen. tinnen und Kandidaten Visionen für alle Vor Jahresfrist wollten die Behörden Regionen und nicht mehr nur für den FABIAN SCHÄFER, Die Zäsur ist historisch. Künftig wird und Charakter, dafür flexibel mit Inhal- von La Chaux-de-Fonds aus der Not eine eigenen Bezirk propagieren müssten, so es nur noch eine Tageszeitung geben, ten abfüllbar. Tugend machen. Sie lancierten eine reich- Ribaux. «Sie entdecken nun teilweise 1. Oktober 2020: Feiertag in Bern. «Der die über Bern berichtet: über die weit- Die Berner Kantonsregierung hat die lich unorthodoxe Kommunikationskam- ihren Kanton neu.» Bund», das stolze Traditionsblatt, feiert läufige Hauptstadtregion in all ihren angekündigten «Schritte zu einer Ein- pagne: Die offizielle Homepage sowie «Ein Kanton, ein Raum». Allein das Jubiläum. 170 Jahre sind es, auf den Tag Facetten, von der Stadt Bern mit ihren heitsredaktion» schon im Vorfeld «be- die Auftritte auf den sozialen Netzwer- offizielle Schlagwort zur Reform zeigt genau. Man schwelgt in Erinnerungen an tief-rot-grünen Hipster-Zonen und der dauert». Sie befürchtet, «dass die Be- ken wurden so dargestellt, als hätte ein schon, dass der Kanton Risse zu kit- die grossen Zeiten der ehemals libera- Reitschule bis zu den SVP-Hochburgen richterstattung über lokale und regio- Hacker das Kommando übernommen. ten hat. Théo Huguenin-Élie, der Stadt- len Zeitung, die mutig gegen die Nazis und den Gehöften im oberen Emmen- nale Themen in den beiden traditionel- Dieser verbreitete über die Stadt ein Kli- präsident von La Chaux-de-Fonds, mag Stellung bezog. «Wir sind stolz auf den tal. Nicht nur zwischen den verschie- len Zeitungstiteln verarmt», wie sie im schee nach dem anderen. Die Bevölke- ihr nicht allzu viel abgewinnen. Bedeut- ‹Bund›», schreibt daselbst Pietro Supino, denen Teilen des Kantons Bern liegen März in der Antwort auf eine Anfrage rung hatte dafür aber dermassen kein samer seien die Infrastrukturvorhaben der Präsident der Tamedia AG, der heu- Welten, sondern auch zwischen «Bund» aus dem Grossen Rat schrieb. Musikgehör, dass der angebliche Cyber- – und die eigene Fähigkeit zur Erneue- tigen Eigentümerin. Die wirtschaftlichen und «BZ». Dass diese beiden Zeitungen angriff verfrüht offengelegt und die Kam- rung. Wenn der frühere Lehrer die kom- Probleme verhehlt er nicht, hält aber einmal vereint würden, war lange Zeit Mehr Chefinnen? pagne abgeblasen werden musste. menden Jahre skizziert, sprüht er derart gleichwohl fest: «Es ist unsere Ambi- schier undenkbar. Zu gross waren die Die Episode zeigt: Die Chaux-de-Fon- vor Enthusiasmus, dass man zuweilen tion, das erfolgreiche ‹Berner Modell› Ressentiments, auf beiden Seiten. Dass ein grösserer Stellenabbau zu er- niers reagieren dünnhäutig, wenn ihre das Gefühl hat, er spreche vom Silicon weiterzuführen.» Mit anderen Worten: Hier die «BZ»: der Platzhirsch, im warten ist, erscheint plausibel. Für Stadt durch den Dreck gezogen wird. Valley und nicht von einer schrumpfen- Tamedia will in Bern weiterhin zwei ganzen deutschsprachigen Teil des Tamedia ist die Zusammenlegung un- «Es gibt einen immensen Unterschied den Stadt in der Peripherie. Verkehrs- Zeitungen mit eigenständigen Regio- Kantons verbreitet, wirtschaftlich er- angenehm und politisch schwierig. Wie- zwischen der stereotypen Darstellung beruhigung der Innenstadt, Fokus auf nalredaktionen herausgeben, die «Ber- folgreich, gelegentlich etwas laut, viel derholt haben die Berner Stadt- und die von aussen und der Wahrnehmung der erneuerbare Energien, Renovation des ner Zeitung» («BZ») und den «Bund». Region, viel Sport. Dort «»: Kantonsregierung versucht, Druck auf Bewohner. Fragen Sie mich nicht, warum – Wenig später, Ende Oktober 2020, war stolz, grosse Tradition, intellektueller die Besitzer in Zürich auszuüben. Der – die Stadt ist attraktiv zum Leben, erst alles anders. An einem internen Informa- Anspruch, primär in der Stadtregion Verlag würde die Fusion nicht durch- recht seit der Steuerreform», sagt der tionsanlass erfuhren die überrumpelten Bern verwurzelt, wirtschaftlich in der ziehen, wenn sie sich nicht lohnte. Da- Arzt Claude-André Moser. In der Tat Angestellten, dass das «Berner Modell» Dauerkrise, bis Tamedia das Ruder mit sie sich lohnt, muss ein namhaf- bietet La Chaux-de-Fonds Einheimi- am Ende ist. Der Verlag will auch noch übernahm. Wenig illustriert die Medien- ter Teil der Stellen eingespart werden. schen wie Besuchern mehr als manch die letzten separaten Ressorts der bei- krise eindrücklicher als die Zwangsver- Zu hören ist als Grössenordnung, dass eine Stadt vergleichbarer Grösse: Das den Zeitungen zusammenlegen. heiratung von zwei Zeitungen mit der- die beiden Regionalredaktionen zu- Kulturangebot ist vielfältig, die Architek- art unterschiedlicher Kultur, Geschichte sammen ursprünglich gut 70 Vollzeit- tur einzigartig, die Museumsdichte hoch, Viele Kündigungen erwartet und Ausrichtung. pensen umfassten, wovon nun rund ein das Sportangebot – inklusive Skipiste Gegen aussen wird es weiterhin zwei Drittel wegfallen dürfte. Die «BZ» hat auf Gemeindegebiet – attraktiv und die Nun folgen den Worten Taten. Laut meh- Zeitungen geben.Tamedia ist entschlos- etwa doppelt so viele Stellen wie «Der mit Tannen bewaldete Hügellandschaft reren Quellen sind die Entscheide mitt- sen, im Bernbiet Potemkinsche Dörfer Bund». Die neue, gemeinsame Redak- schon wenige Meter nach der Siedlungs- Le haut et le bas, lerweile gefallen, am Donnerstag will aufzustellen. Die Fassade ist alles: «Der tion wäre somit ähnlich gross wie die grenze bezaubernd. oben und unten – Tamedia offiziell über den Zusammen- Bund» und die «BZ» werden weiterhin «BZ» heute. der Gegensatz schluss informieren. Der Verlag wollte unter ihren bisherigen Namen erschei- Wer muss gehen, wer kann bleiben? «Eine Stadt der Zukunft» am Dienstag keine Stellung dazu neh- nen, nun aber von vorne bis hinten voll In den Redaktionen ist die Ungewissheit prägt Neuenburg men. Laut den Quellen sind alle regiona- mit Beiträgen derselben Redaktion. Ge- gross. Spekuliert wird, dass die heftige Für eines der Hauptprobleme kann La len Ressorts betroffen, die heute unab- wisse Unterschiede in der Konfektionie- Sexismus-Debatte, die Tamedia jüngst Chaux-de-Fonds freilich nicht viel: Die wie kaum einen hängig und mit unterschiedlichen Priori- rung soll es weiterhin geben, die «BZ»- ereilt hat, Auswirkungen haben könnte. Stadt liegt in der Peripherie. Hätte sich anderen Kanton. täten über Politik,Wirtschaft, Kultur und Leserschaft darf sich auch künftig auf So sollen die Personalpläne mit einigen die Uhrenindustrie nicht organisch ent- Sport berichten. Die überregionalen Res- eine grosse Portion regionaler Chefinnen ergänzt worden sein, um sich wickelt, wäre wohl niemandem in den sorts waren bereits 2018 vollständig fusio- inklusive Sport freuen, während «Der nicht erneut dem Kreuzfeuer der Kritik Sinn gekommen, auf 1000 Metern über niert worden, zusammen mit dem «Tages- Bund» zum Beispiel mehr Ausland- auszusetzen. Als relativ sicher gilt hin- Meer eine grosse Stadt zu bauen, in der Anzeiger» und den anderen Zürcher Zei- oder Kulturthemen enthalten soll. Die gegen, dass die beiden heutigen Chef- im Winter oft Schnee liegt, in der es käl- tungen des Verlags. In Bern soll die neue, Texte indes kommen alle aus derselben redaktoren Simon Bärtschi («BZ») und ter als im Flachland ist und die vor allem gemeinsame Regionalredaktion bereits Redaktion. Von zwei Stimmen wird die Patrick Feuz («Der Bund») bleiben nicht an den bedeutenden Verkehrs- im Herbst den Betrieb aufnehmen. Die eine verstummen. Die traditionsreichen dürfen, obwohl sie beide Männer sind. achsen der Schweiz liegt. Belegschaft rechnet mit einem grösseren Titel verkommen zur Marke und die Redaktionsmitglieder gehen davon aus, Doch das soll sich nun ändern: Das Stellenabbau und vielen Kündigungen. Zeitungen zu Hüllen ohne Identität dass Bärtschi den Vorsitz haben wird. eidgenössische Parlament hat 2019 gleich mehrere Infrastrukturentscheide gefällt, die den Kanton Neuenburg fundamen- tal verändern werden. Um die Städte Stadions und vor allem: viel Kultur, La Chaux-de-Fonds und Le Locle wer- was Einheimische beglücken und Aus- den Umfahrungsstrassen gebaut, die den wärtige anziehen soll. Im Jahr 2025 soll EU-Regeln befeuern Debatte Verkehr – unter anderem von französi- die Uhrenmetropole gar erste «Kultur- schen Grenzgängern – aus den Innen- hauptstadt der Schweiz» werden – eine städten vertreiben sollen. In gut fünf Jah- jährlich wechselnde Auszeichnung, die über nationale Impfstoffproduktion ren sollen die Abschnitte eingeweiht wer- es noch gar nicht gibt. den. Das noch bedeutsamere Projekt ist «Ohne mit der Wimper zu zucken, Firmen, die Vakzine aus der EU in die Schweiz exportieren, brauchen eine Bewilligung eine neue, teilweise unterirdisch geführte kann ich versichern: La Chaux-de-Fonds Bahnverbindung zwischen Neuenburg ist eine Stadt der Zukunft», sagt Hugue- und La Chaux-de-Fonds. Alle Viertel- nin-Élie. Damit soll sich die in jüngs- GIOIA DA SILVA Kauf, dass sich Bern vor den Kopf gestos- nicht betreffen. Schliesslich sind wir beim stunde soll ein Zug verkehren, und die ter Zeit negative Bevölkerungsent- sen fühlt. Auf Anfrage bestätigt das Seco Impfen der EU nicht so weit voraus wie Reisezeit wird gegenüber heute mehr als wicklung umdrehen, zumal Wohnraum Ende März verschärfte die Europäische eine Meldung des «Nebelspalters», dass etwa Grossbritannien. Zweitens sollte die halbiert – auf noch 14 Minuten. Die Bau- in «La Tchaux» gerade für Familien er- Union ihre Exportkontrollen. Firmen, die die Schweiz den EU-Botschafter Petros Schweiz ihren Standortvorteil nicht ge- arbeiten werden über zehn Jahre dauern. schwinglicher ist als in praktisch jeder Covid-19-Impfstoffe in die Schweiz und Mavromichalis zu einem Gespräch einbe- fährden. Dies würde sie mit der Andro- Am unmittelbarsten soll eine insti- anderen Schweizer Stadt und die neuen sechzehn weitere Staaten liefern wol- rufen habe. Der Botschafter hat dem Ver- hung von politisch motivierten Export- tutionelle Reform dazu beitragen, den Home-Office-Realitäten abgelegenere len, müssen seither eine Bewilligung von nehmen nach der Staatssekretärin Livia beschränkungen eindeutig tun.» Jetzt innerkantonalen Zusammenhalt zu stär- Regionen attraktiver machen. Es wäre Brüssel einholen. Die EU macht Export- Leu zwar zugesichert, dass sich die Be- den Konflikt mit der EU zu suchen, sei ken: Bei den bevorstehenden Wahlen nicht nur für die klamme Finanzlage ein bewilligungen von zwei Punkten abhän- stimmung der EU nicht primär gegen kurzfristig gedacht.Wichtiger sei, dass die (siehe Kasten) wird der Kanton zum ers- Segen, es würde «oben» auch das ange- gig. Erstens dürfen die Empfängerstaa- die Schweiz richtet. Trotzdem wurde die Schweiz auch in Zukunft ein verlässlicher ten Mal als einziger Wahlkreis betrachtet. kratzte Selbstvertrauen stärken – und ten ihrerseits den Export von Impfstoffen Schweiz bisher nicht von der Massnahme Produktionsstandort für pharmazeutische Sprich: Die Bewohner von «unten» kön- «unten» vielleicht den verändern. in die EU nicht einschränken. Zweitens ausgenommen. Unternehmen bleibe. könnte die EU Exporte blockieren, falls Branchenkenner sind erstaunt dar- die Empfängerländer eine wesentlich über. Schliesslich arbeiteten die Schweiz Gespräche stehen noch aus höhere Durchimpfungsrate aufweisen und die EU bei der Impfstoffbeschaf- als die EU. Der Bewilligungsprozess für fung bisher gut zusammen. Lonza produ- Die Bestimmung aus Brüssel heizt die Exporte kann mehrere Tage in Anspruch ziert in Visp jährlich 300 Millionen Dosen Debatte um eine nationale Impfstoffpro- nehmen. In der Durchführungsverord- des Moderna-Impfstoffs, wobei nur 13,5 duktion weiter an. Mehrere Zeitungen nung steht, dass Anträge innerhalb von Millionen für die Schweiz bestimmt sind. berichteten in den letzten Wochen über zwei Arbeitstagen vom Mitgliedstaat an Über 95 Prozent der Produktion sollen eine allfällige Möglichkeit der Schweiz, die EU-Kommission weitergeleitet wer- den Markt ausserhalb der Schweiz be- sich im Rahmen einer öffentlich-priva- den müssen. Die Kommission muss inner- dienen, wobei Hunderte von Millionen ten Partnerschaft bei Lonza zu engagie- halb eines Arbeitstages entscheiden, ob Impfdosen an Mitgliedländer der EU ge- ren. Dies dürfte im Hinblick auf die Pro- die Bewilligung erteilt werden soll. langen sollen. Deshalb schlug Faller im duktion von Impfstoffen interessant wer- «Sonntagsblick» vor, dass die Schweiz den, die auch gegen mutierte Varianten EU-Botschafter einberufen laut über Retorsionsmassnahmen nach- des Coronavirus wirken. Bundespräsident denkt. Bern könne beispielsweise damit Guy Parmelin sagte dazu in einem Inter- Den Schweizer Behörden liegen der- drohen, den Lonza-Wirkstoff nicht länger view zur «Sonntags-Zeitung»: «Wir wer- zeit keine Informationen vor, dass es bis- nach Spanien zu liefern, wo er in Fläsch- den das prüfen und anschauen, was kon- her beim Import von fertigen Vakzinen chen abgefüllt werde, sagt Faller auf An- kret möglich ist und was es uns bringt. aus der EU zu Verzögerungen gekom- frage. Das Seco schreibt dazu, dass der Und wenn wir einen Nutzen erkennen men wäre. Trotzdem bedeute das für die offene Handel für Impfwirkstoffe wegen können, schliesse ich auch nicht aus, dass Schweiz, dass sie damit einem Macht- der stark verflochtenen Produktions- wir den Aufbau weiterer Produktionsstät- spiel der EU ausgesetzt sei, sagt Andreas ketten mit dem Ausland für die Schweiz ten finanzieren werden.» Faller, der bis 2012 als Vizedirektor des wichtig sei. Derzeit seien daher keine Das Gespräch zwischen dem Lonza- Bundesamts für Gesundheit amtete und Exportbeschränkungen geplant. Verwaltungsratspräsidenten Albert Ba- heute als Berater im Gesundheitswesen Einer, der sich gegen Retorsionsmass- ehny und Bundesrat Alain Berset, das tätig ist. Die EU komme immer stär- nahmen ausspricht, ist Andrin Oswald. letzte Woche beide Seiten in den Medien ker unter Druck, weil in den Mitglieds- Der CEO der Gentechnik-Firma Cen- angekündigt hatten, hat allerdings noch ländern nur schleppend geimpft werden togene stand der Schweiz bei der Impf- nicht stattgefunden. Aus dem Umfeld könne. Mit der neuen Bestimmung wolle stoffbeschaffung als Berater zur Seite. Er von Bundesrat Berset heisst es: Gesprä- die EU nun den Druck auf die Lieferan- sagt: «Erstens wird die neue Bestimmung che mit Lonza hätten im Moment keine ten verstärken. Damit nimmt Brüssel in der EU die Schweiz mindestens vorerst Priorität.