IMPRESSUM Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Urbanstraße 25 · 70182 Stuttgart · www.hmdk-stuttgart.de REKTORIN Dr. Regula Rapp KANZLER Christof Wörle-Himmel KONZEPTION Prof. Dr. Peter Rückert, Prof. Dr. Andreas Traub TEXTAUFNAHMEN Sprecherstudio des Instituts für Sprechkunst und Kommunikationspädagogik der HMDK Stuttgart, Aufnahmen: Katja Schumann und Prof. Christian Büsen MUSIKAUFNAHMEN Tonstudio der HMDK Stuttgart TON UND MASTERING Arne Morgner REDAKTION Prof. Dr. Peter Rückert, Jörg R. Schmidt TITELBILD Ausschnitt aus dem Mömpelgarder Altar, um 1540 (KHM-Museumsverband) GESTALTUNG Katrin Klappert IN WÜRTTEMBERG CD-PRODUKTION Michael Siefert

© Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und Landesarchiv Baden-Württemberg, 2017 Lieder und Stimmen der Reformation REFORMATION IN WÜRTTEMBERG Für die Geschichte des deutschen Südwestens besitzt das Zeitalter der Reformation Vorgaben reformieren. Die Klöster zentrale historische Bedeutung. Gerade für das damalige Herzogtum Württem- wurden aufgelöst, der katholische Ritus berg, wo ab 1534 die Reformation eingeführt und anschließend ein evangelischer abgeschafft , die Priesterschaft reformiert Staat formiert wurde, spielten die Ereignisse des frühen 16. Jahrhunderts eine bzw. ausgetauscht. Unter Ulrichs Sohn nachhaltige gesellschaft liche wie politische Rolle. Herzog Christoph wurde sein Land dann systematisch zu einem evangelischen Die Reformation in Württemberg ist durch eine eigene Brisanz gekennzeichnet, Staat ausgebaut. Württemberg wurde die von Herzog Ulrich (1487–1550) besonders personifi ziert wird. Dieser Fürst war damit zu einem vorbildlichen Modell für nicht nur der wesentliche Protagonist und Gestalter bei der Einführung der neuen die evangelischen Territorien im Reich. Religion, sein bewegter Lebenslauf spiegelt gleichzeitig den Streit um die Reforma- tion in der zeitgenössischen Gesellschaft . Die dramatischen Ereignisse um Herzog Ulrich von Württemberg sind gut bekannt und haben die Weichen für die Einführung der Reformation in Württemberg LIEDER UND SPRÜCHE gestellt: Ulrich war nach seinem Angriff auf die Reichsstadt Reutlingen im Jahr Herzog Ulrich von Württemberg. 1519 vom Schwäbischen Bund aus Land und Herrschaft vertrieben worden. Für die ZUR REFORMATION Holzschnitt von Hans Brosamer, um 1545 folgenden 15 Jahre herrschten die Habsburger im Herzogtum Württemberg; Kaiser Diese bewegte Geschichte um Herzog Ulrich und die Einführung der Reformation Karl V. bzw. ab 1522 sein Bruder, Erzherzog Ferdinand von Österreich. in Württemberg spiegelt sich unmittelbar in etlichen Liedern und Sprüchen der Die österreichische Regierung stand für die altgläubige, katholische Religion und Zeit wider. Diese kursierten öff entlich, waren vielfach einem breiten Publikum, die Abwehr der neuen lutherischen Lehre. Doch gerade vom Luthertum erwar- gerade in den Städten, bekannt und bieten bemerkenswerte Eindrücke von der teten sich die ländliche Gesellschaft wie auch ein großer Teil der Bevölkerung in angeheizten Stimmung im Land. den Städten eine Verbesserung ihrer persönlichen Freiheit und rechtlichen Abhän- Den zeitgenössischen Liedern und Sprüchen zur Reformation in Württemberg gigkeit, was sich im Bauernkrieg von 1525 gewaltsam äußern sollte. kommt in mehrfacher Hinsicht besondere Bedeutung zu. Zum einen erscheint Als Herzog Ulrich 1534 mit Waff engewalt sein Herzogtum zurückeroberte, war die Reformation als herausragendes Medienereignis und ist durch die damals die Einführung der Reformation als herrschaft liches Programm fi xiert: Bis zu kursierenden Lieder und politischen Sprüche besonders profi liert. Zum anderen seinem Tod 1550 ließ Ulrich Kirche und Verwaltung Württembergs nach seinen sind diese musikalischen und literarischen Äußerungen in ihrer gesellschaft lichen 2 « » 3 Wirkmächtigkeit kaum zu überschätzen – und trotzdem kaum bekannt. Die Ver- bindung von Text und Melodie, die Frage nach dem „Klang“ der zeitgenössischen Stücke und ihrer Rezeption beim Publikum, stellt eine aktuelle Herausforderung sowohl für die musikwissenschaft liche wie die philologische und historische For- schung dar. In den letzten Jahren ist es immerhin gelungen, einen intensiveren Einblick in das zeitgenössische musikalische Repertoire der frühen Reformationszeit in Württemberg zu erhalten. Einige prominente Dichter von politischen Liedern und Sprüchen, wie Th omas Murner aus Straßburg oder Michael Stifel aus Esslingen, sind bekannt, andere bleiben anonym oder können jetzt näher entdeckt werden, wie Hans Leberwurst aus Basel. Auch zu der schon gut bekannten Kirchenmusik, die ja von Luther selbst und den frühen Reformatoren wesentliche Impulse erhielt, sind einige neue musikalische Zeugnisse und sogar Melodien entdeckt worden: So überliefert ein einzelnes Pergamentblatt, das sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart als abgelöstes Einband- fragment erhalten hat, das vierstrophige Psalmlied „Wo das hauß nit bawet der Herr“ (Psalm 127). Der Text kann dem Nürnberger Dichter Hans Sachs (1494– 1574) zugewiesen werden und fi ndet sich hier außergewöhnlicherweise mit der Melodie am Fuß notiert. Pergamentblatt mit dem Einen konkreten historischen Kontext bietet ein Lied, das am Lied „Wo das hauß nit 1. Mai 1533 in die Reichsstadt Esslingen schickte, wo es an Christi Himmelfahrt bawet der Herr“, Text und e gesungen werden sollte: „Frow dich mitt wunn, fromme Christenheit“. Als Melodie Melodie am Fuß, 16. Jahr- e hundert (HStA Stuttgart wird die Weise des 15. Psalms „O herr, wer wurt wonung han etc.“ angegeben, J 522 A 173) einem Psalmlied, das in Text und Melodie von Wolfgang Dachstein (1487–1533) stammt, der in Straßburg Organist war. 4 « » 5 Auch das bislang unbekannte Lied „Wolauf Ir Christen alle“, das unter der Kor- Die Melodie „Bruder Veit“ erscheint im Tenor der fünfstimmigen Bearbeitung respondenz Herzog Christophs von Württemberg mit Ottheinrich von der Pfalz des Liedes „Lobt Gott ihr Christen alle in Teutscher Nation“ von Stephan Mahu handschriftlich überliefert ist, nimmt die evangelische Position ein. Es endet mit (1480/1490–um 1541). Er stand vielleicht schon ab 1520 als Posaunist in Diensten dem evangelischen Wunsch: „Gott thue uns ergetzen, dein wort lass preding rain, am Hof der Anne von Böhmen und Ungarn. 1528 wurde er in ein lebenslängliches thue uns wider einsetzen dein leib und blut allein, wie du uns hasst bevolhen im Dienstverhältnis übernommen und war später Vizekapellmeister bei Ferdinand I., neuen testament, zu brauchen bis ans end.“ der damals ja auch das Herzogtum Württemberg regierte. Der „Reuterston“ ist nur über verschiedene Umwege zu identifizieren; letztlich DIE „TÖNE“ DER LIEDER stößt man auf einen vierstimmigen Instrumentalsatz des bayerischen Hofkapell- meisters Ludwig Senfl. Einfacher ist es bei „Ich stund an einem Morgen“; diese Die Melodien dieser zeitgenössischen Lieder wurden normalerweise nicht aufge- Melodie hat Senfl in fünf verschiedenen Liedsätzen verarbeitet. zeichnet; man kannte sie unter ihrem Namen – etwa „Bruder Veiten Ton“ – und Bei „Jörg Schillers Ton“ ist in der Tradition der Meistersinger der Name des sang sie, wie man sie je und je im Ohr hatte. Dabei blieben das Gerüst der Strophe Verfassers überliefert. Jörg Schiller ist 1453 bis 1462 in Augsburg bezeugt. So weit und die Kontur der Melodie erhalten, während Einzelheiten verändert werden erkennbar, dichtete er nur zu selbsterfundenen Melodien; von ihm sind 13 Lieder konnten. Die Melodien lebten, indem sie gesungen wurden. zu sechs verschiedenen „Tönen“ erhalten, deren Inhalt vor allem Zeitkritik und Für die hier anzusprechenden Lieder sind vier „Töne“ nachzuweisen: „Bruder Zeitklage vermittelt. Veiten Ton“ für „Johannes thut uns schreiben“ von Michael Stifel und Thomas Das Lied „Ain newes liedlein heb ich an“, in dem beiläufig auch Herzog Ulrichs Murners „Nun hört ich wil euch singen / jnn Bruder Veiten thon“; „Sant Jörg der „jegerhorn“ erwähnt wird (Str. 6, Vs. 2), hat noch eine spezielle Bedeutung. Die edle Ritter“ (auch: „Reuterston“) für „Wie nun ir elenden pauern“ und „Ach got las letzte Strophe lautet: „Der uns das liedlein news gesang, / von newem hat gedicht, dich erbarmen“; „Ich stund an einem Morgen“ für „Ain newes liedlein heb ich an“ / das hat getan ein guter gsell, / er ist sein wol bericht; / er hat es sungen auß und „Jörg Schillers Ton“ für „Dem höchsten Got sei lob und eer“. Zu „Wolauf Ir freiem mut, / des heiß er mit namen: / der wenig gwint und vil vertut.“ Dieser Christen alle“ ist kein „Ton“ angegeben. Will man es dennoch singen, so muss man „Name“ bezeichnet in einem Zeitspruch den Freihartsknecht Hans Leberwurst, eine möglichst gut passende Melodie der Zeit beiziehen; dazu bietet sich die Me- der offenbar bei einem Brand 1528 in Basel ums Leben kam. Zeitspruch und Lied, lodie des Kirchenliedes „Wenn meine Sünd mich kränken“ an, die im Babst´schen die man Hans Leberwurst nun beide zuweisen kann, werden hier zum ersten Mal Gesangbuch zu „Hilff Gott lass mir gelingen“ gehört und auf einen „thon Möcht zusammen vorgestellt. ich von hertzen singen mit lust ein tage weis“ zurückgeht.

6 « » 7 01} INTROITUS „RESURREXI“ (Lorcher Chorbuch, 1511/1512) 05:08 23} DIE 12 ARTIKEL DER BAUERN, 1525 02:11 02} FANFARE UND TROMMELN 01:00 24} : ERMAHNUNG ZUM FRIEDEN AUF DIE 12 ARTIKEL, 1525 01:55 03} TROSTUNG DES HERTZOGEN ZU WÜRTENBERGS, 1519 01:07 25} DAS LIED VOM HELLEN BAUERNHAUFEN, 1525 02:21 04} LUDWIG SENFL: ICH STUND AN EINEM MORGEN 01:16 26} URFEHDE DER BARBARA SILBER, 26.8.1525 02:17 05} HANS LEBERWURST: AIN NEWES LIEDLEIN HEB ICH AN, 1519 02:13 27} URFEHDE DES JÖRG MERCK UND SEINER FRAU ANNA, 26.3.1534 02:21 06} HANS LEBERWURST: SPRUCH DES FREYHARD AUS DEM SPIEL „DIE ZWEN STENND“ 01:35 28} ANDRÉ UND JACQUES PHILIDOR: MARCH FOR TWO PAIRS OF KETTLEDRUMS, 1683 00:27 07} ACH GOT, LASS DICH ERBARMEN 01:50 29} SPRUCH AUS „EIN BESONDER LIED“, 1534 00:17 08} MARTIN LUTHER: VON DER FREIHEIT EINES CHRISTENMENSCHEN, 1520 01:45 30} EIN SCHÖN LIED VON HERZOG ULRICH, 1534 00:48 09} CREDO (Zwickauer Antiphonar des Stephan Roth, um 1520) 01:37 31} DEM HÖCHSTEN GOT SEI LOB UND EER, 1534 03:09 10} MARTIN LUTHER: WIR GLAUBEN ALL AN EINEN GOTT, 1524 02:13 32} DIE KLOSTERORDNUNG HERZOG ULRICHS, 1535 02:20 11} AMBROSIUS BLARER AN SEINEN BRUDER THOMAS, 25.7.1522 00:57 33} KLOSTERAUSTRITT DES JOHANNES MAIER AUS BEBENHAUSEN, 13.7.1535 01:35 12} MICHAEL STIFEL: JOHANNES THUT UNS SCHREIBEN, 1522 01:43 34} KYRIE (Straßburg 1524) 00:34 13} THOMAS MURNER: VON DEM GROSSEN LUTHERISCHEN NARREN, 1522 02:58 35} ES SEIND DOCH SELIG ALLE DIE (Straßburg 1530) 01:07 14} THOMAS MURNER: AIN NEW LIED VON DEM UNDERGANG 36} AMBROSIUS BLARER: JAUCHZ, ERD, UND HIMMEL, 1536 01:03 DES CHRISTLICHEN GLAUBENS, 1522 01:38 37} SPOTTVERSE DER NONNEN VON RECHENTSHOFEN (1535–1538) 01:44 15} JOHANNES MAGENBUCH: AIN SENDBRIEF VON AYM JUNGEN STUDENTEN 38} AMBROSIUS BLARER AN HERZOG ULRICH VON WÜRTTEMBERG, 1538 01:25 E ZU WITTENBERG, 1523 01:49 39} AMBROSIUS BLARER: FROW DICH MIT WUNN FROMME CHRISTENHEIT, 1533 02:22 16} VENI CREATOR SPIRITUS (Lucas Lossius, Psalmodia, 1561) 00:31 40} MANDAT HERZOG ULRICHS VON WÜRTTEMBERG, 7.2.1540 01:39 17} MARTIN LUTHER: KOMM, GOTT SCHÖPFER, HEILIGER GEIST, 1524 01:37 41} HEINRICH ISAAK: INNSBRUCK ICH MUSS DICH LASSEN, 1539 00:44 18} OBER- UND UNTERVOGT VON TÜBINGEN 42} O WELT ICH MUSS DICH LASSEN, um 1555 01:16 AN DIE WÜRTTEMBERGISCHE REGIERUNG, 16.8.1524 02:25 43} PREDIGTTEXT HERZOG CHRISTOPHS VON WÜRTTEMBERG 19} LANDSKNECHTTROMMELN 00:19 ZUM TOD SEINES VATERS ULRICH, 1550 01:36 20} DIE WÜRTTEMBERGISCHE REGIERUNG AN DEN ADEL, 2.4.1525 02:51 44} WOLAUF IR CHRISTEN ALLE, 1553 01:50 21} HANS SACHS: WO DAS HAUSS NIT BAWET DER HERR, 1526 01:40 45} HEINRICH ISAAK: INTROITUS „RESURREXI“ (Choralis Constantinus, 1508) 02:27 22} BAUERNHAUPTMANN LEONHARD SCHWARTZ AN DIE STADT CALW, 25.4.1525 02:32 Gesamt 78:34 8 « » 9 LIEDER UND SPRÜCHE IM dann die sozialreligiösen Auseinandersetzungen um „Freiheit“ und „Evangelium“ GESELLSCHAFTLICHEN DISKURS – wie das gewaltsame Scheitern der aufständischen Bauern vor Augen. Der dritte „Aufzug“ refl ektiert schließlich die herrschaft liche Einführung der Reformation in ZUR PROGRAMMGESTALTUNG: Württemberg, die mit Herzog Ulrichs Rückkehr 1534 verbunden war, und schließt die Geschichte mit seinem Tod im Jahr 1550. Das politische und religiöse Spektrum der Lieder und Sprüche zur Reformation spiegelt Die zeitgenössische Musik, die zahlreichen Lieder und Texte aus diesen Jahren nicht nur die fl ießenden Übergänge zwischen bieten vielfältige Stimmen und Klangfarben an: Mit dem Choral „Resurrexi“ geistlicher und weltlicher, höfi scher und aus der Osterliturgie, so notiert in den berühmten Lorcher Chorbüchern von bürgerlicher Musik der Zeit wider. Es führt 1511/1512, öff net sich zunächst der traditionsreiche Klangraum der Benediktiner- besonders eindrücklich die gesellschaft lichen klöster, hier unter dem Einfl uss der Melker Klosterreform. Diese prächtigen Dimensionen im Streit um die Reformation Choralhandschrift en waren von Herzog Ulrich von Württemberg anlässlich seiner in Württemberg vor Augen und bietet eine Hochzeit gestift et worden. Mit Ulrichs Vertreibung aus Land und Herrschaft intensive Annäherung an den spannungs- verschwindet er zunächst auch aus der württembergischen Geschichte – Ulrichs geladenen öff entlichen Diskurs. Anhänger und Gegner haben diese Vorgänge vielfältig kommentiert. Entsprechend wurden diese zeitgenössischen Trotz der anschließenden, streng altgläubigen Herrschaft der Habsburger machte Stimmen zu einem Programm zusammenge- sich der Einfl uss Martin Luthers und seiner Lehre auch in Württemberg bemerk- stellt, das die dynamischen Vorgänge um die bar und führte zu einem intensiven Streit um die Reformation. Mit den weit Reformation aus unterschiedlichen Perspek- verbreiteten Liedern und Sprüchen sowie Texten von Luther selbst, wie seiner tiven entwickelt. Es ist dramaturgisch in drei „Freiheit eines Christenmenschen“, die auch im deutschen Südwesten durchschla- „Aufzüge“ eingeteilt, die den historischen gende Wirkung erzielte, fand seine Lehre hier bald überzeugte Anhänger. Der Abläufen entsprechen: Die unmittelbare Vor- Benediktinermönch Ambrosius Blarer entfl oh aus seinem Kloster in Alpirsbach geschichte der Reformation, mit der drama- und sollte dann zu einem der bedeutenden Reformatoren im Bodenseeraum und Lorcher Graduale, Resurrexi, 1511/1512 tischen Vertreibung Herzog Ulrichs sowie die später in Württemberg werden. Der Esslinger Augustinermönch Michael Stifel (WLB Stuttgart Cod. Mus. 2o 65, 94r) frühen Einfl üsse der neuen Lehre um Martin lieferte sich mit dem altgläubigen Straßburger Franziskaner Th omas Murner ei- Luther eröff nen die Szenerie. Der Aufstand nen polemischen Schlagabtausch „in Bruder Veiten ton“, gleichsam auf derselben der „armen Leute“ im Bauernkrieg 1525 führt musikalischen Frequenz. 10 « » 11 Dieser Thomas Murner hat vor allem mit seiner satirischen Schrift „Von dem Fast schlagartig änderte sich die Situation, als mit der Rückkehr Herzog Ulrichs großen Lutherischen Narren“ die altgläubige Perspektive auf die Glaubensideen dann Loblieder auf den Einzug der Reformation gesungen werden sollten; manche der neuen Lehre eindrücklich zum Ausdruck gebracht. Seine drei Fahnenträger des entstanden schon im unmittelbaren Umfeld des württembergischen Hofes. Unter- Evangeliums, der Freiheit und der Wahrheit persiflieren in ihren Werbesprüchen stützt von den beiden zentralen Reformatoren und Ambrosius die genannten Ideale der Lutheraner auf kernige Art, zugespitzt in dem Ruf: „Frei Blarer wurden herrschaftliche Erlasse und Ordnungen zur Abschaffung der zue sein, hie frei hie frei! Verspricht unß Martins lutherei, darzue gelen hirsen brei.“ altgläubigen Messfeiern und Auflösung der Klöster vorgelegt, auch Formulare zum Klosteraustritt der Mönche. Die Gegenwehr etlicher Konvente wird vielfach Wittenberg erschien damals als Ziel zahlreicher Studenten auch aus Württem- deutlich, besonders drastisch in den Spottversen der Zisterzienserinnen von berg; Johannes Magenbuch aus Blaubeuren war einer der prominentesten von Rechentshofen. Doch die Reformation sollte in Württemberg mit herrschaftlicher ihnen. Diese akademischen Kreise verbreiteten die neue Lehre in der Heimat bald Macht nachhaltig durchgeführt werden; Kirchenräume wurden nach lutherischer ebenso wie die frühen evangelischen Geistlichen, die in den südwestdeutschen Lehre neu gestaltet, die deutsche Predigt sollte nun die Grundlage des Gottesdiens- Reichsstädten „deutsche Messen“ hielten – so Matthäus Alber schon 1524 in Reut- tes bilden. lingen, wie uns ein amtlicher Bericht aus Württemberg detailliert mitteilt. Als Herzog Ulrich 1550 stirbt, lässt dessen Sohn, Herzog Christoph, den Trauer- Erste Nachrichten von aufständischen Bauern machen in Schreiben der österrei- text für die Prediger zustellen und damit den Einzug der evangelischen Lehre chischen Regierung in Stuttgart zur Mobilisierung des württembergischen Adels preisen. Die Geschichte schließt mit dem Introitus „Resurrexi“ von Heinrich Isaac, im April 1525 schon die Brisanz eines großen Aufruhrs deutlich. Auch die schwä- der nicht nur den Anfangschoral wieder aufnimmt, sondern damit auch die bischen Bauern selbst zeigen ihren Erfolgszug an und setzen württembergische Tradition der mittelalterlichen Liturgie beispielhaft erklingen lässt, wie sie dann Städte unter Druck, sich ihnen anzuschließen. Die berühmten „12 Artikel“, womit auch in der evangelischen Kirchenmusik fortgeführt werden sollte. sie ihre „Freiheit“ durch das Evangelium begründen, werden durch Martin Luther in prominenten Schriften freilich deutlich zurückgewiesen. Mit der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes ernteten die Bauern und Peter Rückert und Andreas Traub ihre evangelische Bewegung auch öffentlichen Hohn und Spott in Liedern und Sprüchen. Die zahlreichen Urfehden, welche die Aufständischen und Lutheraner *** dann gegenüber der altgläubigen Regierung zu schwören hatten, zeigen die an- Die Vorlagen der Lieder und Texte finden sich im Ausstellungskatalog (Freiheit – Wahrheit – Evangelium. Reformation in Württemberg, Katalogband 2017) wiedergegeben und beschrieben. haltende gewaltsame Unterdrückung der evangelischen Lehre in Württemberg in Die Texte werden im Originalwortlaut geboten und wurden nur dort geringfügig angepasst, vielstimmiger Eindrücklichkeit an. wo es die Syntax erforderte. 12 « » 13 MITWIRKENDE Johanna Pommranz, Sopran (9, 10, 17, 34, 35) Roger Gehrig, Tenor (5, 7, 9, 12, 14, 16, 21, 25, 31, 34, 36, 39, 42, 44) Antony Quennouelle, Trompete (2) Jessica und Vanessa Porter, Historische Trommeln (2, 19, 28)

Cibele Endres, Fabian Grosch, Maik Hanschmann, Alfredo Zaine, Blockfl öten (4, 41, 45)

Cibele Endres, Hans-Joachim Fuss, Maik Hanschmann, Nicola Pfeff er, Blockfl öten (mit Johanna Pommranz) Hans-Joachim Fuss, Leitung (10, 17)

Schola Cantorum Tübingen Prof. Dr. Stefan Morent, Leitung (1)

Sprecherinnen und Sprecher des Instituts für Sprechkunst und Kommunikationspädagogik: Elias Hartung (13, 15, 27, 29), Julia Reuter (6, 26, 29, 37), Magnus Rook (13, 18, 20, 29, 33), Ramon Schmid (13, 29, 32, 40), Jonathan Springer (11, 22, 23, 29, 38), Frederike Wiechmann (3, 27, 29, 30, 37, 43), Dorothea Wolfsberger (8, 24, 29, 37) Katja Schumann, Leitung

Textauswahl und Textbearbeitung: Prof. Dr. Peter Rückert, Eva-Linda Müller, Katja Schumann Th omas Murner, Der Fahnenträger der Freiheit, 1522

14 « » 15