ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

GEGRÜNDETVON DR. PETER LAFITE +

REGISTER 1 974

29. JAHRGANG

Herausgeber. Eigentümer und Verleger: Prof. Elisabeth Lafite. 1010 Wien. Hegelgasse 13/22. Tel. 52 68 69, Redaktion (Prof. Rudolf Klein. Walter Szmolyan, Prof. Or. Erik Werba) und Vertrieb: 1010 Wien. Hegel- gaue 13/22. Tel. 52 68 69. Ständiger Mitarbeiter: Dr. Rolf Pfluger. Schweiz (Schallplattenteil PHONO). Für den Inhalt verantwortlich: Walter Szmolyan, 2340 Mödling, Ferdinand-Buchberger-Gasse 11. AUTORENVERZEICHNIS

AUFSÄTZE

Antonicek, Theophil: Adalbert Stifters Beethoven-Bild 81—86 A ]

Böhm, Karl: Apropos „Frau ohne Schatten" 325 ff. Β 1 Brosche, Günter: Anton Bruckners Traditionsbewußtsein 430—433 Β 2

Croll, Gerhard: Papagenos Glockenspiel 341—345 C 1

Dahms, Sibylle: Neues zur Chronologie der Opern von Biber und Nluffat 365 ff. D 1 Dallapiccola, Luigi: Der Geist der italienischen Musik. Gian Francesco Malipiero zum Gedenken 3—5 D 2 Deutsch, Walter — Gund, Klaus: Theresia Rainer und das überlieferte Lied im oberösterreichischen Salzkammergut 475—482 I) ο

Feilerer, Karl Gustav: Bruckners Kirchenmusik und der Caecilianismus 404—412 F 1 Flotzinger, Rudolf: Landlerisch tanzen . . . 463—474 F 2

Gerstenberg, Walter: Bruckners Symphonie — damals und heute 175—180 G 1 Glück, Franz: Briefe von Arnold Schönberg an Claire Loos 203—209 G 2 Grasberger, Franz: Neue Aspekte des Bruckner-Bildes 426—430 G 3 Gruber, Gemot: Glucks Tanzdramen und ihre musikalische Dramatik 17—24 G 4 Gund, Klaus — Deutsch, Walter: Theresia Rainer und das überlieferte Lied im oberösterreichischen Salzkammergut 475—482 D 3

Haase, Rudolf: Musik mit neuen Proportionen 124—130 Η 1 Herrmann, Hellmuth: Franz Schmidts Harmonik 534—540 Η 2 Hilmar, Ernst: Zur Arnold-Schönberg-Ausstellung der Stadt Wien in der Secession 210—216 Η 3 Hintermaier, Ernst: Domenico Fischietti und W. A. Mozart 25—28 Η 4 — Die Familie Mozart und Maria Piain 350—356 Η 5

Klein, Rudolf: Gerhard von Breuning über Beethovens Beziehungen zu seinen Verwandten. Ein unbekannter Entwurf zu einem Artikel 67—' 75 Kl — Vom kritischen Hören 109—114 Κ 2 — Johann Nepomuk David: Kantate „Komm, Heiliger Geist" 132 ff. Κ 3 — Gottfried von Einem: Bruckner Dialog für Orchester 135 f. Κ 4 Kolleritsch, Otto: Arnold Schönberg — Komponist ästhetischen Umdenkens 617—622 Κ 5 Kont, Paul: Medienkomposition — Postulate einer neuen universalistischen Kunst- und Studienrichtung 115—123 Κ 6 Kropfreiter, Augustinus Franz: A. F. Kropfreiter: Konzertante Musik für Orgel und Bläser 136 Κ 7 —· Das Kyrie der f-moll-Messe im Adagio der 9. Symphonie 439 f. Κ 8

Lafite, Marion: Zur Ästhetik von Ferruccio Busoni und Hans Pfitzner 357—362 L 1

Mailer, Franz: Glücklich ist, wer vergißt 217—225 Μ 1 Marckhl, Erich: Zur Position Franz Schmidts 527 f. Μ 2 Mertin, Josef: Die Notation als Schlüssel zur Aufführungspraxis alter Musik 605—617 Μ 3

Neumann, Friedrich: Tradition 483—494 Ν 1 Nowak, Leopold: Die Symphonien Anton Bruckners in der Gesamtausgabe 180—183 Ν 2 — Anton Bruckner: Genie zwischen Gegensätzen 397—404 Ν 3

Pass, Walter: Schönberg und die „Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien" 298—303 Ρ 1 Rapf, Kurl: Anmerkungen zum Orgelwerk Franz Schmidts 541 ff. R 1 Ritzer, Walter: Die Frau ohne Schatten — Gedanken zum Libretto 328—340 R 2 Rubin, Marcel: Alte Schule und neue Musik 549 ff. R 3

Schmidt, Hans: Aus der Werkstatt eines Handschriftenfälschers: Ein Liebesbrief Beethovens 57—66 S 1 Schneider, Otto: Anton Bruckners Briefe an die Wiener Philharmoniker 183—188 S 2 Schreiber, Wolfgang: Schönberg und Dallapiccola 304—310 S 3 Seifert, Herbert: Die Festlichkeiten zur ersten Hochzeit Kaiser Leopolds I. &—16 S 4 Senn, Walter: Zwei Schülerinnen Mozarts: Babette Natorp und Karoline Henikstein 346—349 S 5 Slezak, Paul: Richard Wagner an Angelo Tessarini 31—34 S 6 Spannagel, Alfred: Persönlichkeit im Unterricht 551 f. S 7 Steiner, Ena: Suchen um des Suchens willen. Neuentdeckte Jugendwerke Arnold Schönbergs 279—291 S 8 Stephan, Rudolf: Das Meisterwerk 262—265 S 9 — Schönberg als Symphoniker 267—278 S 10 Stiglitz, Otto: Kollege am Pult des Hofopernorchesters 552 f. S 11 Szmolyan, Walter: Heimo Erbse erhielt den Würdigungspreis 87 f. S 12 — Schönberg in Mödling 189—202 S 13 — Schönberg und Berg als Lehrer 291—297 S 14 — Staatspreis für Josef Maria Horvath 623 f. S 15

Trötzmüller, Karl: Editionsprobleme bei Franz Schmidt 544—548 Τ 1 Tschulik, Norbert: Vor 100 Jahren: Franz Liszt spielte im Wiener Musik- verein 34 f. Τ 2 — Vor 100 Jahren: „Aida"-Erstaufführung in Wien 148 f. Τ 3 — Aus heutiger Sicht. Gedanken zur 100. Wiederkehr des Geburtstages Franz Schmidts 529—534 Τ 4

Uhl, Alfred: Franz Schmidt im Spiegel seiner Zeit 525 f. U 1 Ullrich, Hermann: Beethovens Freund Friedrich August Kanne 75—80 U 2 — Aus dem Leben eines wienerischen Talents 226—229 U 3

Wagner, Christoph: Uber das Tempo 589—604 W 1 Wagner, Manfred: Zum Formalzwang im Leben Anton Bruckners 418—426 W 2 Waiden, Fritz: Aus dem Kompositionsunterricht 553 f. W 3 Weinmann, Alexander: Neue Ergebnisse der RISM-Quellenforschunig 440 ff. W 4 Wessely, Othmar: Vergangenheit und Zukunft in Bruckners Messe in d-moll 412—418 W 5

KRITIKEN, BERICHTE

Angermiiller, Rudolph: Zur Bibliotheksausstellung der Internationalen Stiftung Mozarteum 29 ff? a 1 Anonymus: Internationales Schubert-Symposion in Wien 40 a 2 — Zur Eröffnung des Linzer Brucknerhauses 131 a 3 — I. Internationaler Anton-Bruckner-Orgelwettbewerb 141 a 4 — Festspiele in Österreich — eine Vorschau 155 ff. a 5 — Das Franz-Schmidt-Jahr 1974 157 a 6 — Musikfestwochen im Herzen der Schweiz 161 a 7 — Kompositionspreis 1974 161 a 8 — Ein Schönberg-Kongreß in Wien 232 a 9 — Bittner-Zentenarausstellune der Wiener Stadtbibliothek 236 a 10 — Musikfestspiele und Musikwettbewerbe 248 f. a 11 — Die Wiener Symphoniker auf Tournee 250 a 12 — „Moses und Aron" im ORF 311 a 13 — 1. Kongreß der Internationalen Schömberg-Gesellschaft 312 f. a 14 — Wiener Festwochen 1974 315 a 15 — Musikalischer Sommer in Wien 316 a 16 — 12. Kongreß der IGMW 375 a 17 — Zagreb feierte Schönberg 496 a 18 — Die Musiksaison 1974/75 in Österreich 511—521 a 19 Antonicek, Theophil: Generalversammlung der Gesellschaft für Musikwissen- schaft 89 a 20

Bachmann, Claus-Henning: Aspekte der Salzburger Mozart-Woche 154 b 1 — Medien-Kongreß auf der Suche nach Jugend 496 f. b 2 — Bresgen-Uraufführung beim Salzburger Kirchenmusik-Kongreß 499 f. b 3 — Licht auf Bayreuths „Tristan" 508 b 4 Breuer, Robert: Ein „Amold-Schönberg-Institut" in Los Angeles 160 b 5 — Die New Yorker Musikspielzeit 1974/75 575 b 6

Caiani, Ester: Symposion „Musik um 1600" 559 f. c ] Croll, Gerhard: Symposion musikwissenschaftlicher Editoren 374 f. c 2

Dichler-Sedlacek, Erika: Wettbewerb der Nö. Musikschulen 383 d 1

Forer, Alois: Die Brucknerhaus-Orgel in Linz 137—141 f I

Goertz, Harald: Berlins Schönberg-Festwochen 1974 569 f. gl Gradenwitz, Peter: Musikwissenschaftliche Publikationen in Israel 145 ff. g 2 Grasberger, Franz: Bruckner-Ausstellung der Nationalbibliothek 234 g 3

Haaclc, Helmut: Zemlinsky-Symposium in Graz 558 f. Ii 1 Haschek, Horst: Leopold Nowak zum 70. Geburtstag 437 f. h Ζ Heller, Elisabeth: Sarti-Ausgrabung in der Kammeroper 38 f. h 3 — Zwei Offenbach-Premieren in der Wiener Kammeroper 91 f. h 4 — Fioravantis „Dorfsängerinnen" in der Kammeroper 243 h 5 — Zweimal Offenbach in der Kammeroper 380 h β — Die Wiener Kammeroper in Schönbrunn 445 h 7 — Schubert im Kostüm seiner eigenen Zeit 566 h 8 Heller, Friedrich: Generalversammlung der Mahler-Gesellschaft 245 h 9 Herrmann, Hellmuth: Aus den Wiener Konzertsälen 634 f. h 10 Hintermaier, Emst: Das Salzburger Domjubiläum 1974 im Rahmen der Salz- burger Festspiele 363 h 11 Hofer, Toni: Der Brucknerbund für Oberösterreich 435 ff. h 12

Jölly, Friedrich: Die Franz-Schmidt-Gemeinde 555 f. j 1

Klein, Rudolf: Ballettabend in der Staatsoper 37 kl — Gegen die Diskriminierung der Musica sacra 42 f. k 2 — Unbekannter Verdi in der Staatsoper 40 f. k 3 — Der Schubert-Kongreß tanzte 147 k 4 — Präsentation der Urfassung von Bruckners Achter 152 f. k 5 — Brucknerhaus in Linz eröffnet 238 f. k 6 — Die „Meistersinger" von Salzburg 239 ff. k 7 — Milloss verläßt die Staatsoper 241 f. k 8 — Schönberg-Ausstellung eröffnet 311 k 9 — Der Erste Internationale Schönberg-Kongreß 370 f. k 10 — Wiener Festwochen 1974 376 f. k 11 — Die Internationale Bruckner-Gesellschaft 434 f. k 12 — „Katja Kabanowa" in der Staatsoper 443 f. k 13 — Von Einems Dürrenmatt-Oper in Ungarn 445 f. k 14 — Alpbach: Musik-Erlebnis oder Erkenntnis? 498 k 15 — Salzburger Festspiele 1974: Die Opern 502—505 k 16 — Eindrücke vom Warschauer Herbst 567 f. k 17 — Dalmatinische Rhapsodie 570 f. k 18 Korth, Michael — Heimrath, Johannes: Oswald von Wolkenstein-Tagung in Neustift bei Brixen 41 k 19

Lafite, Marion: Kolisch-Seminar im Mödliniger Schönberg-Haus 495 f. 1 1 — Gäste in der Gesellschaft für Musik 637 f. 1 2 Lorenz, Paul: Jubiläumsausstellung der Volksoper 35 f. 13 — „Walzertraum"-Premiere in der Volksoper 150 f. 1 4 — „Die Hochzeit des Figaro" in der Volksoper 242 1 5 — Gedenkausstellung Roland Tenschert 245 f. 1 6 —- „Fledermaus"-Jubiläum in der Volksoper 379 1 7 —• Arkadenhof- und Palaiskonzerte 510 1 8 — Webers „Oberon" in einer Freilichtaufführung 566 f. 19 — „Vogelhändler"-Premiere in der Yolksoper 633 f. 1 1Γ Lutz, Oswald: Bregenzer Festspiele 1974 506 f. 1 11

Marsoner, Karin: Der musikalische Futurismus 50 f. ml

Ogris, Horst: Carinthischer Sommer 1974 565 f. ο 1

Pass, Walter: Neue Schönberg-Ausgaben 316 ff. ρ 1 Pfluger, Rolf: Internationale Musikfestwochen Luzern 509 ρ 2

Schilhawsky, Paul: Die neuen Dirigenten an der Sommerakademie 1974 369 s 1 Scholz, Helga: Präsentation der neuen Brucknerhaus-Orgel 444 s 2 Schwarz, Boris: Tendenzen der amerikanischen Musikwissenschaft 143 ff. s 3 Schweizer, Gottfried: Internationale Musikmesse in Frankfurt 249 s 4 — Frankfurter Paul-Hindemith-Institut eröffnet 500 s 5 Seifert, Herbert: Ausstellung „Musik im Bodenseeraum um 1600" 560 f. s 6 Sittner, Hans: Musik in der Sowjetunion (B. Schwarz) 448—452 s 7 Skalicld, Wolfram: Gesamtkunstwerk Theater: Regie und Bühnenbild 51 ff. s 8 Szmolyan, Walter: Rubin-Uraufführung in der Volksoper 37 f. s 9 — Neues aus der Flötenfamilie 43 s 10 — Uraufführungen im ORF 92 f. s 11 — Die Wiener Albertina-Konzerte 153 s 12 — Das Mödlinger Schönberg-Haus vor der Eröffnung 158 ff. s 13 — 50 Jahre Wiener Sängerknaben 230 f. s 14 — Mödlinger Schönberg-Haus eröffnet 372 s 15 — Festakt für Karl Böhm 382 s 16 — Zwei Schmidt-Gedächtnis-Ausstellungen 556 f. s 17 — Hoboken-Sammlung an die Nationalbibliothek 625 f. s 18 — Wiener Stadtbibliothek erwarb Wolf-Briefe 626 s 19

Theiner, Liselotte: „Die österreichische Nachfolge der Wiener Schule" 236 t 1 Track, Gerhard: Ein Mozart-Festival in Pueblo 93 t 2 Trötzmiiller, Karl: Zehn Jahre Brüder-Busch-Gesellschaft 626 f. t 3 Tschulik, Norbert: Aus den Wiener Konzertsälen 39 f., 151 f., 243 f., 635 f. t 4 — Wiener Festwochen 1974 377 f. t 5 — Die Konzerte der Salzburger Festspiele 1974 505 f. t 6 —• Saisonbeginn und Wiedereröffnung im Konzerthaus 564 f. t 7

Urbanner, Erich: Das Liedschaffen Robert Scholiums 53 f. u 1

Wagner, Franz: Das Salzburger Barockmuseum und die Musik 364 w 1 Werba, Erik: Kurse an der Sommerakademie 368 w 2 — „Anatevka" an der Volksoper 379 w 3 — Der Dr.-Karl-Böhm-Preis für junge österreichische Dirigenten 382 w 4 — Internationaler Sängernachwuchs in München 574 w 5 — Josep Solers Oper „Oedipus und Jokaste" in Barcelona 636 f. w 6

MITTEILUNGEN UND INFORMATIONEN

Aus Österreichs Musiklehranstalten 50—54, 102 ff., 167 f., 583 f., 642 ff. ml Geburtstagskalendarium 45, 88, 247, 437 f., 501, 572 f. gk In memoriam 43 f., 94, 160, 247, 375, 384, 442 f., 562 f., 627 ff., 629—632 im Nachrichten 101, 166, 319, 446 f., 552, 582, 641 f. nx Neue Bücher 46-^49, 95 f., 162—165, 251 ff., 385 ff., 448-^453, 576 ff. nb Büchereinlauf 49, 165 be Neue Noten 97 ff., 316 ff., 578 . nn Noteneinlauf 165, 578 ff., 640 ne SACHREGISTER

Adler, Oskar S 8, 279—291 Dallapiccola. Luigi S 3, 304—310 Affektdarstellung G 4, 17—24 David, Johann Xepomuk Κ 3, 132 ff. Ambras, August Wilhelm Τ 2. 34 f.; Τ 3. Dodekaphonie S 3. 304—310 148 f. Draghi, Antonio S 4. 6—16 Anheisser, Wolfgang im 94 Dramatik, musikalische G 4. 17—24 Ästhetik A 1, 81—86; G 1, 17.5—180; G 4, 17—24; Κ 2, 109—114; Κ 5. Editionsprobleme (Schmidt) Τ 1. 544 617—622; L 1. 357—362; S 9. 262— 548 265; S 10. 267—278 Einem, Gottfried von Κ 4. 135 f. Audio-visuelle Medien Κ 6. 115—123 Ekmelische Töne Η 1. 124—130 Aufführungspraxis Μ 3, 605—617 Erbse, Heimo S 12 87 f. Ausstellungen Bregenz (Musik im Bodenseeraum um Festspiele (Vorschau) a 5. 155 ff.: a 7. 1600) s 6. 560 f. 161: a 11. 248 f.; a 15, 315 Frankfurt (Musikmesse 1974) s 4. 249 Fischietti, Domenico Η 4, 25 - 28 Perchtoldsdorf (Franz Schmidt) s 17, 556 f. „Fledermaus" (Strauß) Μ 1. 217- 225 Salzburg (Bibliothek Mozarteum) a 1. „Frau ohne Schatten" (Strauss) Β 1. 29 ff; (Barockmuseum) w 1, 364 325 ff.; R 2. 328—340 Wien (Arnold Schönberg) Η 3, 210—216; Fricsay, Ferenc im 375 k 9, 311; (Julius Bittner) a 10, 236; Futurismus, musikalischer m 1. 50 f. (Anton Bruckner) g 3, 234; (Volks- opern-Jubiläum) 1 3, 35 f.; (Roland Ganztonakkord (Schmidt) Η 2. 539 Tenschert) 1 6, 245 f.; (Franz Schmidt) Gesamtausgaben s 17, 556 f.; (Die österreichische Nach- Bruckner. Anton Ν 2. 180—183: k 5. folge der Wiener Schule) t 1. 236 152 f. Mahler, Gustav h 9, 245 Schönberg, Arnold ρ 1, 316 ff. Bach, David Josef S 8, 279—291 Wagner, Richard nn 98 f. Bach, Johann Sebastian nb 576; nn 97 Geschichtsbewußtsein Ν 1. 483—494 Ballett- und Opernreform G 4, 17—24 Glockenspiel C 1, 341—345 Barockoper D 1, 365 ff.; nb 386 f. Gluck, Christoph Willibald G 4, 17—24 Beethoven, Ludwig van A 1. 81—86; G 1, 175—180; U 2, 75—80; nb 95; Habel, Ferdinand im 632 (Biographie) Κ 1, 67—75; (Briefe) S 1, Hanslick, Eduard Τ 2, 34 f.; Τ 3. 148 f. 57—66 Harmonikale Grundlagenforschung Η 1. Berg, Alban (als Lehrer) S 14, 291—297 124—130; nb 577 f. Bertaiii, Antonio S 4, 6—16 Haydn, Joseph nb 251 Biber, Heinrich Franz D 1, 365 ff. Henikstein, Karoline S 5, 346—349 Bittner, Julius U 3, 226—229; (Ausstel- Hindemith, Paul (Briefe) nb 95 f. lung) a 10, 236 Hindemith-Institut s 5. 500 Böhm, Karl s 16, 382 Hinterhofer, Grete gk 501 Böhm Karl s 16, 382 Hoboken, Anthony van (Sammlung) s 18. Breuning, Gerhard von Κ 1, 67—75 625 f. Bruckner, Anton (Persönlichkeit) Β 2. Hochrainer, Richard gk 573 430—433; Ν 3, 397-^04; W 2, 418— Hochschule Graz m 1, 50 f.; s 8. 51 ff.: 426; nb 251 ff.; nb 576 f.; (Kirchen- ml 103 f., 584, 643 f. musik) F 1, 404—412; W 5, 412—418; Hochschule Salzburg ml 54, 103, 168. (Symphonik) G 1, 175—180; (Briefe) 584; (Internationale Sommerakademie) S 2, 183—188; (Forschung) G 3, 426— s 1, 369; w 2, 368 430; (Gesamtausgabe) Ν 2, 180—183; Hochschule Wien u 1, 53 f.: ml 102 f.. k 5, 152 f.; (Ausstellung) g 3, 234 583, 642 f. Brucknerbund für Oberösterreich h 12, Hofmannsthal, Hugo von R 2. 328—340 435 ff. Holzblasinstrumente nb 387 Brüder-Busch-Gesellschaft t 3, 626 f. Hören Η 1, 124—130; Κ 2. 109—114 Bühnenbild und -technik s 8, 51 ff. Horn nb 96 Burnacini, Ludovico Ottavio S 4, 6—16 Horvath, Josef Maria S 15, 623 f. Busoni, Ferruccio L 1, 357—362 Hungarisieren (Schmidt) Η 2, 539 f. Hurdes, Felix im 563 Caecilianismus F 1, 404—412; W 5, 412— 418 Internationale Bruckner-Gesellschaft k 12, Cesti, Marc Antonio S 4, 6—16 434 f. Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft Mann, Thomas G 2, 203—209 h 9, 245 Maria Piain (Salzburg) Η 5, 350—356 Internationale Schönberg-Gesellschaft a 9, Marx, Joseph im 375 232; s 13. 158 ff.; s 15, 372 Medienkomposition Κ 6, 115—123 Internationale Stiftung Mozarteum 1, Mensuralnotation Μ 3, 60.5—617 29 ff. Merlin, Josef gk 247 Italienische Musik D 2. 3 ff. Milhaud, Darius im 442 Milloss, Aurel von k 8. 241 f. Jacquin, Gottfried von S 5. 346—349 Mödling (Musikgeschichte) S 12. 189— Japanische Musik nb 49 202; s 15. 372 Mozart, Wolfgang Amadeus Η 4, 2.5—28; Kammersvmphonien (Schönbi.'rg) S 10. S 5, 346—349; (Familie) Η 5, 350— 267—278 356 Kanne, Friedrich August U 2. 75- 80 Mozartgemeinde Wien w 4, 382 Karajan, Herbert von W 1. 589—604 Muffat, Georg D 1, 365 ff. Kassowitz, Gottfried S 14. 291—297 Musik, alte Μ 3. 60.5—617 Kavser, Hans fBrit-fe) nb 95 f. Musik, zeitgenössische Κ 3, 132 ff.; Κ 4, Kirchenmusik F 1. 404—112; \Y 2. 418- 135 f.; Κ 7. 136; S 12, 87 f.; S 15, 426; W 5, 412—418; k 2. 42 f.; nb 46 623 f.; s 9. 37 f.; s 11, 92 f.; t 1, 236; Kolisko, Robert im 160 u 1, 53 f. Kongresse (Tagungen, Seminare, Vor- Musikgeschichte nb 164 trage usw.) Musikkritik Ρ 1, 298-^303; Τ 2, 34 f.; Alpbach. Hochschulwochen k 15, 498 Τ 3, 148 f.; Τ 4, 529—534; U 2, 75— Berkeley, ICMW-Kongreß, Vorschau a 17, 80 375 ' Musikleben (aktuelle Berichte) Brixen, Oswald von Wolkenstein-Tagung k 19, 41 Deutschland Craz, Zemlinsky-Symposium h 1, 558 f. Bayreuth (F-Bericht) b 4, 508 Hohenems, Symposion „Musik um 1600" Berlin (F-Bericht) g 1, 569 f. c 1, 559 f.' Mödling, Schönberg-Seminar 1 1, 495 f. Jugoslawien Salzburg, 10. Kongreß des IMZ b 2, 496 f. Zadar (F-Bericht) k 18, 570 f. Wien, Internationales Schubert-Svmposion Österreich a 2, 40; k 4, 147 — Schönberg-Kongreß a 9, 232; a 14, Baden (Vorschau) a 19, 516 312 f.; k 10, 370 f. Bregenz (F-Bericht) 1 11, 506 f. — Die Lage der Kirchenmusik zehn Jahre Graz (Vorschau) a 19, 520 nach dem Konzil k 2, 42 f. Innsbruck (Vorschau) a 19, 520 f. — Präsentation der Urfassung von Bruck- Klagenfurt (Vorschau) a 19, 520 ners Achter k 5, 152 Krems (Bericht) 1 9, 566 f. — Gäste in der Gesellschaft für Musik Linz (Vorschau) a 3, 131; a 19, 517 f.; 1 2, 637 f. (Bericht) k 6, 238 f. — Neues aus der Flötenfamilie s 10, 43 Mödling (Vorschau) a 19, 517; s 13, 158 ff.; Wolfenbüttel, Symposion musikwissen- (Bericht) s 15, 372 schaftlicher Editoren c 1, 559 f. Ossiach (F-Vorschau) a 5, 157; (F-Be- Konservatorium der Stadt Wien ml 104, richt) ο 1, 565 f. 168, 644 Salzburg (Vorschau) a 19, 518 f.; (Oster- Konvention Ν 1, 483—494 F-Vorschau) a 5, 156 f.; (F-Vorschau) Kosch, Franz gk 572 a 5, 156; (Mozart-Woche-Vorschau) Krips, Josef im 563 a 19, 519; (Domjubiläum-Vorschau) Krönungsmesse (Mozart) Η 5, 350—356 h 11, 363; (Mozart-Woche-Bericht) b 1, Kropfreiter, Augustinus Franz Κ 7, 136 154; (Oster-F-Bericht) k 7, 239 ff.; (F- Krotschak, Richard gk 573 Bericht) b 3, 499 f.; k 16, 502—505; Kurz, Selma gk 572 t 6, 505 f. St. Pölten (Vorschau) a 19, 516 Wien, Kammeroper (Vorschau) a 19, 511; Ländler F 2, 463-^74 (Bericht) h 3, 38 f.; h 4, 91 f.; h 5, Linz, Brucknerhaus a 3, 131; k 6, 238 f.; 243; h 6, 380; h 7, 445 (Orgel) f 1, 137—141; s 2, 444 — Konzerte (Vorschau) a 19, 511—516; Lippe, Anton im 160 (F-Vorschau) a 5, 155 ff.; (Sommer- Liszt, Franz Τ 2, 34 f.; nn 578 vorschau) a 16, 316; (Bericht) h 8, Loos, Adolf und Claire G 2, 203—209 566; h 10, 634 f.; s 11, 92 f.; s 12, 153; t 4, 39 f., 151 f., 243 f., 635 f.; Mahler, Gustav Κ 5, 617—622 t 7, 564 f.; (F-Bericht) t 5, 377 f.; Malipiero, Gian Francesco D 2, 3 ff. (Sommerbericht) 1 8, 510 -— Staatsoper (Vorschau) a 19, 511; (Be- Rainer, Theresia D 3, G 5, 475—482 richt) k 1, 37; k 3, 90 f.; k 8, 241 f.; Ratz, Erwin im 44 k 13, 443 f.; (F-Bericht) k 11, 376 f. Reif-Gintl, Heinrich im 443 — Theater an der Wien (F-Vorschau) Rhetorik, musikalische W 5, 412—118 a 5, 155; (F-Bericht) k 11, 376 f. Richter, Hans S 2, 183—188 — Volksoper (Vorschau) a 19, 511; (Be- RISM-Quellenforschung W 4, 440 ff.; nb richt) 1 3, 35 f.; 1 4, 150 f.; 1 5, 242; 453 1 7, 379; 1 10, 633 f.; s 9, 37 f.; w 3, Rufer, Josef gk 45 379 Salzburg Η 4, 25—28; D 1, 365 ff.; h 11. Polen 363; w 1, 364 Warschau (F-Bericht) k 17, 567 f. Sbarra, Francesco S 4, 6—16 Schenk, Erich im 562 f. Schweiz Schmelzer, Johann Heinrich S 4. 6—16 Luzem (F-Vorschau) a 7, 161; (F-Bericht) Schmidt, Franz Μ 2, 527 f.; Τ 4. 529— ρ 2, 509 534; U 1, 52.5 f.; a 6, 157; (Harmonik) Spanien Η 2. 534—.540; (Orgelwerke) R 1. 541 ff.; (als Lehrer) R 3. 549 ff.; S 7. Barcelona w 6, 636 f. 551 f.; W 3, 553 f.; (als Cellist) S 11. Ungarn .552 f.; (Editionsprobleme) Τ 1, 544- 548; (Gemeinde) j 1, 555 f.; (Ausstel- Szeged k 14, 445 f. lungen) s 17, 556 f. USA Scholium, Robert u 1, 53 f. Los Angeles (Vorschau) b 5, 160 Schönberg, Arnold Κ 5, 617—622; Ρ 1. New-York (Vorschau) b 6, 575 298—303; S 3. 303—310; S 9, 262— Pueblo (Bericht) t 2, 93 265; (Werk) S 10. 267—278; (Biogra- phie) S 13, 189—202; (Jugend) S 8. Musiktheorie und -praxis W 2, 418—426 279—291; (als Lehrer) S 14. 291—297; Musikverein (Wien) Τ 2, 34 f. (Briefe) G 2, 203—209; (Ausstellung) Musikwissenschaft (Israel) g 2, 145 ff.; Η 3, 210—216; k 9, 311; (Kongreß) (Amerika) s 3, 143 ff. a 9. 232; a 14, 312 f.; k 10, 370 f.; (Gesamtausgabe) ρ 1, 316 ff.; (Haus Nachod, Hans S 8, 279—291 in Mödling) s 13, 158 ff.; s 15. 372; Natorp, Babette und Nanette S 5, 346— (Seminar) 1 1, 495 f.; (Beisetzung) s 15. 349 372 Neunten Μ 3, 605—617 Schönberg, Georg im 43 Ν iederösterreichisches Tonkünstlerorche- Schubert, Franz nn 97 f. ster nb 253 Senn, Walter gk 247 Nowak, Leopold h 2, 437 f. Serenata Η 4, 25—28 Oistrach, David im 629—632 Sidney, Lorna im 247 Oper, Wiener Μ 1, 217—225 Sowjetische Musik s 7, 448—452 Orgel f 1, 137—141; s 2, 444; nb 46; Stifter, Adalbert A 1, 81—86 nb 163 f. Stil, musikalischer Κ 2, 109—114; XI, Österreichische Gesellschaft für Musik k 2, 483 494 42 f.; k 5, 152 f.; s 10, 43; 1 2, 637 f. Strauß, Johann Μ 1, 217—225 österreichische Gesellschaft für Musik- Strauss, Richard Β 1, 325 ff.; R 2. 328— wissenschaft a 20, 89 340; nb 385 f. österreichische Nationalbibliothek g 3, Swarowsky, Hans gk 501 234; s 18, 625 f.; t 1, 236 Symphonie (Bruckner) G 1, 175—180 österreichischer Rundfunk a 13, 311 Tabulatur Μ 3, 605—617 Tempomessung W 1, 589—604 Pahlen, Richard im 384 Tenschert, Roland 1 6, 245 f. Paläographie nb 576 Tessarini, Angelo S 6, 31—34 Partiaitöne Η 1, 124—130 Tradition Ν 1, 483^194 Patzak, Julius im 94 Pelleas und Melisande (Schönberg) S 10, Vancsa, Max Ρ 1, 298—303 267—278 Verdi, Giuseppe Τ 3, 148 f. Pfitzner, Hans L 1, 357—362 Vereinigung schaffender Tonkünstler Ρ 1, Preise 298—303 Kompositionspreds 1974 a 8, 161 Verklärte Nacht (Schönberg) S 10, 267— Würdigungspreis des österr. Staatspreises 278 S 12, 87 f. Volkslied D 3, G 5, 475-^82 Förderungspreis des österr. Staatspreises Volkstanz F 2, 463—474 S 15, 623 f. Vorarlberg nb 577 Dr.-Karl-Böhm-Preis w 4, 382 Vorhaltsharmonik (Schmidt) Η 2, 534 f. Wagner, Richard G 1, 175—180; nn 98 f.; Wiener Sängerknaben s 14, 230 f.; nb (Briefe) S 6, 31—34 253 Waldstein, Wilhelm im 443 Wiener Schule (Nachfolge) 11, 236 Walzer F 2, 463-^74 Wiener Stadtbibliothek a 10, 236; s 19, Wellesz, Egon im 627 ff. 626 Werk, musikalisches L 1, 357—363; S 9, Wiener Symphoniker a 12, 250 262—265 Windgassen, Wolfgang im 632 Wertung, musikalische Κ 2. 109—114 Witt, Franz Xaver Wettbewerbe F 1, 404—412 Internationale Vorschau all, 248 f. Wittmann, Hugo Τ 3, 148 f. Baden (Nö. Musikschulen) d 1, 383 Wolf, Hugo (Briefe) s 19, 626 Linz (Bruckner-Orgelwettbewerb) a 4, 141 München (Gesangswettbewerb) w 5, 574 Wien Η 3, 210—216; Ρ 1, 298—303; S 5, „Zauberflöte" (Mozart) C 1, 341—345 346—349; U 2, 75—80; nb 96 Zeitsinn, musikalischer W 1, 589—609 Wiener Philharmoniker S 2, 183—188; nb Zelzer, Hugo gk 88 387 Zemlinsky, Alexander von S 8, 279—291

ABBILDUNGEN

„Apokalypse, Die". Holzschnittfolge von Diarium Europaeum 15 (Exemplar in der Albrecht Dürer, daraus die vier Engel, österr. Nationalbibliothek) 11 die ein Drittel der Menschheit töten (1498). Titelbild zu Heft 11 Erbse, Heimo 87 Archivalien Gedenkstätten Beethoven, Johann van. Ölbild von Leo- Beethoven, Ludwig van: Schwarzspanier- pold Groß (1841) 73 haus. Titelbild zu Heft 2 Bittner, Julius 227 Bruckner, Anton: Geburtshaus in Ansfel- Schönberg, Arnold. Eintragungen von den 401 Schönberg sowie Berg und Webern Schönberg, Arnold: Haus in Mödling (ein- im Trauungsbuch des Evangelischen gerüstet) 159 Pfarramtes Mödling 199 — Mödling, Hotel „Bieglerhütte" 193 — Haus in Mödling (Das rekonstruierte Briefe Arbeitszimmer) 373 — Haus in Mödling (Ehrengäste bei der Beethoven, Ludwig van: Notenbeispiel Eröffnung) 373 aus einem gefälschten zweiten Brief Strauß, Johann: Die Straußvilla in der an die Unsterbliche Geliebte 59 Hetzendorferstraße (heute Maxingstra- — Erste Seite eines gefälschten zweiten ße 18) 219 Briefes an die Unsterbliche Geliebte 62 Grabmal — Erste Seite des Konzepts zu einem Arnold Schömberg am Wiener Zentral- gefälschten zweiten Brief an die Un- friedhof (gestaltet von Fritz Wotruba) sterbliche Geliebte 63 371 Bruckner, Anton: Brief an die Wiener Philharmoniker vom 27. 10.1873 184 Hohenemser Gesellschaft. Gemälde von — Brief an die Wiener Philharmoniker Antoni Boys (1578), Ausschnitt 561 vom 13. 10. 1885 185 Schönberg, Arnold: Beginn des Briefes an Innviertier Landlatanz. Gemälde von Gottfried Kassowitz vom 8. 3. 1912 295 Alois Greil. Titelbild zu Heft 10

Bruckner, Anton. Photographie aus dem Kanne, Friedrich August. Lithographie Jahre 1894 von J. Löwy 177 von Radmannsdorf 76 — Bronzebüste von Franz Forster 407 Klaviertes Metallstabspiel von Jakob — Ausschnitt aus einem Linzer Gruppen- Birchl (1805), Museum Carolino Angu- bild von 1861 419 steum, Salzburg 344 — Photographie aus den 1890er Jahren Kolisch, Rudolf im Schönberg-Gedenk- 421 raum in Mödling 371 — beim Unterricht im Mödlinger Schön- Oper berg-Haus 494 Bühnenbild Mozart, Wolfgang Amadeus: „Zauber- Linz, Brucknerhaus. Titelbild zu Heft 3 flötc". Bühnenbildentwurf um 1793 (Joseph und Peter Schaffer) 342 — ..Zauberflöte". Bühnenbild (Luciano Manuskripte Damiani) 504 Berg. Alban: Eintragung in das Schiiler- Strauß. Johann: „Fledermaus". Bühnen- Album zu Schönbergs 50. Geburtstag bildentwurf zur Uraufführung (Alfred 293 Moser) 221 Breuning, Gerhard von: Unbekannter Ent- Strauss. Richard: „Frau ohne Schatten". wurf zu einem Artikel. Beginn 67 Bühnenbildentwurf zum 2. Akt (Gün- Bruckner, Anton: Eintragung in seinem ther Schneider-Siemssen) 332 f. Notizkalender (2. 11. 1885) 432 Schönberg, Arnold: Skizze über die Lage Orgel des Klaviers und des Schreibtisches Hohenemser Positiv. Titelbild zu Heft 1 in seinem Mödlinger Arbeitszimmer. Linz. Brucknerhaus. Neue Orgel im Kon- Aus dem unveröffentlichten Manu- zertsaal 139 skript ..Beim Augenarzt" 195 St. Florian. Große Orgel 403 Wien. Michaeierkirche 47 Margarita Austriaca. Aus Theatrum Euro- paeum 10 14 Programmzettel Maria Piain mit dem Kalvarienberg. Oper Kupferstich nach J. F. Pereth (um Strauß. Johann: Uraufführung der ..Fle- (1687). Titelbild zu Heft 78 dermaus" (Wien, 5. April 1874) 223 Konzerte Noten Annonce dreier Orchesterkonzerte der „Vereinigung schaffender Tonkünstler Autographen in Wien" (November 1904 — März 1905) 300 Buxtehude, Dietrich: aus einer in Klavier- Orchesterkonzert der ..Vereinigung schaf- tabulatur notierten Aria 615 fender Tonkünstler in Wien" (25. Jän- Dallapiccola, Luigi: „Tre poemi" für So- ner 1905) 302 pran und Kammerorchester, Partitur- seite 307 Ratz, Erwin 44 Schönberg, Arnold: Nocturne für kleines Rosetum Marianum. Titelblatt des Sam- Orchester, arrangiert für Pianoforte melwerks (Dillingen 1604) 561 zu 2 Händen (unveröff. Jugendwerk) 281 Schmidt, Franz 526 — Ländler für Klavier (unveröff. Jugend- Schönberg, Arnold im Kreise seiner Schü- werk) 282 ler im Garten des Mödlinger Schön- — „Einst hat vor Deines Vaters Haus". berg-Hauses 1919 197 Lied (unveröff. Jugendwerk) 287 — Selbstporträt 212 — Komposition ohne Titel für Violine — dass. 213 und Klavier (unveröff. Jugendwerk) — als Dirigent. Titelbild zu Heft fi 287 — Porträtphoto 263 — „Ei du Lütte", 4stimmiger Männer- — mit seiner Frau Gertrud, seiner Toch- chor (unveröff. Jugendwerk) 289 ter Nuria und seinem Sohn Lawrence — Lied (unveröff. Jugendwerk) 291 265 Handschrift (Hufnagelschrift), Mähren 1505, aus dem Codex 1770, 25v der Wien Musiksammlung der Österr. National- — Hofburg. Aus der Vogelschau von bibliothek. Titelbild zu Heft 12 Folbert van Ouden-Allen (Amsterdam Handschrift eines Codex aus der Werk- 1686) 7 stätte des Petrus Alamire (Mensur- — Blick vom Belvedere. Titelbild zu Codices für Kaiser Maximilian), Ant- Heft 4'5 werpen um 1500 610 — zur Gründerzeit. Zeichnung von Lud- wig Rohbach im Stich von C. Hei- Drucke singer. Titelbild zu Heft 9 — Konzerthaussaal 1974 (nach der Reno- Baumgartner, Wilhelm: „Wer ist frei?", vierung) 635 Männerchor 191 Wiener Sängerknaben in der Hofburg- Desprez, Josquin: aus dem Credo der kapelle unter Hans Gillesberger 231 Missa „Pange lingua" 613 Händel, Georg Friedrich: aus der Kan- Zadar. Konzert in der mittelalterlichen tate „No se emenderä" 616 Kirche des Hl. Donat 571 SCHALLPLATTEN

AUFSÄTZE — INFORMATIONEN Concerti a due cori (Archiv-Produktion 2533 151 Stereo) 455 f. Pfluger, Rolf: Diskographie Julius Patzak 169 Haydn, Johann Michael — Bruckner-Raritäten auf Schallplatten Missa in honorem Sanctae Ursulae (Mu- 255 sics Bavarica MB 304) 457 f. — Schönberg-Diskographie 321—324 Haydn, Joseph — Diskographie Franz Schmidt 586 f. Klaviersonate G-dur Hob. XVI/40 als — Diskographie Anton Bruckner 645— Streichtrio (Archiv-Produktion 2433 651 136) 459 Schreiber, Ulrich: Schallplatten-Jahrbuch I. Klassik-Auslese 169 Monteverdi, Claudio ..Lamento d'Arianna" (Archiv-Produktion Werba, Robert: Die „Wiener Flötenuhr" 2533 146 Stereo) 105 1974 388 Madrigale (Querschnitt aus dem 2. bis 8. Buch) (Archiv-Produktion 2533 146 KOMPONISTEN Stereo) 105 Mozart, Wolfgang Amadeus Apostel, Hans Erich Konzertarien für Tenor KV 431, KV 420, Variationen über ein Thema von Joseph KV 209, KV 295 und KV 210 (Hun- Haydn op. 17 (Amadeo Serie österr. garoton SLPX 11 485) 106 Musikrat AVRS 5066 St.) 55 f. Konzertarien für Sopran KV 316, KV 580, Fischerhaus-Serenade op. 45 (Amadeo Se- KV 419, KV 416 und KV 528 (Supra- rie Österr. Musikrat AVRS 5066 St.) phon 1 12 1114) 388 55 f. Virtuose Arien (Electrola C 063-29082) Paralipomena dodekaphonika op. 44 389 (Amadeo Serie Österr. Musikrat AVRS Klavierquartette g-moll KV 478 und Es- 5066 St.) 55 f. dur KV 493 (Telefunken SMT 1230) Bach, Johann Sebastian 389 Weihnachtsoratorium BWV 248 (Philips Sämtliche Konzerte für Blasinstrumente 6703 037) 170 (Philips 6707020, Kassette 4 LP 6500 Weihnachtsoratorium BWV 248 (Telefun- 325, 6500378/79/80) 389 f. ken SH SKH 25-T/l—3) 170 Sämtliche Werke für Violine und Orche- Motetten BWV 225—231 und BWV Anh. ster (Eurodisc 85186-90 XK) 391 f. 159 (Archiv-Produktion Stereo 2533 Streichquartette G-dur KV 387, d-moll KV 161/2) 456 f. 421, Es-dur KV 428, B-dur KV 458, 6 Orgelkonzerte BWV 592—597 (Archiv- A-dur KV 464, C-dur KV 465, D-dur Produktion 2533 170) 651 f. KV 499, D-dur KV 575, B-dur KV Beethoven, Ludwig van 589, F-dur KV 590 (Eterna Edition Klavierkonzert G-dur op. 58 (harmonia 836470/74) 392 mundi Stereo 2021510-5) 454 f. „Original oder Fälschung?" (Electrola Fantasie für Klavier op. 77 (harmonia 1 C 183-30168/70) 392 f. mundi Stereo 2021510-5) 454 f. Posthomserenade KV 320 (Decca SAD Symphonie Nr. 2 D-dur op. 36 als Kla- 22 139) 393 f. viertrio (Archiv-Produktion 2533 136) „Die Entführung aus dem Serail" (VEB 459 Eterna-Edition 826 512-14) 394 Bruckner, Anton Musik zu „Der Schauspieldirektor" (VEB Svmphonie Nr. 4 Es-dur (Originalfassung Eterna-Edition 826 512-14) 394 1880) (Eurodisc 86 362-66 XK) 524 Konzert für Violine und Orchester G-dur Symphonie Nr. 5 B-dur (Originalfassung) KV 216 (Decca SAD 22 135) 394 (Eurodisc 86 362-66 XL) 524 Concertone für 2 Violinen und Orchester Symphonie Nr. 7 E-dur (Originalfassung) C-dur KV 190 (Decca SAD 22 135) (Eurodisc 86 362-66 XK) 524 394 Andante F-dur KV 616 (Musicaphon rote Desprez, Josquin serie BM 30 SL 1226) 652 „Deploration sur la mort d'Ockeghem" Adagio und Rondo C-dur KV 617 (Mu- (Archiv-Produktion 2533/45 Stereo) sicaphon rote serie BM 30 SL 1226) 105 652 Händel, Georg Friedrich Adagio und Allegro f-moll KV 594 (Mu- Fireworks Music (Archiv-Produktion 2533 sicaphon rote serie BM 30 SL 1226) 151 Stereo) 455 f. 652 Fantasie f-moll KV 608 (Musicaphon rote Scriabin, Alexander serie BM 30 SL 1226) 652 Sämtliche Klaviersonaten (Tudor 1002-4 Stereo) 108 Ockeghem, Johannes Strauss, Richard Missa pro defunctis (Archiv-Produktion Sechs Lieder nach Gedichten von Cle- 2533/45 Stereo) 105 mens Brentano (Electrola C 063-29 052) 108 Pfitzner, Hans Tschaikowsky, Peter Iljitsch „Palestrina" (DGG Stereo 2711 013, Klavierkonzerte b-moll, G-dur und Es-dur 2530364-367) 55 (Eurodisc 87 217 XK) 106 f. Lieder op. 15/2, op. 11/4, op. 2/3, op. 24/1, op. 11/1 und op. 15/4 (Elec- Verdi, Giuseppe trola C 063-29 052) 108 „Rigoletto" (Decca SET 542-4) 172 Puccini, Giacomo „Simone Boccanegra" (RCA MLDS 61007) .." (RCA ARL 2-0105) 172 (3) 455 Vivaldi, Antonio Rejcha, Antonin ..Die vier Jahreszeiten" (Decca SX 21230- Bläserquintette A-dur op. 91/5 und e- M) 457 moll op. 88/1 (Musicaphon rote serie BM 30 SL 1227) 458 f. SAMMELPROGRAMME Bali. Gamelan music from Sebatu. Serie Schmidt, Franz Musical tradition in Asia (Archiv-Pro- Symphonie Nr. 4 (Decca SXL 6544) 56 duktion 2533 158) 651 Schubert, Franz Tanzmusik des Frühbarocks (Archiv-Pro- Arpeggione-Sonate D 821 (Archiv-Pro- duktion 2533 150 Stereo) 105 f. duktion 2533 175) 652 Die Tradition des gregorianischen Cho- Variationen für Flöte und Klavier über rais: Montserrat. Die Responsorien der „Trockene Blumen" D 208 (Archiv- Matutin an Weihnachten (Archiv-Pro- Produktion 2533 175) 652 duktion 2533 158) 651 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

GEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE f

29. JAHRGANG JÄNNER 1974 HEFT 1

1974 — JAHR DES GEDENKENS

Jubiläen sollen Konzentrationspunkte sein. Es hätte wenig Sinn, Gedenktage zu feiern, wann immer sie sich im Kalender ergeben, und dazwischen die Geehrten zu vergessen. Meister indessen, die sich bereits der positiven Jurisdiktion der Geschichte erfreuen, mögen immerhin auch der Feste der runden Zahlen teil- haftig werden: wir werden so an das erinnert, was wir an ihnen haben, nicht an das, was sie uns bedeuten sollten. Anton Bruckner, dessen 150. Geburtstag auf den 4. September fällt, ist in diesem Sinne weithin anerkannt. Daß alle seine Symphonien während der Wiener Festwochen von der Gesellschaft der Musikfreunde aufgeführt werden, ist nur recht und billig, daß Linz in den Wochen des eigentlichen Jubiläums zahlreiche Festkonzerte veranstaltet, eine Selbstverständlichkeit. Die öster- reichische Musikzeitschrift wird beide Gelegenheiten wahrnehmen, um mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Vertiefung des Kontaktes zwischen dem Genie und dem Hörer zu fördern. Das Heft, das zur Gänze dem Werk Anton Bruckners gewidmet ist, wird im September erscheinen. Ein anderer Meister der Musikgeschichte, Arnold Schönberg, wäre am 13. September hundert Jahre alt geworden. Sein Geist hat die Entwicklung der Musik in einem Ausmaße beeinflußt, wie dies seit Beethoven ein einzelner Komponist nicht mehr vermocht hatte. Auch seiner wird im Festwochenheft der österreichischen Musikzeitschrift gedacht werden, dies aus Anlaß der Eröffnung der Mödlinger Gedenkstätte, jenes Hauses, in dem Schönberg die Zwölftontechnik erarbeitet hatte. Es wurde von der Internationalen Schönberg- Gesellschaft gekauft, instandgesetzt und als Forschungszentrum ausgestattet. Ein weiterer Bezugspunkt wird zur Zeit der Wiener Festwochen die große Schönberg-Ausstellung sein, die von der Wiener Stadtbibliothek in Zusam- menarbeit mit der Schönberg-Gesellschaft in der Secession veranstaltet wird. Im Rahmen dieser Schau ist die Ausstellung einer großen Anzahl von Auto- graphen, Objekten aus dem Besitz Schönbergs und Gemälden des Meisters vorgesehen. Von den 600 Exponaten werden etwa 150 durch die Nachkommen Schönbergs zur Verfügung gestellt und als Leihgaben aus den USA nach Wien gebracht. Das eigentliche Schönberg-Heft der österreichischen Musikzeitschrift ist in- dessen für den Juni geplant, als Marginalie zum Schönberg-Kongreß, der von der Schönberg-Gesellschaft in Wien durchgeführt wird und zu dem eine große Anzahl von musikwissenschaftlichen Spezialisten eingeladen wurde.

1 Franz Schmidts 100. Geburtstag fällt auf den 22. Dezember 1974. Auch diesem Meister wird eine Nummer der österreichischen Musikzeitschrift gewid- met. Ohne Zweifel gehört dieser Komponist zu den Meistern, die der These des musikalischen Fortschritts eine durchaus tragfähige Antithese des Traditio- nalismus entgegensetzten, eine Antithese, die das Epigonentum ausschließt. In einer Zeit, in der so gerne das eine gegen das andere ausgespielt wird, sehen wir es als unsere Ehrenpflicht an, an der gültigen Synthese mitzu- arbeiten. Lokale Bedeutung hat auch Julius Bittner, dem der Verlag E. Lafite in der Reihe „Komponisten des XX. Jahrhunderts" einen eigenen Band gewidmet hat. Der 100. Geburtstag des Komponisten am 9. April soll nicht unbemerkt vorübergehen. Weitere Anlässe der Erinnerung werden durch einzelne Artikel wahrgenommen. So etwa der 100. Geburtstag der österreichischen Sationaloperette „Die Fleder- maus", der auf den 5. April fällt, so der 25. Todestag von Richard Strauss, dessen am 8. September gedacht wird. Ihn dürfen wir mit gutem Grund zu den Unsrigen zählen, wie auch Hans Pfitzner, der am 22. Mai 1949, also eben- falls vor 25 Jahren, in Salzburg gestorben ist. Und daß wir uns anläßlich des 50. Todestages von Ferruccio Busoni (27. Juli) des Meisters erinnern, sollte angesichts der Bedeutung dieses Komponisten und Denkers für die gesamt- europäische Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert kaum der Erklärung bedürfen. Einige unserer Hefte im Jahre 1974 werden wieder in traditioneller Weist' thematisch an bestimmte aktuelle Ereignisse gebunden sein, so neben dem bereits erwähnten Heft der Wiener Festwochen auch dasjenige, das die Auf- führungen der Salzburger Festspiele begleitet. Andere thematische Gruppie- rungen ergeben sich quasi von selbst: so etwa die Ausrichtung der vorliegenden ersten Summer auf den Süden, auf italienische Komponisten, mit denen Österreich sich verbunden fühlen darf, auf Einflüsse, die an unserm Kreuzweg der Musikgeschichte Gültiges erzeugten. Ebenso spontan ergab sich die Tendenz der Februarnummer: sie wird der Beethoven-Forschung gewidmet sein, genauer: der historisch orientierten Beethoven-Forschung. Schon jetzt dürfen wir Außer- gewöhnliches versprechen.

Es versteht sich von selbst, daß wir auch in Zukunft wie bisher die Ereignisse des aktuellen Musiklebens durch Berichte, Kritiken, Chronik und Sachrichten zur Kenntnis bringen, daß Erkenntnisse der musikwissenschaftlichen Forschung ebenso vermittelt werden wie die der Pädagogik, daß neue Soten wie neue Bücher von fachkundigen Rezensenten besprochen und daß auch die Neuheiten auf dem Schallplattenmarkt gebührend gewürdigt werden. Wir hoffen, auf diese Weise weiter eine Aufgabe zu erfüllen, deren Wichtigkeit uns durch die dankenswerte Treue unserer Leser immer neu bestätigt wird. Herausgeberin und Redaktion der österreichischen Musikzeitschrift

2 DER GEIST DER ITALIENISCHEN MUSIK Giain Francesco Malipiero zum Gedenken Luigi Dallapiccola

Wenn wir das neue Jahr mit einem Nekrolog beginnen, so deshalb, weil das ver- gangene Leben eines Großen der Gegenwart tröstliche Sicherheit für die Zukunft bedeutet. Der am 1. August 1973 erfolgte Tod Gian Francesco Malipieros setzte den Schlußpunkt hinter ein Erdenleben. Die Erinnerung eines anderen Meisters der Musik wird mithelfen, das Unvergeßliche menschlicher und künstlerischer Größe zu bewahren und paradigmatisch voranzustellen.

Mehr als vierzig Jahre sind vergangen, seit ich Malipiero im September 1932 in Venedig in einer Hotelhalle vorgestellt wurde, aber noch heute erinnere ich mich daran, mit welch tiefer Bewegung ich ihm die Hand gab. In ihm verehrte und liebte ich damals den Autor von „Le Sette Canzoni", „Poemi Asolani", „Le Stagioni Italiche". Die Musik des Meisters war 1932 noch wenig bekannt. Man darf nicht vergessen, daß damals, vor vierzig Jahren, die Programme der Konzerte im kläglichsten Sinne des Wortes „konservativ" waren und daß der italienische Rundfunk (Ε. I. A. R., ein Name üblen Angedenkens!) keine bessere Haltung einnahm. Die Auswahl und Zulassung der Kompositionen hing nicht etwa von Geschmack und Bildung der verantwortlichen Leiter ab (auch daran gebrach es völlig), sondern von den politischen Beziehungen, deren sich jemand rühmen konnte. Und Politik bedeutete damals nichts anderes als die faschistische Partei. Im Herbst 1932 gab es eine der raren Ausnahmen von der Regel in der Pro- grammgestaltung des Rundfunks, und diese Ausnahme ist tief in meinem Ge- dächtnis haften geblieben: Alfredo Casella dirigierte die Oper „II Tomeo Notturno" von G. F. Malipiero (im deutschen Sprachbereich unter dem Titel „Komödie des Todes" bekannt). Bei diesem Werk handelt es sich nicht um eine Oper im traditionellen Sinne des Wortes. Schon in „Le Sette Canzoni" hatte der Meister gezeigt, daß er nach einer neuen Form des Musiktheaters suchte, die weltenweit sowohl von Verdi als auch von Wagner entfernt sein sollte. Er bezeichnete denn auch „II Torneo Notturno" als „sieben dramatische Nachtstücke". Nachdem ich die Opemsendung gehört hatte, habe ich, soviel ich weiß, einen Brief an Malipiero geschrieben. Sicher nicht mehr als ein paar schüchterne und unaufdringliche Zeilen, um ihm zu gratulieren. Denn bei der flüchtigen Be- gegnung in der Hotelhalle in Venedig war er mir äußerst zurückhaltend er- schienen; ich begriff nur zu gut, wie schwer erträglich für empfindsame Gemü- ter die Bewunderung anderer ist, und daß sie sich dagegen mit Ironie oder scheinbarer Kälte wappnen. Mehrere Wochen hindurch sang ich zu meiner Überraschung beim Aufwachen: „Wer Zeit hat und läßt Zeit verstreichen, vertut die Zeit, Die Zeit entflieht wie der Pfeil dem Bogen . .." In jenen Jahren war ich auf der Suche nach mir selber. Wie kann man die giftige, die penetrant nationalistische Rhetorik von damals vergessen? Wie kann man die Erinnerung an die aus niedrigen Beweggründen von interessierter Seite vorangetriebene, üble Polemik, das Betonen des „Italie- nischen" gegenüber dem „Internationalismus" in der Musik, auslöschen? Eine Polemik, die einen kaum zu überbietenden Tiefpunkt erreichte mit dem „Musika-

3 lischen Manifest", welches am 17. Dezember 1932 in allen italienischen Tages- zeitungen erschien (also wenige Wochen vor der Zehnjahresfeier des „Marsches auf Rom") und nichts anderes war als ein kaum verhohlener Angriff auf Mali- piero und Casella, d. h. auf die einzigen lebendigen Kräfte des damaligen italienischen Musiklebens; zu seiner Unterzeichnung hatten sich zehn Komponi- sten (Pseudo-Komponisten und Kritiker, die sich in jüngeren Jahren im Kompo- nieren versucht hatten) zusammengefunden. Ja, Malipieros Musik erhielt damals das Attribut „international", ein Wort, das nach faschistischem Sprachgebrauch gleichbedeutend war mit „antifaschi- stisch" und auch „kommunistisch". Als solche war sie abzulehnen, zumal ihr jene patriotisch-optimistischen Züge völlig abgingen, die jeder Diktatur lieb und teuer sind (meine Musik sollte einige Jahre später demselben Urteil anheim- fallen). Nun gut: Mir persönlich schien es, als könne ich in „II Torneo Notturno" den alten und wahren Geist der italienischen Musik wiederentdecken, welchen in den Opern des Verismo, geschweige denn in den Produkten der Unterzeichner des „Musikalischen Manifestes" aufzuspüren ich nie imstande gewesen war. Malipiero hatte den Faden der großen Tradition wiederaufgenommen, jener Tradition, die der italienischen Musik Bedeutung und Internationalität ver- liehen hatte. Es erübrigt sich, noch ein Wort über die Absurdität des gegen ihn erhobenen Anwurfs zu verlieren; er kam ja von völlig provinziellem Denken her, das vielleicht nicht einmal frei war von Eifersucht und, wer weiß, von Eigennutz.

Ende 1959 hatte ich Gelegenheit, mehrere Tage von morgens bis abends mit Gian Francesco Malipiero zusammenzusein. Zehn Tage lang saßen wir in Rom nebeneinander an einem großen Tisch, als Mitglieder der Jury, welche die zum ersten von der Italienischen Gesellschaft für Neue Musik ausgeschriebenen internationalen Kompositionswettbewerb eingereichten Partituren zu prüfen hat- te. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich, daß von den sieben Mitgliedern der Prüfungskommission Malipiero als einziger keine Brille trug. Damals war Malipiero 77 Jahre alt. Als die Arbeiten der Kommission sich ihrem Ende näherten, gab Wladimir Vogel ·— Malipiero und er (um 14 Jahre jünger) waren die „ältesten" — ihm zu verstehen, daß alle gerne ein Schlußwort von ihm hören würden. Malipiero sagte damals wörtlich: „Ich bin ein wenig zögernd nach Rom gekommen: heute geht alles mit solcher Eile voran . . . Ich fürchtete, zu sehr der Mentalität meiner Generation verhaftet zu sein . . . ich habe mich gefragt, ob ich das, was man heute schreibt, woran man heute experimentiert, mit genügendem Abstand und Gefühl für Gerechtig- keit würde betrachten können. Ich muß sagen, daß genau das Gegenteil einge- treten ist: viele tonale und vordodekaphonische Werke haben mich geradezu ab- geschreckt. Wenn ich Augenblicke der Freude hatte, so war es beim Lesen der Partituren, die eine fortschrittlichere Tendenz zeigten ..." Aus diesen Worten sprach eine jugendliche Geistesfrische, die man nicht genug würdigen kann, und zugleich wurde, fast beiläufig und wie unbeabsichtigt, der Jury, jeder Jury, eine Lektion erteilt.

4 Dank dieser Jugendfrische des Geistes hat Malipiero bis ins hohe Alter Werke schreiben können, die unverwechselbar die Zeichen seiner Persönlichkeit trugen. In seinem Fall kann man wirklich von Stil sprechen: ein ganz persönlicher Stil, nur ihm eigen, erkennbar schon in der frühen Komposition „Pause del Silenzio" (1917), immer wieder bestätigt in allen seinen Werken bis hin zu den 1971 in Siena während der Settimana Musicale Senese uraufgeführten Einaktern „Giuda Iscariote" und „Uno dei Dieci". Malipiero, ein Musiker, der mit der allerhöchsten Aufmerksamkeit alles, was man hören kann, gehört hat, ein Mensch, der in fast unglaublichem Ausmaße informiert war, hat sich niemals und für nichts auf der Welt von einer Mode verführen lassen, ganz gleich, ob sie kurzlebig oder von längerer Dauer war. Ein Beispiel von innerer Stetigkeit, das seinesgleichen sucht. Dies allein würde schon genügen, um unsere tiefste Bewunderung zu begründen.

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Am 18. März 1972 wurde auf Veranlassung der Societa Italiana Autori e Editori in Mailand der 90. Geburtstag von Gian Francesco Malipiero feierlich begangen. Am Vormittag überreichte ihm Bürgermeister Aniasi nach einer brillanten An- sprache die Goldmedaille der Stadt Mailand. Abends wurde in einem großen Hotel nach dem unvermeidlichen Drink ein Essen gegeben. Der Maestro, sehr blaß und offensichtlich angestrengt, erschien in der Tür, auf seinen Arzt und seine Frau gestützt. Er sagte mir, er würde „nur einige Minuten" verweilen und die Versammelten begrüßen, um sich dann zum Essen auf sein Zimmer zurückzuziehen. Aber es kam anders. Er setzte sich an einen Tisch, links von ihm befand sich Goffredo Petrassi, zu seiner Rechten bat er mich, Platz zu nehmen. Sei es, weil ihm die Umgebung besonders sympathisch war, sei es aus Gründen, die ich nicht kenne, er entschloß sich, zusammen mit den Anwesenden zu speisen und verließ den Saal erst um ein Uhr morgens. Eine Woche später, am Samstag, dem 25. März 1972, wurde im Rundfunk eine Neuheit von ihm uraufgeführt: „Omaggio a Belmonte"; es war nicht das erste Mal, daß Schönbergs Name in Ubersetzung erschien. So viel ich weiß, ist die Partitur bis heute nicht veröffentlicht worden, und aus Prinzip lasse ich mich nicht auf die Untersuchung eines Werkes ein, das ich nur einmal gehört habe, noch dazu im Rundfunk. Wie es mich denn auch überhaupt nicht interes- siert, Zwölftonreihen zu analysieren und festzustellen, ob sie fehlerlos sind oder nicht. Aber ich weiß ganz sicher, daß es sich um ein Meisterwerk handelt, und um ein ganz überraschendes dazu. In diesem „Omaggio" finden sich eine gewisse strophische Gliederung und formale Elemente, die seit jeher Malipiero eigen waren, daneben aber sind ein neuer melodischer Sinn und bestimmte strukturelle Verfahren festzustellen, die ich bei ihm zuvor nie bemerkt hatte. Ob er tonale, modale oder dodekaphonische Musik komponierte, stets waren die Züge seiner Persönlichkeit unverkennbar. Dem alten Stamm war wunderbarerweise ein junger, ein letzter Zweig ent- sprossen. (Deutsche Ubersetzung von Gudrun Stühff-Mazzoni)

5 DIE FESTLICHKEITEN ZUR ERSTEN HOCHZEIT KAISER LEOPOLDS I. Herbert Seifert

Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zur Vermählung Kaiser Leopolds I. mit der fünfzehnjährigen spanischen Infantin Margarita Teresia lassen sich bis zum 20. Februar 1666 zurückverfolgen. Mit diesem Datum erließ der Kaiser ein Dekret zur Erbauung eines Theaterhauses „auf der Cortina", um einen würdigen Spielort für die große Festoper zu schaffen.1 Auch das zweite große Ereignis der „Beylagers-Festivitäten" war schon lange vor der Hochzeit ge- plant: am 10. März wurden alle berittenen Cavaliere aufgerufen, sich fiir das Roßballett zur Verfügung zu halten.2 Die Procura-Trauung fand am Ostersonntag, dem 25. April, in Madrid statt, wobei der Kaiser durch den Herzog von Medina, De las Torres, vertreten wurde. Drei Tage später reiste die kaiserliche Braut von Madrid ab.3 Als die Nachricht von diesen Ereignissen in Wien eintraf, feierte man sie am 23. Mai mit einem feierlichen Gottesdienst mit Te Deum in der Augustinerkirche und, am Nach- mittag, mit einem Turnier in der Favorita, an dem sich der Kaiser beteiligte.' Bald wurden auch Anstalten getroffen, den Geburtstag der Braut im Juli mit einer Oper und einem Ballett zu feiern. Antonio Cesti berichtet in einem Brief an den venezianischen Impresario Marco Faustini am 27. Juni, daß er die Geburtstagsoper innerhalb weniger Tage beendet habe und nun mit der Komposition der „Opera grande" fortfahre, womit nur die Hochzeits- oper „II Pomo d'Oro" gemeint sein kann.5 Am 5. Juli wurde Cesti rück- wirkend ab Jahresbeginn am Hof angestellt.8 Am 12. Juli wurde also die Oper „Nettuno e Flora festeggianti" mit der Musik von Cesti nach einem Libretto von Francesco Sbarra aufgeführt; die Musik zu dem nachfolgenden Ballett mit sechs Tänzen, das von Prinz Karl von Lothrin- gen und kaiserlichen Kammerherrem getanzt wurde, stammte von Johann Hein- rich Schmelzer. Es war hier also schon dasselbe Team von Librettist und Komponisten tätig, das auch das Roßballett „La Germania esultante" für den gleichen Anlaß ein Jahr später, die Faschingsoper „Le Disgrazie d'Amore" und „II Pomo d'Oro" schuf. Aus einem Brief Cestis an Faustini vom 8. August geht hervor, daß von der fünfaktigen Oper, deren Aufführung zu dieser Zeit noch für Oktober 1666 geplant war, erst die Hälfte des ersten Aktes komponiert war. Eine Woche später erfahren wir von Cesti, daß sich der Kaiser in zwei Audienzen alles bisher Fertige von ihm hatte vorführen lassen und ihn zur Eile antrieb. Außerdem war der Komponist einige Tage lang mit einer Komposition für den vorgesehenen Aufenthalt Margaritas in Mailand beschäftigt,7 die sich am 16. Juli in Spanien zu Schiff begeben hatte, wegen einer Erkrankung aber erst am 20. August in Finale bei Genua landete. Dort wurde sie von Raimund Graf Montecuccoli als Abgesandtem des Kaisers begrüßt.8

Da die Ankunft der Braut nun in nicht allzu ferner Zukunft bevorzustehen schien, begann man ab 30. August das Roßballett öfters — bis zu zweimal in der Woche — in der Hofreitschule zu proben.9 Es ergaben sich nun politische Komplikationen: Der französische Gesandte Gremonville hatte aus Frankreich Tänzer kommen lassen, die zur Hochzeit

6 ein Ballett aufführen sollten, und wollte dieses der kaiserlichen Familie am 5. September vorführen, was jedoch — wohl wegen der gespannten Beziehungen der beiden Staaten — vom Kaiser untersagt wurde; auch das vom englischen Gesandten geplante Feuerwerk durfte nicht zur Ausführung gelangen. Gremon- ville wurde nun einige Male bei Hof deswegen vorstellig, so daß der Kaiser mit seiner Familie schließlich am 26. September doch dem nun aus Anlaß der Hochzeit eines französischen Adeligen in Wien getanzten Ballett „mit zweiund- zwanzig Veränderungen" beiwohnte.10 Am Vormittag des 10. November wurde das Roßballett zum ersten Mal am Ort der späteren Aufführung, im inneren Hof der Burg, mit Musik und Einsatz der Maschinen geprobt. Am zweiten Adventsonntag dieses Jahres schließlich, am 5. Dezember, fanden der feierliche Empfang der kaiserlichen Braut, ihr Einzug und die Bestätigung der Trauung in der Augustinerkirche durch den päpstlichen Nuntius Don Marchese Spinola statt, worauf das Te Deum „vermittelst der Kävserl. Vocal- und Instrumental Musik hertzbeweglich ab- gesungen" wurde.11 Am folgenden Tag wohnte das Kaiserpaar von 2 bis 6 Uhr nachmittags einem Festmahl bei der verwitweten Kaiserin Eleonora in der Favorita bei; im Verlauf dieses Besuches wurden der jungen Kaiserin zuliebe auch spanische Gesänge vorgetragen.12 Am Abend des Marienfeiertages am 8. Dezember wurde beim Stadtgraben und auf den Basteien vor der Hofburg ein großes Feuerwerk abgebrannt, dem der Rahmen einer auf die Hochzeit bezogenen mythologisch-allegorischen pantomimischen Darstellung gegeben wurde. Außer der üblichen Trompeten- und Paukenmusik gaben die neun Musen auf dem Berg Pamaß „ihre er-

Ausschnitt aus der Vogelschau von Folbert van Ouden-Allen (Amsterdam 1686). Exemplar im Histor. Museum der Stadt Wien [abgebildet bei Harry Kübnel, Die Hofbarg (Wiener Geschichtsbücher Bd. 5) (Wien 1971), Abb. 9]. schallende Beystimmung vermittelst einer angenehmen und lieblich klingenden Music zu erkennen". Die Musiker befanden sich bei diesem Feuerwerk in einer Holzhütte, um deren Überlassung Johann Heinrich Schmelzer am 16. Dezember schriftlich ansuchte, „weillen solche von keiner importanz, und ferners zu nichts rechtschaftens zu gebrauchen" sei. Das Ansuchen wurde genehmigt, wie aus einer Resolution vom 19. Dezember hervorgeht, in der alles „Holzwerk, so man zu dem Lustfeüerwerck und andern Freuden Festen gebraucht, außer der Hütten so dem Käy. Musico Schmelzer beraits über- lassen worden", für den Bau des großen Comödienhauses und die Hofgebäude bestimmt wurde.13 Am 10. Dezember nahm das jungvermählte Paar das Mittagmahl im Refektorium des Profeßhauses der Jesuiten Am Hof ein und wurde dabei durch ein Drama, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um „Honoris et pietatis connu- bium" handelte, unterhalten. Es wurde von 32 Zöglingen des Jesuitenseminars aufgeführt, unter denen sich der zwölfjährige Bernhard Staudt, der später Musikmeister am Jesuitenkolleg war und die Musik zu zahlreichen Jesuiten- dramen schrieb,14 Johann Heinrich Schmelzers 1655 geborener Sohn Georg Joseph und Johann Michael Zacher, der spätere Domkapellmeister bei St. Stephan und Kapellmeister der Witwe Leopolds I.,15 befanden. Der 13. Dezember brachte ein Ballett, von Damen und Cavalieren getanzt, ein weiteres der 17., 18. oder 19. Dezember, diesmal von zehn Cavalieren getanzt, wobei die Kostüme dreimal gewechselt wurden. Am 20. und 23. Dezem- ber fanden Generalproben des Roßballetts statt,16 und am 22. wurde der Geburtstag von Königin Maria Anna von Spanien, der Mutter der Kaiserin, mit einer Oper über den Kallisto-Stoff und einem von Cavalieren getanzten Ballett gefeiert.17 Der Weihnachtstag wurde wie üblich mit einer öffentlichen Tafel in der Ritterstube der Hofburg „unter Aufwartung der vornehmsten Minister und Cavaliere bei Instrumental- und Vokalmusik" begangen.18 Man beschloß das Jahr mit einigen Balletten, Komödien, darunter vielleicht Antonio Bertaiiis Intermezzo „Cibele ed Ati", und anderen Unterhaltungen. In diesen Tagen wird auch das „Oratorio del'Santissimo Natale"19 bei Eleonora gesungen worden sein. Den Jahresbeginn feierte der Kaiser traditionsgemäß im Profeßhaus der Jesuiten, wo er das Mittagmahl einnahm und dann mit einem kurzen Drama und einem Ballett unterhalten wurde. Am 3. Jänner 1667 wurde wieder das Roßballett geprobt und unternahm die Hofgesellschaft eine Fahrt mit 75 Schlitten; da- nach hielt sie — wie auch am 11. Jänner — einen „teutschen Tantz". Zwei Tage danach veranstaltete die Kaiserinwitwe Eleonora ein „Gioco delle sorti rappresentata in Musica". Wie solch eine dramatische Einleitung zur Lotterie der Hofdamen aussah, kann man dem zu dem gleichen Anlaß im Jahr 1666 entstandenen Libretto entnehmen.20 Die Kaiserin revanchierte sich am 13. Jänner dafür mit einem eigenen „Glückshafen". Die erste öffentliche Aufführung des so lange vorbereiteten Roßballetts „II Contesa dell'Aria e dell'Acqua" fand schließlich am 24. Jänner statt;21 der Musikanteil daran war sehr groß. Bertaiii hatte die Musik zum szenischen Geschehen geschrieben, Sbarra den Text und Schmelzer die Musik zum Ballett der Pferde, an dem der Kaiser selbst teilnahm. Eine Woche danach wurde das Werk wiederholt, jedoch gekürzt und ohne Mitwirkung des Kaisers.

8 Am 25. Jänner gab der Obersthofmeister der Kaiserin, Fürst Dietrichstein, eine Wirtschaft mit 26 Cavalieren und Damen mit anschließendem Tanz. Am 30. Jänner, einem Sonntag, wurden aus Anlaß einer Adelshochzeit „aber- mals eine Comödi und Ballet präsentirt", eine Woche später dann „Vero Amor fä soave ogni Fatica", eine kleine Oper, zu der Antonio Draghi Text und Musik geschrieben hatte, als Einleitung zu dem von zwölf Hofdamen getanzten „Balletto di dodici Dame Etiope" mit Musik von Schmelzer. Dieses dauerte bis 18 Uhr; um 21 Uhr begann man mit einer Wirtschaft und tanzte dann bis nach Mitternacht. Am Mittwoch, dem 16. Februar, spielte man im neu instand gesetzten Tanzsaal „La Galatea" von Pietro Andrea Ziani. Im Libretto dieser dreiaktigen Favola pastorale per musica gibt der Textautor Draghi an, daß die Oper „II Pomo d'Oro" noch nicht aufgeführt werden könne, da an dem neuen großen Theater noch gebaut werde; daher habe sich der Kaiser entschlossen, dieses neue Werk Draghis singen zu lassen. Außer der Partitur und dem Textbuch sind uns auch Schmelzers Tänze zu den drei Balletten der Oper überliefert.22 Der nächste Tag brachte für den Hofstaat wieder eine Wirtschaft mit an- schließendem Tanz, und der 19. Februar — Faschingsamstag — die Haupt- komödie des Faschings, das Dramma giocosomorale „Le Disgrazie d'Amore", das von den selben Künstlern wie „II Pomo dOro" und „Nettuno e Flora festeggianti", also Cesti, Sbarra und Schmelzer, geschaffen worden war; die Licenza hatte der Kaiser komponiert.23 Am Sonntag boten die Jesuiten dem Kaiserpaar im Profeßhaus nach dem Mittagessen eine Comödie. Am Abend des Montags sah man bei Eleonora in der Favorita eine Tragödie und anschließend, von Cavalieren getanzt, Schmelzers Ballett „Das Narrenspitall", das aus 22 Tänzen bestand. Der Fa- sching wurde dann am Abend des 22. Februar in einem Saal der Neuen Burg mit einem Fest beschlossen, auf dessen Programm musikalische Darbietungen, eine Wirtschaft, ein von acht Cavalieren und dem Kaiser getanztes Ballett — wahrscheinlich Schmelzers „Lamentierliches Auß leüthen über den unseligen Todt St. Fasching" —, eine festliche Mahlzeit, ein Tanz und die Verteilung von Geschenken an die anwesenden Damen standen. Der Saal war dekoriert; er sollte das Aussehen der elysischen Gefilde wiedergeben. Mit dem Ende des Faschings kann man auch die Feierlichkeiten zur Hoch- zeit des Kaisers als beendet betrachten; nachzutragen wäre noch die Nachricht über die Aufführung der als Hauptfestlichkeit geplanten Oper „II Pomo d'Oro". Erst im Juli 1668, zum Geburtstag der Kaiserin, war man soweit. Dafür waren die späte Fertigstellung einerseits des Theaterhauses (August 1667),24 andererseits der Oper schuld; dazu kam dann im Jänner 1668 der Tod des erst drei Monate alten Erzherzogs Ferdinand Wenzel. Für die Aufführung waren nacheinander vorgesehen gewesen: Oktober 1666, 9. Juni, 30. November und 5. Dezember 1667.25 Das Comödienhaus war nach venezianischen Vorbildern26 als Logentheater mit drei Rängen auf der Stadtmauer von Lodovico Ottavio Bumacini aus Holz errichtet worden. Der Standort war nicht, wie fast immer angegeben wird, die Stelle der heutigen Nationalbibliothek, sondern dahinter, wo heute der Bibliothekshof liegt.27 Die Festa teatrale wurde in zwei Teilen gegeben, und zwar der erste am Nachmittag des 12., der zweite aber erst am Samstag, dem 14. Juli, vermutlich

9 weil am Freitag aus religiösen Gründen gewöhnlich nicht gespielt wurde. Am 23. Juli wurde der zweite Teil wiederholt •— der erste wahrscheinlich am 22. —; zu diesem Zweck hatte der spanische Botschafter 3000 Reichs- taler zur Verfügung gestellt. Die Aufführung war eine Gemeinschaftsarbeit der Komponisten Cesti, Schmelzer und Kaiser Leopolds I., der die 9. Szene, des 2. Aktes komponiert hatte, des Librettisten Sbarra, des Bühnen- und Kostümbildners Bumacini, des Ballett- meisters Santo Ventura und des Fechtmeisters Agostini Santini. Es wohnten ihr außer der kaiserlichen Familie „viel Fürstliche und andere hohe adeliche Personen", die dazu nach Wien gekommen waren, und der türkische Ge- sandte bei.28

ANHANG Verzeichnis der zwischen Juli 1666 und Juli 1668 am Kaiserhof oder in Anwesenheit des Kaisers aufgeführten dramatischen Werke und Oratorien und gehaltenen Wirt- schaften.

Abkürzungen und Sigel: Admirabiles efectos: s. Anm. 3; AGÖ: Göttweig, Musikarchiv des Stiftes; AGu: Graz, Universitätsbibliothek; AWgm: Wien, Bibliothek der Gesellschaft der Musik- freunde; AWn: Wien, österreichische Nationalbibliothek; AWst: Wien, Stadtbibliothek; AWu: Wien, Universitätsbibliothek; BBc: Bruxelles, Conservatoire Royal de Musique, Biibliotheque; CSKRa: Kromeficz, Zämesky hudebni arohiv; DE: Diarium Europaeum: DMth: München, Bibliothek des Theatermuseums; DMbs: München, Bayerische Staatsbibliothek; DW: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek; Feigius: J. C. Feigius, Wunderbarer Adlers-Schwung... 1 ([Wien] 1694); Gualdo: G. Gualdo-Priorato. s. Anm. 7; Historia collegii: Historia collegii Viennensis (AWn Cod. 8.368); IBc: Bologna, Civico Museo Bibliografico Musicale; IVnm: Venezia, Biblioteca nazionale Marciana; Leopold: Privatbriefe Kaiser Leopolds I. an den Grafen Fr. E. Pötting; Libr.: Fundort(e) des Librettodrucks (gedruckt, wenn nicht anders angegeben, in Wien bei M. Cosmerovius); Mayer: A. Mayer, Wiens Buchdruokergeschichte 1 (Wien 1883); Nachw.: Nachweis(e); Part.: Fundort der Partitur; Relatio: Relatio historica; TE: Theatrum Europaeum; Zeremonialprotokolle: s. Anm. 3.

1666 12. VII., Mo.: Nettuno e Flora festeggianti. Drama musicale per introduzione al gran balletto, 3 Akte, zum Geburtstag der kaiserlichen Braut. Musik: A. Cesti, Text: Fr. Sbarra. Nachw.: Leopold am 12. VII. 1666; DE 15, 416; Relatio 56, 18. Part.: AWn 16.525. Libr.: Deutsche Ubersetzung (Neptun und Flora Erhebte Freuden-Fest): AWn 406.740-B M. — danach: Ballett mit 6 Tänzen. Musik: J. H. Schmelzer, Tänzer: Prinz Karl von Lothringen und kaiserliche Kammerherren. Nachw.: wie oben. Stimmen: CSKRa. Particell: AWn 16.583/1. 26. IX., So., nachmittags: Ballett mit 22 Veränderungen (Concorso dell'allegrezza universale / Versamblung der Fröligkeit in Wienn / Concours de la joye universelle?) zur Hochzeit des Herrn von Santillier mit dem Fräulein von Drautitsch, veranstaltet vom französischen Gesandten Gremonville (in Schönbrunn?). Tänzer: Franzosen. Nachw.: Leopold am 27. IX. 1666; Relatio 57, 5; DE 16. 119 f. Beschreibung und Text (dt., engl., frz.): AWgm 22Ί9, 1. Bd. 18. XI., Do., bis 20 Uhr: L'Elice. Festal Introduzione ad un Regio Balletto, 1 Akt, zum Geburtstag der Kaiserinwitwe Eleonora im Leopoldinischen Trakt der Hofburg. Musik: P.A. Ziani, Text: D. Federici. Nachw.: Relatio 57, 15; TE 10, 183. Part.: AWn 16.900. Libr.: AWgm 22/19, 1. Bd.; AWn 792.410-B Th, 2. Bd. — danach: Ballett. Musik: J. H. Schmelzer. Tänzerinnen: Die Erzherzoginnen Eleonore und Marianne und sechs ihrer Hofdamen. Nachw.: wie oben. Stimmen: CSKRa, Particell: AWn 16.583/1.

10 Aus: Diarium Europeeum 15, Appendix, letzte Abb. in „Von Himmeln entzündete Frolockungs-Flammen". Exemplar in der Österr. Nationalbibl.: BE. 2. Ν. 53.

8. XII., Mi., abends: Von Himmeln entzündete und Durch allgemeinen Zuruff der Erde sich Himmelwerts erschwingende Frolockungs-Flammen..., zur Hochzeit beim Stadtgraben und auf den Basteien vor der Hofburg. Feuerwerk: Bartholomäus Peißker. Nachw.: Leopold am 10. XII. 1666; Zeremonialprotokolle 1332; Relatio 57, 19; DE 16, 357; TE 10, 194; Feigius 73. Beschreibung: 2. Teil der Allerhöchst-Feyerlichen Festivitäten . . . (Vienna 1667) (diese auch als Anhang zu DE 15 erschienen). 10. XII., Fr., während des Mittagmahls: Honoris et pietatis connubium sive justus Ucundonus Japoniae Dynasta pius pro fide exul (?), Comödie, 3 Akte, im Profeßhaus der Jesuiten. Nachw.: Historia collegii 64; Relatio 57, 23; DE 16, 359. Textbuch: AWn Cod. 13.241, mit gedrucktem Szenarium. 13. XII., Mo.: Ballett (Tanz?) mit einigen spanischen Tänzen in der Hofburg. Tänzer: Cavaliere und Damen. Nachw.: Relatio 57, 23; Admirabiles efectos 166; Feigius 73. Zwischen 17. und 19. XII. (Fr.—So.): Ballett. Tänzer: 10 Cavaliere. Nachw.: Relatio 57, 23; Feigius 73. 22. XII., Mi., abends: Drama musicale über die Geschichte „delli Amori di Giove, e Calisto" (Gualdo Priorato), als Einleitung zu einem Ballett, zum Geburtstag der Königin von Spanien. Nachw.: Gualdo 85; Relatio 57, 25; Admirabiles efectos 166; Feigius 73. — danach: Ballett. Musik: J. H. Schmelzer. Tänzer: Cavaliere. Particell: AWn 16.583/1. 25. XII., Fr. (?): Oratorio del' Santissimo Natale, bei der Kaiserinwitwe (in der Favorita). Libr.: IVnm. Zwischen 23. und 31. XII.: einige Ballette (Tanzgesellschaften), Comödien und Unter- haltungen. Nachw.: Admirabiles efectos 166.

11 1667» I.1., Sa.: Kurze Comödie und Ballett im Profeßhaus der Jesuiten. Nachw.: Relatio 58, 3; DE 16, 425; TE 10, 198. 3.1., Mo., bis 21 Uhr: Ballett („teutscher Tanz") in der Ritterstube der Hofburg. Tänzer: Kaiserpaar und Adel. Nachw.: Leopold am 6.1.1667; Zeremonialprotokolle 1336; Relatio 58, 4; DE 16, 425; TE 10, 198. 5.1., Mi.: „Gioco delle sorti rappresentata in musica", von der Kaiserinwitwe (in der Favorita ?) veranstaltet. Nachw.: Leopold am 6.1.1667; Cualdo 85 (6.1.); Relatio 58, 4; DE 16, 425; TE 10, 198. II.1., Di.: Ballett (Tanz) in der Ritterstube. Nachw.: Leopold am 20.1. 1667; Zeremoni- alprotokolle 136; Relatio 58, 35; DE 16, 426 (10.1.); DE 17, 12 (11.1.). 13.1., Do.: „Gioco delle sorti", von der Kaiserin veranstaltet. N'achw.: Gualdo 85. 16.1., So.: „Lustige action von bäuerischen Auffzügen". Nachw.: Relatio 58, 5; DE 17, 12. 24.1., Mo. (Wiederholung: 31.1.. Mo., 13—17 Uhr): La Contesa dell'Aria e dell' Acqua, Festa a cacallo zur Hochzeit im Burghof. Musik: A. Bertaiii, Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: Fr. Sbarra, Regie: A. Carducci, Ausstattung: C. Pasetti. N'achw.: Leopold am 3. II. 1667; Zeremonialprotokolle 1341 ff.; Relatio 58, 6 und 9; DE 17, 14; TE 10, 497 ff.; Europaeische Cronica (Nürnberg 1701) 62; Feigius 82 ff. Partitur: 5 Tänze des Balletts gedruckt als: Arie per il Balletto a Cavallo (AGÖ in Textb. 54; AWn66, F. 10, 2. Bd., MS 1082; AWst Β 5.877 Anh., Β 5.876 Anh.; DMth 4»R 38 Anh., 4°R 92 Anh.; DW Gl 4°424 Anh.). Particell dieser Tänze: AWn 16.583/1. Text und Be- schreibung: AWn 66. F. 10, 1. Bd.; AWst Β 5.876; DMth 4°R 38. Deutsche Übersetzung (Sieg-Streit dess Lufft und Wassers): AWn 207.623-C Th, 667.437-C M; AWst Β 5.877; DMth 4°R 92; DW Textb. 4°56, Gl 4°424. Auch als 3. Tedl der Allerhöchst- Feyerlichen Festivitäten erschienen (mit den 5 Tänzen) und in TE 10,497—514 abgedruckt. 25.1., Di.: Wirtschaft mit Tanz in der Hofburg, veranstaltet vom Obersthofmeister der Kaiserin, Fürst Dietrichstein. Nachw.: Admirabiles efectos 179; Relatio 58, 8 f.; DE 16, 14; TE 10, 514; Feigius 99. 30.1., So.: Comödie und Ballett. Nachw.: Relatio 58, 9. 6. II., So.: Vero Amor fä soave ogni Fatica, Introduzione ad un nobilissimo hallo. Musik und Text: A. Draghi. Nachw.: Gualdo 100; Relatio 58, 11; DE 16, 20 f.; TE 10, 516 f. Libr.: AWgm 22/19, 2. Bd.; AWn 792.410-B Th, 3. Bd. — danach, bis 18 Uhr: Balletto di dodici Dame Etiope. Musik: J. H. Schmelzer, Choreographie: S. Ventura, Tänzerinnen: Hofdamen. Nachw.: wie oben. Particell: AWn 16.583/1. — danach, 21 bis nach 24 Uhr: Wirtschaft mit Tanz in der Ritterstube. Nachw.: wie oben. 16. II., Mi.: La Galatea, Facola pastorale per musica, 3 Akte, im Tanzsaal der Horburg. Musik: P. A. Ziani, Ballettmusik: J- H. Schmelzer, Text: A. Draghi, Ausstattung: L. O. Burnacini, Choreographie: S. Ventura. Nachw.: Gualdo 101. Part.: AWn 18.962. Particell der Ballette: AWn 16.583/1 (vgl. Anm. 22). Libr.: AWn 664.140-B M, 792.410-B Th, 3. Bd. 17.11., Do.: Wirtschaft mit Tanz. Nachw.: Leopold am 17.11.1667; Zeremonial- protokolle 1347 ff.; TE 10, 517. 19.11., Sa.: Le Disgrazie d'Amore, Dramma giocosomorale rappresentata in musica, 3 Akte, Musik: A. Cesti, Licenza von Leopold I., Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: Fr. Sbarra. Nachw.: Gualdo 101; DE 17, 103; TE 10, 517. Part.: AWn 18.856. Particell der Ballette: AWn 16.583/1 (vgl. Anm. 23). Libr.: 1) Wien, M. Cosmerovius: AWn 792. 410-B Th, 3. Bd.; 2) Rom, M. Hercole: IBc, BBc. 20. II., So.: Comödie im Profeßhaus der Jesuiten. Nachw.: DE 16, 103; TE 10, 517. 21. II., Mo., abends: Tragödie und Ballett Das Narrenspitall (Hospitale de Pazzi) bei der Kaiserinwitwe (in der Favorita). Ballettmusik: J. H. Schmelzer. Tänzer: Cavaliere. Particell der Ballette: AWn 16.583/1; Violinstimme: CSKRa.

12 22.11., Di., abends: Wirtschaft, Ballett Lamentierliches Auß leüthen über den un- seligen Todt St. Fasching und Tanz der Hofgesellschaft in einem Saal des neuen Traktes der Hofburg. Nachw.: Gualdo 101; Relatio 58, 11; DE 16, 103; TE 10, 517. Particell des Balletts: AWn 16.583/1. Fasching (2. I.—22. II.): Comedia ridicula, 2 Akte. Musik: A. Draghi. Part.: AWn 16.562. Fastenzeit (2-3. II.—10. IV): Oratorien. Nachw.: Gualdo 102. Zwischen 7. IV. (Gründonnerstag) und 9. IV. (Karsamstag): Lagrime della Pietä nel Sepolcro di Cristo bei der Kaiserinwitwe (in der Favorita). Musik: P. A. Ziani, Text: D. Federici. Libr: IVnm. 9. IV., Karsamstag: Drama (vielleicht Crucifixus amor), das die Jesuiten beim Heiligen Grab für den Kaiser aufführen ließen. Nachw.: Historia collegii 68. 24. und 25. IV., So. und Mo. (Libr.: 25. IV.): Las Vitorias del Amor contra el desden, en el mas amado y aborrecido, Comedia, 3 Akte, mit musikalischen Vor-, Zwischen- und Nachspielen und einem Ballett, zum Jahrestag der Procura-Trauung. Schau- spieler: spanische Diener. Nachw.: Relatio 58, 16. Libr. der Vor-, Zwischen- und Nachspiele: AWn Cod. 13.184. 9. VI., Do., nach dem Mittagmahl: La Semirami, Drama musicale, 3 Akte, zum Geburtstag des Kaisers im Tanzsaal der Hofburg. Musik: A. Cesti, Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: G. A. Moniglia. Nachw.: Relatio 58, 19 (10. VI.); DE 17, 431; TE 10, 520. Part.: AWn 16.304; Particell der Ballette: AWn 16.583/2, Nr. 6—16. Libr.: AWgm 22/19, 1. Bd.; Abdruck in G. A. Moniglia, Poesie drammatiche 2 (Firenze 1690), mit dem Titel „La Semiramide". 13. VII., Mi.: La Germania esultante, Festa a cavallo, zum Geburtstag der Kaiserin in der Favorita. Musik: A. Cesti, Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: Fr. Sbarra. Nachw.: Leopold am 21. VII. 1667; Zeremonialprotokolle 1358; Relatio 59, 4 f.; DE 18, 245; TE 10, 520. Particell der Tänze: AWn 16.583/2, Nr. 17—20 (12. VII.). Libr.: AWst A 59.446; Stiftsbibliothek St. Paul/Kärnten (Mayer 252). 11. VIII., Do.: Ballett von der Calleria. Musik: J. H. Schmelzer. Particell: AWn 16.583/2, Nr. 1—5. 29. VIII., Mo. (Wiederholung: 30. VIII., Di.): Fides conjugalis sive Ansberta, sui conjugis Bertulfi e dura captivitate liberatrix, Comödie, 5 Akte, auf einem neu er- richteten Theater im Jesuitenkolleg. Nachw.: Historia collegii 68; DE 18, 337. Libr.: AGu I 28.886. Deutsches Szenarium (Ehelich Trewgeflissenheit Oder Ansberta Ihres Gemahles Bertulfi Auss harter Gefangenschafft trewe Erlöserin): DMbs (Mayer 262). 18. XI., Fr.?: Drama per musica (Fidalba ed Arbante?), 2 Akte, zum Geburtstag der Kaiserinwitwe. Musik: A. Draghi. Part.: AWn 16.311 (nur der 2. Akt). 3. XII., Sa.: Favor divinae providentiae in gubernanda et propaganda Augustissima domo Austriae sub schemate Corydalinae amore Supermini felicis nymphae, Drama, 3 Akte, in der Aula Academica der Jesuiten nach der Mahlzeit. Nachw.: Historia collegii 68. Textbuch: AWn Cod. 13.343, mit gedrucktem Szenarium. 6. XII., Di.?: Jasons mit Rath und Miiehe Besigtes goldenes Vellus... In Kunst- Feuern vorgestellet, zur Geburt von Erzherzog Ferdinand Wenzel. Nachw.: Relatio 59, 17; DE 18, 542. Beschreibung: AWst? (Mayer 253); Abdruck des Textes in: Austria oder österreichischer Universal-Kalender, 6. Jg. 1845 (Wien 1845), S. 61—63. 22. XII., Do.: Ballett von 5 Turckhen und 5 Mohren, zum Geburtstag der Königin von Spanien. Musik: J. H. Schmelzer. Particell: 16.583/2, Nr. 21—23. 30. XII., Fr.: Ballett zum Geburtstag der Erzherzogin Maria Anna. Musik: J. H. Schmelzer. Particell: 16.583/2, Nr. 24—29.

1668

Zwischen 29.1. und 5. II.: Wirtschaft, veranstaltet von Graf Trautmannsdorf. Nachw.: Relatio 60, 5. 9. II., Do., abends: Wirtschaft und Ballett (Tanz). Nachw.: Relatio 60, 5. 13 Margarita Austriaca, Romanoram Imperatrix Augusta etc., Hispa- niarum et Indiaram Infans etc. Aus: Theatrum Europaeum 10 (Frankfurt 1703), nach S. 184. Exemplar in der österr. National- bibl.: 52. Α. 1.

12.11., So.: Ballett. Musik: Schmelzer. Tänzer: Cavaliere. Particell: AWn 16.583 2, Nr. 30—34. 13.11., Mo.: Opera. Ballettmusik: J. H. Schmelzer. Particell der Ballette: AWn 16.583/2, Nr. 35-^4. 14. II., Di.: Ballett. Musik: Schmelzer. Tänzerinnen: beide Prinzessinnen. Particell: AWn 16.583'2, Nr. 45—51. 29. III., Gründonnerstag: II Lutto dell'Universo, Azione sacra, in Wiener Neustadt. Musik: Leopold I., Text: Fr. Sbarra. Part.: AWn 16.899. Für Di., den 5. VI., geplant, aber nicht aufgeführt: Achille riconosciuto, Introduzione di un balletto, 1 Akt, zum Geburtstag der Erzherzogin Eleonore in der Favorita. Musik: A. Draghi, Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: Teofilo, Choreographie: S. Ventura. Nachw.: TE 10, 795. Particell des Balletts: AWn 16.583/2, Nr. 52—57 (31. V.). Libr.: AWn 407.400-A M. 9. VI., Sa.: Gl'Amori di Cefalo e Procri, Rappresentazione drammatica per musica, 1 Akt, zum Geburtstag des Kaisers. Musik und Text: A. Draghi, Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Ausstattung: L. O. Burnacini, Choreographie: S. Ventura. Nachw.: Relatio 60, 13; DE 19, 383; TE 10, 801. Part.: AWn 16.454. Particell der Ballette: AWn 16.583/2, Nr. 58—66. Libr.: AWn 792.410-B Th, 3. Bd.. Spanische Übersetzung von J. S. Salva (Los Amores de Cefalo y Procris) und deutsches Szenarium (Die Liebe Deß Cephalus und der Procri): Stiftsbibliothek St. Paul/Kärnten (Mayer 254). 12. VII., Do., und 14. VII., Sa., jeweils nachmittags (Wiederholung: ? und 23. VII., Mo): II Porno d'Oro, Festa teatrale, 5 Akte, zum Geburtstag der Kaiserin im neuen Comödienhaus auf der Cortina. Musik: A. Cesti, Leopold I. (2. Akt, 9. Szene), Ballettmusik: J. H. Schmelzer, Text: Fr. Sbarra, Ausstattung: L. O. Burnacini, Choreographie: S. Ventura, Kämpfe: A. Santini, Tänzer und Statisten: Cavaliere und Edelknaben. Nachw.: Leopold am 16. VII. 1668; Relatio 61, 3 ff.; DE 20, 10; TE 10, 803 (13. und 14. VII.). Part.: AWn 16.885 (nur 1., 2. und 4. Akt), Particell der Ballette: 16.583/2, Nr. 67—82. Stimmen zum 1. und 3. Ballett: CSKRa. Libr.: 1) 4", 1668: AGÖ Textb. 52; AWn 211.286-C Th, 629.308-C Th, 72.Q.91 M; AWst Β 6.311; AWu II 332.896; DMth. 2) 8°, 1667: AWn 225.478-A M; AWst A 14.775;

14 AWu I 299.604; DW Textb. Sammelbd 11 (1). 3) 8«, 1£68: AWgm 9008; AWn 407.399-A Adl. Deutsches Szenarium (Der goldene Apffel), 1668: AWst A 5.429. Deutsche Ubersetzung von J. G. Mayer (Der güldene Apfel), Nürnberg, W. E. Felßecker. 1672: AWst A 153.722.

Anmerkungen:

ι F. Hadamowskv, Barocktheater am Wiener Kaiserhof, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung 1951'52, S. 35. - Hadamowskv S. 73 f. 1 Zeremonialprotokolle 1660—1674 (Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv ZA Prot. 2), S. 1273; Diarium Europaeum 15, S. 314; Admirabiles efecots de la Providencia. . . I (Milan 1696). S. 156. 4 Leopold I., Brief an den Grafen Pötting vom 25. Mai 1666; Zeremonialprotokolle 5. 1273 f.; Diarium Europaeum 15, S. 315 f. 5 R. Giazotto. Ventidue lettere ritrovate nell'archivio di stato di Venezia, in: Nuova Rivista Musicale Italiana 3 (1969), S. 509 f. 6 H. Knaus, Die Musiker im Archivbestand des kaiserlichen Obersthofmeisteramtes 1 (Wien 1967), S. 149 f. 7 Giazotto S. 510 ff. Leider konnte nicht festgestellt werden, um welches Werk es sich handelte. Opern wurden der Braut in Mailand am 30. September — im Palast des Senatspräsidenten, Graf Bartolomeo Arese —· und an einem Abend zwischen dem 6. und 9. Oktober vorgeführt (Diarium Europaeum 15, S. 187; G. Gualdo Priorato, Historie di Leopoldo Cesare 3 (Vienna 1674), S. 31 f. Laut freundlicher Mitteilung von Herrn Prof. Guglielmo Barblan war die einzige Oper, die im Teatro Ducale im Jahr 1666 gespielt wurde, P. A. Zianis „Annibale in Capua". 8 R. Montecuccoli, Ausgewählte Schriften 3 (Wien 1900), S. 304. 9 Diarium Europaeum 16, S. 22 f., 233. 10 Es ist wahrscheinlich, daß es sich dabei um „Concorso dell'Allegrezza universale" handelt, dessen Beschreibung als einzige aus diesen Jahren außer deutsch und italienisch auch französisch abgefaßt ist, und zwar am ausführlichsten. Außerdem sollte die Auf- führung am 5. September in Schönbrunn stattfinden (Relatio historica 57, S. 5), und die Beschreibung nennt als Ort „in bei Giardino di Bella Fonte / in schönen Brunnen". II Siehe v. a. Alae votorum austriacorum ... (Vienna 1668), 1. Teil der Allerhöchst- Feyerlichen Festivitäten (Vienna 1667) (auch Anhang zu Diarium Europaeum 15); Zitat: Relatio historica 57, S. 19. 12 Relatio historica 57, S. 19; Admirabiles efectos S. 165. 13 Wien, Hofkammerarchiv, Niederösterreichische Herrschaftsakten W 61/A 41, Faszi- kel 22. Das dort aufbewahrte Ansuchen ist wahrscheinlich ein Autograph Schmelzers. 14 W. Kramer, Die Musik im Wiener Jesuitendrama von 1677—1711 (Diss. Wien 1961). S. 21 ff. 15 Kramer S. 169 ff. 18 Relatio historica 57, S. 23, 25. 17 In Admirabiles efectos, S. 166, wird von einer großen Oper berichtet, die an diesem Tag in einem eigens dafür gebauten Theater aufgeführt worden sei. Aus anderen Quellen geht jedoch mit Sicherheit hervor, daß Bumacinis Theaterbau zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig war. 18 Relatio historica 57, S. 25. " L. Ferrari, Per la bibliografia del teatro italiano in Vienna, in: Studi di bibliografia e di argomento romano (Roma 1949), S. 139, gibt den Titel des in der Biblioteca nazionale Marciana zu Venedig liegenden Librettos an. 20 AWgm 22/19, 1. Bd. Vgl. auch das undatierte handschriftliche Textbuch „Intro- duzione per Musica al Gioco delle Sortd" (AWn Cod. 13.237).

15 " Mit dieser Festlichkeit 'beschäftigt sich eingehend H. Haider-Pregler, Das Roß- ballett im Inneren Burghof zu Wien, in: Maske und Kothurn 15 (1970), S. 291—324. 2! Die Übereinstimmung zwischen den Angaben im Libretto (Balli: Di Huomini mostruosi, e d'Amoretti/Di Cuochi, Cani, e Gatti/Di Venti) und im Ballettmanuskript 16.583 der österreichischen Nationalbibliothek (Balletto der Amoretti und Trittoni ist gedanzt worden im Febr. 1667/Das Köch Ballett/Das Windt Ballett) ist E. Wellesz in seiner Arbeit Die Ballett-Suiten von Johann Heinrich und Anton Andreas Schmelzer (Wien 1914) entgangen. 23 Die Aufführungsdaten dieser Oper und von „La Galatea" sind der modernen Literatur unbekannt (Hadamowsky, S. 74, gibt falsche an); man findet sie bei Gualdo Priorato S. 101. Außerdem konnten an Hand des Librettos die zu „Le Disgrazie d'Amore" komponierten Ballette identifiziert werden: es sind Schmelzers „Der Ciclopi oder schmidt Ballett", „Das Affen Ballett" und „Mattacinada" (Wellesz, S. 32, schreibt nur das erste dieser Oper zu, Hadamowsky setzt das „Affenballett" als selbständiges Werk am Faschingdienstag an), die den Textbuchangaben „due truppi di Ciclopi.. . formando un abbattimento cö martelli" am Ende des 1. Aktes, „ballo delle seimmie" in 2 Teilen in der letzten Szene des 2. Aktes und „Ballo di Mascare" (Partitur: „ . . . informa di Mattaccini") am Ende der Oper entsprechen. 84 Diarium Europaeum 18, S. 337. 25 Giazotto S. 510 f; Relatio historica 58, S. 11; Diarium Europaeum 18, S. 337. 542. se Admirabiles efectos S. 166, wonach allerdings schon die Oper vom 22. Dezember 1666 auf diesem Theater aufgeführt worden wäre (s. Anm. 16). " Das ergibt sich aus der Vogelschau von F. van Ouden-Allen (Amsterdam 1686), wo das Theater deutlich abgebildet ist (vgl. die Abb.). Diese Ansicht widerspricht teilweise den Hypothesen von P. Fleischacker, Rekonstruktionsversuch des Opern- hauses und des Bühnenapparates in dem Theater des L. O. Burnacini (Diss. Wien 1962), der Vogelschau Türckische Belagerung... (Wien 1683) von D. Suttinger und dem von H. Kühnel, Die Hofburg (Wien-Hamburg 1971), S. 56—57 veröffent- lichten Schema des Hofburgkomplexes. 18 Relativ historica 61, S. 3 f. M Zwei Opern, deren erste Aufführung immer wieder in das Jahr 1667 gesetzt wurde, sind „La Monarchie latina trionfante" und „Hercole Acquistatore dell'Immor- talitä". Zu beiden hat N. Minato den Text geschrieben — beide können also nicht vor 1669, dem Beginn von Minatos Tätigkeit in Wien, entstanden sein. Schon aus diesem Grund kann man die genannten Datierungen — die der zweiten Oper geht auf einen Druckfehler (1667 statt 1677) in L. Allaccis Drammaturgia (Y'enezia 1755) zurück — widerlegen.

NEUERSCHEINUNG

Friedrich NEUMANN: Die Tonverwandtschaften. Phänomen und Problem. Ein Beitrag zur systematischen Musikwissenschaft. Publikationen der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Band 5. 96 Seiten, 83 Notenbeispiele. öS 96,— / DM 16,60.

Dieses Buch ist ein Versuch, die Position der Musiktheorie in der Gegenwart neu zu bestimmen. Die Uberzeugung, daß die beste Pädagogik eine solche ist, die Rezeptivität und Produktivität vereint, veranlaßt den Autor, die musikali- schen Phänomene tunlich selbst sprechen zu lassen.

VERLAG ELISABETH LAFITE, WIEN

16 GLUCKS TANZDRAMEN UND IHRE MUSIKALISCHE DRAMATIK Gernot Gruber

In etwas geänderter Fassung und unter dem Titel „I balli pantomimici viennesi di Cluck e lo stile drammatico della sua musica" wurde diese Abhandlung im September 1973 am Kongreß „Gluck e la cultura Italiana nella Vienna del suo tempo" in Siena als Vortrag angeboten. Wir freuen uns, diese Arbeit des Dozenten am Wiener Musikwissenschaftlichen Institut erstmals gedruckt vorlegen zu können.

Der Begriff der musikalischen Dramatik ist unbestimmt. Der Grund dafür ist einerseits in der Tatsache zu suchen, daß der Terminus Dramatik von den Gebieten der Literatur und des Theaters, also von außen, auf die Musik über- tragen wurde, andererseits darin, daß mit ihm wohl Wesentliches, aber im einzelnen und Konkreten schwer Faßbares angesprochen wird. Zu übergehen ist er trotzdem nicht; dies wird allein schon aus seiner Geschichte deutlich. So wird er zur Zeit Glucks nicht nur als äußerliche Funktionsbestimmung — musica drammatica als Musik fürs Theater —, sondern teilweise bereits als Bezeichnung für musikalische Inhaltsqualitäten verwendet. Mehr und mehr wird er dann zum Schlagwort. Wenn Louis Spohr in seinem „Aufruf an deutsche Komponisten" 1823 eine „ächt dramatische Musik, ganz der Handlung im Ton, Styl und Charakter angemessen" fordert, bleibt dabei unbeantwortet, worin, konkret gesprochen, das echt Dramatische und der Handlung Ange- messene zu liegen habe.1 Diese Unbestimmtheit des Begriffes konnte auch die moderne Musikwissenschaft nicht überwinden. Eines steht jedoch fest und gilt auch für die Verhältnisse in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts: eine musikalische Dramatik muß mehr leisten, als nur die Handlung, die Situation und die Aktionen der Personen auf der Bühne zu illustrieren; vielmehr muß hier die musikalische Ausdrucksfähigkeit imstande sein, dem Kräftespiel der übrigen dramatischen Komponenten eine eigene Dimension hinzuzufügen.

Denken wir an Goethes Gegenüberstellung der Begriffe „Theatralisch" und „Dramatisch", so darf die Musik nicht nur „theatralisch" wirken, sondern muß auoh eine „dramatische" Funktion übernehmen. Und unter dieser „Dramatik" versteht Goethe die innere Wirkung des Dramas, die „starke Spannung, die durch die leidenschaftlichen, vom Empfinden bis zur Tat sich steigernden Seelenbewegungen der in dem Drama handelnden Personen hervor- gerufen wird".2 Auf unser Gebiet übertragen hieße das, daß die Musik „Seelenbewegungen der handelnden Personen", die mit anderen Mitteln viel- leicht kaum andeutbar wären, darzustellen habe, wobei sich diese Darstellung bis zur Schilderung von „Taten" und tatsächlichem Geschehen auf der Bühne steigern lassen müsse. Alles in allem führt dieses Streben nach Ausdruck zu einer „starken Spannung", zu einem Moment der Einheit durch den musikali- schen Zusammenhang. Prinzipiell geht es um ein Ernstnehmen der dramatischen Funktion der Musik, womit wir bereits ein entscheidendes Anliegen Glucks formuliert haben. Etwa über Glucks „Alceste" wurde gesagt, daß der Orchesterpart zum Teil sogar gegen die Singstimmen Affektträger und „Vermittler der dramatischen Idee" sei.3 Was meint diese Aussage? Zunächst sicher das Beredte der Musik, das Kommentieren mit Hilfe des Orchesterparts. Dahinter steht das, was für die Musik ab Philipp Emanuel Bach als das „redende Prinzip" bezeichnet

17 worden ist.4 Doch nicht allein eine Musik, deren subjektive Affektsprache sich gegen vorgegebene Formschemata richtet, kann der „dramatischen Idee" der Gluckschen Reformoper genügen. Ranieri da Calzabigi verfocht ein „drama- turgisches Ideal der Ursprünglichkeit", „einen Handlungsablauf in bildhaften Szenen".5 Ja, man kann so weit gehen zu behaupten, daß Gluck und Calzabigi mit ihrer Reform in gewisser Weise eine „Wiederherstellung des Beschwörungs- rituals" verfolgten.6 Und dieser Tendenz müssen in der Musik doch auch bildhafte und statuarische Elemente entsprechen. Versuchen wir das aufs Detail und den subjektiven Affekt gerichtete „redende Prinzip" mit dem Bild- haften und Rituellen in der Musik zusammenzusehen, können wir diese Synthese mit dem Terminus „dramatisierte Bildlichkeit" umschreiben.7 Charles Burney lobte 1773 Glucks „dramatic painting"; Gluck selbst sagte von sich, daß er sich mehr für einen Maler und Poeten als für einen Musiker halte.8 Das heißt, Glucks Musik schildert durchaus bildhafte Szenen, entscheidend ist aber das dynamische Element in dieser Schilderung, das auf die Handlung, auf ein Sich-weiter-Entwickeln, auf die Spannung im Drama gerichtet ist. Wie weit sich dieser Stand eines dramatischen musikalischen Stils schon in der Tradition der Oper vor Gluck ankündigt, bleibt hier außerhalb der Betrachtung. Uns soll allein interessieren, wie sich Glucks Musik in den Tanzdramen zu der in seinen Reformopern verhält, wobei sich unser Augenmerk besonders auf das Tanzdrama „Don Juan", das ein Jahr vor der ersten Reformoper „Orfeo ed Euridice" entstand, richtet. Daniel Heartz hob in einer Arbeit über die Theater- und Opernreform der Mitte des 18. Jahrhunderts die Jahre um 1760 als in jeder Weise entscheidend hervor.9 Er verwies auf die Reformansätze in Parma, auf Diderots Traktat „De la Poesie dramatique", auf die neue und andersartige Schauspielkunst eines David Garrick in England und auf Calzabigis Ortswechsel von Paris nach Wien. Hinter diesen und weiteren Einzelereignissen und hinter der kaum übersehbaren Apologetik auf der einen und Polemik auf der anderen Seite der zeitgenössischen Aussagen läßt sich ein Anstoß zur Veränderung vermuten, der durchaus nicht auf die Gattung der Opera seria beschränkt blieb, sondern bei dem es um grundsätzliche Fragen des künstlerischen Ausdrucks ging. Wir müssen uns deshalb von einem Denken, das nur auf eine bestimmte Gattungsgeschichte ausgerichtet ist, lösen und zu den Erscheinungen der Reform auch das Wiener Tanzdrama Noverres und Angiolinis rechnen. Die entscheidende Tat in dieser Reform des Tanzdramas war zweifellos der „Don Juan" mit der Musik Glucks. Uberblicken wir die diesbezüglichen Aus- sagen in der Gluck-Literatur, so fällt auf, daß die Tanzdramen „Don Juan" und „Semiramis" wohl als sehr bedeutende Werke Glucks eingeschätzt werden und auch ihre wichtige Rolle für die Geschichte des Tanzdramas hervorgehoben wird, daß man sich aber scheut, über flüchtige Andeutungen hinaus den Bezie- hungen zwischen den Tanzdramen und den Reformopern konsequent nach- zugehen. Immerhin ist für Alfred Einstein der „Don Juan" „wenn auch auf anderem Weg als auf dem der Opera seria, eine Vorstufe zum ,Orfeo' Sehen wir von Unterschieden in der Gattung ab, wird der Blick für Gemein- samkeiten in der Tendenz frei. So wirkt sich die Forderung nach Wiederein- setzung des Natürlichen sowohl im Tanzdrama wie in der Reformoper aus. Diese Parole „Zurück zur Natur" aber ist gleichbedeutend mit der Parole „Zurück zu den Quellen" und ist im weiteren eng mit einem programmati- schen Rückgriff in die Geschichte der Kunst verknüpft.

18 Die dem Libretto zum „Don Juan" vorangestellte programmatische Erklärung über die Absicht der Balle,ttretorm hat Gaspar Angiolini unterzeichnet, sie ist aber von Calzabigi zumindest maßgeblich beeinflußt, wenn nicht überhaupt von ihm verfaßt worden. Sei es wie auch immer, bestätigend für die Annahme einer gemeinsamen Tendenz ist der große Nachdruck, der vom Autor auf den mit dem „Don Juan" angeblich verwirklichten Rückgriff auf die Pantomimen der griechischen und römischen Antike gelegt wird. Auf dieser Basis erst wird das dramaturgische Konzept im einzelnen entwickelt. Ähnliches gilt für Jean Georges Noverres „Lettres sur la danse, et sur les ballets" (1760). Die Gemeinsamkeiten zwischen Ballett- und Opernreform bleiben aber nicht auf programmatische Erklärungen beschränkt.11 Die Auswirkungen dieser ge- meinsamen Tendenz zeigen sich auch im Stil und in der Funktion der Musik. Diese musikalischen Gemeinsamkeiten sind in dem von Gluck angewandten Verfahren der Parodie und Selbstentlehnung schon auf den ersten Blick hin faßbar.1- Aus dem Tanzdrama „Don Juan" übernimmt Gluck nicht weniger als vier Nummern in die Reformoper „Iphigenie en Aulide". Musik aus dem „Don Juan" ist auch in „Cythere asiegee" und „Armide" eingegangen. Bekannt ist weiter, daß Gluck bei der Komposition seiner „Iphigenie en Tauride ' in großem Ausmaß auf sein „Semiramis"-Ballett zurückgriff. Musik aus der „Semiramis" enthalten auch „Le feste d'Apollo", Musik aus dem Alexander- Ballett die Opern „Iphigenie en Aulide" und „Alceste". Das von Gerhard Croll unlängst festgestellte Iphigenie-Ballett aus dem Jahre 1765 läßt die Ver- mutung einer ähnlichen musikalischen Beziehung zu den späteren Iphigenie- Opem zu; leider fehlt uns, zumindest vorläufig, die Musik zu diesem Ballett.13 Des weiteren hat Gluck die den Untergang Don Juans schildernde groß- angelegte Schlußnummer seines Balletts als Furientanz notengetreu in die französische Fassung des „Orphee" aufgenommen. Allein mit dem Hinweis auf die französische Vorliebe für Ballette läßt sich dieses Selbstparodieren nicht erklären. Auch beschränken sich die Übernahmen nicht auf „Divertisse- ment"-Teile; die Musik zur „Semiramis" und die in die „Armide" eingegangene Musik zur Duellszene des „Don Juan" sind kaum als solche zu bezeichnen.14 Außerdem fällt auf, daß die Richtung dieser Selbstentlehnungen vom Tanz- drama zur Oper und nie umgekehrt führt. Alles in allem stellt sich sogar die Frage, ob nicht in den Tanzdramen günstigere Verhältnisse für die Entwicklung eines dramatischen Musikstils vorlagen als in der Oper, und ob Gluck sich nicht aus diesem Grund für diese Gattung interessierte und schließlich Selbstent- lehnungen aus den Tanzdramen vornahm. Es ist eine bekannte, für uns aber bemerkenswerte Erscheinung in der Musik- geschichte des 18. Jahrhunderts, daß sich die Neigung zum subjektiven Affekt- ausdruck und zur Darstellung des Einzelmenschen früher und freier in der Instrumental- als in der Vokalmusik äußert. Für unser Gebiet der dramatischen Musik gilt ähnliches: ein dramatischer Musikstil entfaltet sich dort freier, wo das Wort wohl Anregung zur instrumentalen Affektdarstellung gibt, diese Affektdarstellung aber nicht durch ein Ideal der Kantabilität in den Vokal- stimmen behindert wird. In diesem Sinne ist etwa die Musik zu Melodramen im späten 18. Jahrhundert in ihrer Aussage viel deutlicher und wandlungs- fähiger als die Musik in den gleichzeitigen Opern.15 Dieser Konflikt zwischen instrumentaler Aussage und vokaler Kantabilität löst sich selbst in den Musik- dramen eines Richard Wagner durchaus nicht auf: die eindringlichste dramatische Aussage der Musik, die von Wagner so genannte „zu Taten gewordene Musik",

19 findet sich weniger in Dialogen als vor allem in den instrumentalen Zwischen- spielen. Was nun die Gluckschen Tanzdramen anlangt, scheinen drei Dinge für sie bezeichnend zu sein: 1. Die Musik ist an keine Worte gebunden. Damit wird zwangsläufig Platz für eine selbständigere Aussage der instrumentalen Musik geschaffen. 2. Aus dem Fehlen der Worte folgt aber auch ein enger Kontakt zwischen der Musik auf der einen und der Gestik, den Bewegungen der Personen und überhaupt dem Bühnengeschehen auf der anderen Seite. Die Musik übt für das Bühnengeschehen gleichsam die Rolle der fehlenden Worte aus. In der Vorrede zur „Semiramis" heißt es ausdrücklich: „La Vlusique est la Poesie des Ballets Pantomimes." Das Verhältnis zwischen Gestik und Musik ist als wechsel- seitige Abhängigkeit und ebenso als wechselseitige Bereicherung zu verstehen. Der Autor der Vorrede zum „Don Juan" betont dies, wenn er zunächst wohl von einem Primat der Sinnfälligkeit eines mit den Augen anstatt eines mit den Ohren gewonnenen Eindruckes spricht, dann aber ausführt: „La Musique est essentielle aux Pantomimes: c'est eile qui parle, nous ne faisons que les gestes." Die Auswirkungen und die Problematik dieses Verhältnisses liegen auf der Hand, es wird noch auf sie zurückzukommen sein. 3. Die neue Art des Tanzdramas bringt die Notwendigkeit eines knappen, aber intensiven Handlungsablaufes mit sich. Das heißt nun nicht, daß das Geschehen auf der Bühne nur abrißhaft dargestellt wird, im Gegenteil, das tatsächliche Geschehen wird sogar breit ausgesponnen; so ist etwa die Duell- szene zwischen Don Juan und dem Commendatore in Glucks Tanzdrama um vieles weitläufiger gestaltet als in den gleichzeitigen Opem des selben Sujets. Bestimmend für den intensiven Handlungsablauf ist vielmehr der Wegfall jeder Art von betrachtenden Partien. Gewisse Möglichkeiten zur tableauartigen Erweiterung der Handlung ergeben sich allerdings durch den Einbau von Nebenhandlungen oder durch den Einschub von Ballettszenen im herkömm- lichen Sinne. Angiolini, Calzabigi und Gluck setzen diese Mittel aber sparsam ein, und selbst Szenen wie die Ballszene im „Don Juan" sind nicht als will- kürliche Einschübe und bloßes Divertissement fürs Publikum gemeint, sondern erfüllen einen durchaus dramatischen Zweck. So kommen wir einem immer wieder als sehr wesentlich angesehenen Merkmal des musikdramatischen Stils Glucks näher: Gluck selbst sprach von der Wichtig- keit, bei der Komposition auf die dramaturgische Architektonik eines Stückes Bedacht zu nehmen. Im weiteren erfordert dies einerseits einen engen Anschluß an die jeweils speziellen dramaturgischen Verhältnisse in einem Stück, darüber- hinaus aber auch bestimmte kompositorische Techniken, um dieses drama- turgische Konzept mit Hilfe der Musik zu vermitteln. Unter diese von Gluck herangezogenen Techniken fallen mehr parataktische und mehr syntaktische; beide können sowohl auf die Anlage und die Spannungsverhältnisse im Großen gerichtet sein oder auf den Handlungsablauf im Detail abzielen. Zu den parataktischen Techniken gehört die des Chiaroscuro, die nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Oper des Settecento eine gewichtige Rolle spielt. Bei Gluck trifft sich die Technik des Chiaroscuro mit seinem Streben nach Vereinfachung und nach klaren, markanten Linien. Die damit erhöhte Bedeutung des Chiaroscuro spricht aus Glucks eigenen Worten. Im Vorwort zur „Alceste" heißt es: „... Und ich bin der Ansicht, daß das Musi- kalische die gleiche Aufgabe habe wie die vielen Farbwerte oder der Kontrast

20 von Licht und Schatten bei einer woihlgeformten und gegliederten Zeichnung, die die Gestalten beleben sollen ohn«e ihre Umrisse zu verändern."1® Das im Settecento beliebte Spiel mit Kontrasten erhält bei Gluck in auffällig hohem Maße ein Gewicht des Ethos. Es mag mit der bei ihm feststellbaren Tendenz zum Ritualen zusammenhängen, wenn der archetypische Gehalt des Gegensatzes von Licht und Schatten als Zeichen für das Gute und das Böse, das Strahlende und das Düstere, das Göttliche und das unterweltlich Chaotische stark hervor- tritt. Folglich ist das technische Mittel des Chiaroscuro auch gut geeignet, den Gedanken des Tragischen im Drama zur Wirkung kommen zu lassen. Der Autor der Vorrede zum „Don Juan" hebt besonders Glucks Fähigkeit hervor, das Schreckliche des Bühnengeschehens in Musik darzustellen: „II a saisi parfaitement le terrible de I'Action. II a täche d'exprimer les passions qui y jouent, & l'epouvante qui regne dans la catastrophe." An diese historisch erste Bewertung der Musik Glucks zum „Don Juan" möchte ich einige Bemer- kungen anknüpfen.

Das Interessante und für Gluck Spezifische — und in der Konsequenz der Anwendung tatsächlich Neuartige — liegt weniger in der Art der Darstellung des Schrecklichen und Chaotischen — dafür fand Gluck eine reiche Tradition vor —, als vielmehr in der Darstellung des Weges hin zur Katastrophe. Um den Verlauf hin zur Katastrophe musikalisch zu intensivieren, versteht es Gluck, die Chiaroscuro-Technik in zunehmendem Maße zu einem zielstrebigen Verlauf umzubiegen.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die umfangreichere Pariser Fassung des „Don Juan", gelten jedoch in den Hauptlinien auch für die knappere und frühere Regensburger bzw. Wiener Fassung.17 Zunächst stehen sich Freude und Ernst in unmittelbarem und scheinbar beziehungslosem Kontrast gegenüber: die Sphäre der leichtlebigen Freude in der Auftrittsnummer und in Don Juans Serenade, die Sphäre des Ernstes und des Todes in den das Duell zwischen Don Juan und dem Commendatore schildernden Nummern 3 bis 5. Ein wenig von der Hohlheit und Brüchigkeit der Lebensfreude Don Juans deutet Gluck erstmals am Schluß der Nr. 5, die zugleich den Beschluß der ersten Szene bildet, an. Nach dem Tode des Commen- datore — musikalisch durch verminderte Septakkorde, die in einem leeren Quint-Klang (Takt 41) enden, in üblicher Weise dargestellt — folgt unmittelbar Don Juans Abgang in einem munteren D-dur-Allegretto-Sätzchen, das in seiner Kürze vom vorangehenden, lang festgehaltenen Ausdruck des Schrecklichen über- schattet ist und durch diesen sich aufdrängenden Bezug frivol wirkt; unter der ungetrübten Munterkeit des Anfangs wird eine andere Basis spürbar. Die nun folgende Reihe von Entrees und Tänzen, die Nummern 7 bis 17, sieht Richard Engländer als eine „Einleitung zum Fest" Don Juans an. Sehr unter- schiedliche Deutungen, ja eine unverkennbare Ratlosigkeit riefen die in den Nummern 12 bis 17 enthaltenen Einschübe hervor, die in Affekt und un- symmetrischer Anlage deutlich von der Folge heiterer Tänze abstechen. Es ist nun weniger die Frage, ob man diese Einschübe als erstes Auftreten der Furien und Geister oder gar des Steinernen Gastes auffassen soll.18 Klar ist nur, daß in die Welt des Lichtes plötzlich bedrohliche Schatten fallen und so die Basis der Freude zum zweiten Male schwankend wird. Mit dem in Nr. 18 erfolgten Szenenwechsel zum Ball im Hause Don Juans greift Gluck wiederum starke Chiaroscuro-Effekte auf, um sie diesmal noch stärker hin zur drohenden Katastrophe zu wenden. Nach einer Reihe von Tänzen, die, wie

21 das „Grazioso" der Nr. 21, den Eindruck des gelöst Heiteren und Intimen erwecken, folgt mit unvermittelter Wucht der Auftritt des Steinemen Gastes in der Nr. 23 und zerschlägt das Trugbild der Freude gleichsam endgültig. Die Getrübtheit der Stimmung beim nachfolgenden Versuch einer Wieder- aufnahme des Balles schildert Gluck in dem nachträglich mit „Les Trembleurs" bezeichneten Stück Nr. 25 durch Tremolo-Effekte und durch die Unruhe der ständigen Forte-Piano-Wechsel. Von nun an nehmen die zum Teil aus der Tradition gut bekannten musikalischen Darstellungweisen des Schreckens, der Hybris und des Chaotischen überhand und münden in der breit ausgesponnenen Katastrophe Don Juans. Fassen wir zusammen: Das parataktische Verfahren des Chiaroscuro tritt am Anfang des Stückes und an den Szenenanfängen deutlich auf, wird aber mehr und mehr in die Syntaxe des sich zur Katastrophe hin entwickelnden Hand- lungsverlaufs eingespannt. Umgekehrt gesehen, gewinnt der syntaktische Hand- lungsverlauf durch den Chiaroscuro-Ansatz sehr viel an Spannung. Dieses Prinzip, zunächst scharfe Gegensätze aufzustellen und diese dann mehr und mehr in Beziehung zueinander zu bringen, wobei der eine oder andere der ursprünglichen Pole des Gegensatzes überhand nimmt, scheint mir für Glucks musikalische Dramatik bezeichnend zu sein. Ein Hinweis auf die Oper „Orfeo ed Euridice" möge genügen. Heinrich Bulthaupt findet in seiner bekannten, 1887 erschienenen „Dramaturgie der Oper" durchaus nicht nur anerkennende Worte für diese Oper Glucks. Uberschwenglich lobt Bult- haupt aber die Art, mit der Gluck in der Orkus-Szene die schrittweise Über- redung der Furien durch Orpheus zur Musik werden läßt.1® Gluck geht von einem Chiaroscuro-Kontrast aus und nähert die Musik der Furien in der Metrik und durch einen durchdachten Modulationsplan immer mehr der Musik des Orpheus an.20 Das musikalisch-dramaturgische Konzept der Orkus- Szene im „Orfeo" ist aber nichts Neues, sondern entspricht als Prinzip genau dem besprochenen Konzept im Tanzdrama „Don Juan". Andere geläufige Mittel, um im Drama Einheit zu schaffen, sind die Tonarten- disposition und die Wiederholung bestimmter Situationen. Die Tonartendis- position im „Don Juan" hat Robert Haas ausführlich behandelt.21 Für die Wiederholung bestimmter Situationen gilt wie für alle derartigen Mittel, daß sie nicht isoliert auftreten, vielmehr gewinnen sie durch den Zusammenhang mit der Chiaroscuro-Technik an innerer Spannung. Ein gutes Beispiel dafür bringt die Situation des Aufeinandertreffens von Don Juan und Commendatore: einerseits zu Beginn des Stückes in den Nummern 2 und 3 und dann in den Nummern 22 und 23. Gluck intensiviert dieses Gegenübertreten der beiden Gegenspieler durch den jeweils gleichen Gegensatz zwischen einem tanz- artigen Stück im %-Takt mit Siciliano-Rhythmik und scharf konturierten Sätzen im 2/4-Takt und in D-dur. Zur Einheit ebenso wie zur Charakterisierung tragen motivische Gemeinsam- keiten innerhalb eines Dramas bei. Ob das von Erich Schenk für Mozarts „Figaro" nachgewiesene Prinzip der „Typenvariation" auch bei Gluck seine Gültigkeit hat, wurde noch nicht untersucht.82 Für das Tanzdrama „Don Juan" hat Robert Haas eine größere Zahl von motivischen Entsprechungen festgestellt, die jedoch weniger zur Personen- als zur Situationscharakteristik beitragen. Ζ. T. sind es typische motivische Wendungen, ζ. T. harmonische Fortschreitungen oder rhythmische Modelle, die besonders zwischen jenen Nummern Einheit schaffen, die ihrem dramatischen Sinne nach zusammenge-

22 hören, wie die das Duell schildernden Nummern 3 bis 5 oder die im Ausdruck düsteren Einschübe in der Tanzreihe Nr. 12 bis 17. Der Anteil an Rückgriffen auf traditionelle Affektträger — ζ. B. Satzweisen wie den stile concitato oder Figuren wie den Quartfall oder weite Sprünge u. ä. — ist in diesen Fällen von Gemeinsamkeiten überdurchschnittlich hoch. Der enge Anschluß der Musik an das Drama und die daraus hervorgehende deutende Aussage der Musik zeigen sich im dramaturgisch planenden Bereich, ebenso aber in der Wande'barkeit des musikalischen Verlaufs im Detail. Ein Beispiel dafür gibt schon die einleitende Sinfonia. Obwohl in klarer dreiteiliger Form Α Β Α angelegt, bietet sie doch eine Fülle von Wandelbarkeit und Chiaroscuro auf engem Raum: in rhythmischen Gegensätzen, in Gegensätzen zwischen Tonrepetition und Skalenläufen, Dur und Moll, Imitationen und Unisono-Fiihrungen und im Affekt. Diese Wandelbarkeit setzt sich, mit Aus- nahme und in Kontrast zu den reinen Tanzstücken, in vielen Nummern fort. Beim Gegen übertreten von Personen konkretisiert sich die Aussage der Musik manchmal recht weitgehend, ζ. B. bei Quasi-Dialogen zwischen Don Juan und dem Commendatore (bzw. dem Steinernen Gast) oder Don Juan und seinem Diener in der Friedhofszene, jedoch nur solange, als die Personen von gegen- sätzlichen Affekten erfüllt sind. Dagegen wird in der Musik zum Duell erst am Schluß beim Tode des Commendatore und beim heiteren Abgang Don Juans zwischen den beiden Rivalen in der Musik deutlich unterschieden.

Abgesehen von wenigen zur Eindeutigkeit zugespitzten Stellen treten große Schwierigkeiten bei den immer wieder unternommenen Versuchen auf, ein bestimmtes Geschehen oder gar eine bestimmte Geste zweifelsfrei aus der Musik herauszulesen, um auf diesem Wege etwa präzise choreographische Anweisungen zu erhalten. Hier bleibt nur eine Lösung: doch mit einem gewissen Maß an Mehrdeutigkeit zu rechnen, die in der prinzipiell höheren Abstraktions- ebene der Musik und im Anspruch, mehr als bloße Illustration zu bieten, begründet liegt. Wichtiger erscheint die Feststellung, daß Gluck bereits in seinem Tanzdrama „Don Juan" von der starren Anlage in geschlossenen Abschnitten aus zu einer dramatischen Zielstrebigkeit des musikalischen Verlaufs bis ins Detail hinein vorstößt. Durch die in ihren Mitteln insgesamt eher konventionelle Affektdarstellung und durch den breiten Rahmen, den — zumindest in der Pariser Fassung — die Tanzsätze einnehmen, bleibt im „Don Juan" ein Gesamthabitus des Gefälligen noch oberflächlich erhalten. Entschieden radikaler, was die Kühnheit der gefundenen Mittel und die Beschneidung wie ausdrucks- hafte Intensivierung der Form anlangt, geht Gluck in seiner „Semiramis" vor, einem großartigen Werk, vermutlich Glucks bedingungslosestem, radikalstem Vorstoß zu einer unbemäntelten Darstellung tragischer Leidenschaften. Ein Werk, bei dem man nur mit Mühe die müßige Frage unterdrückt, welchen Weg Gluck gegangen wäre, wenn er den 1765 in der „Semiramis" erreichten Stand in seiner Opernkomposition weiterverfolgt hätte. Müßig allein schon deshalb, weil die Radikalität einer Gestaltung wie in der „Semiramis" bereits wieder eine Auflösung der Opernreform bedeutet hätte.

EINBANDDECKEN für den Jahrgang 1973 der Österreichischen Musik- zeitschrift können zum Preis von S 32.— beim Verlag bestellt werden.

23 Anmerkungen:

I In: Allgemeine Musikalische Zeitung, 25. Jg. (1823), S. 463. ' Valerian Tomius: Artikel „Dramatisch und theatralisch", in: Goethe-Handbuch, Bd. 1, Stuttgart 1916, S. 428 f. • Harald Kaufmann: Anmerkungen zu Gluck, in: Spurlinien. Analytische Aufsätze über Sprache und Musik, Wien 1969, S. 48. 4 Arnold Schering: Carl Philipp Emanuel Bach und das „redende Prinzip" in der Musik, in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für 1938, S. 13 ff. s H. Kaufmann, a. a. O., S. 59. • H. Kaufmann, a. a. O., S. 47. 7 Gernot Gruber: Musikalische Rhetorik und barocke Bildlichkeit in Kompositionen des jungen Havdn, in: Der junge Haydn. Wandel von Musikauffassung und Musik- aufführung in der österreichischen Musik zwischen Barock und Klassik. Graz 1972, S. 187. 8 Daniel Heartz: From Garrick to Gluck: The Reform of Theatre and Opera in the mid-Eighteenth Century, in: Proceedings of the Roval Musical Association, Vol. 94 (1967/68), S. 126. • D. Heartz, a. a. O., S. Ill ff. 10 Alfred Einstein: Gluck. Sein Leben — seine Werke, Zürich u. Stuttgart 1954, S. 91. II Frau Friderika Derra de Moroda hat in einem Referat, das sie im Rahmen des Gluck-Kongresses in Siena hielt, auf die bis weit ins 17. Jahrhundert zurückreichende Tradition, in der diese programmatischen Erklärungen stehen, hingewiesen. " Eine umfassende Darstellung der Parodie aus Glucks Tanzdramen bietet Klaus Hortschansky: Parodie und Entlehnung im Schaffen Christoph Willibald Glucks, phil. Diss., Kiel 1966, S. 95 ff. u. ö. " Gerhard Croll: Ein unbekanntes tragisches Ballett von Gluck, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Bd. 109 (1969), Salzburg 1970, S. 275 ff. 14 Vgl. dagegen Kl. Hortschansky, a. a. O., S. 96 f. 15 Vgl. Richard Engländer: Vorwort zu Chr. W. Gluck, Sämtliche Werke, Abt. II, Bd. 1, Don Juan / Semiramis, Kassel etc. 1966, S. XX f.; Jan van der Veen: Le melodrame musical de Rousseau au Romantisme, La Have 1955. 19 Siehe Rudolf Cerber: Christoph Willibald Gluck. Potsdam 1950, S. 210. 17 Richard Engländer hat das Verhältnis der beiden Fassungen zueinander aus- führlich diskutiert (a.a.O., S. XII ff.); einen Zweifel an der Authentizität der Pariser Fassung unterdrückt er. Der zahlenmäßig beträchtliche Einschub von Tanzsätzen, der der Idee und dem vorgesehenen Umfang eines Gluckschen Tanzdramas wider- spricht, mag einen solchen Zweifel nähren, andererseits ist nicht zu übersehen, daß über diese Tanzsätze hinaus auch dramatisch bedeutungsvolle Erweiterungen und Einschübe erfolgten. Es handelt sich bei der Pariser Fassung zweifellos um eine Annäherung an den französischen Ballett-Geschmack, eine völlige Preisgabe des Gluckschen Konzeptes ist aber — abgesehen vom Umfang — nicht festzustellen. 18 Vgl. R. Engländer, a.a.O., S. XIII. " Heinrich Bulthaupt: Dramaturgie der Oper, Bd. 1, Leipzig 1887, S. 30. Dieses Lob wurde schließlich zu einer Pflichtübung für die Gluck-Literatur. ä0 Eingehend beschrieben und interpretiert wurde dieser Vorgang von H. Kaufmann, a. a. O., S. 50 ff. 21 Robert Haas: Die Wiener Ballett-Pantomime im 18. Jahrhundert und Glucks Don Juan, in: Studien zur Musikwissenschaft, Bd. 10 (1923). 24 Erich Schenk: Zur Tonsymbolik in Mozarts „Figaro", in: Neues Mozart-Jahrbuch Jg. 1 (1941).

24 Emst Hdntermaier

Anläßlich der Vorbereitungen zur Bibliotheksausstellung der Internationalen Stiftuni; Mozarteum in Salzbure wurde der Verfasser in freundlicher Weise von Rudolph Angermüller auf ein Werk Domenico Fischiettis aufmerksam gemacht, das sich im Besitz der Internationalen Stiftung Mozarteum befindet. Dieses Werk und seine Be- ziehung zu Mozarts ..II ri· pastore" soll Gegenstand der folgenden Mitteilung sein. Zuvor jedoch einige kurze Bemerkungen zur Person Domenico Fischiettis:1 Domenico Fischietti. um 1725 in Neapel geboren. war unter Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo am Salzburger Fürstenhof in den Jahren 1772 bis 1775 als Hof- kanellmeister angestellt, nachdem er sich in Venedig und Dresden den Ruf eines erfolgreichen Opernkomnonisten gesichert hatte. Von seinen Opern (nach Texten Goldonis) erreichten „Lo speziale". ,.L:i ritoniata di Londra", ..II mercato di Malmantile" und ..II signor dottore" die größten Publikumserfolge. Uber Fischiettis musikalisch-schöpferische Tätigkeit in Salzburg war bislang wenig bekannt. Mehrere erhaltene kirchenmusikalisohe Kompositionen, die das Salzburger Dommusikarchiv verwahrt und worunter sich wahrscheinlich auch die Probemesse befindet, die er dem Erzbischof anläßlich seiner Anstellung vorlegen mnßte. deuten auf seine Tätigkeit als Leiter der Dommusik hin. Neben der Kirchenmusik oblag ihm aber auch die Leitung der „Hof- und Theatral-Musique". Sicherlich dürfte Fischietti mehrere, uns jedoch nicht bekannte Werke für die fürsterzbischöfliehen Abendmusiken geschrieben haben. Ob er sich aber auch als Ooernkomponist betätigte und neue Opern in Salzburg zur Aufführung brachte, diese Frage konnte bis jetzt nicht beant- wortet werden. Durch das Auffinden von zwei bis heute unbekannt gebliebenen dramatischen Werken können nun neue — und wie wir sehen werden höchst interessante — Forschungs- ergebnisse beigebracht werden. Beim ersten Fund handelt es sich um das Libretto einer „opera drammatica". die im Jahre 1773 im Hoftheater zur Aufführung gelangte. Der Titel lautet: ..Talestri regina delle Amazzoni". Leider ist die Musik dazu verlorengegangen.5 Dabei dürfte es sich um jene „närrische opera" gehandelt haben, über die W. A. Mozart am F>. 12. 1772 aus Mailand an seine Mutter schrieb: ..der fischietti wird wohl bald an- fangen an seiner opera buffa /: auf Teutsch :/ an seiner närrischen opera zu arbeiten."' Der zweite, weitaus interessantere Fund ist Rudolph Angermüller zu danken. Es handelt sich dabei um eine in goldverziertem Ledereinband gebundene handschrift- liche Partitur, deren Titelblatt folgendermaßen lautet: „GLI ORTI ESPERIDI. / Serenata / a 5. Voci. / Del Sigre Domenico Fischetti [!] / Maestro di Capella."4 Bei der ersten Durchsicht fiel sofort auf, daß die Partitur Salzburger Provenienz ist bzw. von einem hierorts gut belegten Berufskopisten, der auch für die Familie Mozart tätig war, geschrieben wurde.5 Wie und wann® sie in den Besitz des im Jahre 1841 gegründeten ..Dommusikverein u. Mozarteum" gelangte, wissen wir nicht. Das Libretto, das Fischietti in einer zwar gekürzten, ansonsten aber wortgetreuen Fassung für seine „Serenata" verwendete, stammt von . Auffallend ist, daß Fischietti eine nicht oft vertonte, frühe Dichtung des Librettisten Metastasio aus- wählte. Metastasio schrieb seine „Azione teatrale" in Neapel im Jahre 1721 und widmete sie Maria Spinola Borghese. Die erste Aufführung mit der Musik von Nicola Porpora fand am 28. 4. 1721 in Neapel statt.7

Die Akteure der Oper sind Venere (Venus), Marte (Mars), Adone (Adonis), Egle una delle Esperidi, amante di Palemone, nume marino. Die Szene spielt in den Gärten der Hesperiden am Strande des Äthiopischen Meeres. Der kurzgefaßte Inhalt des ersten Teils: Venus hat Adonis zum Garten der Hesperiden gebracht, um dort mit ihm vor den Nachstellungen des Mars sicher zu sein. Egle erscheint und leistet Adonis Gesellschaft, während Venus in den Gärten der Hesperiden Äpfel pflückt, wobei sie niemand begleiten darf. Egle erzählt nun von ihrer eigenen Liebe, da erscheint Mars. Der erschrockene Adonis gibt vor, Elmiro zu sein, der

25 Liebhaber der Egle. Palemone, ein Meeresgott und der wirkliche Geliebte der Eule, belauscht dies und ist wütend. Mars beruhigt sich und läßt die „Liebenden" allein. Der zurückgekehrten Venus berichtet Adonis nun das Geschehene; Venus fürchtet um sein Leben, Adonis fürchtet, daß Venus ihm untreu werden könnte. Der Inhalt des zweiten Teils: Mars berichtet dem vermeintlichen Elmiro (Adonis) von seiner Liebe zu Venus und äußert Argwohn, von ihr hintergangen zu werden. Adonis beruhigt ihn jedoch. Egle nähert sich nun Palemone, doch dieser will nichts von ihr wissen. Sie versucht ihn von der Wahrheit zu überzeugen, was ihr aber erst gelingt, als die beiden ein Gespräch zwischen Venus und Adonis belauschen, in dein diese sich erneut ihrer Liebe versichern. Auch Mars läßt sich schließlich von Venus besänftigen, so daß einem „lieto fine" nichts mehr im Wege steht. Soviel ühi-r du· Textvorlage.

Für die zeitliche Einordnung des undatierten Werkes in das onerndramati.sche Schaffen Fischiettis ergibt sich nun eine interessante Möglichkeit, die den eigent- lichen Anstoß zu dieser Studie gab. Man weiß ans dem Tagebuch des Mozart-Freundes Schiedenhofen,H daß am 22. 4. J775 am Salzburger Hof eine ..Serenada . . . vom Sigr. Fischietti war, zu welc^"r der Castrat Consoli. und Flautraversiste Becke von München beschrieben worden", und daß am 23. 4. 1775. also am nächsten Tag. eine ..Serenada" zur Aufführung gelangte, „die von dem jungen Mozart verfertiget wurde". Von Mozarts „Serenada" weiß man, daß es sich um seinen „II re pastore" han- delte. Anlaß zu diesen für Salzburger Verhältnisse imposanten theatralischen Darbietungen gab der Besuch des jüngsten Sohns der Kaiserin Maria Theresia und des nach- maligen Erzb'schofs von Köln, Erzherzog Maximilian. In seinem Reise-loumal le;en wir unterm 23. April: „Sonntag den 23' . . . Uebrigens wurde der Abend wie vorigen Taues wiederum mit einem Musique-Concert und Nachtmahl im Palast beschlossen, und in Ansehung des Concertes in deme der Unterschied zur Abwechslung gemacht, daß. wie für den vorhergehenden Tag der bekannte Kapelmeister Fischietti — also für diesen Abend der nicht minder berühmte Mozart zu der abgesungenen Cantate die Musique verfasset hatte."* Wie der Titel der „Serenada" Fischiettis lautete, geht leider aus keiner zeitgenössischen Quelle hervor. In der Folge sollen nun all jene Gründe dargelegt werden, die uns zu der Annahme veranlaßten, daß es sich bei jener „Serenada", die am Samstag, dem 22. 4. 1775. zur Aufführung gelangte, um Fischiettis „Gli orti Esperidi" gehandelt hat. Vergleicht man die zeitgenössischen Berichte über das Stück mit den Angaben, die das Titelblatt der aufgefundenen Partitur gibt, so ist festzustellen, daß es sich bei beiden um eine „Serenata" handelt. Da nun Mozarts „II re paslore" von Schieden- hofen als „Serenada" bezeichnet wurde, darf man annehmen, daß mit Fischiettis „Serenada" ebenfalls ein opernhaftes Werk gemeint war. Maximilians Reise-Journal weiß von einer „abgesungenen Cantate" zu berichten. Eine terminologische Fest- legung des Wortes „Serenade" im damaligen Sprachgebrauch gibt es nicht; ..Serenada" konnte Abendmusik, Ständchen, Festmusik, Kantate oder Oper bedeuten. Daß Fischietti für diese Festlichkeiten ein größeres dramatisches Werk Replant hat, geht aus einem Brief Leonold Mozarts an seine Frau hervor. Leopold Mozart, der mit seinem Sohn am 6. 12. 1774 nach München zur Vorbereitung der Aufführung von „La finta giardinWa" abgereist war. schrieb am 17. 12. 1774: „H: Fischietti hat gut gethann sich bald etwas zu wählen, damit er bald anfangen Wann. Wenn du ihn siehest kannst Du ihm ein Compliment von uns melden. Wir haben noch nicht daran gedacht etwas auszusuchen, dazu ist noch zeit genug."10 Den erz- bischöflichen Auftrag, für den bevorstehenden hohen Besuch im Aoril 1775 zwei ODern zu schreiben, dürften Fischietti und Mozart also bereits vor d»m 6. Dezember 1774 erhalten haben. Weiters geht hervor, daß Fischietti allem Anschein nach schon im Dezember die Wahl des Librettos getroffen und vielleicht auch bereits mit der Komposition begonnen hatte. Wann Mozart sich bezüglich des Librettos im klaren war und wann er die Komposition begann, wissen wir nicht; vermutlich erst nach der Rückkehr nach Salzburg, wo er am 7. 3. 1775 wieder eintraf. Erbringen die bisher angeführten Argumente sicherlich noch nicht den Beweis, daß es sich bei Fischiettis „Gli orti Esperidi" um jene „Serenada" am 22. 4. 1775 handelte, so dürften die nun folgenden Vergleiche zwischen beiden „Serenaden" eine Bestä-

26 tigung unserer Annahme ergeben. Vergleicht man nämlich die Anzahl und die Stimmlage der Ausführenden in beiden Werken, so ergibt sich eine sicherlich nicht zufällige Ubereinstimmung:

„Gli orti Esperidi" „II re pastore" Venere — Sopran Alessandro — Tenor Marte — Tenor Aminta — Sopran (Kastrat) Adone — Sopran (Kastrat) Elisa — Sopran Egle — Sopran Tamiri — Sopran Palemone — Tenor Agenore — Tenor Also: je ein Kastrat, zwei Soprane und zwtii Tenöre."

Aus Schiedenhofens Tagebuch wissen wir, daß der Kastrat Tommaso Consoli. der kurz zuvor in Mozarts „La finta giardiniera" den Ramiro sang, und der Flötist Johann Bantist Becke aus München extra für diese Festaufführungen herbeigeholt wurden. Wahrscheinlich besorgte Leopold Mozart die Einladung beider Musiker nach Salzburg,12 wo man damals noch keinen Kastraten zur Verfügung hatte." Die Tatsache, daß in beiden Werken eine Kastratenrolle vorkommt, wäre ein erster Beweisaspekt. Aber viel bedeutsamer ist das Vorhandensein einer Kastratenrolle in Fischiettis Werk. Da man zur Zeit von Fischiettis Aufenthalt in Salzburg (1772 bis 1775) über keinen einsatzfähigen Kastraten verfügte, war man also auf geladene Cäste angewiesen. Soweit iedoch heute ersichtlich ist, erging eine solche Einladung in der Zeitspanne von 1772 bis 1775 nur an Tommaso Consoli. Demnach wäre die Aufführung von Fischiettis Werk nur am 22. 4. 1775 möglich gewesen. Ein weiterer Punkt in der Beweisführung ist der Flötist Becke, der laut Schieden- hofens Tagebuch ebenfalls in Fischiettis „Serenada" mitgewirkt haben soll. Man hat sich also zu fragen, ob irgendeine solistische Verwendung der Flöte in Fischiettis ..Gli orti Esperidi" vorkommt, wie etwa in Mozarts „II re pastore" (vgl. Arien Nr. 1, 9, 10). Dies ist in einer Arie der Fall, wenn auch nicht in einer so virtuosen Verwendung wie bei Mozart. Die Arie des Adone (Nr. 7) „Giusto Amor, tu che mi accendi" weist in der Besetzung neben Streichern und zwei Hörnern zwei Flöten auf. Gehen wir nun abschließend der Frage nach, ob in Hinblick auf das bisher Gesagte von einer Konfrontation zwischen Mozart und Fischietti die Rede sein kann, mag folgendes festgehalten werden. Erzherzog Maximilian machte unter dem Eindruck von Mozarts „II re pastore" jene bereits oben zitierte Notiz in seinem Reise-Journal, wo er beide Komponisten folgender- maßen klassifiziert: ,.. .. der bekannte Kapelmeister Fischietti — ... der nicht minder berühmte Mozart .. ." und hiezu bemerkt: es wäre „der Unterschied zur Abwechslung gemacht" worden. Deuten diese Bemerkungen nicht auf eine Konfrontation hin? Schon einmal hat es in Mozarts Leben eine ähnliche Situation gegeben. Im Oktober 1771, anläßlich der Aufführung von Mozarts „Ascanio in Alba" und J. A. Hasses „Ruggiero" in Mailand, schreibt Leopold Mozart: „Alle Cavalier und andere Leute reden uns beständig auf der Strassen an, dem Wolfe: zu gratulieren. Kurz! mir ist Leid, die Serenata des Wolfg: hat die opera von Haße so niedergeschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann."14 Stellt man nun der positiven Einstellung Erzbischofs Hieronymus zu seinen italieni- schen Musikern die ablehnende Haltung der Mozarts gegenüber den Italienern ent- gegen, so mag die Annahme berechtigt erscheinen, daß damals eine Konfrontation zwischen Fischietti und W. A. Mozart stattgefunden hat. Sicherlich war W. A. Mozart bemüht, seine Stellung am Hofe zu verbessern bzw. seinen Fähigkeiten entsprechend bewertet zu werden. Die sich damals bietende Gelegenheit war auch besonders günstig, da Fischietti die Absicht hatte, nach Neapel zu gehen.15 Daß Mozart die Chance nutzte, dem Erzbischof mit seinem „II re pastore" zu beweisen, daß nicht nur Italiener, sondern auch Einheimische zu solchen Leistungen fähig sind, darf wohl angenommen werden. Der Erzbischof war iedoch nicht bereit, die Mozartsche Leitung in irgendeiner Form besonders zu würdigen, da er diese wohl als Pflicht- aufgabe ansah. Der Rahmen dieser kurzen Mitteilung würde jedoch gesprengt werden, ginge man nun hier musikalischen Detailfragen in beiden Werken nach. Dies wird Aufgabe einer gesonderten Studie sein, wobei das gesamte musikalische Schaffen Fischiettis während seiner Salzburgischen Anstellung mitberücksichtigt werden soll.

27 Anmerkungen:

1 Vgl. dazu: Richard Engländer, Domenico Fischietti als Buffokomponist in Dresden, in: ZfMw 2 (1919/20), S. 321—352, 399-422. Emst Hintermaier, Die Salzburger Hofkapelle von 1700 bis 1806. Organisation und Personal. Phil. Diss. Salzburg 1972 (masch.). TALESTRI / REGINA / DELLE AMAZZONI. ' OPERA DRAMMATICA DI E[rmelinda] T[alea] P[astorella] A[rcada] [= Maria Antonia Walpurgis, Prinzessin von Sachsen] ' DA RAPPRESANTARSI ' IN" CORTE PER COMANDO DI S. A. R. L'ARCIVESCOVO Ε / PRENCIPE DI SALISBURGO etc. etc. / LA MUSICA Ε DEL CELEBRE/ SIGNOR DOMENICO FISCHIETTI NAPO- LITANO. ATTUAL MAESTRO DI / CAPELLA DELLA PREFATA S.A.R. SALISBURGO. Nella Stamperia di Corte 1773. (Fundort: Salzburg, Konsistorialarchiv — Bibl. Lahn- steiner.) ' Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe. Hrsg. v. d. Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Ges. u. erl. von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch. (Auf Grund deren Vorarbeiten erl. v. Joseph Heinz Eibl.) Bd. 1—6. Kassel usw. 1962—1971. Bd. 1, S. 466. ' (2),310,(2) S.; lOzeiliges Notenpapier; qu4°: alte Signatur: 1. auf der Titelseite oben Mitte: Gesang: Mus: No. 190. — 2. am Bandrücken Etikett: V 4. — 3. am Ein- banddeckel außen Etikett: Internationale Stiftung ' Mozarteum. Β 2 100 'Salzburg; 167 Besitzvermerk: auf der Titelseite Ovalstempel: DOM = MUSIKVEREIN U. / MOZARTEUM; 2. ebd. Ovalstempel: INTERNATIONALE ' STIFTUNG ' MOZAR- TEUM /1881. 5 Schmid: Schreiber 8, Senn: Kopist A; vgl. dazu: Manfred Hermann Sehmid. Die Musikaliensammlung der Erzabtei St. Peter in Salzburg. Katalog. Erster Teil. Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph und Michael Havdn. Mit einer Einführung in die Geschichte der Sammlung. Salzburg 1970. (Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum. 3/4. Publikationen des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Salzburg. 1.) S. 27—28. Walter Senn, Die Mozart-Uberlieferung im Stift Heilig Kreuz zu Augsburg, in: Neues Augsburger Mozartbuch. Zeitschrift des Hdst. Vereins für Schwaben. Bd. 62'63. Hrsg. v. Heinz F. Deininger. Augsburg 1962. S. 333—395. 6 Aufgrund der ersten alten Signatur (Gesang: Mus: No. 109.) könnte der Ankauf oder die Schenkung in die Jahre um 1850 fallen. Leider stand mir das für eine genaue Feststellung notwendige „Repertorium über die musikalische Bibliothek des Dom- musikverein und Mozarteum" nicht zur Verfügung. 7 Pietro Metastasio, Tutte le opere, a cura di Bruno Bruneiii. Bd. 2. 2. Aufl. (Verona) 1965. S. 89—110, 1312. 9 Otto Erich Deutsch (Hrsg.), Aus Schiedenhofens Tagebuch, in: Mozart-Jahrbuch 1957. Salzburg 1958. S. 15 ff. • Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Ges. u. erl. v. Otto Erich Deutsch. Kassel usw. 1961. (Neue Mozart-Ausgabe. X/34.) S. 137. "> Mozart / Briefe 1/507 f. " Mögliche Besetzung: Sopran, Kastrat Tommaso Consoli (sicher!) — Maria Magda- lena Haydn, geb. Lipp — Maria Anna Adlgasser, geb. Fesemayr; Tenor, Franz Anton Spitzeder und Felix Hofstätter. 1S Vgl. Rechnung des General-Einnehmeramtes vom 15. 5. 1775 (Mozart / Doku- mente, S. 138) und Schiedenhofens Tagebuch (a. a. O.) vom 19. 4. 1775. 18 Der Kastrat Francesco Ceccarelli wurde erst am 1. 11. 1777 am Salzburger Hof angestellt. Der noch vorhandene Kastrat Andreas Unterkofler war bereits 69 Jahre- alt und somit nicht mehr einsatzfähig. 14 Mozart / Briefe 1/444. 15 Mozart / Briefe 1/523.

28 ZUR BIBLIOTHEKS-AUSSTELLUNG DER INTERNATIONALEN STIFTUNG MOZARTEUM Rudolph Angermüller

Die Internationale Stiftung Mozarteum, Salzburg, veranstaltet vom 27. Jänner bis 10. Februar 1974 in Mozarts Geburtshaus eine Ausstellung aus ihren Bibliotheks- beständen. Die Bibliothek, die reich an Musikalien und Theoretica des 18. und 19. Jahrhunderts ist und wohl die größte Bibliotheca Mozartiana der Welt enthält, tritt mit dieser Ausstellung zum ersten Mal aus ihrer Studierstube an die Öffent- lichkeit. Die Anfänge der Bibliothek gehen auf das Jahr 18-12 zurück. Ein Jahr vorher, am 22. April 1841, wurde in Salzburg der „ϋυιη-Musik-Verein und Mozarteum" aus der Taufe gehoben. Der Verein hatte sich, da die öffentliche Musikpflege in Salzburg seit der Säkularisation fast zum Erliegen gekommen war, zur Autgabe gemacht, die Musik und den Musikunterricht in Mozarts Geburtsstadt neu zu beleben. Der Sekretär dieses Vereines, Franz Edler von Hilleprandt, faßte 1844 die Aufgaben und Ziele des jungen Vereins so zusammen: „In der Vaterstadt Mozarts hat sich ein Verein gebildet, welcher eine musikalische Lehranstalt unter dem Namen Mozarteum gegründet hat. Dieser Verein besorget den Unterricht der Jugend in der edlen Kunst, er gewähret dem Kunstfreunde die Gelegenheit sich in derselben zu üben und größere klassische Musikwerke theils selbst vorzutragen, theils vortragen zu hören, er unterstützet Kunstjünger durch Stipendien, er stellet Künstler und Musiklehrer mit fixen Besoldungen an, und sorgt dadurch für den Unterhalt der Künstler und für die stete Erhaltung und Veredlung der Kunst, endlich ertheilet er, in so ferne als die pekuniären Verhältnisse desselben erlauben, an, um das Mozarteum verdiente Künstler ihre Wittwen und Waisen Unter- stützungen, im Falle als dieselben durch Unglücksfälle erwerblos werden. Der Verein besorget zugleich die zum christkatholischen Kultus erforderliche Kirchen- musik im Dome zu Salzburg als seinem ersten und vorzüglichsten wirklichen unter- stützenden Mitgliede und in andern Kirchen, welche mit demselben in Kontrakts- verhältnisse tratten, und sorgt dafür, daß die Kirchenmusik auf eine Weise abgehalten werde, daß sie den Geist der Christen zur Andacht stimmt, erbauet und jene Gefühle erwecket, welche der heiligen Handlung, welche mit Musik begleitet wird, und dem vorzutragenden Texte entsprechen, kurz zur Ehre Gottes gereiche. Der Verein besorget auch Concerte, bey welchen durch Vortragung von klassischen Musikwerken auf Bildung und Veredlung des wahren musikalischen Geschmackes hingewirkt wird." Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, mußte eine Bibliothek geschaffen werden, die Musikalien geistlicher und weltlicher Art sowie Theoretica enthielt. Seit 1842 hat der erste Archivar und Registrator des „Dom-Musik-Verein und Mozarteum", Franz Xaver Jelinek (1818—1880), alle Werke, die der Verein ankaufte oder geschenkt bekam, in ein „Repertorium über die musikalische Bibliothek des Dom-Musik-Vereins und Mozarteums" eingetragen. Den Urbestand der Bibliothek teilte Jelinek in 8 Gruppen ein:

1. Kirchen-Musikalien, 2. Konzert-Musikalien, 3. Gesangs-Musikalien, 4. Klavier-Musikalien, 5. Quartett-Musikalien, 6. Harmonie-Musikalien, 7. Schul-Musikalien, 8. Bücher-Register.

Bereits 1842 verfügte der Verein über ca. 200 Musikalien. Bis zur Gründung der Internationalen Stiftung Mozarteum am 20. September 1880 zählte der „Dom- Musik-Verein und Mozarteum" mehr als 3000 Titel zu seinen Beständen. Zu dieser stattlichen Musikbibliothek konnte es kommen, weil zahlreiche Spender aus dem In- und Ausland den Verein förderten und unterstützten. Zu den zahlreichen Spen-

29 dem zählten u. a. Constanze Nissen verw. Mozart, die Salzburger Fürsterzbischöfe, Aloys fuchs, die Verleger Breitkopf & Härtel, Dialbelli, Haslinger, Artaria, Andre, die Komponisten Spohr und Nicolai. 1844 verfügte Franz Xaver Mozart (genannt W. A. Mozart, Sohn), daß „seine ganze Bibliothek dem Mozarteum als bleibendes Denkmal seines Vaters ausgefolgt werden sollte". 1757/58 kam der Nachlaß von Carl Mozart, dem zweiten Sohn W. A. Mozarts, an den „Dom-Musik-Verein und Mozarteum". Am 16. Oktober 1870 kam es zur Cründung der „Internationalen Mozart-Stiftung". Im Jahre 1875 begannen Breit- kopf & Härtel in Leipzig damit, die (alte) Mozart-Ausgabe im Auftrage dieser Stiftung vorzulegen. Als der Fürsterzbischof von Salzburg, Dr. Franz Albert Eder, als Protektor und namens der Domkirche am 11. Juli 1880 seinen Austritt aus dem „Dom-Musik- Verein und Mozarteum" erklärt hatte, kam es am 20. September 1880 zur Gründung der Internationalen Stiftung Mozarteum. Die Bestände des „Dom-Musik-Verein und .Mozarteum" wurden nun so geteilt, daß die weltlichen Werke in erster Linie an die Internationale Stiftung Mozarteum kamen, die geistliohen im Dommusikarchiv ver- bleiben sollten. Dieser geschichtliche Hintergrund ist zu berücksichtigen, wenn der von 1842 bis 1880 gesammelte Bestand heute in der Internationalen Stiftung Mozarteum u η d im Archiv des Salzburger Domchores aufbewahrt wird. Interessant ist ein Beschluß über Bibliotheksanschaffungen, der im 32. Jahresbericht der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg 1913, abgedruckt wurde: „In die Bibliothek sollen in möglichster Vollständigkeit alle literarischen Erzeugnisse, die sich mit der Person und dem Schaffen W. A. Mozarts und seiner Familie befassen, aufgenommen werden. Werke über die Vorklassiker, die Klassiker, die klassischen Romantiker, die italienischen Klassiker und solche Musiker, die sich im Sinne und der Auffassung der klassischen Schulen anpassen, dürfen mit aufgenommen werden. Schriften über Zukunfts- und moderne Musiker können als Spenden aufgenommen werden und sind als solche Schriften separat aufzubewahren. Gleichzeitig wird ausdrücklich festgesetzt, daß für alle zukünftigen Zeiten eine Ab- änderung dieser Bestimmungen als mit dem Geiste und Zwecke dieser Bibliotheka Mozartiana, unzulässig ist und daher nie erfolgen soll."

Heute verwahrt die Bibliothek der Internationalen Stiftung Mozarteum folgende Sammlungen: 1. Musik- und Briefautographe W. A. Mozarts, 2. Autographe Briefe der Familie Mozart (Leopold, Maria Anna, Constanze, Franz Xaver Mozart, Carl Mozart), 3. Musik- und Briefautographe verschiedener Komponisten, vornehmlich des 18. und 19. Jahrhunderts, 4. Zeitgenössische Kopien der Werke W. A. Mozarts, 5. Erst- und Frühdrucke der Werke W. A. Mozarts, 6. Zeitgenössische Kopien von Komponisten, vornehmlich des 18. und 19. Jahr- hunderts, 7. Gesamtausgaben, 8. Eine spezielle Bibliotheca Mozartiana mit ca. 4000 Titeln (ca. 8000 Titel Mozart- Literatur sind von Otto Schneider, Wien, und Rudolph Angermüller, Salzburg, katalog- mäßig nachgewiesen worden; die fehlenden Titel gilt es nooh zu beschaffen), 9. Zeitschritten des 19. und 20. Jahrhunderts, 10. Allgemeine musikwissenschaftliche Literatur, 11. Eine allgemeine Schulbibliothek (Bücher, Orchestermaterial, Partituren, Klavier- auszüge).

Die Ausstellungsstücke sind nicht allein auf W. A. Mozart begrenzt. Es war vielmehr bei der Auswahl der Exponate mein Bestreben, einen Uberblick über alle Sammlungen der Bibliothek zu geben. Die Ausstellungsstücke können in folgende Gruppen zu- sammengefaßt werden: 1. Theoretica des 18. und frühen 19. Jahrhunderts (u. a. Johann Baptist Sambers Continuatio ad manuductionem organicum, Salzburg 1707), 2. Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts (u. a. eine der ersten deutschen Uber- setzungen von Pierre-Augustin-Caron de Beaumarchais' „Le Manage de Figaro"),

30 3. Kornpositionen von Franz Xaver Mozart (u. a. das Autograph einer Arie zur Ein- schaltung in den „Schauspieldirektor" KV 486 seines Vaters), 4. Erstdrucke von (NB. Die Bibliothek der Internationalen Stiftung Mozarteum besitzt eine große Anzahl von Erst- und Frühdrucken Schuberts; die Aus- stellung kann aus diesem Bestand nur einige Stücke zeigen), 5. Erst- und Frühdrucke des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, f>. Titel aus dem Nachlaß Franz Xaver Mozarts (u. a. eine zeitgenossische Kopie von Georg Christoph Wagenseils „Ariodante", das Autograph von Johann Mederitsch detto Gallus „Babylons Pyramiden", den Erstdruck des opus 6 von Arcangelo Corelli, Amsterdam 1712), 7. Seltene Mozart-Literatur (u. a. Mozart des Dames, Paris 1828), 8. Zeitgenössische Kopien, Erst- und Frühdrucke von Werken W. A. Mozarts. Darunter befinden sich Kopien, die in KV nicht genannt sind. 9. Ein Autograph und zeitgenössische Kopien von Werken Michael Havdns. Es wird ein bisher unbekanntes autographes Orchesterstück Michael Havdns zum Kirchweih- feste am 25. Juni 1793 ausgestellt. 10. Zeitgenössische Kopien, Erst- und Frühdrucke von Werken Joseph Havdns. U. a. Kopien, die nicht bei Hoboken genannt sind. 11. Seltene Handschriften (Autographe und zeitgenossische Kopien). U.a. unbekannte Autographe von Antonio Caldara und Ignaz Joseph Pleyel, eine zeitgenössische Kopie von Giovanni Battista Pergolesis „La Serva padrona", eine Kopie eines bisher unbe- kannten dramatischen Werkes des Salzburger Hofkapellmeisters Domenico Fischietti (vgl. dazu den Beitrag von Ernst Hintermaier in diesem Heft). 12. Autographe Schrittstücke Leopold Mozarts. 13. Autographe Briefe W. A. Mozarts. Quasi als Nachklang zur Salzburger „Idomeneo"- Aufführung 1973 werden alle „Idomeneo"-Briefe Mozarts en suite gezeigt. 14. Briefe von Constanze Mozart an Johann Anton Andre. Die Internationale Stiftung Mozarteum bekam 1973 aus dem Nachlaß von Cecil Β. Oldman u. a. 26 Briefe der Constanze Mozart geschenkt. Diese Schriftstücke werden zum ersten Mal teilweise der Öffentlichkeit vorgestellt. 15. Briefautographe und Schriftstücke u. a. von Anton Bruckner, Joseph Leopold Edler von Eybler, Eduard Hanslick, Joseph Haydn, Sigismund Ritter von Neukomm, Niccolo Paganini, , Friedrioh Sohlichtegroll. 16. Eine Leonard-Posch-Medaille. Die Medaille dst ein Gipsabdruck nach der Original- form des sich bis 1945 im Mozart-Museum, Salzburg, befindlichen roten Wachsreliefs. Die Medaille erwarb die Internationale Stiftung Mozarteum 1973 von einem privaten Sammler. Die Internationale Stiftung Mozarteum hat für ihre Bibliotheks-Ausstellung einen Katalog aufgelegt.

RICHARD WAGNER AN ANGELO TESSAR1NI Ein bisher unbekannter Brief Richard Wagners Paul Slezak

Im Jahre 1973 sind am 13. Februar die 90. Wiederkehr des Todestages Richard Wagners und am 22. Mai die 160. Wiederkehr seines Geburtstages zu verzeichnen. Aus diesem Anlaß soll nachstehend über einen in Wien aufgetauchten Originalbrief des Meisters berichtet werden, zumal dieser Brief der biographischen Forschung bisher offenbar nicht bekannt war. In keiner Ausgabe der Briefe Wagners wird er erwähnt. Der vier Seiten umfassende, mit violetter Tinte eigenhändig geschriebene Brief befindet sich in einem Briefumschlag, der in derselben Handschrift folgende Adresse auf weist: Monsieur Monsieur Tesarin Maestro di Musica Venezia. Dabei fällt auf, daß das Wort „Monsieur" nach Art althergebrachter Höflichkeit zweimal geschrieben wurde.

31 Der Adressat, Monsieur Tesarin, wahrscheinlich Angelo Tessarini (geb. am 16. August 1834 in Venedig), war Pianist und Komponist1; er unterrichtete Gesang und Kompo- sition. Seine Opera waren Werke für Klavier (op. 2, 4, 5, 7, 8, 10 u. a.) und für Gesang (ζ. B. „Brezze della Laguna"). Auch eine Kantate „Innu-Saluto" hat er geschrieben, die am 6. April 1875 dm Fenice-Theater in Venedig aufgeführt wurde. Tessarini wurde bereits im Jahre 18S8 mit Richard Wagner bekannt, als dieser nach dem Verlassen des „Asyls auf dem Grünen Hügel" in Zürich Ende August nach Venedig gegangen war und dort im Palazzo Giustiniani am Canal Grande die Komposition des „Tristan" fortsetzte. In seiner Autobiographie2 schreibt Wagner: „Besser glückte es einem venezianischen Klavierlehrer, Tessann mit Namen, meine Geneigtheit zu gewinnen. Dieser war ein typisch schöner Venezianerkopf mit einem sonderbaren Stammeln in der Sprache; übrigens von leidenschaftlicher Vorliehe für die deutsche Musik, mit Liszts neueren Kompositionen sowie auch mit meinen Opern gut bekannt. Er selbst erkannte sich im Betreff der Musik als einen .weißen riaben in seiner italienischen Umgebung." Tessarin war auch zugegen, als Wagner damals für den Maler Carl Rahl aus Wien, den Fürsten Dolgoruki und Alexander Winter berger „etwas einer Soiree Ähnliches, wobei einiges von mir musiziert wurde", veranstaltete. Als Wagner Anfang November 1861, einer Einladung Wesendonks folgend, von Wien für wenige l'age nach Venedig gefahren war, sah er auch seinen „alten Bekannten Tessarin" wieder; mit ihm und Wesendonks, welche er hierzu eingeladen, speiste er „noch einmal frugalerweise im Albergo San Marco in Venedig '4. Der in Rede stehende, anläßlich eines späteren Aufenthaltes in Venedig im Jahre 1880 geschriebene Brief ist in französischer Sprache abgefaßt und hat folgenden Wortlaut:

Mon eher ami Tesarin, Avant de quitter Venise je voulais alier vous trouver, vous serrer la main, et vous dire au reeoir; ma fille, ά laquelle je cous remercie d'avoir donne des lecons, me dit que vous etes encore ä Treciso, il ne me reste done qu'ä prendre conge par ecrtt mon depart ayant du etre avance de quelques jours. J'ai eu du plaisir ä renouveler notre bonne amitie d'il y a vingt ans, et ä voir par cos compositions que vous continuiez de bien travailler et de vivre pour notre art. Je ne vous cache pas que l'amitie que je vous porte depuis si longtemps, m'avait inspire le desier de vous voir plus comme que vous ne t'etes encore, mats ά mes yeux vous en avez d'autant plus de merite ά ne pas vous lasser de travailler, lors meme vous ne voyez pas votre labeur recompense immediatement. Et si les bons sentiments que vous avez pour moi, vous font attacher quelque prix ά mes encouragements, je vous prie de considerer ces lignes comme un encouragement parti du fond du coeur. Considerez les aussi comme la marque de ma sincere estime et de ma sympatique amitie, et quand mon Parsifal sera represente venez me voir ä Bayreuth. En atten- dant je vous serre la main bien cordialement. Richard Wagner Venise 29. Octobre 1880.

Die Übertragung in die deutsche Sprache hätte etwa folgendermaßen zu lauten:

Mein lieber Freund Tesarinl Bevor ich Venedig verlasse, wollte ich Sie besuchen, Ihnen die Hand drücken und Ihnen Adieu sagen; meine Tochter, welcher Sie in dankenswerter Weise Unterricht erteilt haben, sagte mir, daß Sie noch in Treviso sind. So kann ich nur noch schriftlich von Ihnen Abschied nehmen, da meine Abreise schon vor einigen Tagen hätte erfolgen sollen. Ich hatte das Vergnügen, unsere seit zwanzig Jahren bestehende gute Freundschaft zu erneuern und aus Ihren Kompositionen zu ersehen, daß Sie fortgesetzt haben, gut zu arbeiten und für unsere Kunst zu leben. Ich kann es mir nicht versagen, daß die Freundschaft, die ich Ihnen schon so lange entgegenbringe, in mir den Wunsch wachgerufen hat, Sie öfter zu sehen als bisher. Aber in meinen Augen haben Sie ein umso größeres Verdienst, weil Sie es nicht unterlassen zu arbeiten, obwohl Sie Ihre Entlohnung nicht sogleich erhalten. Und wenn die guten Gefühle, die wir für einander hegen, uns zu weiteren Anstrengungen anspornen, so bitte ich Sie, diese Zeilen als eine Ermunterung, die unserem Herzen entspringt,

32 zu betrachten. Betrachten Sie sie auch als Ausdruck meiner aufrichtigen Achtung und Sympathie, und wenn mein Parsifal aufgeführt werden wird, besuchen Sie mich in Bayreuth. In dieser Erwartung drücke ich Ihnen herzlichst die Hand. Venedig, 29. Oktober 1880. Richard Wagner

Demnach hat Wagner im Oktober 1880 Tessarini wieder getroffen und sich vor seiner Abreise von ihm verabschieden wollen. Herzbeschwerden und eine neuerliche Erkrankung an Gesichtsrose hatten Wagner zu dieser abermaligen Venedig- Reise veranlaßt. Anfang Jänner war er mit Frau und Töchtern in der bei Neapel gelegenen Villa d'Angri eingetroffen, von wo sie später nach Amalfi und Ravello weiterfuhren. Doch die ersehnte Erholung wollte sich nicht einstellen; auch hier wurde Wagner wiederholt von der Gesichtsrose befallen, und im Anschluß an zahl- reiche Seebäder trat überdies ein lästiger Hautausschlag auf, begleitet von Schlaf- losigkeit5. Uber Siena reiste Wagner mit seiner Familie nach Venedig weiter, wo sie am 4. Oktober 1880 eintrafen. Um welche Tochter Richard Wagners es sich bei der in dem Brief erwähnten Tochter handelt — er hatte bekanntlich mit Cosima zwei Töchter; zwei weitere Töchter, die Bülows Namen trugen, brachte sie in die Ehe mit —, ist nicht leicht zu entscheiden, da bisher keine Angaben hiezu vorliegen. Um dies einer Klärung zuzuführen, müßte man folgendes bedenken: Anfangs August 1878 hatte der berühmte Liszt-Schüler Berthold Kellermann in Wahnfried seine Tätigkeit als Klavierlehrer für die beiden ältesten Töchter des Hauses, für Daniela und Blandine von Bülow (Wagners eigene Töchter Isolde und Eva waren damals erst 13 bzw. 11 Jahre alt), begonnen, wobei sich Daniela als die Begabtere erwies. Es dürfte sich daher bei dem im Brief erwähnten Unterricht um Klavierunterricht für Daniela gehandelt haben, wenn auch Tessarini, wie erwähnt, hauptsächlich Gesangslehrer war. Interessant ist schließlich im Zusammenhang mit der verfehlten Verabschiedung der Hinweis auf die „nicht sogleich erhaltene Entlohnung". Im Hinblick darauf, daß Wagner sich häufig in finanziellen Schwierigkeiten befand, mag dieser Umstand Kennern der Verhaltensweise des Meisters ein gewisses Lächeln abverlangen. Man kann nämlich aus den in dem Brief enthaltenen etwas überschwenglichen Lobes- hymnen, zusammen mit dem Hinweis auf die nicht sogleich erhaltene Entlohnung, vielleicht darauf schließen, daß es dem guten Richard Wagner gar nicht so unange- nehm war, den Maestro nicht angetroffen zu haben; er erzielte ja auf diese Weise für die Begleichung eines Untenichtshonorares elegant Aufschub. Am 30. Oktober 1880 ist er von Venedig abgereist. Wagner hat auch noch im Jahre 1882, mehrere Monate vor seinem Tode, Tessarini wiedergesehen. Am 16. September in Venedig eingetroffen, wohnte Wagner mit Familie im Palazzo Vendramin am Canal Grande. Seine Herzkrankheit (Angina pectoris) hatte damals bereits bedrohliche Ausmaße angenommen. Im 6. Band seiner Wagner-Biographie schreibt Glasenapp4: ,,,Der Brustkrampf, der ihn neuer- dings wiederholt zwang, mitten im Spaziergang sich eine Rast aufzuerlegen, wurde besonders durch rascheres Gehen herausgefordert. So hatte er einmal, mit den Kindern zum Markusplatz fahrend, Klänge aus .Lohengrin' von der Musikkapelle aus der Feme vernommen, sich beeilt, und wurde dabei von dem Übel erfaßt, das ihn zu Lavena trieb, wo er sich still in eine Ecke setzte, bis es vorbei war. ,Ich soll Das, was ich bin, fahren lassen', klagte er dann, .keine schnelle Bewegung machen, auch ein langweiliger alter Esel werden.' Dann aber, nach überstandenem Anfall, winkte er gleich seinen alten Freund Tessarini herbei, um sich durch ihn mit dem Dirigenten der Militärkapelle in Beziehung zu setzen und beide, den Musikmeister und Tessarini, abends auf eine halbe Stunde zu sich einzuladen, um ihn wegen der mannigfachen unrichtigen Tempi zu belehren, die er in den ,Lohengrin'-Fragmenten genommen, da es ihn kränkte, sie bei diesen Vorführungen so übel entstellt zu wissen. Und wirklich kam es dazu, und der Musikmeister empfing tiefbeglückt und dankbar die Weisungen des berühmten deutschen Maestro und erfreute ihn künftig durch einen richtigen Vortrag der gleichen Stücke." Später findet sich noch folgende Schilderung: „Nachmittags ging es dann zum Markusplatz, der heute sehr belebt war. Sein Brustkrampf zwang ihn wieder

33 unter dem Portal sich zu setzen. Der alte Freund Tessarin fand sich dazu und er- zählte ihm Ergötzliches über Frau Lucca (Wagners Verlegerin in Mailand), die eben für Bologna den .Lohengrin' vorbereitete." Tessarini war auch anwesend, als am 16. Februar 1883 die Trauergemeinde mit dem Leichnam des Verewigten vom Palazzo Vendramin abfuhr. Dies nur als Ergänzung hinsichtlich Wagners Beziehung zu Maestro Tessarini. Da in dem Brief der Vorname Tessarinis nicht genannt ist, und da Angelo Tessarini hauptsächlich Gesangsunterricht gab, im Brief jedoch Klavierunterricht gemeint sein dürfte, erhebt sich die Frage, ob nicht etwa Angelos Bruder Francesco es war, an den dieser Brief gerichtet ist. Francesco Tessarini, geboren am 3. Dezember 1820 in Venedig, war Komponist und Klavierlehrer. Er war ein Schüler von Antonio Fanna (Klavier) und G. B. Ferrari (Komposition), schrieb zahlreiche Opernfantasien für Klavier, wie es damals üblich war, Kirchenmusik und eine Oper „L'ultimo Abencerragio", die am 24. Jänner 1858 im Fenice-Theater in Venedig aufgeführt wurde. Auch ihn soll Richard Wagner gekannt und geschätzt haben, weshalb es nicht ausgeschlossen wäre, daß er Cosimas Tochter in Venedig Klavierunterricht gegeben hat, wenn auch in den Wagner-Biographien darüber nichts aufscheint. Er starb am 30. Juni 1889 in Rom5,7,e. Diese Variante sei nur nebenbei erwähnt. Aus dem Briefe, über den hier berichtet wurde, dürften sich demnach einige nicht unwesentliche Momente zur retrospektiven Beleuchtung der grandiosen Gestalt des Bayreuther Meisters ergeben. Für freundliche Hinweise ist der Verfasser der Leiterin des Richard-Wagner- Archivs in Bayreuth, Frau Gertrud Strobel, sehr zu Dank verpflichtet.

Literatur:

1 F. J. Fetis: Biographie universelle des musiciens, Suppl. II, 570, Paris 1880. 1 Richard Wagner: Mein Leben, München 1963. * D. Kerner: Krankheiten großer Musiker, Band 2, Stuttgart 1969. * C. F. Glasenapp: Das Leben Richard Wagners, 6. Band, S. 718—719 und 721, Leipzig 1911. 5 G. Masutto: I maestri di musica italiana del sec. XIX, III. editione, Venezia 1884. * C. Dattori: Opere ed operisti, Genova 1903. 7 C. Schmidl: Dizionario universale dei musioisti, Milano 1887. 9 H. Riemann: Musik-Lexikon, 11. Aufl., Berlin 1929.

VOR 100 JAHREN: FRANZ LISZT SPIELTE IM WIENER MUSIKVEREIN Norbert Tschulik

Heute halten Tonband und Schallplatte die musikalische Interpretation fest, nicht zuletzt auch als Dokumentation für die Nachwelt. Die Zukunft wird sich ein besseres Bild von vergangenen Interpretationsstilen machen können, als das uns im Rückblick möglich ist. Wir sind auf Schilderungen angewiesen. Bisweilen freilich finden wir meisterhafte Schilderungen vor, die das Spiel eines großen Künstlers vor uns lebendig werden lassen. Ein solches Beispiel geben die Referate von Eduard Hanslick und August Wilhelm Ambros, die das Auftreten von Franz Liszt im Jänner 1874, also vor 100 Jahren, im Großen Musikvereinssaal schildern. Hanslicks Kritik erschien am 13. Jänner 1874 in der „Neuen Freien Presse". Liszt,• der im Abbe-Gewand das Podium betrat, spielte zuerst Schuberts Wanderer-Phantasie. Und Hanslick schrieb über den Vortrag: „Sein Spiel ist vollendet, wie ehemals, dabei von ruhigerem Geist und milderem Gemüt erfüllt: nicht so blendend, so packend, aber einheitlicher, ich möchte sagen solider, als das des jungen Liszt ge-

34 wesen. Glänzender trat er in seiner zweiten Nummer hervor, einer Ungarischen Rhapso- die für Klavier und Orchester... Der Vortrag war frei, poetisch, voll geistreicher Nuancen, dabei von edler, künstlerischer Ruhe. Und seine Technik, seine Virtuosität? Ich werde mich wohl hüten, davon zu reden. Genug, daß Liszt sie nicht eingebüßt, sondern höchstens abgeklärt und beruhigt hat. Nach seinem reichen, beispiellos be- wegtem Leben kommt der 62jährige Mann wieder, nicht entkräftet, nicht zerstreut, nicht blasiert, und spielt das Schwerste mit der Leichtigkeit, Kraft und Frische des Jünglings. Mit atemloser Aufmerksamkeit lauschte man nicht bloß seinem Spiel, sondern auch physiognomischen Wirkungen, die es in Liszts geistvollen, beweglichen Zügen hervor- ruft. Im Ausdruck kraftvollen Ernstes hat sein zurückgeworfenes Haupt noch immer etwas von Jupiter: bald blitzen unter den energisch vorragenden Brauen die feurigen Augen, bald hebt ein leises Lächeln die so charakteristisch aufgebogenen Mundwinkel noch einige Linien höher. Wie Liszt bald aus den Noten, bald auswendig vorträgt, wie er dabei abwechselnd die Lorgnette aufsetzt und wieder herabnimmt, wie er das Haupt hier lauschend vorneigt, dort kühn zurückwirft — das alles interessiert seine Hörer unsäglich, noch mehr seine Zuhörerinnen. Es gehörte jederzeit zu Liszts Eigentümlichkeiten, in seiner großen Kunst auch noch mit allerlei kleinen Künsten zu effektuieren." Dem Jubel dankte er, so bilanzierte Hanslick, „mit der ruhigen, freundlich dankenden Haltung des Gewohnheitssiegers". Daß Hanslick nicht in subjektivem Uberschwang geurteilt hat, belegt die Gegenüber- stellung jener Kritik, die August Wilhelm Ambros in der „Wiener Zeitung" veröffent- lichte und die in dem Satz gipfelt: „Der Nachwelt wird die ganze Erscheinimg Liszts durch bloße historische Berichte schwerlich klar zu machen sein. Er wird, glaube ich, zu einer halb mythischen Gestalt werden." Vor dem Musentempel ging es zu, so schrieb Ambros, „wie auf dem Flugbrett eines Bienenstockes, wenn die Bienen schwärmen wollen. Wirklich war auch hier das Ende der Sache, daß .geschwärmt' wurde, aber in anderem, nämlich im enthusiastischen Sinne Die, man könnte sagen, geradezu magische Wirkung, welche Liszt auf Hörer von verschiedenster Disposition, von verschiedenstem Geschmack und verschiedensten Anforderungen aus- übte, als er vor sieben Lustren, im Jahre 1835, in Wien zum ersten Male erschien, hat er bis heute unverändert beibehalten. Es ist nicht allein die vollendete Technik des Instruments, in der ihn niemand überboten hat oder kaum je überbieten wird, nicht allein der blendende Glanz sedner unerhörten Virtuosität, selbst nicht allein eine besondere Art der Auffassung und Wiedergabe der Tonstücke — es ist nebst allem dem die zwingende Macht des Genialen, welche jene unerhörten Wirkungen hervor- gebracht hat und heute so wie früher hervorbringt. Setzt sich Liszt ans Klavier, so strömt ihm die Genialität sozusagen gleich elektrischen Strömen aus allen Finger- spitzen, sie erwärmt und belebt die harten, kalten Elfenbeintasten, die harten, kalten Stahlsaiten, eine schimmernde Fata morgana aus Tönen steigt vor uns Staunenden auf, und wir fragen uns, wenn die Erscheinung zu Ende ist, ob denn das gewesen, was man so für gewöhnlich ,Klavierspielen' nennt, oder etwas anderes, für das wir erst den Namen finden müßten. Diese belebende Gewalt weiß Liszt... selbst an geringen Kompositionen dieses oder jenes nichtsbedeutenden Tonsetzers, die ihm gerade in die Hände laufen, zu bewähren..." Die Kritiken zweier damals führender Kritiker Wiens geben also einen plastischen Eindruck von Liszts Spiel und bestätigen im übrigen die in Superlativen formulierten Berichte über frühere Wiener Konzerte Liszts (ζ. B. im Mai 1835 und im Jänner 1840).

JUBILÄUMSAUSSTELLUNG DER VOLKSOPER

Die sehr interessante Ausstellung anläßlich des 75jährigen Bestandes des Hauses am Währinger Gürtel stellt eine Reminiszenz an große künstlerische, in diesem Theater erbrachte Ereignisse dar. Ein Hauptgewicht ist auf die Zeit im Anschluß an die Wiedereröffnung des Hauses nach der nationalsozialistischen Ära gelegt, also auf jene Zeit, welche den Charakter des Theaters als Pflegestätte der klassi- schen Operette und der volkstümlichen Oper prägte. Verhältnismäßig wenig — und das ist vielleicht ein kleiner Schönheitsfehler der Exposition — ist von dem seiner-

35 zeitigen Beginn des Opembetriebes zu sehen, wie ihn der große „geheime Hofrat" Rainer Simons nach dem Ende der Direktion Müller-Guttenbrunns 1903 aufzog und in einer geradezu staunenswerten Weise mit den ihm zur Verfügung stehen- den finanziellen Mitteln bis 1917 führte. Das Geheimnis dieses autokratischen Theaterfachmannes lag darin, daß er ein unwahrscheinliches „Gespür" für ein zug- kräftiges Repertoire hatte und ein ausgesprochener Entdecker junger, mit noch erschwinglichen Gagen zu verpflichtender Solisten wie Jeritza, Debitzka, Mano- warda, Dr. Schipper und Rittersheim war. Auch zahlreiche Prozesse gegen diverse Amter und Verlage, sowie Schwierigkeiten mit den Militärbehörden während des Ersten Weltkrieges stand der wagemutige Direktor durch. So gelang es beispiels- weise seiner energischen Intervention, daß ein wegen verspäteter Einrückung mit Verhaftung auf der Bühne bedrohter Radames unter militärischer Bewachung seine Partie zu Ende singen durfte. Der Hofoper kam er mit der Aufführung von „Tosca", der für das Haus am Ring damals noch „sittenwidrigen" „Salome" und auch des „Kuhreigen" zuvor, wenn ihm auch der Breslauer Kapellmeister Prüwer mit der Wiener Premiere der „Salome" im „Deutschen Volkstheater" den Rang abgelaufen hatte.

Die Bilder Rainer Simons' und seiner direktoralen Nachfolger sind in den Gängen zu sehen. Ihm folgten der auch als Kapellmeister tüchtige Raoul Mader und der unter allen Direktoren als bedeutendster Dirigent aufscheinende Dr. Felix Wein- gartner. Weingartner pflegte vor allem das Wagner- und Mozart-Repertoire, aber auch für das leichtere Operngenre hatte er eine mit Einfühlung nachspürende Hand. Seine „Lustigen Weiber" und die „Stumme von Portici" waren Kabinettstücke akribischer Stilaufführungen. Und es ist kein Zufall, daß unter seiner Ägide drei damalige Korrepetitoren, nämlich Krips, Swarowsky und Rankl, später zu bedeuten- den Dirigenten wurden. Der Schreiber dieser Zeilen, der als junges Mitglied und Betriebsrat des Hauses in engerem Kontakt mit Weingartner stand, mulite öfters von ihm hören, daß man ihm ungerechterweise seine ausländischen Gastspiele und die dadurch bedingte Vertretung durch den Subdirektor Gruder-Guntram zum Vorwurf machte, obwohl dieser auch ausgezeichnete Vorstellungen herausbrachte. Der Abgang Weingartners (1924) konnte durch Dr. Fritz Stiedry keineswegs ersetzt werden, die Schließung des finanziell zu Grunde gehenden Theaters erfolgte im Frühjahr 1925. Bis 1938 vegetierte das Haus mit Operetten, Singspielen und gelegent- lichen Opernaufführungen, dann übernahm die Gemeinde Wien unter der Führung Anton Baumanns und seines Nachfolgers Oskar Jölli das Theater als „Städtische Oper". Die zur Schau gestellten Bilder Salmhofers, Juchs, Mosers und des jetzigen Direktors Karl Dönch beschließen die Reihe der Volksopern-Intendanten.

Wesentlichsten Aufschluß über die jüngste Vergangenheit der Währinger Bühne geben Bühnenbilder Neumann-Spallarts, Schneider-Siemssens und des mit dem Haus am engsten verbundenen Walter von Hoesslin. Daß die schon so oft totgesagte Operette lebt, bewies ihre in der Volksoper 1947 beginnende Renaissance mit dem „Bettelstudenten". Die Aufführung dieses Werkes kann als geschichtliche Tat gelten, an der Anton Paulik als Dirigent, Adolf Rott als Regisseur, Walter von Hoesslin als Bühnenbildner, Elly Rolf als Kostümzeichnerin, Erika Hanka als Choreographin, die Cebotari und Fred Liewehr als Hauptdarsteller beteiligt waren. Der epochale Erfolg hatte Auslandsgastspiele in Stockholm, Helsinki, Reykjavik, Düsseldorf, Zü- rich und bei den Bregenzer Festspielen zur Folge; jetzt geht das Werk in der Fassung von 1947 nach Ankara in die Türkische Staatsoper. Hoesslin hatte als Inspiration für seine Bühnenbilder das „Komödien-Parterre" Lukas von Hildebrands im Palais Schönborn benützt. Ein drehbares Modell dieser Ausstattung ist im ersten Rang zu sehen. Nicht minder interessant ist das Modell, welches das von Hoesslin geschaffene, mehrfach kombinierte Drehbühnensystem des Theaters zeigt.

Dem Erfolg des „Bettelstudent" schlossen sich die „Fledermaus", der „Zigeuner- baron", „Eine Nacht in Venedig" (in 3 Versionen), „Wiener Blut" (3 Inszenierungen), „1001 Nacht" mit 50 Aufführungen, „OpembaH", „Boccaccio", „Vogelhändler", aber auch Lehärs „Lustige Witwe", „Der Graf von Luxemburg", „Das Land des Lächelns", ferner Operetten von Kälmän und Oscar Straus an. Die Oper ist mit Bildern von „Rigoletto", „Die verkaufte Braut", „Der Evangelimann", „Martha", „Fra Diavolo",, „Die lustigen Weiber von Windsor", „Die Zauberflöte", „Nabucco", „Die Kluge" (Orff) und anderen vertreten. Alles in allem: die von Walter von Hoesslin zusammen- gestellte Schau kann als würdiger, aufschlußreicher Beitrag zum Jubiläum der Volksoper gelten. Paul Lorenz

36 AUS OPER UND KONZERTSAAL

BALLETTABEND IN DER STAATSOPER

Die Inszenierung von Tschaikowskys „Nußknacker" verdanken wir dem Umstand, daß der Ballettchef des Bolschoi-Theaters in Moskau die Erlaubnis zu einem Gast- spiel in Wien erhielt. Daß Juri Gregorowitsch als Choreograph überdurchschnittlich ist, hatte er hier allerdings erst zu beweisen, nur allzu oft wird der Ruhm einer traditionsreichen Truppe mit dem Können des aktuellen Leiters gleichgesetzt. Den „Nußknacker", den er — sicheren Quellen zufolge in einer der Moskauer Inszenie- rung völlig gleichen Einrichtung — vorwies, könnten indessen sehr viele andere Choreographen in ähnlicher Qualität hinzaubern. Die russische „Puppenfee" ist zudem ein Ballett von sehr geringen dramatischen Qualitäten. Gregorowitsch ließ die vielen konzertanten Partien in durchaus üblicher Manier tanzen, charakterisierte — wer zählt die Völker, nennt die Namen — die Nationaltänze in üblicher schablonen- hafter Manier und ließ einigen Humor nur in den Verbindungen zwischen den Tänzen wahrnehmen. Nichts war außergewöhnlich, auch die Leistungen der Tänzer am Premierenabend erreichten nur mittelmäßiges Niveau. Herausragend, wenn nicht überragend, die beiden Gäste aus Moskau, welche die Hauptrollen übernommen hatten: Natalia Bessmertnowa und Michail Lawrowsky. Elegant und leicht tanzend, ließen auch sie die Allüre und Präsenz vermissen, welche ganz große Künstler aus- zeichnen. So blieb das von Suliko Wirsaladse nach russischer Bauernmanier stilisierte Bild und die unter Stefan Soltesz recht sauber (aber offenbar im Tempo den Koryphäen nicht immer adäquat) gebrachte Musik. Sollte im Zusammenhang mit Weihnachten Kindern eine Freude gemacht werden, so mag das Ziel erreicht worden sein. Für Erwachsene bietet diese Ballett-Niaiserie denn doch allzu wenig. Rudolf Klein

RUBIN-URAUFFÜHRUNG IN DER VOLKSOPER

Am 14. Dezember 1973 — genau auf den Tag 75 Jahre nach der feierlichen Er- öffnung des Kaiserjubiläums-Stadttheaters, der heutigen Wiener Volksoper — ging Marcel Rubins Oper „Kleider machen Leute" zum erstenmal über die Bühne des jubilierenden Hauses, das in den letzten Jahren öfters Novitäten österreichischer Komponisten aus der Taufe gehoben hat: 1964 die Operette „Frühjahrsparade" von Robert Stolz, 1970 Franz Salmhofers „Dreikönig" und 1972 Rudolf Weishappels „König Nicolo". Rubins komische Oper in einem Vorspiel und vier Akten folgt in ihrem Libretto, das der Komponist selbst verfaßte, der gleichnamigen Erzählung des Schweizer Dichters Gottfried Keller, die dessen Novellensammlung „Die Leute von Seldwvla" entnommen ist. Das 1966 bis 1969 entstandene Werk Rubins hieß ursprünglich „Trojanischer Krieg in Seldwyla", aber Marcel Prawy, der erfahrene Dramaturg der Volksoper, meinte, dies sei kein Titel für eine Oper: das einzige Wort, das die Leute verstünden, wäre „Krieg", über Troja wüßten schon die wenig- sten Bescheid, und Seldwyla würde ganz gewiß mit Sevilla verwechselt werden. Im übrigen ist dasselbe Sujet bereits einmal vertont worden, ebenfalls von einem Wiener Komponisten: am 2. Dezember 1910 gelangte in der Wiener Volksoper Alexan- der Zemlinskys komische Oper in einem Prolog und drei Akten „Kleider machen Leute" (Text von Leo Feld nach Gottfried Keller) zur Uraufführung. Zemlinsky, der Schwager Schönbergs, war damals Kapellmeister an dem von Rainer Simons gelei- teten Theater; er ging 1911 nach Prag an das Deutsche Theater und brachte dort am 20. April 1922 sein Werk in einer Neufassung heraus, die von der Wiener Universal-Edition verlegt wurde.

Die Gottfried-Keller-Oper ist nicht das erste Bühnenwerk, welches der heute 68jährige Marcel Rubin schrieb, der in Wien Kontrapunktschüler von Franz Schmidt, in Paris Kompositionsschüler von war und 1970 mit dem Großen

37 österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde. Als Dreiundzwanzigjähriger hatte er eine Oper „Prinzessin Brambilla" nach Ε. T. A. Hoffmann komponiert, die 1933 in Düsseldorf unter Jascha Horenstein zur Uraufführung angenommen worden war; aus politischen Gründen kam es aber nicht mehr dazu. Rubin nennt sein Bühnen- stück eine „komische Oper", gibt aber zu, daß es sich eigentlich um einen tragi- komischen Stoff handle, denn der „Held" der Handlung, der Schneider Stanislaus, wird wider seinen Willen in die hochstaplerische Rolle des „polnischen" Grafen Dobrowitz gedrängt und ist im Grunde ein ehrlicher, rechtschaffener Mann, der schließlich auch sein Nettchen, die Tochter des angesehenen Goldacher Amtsrats Eisenhut, als Ehefrau heimführen kann, ohne daß deswegen ein „Trojanischer Krieg" zwischen Goldach und Seldwyla ausbricht. Es ist gewiß nicht leicht, die biedere Story Kellers mit einer spannungsreichen, bühnenwirksamen Musik auszu- statten, und ganz ist dies auch Rubin nicht gelungen. Der Komponist schreibt „seinen eigenen Stil", wie er betont, und bedient sich dabei einer tonalen Sprache, die zwar traditionsverhaftet, aber durchaus nicht konventionell sei. Das stimmt. Am hervorstechendsten ist jedoch nicht die Tonalität, sondern eine fast durchge- hende Bi-, manchmal sogar Polytonalität, die mit einer ausgeprägten Rhythmik verbunden wird. Freilich hätte etwas mehr an Kantilene, an Belcanto dem Stück und vor allem den Sängern nicht geschadet, wenn man schon kein avantgardistisches, sondern ein trotz aller Gesellschaftskritik „kulinarisches" Theater auf die Bühne bringt. Dieses Manko an vokaler Farbe macht Rubin in der köstlichen, pikanten Instrumentierung wett, die auf Schritt und Tritt den gewiegten Symphoniker verrät. Uneingeschränktes Lob verdient — vielleicht mit Ausnahme des allzu „herzigen" Bühnenbildes Toni Busingers, das sich bedenklich dem Kitschigen nähert — die szenische Realisierung der Novität. Die musikalische Leitung war bei Walter Weller in den allerbesten Händen und ließ keinen Wunsch offen. Für die Besetzung der Hauptrollen hatte man ganz hervorragende Kräfte gewonnen. Hier sind an erster Stelle der tenorale Bariton Claudio Nicolai als Stanislaus und das adrette Nettchen Sigrid Martikkes zu nennen, sodann das stimmlich und darstellerisch prächtige Quartett der Goldacher Notablen Eisenhut (Artur Korn), Pütschli (), Nimmersatt (Peter Branoff) und Böhnli (Frederick Guthrie). Eine profilierte Leistung boten auch Fritz Uhl als Wirt und Monique Lobasa als Lehrbub Christian. Regie führte Wolfgang Weber, die Kostüme stammten von Alice Maria Schlesinger. Walter Szmolyan

SARTI-AUSGRABUNG IN DER KAMMEROPER

Die Opera buffa „Fra i due litiganti" von Giuseppe Sarti (Text von J. A. Lorenzoni nach Goldonis „Le Nozze di Dorina" in einer Ubersetzung von Johann Andre und Alexander Giese) stand während der Monate November und Dezember 1973 auf dem Spielplan der Wiener Kammeroper am Fleischmarkt. Hans Gabor, der auch die musikalische Leitung der Premiere am 21. November besorgte, hat das Werk in mühevoller Kleinarbeit aus der handschriftlichen Partitur rekonstruiert und damit endlich die Möglichkeit einer realen Konfrontation mit dieser bisher eher „sagen- haften" „Figaro"-Rivalin geschaffen. Die Vermutung der Musikwissenschaftler hat sich allerdings bestätigt: „Fra i due litiganti" verfügt über kaum nennenswerte Reize. Leider, denn auch ein amüsanterer Opernabend hätte das Ansehen Mozarts — der ja immer noch um eine kleine Spur größer ist als die Größten unter den Großen, um mit Kierkegaard zu reden — in keiner Weise geschmälert.

Allerdings trugen auch die gelegentlich unüberhörbaren Entgleisungen eines Teiles der Musiker {die sich immer noch „Mitglieder des Großen Orchesters des öster- reichischen Rundfunks" nennen und daher nur sehr schwer bei ihrer Standesehre zu packen sein dürften) keineswegs zum Gelingen der Vorstellung bei, ebenso wenig wie die ausgesprochen langweilige Regie Peter Birkhofers und die bei aller geschmacklichen Vollendung diesmal merkwürdig unattraktiv wirkenden Bühnen- bilder Tibor Vartoks. die aufgrund der fehlenden räumlichen Tiefe das ganze Stück zu einem Spiel zwischen Tür und Angel degradierten und keinerlei Wärme und Intimität aufkommen ließen. Am besten hielten sich noch die Sänger. Gerd Fussi (Graf Belfiore) verkörperte einen vornehmen Hausherren, Barbara Thome seine in ähnliche Situationen wie die Gräfin des „Figaro" geratende, aber eher hart und ungerecht wirkende Gemahlin, Nelsie Walker (Livietta) ein graziles Kammerkätz-

38 chen und Deborah Lucas als schöne Dorina, um deren Gunst sämtliche auf der Bildfläche erscheinende Herren auf das eifrigste bemüht sind, eine sanfte und attraktive Zofe. Die junge Dame besitzt übrigens auch ein klangvolles und bei Mezzavoce-Einsatz durchaus vorteilhaft zur Geltung kommendes Organ. Daniel Suärez Marzal als berittener Bote Titta — der wegen seiner häufigen auswärtigen Aufenthalte vom Grafen als Anwärter auf die Hand Dorinas protegiert wird -— und Anton Obbes als Gärtner Mingone — dessen Bewerbung um die schöne Zofe wieder bei der Gräfin Unterstützung findet — verfügen über durchaus akzeptable Stimmen, ebenso wie Franz Xaver Lukas, der als sympathischer, von beiden Seiten als Vermittler in Anspruch genommener und im Wettstreit um Dorina schließlich selber als Sieger hervorgehender Hausverwalter Masotto die beste gesangliche Lei- stung des Abends erbrachte. Die Kostüme Annemarie Köhlers sind geschmackvoll, die Partiturkenntnisse Hans Gabors diesmal geradezu beispielhaft. Elisabeth Heller

AUS DEN WIENER KONZERTSÄLEN

Im jüngsten Berichtsabschnitt setzten die Wiener Philharmoniker die Reihe ihrer Abonnementkonzerte zuerst mit dem Nicolai-Konzert fort. Das Musizieren unter der Leitung Karl Böhms (Werke von Beethoven und Schubert) hatte ganz hohen Rang, wie er sich stets bei dem Zusammenwirken des Orchesters mit seinem Ehren- dirigenten ergibt. Das dritte „Philharmonische" unter Horst Stein fiel dagegen etwas ab; zum Beispiel klang der Einsatz des Brahmsschen Klavierkonzertes in d-moll, dessen Solopart bei Walter Klien in besten Händen war, viel zu kraftlos, und auch die Wiedergabe der „Zweiten" von Bruckner hatte nicht durchwegs die wünschens- werte Spannung. Ein außerordentliches Konzert der Wiener Philharmoniker wurde von Josef Krips geleitet und war Mozart gewidmet. Der erste Satz der großen g-moll-Symphonie wurde von Krips zögemd-behutsam intoniert, die Aufführung stei- gerte sich im weiteren Verlauf. Die folgende Wiedergabe des Requiems war erbaulich, von stimmungstiefer Schönheit, ganz im klassischen Sinne — ausdruckstief und ausgeglichen — interpretiert. Starke Wirkung kam auch vom Chor (Singverein). Das Solistenquartett (Popp, Lilowa, Dermota, Berry) vereinte ebenbürtige Stimmen. Den Wiener Symphoniker-Zyklus eröffnete Efrem Kurtz sehr repräsentativ. Kurtz ist ein Mann der besten alten Schule, der mit effektsicherem Geschmack musiziert, sicher führt. Die Wiedergabe der Haydn-Symphonie Hob. 1/88 hatte Leuchtkraft, Animo. Beethovens erstes Klavierkonzert wurde von Jörg Demus schön und ohne aufdringliche Brillanz ausgezeichnet musiziert; sein romantisches Empfinden ord- nete er dem Klassischen ein. Den Abschluß des Abends bildete Borodins h-moll- Symphonie, so effektreich musiziert, wie es dem phantasievollen, musikalisch vitalen Werk zukommt. In der „Großen Symphonie" überraschte der Dirigent Jean Martinen durch Vielseitigkeit und nahm als guter Musiker ohne Show-Ambitionen für sich ein. Ohne viel äußerlichen Aufwand verlieh er der Wiedergabe von Ravels „Daßhnis und Chloe" die richtigen Impulse, auch Bizets C-dur-Symphonie gelang vortrefflich, und das Adagio von Mahlers zehnter Symphonie wurde intensiv ausmusiziert; die Wiener Symphoniker trugen freilich wesentlich dazu bei. Und schließlich spielte an diesem Abend Edith Peinemann das a-moll-Konzert von Dvorak; die Geigerin überzeugte einmal mehr durch ihr sensibles, gehaltvolles Musizieren, dessen großes Können nicht protzig in Szene gesetzt wird. Der nächste Abend der „Großen Symphonie" gipfelte nach einer Rossini-Ouvertüre in Prokofieffs erstem Violin- konzert, wo Viktor Tretjakow die hohe Schule technischer Schwierigkeit durch- exerzierte und auch mit klanglichen Finessen brillierte, und in Schumanns „Rhei- nischer", die Mario Rossi, der Dirigent des Abends, klangvoll und hochgestimmt darbot. Im Konzierthaus vermittelte ein Konzert, in dem Witold Lutoslawski eigene Werke dirigierte, sehr starke Eindrücke. In den Interpretationen von Werken aus verschiedenen Schaffensperioden spürte man die starke Persönlichkeit des polnischen Komponisten, der im Gegensatz zu oft befremdenden Klang- und Geräuschspielen der Moderne eine Spontanwirkung erreicht. Die Trauermusik in memoriam Bela Bartök (1958) zeigte innere Dynamik, geschlossene Entwicklung; „Livre pour Or- chestra", -wo Phasen der Spannung und Entspannung abwechseln, ist ein „Buch", das man auch ohne hochgestochene Kommentare versteht, weil es echte Musik ist. Das Cellokonzert, als dessen Solist Heinrich Schiff imponierte, stellte die modem-

39 sten, schwierigsten Höransprüche des Abends, doch auch hier notierte man stets eine zwingend geformte moderne Musik. Nicht minder überzeugt hatte kurze Zeit vorher Lutoslawskis Konzert für Orchester in einer Veranstaltung für die „Musika- lische Jugend", wo außerdem ein serielles „Magnificat" des jungen Italieners Giam- piero Coral (einiges versprechend) und Alban Bergs Lulu-Symphonie (mit der leider unzureichenden Liliana Poli als Solistin) unter Milan Horvat (an der Spitze des ORF-Orchesters) erklang. Sehr erwähnenswert: der Auftakt zum Schönberg-Zyklus der Konzerthausgesellschaft. Vorbildliche Programmbildung konfrontierte das spät- romantische Streichsextett „Verklärte Nacht" mit der Serenade op. 24 der mittleren Schaffensperiode Schönbergs und seiner letzten Komposition, dem meisterhaften A-cappella-Werk „De profundis" (130. Psalm), wo die klangliche Palette in gesun- genen und gesprochenen Abschnitten reich aufgefächert, musikalisch und im Aus- druck eminent dicht ist. Vorbildlich die \Vieclc?ri^tiV)t? durch den von Erwin G. Ortner geleiteten Amold-Schönberg-Chor. Vorzüglich auch die übrigen Wieder- gaben, vom „Ensemble Kontrapunkte" unter Peter Keuschnig transparent und klang- lich erlesen musiziert. In der zweiten Veranstaltung des Orchesterkonzertzyklus der Konzerthausgesellschaft vermittelte die junge Geigerin Leonora Geanta (a-moIl-Kon- zert von Dvorak) keinen einheitlich überzeugenden Eindruck, auch der Dirigent Erich Bergel wußte die Aufführung von Bruckners „Vierter" nicht zu einem tieferen Erlebnis zu machen, er ist ein guter Könner, der aber meist zu kühl, zu uninter- essant wirkt.

Ein Soloabend Alexander Jenners kulminierte in Strawinskys „Petruschka", Geza Andas Künstlerschaft verdiente die Zustimmung des Publikums, im Bereich der alten Musik sei der Abend des Concentus Musicus herausgegriffen, wo Hermann Baumann als Solist in einem Hornkonzert Mozarts brillierte; Gerhard Kramer diri- gierte ein Schütz-Konzert. Das Stuttgarter Kammerorchester unter Karl Münchinger, der Bach-Abend mit Aurele Nicolet, Heinz Holliger und anderen gehörten zu den ausgezeichneten Veranstaltungen dieses Berichtsabschnitts, in dem das Orgelspiel durch Haselböck und Sonnleitner, das Sonatenspiel durch Wolfgang Schneiderhan und Walter Klien (Brahms-Abend), der Liedgesang durch Theo Adam und repräsentiert wurde. Norbert Tschulik

INTERNATIONALES SCHUBERT-SYMPOSIUM IN WIEN

Die Gesellschaft für Forschungen zur Aufführungspraxis (GFA) veranstaltet vom 28. Jänner bis 2. Februar 1974 in Wien ein Internationales Schubert-Symposium mit dem Thema „Zur Aufführungspraxis der Werke Franz Schuberts". Das Sym- posium findet in den Räumen der österreichischen Gesellschaft für Musik, Wien I, Hanuschgasse 3, statt. Während dieses Symposiums werden sich Musikwissenschaftler, darunter die Edi- tionsleitung der Neuen Schubert-Ausgabe, und ausübende Musiker sowie Musik- pädagogen zu gemeinsamem Gespräch finden. Folgende Referenten haben ihre Teilnahme zugesagt: Irene Barbag-Drexler (Wien), Otto Biba (Wien), Eva Cam- pianu (Wien), Martin Chusid (New York), Waither Dürr (Tübingen), Arnold Feil (Tübingen), Marius Flothuis (Amsterdam), Jane Gartner (Wien—Graz), Helmut Haack (Mainz), Rudolf Klein (Wien), Marianne Kroemer (Graz), Christa Landon (Wien), Christoph-Hellmut Mahling (Saarbrücken), John Henry van der Meer (Nürnberg), Eduard Melkus (Wien), Josef Mertin (Wien), William S. Newman (North Carolina), Eduard Reeser (Bilthoven), Hans Sittner (Wien), Robert Scholium (Wien), Boris Schwarz (New York), Vera Schwarz (Wien—Graz), Gerhard Stradner (Saarbrücken), Hans Swarowsky (Wien), Manfred Wagner (Frankfurt), Erik Werba (Wien).

In den Themen werden im einzelnen Probleme der Tempowahl, der Agogik, der Rhythmik, der Dynamik, der Ornamentik u. a. m. behandelt. Weitere Themen gelten dem Wandel des Interpretationsstiles, der Besetzung, den Räumen und den Instru- menten. Die Eröffnung findet am 28. Jänner 1974 um 10 Uhr statt. Anfragen sind zu richten an das Tagungsbüro: 1130 Wien, Neue Welt-Gasse 19.

40 OSWALD VON WOLKENSTEIN-TAGUNG IN NEUSTIFT BEI BRIXEN

Das Südtiroler Kulturinstitut hatte zu einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema Oswald von Wolkenstein geladen. Der Kongreß, zu dem selbst Forscher aus Amerika gekommen waren, fand im September 1973 in den Räumen des alten Klosters Neu- stift bei Brixen statt, in dessen Bereich einst Oswald als Amtsrichter ein Haus bewohnte. Zur Diskussion stand, ob die Tagung nicht erst in drei Jahren, anläßlich der 600- Jahrfeier des Geburtstages Oswalds stattfinden sollte, doch schien der gewählte Zeitpunkt wegen des starken Interesses am dichterischen wie am musikalischen Werk des Wolkensteiners günstiger zu sein. Die große Teilnehmerzahl hat diese Annahme bestätigt. Die hervorragende Planung des Symposiums und der intensive Einsatz Dr. Kühebachers (Bozen) soll an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden. Nicht nur Germanisten sollten aus ihrer Sicht an die Arbeit gehen, auch Musiko- logen waren geladen. Aber auch das hätte nicht ausgereicht, einen Ansatz für eine einwandfreie Interpretation des Werkes zu liefern. Aus diesem Grunde waren auch Aufführungspraktiker zugegen, die in einem parallel zur Tagung laufenden „Work- shop" versuchten, die theoretischen Arbeitsergebnisse lebendig zu machen. Univ.-Prof. Dr. Bruno Boesch (Freiburg) eröffnete die Tagung mit seinem leben- digen Festvortrag „Oswald von Wolkenstein als Zeitgenosse". Die erste Arbeits- sitzung brachte Themen zum Vergleich Oswaldscher Poesie mit der anderer mittel- alterlicher Dichter. Univ.-Ass. Dr. Wolf (Innsbruck) sprach über „Oswald von Wolkenstein und der Mönch von Salzburg". Univ.-Doz. Dr. U. Müller (Stuttgart) verglich die Dichtung des adeligen Oswald mit der des bürgerlichen Michel Beheim und Dr. H. D. Mück (Stuttgart) behandelte das Thema „Oswald von Wolken- stein — ein Frühpetrarkist?" Der zweite Arbeitstag war der Musik gewidmet. Univ.-Prof. Dr. W. Salmen stellte in seinem Beitrag „Die Musik im Weltbild Oswalds von Wolkenstein" vollendet dar, welchen Musikbegriff der Dichter aus mittelalterlicher Tradition übernahm und welche Bereiche aus dem realen Musikleben seiner Zeit ihn vorzüglich beein- flußt hatten. Anschließend interpretierte Univ.-Prof. Dr. Lomnitzer (Marburg) die Wort-Ton-Probleme bei Oswald von Wolkenstein. Er wies auf die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Musikwissenschaft und Germanistik hin, um einer Lösung näherzultommen. Einen von allen Tagungsteilnehmern mit Spannung er- warteten Beitrag zur Frage „Wo hat Oswald seine musikalische Ausbildung erhalten?" hatte Univ.-Ass. Dr. Erika Timm (Trier) vorbereitet. Mühevolle Kleinarbeit hatte die Referentin zum Schluß gebracht, daß Oswald die Kunst der Musik in dem durch seine Musikpflege bedeutenden Kloster Neustift erlernt haben müsse. Der „Mönch von Salzburg"-Forscher Univ.-Ass. Dr. Spechtler (Salzburg) widmete sein Thema den geistlichen Liedern Oswalds.

Der Komponist Prof. Cesar Bresgen (Salzburg) legte in seinem Vortrag „Unter- suchungen zum Rhythmus bei Oswald von Wolkenstein" das Ergebnis einer Arbeits- gemeinschaft an der Musikhochschule Mozarteum (unter Mitwirkung von Nikolaus Hamoncourt) dar, die unter seiner Leitung eine Interpretation der Oswaldschen Lieder nach Marius Schneiders Forschungsprinzipien versucht hatte. Tonbandauf- nahmen veranschaulichten die theoretischen Ausführungen. Univ.-Prof. Dr. P. Wiesinger eröffnete mit seinem Vortrag „Zur Sprache Oswalds von Wolkenstein" den dritten Arbeitstag. Besonders interessant war Univ.-Prof. Dr. Beyschlags Arbeit zu Oswalds Jagdlied „Wolauff, gesell, wer jagen well". Wie man eine neue Oswald-Ausgabe herausbringen müsse, legte Univ.-Prof. Dr. Röll (Trier) dar. Einiges Kopfzerbrechen wird noch vonnöten sein, um hier ein befrie- digendes Ergebnis zu erzielen. Die beiden letzten Vorträge hielten Univ.-Ass. Dr. Moser und Dr. Schwöb. Dr. Moser teilte seine Beobachtungen zur Text- und Überlieferungsgeschichte mit, Dr. Schwöb äußerte sich „Zur Stellung Oswalds im Streit zwischen Sigismund und Friedrich mit der leeren Tasche". Er legte anhand von Urkunden dar, welche Rolle Oswald dabei spielte. Eine hervorragende Arbeit, die die Tagung würdig abschloß. Michael Korth

41 Im Rahmen des Workshops wurden Versuche unternommen, Oswalds Melodien originalgetreu wiederzugeben. Unter der Leitung von Dr. Costa (Innsbruck) und Prof. Walter Salinen waren Kurt Equiluz, vier Mitglieder der Musikerfamilie Engel aus Reutte/Tirol und ein Mitarbeiter Prof. Bresgens aus Salzburg damit beschäftigt, etwa zehn der musikalisch ergiebigsten Lieder einzustudieren. Unter anderem wurden der „Tischsegen", „Ach senliches Leiden", „Durch Barbarei", „Ain Graserin" und „Wach auf mein Hort" erarbeitet. Unter Zuhilfenahme der verschiedensten Instrumente, vom Dudelsack, der Drehleier und Maultrommel über Pommer, Blockflöte, Schwiegelpfeife, Posaune bis zu Fidel, Laute und reichhaltigem Schlagwerk entstand ein wahrscheinlich originales Klangbild, dem sich die gar nicht „opemmäßige" Stimme von Kurt Equiluz ausgezeichnet einfügte. Da man von philologischer Seite volle Unterstützung erhielt, gerieten die Lieder mit ihren herr- lich derben und gleichzeitig tiefsinnig sensiblen Texten bald zu größter Lebendig- keit und wurden geradezu szenisch aufgeführt, was wohl der Tradition am nächsten kommt. In einer Demonstrationsstunde wurde die Arbeit des Workshops vorgeführt und dabei mit anderen Interpretationen von Platte und Band verglichen. Dabei envies sich ein so breites Spektrum von Interpretationsmöglichkeiten, daß man sich oft nicht für eine bestimmte Art festlegen konnte und wollte. Der einzige Maßstab, der zur Beurteilung der Qualität möglich schien, war die Lebendigkeit der dargebotenen Musik. Johannes Heimrath

GEGEN DIE DISKRIMINIERUNG DER MUSICA SACRA

„Die Lage der Kirchenmusik zehn Jahre nach dem Konzil" war das Thema einer Veranstaltungsreihe, zu der die österreichische CeseUschaft für Musik eingeladen hatte. Zwei der prominentesten Kirchenmusikkenner der Gegenwart, Johannes Overath, seinerzeit Peritus der Konzilskommission für Liturgie, und Professor Dr. Karl Gustav Feilerer hielten Hauptreferate, ein abschließendes Round-table-Gespräch beschäftigte sich mit der kirchenmusikalischen Gegenwart speziell aus österreichischer Sicht. Der Kölner Prälat Johannes Overath konnte durch die Einblicke, die er beim Entstehen der Konstitution über die Kirchenmusik als tätiges Mitglied der Kommission gewann, viele konkrete und nützliche Hinweise geben. Einerseits machte er kein Hehl daraus, daß in dieser Kommission überwiegend Liturgiker versammelt waren, die von den kirchenmusikalischen Aspekten so gut wie keine Ahnung hatten, anderseits stellte er mit aller gebotenen Klarheit fest, daß die Konstitution, wie sie als Ergebnis dieser Gemeinschaftsarbeit vorliegt, trotz dieses Umstandes keine Neuorientierung in der kirchenmusikalischen Gesetzgebung und in der Auffassung der Musica sacra durch die Kirche bedeutet. Um dies zu beweisen, legte er die Richtlinien der kirchenmusikalischen Gesetzgebung im 20. Jahrhundert dar. Die gegenwärtige Situation, die katastrophal zu werden drohe, sei in erster Linie die Folge der musikalisch ungenügenden Ausbildung des Priestemachwuchses und einer sich auf angebliche Richtlinien stützenden Diskriminie- rung der Musica sacra. Vor allem die Kemidee der Konstitution, die „actuosa partici- patio populi" — die aktive Teilnahme des Volkes —, sei in den zehn Jahren seit dem Konzil immer fehlerhaft verstanden worden: aktive Teilnahme des Volkes bedeute nicht ständiges Mitsingen, auch Musik hören sei eine solche Aktivität. Die vom Konzil beabsichtigte „via media", der Mittelweg, sei in der Sprachenfrage längst verlassen, das Lateinische weitgehend verdrängt worden, und damit auch die Musik, die ja überwiegend an den lateinischen Text gebunden ist. Ebenso überzeugt, wie sich Overath für eine Rückbesinnung auf den eigentlichen Konzilswillen und damit die Anerkennung der traditionellen Werte aussprach, ebenso entschieden wandte er sich gegen die Mißbräuche, etwa die „rhythmischen" Messen, die, als Experimente getarnt, auf demselben Wege, nämlich durch arbiträre Deutung der Konstitution, in die Kirche eingedrungen seien.

Prof. Feilerer, der kürzlich den ersten Band seiner monumentalen Geschichte der katholischen Kirchenmusik vorgelegt hatte, unterstützte die Meinung Overaths mit

42 einem Streifzug durch die Entwicklung der Kirchenmusik; seit jeher seien ästhetische Normen für sie verpflichtend gewesen, jedes Abweichen habe zu prohibitiven Maß- nahmen der Kirche geführt. Die Diskussion unter dem provokanten Titel „Kirche ohne Musik?" versammelte unter der Leitung von Dr. Hans Haselböck, des Vorstandes der Kirchenmusikabteilung der Hochs-'hule für Musik, österreichische Kirchenmusikpraktiker um den Tisch. Über- wiegend schienen sie der Meinung zu sein, daß es um die heimische Kirchenmusik nicht so übel stände. Sowohl die exzessiv genützten Möglichkeiten, die durch das Vaticanum in bezug auf die Verwendung der Landessprache eröffnet wurden, wie die gegenwärtige, auf purem Idealismus beruhende Praxis der Kirchenmusdkpflege fanden generelle Billigung. Aus dem Publikum, in dem Chorleiter und andere Kirchenmusiker saßen, hörte man es anders: Viele Pfarrer bringen einfach nicht genügend Interesse für die Kirchenmusik auf, vom Geld gar nicht zu reden . . . Das Kipitel Kirchenmusik, das darf man aus den Erfahrungen dieser Veranstaltungs- reihe schließen, ist zehn Jahre nach dem Konzil noch lange nicht geschlossen. Langsam beginnen sich die Kräfte zu formieren, die den durch die beschlossenen Lizenzen eingetretenen Mißbrauch in Zukunft zu bekämpfen entschlossen sind. R. K.

NEUES AUS DER FLÖTENFAMILIE

Zu diesem Thema sprach Thomas Pinschof, ein junger Flötist (Jahrgang 1948) aus der Wanausek-Schule, der sich bei Meistern wie Karl-Heinz Zöller, Severino Gazzel.oni, Jean-Pierre Rampal und Aurele Nicolet den letzten künstlerischen Schliff geholt hat, in der Österreichischen Gesellschaft für Musik. Pinschof ist auch Gründer und Leiter des „Ensembles I", das durchwegs aus jungen Solisten besteht, die keine Orchesterlaufbahn anstreben, sondern sich der Pflege der Kammermusik widmen wollen Das Ensemble bevorzugt vor allem jene Werke, „die meist nur wegen ihrer ungebräuchlichen Besetzung selten zu hören sind", mag es nun „alte" oder „neue" Musik sein. In Wien treten die ambitionierten Musiker zum erstenmal in einem eben anlaufenden, aus sechs Konzerten bestehenden Abonnementzyklus vor das Publikum. Nach allgemeinen Ausführungen über den Klangcharakter seines Instruments ging Pinschof auch auf spezielle technische Probleme ein, die er durch praktische Vor- führungen veranschaulichte, und gab besonders für Komponisten wichtige Hinweise auf die Eigentümlichkeiten der einzelnen Vertreter der Flötenfamilie. Besonderes Interesse erweckte die Demonstration der von ihm entworfenen Neukonstruktion einer Baßflöie, die zwar „quer" geblasen, aber der besseren Handlichkeit wegen „längs" gegriffen werden kann. W. S.

IN MEMORIAM

Georg Schönberg, der Sohn Arnold Schönbergs aus dessen erster Ehe mit Mathilde v. Zeralinsky, ist am 3. Jänner im 68. Lebensjahr in Mödling gestorben. In Wien geboren, kam er 1918 mit seinem Vater nach Mödling und wohnte damals im Eltern- haus ir. der Bernhardgasse 6, das als die Geburtsstätte der Zwölftontechnik anzusehen ist. Das Haus wurde 1972 von der Internationalen Schönberg-Gesellschaft erworben, wird gegenwärtig renoviert und soll im Juni 1974 aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Arnold Schönberg der Öffentlichkeit als Gedenkstätte und Dokumentationszentrum der „Wiener Schule" übergeben werden. Georg Schönberg hatte an der Wiener Musikakademie Horn und Musiktheorie studiert, war auch als Kompcnist tätig und übte bis vor zwei Jahren den Beruf eines Korrektors, Kopisten und Killigraphen bei großen Musikverlagen in Berlin, Paris und Wien aus. Viele Jahre irbeitete er für die Wiener Universal-Edition, die ihn infolge seiner großen musiktieoretischen Kenntnisse wiederholt zu Spezialaufgaben heranzog. In den letzten Jahren seines Lebens schrieb Georg Schönberg, der als Gründungsmitglied auch dem Ehrenpräsidium der Internationalen Schönberg-Gesellschaft angehörte, an einem Erinnerungsbuch an seinen Vater. W. S.

43 ERWIN RATZ ZUM GEDENKEN

Wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag starb Prof. Erwin Ratz am 12. Dezember 1973. Zumindest zwei seiner großen Leistungen überwinden durch Umfang und Bedeutung die Grenzen von Zeit und Raum: seine Arbeit im Dienste Gustav Mahlers, der wir die kritisch gesichtete, zu einem großen Teil vorliegende Gesamtausgabe ver- danken — sie allein schon ein Werk von überdimensionalem Ausmaß — und seine kürzlich in erweiterter und neugestalteter dritter Auflage erschienene „Einführung in die musikalische Formenlehre", die weit mehr ist als eine Einführung in die „Formprinzipien der Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens", die vielmehr zwischen diesen beiden anscheinend so getrennten Stilbereichen ein von der Musikwissenschaft bislang übersehenes Band knüpft. Ohne Zweifel ist diese Formenlehre, die in dreißigjähriger Tätigkeit an der Wiener Musikhochschule in direktem Kontakt mit den Schülern der Theorieklassen entwickelt und erprobt wurde, eine der säkularen musikanalytischen Schriften, nicht nur in bezug auf den engeren Themenkreis, sondern als Methodik für die Untersuchung tonaler Musik schlechthin.

Der Testamentvollstrecker Mahlers war auch ein Apostel Schönbergs, bei dem er studierte und dessen Kammersymphonde er zum Durcbbruch verhalf, er war Schüler und Freund Anton Webems, Mitbegründer des legendären „Vereins für musikalische Privataufführungen", lange Jahre Vorstand der Mahler-Gesellschaft und der Inter- nationalen Gesellschaft für Neue Musik. Stets hat er für den Geist und gegen den Ungeist gekämpft, wenn es sein mußte mit Feuer und Schwert. Seine Schüler — und im Grunde sollten das alle Musiker sein — haben in ihm ein Vorbild, dessen Ethos ebenso Leitbild bleiben wird wie seine wissenschaftliche Akribie und die Begeiste- rungsfähigkeit für das Schöne. In den letzten Jahren seines Lebens nahm Prof. Ratz auch regen Anteil an den Vorhaben der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, zu deren gründenden Ehrenmitgliedern er gehörte. Rudolf Klein

44 GEBURTSTAGSKALENDARIUM

Josef Rufer feierte am 18. Dezember 1973 in Berlin seinen 80. Geburtstag. Der gebürtige Wiener war in Prag Kompositionsschüler Alexander Zemlinskys gewesen, der ihn 1919 nach Wien zu Arnold Schönberg schickte. Rufer fand Aufnahme in den „Mödlinger Kreis" und ging 1925 mit seinem Lehrer nach Berlin, als dieser als Nachfolger Busonis an der Preußischen Akademie der Künste eine Meisterklasse für Komposition übernahm. In Berlin war Rufer bis 1933, bis zur Emigration Schönbergs nach Amerika, dessen Assistent. Später unterrichtete er selbst die Schönbergsche Zwölftontherorie und erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg eine Professur an der Berliner Hochschule für Musik. Aber schon in der Wiener bzw. Mödlinger Zeit gehörte Rufer zu den engsten Vertrauten Schönbergs, in dessen berühmtem „Verein für musikalische Privataufführungen" er zeitweilig die Funktion des Sekretärs aus- übte. Niemand, der sich mit Leben und Werk Arnold Schönbergs beschäftigt, kann an den beiden Standardwerken Rufers vorübergehen: 1952 erschien sein Buch „Die Komposition mit zwölf Tönen", das 1966 in zweiter Auflage gedruckt wurde; 1959 legte Rufer nach Sichtung des umfangreichen Schönberg-Nachlasses in Los Angeles seine umfassende Bibliographie „Das Werk Arnold Schönbergs" vor. Aber auch um das Zustandekommen der Schönberg-Gesamtausgabe, deren erster Band 1966 erschien, hat sich dieser getreue Jünger und Freund des Vaters der „Wiener Schule" unvergängliche Verdienste erworben. Der Internationalen Schönberg-Gesell- schaft gehört Prof. Rufer als gründendes Ehrenmitglied an. W. S.

NEUERSCHEINUNG: NORBERT SPRONGL von Robert Stockhammer

Die erste Monographie über den österreichischen Norbert Komponisten ockhammer ^Ο^ΟΠΟΙ

Der Autor dieser Studie, selbst ausübender Künstler und graduier- ter Musikwiissenschafder, schildert m zwölf Kapiteln nioht nur den Werdegang und die künstlerische Entwicklung des heute 81jährigen Komponisten, sondern geht auch ausführlich auf die einzelnen Werke ein — Sprongls Werkverzeichnis führt über 160 Opuszahlen an — und nimmt tiefschürfende Stil-Unter- suchungen vor. Ein komplettes Werkverzeichnis, eine Diskographie und Literaturhinweise ergänzen die informative Schrift.

56 Seiten, 6 Abbildungen auf Kunstdruckpapier, weitere Abbildungen und Notenbeispiele im Text. Preis öS 72,—/DM 10,—.

VERLAG ELISABETH LAFITE, WIEN

45 NEUE BÜCHER

Alois Forer: Orgeln in Österreich. das Hohenemser Positiv — verlangt eben- Schroll-Verlag, Wien-München 1973. so wie die Orgel im sakralen Raum oder im großen Konzertsaal die ihr angemes- Ein repräsentatives, einzigartiges Werk sene Umgebung und Atmosphäre, um zum Thema österreichische Denkmalorgel voll zur Wirkung gelangen zu können. ist das Buch „Orgeln in Österreich" von Forers Buch trägt all dem Rechnung. Alois Forer. Diese Neuerscheinung bietet Nicht nur, daß die einzelnen Abbildun- eine Synthese von Orgelbau-, Musik- und gen der kostbaren Orgelprospekte den sie Kunstgeschichte Österreichs am Beispiel umgebenden Kirchenraum in die Bild- von 100 Denkmalorgeln, die aus den zum komposition miteinbeziehen, auch die Teil wenig bekannten Schätzen österrei- jeder Illustration zugeordnete Monogra- chischer Kultur und Tradition auf dem phie stellt das jeweilige Werk in seine Gebiet der Orgelbaukunst ausgewählt historische, bauliche, musikalische Umge- wurden. Mit dem Wissen und der Er- bung. Forschungsergebnisse wie etwa Da- fahrung des Fachmannes hat der Organist, ten zur Baugeschichte der einzelnen Or- der Konsulent des Bundesdenkmalamtes, geln, zur Biographie ihrer Erbauer und der Orgelbauexperte Forer es verstanden, zu vergangener oder gegenwärtiger Klang- mit seinem Buch die Königin der Instru- substanz (durch Angabe der Disposition mente in Bild und Wort zu würdigen. fixiert) sichern dem Buch „Orgeln in „Orgeln in Österreich" ist nicht nur Or- Österreich" überdies hohen Informations- geltopographie, Kunstführer und Nach- wert, der noch ergänzt wird durch ein schlagewerk, es ist schon allein durch die umfassendes Sachregister und eine aus- prachtvolle Aufmachung (hochwertige führliche Bibliographie. Kunstphotos in Schwarz-Weiß und in Nicht nur der Fachmann, auch der orgel- Farbe) eine Hommage an eines der älte- interessierte Laie, der Musik- wie der sten Instrumente abendländischer Musik- Kunsthistoriker, der Denkmalpfleger wie kultur. der Orgelbauer, sie alle werden das „Buch In einer instruktiven, die Kultur- in die der 100 Orgeln" immer wieder mit Ge- Orgelbaugeschichte einbeziehenden Ein- winn zur Hand nehmen. leitung wird das Wesen der Orgel und Helga Michelitsch ihre Entwicklung durch die Jahrhunderte leicht faßlich und hervorragend graphisch illustriert erläutert. Österreich als Orgel- Geschichte der katholischen Kirchenmusik, land, das sich in deutlich unterscheidbare herausgegeben von Karl Gustav Feilerer, Orgellandschaften gliedern läßt, wird dem Band I: Von den Anfängen bis zum Leser in seiner vollen Bedeutung bewußt Tridentinum. Bärenreiter-Verlag, Kassel gemacht. Einflüsse aus Nord und Süd, 1972. aus Ost und West werden in Österreichs Orgelbaukunst zu neuen stilistischen Es ist ziemlich genau zweihundert Jahre Schöpfungen geformt, große Komponi- her, daß Martin Gerbert von Hornau, sten — etwa Haydn oder Bruckner — der gelehrte Fürstabt des Benediktiner- nahmen auf Gestaltung und Entwicklung klosters von St. Blasien, sein zweibändiges zeitgenössischer Instrumente ebenso Ein- kirchenmusikgeschichtliches Werk „De fluß wie bedeutende bildende Künstler, cantu et musica sacra, a prima ecclesiae man denke etwa an Barockbildhauer wie aetate usque ad praesens tempus" heraus- Veit Königer in der Steiermark oder Theo- brachte. Mit Recht weist der Herausgeber phil Hansen im Goldenen Saal des Wie- des vorliegenden Bandes darauf hin, daß ner Musikvereins. seither zur Geschichte der katholischen Kirchenmusik wohl viele Einzelstudien er- Als einziges Musikinstrument ist die Orgel schienen sind, während es an einem zu- untrennbar mit dem sie umgebenden sammenfassenden Werk fehlte. Zur Reali- Raum verbunden: sie ist optisch und vor sierung eines solchen Vorhabens versicher- allem auch klanglich auf ihn abgestimmt, te sich der emeritierte Kölner Ordinarius geniale Orgelbauer haiben zu allen Zeiten der Mitarbeit eines halben Hunderts aner- auf diese Besonderheit Rücksicht genom- kannter Musikwissenschaftler, Theologen men und durch sie die Wirkung dieses und Liturgen, deren Beiträge zwar zu- königlichen Instruments zu erhöhen ver- meist in Form von abgeschlossenen Auf- standen. Auch die Orgel als Kammer- sätzen gehalten sind, sich aber doch auf Grund der klaren Gesamtkonzeption des instrument — seltener Zeuge adeliger Werkes und der straffen inhaltlichen Glie- oder bürgerlicher Musikkultur, wie etwa

46 derung zu einem geschlossenen Canzen der seinen Wiener Musikeranekdoten runden. („Musizieren geht übers Probieren"), sei- nen Opemgeschichten („Warten aufs hohe Kirchenmusik kann nicht als Kunst an sich C") und Operettenhistörchen („Dort wird betrachtet werden, sie steht vielmehr seit champagnisiert") im gleichen Verlag nun je im Spannungsfeld von liturgischer ein universell angelegtes Musikbrevier fol- Norm und musikalischem Trend, von der gen läßt. Der „Kleinen Geschichte der geistigen Umwelt und der gesellschaft- Musik und des Zuhörers" folgt hier ein lichen Stellung des Menschen. Im engeren „Nützliches und kurioses Musik-Alphabet" Wortsinn als ein Bestandteil der Liturgie vom „Absoluten Gehör" bis zur „Zwölf- aufzufassen, greift die Kirchenmusik doch tonmusik", aus dem wir als besonders in ihrem Ausdrucksbereich über kultische gelungen etwa die Aufsätze „Auffüh- Bindungen hinaus in allgemeine Bereiche rungsdauer", „Farbenhören", „Kollegen- der Frömmigkeit und erweist sich somit, kritik" (Händel über Gluck: „Mein Koch versucht man sie darzustellen, nicht nur versteht mehr vom Kontrapunkt als der!"), als musikalisches und theologisches, son- „Nachhallzeit", „Plagiat" hervorheben dern auch als soziologisches und psycho- wollen. Ein Meisterfeuilleton für sich ist logisches Problem. das Kapitel „Die launenhafte Majestät — das Publikum", von erfrischender Sach- Natürlich ist die Kirchenmusik in ihrer und Personenkenntnis zeugt „Der critische stilistischen Ausformung mit der allge- Musicus" mit dem Untertitel „Rezensen- meinen kirchengeschichtlichen Periodisie- ten sind keine Engel". Im doppelten mng, aber auch mit der musikhistorischen Kontrapunkt ist schließlich der „Merkwür- Entwicklung eng verbunden. Die Auswahl dige Zitatenspiegel" angelegt (Beispiele: und Anordnung der einzelnen Beiträge „Uber Musik zu schreiben ist sehr gewagt berücksichtigt diese Gegebenheit denn und voller Verantwortung", laut Strawin- auch in gebührender Weise. Allein ein sky, und Schönbergs Ausspruch: „Musik Drittel der etwa 450 Textseiten ist den muß von jeder Einschränkung frei sein!"). Kapiteln Frühohristentum (darin einige Kurzum: ein amüsantes Plauderbuch über bedeutsame grundsätzliche Beiträge) und Musik, dem der Autor mit Recht das Ostkirchliche Liturgien gewidmet. Den Grillparzer-Wort voranstellt: „Beschriebe- Epochen des Gregorianischen Choralge- ne Musik ist wie ein erzählt's Mittag- sanges und der Zeit von der ersten Mehr- essen." Erik Werba stimmigkeit an bis zur Mitte des 16. Jahr- hunderts ist der verbliebene Rest zu glei- chen Teilen zugewiesen — eine Auftei- lung, die allein schon zeigt, wie wichtig NEUERSCHEINUNGEN die Kenntnis der alten Kulte und ihrer AUS DER REIHE GITARRE- Gesänge für das Verständnis unserer Kir- chenmusik geworden ist. KAMMERMUSIK herausgegeben von Karl Scheit Wie sehr unser Wissen durch die musik- Georg Friedrich Händel wissenschaftliche Forschung auch in letz- GKM 95 Op. 1/3 Sonate A-Dur für ter Zeit angestiegen ist, erhellt nahezu Violine und Gitarre (E. jeder der Beiträge. Gründliche Literatur- Schaller) S 46.— angaben, der Übersichtlichkeit halber am Ende eines jeden größeren Abschnittes, Georg Philipp Telemann sowie ein ausführliches Register erhöhen GKM 96 Partita Nr. 5 e-Moll aus die Verwendbarkeit dieses bedeutenden „Die kleine Kammer- Buches; es darf in der Tat den Anspruch musik" für Violine (So- eines Kompendiums erheben, das den pranblockflöte, Querflöte, Worten des Herausgebers zufolge „den Stand der Forschung zu einem der wich- Oboe) und Gitarre (W. tigsten Gebiete der Musikgeschichte in Kämmerling) S 42.— umfassendem Sinne repräsentiert". GKM 97 Triosonate e-Moll für Oboe, Violine, Violoncello Hans Haselböck ad lib. und Gitarre (W. Kämmerling) S 46.— Alexcnder Witeschnik: „Musica, du Karl Pilss Portion vom Himmel." Brevier für Musik- GKM 98 Sonatine A-Dur für Oboe freunde. Neff-Verlag, Wien-Berlin 1973. und Gitarre S 70.—

Geschmack regiert in Formulierung, Aus- stattung (Gesamtgestaltung: Karl Andreas DOI{LI\(.LK Edlinger), Aufbau und Aussage dieses Wien München neuen Geschenkbüchleins Witeschniks,

48 Eta Harich-Schneider: A History of Japa- sondern analysiert auch die heutige japa- nese Music. Oxford University Press, nische Musikpraxis. Die Autorin betrach- London 1973. tet dabei die japanische Musik im beson- deren Hinblick auf die soziologischen und Es ist hinreichend bekannt, daß Japan politischen Zusammenhänge. in den letzten Jahrzehnten einen immer bedeutenderen Anteil am Konsum von Die hervorstechende Neuentdeckung von abendländischer Musik hat. Es gibt hun- Harich-Schneiders Forschungsarbeit ist derttausende von Musikstudierenden in der Hinweis auf das Vorhandensein einer Japan selbst, und eine beachtliche Anzahl europäischen Musik in Japan schon im davon geht jährlich nach Europa und 16. Jahrhundert. Bis dato galt die weit USA, um die Studien fortzusetzen. Instru- verbreitete Meinung der europäischen und mentenbau, Musikverlage und Schallplat- japanischen Musikforschung, daß erst tenindustrie nehmen im Rahmen der Welt- nach der Meji-Zeit (1868) die Japaner produktion einen bedeutenden Anteil. Die ihr Interesse für europäische Musik be- Europäer fragen sich daher, wie nun die kundeten. Harich-Schneider weist jedoch Situation der japanischen Musik selbst sei, an einem hochinteressanten Bildmaterial und forschen nun nach einer geeigneten nach, daß europäische Musikinstrumente Informationsquelle in einer der gängigen bereits um 1600 in Japan bekannt waren. europäischen Sprachen. Leider war es auf Natürlich stellt die Verfasserin auch die diesem Gebiete bis dato recht karg be- Situation der abendländischen Musik seit stellt, die wenigen Bücher waren zum der entscheidenden Meji-Zeit mit ent- Teil veraltet und zumeist aus dem all- sprechender Exaktheit dar. Die durch den gemeinen Buchhandel verschwunden. Von nötigen Zeitabstand gewonnene Übersicht japanischer Seite her war fast nichts in ermöglicht es uns erst heute, wirklich europäischen Sprachen erhältlich. genau festzustellen, ab wann westliche Es ist daher sehr zu begrüßen, daß Eta Musik bekannt war und ab wann sie Harich-Schneider, die bedeutende Cem- tatsächlich emsthaft praktiziert worden balistin und Musikwissenschaftlerin, über ist. Bisher war nämlich auch die japa- 20 Jahre ihres Lebens damit zugebracht nische Berichterstattung nicht genügend hat, tiefgreifende Studien über japanische objektiv und informativ gewesen, um Musik anzustellen und uns heute ein um- ernsthaft in Betracht gezogen werden zu fangreiches, allumfassendes Buch über können. japanische Musik geben kann. Dieses Werk, das durch sein zahlreiches Bild- Besondere Beachtung verdient auch der material und einige Schallplatten ein wirk- Index der wichtigen japanischen Musik- lich farbiges und hochinteressantes Bild begriffe, der mit den dazu gehörigen über die gesamte japanische Musik gibt, chinesischen Schriftzeichen ergänzt wurde. ist in seiner Art einzigartig. Nicht nur, Das weite Spektrum der Behandlungs- daß Harich-Schneider sämtliche japani- weise der gesamten japanischen Musik sche Publikationen kennt, sie geht auch durch Eta Harich-Schneider umfaßt also auf die eigentlichen historischen Quellen nicht nur Geschichte, sondern auch In- zurück, und das macht dieses Buch nicht strumentarium und Interpretationsanwei- nur im Moment zu einem bedeutsamen sungen. Diese humanistisch-kosmopoli ti- Nachschlagwerk, es wird auch für zu- sche Betrachtungsweise erhebt die vor- künftige Musikforschungen stets eine liegende Arbeit über jede übliche Spezial- wertvolle Hilfe sein. untersuchung. Das Buch wird vor allem dem vergleichenden Musikforscher ein Harich-Schneider beschreibt nicht nur die aufschlußreiches Nachschlagwerk sein. Entstehung der einzelnen Musiktypen, Hans Kann

BUCHEREINLAUF (Besprechung vorbehalten)

Julius Bächi: Berühmte Cellisten. Porträts der Meistercellisten von Boccherini bis Casals und von Paul Grümmer bis Rostropovitch. Atlantis-Verlag, Zürich 1973, 160 S. Jozsef Ujfaliusy: Bela Bartök. Corvina-Verlag, Budapest 1973. Bela Bart0k: Briefe. Gesammelt, ausgewählt, erläutert und herausgegeben von Jänos Demeny. Band I und II. Corvina-Verlag, Budapest 1973, 252 und 264 S. Otto Erich Deutsch: Musikalische Kuckuckseier und andere Wiener Musikgeschichten. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rudolf Klein. Verlag Jugend und Volk, Wien-München 1973, 147 S. 49 AUS ÖSTERREICHS MUSIKLEHRANSTALTEN

DER MUSIKALISCHE FUTURISMUS

Ziel der vorjährigen Veranstaltung des Instituts für Wertungsforschung an dei Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz im Rahmen des „Steirischen Herbstes" 1973 war eine kritische Neubewertung des Futurismus und der Versuch einer Darstellung seines Einflusses auf Entwicklungstendenzen der Musik der Moderne. Im Eröffnungsreferat umriß Otto Kolleritsch Wesen und Bedeutung des Futurismus. Diese Bewegung ist in erster Linie als eine Rebellion auf den bestehenden, starren Traditionalismus zu betrachten, die sich, im großen gesehen, in einer Verlagerung des Ubergewichts vom bloß Ästhetischen zum Außerästhetischen zeigte, was für die ästhetische Qualität des originären musikalischen Futurismus nicht ohne Konsequenzen blieb. Die Idee des Futurismus ist zu beachten, die als Impuls auf bereits in Bewegung befindliche Tendenzen ästhetischer Entwicklungen einwirkte — Kolleritsch verwies auf Busonis „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst" — durch die Verstärkung der Einsicht, daß der technische Fortschritt die Tonkunst ebenso in eine Umwand- lung einbegreifen werde, wie das in verschiedenen Formen der bildenden Kunst bereits der Fall war. Der Futurismus war in erster Linie weltanschaulich orientiert, in zweiter Linie künstlerisch, wobei eine Trennungslinie von der Perspektive der Futuristen aus jedoch nicht zu ziehen wäre, da sie gerade die Durchdringung von Kunst und Leben betonen. Es ist daher verständlich, daß sich das Symposion auch mit allge- mein ästhetischen, soziologischen, psychologischen und politischen Fragestellungen zu beschäftigen hatte: Heinz-Klaus Metzger („Kultur und Barbarei. Zur Dialektik des Fortschritts im italienischen Futurismus") stellte dem Fortschrittsgedanken in den Manifesten Marinettis die verheerenden Folgen von Weltkrieg und Uberindustriali- sierung gegenüber und verureilte aus dieser Sicht die Proklamation eines „Fort- schritts zur Barbarei". Weniger pessimistisch und unter Einbeziehung der Lebens- umstände der Futuristen versuchte Richard Rubinig („Die Lebensverwirklichung des Futurismus") die Absicht Marinettis, einen neuen, „mechanischen, nicht mehr humanen Menschen-Typus" auszubilden, der den Anforderungen seiner Zeit gewachsen wäre, verständlich zu machen. Mit den Beziehungen bzw. Wechselwirkungen von Wissen- schaft, Technologie und Kunst beschäftigte sich Kjell Skyllstad („Futurismus und Futurologie. Die Musik als Spiegel oder Zukunftsmodell der Gesellschaft"). Er sah in der Huldigung der Technik durch die Futuristen vor allem das Ziel einer „Entwick- lung des Selbstbewußtseins" und in ihren Forderungen einer neuen Kunst den Wunsch nach einer „Änderung der psycho-typischen Struktur des Menschen in Richtung einer erhöhten Bewältigung seiner Existenz".

Einen historischen Uberblick über den italienischen Futurismus gab Enrico Fubini („Der Futurismus in der italienischen Musik und seine ästhetischen und soziologischen Auswirkungen"), der auch auf die entscheidende Rolle der politischen Situation hinwies und vor allem auf die Beziehung zwischen der Futurismusbewegung und dem musikalischen Neoklassizismus einging. Die „Dialektik zwischen Manifest und Tätigkeit" zeigte Noemi Blumenkranz an Beispielen aus der Malerei und Theater- kunst am Futurismus. Mit den Auswirkungen der futuristischen Intentionen, direkt vom musikalischen Material ausgehend, beschäftigten sich Jean-Yves Bosseur („Der Futurismus und das Werk Edgard Vareses") und Dieter Kaufmann („Die Präsenz futuristischer Ideen in der elektroakustischen Musik"). Größere Bedeutung mißt Wolf Rosenberg („Phonetische Dichtung und Sprach- komposition. Aspekte des russischen Futurismus") dem russischen Futurismus zu und dessen Versuch einer „Annäherung oder gar Verschmelzung der einzelnen Künste", von deren Verwirklichung einige Beispiele aus der phonetischen Poesie zeugten. Den beträchtlichen Zukunftswert dieser Idee bewies Rosenberg anhand vieler Beispiele aus verschiedenen Gebieten der modernen Kunst. Ein weiterer Beitrag zum russischerf Futurismus von Wilhelm Zobl („Der Futurismus als soziales Phänomen") stellte das Verhältnis dieser Bewegung zur Gesellschaft und den herrschenden politischen Gruppen dar. Wieder zentraler mit musikalischen Problemstellungen zum Futurismus 50 beschäftigten sich die Referate „Musica ex machina" von Fred K. Prieberg und „Vorformen einer physikalischen Ästhetik" von Peter Vujica. In der abschließenden Diskussion wurde von den Teilnehmern der interdisziplinäre Aspekt des Symposions begrüßt — den letzten internationalen Futurismus-Kongreß gab es in den Zwanzigerjahren —, auch wurde darauf hingewiesen, daß der Futu- rismus der Form der Kunstinterpretation eine komplexere Betrachtungsweise durch die Einbeziehung der Wirklichkeit nahelegt. Die Beiträge des Symposions werden in der Publikationsreihe des Instituts für Wertungsforschung „Studien zur Wertungs- forschung" veröffentlicht. Karin Marsoner

GESAMTKUNSTWERK THEATER: REGIE UND BÜHNENBILD Wolfram Skalicki

Anläßlich der Neugestaltung der Meisterklasse für Bühnenbild und Bühnen- technik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz beleuchtet der Beitrag des Lehrstuhlinhabers grundsätzliche Fragen seines Faches.

Ist das Bühnenbild eigentlich ein Gemälde? Ist der Bühnenbauer Architekt? Bestimmt nur er die räumliche Gliederung der Bühne? Welchen Anteil hat dann der Regisseur mit seinen Darstellern an der plastischen Gestaltung? — Das ist die alte Frage nach dem Primat auf der Bühne, die schon einmal in anderer Form — nämlich für die Oper — gestellt wurde: „Prima la musica — dopo le parole" — oder umgekehrt?! Monteverdi, Gluck und Wagner haben ihre Antwort gegeben; Richard Strauss und Clemens Krauss haben diesem Thema sogar eine eigene Oper („Capriccio") gewidmet. Alle haben recht: Theater ist die einmalige Verbindung aller Künste zu dem vielzitierten „Gesamtkunstwerk."

HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST IN WIEN DARSTELLENDE KUNST Rektorat Wien III, LothringerstraBe 18, „MOZARTEUM" IN SALZBURG Telefon 72 67 56, 5616 85 Serie 5020 Salzburg. Schwarzstrafta 28, Abteilungen: Tel. 744 92 Komposition, Musiktheorie und Dirigen- tenausbildung Studlenelnrlchtungen Tasteninstrumente Streichinstrumente und andere Saiten- Abteilung Komposition. Musiktheorie instrumente und Dirigentenausbildung Blas- und Schlaginstrumente Institut für musikalische Grundlagenforschung Musikpidagogik Kirchenmusik Abteilung II Tuteninstrumente Sologesang und musikdramatiache Darstellung Abteilung III Streich- und Tanz ander· Saiteninstrumente Schauspiel und Regie (Max-Reinhardt- Abteilung IV Semlnar) Biss- und Schlaginstrumente Film und Femsehen Abteilung V Ausbildung bis zur höchsten kOnstl. Reife Musikpidagogik Kurse und Lehrgänge: Institut für vergleichende MusikpAdsgoglk Capeila AcacTemica; Elektronische Musik; Fernseh-, Film- und BQhnenpraxle; har- Abteilung VI Kirchenmusik monikale Grundlagenforschung; moderne Abteilung VII Sologesang und musik- tlnzerische Erziehung; musikalische Gra- dramstlsche Darstellung phik; Musiktherapie; Tontechnik. Institute: Abteilung VIII Darstellende Kunst (Schsusplel, Regle, Tanz, Volksmusikforschung, Musiksoziologie und Bühnenbild, sudlovisuelle musikpldagoglsche Forschung, Österrei- Medien) chische Dramaturgie, Hans-Kayser-Insti- tut für harmonikale Grundlagenforschung, Sonderabteilung „Orff-Institut" kirchenmusikalische Volksbildung, Atem- und Stimmerziehung, Wiener Klangstil, Institutfür musikalische Sozial- und Heilpidsgogik Elektroakustik, organologisdie Forschung und Dokumentation. „Internationale Sommerakademie" der Hoch- HochsdiulchBre, Öffentliche Auffahrungen, schule für Musik und darstellende Kunst Gastvortrtge, internationale Wettbewerbe. „Mozarteum** in Salzburg

51 Ich habe einmal versucht, an Hand der „Zauberflöte" den Anteil des Regisseurs und des Bühnenbildners an einer gelungenen Aufführung zu analysieren. Das Bei- spiel dieser Oper, die so sehr mit optischen Effekten rechnet, daß das Schaubare scheinbar dominiert, lehrt uns, daß nur ein starkes Regiekonzept ein Überwuchern des Dekorativen verhindern kann. Es widerspricht der Idee des Gesamtkunstwerkes, wenn die Ausstattung sich selbständig macht, aber auch wenn die Bühne zur Manege des Regiedompteurs wird. Denn alles hat dem Träger der Handlung, dem Darsteller, dem Menschen auf der Bühne zu dienen. Im Bühnenbild dürfen Form und Farbe, Raum und Licht nicht als schmückendes Detail gewertet werden; es soll seinen Wert erst durch den Darsteller als Bezugspunkt erhalten. Ein gutes Bühnenbild wird ohne ihn leer und unvollkommen wirken, seine Figur muß als eine notwendige Ergänzung erwartet werden. Wie entsteht nun ein Bühnenbild oder richtiger: wie kommt es zu einer Auf- führung? — Ist ein Stück angesetzt, dann hat es seinen Platz im Spielplan, diesem Spiegel des komplizierten Organismus „Publikum", dann ist die erste Frage für den Interpreten: „Warum wird dieses Stück gespielt?" Die zweite Frage: „Wie soll dieses Stück gespielt werden?" markiert den Beginn der Arbeit für Bühnenbildner und Regisseur. Der ersten Bühnenprobe gehen oft Monate, manchmal Jahre Besprechungen zwischen den Inszenatoren voraus, ehe ein Projekt Gestalt annimmt. Bei diesen Vorbesprechun- gen — einem vorsichtigen Herantasten an das Thema — entsteht zunächst ein Gedankengebäude. Der „dramatische Raum" wird erst gedacht, bevor ihn der Bühnen- bildner zu Papier bringt. Es ist zugleich eine Phase der Bestandaufnahme in optischer und technischer Hinsicht: welche Schauplätze sind vorgesehen, wie ist die Länge der Szenen, ihr Gewicht für die Aussage, für die Interpretation des Stückes? Alles ist wichtig — sogar die Pausen —, kurz: das rhythmische Ganze eines Stückes, das sich in seiner Dramaturgie ausdrückt. Das Ergebnis dieses Denkspieles sind dann für das Inszenierungsteam die ersten Skizzen und Grundrisse. Der Bühnengrundriß, d. h. der Raum, der später den Dar- stellern zur Verfügung steht, ist etwa einem Schachbrett zu vergleichen. Es ist durchaus nicht gleichgültig, wo etwas spielt bzw. in welcher räumlichen Beziehung die Figuren zueinander stehen. Vergessen wir auch nicht: Theater ist — wie das Schachspiel — Aktion! Auf dem Theater wird etwas abgehandelt, geschieht etwas, wie schon die Bedeutung des Wortes „Drama" sagt; ein Vorgang, an dem auch die Zuschauer teilhaben. In dieser Kommunikation liegt schließlich auch die kultische Wurzel des Theaters. Wenn auf Grund dieser ersten Besprechungen der Bühnenbildner seinen Entwurf gemalt hat, sollten wir bedenken, daß dieses Bild als graphisches Blatt den ästhetischen Gesetzen der Fläche unterworfen ist und bei aller malerischen Vollendung nur die Vorstudie für eine räumliche Verwirklichung sein kann. Wie die Skizze eines Architekten, erhält das Bühnenbild seine wahre Bedeutung erst durch seine Um- setzung in den dreidimensionalen Raum, durch die Ubersetzung in Proportionen, die dem menschlichen Körper angemessen sind. Für den Regisseur ist der Bühnen- bildentwurf Ansichtsmaterial, eine Bestätigung des Inszenierungskonzeptes; er dient der Anregung und Klärung, ist eine Vision der kommenden Szene. An Hand der Entwürfe und der Grundrisse wird der Regisseur noch einmal alle Szenen auf dem Papier „durchspielen", ehe das Bühnenbild zur Anfertigung in die Werk- stätten geht. Eine „Bauprobe" auf der Bühne, bei der alle Dekorationsteile möglichst genau in ihrer Größe markiert werden, dient einer Kontrolle des Raumkonzeptes. Erst dann folgt die mühevolle Detailarbeit des Bühnenbildners und seines Stabes: die Ausführung der Dekoration nach den technischen Zeichnungen, Plänen und Modellen, die Arbeit der Tischler und Schlosser, Maler und Kaschierer, Tapezierer und Requisi- teure; alles immer im Hinblick auf die Wirkung im Großen. Erst jetzt beginnt die eigentliche Probenzeit auf der Bühne. Regisseur und Darsteller füllen den Raum mit der Phantasie ihrer Gestaltung. Das Bühnenkostüm, das den Darsteller aus der Realität heraushebt, kommt hinzu: wohl der älteste aller „Ver- fremdungseffekte"! Schließlich — in den letzten Probentagen •— wird die fertige Dekoration zur technischen Probe (der „Dekorations- und Beleuchtungsprobe") auf- gebaut. Regisseur und Bühnenbildner suchen gemeinsam ihre szenische Vision auch durch das Licht zu unterstützen, wobei jede Stellung der Darsteller, jeder Farbfleck

52 eines Kostümes seinen Aussagewert erhält. Dann erst kommen die Schlußproben, dann erst fügt sich jedes Detail zu dem großen Gesamtkunstwerk „Theater" zusammen.

Es war seit Jahren unser Ziel, dieser künstlerischen Einheit des Theaters entsprechend dafür ein „Studium generale" zu schaffen: Schauspiel und Oper, Regie und Bühnen- bild an einer Schule zu lehren, wie es sich jetzt als Studienziel der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz anbietet. Hier soll die einmalige Gelegenheit einer wirklichen Zusammenarbeit gegeben werden, und zwar schon während des Studienverlaufes — so wie es uns als Ideal vorschwebt.

MUSIKHOCHSCHULE WIEN tion einnimmt, charakterisierte das Kon- zert durch seine Werkauswahl die ver- schiedenen Schaffensperioden, die von der Spätromantik bis zur Moderne reichen. Das Liedschaffen Robert Scholiums. Eine Der Abend begann mit Proben aus dem der bedeutendsten und universellsten Mu- Zyklus „Lieder aus dem Wunderhom" siker- und Komponistenpersönlichkeiten op. 12 (1934—1936). Impressionistisch im Österreichs, Robert Scholium, feierte am Stimmungsgehalt, zeigt sich als besonders 22. August 1973 seinen 60. Geburtstag. Aus charakteristisch die feine Arbeit mit Mo- diesem Anlaß war am 22. November im tivpartikeln und breite melodische Linien- Rahmen der Woche der zeitgenössischen führung. Die Musik dient ausschließlich österreichischen Musik ein Abend aus- zur Erhöhung und Unterstreichung des schließlich seinem Liedschaffen gewidmet. Wortsinnes, der besonders durch die gros- Als Veranstalter zeichneten die Wiener se rhetorische Gestik zu eindringlicher Musikhochschule, die ihren profilierten Wirkung gelangt. 1963, in der dodeka- Lehrer ehrte, und der österreichische phonischen Epoche Scholiums, entstand Komponistenbund, der seinem langjähri- der größte Teil des Liederzyklus „Alltag gen Präsidenten für unermüdlichen Ein- der Augen", Musik von starkem Realismus satz die verdiente Anerkennung zollte. Da und hoher Intensität. Auch hier wird in Scholiums kompositorischer Entwick- breite melodische Linienführung zu emo- lung die solistische Vokalmusik, vornehm- tionell angereicherter Aussage herange- lich das Liedschaffen, eine Schlüsselfunk- zogen. „Viermal Abend und ein Abge-

HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST IN WIEN Abteilung für Blas- und Schlaginstrumente

STELLENAUSSCHREIBUNGEN

Ab Sommersemester 1974 gelangt ein Lehraoftrag von 16 Wochenstunden für Querflöte zur Besetzung. Am Institut „Wiener Klangstil" gelangt die Stelle eines Hochschulassistenten zur Neubesetzung. Verpflichtung: Lehre und Forschung im Aufgabenbereich des Institutes (siehe Studienführer der Hochschule S. 42).

Bewerbungen mit entsprechenden Unterlagen sind bis spätestens 31. Jänner 1974 an das Rektorat zu richten.

53 sang" entstand 1967 und spiegelt Schol- ergebnisse wurden von Maedel und Herf iums Auseinandersetzung mit vom ge- in einer Broschüre „Ekmelische Musik" sprochenen Wort ausgehenden modernen (1972) sowie in Hörfunksendungen und Techniken. Noch mehr das Gestische, ja öffentlichen Veranstaltungen des ORF- sogar szenische Momente betonen die Studios Salzburg publiziert. Bereits 1971 1969 entstandenen „Fünf Erzählungen", kam die erste ekmelische Komposition die vom Sänger nahezu opemhafte Dar- „Aus einer Sturmnacht" von Franz Herf stellungskraft fordern. Die Musik hat hier in Salzburg zur Uraufführung. die Aufgabe zusätzlicher Ausleuchtung und Kommentierung der jeweiligen Hand- Mit Hilfe der elektronischen Feinstufen- lung. In den „Drei Gesängen" nach Ge- orgel hoffen Maedel und Herf neue we- dichten von Gennadij Ajgi op. 88 (1972) sentliche Erkenntnisse zu gewinnen, zu- handelt es sich ebenfalls um in Musik mal das Instrument außer zur Komposi- gesetzte Szenen. tion und Aufführung ekmelischer Musik auch zur weiteren Erforschung der Mikro- Die „Kinderreime" schließlich, die den intervalle und der ekmelischen Akkorde Abschluß des Abends bildeten, entstan- verwendet werden kann. Die neue Orgel den in den Jahren 1959 bis 1963. Dort, soll bereits im kommenden Frühjahr der wo der Text negativen Inhalt besitzt, Öffentlichkeit vorgestellt werden. verschwindet die meist vorherrschende Gestik der Singstimme und sinkt zu ledig- lich kommentierendem Sprechen herab. Besondere Bedeutung erhalten die häufig eingesetzten Tonsymbole, die den Worten HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND zusätzliche Aussagekraft, aber auch ge- DARSTELLENDE KUNST IN GRAZ dankliche Assoziationen zu verleihen wis- 8010 Graz, Leonhardstraße 15, Postfach 208 sen. Mit viel Können und Einfühlungs- Palais Meran Tel. (0 31 22) 32 0 53/54 vermögen gestalteten Mariko Sugimoto (Sopran), Robert Brei (Tenor), Friedrich Abteilung«« Ofner (Bariton) und Hartmut Krones 1 Komposition, Musiktheorie und Kapell· (Baß), Schüler der Liedklasse Scholiums meisterausbildung an der Wiener Musikhochschule, das an- 2 Tasteninstrumente spruchsvolle Programm. Umsichtig und 3 Streichinstrumente, Gitarre und Harfe souverän waltete der Komponist am Flü- 4 Blasinstrumente 5 Musikpldagogik gel, als Begleiter der „Fünf Erzählungen" (Studienrichtungen: Schulmusik, Instrumen- bewährte sich der junge, tüchtige Georg tal-, Gesangslehrerausbildung) Wagner. Erich Urbanner 6 Kirchenmusik 7 Sologesang. Chor und Dramatische Kunst (Operndramatik, Schauspiel, Regle) 8 jazz MUSIKHOCHSCHULE MOZARTEUM Institute Aufführungspraxis Eine ekmelische Orgel. Der Salzburger Elektronik Komponist Franz Herf hat mit dem Bau Jazzforschung der von ihm entwickelten elektronischen Musikethnologie Feinstufenorgel begonnen. Seiner Mei- Wertungsforschung nung nach weisen verschiedenartige Er- Ensemble· scheinungen in der neuen Musik darauf Hochschulorchester, Hochschulchor hin, daß eine weitere Entwicklung auf Kammerorchester, Kammerchor der Grundlage des traditionellen Ton- Collegium musicum instrumentale systems nicht mehr möglich ist. Daher Hochschulkur·· und Lehrgänge sind auch viele zeitgenössische Komponi- Musikalische Grund- und Bewegungs- sten dazu übergegangen, die zwischen erziehung unseren Halbtönen liegenden ekmelischen Singschullehrer, Schulspiel Repertoirekurse für Violine und Klavier Töne zu verwenden, allerdings ohne sich um deren Systematisierung zu bemühen. Expoaitur OberschGtzen, Bgld. Seit etwa drei Jahren arbeiten nun die (Tel. 0 33 53/306) beiden Professoren des Mozarteums Rolf Evangelische Kirchenmusik Maedel und Franz Herf an der Erfor- Dislocierte Ausbildungsklassen für Strelch- schung der ekmelischen Töne und Zu- und Blasinstrumente sowie für Klavier Instrumentallehrerausbildung sammenklänge. Sie befürworten eine Un- Lehrgang für musikalische Jugend* und terteilung der Oktave in 72 temperierte Volksbildung Tonstufen, und dieses Tonsystem bildet Hochschulkurse für künstlerische und päd- agogische Fortbildung auch die musiktheoretische Grundlage der Kammerorchester· Bliserensemble, Chor neuen Orgel. Die bisherigen Forschungs-

64 PHONO - SCHALLPLATTEN

DOKUMENTATION β KRITIK * TECHNIK

Hans Pfitzner: „Palestrina". Dirigent: Lukrezia tritt Renate Freyer in sym- Rafael Kubelik. DCC Stereo 2711 013, pathische akustische Erscheinung, ein 2530 364 — 367. Sonderlob verdient das Ensemble der neun verstorbenen Meister der Tonkunst; An der Schwelle des Pfitzner-Jahres 1974 da treten zu Genannten noch Adalbert (25. Todestag!) liegt eine Gesamtaufnah- Kraus und Theodor Nicolai dazu. Auch me dieser „Musikalischen Legende" auf die drei Engelsstimmen sind einander vier Langspielplatten vor. Triumph des ebenbürtig mit den Damen Lampart, Hau- Dirigenten, seines Ensembles, Triumph termann und Rüggeberg besetzt. Ganz der Technik, die es zwischen der Scylla hervorragend ist das umfangreiche Bei- des Monologs und der Charybdis des heft gelungen, dem Helmut Grohe ein Tumults schwer hatte, das Profil des kenntnisreiches Feuilleton voranstellt, das anspruchsvollen Werkes zu wahren, Aussagen Kubeliks, Geddas und Fischer- Triumph auch eines Produzentenmutes Dieskaus folgen läßt, in dem 33 Noten- im ideellen und ökonomischen Engage- beispiele Pfitzners schöpferische Absich- ment! Die Gemeinschaftsproduktion mit ten erweisen und das schließlich des Kom- dem Bayerischen Rundfunk, der Orchester ponisten Libretto auf deutsch und eng- und Chor stellte, hat sich gelohnt. Rafael lisch bringt; zwei kleine Kunstwerke für Kubelik ist der rechte Mann für dieses sich sind die Porträts Geddas (in der Partie) und Kubeliks (in der Entspan- Werk. Er entkompliziert, wo es nottut, nung). Erik Werba er vertieft sich in die Geheimnisse der Partitur fernab von der Routine, oft auch distanziert von der Tradition, die uns in Wien (und in München und in Berlin) in memoriam besonderer Erlebnisauffüh- rungen leicht ungerecht werden ließe, be- Hans Erich Apostel: Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 17, Fischer- dächte man nicht, daß jede Zeit, jede haus-Serenade op. 45, Paralipomena dode- Generation sich die großen Werke der kaphonika op. 44. ORF-Symphonieorche- Vergangenheit auf eigene Weise neu er- ster unter Milan Ilorvat und Gerhard werben muß. So wird Kubelik zu einem Wimberger. Kammennusikvereinigung des Pfitzner-Interpreten, der die blaue Blume österreichischen Rundfunks unter Leitung der Spätromantik auf seine Weise pflückt, von Viktor Redtenbacher. Amadeo, Serie der das Esoterische des großflächigen österreichischer Musikrat, AVRS 5066 SL Werkes auf eigne Weise belebt und die grelle Palette (vor allem im Mittelakt) Die Schallplatte, die nun unversehens zum dämpft und mildert. für den Komponisten wurde, Das Quintett der großen Sängerdarsteller enthält die beiden Werke, die er selbst (die Textcharakterisierung hat das Spiel für seine besten hielt: die beiden Teile auf der Bühne zu ersetzen) heißt: Gedda der Haydn-Variationen, bei deren Kon- — Fischer-Dieskau — Prey — Helen Do- frontation nicht so sehr der Unterschied nath — Brigitte Fassbäender. Dieser Pale- der Faktur (hier freitonal — dort zwölf- strina ist ein weiser Tondichter, aber seine tontechnisch geordnet), als vielmehr die Resignation bleibt in Grenzen. Dieser Ähnlichkeit der Substanz auffällt; da hat Borromeo ist ein starker Charakter, der offenkundig dieselbe starke Persönlichkeit Luna ein prächtiger Orator, Ighino rührt, in verschiedenartigem Material sich zwei- Silla imponiert. Dazu die Charakterisie- mal voll und ganz verwirklicht. Apostel rungskunst van Kesterens (Abdisu), die hat bekanntlich aus seinem Ordnungssinn Urgewalt des Madruscht alias Karl und seinem Willen zur Symmetrie kein Ridderbusch, der später Papst Pius IV. Hehl gemacht; dennoch ist es in seiner Profil und Würde gibt, der eigenwillige Musik keineswegs die Ordnung, die we- Tonfall, den Bernd Weikl für den Morone sentlich den Charakter bestimmt, viel bereit hat, Gerd Nienstedts Beflissenheit überzeugender kommt seine souveräne für den Zeremonienmeister, die prägnan- Freiheit, sein Reichtum an Phantasie und ten Stimmen von Halem, Peter Meven, sein Wunsch nach häufigem Kontrast zur Lenz, Mazura und vielen anderen. Als Geltung. So ist diese Musik im besten

55 Sinne kurzweilig, wiewohl vielleicht etwas Die zur Symphonie gewordene Totenklage atemlos, hektisch, bis in die Gegenwart (Franz Schmidts Tochter Emma war im der expressionistischen Geste verpflichtet. März 1932 kurz nach der Geburt ihrer Aber ganz zweifellos gehört Apostels Tochter gestorben) ist philosophisch über- Werk zum Qualitätsvollsten, das die öster- höht und wurde zu einer Auseinander- reichische post-viennensische Schule zu setzung mit dem Leben an sich, mit dem bieten hatte. Schicksal, mit dem Jenseits. Alexander Wunderer, der Philharmoniker-Kollege Davon überzeugt vollends die Fischer- und Freund des Komponisten, hatte haus-Serenade, über deren Uraufführung Schmidt den Rat gegeben, für den Aus- im „Fischerhaus" am Fuschlsee die ÖMZ klang der Symphonie einem festlich-feier- referierte (Jg. 27, 1972, S. 489). Dieses lichen Schluß zu entsagen, ein elegisches Werk für 12 Musici, auch sonst in jeder Ende zu wählen, ganz im Sinne der „ge- Hinsicht der 12-Zahl verpflichtet, ist noch dehnten Sonatenform" (Nemeth), in der aphoristischer als die meisten anderein der erste Satz als Exposition, der letzte Werke Apostels, noch filigraner, sehr als Reprise zu verstehen ist, während die „ä h Kubin", wie ja die Vorliebe des Durchführung aus den Mittelteilen Adagio Musikers für den Graphiker nicht von und Scherzo besteht. Ausführlich hat Prof. ungefähr kaim, auch voll von jenem Wunderer, unser Akademie-Lehrer in In- schwarzen Humor, den er mit jenem strumentenkunde, berichtet, welche In- teilte. Die Miniaturen werden von strumentationsprobleme Franz Schmidt zu der Kammermusikvereinigung des Oster- lösen hatte, bis er sein Klangideal, vor reichischen Rundfunks und deren famosen allem im Adagio-Satz, verwirklichen Primarius Redtenbacher ganz exzellent konnte. realisiert, wie auch die beiden Orchester- werke unter ihren respektiven Leitern gut Viele Gedanken wandern beim wiederhol- und stilgetreu zur Geltung kommen. Die ten Abhören dieser Platte auf solche Wei- Platte stellt somit, besser als Worte es se zu Franz Schmidt zurück: zu einem vermögen, einen Nachruf auf den Kompo- der seltenen genialen Musiker unseres nisten dar; darüber hinaus sollte sie dafür Jahrhunderts, dessen persönliches Können sorgen, daß sein Werk lebendig bleibt. und Wissen die Epoche der Spätestroman- Rudolf Klein tik in unserem Jahrhundert zusammen mit Joseph Marx geprägt hat. Aber das an persönlichen Erlebnissen überreiche Bild des Lehrers, des Interpreten, des univer- Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4. Wiener sellen Musikers Franz Schmidt darf das Philharmoniker, Dirigent: Zubin Mehta. Komponistenporträt nicht verfälschen! Er- Decca SXL 6544. lebnismusik, wie sie sich in Form dieser C-dur-Symphonie anbietet, hat gerade den Wer wie der Verfasser dieser Plattenbe- Menschen unserer Zeit viel zu sagen, sprechung am 10. Januar 1934 im Großen fernab vom gerade so beherrschenden Musikvereinssaal dabei war, um zwischen Schlagwort der Nostalgie. „Ergreifende, Schumanns Klavierkonzert (Frederic La- innere Gewalt", wie es Friedrich Matzen- mond, der große schottische Pianist, war auer einst nach der Uraufführung formu- der Solist) und Straussens „Zarathustra", lierte. vom Widmungsträger Oswald Kabasta di- rigiert, die Uraufführung der C-dur- Emanuel Brabec' Cello-Solo im Requiem- Symphonie Franz Schmidts zu erleben, Satz des Adagio verdient hervorhebende kann nach dem ersten Anhören dieser Würdigung, ebenso das Trompeten-Solo prächtigen Decca-Platte zufrieden sein: des anonym gebliebenen Spielers, die eine würdigere Interpretation dieses Wer- Intonationsklarheit bei den Bläsern und kes ist unvorstellbar. Freilich hat es auch das aussingende Musizieren der Streicher. zwischen der Wiedergabe bei der Urauf- Wie eigenartig, daß sich der junge Inder führung durch die Symphoniker unter Ka- Mehta so autark in die Geheimnisse dieser basta und der ersten Philharmonischen Partitur hineinzuhören vermochte, wie es „Premiere" unter des Komponisten Lei- sich früher — im Falle des Oratoriums tung am 9. (und 10.) Februar 1935 Tem- „Das Buch mit sieben Siegeln" bei den peramentsunterschiede gegeben: aber all Salzburger Festspielen — bei Dimitri das, was beide Aufführungen vor beinahe Mitropoulos, dem greisen griechischen vierzig Jahren auszeichnete, ist auch auf Dirigenten, ereignete. Erich Graf, phil- der Decca-Aufzeichnung spürbar: die Sou- harmonischer Kollege Franz Schmidts, hat veränität der klanglichen Differenzierung, eine hervorragende Einfühlung für die die Transparenz der formalen Zusammen- Plattenhülle geschrieben, deren Titelseite hänge und — das allerwichtigste — die ein Brustbild-Ausschnitt aus dem Gemälde ethische Kraft der musikalischen Aussage. Anton Karlinskys ziert. Erik Wemba

66 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT GEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE f

29. JAHRGANG FEBRUAR 1974 HEFT 2

AUS DER WERKSTATT EINES HANDSCHRIFTENFÄLSCHERS: EIN LIEBESBRIEF BEETHOVENS Hans Schmidt

Die Gelegenheiten werden immer seltener, Beethoven-Handschriften auf dem Autographenmarkt auftauchen zu sehen. Längst sind durch die großen Samm- lungen in Berlin, Wien, Paris, London und Bonn feste Positionen bezogen. Und doch gibt es hin und wieder noch Gelegenheiten. Jahrzehntelang Verschollenes taucht plötzlich wieder auf, so das berühmte sogenannte De Roda-Skizzenbuch, das der Verein Beethovenhaus Bonn als kostbare Neuerwerbung 1962 in Besitz nehmen konnte1 — und mehr noch: sogar bisher völlig Unbekanntes kommt mitunter noch ans Tageslicht, wie ζ. B. das nicht weniger als sechs volle Blätter umfassende Vorautograph zum 1. Satz der Kreutzersonate, das ebenfalls nach Bonn gelangte.2 Unbekannt waren auch ein langer, prächtiger Brief an den Leipziger Redakteur Friedrich Rochlitz, wiederum eine Bonner Neuerwerbung,3 sowie ein höchst aufschlußreicher Brief an die Gräfin Susanna Guicciardi,4 die Mutter der berühmten Giulietta Guicciardi, welcher Beethoven in tiefer Zu- neigung die Klaviersonate cis-moll, op. 27, Nr. 2 (Mondscheinsonate), gewidmet hatte. Eine eigene Geschichte haben jene Handschriften, die gar nicht von der Hand Beethovens stammen, obwohl sie seine Schriftzüge wiedergeben, angefangen von ganz arglosen, wohlgemeinten Nachbildungen seitens treuer Verehrer und Freunde, bis hin zu den raffiniertesten Fälschungen skrupelloser Geschäfte- macher. Daß schon Beethovens langjähriger Adlatus Anton Schindler ganze Briefe nach Beethovens Handschrift gelegentlich nachzeichnete, ist aus seiner echten Anhänglichkeit und Begeisterung für den Meister zu erklären. Von Bettina Brentano weiß man, daß sie in ihrer schwärmerischen Verehrung zu dem einen Brief, den sie von Beethoven wirklich erhalten hatte,5 noch zwei weitere hinzudichtete, in welchen sie ihrer Phantasie freien Lauf ließ und dabei Züge entwarf, die sich im allgemeinen Beethoven-Bild noch recht hartnäckig gehalten haben. Eine Besonderheit unter den nicht wenigen bisher bekannt gewordenen Fäl- schungen von Beethoven-Handschriften ist ein zweiter Brief an die sogenannte Unsterbliche Geliebte, der in der Fachpresse des Sommers 1911 Schlagzeilen gemacht hat. Er wurde erstmals von Paul Bekker in der Berliner Zeitschrift „Die Musik"' mit vollem Faksimile und teilweiser Übertragung vorgestellt. Trotz sehr wohl erkannter äußerlicher Unterschiede ließ Bekker sich von viel- versprechenden Bezügen zu dem bereits bekannten Brief an die berühmte

57 Unbekannte einnehmen und glaubte, des großen Rätsels Lösung zum Greifen nahe gekommen zu sein. Wie sehr ihm in dieser Meinung damals angesehene Kenner der Beethovenschen Handschrift, wie A. Kopfermann, Alfred Ebert, Leo Liepmannssohn und nicht zuletzt der junge Max Unger, beipflichteten, das stellte sich heraus, als Bekker Veranlassung sah, den vermeintlichen Fund im Morgenblatt der Frankfurter Zeitung vom 8. September 1911 zu widerrufen, da ihn der Vorbesitzer aufgesucht und über die Unechtheit des Stückes unter- richtet hatte. Es ist schon merkwürdig, daß selbst ein Max Unger, der in vielen späteren Arbeiten sein besonderes Interesse für die Beethovensche Handschrift bezeugt hat, noch nach einem solchen Einspruch von der Echtheit der Handschrift überzeugt blieb und gar unterstellte, der Vorbesitzer könnte aus finanziellen Erwägungen vorstelüg geworden sein, nachdem sich erst durch die Veröffent- lichung in der Fachpresse der wahre Wert des Briefes herausgestellt hatte. Ungers Beitrag in der Neuen Zeitschrift für Musik7 „Beethovens neuer Liebes- brief — eine Fälschung?" gibt einen lebhaften Begriff von den harten Kontro- versen, die damals von Forschem wie Paul Bekker und Max Unger um die Kenntnis der Beethovenschen Handschrift ausgetragen wurden, wobei der Kampf auf einem Felde ausgefochten wurde, das dem Fälscher des fraglichen Briefes offenbar nicht so große Probleme aufgegeben hatte. Ihm ist jedenfalls die Verwechslung des f und v, die Unger Bekker anlastet, nicht unterlaufen, wenngleich der Fälscher wiederum nicht konsequent genug die klare Unter- scheidung, die Beethoven zwischen ν und w macht, beherzigt hat, was aller- dings sowohl Bekkers wie Ungers Aufmerksamkeit entgangen sein muß. Vollends verwundert aber, in dieser Situation der heftigen, ja bis ins Persönliche reichenden Auseinandersetzungen als Zeugnis eines einzigartigen Sachverstands die Stimme eines Albert Leitzmann zu hören, der sich in der Beethoven-For- schung vornehmlich mit dem Standardwerk der Berichte der Zeitgenossen einen Namen gemacht hat. Besonnen und sachlich, frei von störender Animosi- tät, war seine Darlegung äußerer und innerer Verdachtsmomente in seinem Beitrag8 „Beethovens zweiter Brief an die unsterbliche Geliebte eine Fäl- schung?" so treffend, daß sich jede weitere Diskussion erübrigte und der Brief fortan von der Bildfläche der Beethoven-Forschung verschwand. Welcher Scharfsinn Leitzmann auszeichnete, erhellt etwa daraus, daß er selbst Details, wie die stets doppelten Silbentrennungsstriche Beethovens gegenüber den stets einfachen Trennungsstrichen des Fälschers, ins Feld führen konnte. Da nachfolgend mehrmals auf bestimmte Einzelheiten des Briefes Bezug zu nehmen ist, sei der Text zunächst im vollen Wortlaut mitgeteilt: Bl. lr 8. Juli Nachmittags Herzliebstes! Mein Brief ist fort — ich gab ihn noch gestern zur Post, u. schon Reue erfaßt mich — grimigste bitterste 5 Reue!! — Daß ichdir so geschrieben, daß ich die Kümmerniße des Ent-

58 ferntsejns, die innere Zerrißenheit meiner 10 seele — hervorgerufen durch die Leidige Trennung dir, dem vieltheuren Wesen — so kläglich zu Papier

Bl. lv gebracht, das reut mich über 15 die Maaßen. — Kleinmüthig will ich in deinen mir . .. Augen zu aller- letzt erscheinen — Ich weiß, ach vielmehr 20 ich hoffe, daß ferne von mir deine Blicke nur auf weniger dich als sich Liebende Menschen fallen könen — doch in 25 deinen Augen will ich groß dastehen — Göttlich begnadet u. deshalb groß, so unverdient auch das Gnadengeschenk deiner Zuneigung mag sein.

Bl. 2 r 30 Von anderem stände umgeben von stolzen Ange- hörigen, die etwa herabsehen auf mich, drängt es mich zwiefach zu erweisen, was ich 35 kann u. bedeute im Reiche der Kunst — Ein Generalissimus ist dein Ludwig. — ebenbürtig jedwedem — Ach könnte ich dir in Tönen sagen, wie sehr 40 du mein Alles bist — mir wäre Leichter — Ein nicht übles thema fiel mir ein u. fangt so an.

59 Bl. 2 ν Aber die Worte darüber 45 muß ich verschweigen, wenn ich sie auch hinausjubeln möchte — Ich habe dir mein Portrait gegeben, u. du siehst die garstige Hülle meiner 50 dir angehörenden seele in einsamen stunden — Ich besitze dein Bild nicht, u. mein Ohr läßt deine stime erklingen, u. oft als frage 55 ich mich es ist ein Traum — oder ist es Wirklichkeit? — Ach wäre es bald wahr, so wahr als dich treuehrlichst liebt dein Göttinverlaßener 60 Ludwig

Leitzmann verdeutlichte seine Beobachtungen an sechs Briefen aus den Jahren 1794 bis 1823, die damals bereits als Faksimiles veröffentlicht und daher zur Überprüfung seiner Argumente jedermann zugänglich waren. Als Indizien, die gegen Beethoven sprechen, führte Leitzmann an: die ungewohnte Form des großen lateinischen J, die unübliche Verwendung des großen lateinischen R bei sonst deutsch geschriebenen Wörtern, das der allgemeinen Orthographie entsprechende tz statt bei Beethoven eines bloßen ζ in Wörtern wie „aller- letzt" und schließlich die Infinitivform „sein" statt des typisch Beethovenschen „sejn", also jeweils mit i statt j. Mit seiner Behauptung, daß „und" niemals in Beethovenbriefen als „u." abgekürzt zu finden sei, hat Leitzmann zweifellos zu sehr verallgemeinert. Was fehlt, ist die zeitliche Eingrenzung dieser Beet- hovenschen Schreibgewohnheit. Nach einer im Bonner Beethovenarchiv vor- liegenden handschriftlichen Notiz Max Ungers hat Beethoven das „und" bis zum Jahre 1815 fast nie, ab Februar 1817 fast regelmäßig abgekürzt. Daß der Fälscher Beethovens konsequente Unterscheidung in der Schreibweise für ν und w nicht berücksichtigte, konnte bereits erwähnt werden. So ist „hervor- gerufen" in Zeile 10 mit w statt ν geschrieben. In der gleichen Linie liegt die auffallende Uneinheitlichkeit der ν bei „vielmehr" in Zeüe 19, „von" in Zeile 20 und „unverdient" in Zeile 27. Unzulänglich ist auch die Großschrei- bung der Buchstaben Α, Ο und G: Α bei „Augen" in Zeile 25, G bei „Gött- lich" in Zeile 26 sowie bei „Gnadengeschenk" in Zeile 28, Α wiederum bei „Alles" in Zeile 40 und bei „Ach" in Zeile 38; endlich Ο bei „Ohr" in Zeile 53. I'm übrigen sind einige Wendungen enthalten, die für Beethovens gewohnten Sprachgebrauch seltsam anmuten. In den Zeilen 31 bis 33 heißt es z.B.: „umgeben von stolzen Angehörigen, die etwa herabsehen auf mich". Die „stolzen Angehörigen" sind für Beethovens Diktion ebenso unwahrscheinlich wie das'nachfolgende „etwa". Der Begriff „Generalissimus" in Zeile 36 gehört nicht nur in eine wesentlich spätere Zeit, wie Leitzmann schon richtig ver- merkt, sondern beschränkt sich vor allem nur auf das Verhältnis Beethovens zu seinen Verlegern Tobias Haslinger und Sigmund Anton Steiner, wobei

ύο Beethoven der Generalissimus, Steiner der Generalleutnant und Haslinger der Adjutant war. Es ist ganz abwegig, Beethoven diesen Begriff „Generalissimus" etwa einer verehrten jungen Dame gegenüber in den Mund zu legen. Zu be- zweifeln ist auch, daß Beethoven ein Thema einmal als „nicht übles" bezeichnet haben sollte. Uber die Herkunft der Vorlage des 1911 veröffentlichten Faksimiles des Briefes verlautete9 damals: „Der gegenwärtige Besitzer des Briefes, ein Sammler von Marken und Ganzsachen, Herr Adam Mayer in Wien, fand ihn unter einem Konvolut alter Briefe, die er kürzlich gekauft hat." Tatsächlich gesehen hat den „Originalbrief" nur Paul Bekker, dem er von Kapellmeister Bernhard Schuster, dem Herausgeber der „Musik", zur Einsicht vorgelegt worden war. Bekker betont aber, daß er sich lediglich mit der Handschrift, dem Stil and dem Inhalt des Briefes auseinandergesetzt habe, während er es den Schreib- sachverständigen überlasse, die Echtheit des Schriftstücks zu erörtern, die Art des Papiers, der Tinte und der Wasserzeichen zu prüfen. Max Unger plädierte10 allein nach den Schriftzügen und dem Inhalt des Faksimiles für die Echtheit des Briefes und stellte lediglich anheim, daß der Besitzer das Original, nachdem so große Zweifel ausgestreut worden seien, „auf chemischem Wege auf das Alter und die Zusammensetzung der Tinte hin usw. prüfen lassen möchte". Ernst Leitzmann benützte schließlich das bloße Faksimile zur gegenteiligen Beweisführung. Er hatte von Kapellmeister Schuster nichts über die Herkunft des Briefes erfahren können außer, daß er in Berliner (!) Privatbesitz sei. So war auch ihm die Untersuchung der Papier- frage verwehrt. Etwas rätselhaft mutet die Rolle an, die bei allem der Heraus- geber der „Musik", Bernhard Schuster, gespielt haben mag, der wiederholten Ersuchen nach Prüfimg des „Originals" ausgewichen ist.

Die mysteriöse Vorlage ist denn auch bis heute verschollen geblieben. Dafür gelangte nunmehr ein vielleicht noch interessanteres, ja einzigartiges Kuriosum ans Tageslicht: das Konzept zu dieser Vorlage. Der Besitzer, Herr Professor Ladislaus Varady in Wien, der das sonderbare Stück vorerst noch behalten möchte, gab es vor kurzem dem Bonner Beethovenarchiv bekannt. Wenn Unger auf Grund des Faksimiles urteilte, „das müßte wahrhaftig ein Tausendkünstler sein, der ein solches Dokument so innerlich überzeugend, von dem durchaus Beethovenschen Stil angefangen bis zum· Typischen des kleinsten und flüchtigsten Buchstabens zu Wege brächte. Das müßte nicht bloß ein Kenner Beethovenscher Ausdrucksweise, das müßte auch ein seltener Deuter seiner Handschrift (mit Verlaub: ein besserer als Bekker) und noch ein aus- gezeichneter Nachahmer derselben sein", dann nimmt das jetzt aufgetauchte Konzept diesen Worten jede Ironie und veranschaulicht in der lebhaftesten Weise die besondere Raffinesse, mit welcher der bzw. die Fälscher zu Werke gegangen sind. Verbesserungen ursprünglich lateinisch» in deutsche Großbuchstaben standen offensichtlich schon in diesem Konzept-Stadium an.und sind lediglich nicht' systematisch genug vorgenommen worden. In diesem Sinne bereits im Konzept bereinigt wurden die Anfangsbuchstaben bei den folgenden Wörtern: Brief (Zeile 1), Reue (Zeile 3), Papier (Zeile 13), Reiche (Zeile 31), Portrait (Zeile 48). Beethovens Schreibung der Infinitiv-Form „sejn" mit j statt i war in einem Falle ebenfalls Gegenstand einer Verbesserung: das Wort „Entferntsejns" in 61 /

Erste Seite eines gefälschten zweiten Briefes Beethovens an die Unsterbliche Geliebte. Reproduktion des Faksimiles aus „Die Musik", Jg. 10, Heft 21, Berlin 1911.

den Zeilen 7 und 8 ist im Konzept noch mit i geschrieben. Auch die Ver- wechslung des Beethovenschen w und ν war im Konzept mehrmals unter- laufen und ist im endgültigen Text richtiggestellt bei „von" in Zeile 20, „unverdient" in Zeile 27 und „verschweigen" in Zeile 45. Daß Beethoven oftmals die Kleinschreibung wählt, wo man üblicherweise Großschreibung kennt, veranlaßte eine entsprechende Verbesserung bei „seele" in den Zeilen 10 und 50 sowie „stunden" in Zeile 51. Sodann ist seiner Eigen- art Rechnung getragen • bei der Änderung von „Maßen" in „Maaßen" in Zeile 15. Da und dort findet man vom Konzept zum Faksimile einzelne Wörter ausge- wechselt. In Zeile 25 stand ursprünglich „groß erscheinen" statt „groß da- stehen". Beethoven selbst pflegte übrigens „dastehn", ohne e, zu schreiben.

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Erste Seite des Konzepts zu einem gefälschten zweiten Brief Beethovens an die Unsterbliche Geliebte. Beproduktion mit freundlicher Genehmigung des Besitzers Professor Ladislaus Varady in Wien. In Zeile 56 ist im Konzept „Wirklichkeit" über „Wahrheit" verbessert. Mit- unter sind auch nur Wörter eines Satzes »ungestellt. Zeile 29 lautete „deiner Zuneigung sein mag" statt nunmehr „deiner Zuneigung mag sein". Zeilen 54 und 55 hatten den Wortlaut „u. oft frage ich mich: Ist es ein Traum?" gegenüber der endgültigen Version „u. oft als frage ich mich es ist ein Traum". Die Überarbeitung des Konzepts reichte bis in Feinheiten des Ausdrucks, in- dem stellenweise allzu schwülstige und pathetische Formulierungen gestrichen oder vereinfacht werden konnten. Die, Anrede „Herzliebstes" ist ζ. B. noch übriggeblieben von der ursprünglichen Lesart „Herzliebstes Geschöpf auf Erden". Für „grimmigste bitterste Reue" in den Zeilen 4 und 5 steht im Konzept die längere Version „Reue, grimmige Reue — grimmigste bitterste Reue". Im Eifer des Gefechts konnte man auch einmal „Verschlimmbesserungen" machen; so ergibt der in Zeile 20 beginnende Satz doch eigentlich keinen guten Sinn: „ich hoffe, daß ferne von mir deine Blicke nur auf weniger dich als sich Liebende Menschen fallen können". Dieses Ergebnis von Durch- streichungen und verbessernden Zusätzen bezieht sich auf den folgenden ur- sprünglichen Text: „daß ferne von mir deine Blicke nur auf dich geringer liebende Menschen fallen können", eine Formulierung, die ihrerseits aller- dings eine Korrektur geraten erscheinen läßt. In den Zeilen 38 und 39, wo es heißt „Ach könnt ich dir in Tönen sagen", stand zuerst „Ach könnte ich dir sagen, was ich so stümperhaft mit der Feder versuchte", womit zweifellos Beethovens Diktion schlechter getroffen war. Sehr merkwürdig sind schließlich in den Zeilen 58 und 59 die neuen Sprachschöpfungen „treuehrlichst" gegenüber einem vorherigen „treu u. ehr- lich" sowie vor allem „Göttinverlaßener" statt dem schon nicht geschickt ge- wählten „Gottverlaßener". Es erweist sich, daß das Konzept auf Beethovensche Eigenheiten der Schrift und des Ausdrucks gründlich überprüft worden sein muß, wobei zahlreiche Durchstreichungen und Einfügungen die besondere Vertrautheit eines mög- lichen Revisors mit Beethovens Briefen verraten. Allerdings sind nicht alle Unterschiede, die sich gegenüber der Faksimile-Version herausstellen, in diesem Konzept als Korrektur angewiesen, so daß bei der Niederschrift der direkten Vorlage zum Faksimile nochmals kleine Veränderungen vorgenommen worden sein müssen. Den spezifischen Charakter dieses Dokuments verrät aber vor allem ein offensichtlich verschlüsselter Text am linken oberen Rand der 1. Seite des Konzepts, der die Quellen angeben könnte, aus denen einige Teile des Brieftextes und die Noten genommen wurden. Hinzu kommen auf der gleichen Seite zahlreiche Striche und Strichverbindungen, die als Schreibversuche mit einer Gänsekielfeder verstanden werden könnten. Bemerkenswert ist an dieser außergewöhnlichen Fälschung, daß bei allem Aufwand Geld noch nicht einmal die vordringlichste Rolle gespielt zu haben scheint. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß es sich nur um den schlechten Scherz eines Mannes handelt, der die Experten in der ewig jungen und viel- faoh müßigen Frage nach der sogenannten Unsterblichen Geliebten an der Nase herumführen wollte und tatsächlich das Kunststück fertigbrachte, seine Anonymität zu wahren. Jedenfalls klingt dieses Motiv gleich zu Anfang der ersten Bekanntmachung Paul Bekkers11 an: „Beethovens Liebesleben bildet ein häufig erörtertes, bisher jedoch ungelöstes Problem für die Beethoven-

64 biographen." Er schließt seine Ausführungen: „Daran, daß Giulietta Guicci- ardi die .Unsterbliche Geliebte' und damit die einzige Frau war, der Beethoven nachweislich seine Liebe schenkte, kann nach der heutigen Veröffentlichung kein Zweifel mehr bestehen." Zwar meint Unger,12 der diesen Gedanken ebenfalls anspricht, man hätte es sicherlich geschickter angefangen, wenn man das Schreiben lediglich mit der Absicht künstlich hergestellt haben sollte, für eine bestimmte Dame den Beweis der „Unsterblichen" zu bringen. Immerhin kann er es sich nicht ver- sagen, hinzuzufügen, daß es ja ohnehin nur zu seinen eigenen Ansichten über den ersten Liebesbrief passe. Tatsächlich wollte aber das auf der 3. Seite eingebrachte Notenbeispiel als gut erkennbares Zitat aus dem auf 1800 oder 1801 zu datierenden Quintett op. 29 nicht anders verstanden sein. Dieser verdeckte Hinweis auf das Datum schien dem Fälscher offenbar letztlich noch effektiver zu sein als die klar ausgeschriebene Datierung auf 1800, die im Konzept am richtigen Platz zu Beginn der 1. Seite durchstrichen ist.

Wieviel persönliches Prestige alle Beteiligten damals in die Diskussion um den Brief an die Unsterbliche Geliebte hineinlegten, ersieht man aus der Animosität der Auseinandersetzungen. Bekker13 schreibt etwa: „Doch auch den findigsten Köpfen war es nicht möglich, den sachlich unbedingt sicheren Nachweis zu führen ... Wer nicht gutgläubig genug war, um sich mit Theorien und eigen- mächtigen Spekulationen zu begnügen, konnte über das Kaspar Hauserproblem der Beethovenforschung nur mit einem skeptischen ,Ignorabimus' hinweggehen. — Der Zufall indessen, der es liebt, Theoretiker und Phantasten zu äffen und mühseligen Kombinationen ein Schnippchen zu schlagen, hat kürzlich ein Dokument (vorliegenden Brief!) zutage gebracht ..." Unger14 zieht nicht weniger kräftige Register, indem er seine Ausführungen beginnt: „Es beliebt Herrn Paul Bekker, uns mit Überraschungen zu kommen. Vor wenigen Wochen wärmte er an der Hand eines neuen Beethovenbriefes an die .Unsterbliche Geliebte' einen alten Braten wieder auf und tischte ihn den höchstlich er- staunten Beethovenfreunden mit — wenn man die Sache nur von der Ober- fläche ansah — überzeugend klingenden Worten auf." Unger endet seine Aus- führungen: „Wo nun abesr das Jahr der Niederschrift des ersten Briefs bestimmt nachgewiesen ist, wo nun der zweite Brief so ausgezeichnet in dasselbe Jahr paßt — erscheint Bekkers Vorgehen da nicht als eine Art Radikalkur ä la Doktor Eisenbart gegen ein Leiden, das tatsächlich nicht existiert?" Demgegenüber argumentiert Leitzmann ganz leidenschaftslos, sachlich und absolut überzeugend. Seine Beurteilung der Szenerie um die „Unsterbliche Geliebte" trifft sogar haargenau den heute noch aktuellen Stand: Empfängerin unbekannt, Niederschrift im Jahr 1812.

Das jetzt aufgetauchte Konzept liefert für Leitzmann eine Bestätigung, deren er nach seiner hervorragenden Beweisführung kaum noch bedurft hätte; es gestattet aber auch nochmals einen kurzen Rückblick auf eine bedeutende Phase früherer Beethoven-Forschung, jene Zeit, in welcher die großen Brief- ausgaben der Kastner, Kalischer und Prelinger veröffentlicht werden konnten, eine Zeit auch, in welcher sich einmal mehr die Wichtigkeit jeglicher Grund- lagenforschung erwies. Es dürfte gefährlich sein, heute die Verwendung moder- ner technischer Hilfsmittel, wie Hollerithmaschinen, Infrarot- und Wasser- zeichenphotographie oder die Benutzung von Zentimetermaß und Mikrometer- schraube, als schnöden Positivismus abwerten zu wollen, was in eindrucks-

66 voller Weise die zunehmenden Erfolge junger englischer und amerikanischer Forscher verdeutlichen. An spekulativen und höchst phantasievollen Erörterun- gen anhand alter, teilweise überholter Fakten hat es in der Beethoven-For- schung nie gefehlt. Die schlagenden Beweise aber kamen mitunter aus einer Richtung, aus der man sie am wenigsten erwartet hätte. Wer hätte denn daran gedacht, daß es allein einem ermittelten Wasserzeichen zu verdanken sein würde, wenn eine abgekürzt als M. bezeichnete Dame in einer bedeutsamen Aufzeichnung Beethovens einwandfrei als Marie Bigot identifiziert werden konnte?15

Anmerkungen:

1 H. Schmidt: Die Beethovenhandschriften des Beethovenhauses in Bonn, in: Beethoven-Jahrbuch, Bd. VII, Jg. 1969/70, Bonn 1971, Nr. 680. 1 op. cit. Nr. 534. ® op. cit. NT. 359. — Erstdruck: H. Daschner, Ein bisher unbekannter Brief Beet- hovens an Johann Friedrich Rochlitz, in: Beethoven-Jahrbuch, Bd. III, Jg. 1957/58, Bonn 1959, S. 32—37. I Original im Besitz der Sammlung Campori in Modena. s Geschrieben am 10. Februar 1811; Nr. 296 der Ausgabe von E. Anderson, The Letters of Beethoven, London 1961; Original im Besitz von Dr. Felix Salzer in New York. • Jg. 10, Heft 21. 7 Jg. 78, Heft 37/38, 14. Sept. 1911, S. 513 bis 514. 8 Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft, XII, 12. • Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 78, Heft 37/38, S. 513. 10 Neue Zeitschrift für Musik, a. a. O. II Die Musik, Jg. 10, Heft 21. 18 Neue Zeitschrift für Musik, a. a. O. 1S Die Musik, Jg. 10, Heft 21, S. 135. 14 Neue Zeitschrift für Musik, a. a. O. 15 J. Schmidt-Görg: Wer war „die M." in einer wichtigen Aufzeichnung Beethovens?, in: Beethoven-Jahitbuch, Bd. V, Jg. 1961764, Bonn 1966, S. 75 bis 79.

RUDOLF KLEIN: BEETHOVENSTÄTTEN

Efalinband mit Schutzumschlag, Format 17 X 22,5 cm, 184 Seiten, 28 Ab- bildungen (zeitgenössische Stiche). Preis öS 156.—

Der Autor hat sich zur Aufgabe gemacht, die Orte in Österreich, an denen Beethoven geweilt und gewirkt hat, zu bestimmen, seinen jeweiligen Aufent- halt abzugrenzen, die Werke den Stätten ihrer Entstehung zuzuordnen und Beethovens Bild von den Verzerrungen der Anekdote zu reinigen. Das Buch erfaßt die Wohnungen Beethovens in Wien und Umgebung, seine Reisen nach Eisenstadt, Linz und Retz, die Stätten der Aufführungen seiner Werke und alle anderen Örtlichkeiten, für die seine Anwesenheit gesichert ist.

VERLAG ELISABETH LAFITE, WIEN

66 GERHARD VON BREUNING ÜBER BEETHOVENS BEZIEHUNG ZU SEINEN VERWANDTEN Ein unbekannter Entwurf zu einem Artikel Rudolf Klein

Die Erstpublikation des nachfolgenden Entwurfes aus der Feder von Gerhard von Breuning,1 dem Verfasser des Buches „Aus dem Schwarzspanierhaus", ver- danken wir dem Entgegenkommen von Prof. Hans Swarowsky, der das 20-seitige Manuskript (plus einem Handzettel) in einem Antiquariat erwerben konnte. Da Gerhard von Breuning als Knabe Beethoven noch gekannt hat bzw. durch seinen Vater Stephan über Informationen aus erster Hand verfügte, gewinnen seine Ausführungen über Beethovens Charakter bzw. über den des Bruders Johann Quellenwert, obwohl der Autor von einer Drucklegung absah, wie aus dem Um- stand erhellt, daß der Entwurf nicht abgeschlossen wurde. Alle näheren Umstände gehen aus dem Brief selbst und aus den kommentierenden Fußnoten hervor. Die Paginierung entspricht, wenn nicht eingeklammert, dem Original.

[1] Der emsige Beethoven-Forscher Alex Wheelock Thayer hat die Beethoven- Literatur mit einem „kritischen Beitrag" bereichert, indem er seine während des Winters 1876/7 im Schillerverein zu Triest gehaltenen zwei Vortrüge durch die Berliner Buchhandlung W. Weber veröffentlichte.* Die Verehrer Beethovens werden ihm dafür sicherlich Dank wissen; denn er hat darin dargethan, wie so manches in Novellenform angestimmte Falsche, ja geradezu Erdichtete mehrfach Gläubige und Nachfolger bis in die jüngste Zeit gefunden, während doch bei den meisten dieser Mittheilungen nur ein einfaches Nachrechnen der Zeitperioden genügt hätte, das hierbei in die Augen springende lrrthümliche schon längst aufzudecken, abgesehen von den vielfach immer wiedergegebenen ganz abentheuerlichen, aller Wirklichkeit und Möglichkeit entbehrenden Anek- doten und Begebnisse aus dem frühen und späten Leben des großen Tondichters. Da man es jedoch mancherseits liebt, eben in novellistisch-biografischer Form geradezu Wider-

Der Beginn des Manuskripts von Gerhard von Breuning.

1 1813 bis 1892 ! 1877

67 2 sinnig-Abentheuerliches zu ersinnen, um dem Geschreibsel mehr Anziehungs- kraft zu verschaffen, so haben sich derlei ausgestreute angeblich biografische Erzählungen in der That bis dermalen theüs als Original-Erfindung theils als Plagiate fortgesponnen, und werden sich voraussichtlich demungeachtet noch öfters wiederholen. Wie ich in meinen „Erinnerungen aus meiner Jugendzeit an L. υ. Beethoven": >yAus dem Schwarzspanierhause" (Wien, bei L. Rosner, 1874) bereits mehrere solcher Erzählungen über Beethoven als rein aus der Luft gegriffen bezeichnet habe, so widerlegt auch Thayer vorerst mehrere derlei fälschlicher Mittheilungen und sagt sehr Richtiges, wo er betont (:S. 6:), wie falsch es sei: „Jupiter tonans Beethoven, diesen derben, schroffen, kräftigen, männlichen und denkenden Schöpfer des Erhabensten, des Kernigsten, des Großartigsten, was die Instru- mental-Musik aufzuweisen hat, nur immer ah ein weichliches, sentimentales, jämmerlich verliebtes Männlein hinzustellen, als einen ächten 3 Werther zu schildern, von der Art, daß gebildete Köchinnen für ihn heiße Thränen des Mitleides vergießen könnten." Und wenn Thayer weiters sagt: „Da Beethoven kein alltäglicher Mensch war, wurde er manchmal ,närrisch' genannt; daß er aber ein derartiger ,Narr' war, glaube ich nicht", so ergänze ich dies ,glaube ich nicht' — in Folge meiner und meines Vaters innigstem Verbände mit Beethoven — durch den entschiedenen Ausspruch: daß es mit Beethoven wirklich sich nicht so verhielt, und nur Bruder Johann wie manch andere Alltagsmenschen ihm solches Epitheton zu geben beliebten. Auch ist richtig, was Thayer (S. 45) wiederholt:* „Wenn wir von seinen Stunden tiefster Niedergeschlagenheit" (:über sein Gehörleiden und das Benehmen seiner nächsten Verwandten:) „absehen, war Beethoven weit entfernt, der melancho- lische und düstere Charakter zu seyn, für den man ihn gewöhnlicht hält" und wie einige Biografen zu thun möglichst sich befleißen. „Er zeigt sich im Gegen- theil (:in seinen Briefen nämlich:)* — wie er dies auch von Natur war — als ein Mann von heiterem und lebhaftem Temperamente, ah Liebhaber von Scherzen,

4 ah hartnäckiger, wenn auch nicht immer glücklicher Aufsuchet von Wort- spielen, als großer Freund von Witz und Humor." — Thayer gibt auch will- kommenerweise am Schluß seiner (48 Seiten füllenden) Schrift einige derlei Witzeleien zum Besten. Was aber den mittleren Theil von Thayer's Schriftchen anbelangt, worin er eine Art „Ehrenrettung" des Charakters oder Benehmens des Bruders Johann anstrebt, möchte ich meinem Freunde Thayer mehrfältig erwidern: „Grau, Freund, ist alle Theorie" oder ihn an den Zuruf jenes antiken Malers erinnern: nicht über das, was man nicht weiß, hinauszugehen und lediglich durch Klügeln berichtigen zu wollen. Thayer, dessen unbestrittene Verdienste auf der genauen Durchforschung aller auf jenen gigantischen Tondichter bezüg- lichen Akten, Briefe, Schriften, Urkunden, Zeitverhältnisse gegründet sind, Beethoven aber nicht

3 Thayer verwendet hier ein Eigenzitat aus einer früheren Schrift. 4 Das Parenthese-Zitat schon bei Thayer, also kein Kommentar Breunings.

68 5 persönlich gekannt, ebenso nicht seine Brüder und seinen Neffen (:nur des letz- teren hinterlassene Familie:) geht hierin, nämlich in der trocken theoretischen Beurtheäung der verwandtschaftlichen Beziehungen Beethovens zu weit, und beachtet allzu gering und vielleicht etwas voreingenommen durch das freund- liche Entgegenkommen der Nachkommen des Neffen Carl, daß die persön- lichen Begegnungen mit obigen Personen in vieler Hinsicht doch ein ganz anderes Bild gegeben haben. Ich, der ich Ludwig und Johann van Beethoven, wie den Neffen, Schindler u. s. w. persönlich gekannt und mit einander verkehren gesehen, weiters von meinen mit Ludwig innig befreundet, mit den übrigen genau bekannt gewesenen Eltern vieles hierüber erfahren habe, kurz: Augen- und Ohrenzeuge jener Zeit war, nehme demgemäß Veranlassung, einiges

6 diesbezüglich zu ergänzen, und — thut es mir leid, daß Freund Thayer vor Veröffentlichung seiner Vortrage nicht zeitgemäße Rücksprache mit mir ge- nommen. S. 16 sagt Thayer: „Wenn auch nur die Hälfte dessen, was über den Charakter des Bruders [Johann]' geschrieben worden ist, wahr seyn sollte, so hätte nur ein sehr schwacher und selbst verdorbener Mensch mit ihm so verkehrt, tote Beethoven in seinen letzten Jahren mit diesem Bruder. Und gewiß war Beet- hoven ein solcher Charakter nicht." Ludwig war aber eben ein sehr schwacher, durch seine Taubheit und Unbeholfenheit in allen praktischen Dingen sehr abhängiger, im höchsten Grade und trotz aller sich wiederholender Ent- täuschungen immer wieder versöhnlicher Charakter, welcher schließlich allemal wieder auf den Refrain zurückkam: „Und er ist doch mein Bruder."

7 S. 17: „Bis zum Winter 1807-8 war Johann bei einem Apotheker in der Nähe des Kärntnerthor-Theaters in Wien als Gehäfe thätig." Dazu heißt es weiter, nachdem Johann am 20. März 1808 von der Apotheke beim Brückenköpfes in Linz vertragsmäßigen Besitz genommen hatte, und die schwierige Frage, wie die zweite und dritte Rate zu zahlen wäre, bald an ihn herangetreten war: „Es ist nun irgendwo behauptet worden, daß sein alter Bekannter aus Bonn, St. v. Breuning, für ihn Bürgschaft geleistet hätte, was wohl nicht unwahr- scheinlich ist, allein ich habe seinen Namen in den Aktenstücken nirgends gefunden. Es steht fest, daß Johann sich nicht an ihn wendete, daß er über- haupt kein Geld aus Wien bezog, und daß er sich ganz allein aus der Ver- legenheit zu helfen wußte." Abgesehen davon, daß Thayer hier selbst in eine Art Widerspruch verfällt, indem er bezüglich der von meinem Vater, Ludwigs Jugendfreunde aus Bonn (-.Stephan v. Breuning:)

8 angezogenen Bürgschaft diese vorerst für „nicht unwahrscheinlich" hält, gleich darauf aber behauptend sagt, „es steht fest, daß Johann sich nicht an ihn wendete", — weiß ich auf Obiges bestimmt zu erklären, daß meine Eltern

5 Einfügung Breunings • Bei Thayer Brückenthor

69 zu wiederholten Maien von einer Seitens meines Vaters an Johann damals geleisteten diesbezüglichen Bürgschaft mir Mittheüung gemacht, und überdies mit der weiteren Bemerkung, daß Johann hinterher dafür keineswegs rück- sichtsvoll sich benommen habe. S. 18: „Im Frühjahre 1809 kam eine französische Armee das Donauthal her- unter.7 — Johann Schloß vortheilhafte Lieferungskontrakte mit den französi- schen Kommissären ab, so daß es ihm gelang, sich aus allen Verlegenheiten bald herauszuziehen und zugleich den Grund zu seiner späteren Wohlhabenheit zu legen." Ohne nun

9 zumal bei den in solcher Hinsicht mehrfältig etwas stark elastischen Ehrlich- keitsbegriffen bei der Durchführung von derlei Lieferungsgeschäften meiner- seits einen direkten Zweifel oder Verdacht anstimmen zu wollen, ob diese Lieferungen betreffs ihrer Qualität u. s. w. durchgehends unanfechtbar gewesen seyn mögen, weiß ich mich doch genau zu entsinnen, daß meine — im Punkte der Rechtsanschauung zwar sehr streng-denkenden — Eltern ihre diesbezüg- lichen Gespräche und Mittheilungen allemal mit einigem deutsamen Achsel- zucken und abfälligen Randbemerkungen zu begleiten pflegten. Wenn (S. 18) Schindler getadelt wird, daß er Johann „das böse Princip im Leben des Komponisten" genannt, und damit „nur ein ziemlich konstanter, fortwährender Einfluß auf Beethoven und seine Verhältnisse damit gemeint seyn kann", und aber fortfährt: „Nun liegt aber die Sache ganz anders,s — In allen Doku-

10 menten, Briefen und Konversationen, überhaupt in allen unseren Quellen vom März 1808 bis zum Frühjahr 1822' — erscheint, mit einer einzigen Ausnahme, niemals und nirgends Johann als handelnde Person in dem Leben des Kompo- nisten; und selbst in dem angedeuteten Ausnahmefalle greift Johann nicht in Ludwig's sondern Ludwig in Johanns Angelegenheiten ein!", so kömmt hierauf zu erwidern: daß Johann eben diese Jahre anderwärts als in Wien gelebt. Freilich hatte das böse Geschick dafür einen noch wuchtigeren Stell- vertreter zu jener Zeit in die Nähe Ludwig's gesetzt in der Person des anderen Bruders Caspar Carl (:f 1814, von wo ab die Sorgen für dessen Sohne Carl und die Widerwärtigkeiten mit dessen liederlicher Mutter dann begannen:).

11 Eben aber in dem während dieses 14-jährigen Zeitraumes von Thayer zuge- gebenen 1 Ausnahmsfalle, als Ludwig das Zusammenleben Johanns mit einem übel beleumundeten Mädchen in Linz auf das Energischeste zu verhindern angestrebt, hierdurch aber freilich gerade das Gegentheil, Johanns Heirat mit jenem nämlich, erreicht, hatte Ludwig gegen Johann in entschiedener Weise Recht gehabt, wenn auch gerade nicht darin (S. 21), „daß durch seinen eigenen Mangel an Geduld, Vorsicht und Mäßigung" (Eigenschaften, die dem himmelstürmenden genialen Charakter Ludwig's nun einmal ganz fremd

7 Auslassung im Zitat 8 Auslassung ' Auslassung

70 waren:) „das unanständige Mädchen zu seiner Schwägerin erhoben worden war." Daß Ludwig aber in der Wesenheit Recht hatte, bezeugt das weitere Betragen der Frau Johanns, wenn Thayer schreibt (:S. 31:): „Während einer bedeutenden Krankheit, welche10 — Johann überfallen hatte, zeigte seine Frau gegen ihn eine Herzlosigkeit und sogar Immoralität, welche Ludwig

[12] im höchsten Grade" (-.neuerdings:) „gegen sie erbitterte." Wenn Thayer aber hinzusetzt: „und folgende Worte, die Ludwig damals in ein Konversationsheft schrieb, rechtfertigen: ,Immer will er (:Johann:)" mich zu den Seinigen — non possibile per me', —" und Thayer durch den Ausdruck „rechtfertigen" diesmal gleichsam Ludwig Recht zu geben gedenkt, finde ich in guter Er- innerung an das zudringliche Handeln Johanns seinem Bruder Ludwig gegen- über hierin vielmehr eben einen Beweis für die „unberufene Einmengung" Johanns in Ludwig's Geschäfte oder Angelegenheiten, von welchen Thayer (S. 22) sagt: daß sie „nicht bewiesen, und es zweifelhaft ist, ob sie je bewiesen werden wird." Es ist ganz richtig, daß Ludwig gerne — aus ökonomischen, verwandtschaft- lichen, Gesundheitspflege- und wirthschaftlichen Beweggründen — häufig ein Zusammenwohnen angestrebt (:hatte er 13 doch anfänglich seines Aufenthaltes in Wien längere Zeit bei und mit meinem Vater gemeinschaftlich im Rothen Hause gewohnt — siehe: Aus dem Schwarz- spanierhause S.n —:), daß er aus Vorliebe für ein Familienleben oft verhei- rathet zu seyn gewünscht — siehe: ebendaselbst, S.,s — und erlittene, viel- leicht auch — zugegeben — durch seinen mißtrauischen Charakterzug provo- cierte Unbilden bald allemal vergeben und vergessen, auf besseres Eintrachts- leben in der ihm eigentümlichen Zutraulichkeit gehofft, sobald er eben die Misere des Alleinlebens und der unkomfortablen Menage bei gelegentlichem Unwohlseyn oder ob des so wiederholt vorgekommenen Verdrusses ob der üblen Mägde wieder einmal besonders empfunden; — es ist wahr, daß er fast niemals für längere Zeit mit einer Wohnung zufrieden gewesen; es ist unbe- stritten, daß er sich

[14] auch wohl zu Zeiten mit den besten Freunden zerzankt, über sie ohne eigent- lichen Grund beleidigt gefühlt, und, wie er aber alsbald immer wieder reumüthig über seine zu Tag getretene mißtrauische Gereiztheit sich zu versöhnen be- müht gewesen, ebenso auch trotz aller häufigen und begründeten Enttäuschun- gen betreffs seiner Verwandten immer wieder, eben aus den obengegebenen Beweggründen, von Neuem den Wunsch gemeinsamen Wohnens in seinem Inneren aufgetaucht. Aber leider gab das Benehmen eben aller seiner Ver- wandten ihm trotz aller seiner Enttäuschungen dennoch unaufhörlich und immer wieder gerechten Grund zu klagen. Ich weiß mich kaum einer Begeg- nung mit Ludwig zu entsinnen, und wir kamen in den letzten Jahren (:Sep-

10 Auslassung 11 Schon bei Thayer 12 Platz für Ziffer leer gelassen " ditto

71 tember 1825 bis zu Beethoven's Sterbetage:) mit seltenen Ausnahmen durch- schnittlich täglich zusammen, wo Ludwig

[15] nicht über das Betragen Johanns oder des Neffen Carl solche Klage-Refrains angestimmt hätte. Ich will nicht gedenken jener Mißhelligkeiten, welche [.. .]'* der Bruder Caspar Carl geschaffen, nicht der vielfach aufregenden, Ludwig's Herz so betrübenden als seinem Schöpfungsdrang durch Zeitraub so sehr als durch Gemüthsverstimmung entgegenwirkenden Gerichtsverhand- lungen, welche der amtlich angestrengte Prozeß um den Besitz des Neffen (:— des leidigen Vermächtnisses seines 1814 verstorbenen Bruders Caspar Carl —:) gegen dessen liederliche Mutter ihm verschafft. Ich will nicht von den zahllosen Kümmernissen sprechen, welche Ludwig von dem leichtsinnigen, sich nicht zurechtfindenden, die maßlose Liebe seines um seine Zukunft besorgten Oheims niemals verstehenden, sondern diese mit verächtlichstem Undanke entgeltenden Neffen Carl bis an sein Lebensende erlitt, durch welches Betragen Ludwig's Todeskrankheit geradezu vorbereitet worden. Ich will

16 endlich zugestehen, daß Johanns Frau im Ganzen genommen Ludwig am fernsten gestanden und nur insoferne auf sein Leben bedingten Einfluß hatte, als sie durch ihre unachtbaren Eigenschaften ein (— zugegeben —) gewünschtes Zusammenleben mit Bruder Johann, wenn es auch sonst vielleicht zu ermög- lichen und durchzuführen gewesen wäre, ihm geradezu unerträglich machte. Endlich wäl ich nicht ableugnen, daß Johann von allen Verwandten noch der wenigst unangenehme, allenfalls, wenn es so besser klingt, der bessere gewesen, insoferne als er doch noch am wenigsten Verdruß gemacht, wenn er gleich ein nichtssagender, miserabler Charakter war und platterdings keinerlei Ach- tung genoß. Aber wenn Thayer (S. 22) sagt: Johanns unberufenes Einmengen in die Handlungen Ludwig's sei nicht erwiesen und dürfte schwerlich je be- wiesen werden, so kann ich aus eigener Beobachtung erklären: daß sein auf- drängendes Einmengen darauf gerichtet gewesen,

17 von dem Namen und Rufe seines Bruders in den Augen der dies Bemerkenden, sonst aber durch industrielle Gebahrung und Antragen der Schöpfungen Ludwig's an die Verleger (-.„Wir haben dies oder jenes fertig" udgl.:), mitunter auch ohne Vorwissen Ludwig's nach Thunlichkeit Gewinn heraus- zuschlagen, — nicht aber wohl so sehr, um dem hierin unpraktischen Bruder unter die Arme zu greifen, als vielmehr wohl mit dem Hintergedanken, daß er dann weniger Gefahr laufe, von seinem — schon um der vielfachen Aus- lagen für den Neffen und um anderer übelbestellter Haushaltungsverhältnisse wegen — öfter in Geldverlegenheit gekommenen Bruder Ludwig um Geld- darlehen angegangen zu werden, weiters auch wohl aber, um gelegentlich, — besonders bei vorausgesetzt gemeinschaftlichem Wohnen — an manchem Gewinn mitzuzehren. Freilich hatte Bruder Caspar Carl direkten Gewinn aus Ludwig's Einnahmen herauszuschlagen gewußt, indem er von dem letzteren zugekommenen Werthgeschenken nicht selten etwelche aus Ludicig's Schub-

14 überkritzeltes unleserliches Wort

72 Johann van Beethoven, Ölbild von Leopold GroB (1841). lade geradezu genommen und verwerthet hat. Wenn aber Thayer (S. 35) gar schreibt:

18 „Trotz allem, was man gegen ihn [Johann]ts geschrieben hat, war er von freundlicher Natur, gutmüthig und ein großer Verehrer der Talente seines Bruders", so will ich bestätigen: daß Johann stets eine lächelnde Miene Oer- rieth, was übrigens zum Theil schon in dem Baue seines in dem einen Mund- winkel etwas schief aufgezogenen Mundes gelegen gewesen seyn mag, daß er aber nie ein Verehrer der Talente seines Bruders wenigstens in künstle- rischer Hinsicht und bei Lebzeiten Ludwig's gewesen; denn selbst habe ich aus seinem Munde vernommen, daß er von dem unverständlichen, närrischen, verrückten Zeuge sprach, das sein Bruder schreibe, daß er (Ludwig) selbst ein Narr wäre, udgl. Und erst nach,e Ludwig's Tode, als er begann, den wohlhabenden Equipagenbesitzer zu spielen, der mit schwerfällig altmodisch und vergilbt ange-

[19] schirrtem Viergespann, plump weißbehandschuht, vor ein Paar eckig und abge- schabt breit-goldgalonierten Dienern vom Vordersitze seines Phaetons den Prater auf und ab kutschierte zum allgemeinen Gelächter der Menge, hat er auch durch kreischende Beifallsäußerungen aus der ersten Reihe der Koncert- sitze bei Aufführungen von Ludwig's Werken augenfällig als „Verehrer der Talente seines Bruders" sich bemerkbar zu machen gesucht. Jeder aus jener Zeit noch Lebende wird dies hier und diesbezüglich in meinem „Schwarz-

15 Einfügung Breunings 19 Unterstrichen

73 spanierhatise" Gesagte vollinhaltlich bestätigen. — Schon aus einem Vergleiche dieser thatsächlich lächerlichen Praterfahrten und Thayer's Vortrag (S. 28): „Sogar wegen seiner Pferde und Wagen ist Johann zum Gegenstande end- losen Spottes geworden. Warum? sehe ich nicht ein. Pferde mußte er doch in seiner Landwirthschaft haben, und wenn er im Herbst mit seiner Familie nach Wien übersie-

20 delte — sollte er die Thiere nach dem Gut zurückschicken, und sie den ganzen Winter hindurch bloß Heu fressen lassen?" — ist ersichtlich, wie voreingenommen Thayer für Johanns Gebühren sich biethet. Denn zwischen Wagenbenützung und lächerlich-ostentativer, dabei noch dazu nach knause- rischer Prunksucht deutenden Ausfahrt ist doch ein wesentlicher Unterschied.

[Notizzettel recto] p. 22" Ζ. 5.. der taube II statt verdriessliche unpraktische Brewing II war zur Zeit viel in seinen Bureauarbeiten abgezogen und in Folge des bekannten Zerwürfnisses eine längere Spannung und wechselseitige Feme eingetreten Bei wem, wenn nicht bei s. Bruder" Sein Bruder sollte ihm wohl der natürlichste, willkommenste Rathgeber werden. Man sieht etc.i0 II Die Anschuldigung des Joh. mag übertrieben worden seyn; doch unbegründet ist sie nicht. S. 22 Z. 7 u: es dürfte21 II damit die obige Frage ihre Beleuchtung finde.

17 Die Pagina- bzw. Seitenziffern von Breunings Hand beziehen sich auf Seiten- zahlen in Thayers Schrift. 18 recte Zeile 8. Die Stelle in Thayers Text heißt: „Der taube, verdrießliche, miß- trauische Beethoven hatte zu dieser Zeit [1822] factisch Niemanden — wie in früheren Zeiten Gleichenstein, Breuning, seinen Bruder Carl und Andere — welche im Stande gewesen wären, ihm beim Verkaufe seiner neuen Werke u. dgl. behilf- lich zu sein." Die beiden Stichwörter „der taube" und „Breuning" beziehen sich auf diesen Text, die daitauffolgenden Notizen sind Kommentar dazu. Dabei spielt das „bekannte Zerwürfnis" auf die zweite derartige Episode zwischen Beethoven •und Stephan von Breuning an, deren Anlaß der Bruder Karl war („Aus dem Schwarzspanierhaus", S. 47). " Zitat aus Thayers Druck, Seite 22, Zeile 21, vollständig: „Bei wem, wenn nicht bei seinem Bruder, sollte er Rath, Beistand und Hilfe suchen!" M Thayers vollständiger Satz auf Seite 22: „Man sieht schon a priori, daß die An- schuldigung des Johann wenigstens in hohem Grade übertrieben ist; daß sie sogar unbegründet sei, hier völlig zu erörtern, würde gar zu weit führen." 81 Bei Thayer, 7. Zeile von unten, heißt es: „Es dürfte dabei die obige Frage nicht wenig Beleuchtung finden." Die obige Frage ist die „Anschuldigung des Johann", s. Anm. 20.

74 [Notizzettel verso]

S. 23 Ζ. υ 7: auch mögen12 II doch zählt zu seiner Entschuldigung, wenigstens Milderung der Beurtheilung seiner gereizten Stimmung jedenfalls, daß er Zeuge so oft gewesen von dem keineswegs edlen um nicht zu sagen ordinären alltäglicheni3 oder doch kommunen gemeinen" Charakter Johanns, den er gegenüber Ludwig so oft entfaltete.

BEETHOVENS FREUND FRIEDRICH AUGUST KANNE Hermann Ullrich

Am 16. 12. 1833 starb einsam und im tiefsten Elend, aber fast bis zum letzten Tage als Hauptkritiker von Adolf Bäuerles „Allgemeiner Theaterzeitung" fro- nend, der von seiner Zeit als kenntnisreicher, glänzender Musikkritiker und Komponist populärer Feenopem, Schauspielmusiken und Lieder geschätzte und erfolgreiche Dichterkomponist Friedrich August Kanne. Sohn eines Richters im damals kursächsischen Delitzsch, studierte er nach väterlichem Wunsch in Leipzig und Wittenberg Jura und Theologie, fand sich aber von Musik und schönen Künsten stärker angezogen, so dab er sich bald diesen gainz widmete und in Dresden, nach Beendigung eines kurzen Dienstverhältnisses bei einem Fürsten von Anhalt, Musiktheorie beim Kreuzkirchenkantor Christian E. Weinlig studierte. Durch Stundengeben, aber auch als Korrektor bei der Firma Breit- kopf & Härtel, brachte er sich notdürftig durch und hatte in Sachsen mit zwei Kantaten, 1806 in Wien mit einer Sinfonie und 1807 mit der Oper „Orpheus" im Kämtnertortheater Erfolg. Für Dauer ließ er sich um 1808 — dichtend, komponierend, Unterricht erteilend und Musikkritiken schreibend — in Wien nieder, wo ihn Fürst Franz Joseph Lobkowitz, allen Talenten Freund und Förderer, als Gast in seinem Palais aufnahm. Widerspenstig und undiszipliniert, hielt Kanne es dort nicht lang aus, sondern ging — vermutlich dank dem Erfolg des „Orpheus" und der Fürsprache des Fürsten — 1809 als Kapellmeister an das Preliburger Theater, eine Schmiere, wo er hart arbeiten mußte und wenig beachtet wurde. Nach Ende der Spielzeit kehrte er über Fischamend 1810 nach Wien zurück, das er nun nicht mehr verlassen sollte. Jedem Zwang zu geregelter Arbeit abhold, lebte er fortan als Verfasser von musikästhetischen und humori- stischen Schriften, Theaterstücken und Gedichten — darunter witziger, scharf pointierter Distichen —, aber auch als Kritiker vieler Wiener Blätter, vor allem der von Ignaz von Mosel, Joseph von Seyfried und seit 1821 von ihm geleiteten „Allgemeinen Musikalischen Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den öster- reichischen Kaiserstaat", der „Conversationsblätter", Schickhs „Modenzeitung" und zuletzt Bäuerles „Theaterzeitung". Dem Wein und dem Tabak mehr als zulässig ergeben, führte er in den Alt-Wiener Gasthäusern und Kneipen ein

22 Bei Thayer, S. 23, Zeile 7 von vorne: „Auch mögen die näheren Umstände, wenn sie ihm [Schindler] je bekannt waren, nach einer Zwischenzeit von ungefähr 18 Jahren seinem Gedächtnisse nicht mehr ganz sicher vorgeschwebt haben." Und weiter: „Allein Schindler schrieb mit dem Gefühle der Verachtung und des Wider- willens gegen Johann, welches gerecht zu sein ihm fast unmöglich machte." 23 Dieses Wort an Stelle des vorangegangenen darübergesetzt. 24 Dieses Wort über das vorangegangene gesetzt.

75 Friedrich August Kanne. Lithographie von Rattmannsdorf.

Bohemienleben, das ihm wiederholt den — sonst durchaus unbegründeten — Vergleich mit Christian Dietrich Grabbe eingetragen hat. Hanslick, der Cato censorius des Wiener Musiklebens des vergangenen Jahrhunderts, sagt von Kanne, er sei ein verwildertes Genie von ungeregeltem, zynischem Lebens- wandel gewesen und — geistig wie physisch herabgekommen — mit der Flasche in der Hand gestorben. Auch Fetis berichtet: „II mourut en sortant du cabaret." Ähnlich Ferdinand Sauter, geriet er in Elend und Verkommenheit. In eisiger Winternacht erhob er sich schwerkrank von seinem armseligen Lager, nachdem er noch wenige Tage vorher ein Referat über ein Gastspiel im Kärntnertortheater für die „Allgemeine Theaterzeitimg" geschrieben hatte, um in einem nahen Wirtshaus eine Halbe Wein zu trinken. Nach Abweisung jegli- cher ärztlicher Hilfe starb er an den Folgen dieser Tat. Der Abhandlungsakt gibt nüchtern Kunde von seiner unbeschreiblichen Armut. Nur die unentbehr- lichste Einrichtung war vorhanden, keine Bücher — außer einem Band der Ästhetik seines Freundes Jean Paul —, kein Klavier. Das vorgefundene Pianino gehörte einem Klavierfabrikanten, von dem es Kanne nur gemietet hatte. Bei seinem Notenkopisten hatte er, ebenso wie beim Hauseigentümer und beim Wirt, Schulden. Nur wenige folgten dem Armenbegräbnis zum Währinger- Friedhof, zu einem längst verschollenen Schachtgrab, und einige Zeitungen widmeten ihm Nachrufe.

Nach seinem Tod verschwanden seine einst beliebten Zauberopem, wie „Lindane", von den Vorstadtbühnen, seine von den Wiener Verlegern — weil dem großen Bedarf der Zeit an gefälliger Gebrauchsmusik entsprechend — gern herausgebrachten Schauspielmusiken, Lieder und Klavierwerke aus den Verlagskatalogen. Um 1850 war sein Name bereits so gut wie vergessen. In der blumigen Sprache der Zeit nennt Johann Langer1 ihn „ein wunderliches Genie, einen kräftigen Zentaur, in dem Geist und Menschlichkeit stets im Ringen be- griffen waren, der —' obgleich von den Göttern reich begabt — stets das Ende eines Camoens oder Kepler vor seinen Augen hatte". Kannes Unglück war gänzlicher Mangel an Arbeitsdisziplin, der ihn selbst vorteilhafte Stellungen ablehnen ließ, und an Ökonomie, was noch verhängnis-

76 voller war als Beethovens bekannte Junggesellenwirtschaft. Dazu der arge Mißbrauch von Alkohol und Nikotin. Unbezweifelbar war seine vielseitige, große Begabung. Allein seine Vielseitigkeit hinderte ihn daran, auf einem Gebiet konzentriert Großes zu verwirklichen. Er besaß nicht die Zeitlosigkeit des Genies, das sein Werk in die Zukunft projiziert. Schrieb er als einer der ersten Dichterkomponisten seine Texte zu den großen Opern selbst („Orpheus ", „Miranda", „Schloß Theeben"), und zwar nicht ohne Geschick und dramatischen Einfall, so überließ er, des vorstädtischen Geschmacks auch nach langem Auf- enthalt in Wien unkundig, die Verfertigung der Libretti seiner Zauberopem lieber kundigen Fachleuten, wie Adolf Bäuerle, Alwin Pfaller, Karl Meisl und Johann Schickh,2 deren von Anton Schindler Beethoven gegenüber einmal als „Poetasterei" bezeichnete Routinearbeit wertlos und von Raimunds poetischen und hintergründigen Zauberspielen weit entfernt war. Kannes (später in eine Oper umgewandeltes) Melodram „Die eiserne Jungfrau" (Text von Bieden- feld)3 und sein Trochäendrama „Padmana" hatten wenig Erfolg oder wurden überhaupt nicht aufgeführt. Auch sein Volksstück „Die Spinnerin am Kreuz" setzte sich nicht durch. Reizvoller waren seine Prosaschriften, wie die „Vier Nächte oder romantisches Gemälde der Fantasie" und das „Humoristische Panorama oder der frohe Zuschauer an der Donau", in denen das Biedermeier- Wien so herzlich und originell geschildert wird wie in einem Aquarell von Loder oder Rudolf Alt. Weniger Glück hatte seine Musik. Seine Kirchenmusik ist gut gemacht, solid, aber ohne tieferes Interesse. Seiner Symphonik fehlt echte Größe, seine zwei- und vierhändigen Sonaten für Klavier sind merklich von Mozart und Haydn beeinflußt, manchmal auch von Clementi und seiner spielerischen Glätte. Interessant, oft wertvoll, sind seine ein- und zweistimmigen Lieder und Chöre, meist strophisch angelegt, selten schon durchkomponiert, viele nach dem Zeit- geschmack mit (zusätzlicher) Gitarrenbegleitung. Oft vertonte er eigene Dich- tungen, aber auch Texte Metastasios, im italienischen Opern- oder Canzonenstil; vielleicht sind es Übungen aus der Studienzeit. In der Zeit der Befreiungskriege schrieb er Soldaten- und Kriegslyrik, die ihn als glühenden Patrioten zeigt. Nach den allüerten Erfolgen tritt Wellington in den Mittelpunkt seines Interesses, aber auch die Vaterfigur des „guten Kaiser Franz"; ja sogar Hermann, der Cherusker, muß zum Kampf gegen die Franzosen aus Walhall herabsteigen. Auch seine Schauspielmusiken zu patriotischen Stücken von Ludwig Wieland» Johann Deinhardstein und Friedrich Treitschke,4 dem Librettisten des „Fidelio", folgen diesem Trend. Oft sind es Pasticci mit Musik von mehreren verstorbenen oder lebenden Komponisten, wie „Die gute Nachricht" von Treitschke, zu welchem Stück außer Kanne u. a. auch Beethoven einen Chor („Germania, Germania") beizusteuern nicht abgelehnt hatte.

Ein beträchtlicher Teil von Kannes poetischem und musikalischem Werk hat sich in den Bibliotheken von Wien, Berlin und Leipzig erhalten, nicht zuletzt durch das großzügige Vermächtnis Erzherzog Rudolphs, des jüngsten Bruders Kaissr Franz I. und Schülers Beethovens, der seine große Notenbibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde zuwendete.5 Vielleicht lernte Kanne den kunst- sinnigen Prinzen durch Beethoven kennen, in einem der Wiener Adelspalais (Lobkowitz, Kinsky), in denen er verkehrte. Kanne hat dem Erzherzog ein Klavierwerk gewidmet, ihm aber wohl auch manche Komposition geschenkt. Anderes mag durch Kauf oder Schenkung an die Bibliothek gelangt sein. Die Musikbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz, verwahrt Partitur und Parti- gell von Kannes letzter Oper „Die Mainacht oder der Blocksberg", deren für

77 das Berliner Königstädter Theater bestimmte — aber nicht nachweisbare — Uraufführung 1834 Kanne nicht mehr erlebte. Wurzbachs Wunsch,· das Beste von Kannes Kompositionen möge wieder aufgeführt werden, wird kaum in Erfüllung gehen. Was Kannes Namen lebendig halten sollte, sind zwei Dinge: seine heute noch lesenswerten, kenntnisreichen und furidierten Kritiken und seine Bezie- hungen zu Beethoven. Kann er auch nicht als Begründer der Wiener Musik- kritik gelten,7 so ist er doch einer ihrer Ahnen. Von ihm führt eine Linie über Becher zu Hanslick, Heuberger, Julius Komgold, Heinrich Kralik und Max Graf. In einer — leider noch immer nicht geschriebenen — Geschichte der Wiener Musikkritik wird Kannes Name nicht fehlen dürfen. Sein ist auch das Verdienst, seine noch weit von einem wirklichen Verständnis des späten Beethoven entfernte Zeit, welche diese Werke als „bizarr" oder geradezu als „Narrenmusik" ansah, von der selbst ein Grillparzer in einem Gespräch mit dem Meister bekannte, „sie sei für die Zeit ganz unbegreiflich",8 immer wieder auf die unerhörte Größe, Neuartigkeit und Expression dieser großen Kunst hingewiesen zu haben und für sie beredt eingetreten zu sein. August Schmidt· nannte Kanne „einen jener tüchtigen Kunstherolde, welche dem Erscheinen des großen Kunstheros kühn vorangingen, zu einer Zeit, da noch nicht das Volk die Blumen unbedingter Anerkennung auf seinen Weg streute". Aber auch Schuberts Genius hat Kanne erkannt und in der „Allgemeinen Musikzeitung" in zwei — nach der Zeitsitte unsignierten, aber nach der (gewiß zutreffenden) Meinung von Ο. E. Deutsch10 höchstwahrscheinlich Kanne als Herausgeber zuzuteilenden — Kritiken (Lieder, Wandererfantasie) richtig gewürdigt. Carl Maria von Webers gewaltige schöpferische Tat fand bei Kanne vielleicht sogar tieferes Verständnis als bei dem etwas skeptischen Beethoven. „Ein in unserer Zeit gleichsam vom Himmel gefallenes Werk" nennt Kanne den „Freischütz".11 Und bei richtiger Beurteilung der drama- tischen Fehlerhaftigkeit des Textbuches und zweifelloser Schwächen in der Musik erkennt er scharfblickend Einfall, Kühnheit und epochale Neuheit in der Instrumentation der „Euryanthe". Mozart wurde von Kanne bewundert, und wir danken ihm eine kluge Besprechimg der (damals neuen) Ausgabe der Klaviersonaten im Verlag S. A. Steiner. Seine deutsche Kantate „Mozarts Grab" gehört zu seinen tief empfundenen Werken. Daß er für die schablonenhaft erstarrte italienische Oper der Zeit, wie sie Bellini, Donizetti und Mercadante vertraten (Verdi kannte ex noch nicht), wenig übrig hatte, läßt sich begreifen. Von der damals neuen „Anna Bolena" Donizettis sagte er, sie sei mit eisernem Fleiß gemacht, denn sie sei nicht erfunden von schöpferischem Geiste, sondern künstlich und gewaltsam zusammengesetzt. Eisern nenne man den Fleiß, wenn ein Komponist nicht müde werde, immer wieder das Nämliche zu sagen. Rossinis Bequemlichkeit, Melodien oder ganze Ouvertüren aus älteren Werken in Novitäten zu übernehmen, stößt bei Kanne auf scharfen Tadel.

Für ihn gab es keinen Größeren als Beethoven. Ihm war er nicht nur geistig und charakterlich verwandt; soll man Heinrich Laube14 glauben, war er ihm auch in seiner äußeren Erscheinung ähnlich. Die beiden waren Freunde und zuletzt duzten sie einander. Die Konversationshefte enthalten viele Äußerungen von und über Kanne, deren Zuschreibung oft allerdings fraglich ist und von den Herausgebern (Georg Schünemann, 1941/43, Karlheinz Köhler und Grete Herre, Ostberlin 1968/70, noch nicht beendet), ganz abgesehen von

78 Prod'homme (1946), Magnani (1962) und von Schindlers Biographie, keineswegs immer konform durchgeführt wird. Von Schindler" als hochgebildet und guter Musiker geschätzt, hatte Kanne viele Interessen mit Beethoven gemeinsam. Er erbittet vom Meister leihweise Goethes Farbenlehre und lenkt den schon an Kant Vorgebildeten seinerseits auf die neuere deutsche Philosophie, auf Fichte, Schleiermacher und vor allem auf Hegel, die er ihm zur Lektüre ebenso empfiehlt wie Plato und die Geschichtswerke Othmar Müllers. Schindler weiß von langen hitzigen Diskussionen der beiden über musiktheore- tische Fragen, so etwa über das heute noch umstrittene Problem der Tonarten- charakteristik, oder über Fragen der Melodik und Dramatik in der Oper, für die Beethoven damals ganz neue, Wagner vorausahnende Gestaltungsgrund- sätze vorschwebten. Beethoven schätzte die schriftstellerische Begabung Kannes, und ein ihm zur Zeit der Uraufführung der IX. Sinfonie durch Vermittlung Schindlers vom Opernimpresario Duport übersendetes Kanne-Libretto findet durchaus die Zustimmung des Meisters, der sich freilich — unentschlossen und mit Arbeit überbürdet — ebenso wie im Falle von Grillparzers „Melusine" zur Vertonung nicht durchringen konnte. Bald darauf (1825) ersucht er Kanne, der bei ihm auf der Namensliste potentieller Librettisten ganz oben steht, aus Goethes 1775 entstandenem Singspiel „Claudine von Villabella", mit dem er sich schon in seiner Jugend beschäftigt hatte (Lied „Mit Mädchen sich ver- tragen"),14 ein Opembuch anzufertigen. Kanne leihnte aber ab, weil er „an ein Werk Goethes nicht Hand anlegen" wolle. Vielleicht war das die Wahrheit, denn Kanne besaß tiefe Verehrung für Goethe, dem er auch mehrere Lieder gewidmet hat; vielleicht war es aber auch nur Trägheit, die Kanne abhielt, oder er kannte als Intimus des Beethoven-Kreises die Unentschlossenheit des Meisters in solchen Dingen. Auch politisch sympathisierten die beiden Musiker. In den Konversationsheften lobt Kanne wiederholt den spanischen Aufstand und kritisiert die Intervention der heiligen Allianz. Der aus der Situation ver- ständliche, teilweise sicher echte Patriotismus und Loyalismus Kannes während der Befreiungskriege fiel nach dem Einsetzen der Reaktion 1815 wie Tünche von ihm ab. Seine Ansichten, die er vorsichtshalber nur vor Gesinnungs- genossen vortrug, wären der Polizei Sedlnitzkys mehr als bedenklich erschienen. Auch an der Vormundschaftssache betreffend den minderjährigen Neffen Beethovens, Karl, die den Meister von 1816 bis 1820 so intensiv beschäftigte und seine Schaffenskraft störte, nahm Kanne — ohne freilich, wie etwa Karl Bernhard, aktiv einzugreifen — Anteil. Er beglückwünscht 1820 den Meister zur ..vollen Satisfaktion" und wollte — als wären ihm die Akten zugänglich gewesen — sogar die Namen der Appellationsräte im Morgenblatt veröffent- lichen. Gelegentlich prüft er den Knaben aus Latein und Mathematik und erklärt ihn, bei heftiger Kritik an Privatschulen, für recht begabt. Auch an den peniblen Angelegenheiten Beethovens bei Übersiedlungen in die Um- gebung Wiens nimmt er Anteil. In den letzten Lebensjahren und während der letzten Krankheit Beethovens scheint er sich zurückgezogen zu haben. Prod'homme erwähnt nichts von einem Verkehr in den Jahren 1826 und 1827, vielleicht ergibt die Publikation Köhlers Anhaltspunkte. Erst beim Begräbnis des großen Freundes, dem er eine ergrei- fende Totenldage widmete, begegnen wir ihm unter den Freunden, die dem Sarge zum Friedhof folgten. Nun scheint Kanne seinen letzten Halt verloren zu haben. Immer tiefer versinkt er in Elend und Trunksucht; seine letzte Freude mag der halbe Erfolg seines mythologischen Singspiels „Philipp und Suschen" (1832) gewesen sein,

79 Elend und einsam stirbt er. Als Komponist gehört er noch dem Klassizismus an. Sein Werk — vor allem seine Zauberopem und Singspiele — trägt doch weit deutlicher als jenes Schuberts biedermeierliche Züge, während romantische Einflüsse sich seltener geltend machen. Ausführlicher wird davon in meiner eben beendeten Monographie über Kanne die Rede sein. Gewiß war er kein Genie, kein Großmeister, mochten die Zeitgenossen ihm auch freigebig das Beiwort „genial" spenden. Aber mit vielen anderen Kleinmeistem bildete er jenen Humus, dem die weithin sichtbaren Riesenbäume der Genies entsprossen. Darum verdient er das Massengrab der Musiklexika nicht. Er hat das wahrhaft Große seiner Zeit, ja das ihr Vorauseilende, erkannt und nach Kräften ge- fördert, während andere es nicht vermochten oder gar nicht versuchten. Daruni hat er nicht umsonst gelebt.

Anmerkungen:

I Johann Langer, Sparkassenbeamter. Mitarbeiter des „Sammler", der „Theaterzeitung" und der „Modenzeitschrift". ' Adolf Bäuerle (1786 bis 1859), Gründer und Herausgeber der „Allgemeinen Wiener Theaterzeitung", Schriftsteller, Sekretär des Leopoldstädter Theaters 1808 bis 1820 (Castelli, Memoiren 1.259); Karl Meisl (1775 bis 1853), Beamter und Theaterdichter (Castelli, a.a.O., 1.154); Johann Schickh (1770 bis 1835), Schneider und Herausgeber der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode" (Castelli, a.a.O. 11.169); Alwin RFaller, Schriftsteller und Musiker (Goedecke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Literatur, XI. 2. 254). » Über Leopold Frh. v. Biedenfeld (1788 bis 1862), s. Goedecke, a.a.O., X.279. 4 Ludwig Wieland, Schriftsteller, Sohn Christoph Martin Wielands; Friedrich Treit- schke (1762 bis 1842), Librettist, Regisseur, Hoftheatersekretär und 1841 prov. Leiter des Kämtnertortheaters (Castelli, a.a.O., 1.212); Johann Ludwig Deinhardstein (1704 bis 1859), Kriminalriohter, Professor der Ästhetik an der Universität Wien, Vize- direktor der Hofbühnen 1832 bis 1841, Regierungsrat bei der Zensur (Castelli, a.a.O., II.4). 5 Über das Rudolphinische Vermächtnis vgl. Kralik, Das Buch der Musikfreunde (Wien 1951), p. 50 ff. Es waren 60 oder sogar 90 Notenkisten. * Konstantin v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreichs (X.438 ff.), 1863. 7 Gunter Martin, Zwischen Bacchus und den Musen (Wiener Zeitung Nr. 140Ί970). 8 Grillparzer, Gespräche (1791 bis 1831), 2.III.196. • August Schmidt, Herausgeber der „Allgemeinen Wiener musikalischen Zeitung" (1841 bis 1848), in einem Beitrag für J. N. Vogls (erste) Biographie Kannes im Volks- kalender auf das Jahr 1862, „Von einem Verschollenen. Ein Stück Alt-Wien". 10 Ο. E. Deutsch, Schubert, a documentary biography (1946), p. 208,278. II Anton Schindler, Beethovens Biographie, 11.72,227. 11 Heinrich Laube, Redsenovellen (Wien 1877), 11.66. " Die Besprechung des „Freischütz", unsigniert, aber offenbar aus der Feder Kannes, in der „Allgemeinen M

„Ich bin nicht Kennerin genug, um anders als nach meinem Eindrucke zu urtei- len; aber mich reißt es hin, wo, wie in der Natur, großartige Verschwendung ist. Mozart teilt mit freundlichem Angesichte unschätzbare Edelsteine aus, und schenkt jedem etwas; Beethoven aber stürzt gleich einem Wolkenbruch von Juwelen über das Volk; dann hält es sich die Hände vor den Kopf, damit es nicht blutig geschlagen wird, und geht am Ende fort, ohne den kleinesten Diamanten erhascht zu haben." Diese Worte spricht in Adalbert Stifters ..Feldblumen" Angela, eine der idealen Frauengestalten des Dichters, und sie fallen auf eine Weise, daß wir sie getrost als Bekenntnis Stifters selbst hin- nehmen dürfen.1 Angela beschließt damit eine Diskussion, die sich in einer Gesellschaft am 31. Mai 1834 nach einer Aufführung von Beethovens Pastoral- symphonie entwickelt: „Der ewig alte Hader, in den man allezeit gerät, wenn man von Beethoven spricht, ob er oder Mozart vorzuziehen sei, entstand auch hier und ward mit Hast verfochten. Alle Damen waren Mozartistinnen und ein großer Teil der Männer." Die Verfechter Beethovens sind neben Angela ihr männlicher Gegenpol und der fingierte Erzähler der „Feldblumen", der Maler Albrecht, sowie ein greiser Musiker.

Angela sagt bezeichnenderweise diese Worte nicht in der Diskussion selbst, sondern, nachdem sie selbst sich aus ihr zurückgezogen hat, zu Albrecht. Das Streitgespräch am Tisch geht indes mit „lärmender Kriegsfurie" weiter, ver- schwindet jedoch aus dem Gesichtskreis der Handlung. Auch dies bedeutet eine gewisse Stellungnahme des Dichters. Er verneint damit die innere Be- rechtigung und Angemessenheit derartiger, in der zeitgenössischen Wiener Gesellschaft zweifellos an der Tagesordnung gewesener Wortstreitereien. Kunst und Wissenschaft bleiben in ihrer Eigentlichkeit einem kleinen Verband von auserlesenen Menschen vorbehalten, für welchen in den „Feldblumen" sogar der Wunschtraum eines „Tuskulums" inmitten der Naturlandschaft des Traun- sees geschaffen wird. Die Auszeichnung der dort wohnenden Menschen soll nicht zuvörderst in ihren Geistesgaben und ihrem Wissen bestehen, sondern in Eigenschaften des Herzens: „Jeder weiht seine Tätigkeit nur dem Aller- schönsten, und sucht, so viel an ihm ist, das Reich der Vernunft auf Erden zu gründen. Wissenschaft und Kunst werden gepflegt, jede rohe Leidenschaft, die sich äußert, hat Verbannung aus dem Tuskulum zur Folge. Kurz, ein wahres Götterleben beginnt in dieser großartigen Natur unter lauter großen sanften Menschen."2

In diesem geistigen Bereich, und von diesen immanenten Voraussetzungen her gesprochen, müssen wir uns also die Worte Angelas denken. Und allein dieser kleinen Republik „großer sanfter Menschen" findet Stifter die Musik Beethovens zugänglich. Dahingegen stehe das „Volk" der Fülle des auf es Eindringen- den ratlos gegenüber und reagiere mit Abwehr. Mozart dagegen biete mit „freundlichem Angesicht", das heißt in ästhetisch nicht oder nicht mehr als problematisch empfundener Form, jedem etwas. Natürlich ist keine Abwertung Mozarts gegenüber Beethoven gemeint. Mozart gehört ebenso in die Welt der edlen Menschen, in die Albrecht Eingang findet, nachdem er sie zunächst nur erträumt hat; so etwa, wenn er sich das Zusammensein mit der

81 noch imaginären Gattin ausmalt: „... wir gingen zu ihrem Pianoforte hinein, zündeten kein Licht an (denn der Mond gießt breite Ströme desselben bei den Fenstern herein), und sie spielte herrliche Mozart, die sie auswendig weiß, oder ein Lied von Schubert, oder schwärmte in eigenen Phantasien herum — ich ginge auf und ab oder öffnete die Glastüren, die. auf den Balkon führen, träte hinaus, ließe mir die Töne nachrauschen. . ."s Diese Gemeinschaft besteht, halten wir es nochmals fest, aus „lauter großen sanften Menschen" und „jede rohe Leidenschaft. .. hat Verbannung aus dem Tuskulum zur Folge"; ein Ideal, wie es Stifter auch in der berühmten Vorrede zu den „Bunten Steinen" ausgesprochen hat: „Ein ganzes Leben voll Gerechtig- keit Einfachheit Bezähmung seiner selbst Verstandesgemäßheit Wirksamkeit in seinem Kreise Bewunderung des Schönen verbunden mit einem heiteren gelassenen Sterben halte ich für groß: mächtige Bewegungen des Gemütes furcht- bar einherrollenden Zorn die Begier nach Rache den entzündeten Geist, der nach Tätigkeit strebt, umreißt, ändert, zerstört, und in der Erregung oft das eigene Leben hinwirft, halte ich nicht für größer, sondern für kleiner.. . Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Ge- schlecht geleitet wird."4 Jene, die in Stifters Werken dieses „sanfte Gesetz" durchbrechen, fallen auch stets der Verbannung anheim: einer zeitweiligen und in Liebe wieder rückgängig gemachten Albrecht in den „Feldblumen", der „Urgroßvater", Stephan und die Titelheldin in der „Brigitta"; andere blei- ben ausgeschlossen und zerbrechen. Für Stifter ist die Musik Beethovens in dieser Gemeinschaft „großer sanfter Menschen" beheimatet. Beethoven gilt ihm also nicht als der Revolutionär, der Zerstörer der Form, einer, der seinen Kreis und den seiner Kunst zerbricht und damit der Verbannung preisgegeben werden müßte. Er bleibt dem „sanften Gesetz" treu, bleibt also, mit stilistischen Begriffen gesprochen, Klassiker. Beethoven bietet für Stifter das Höchstmaß künstlerischen Ausdruckes: tiefstes, „reinstes" Gefühl ohne Leidenschaft. Das also, was die. zarten Liebesgeschichten des Dichters, etwa jene Heinrichs und Nataliens im „Nachsommer", so sehr prägt. Und Albrecht in den „Feldblumen" erlebt es, als er Angela, noch ohne sie zu kennen, zum erstenmal auf der Burgbastei sieht: „Von meiner Kindheit an war immer etwas in mir, wie eine schwermütig schöne Dichtung, dunkel und halbbewußt, in Schönheitsträumen sich abmühend — oder soll ich es anders nennen, ein eingeborener Engel, ein unhebbarer Schatz, den selber die Musik nicht hob — in diesem Augenblicke hatte ich das Ding zwei Spannen breit meinen Augen sichtbar gegenüber.. . Ob ich in sie verliebt wurde? Nein, in diese war ich es seit meinem ganzen Leben schon gewesen... Und als ich die Steintreppe in die düstre Stadtgasse hinabstieg, wallte mir das vorher erschrockene Herz erst recht auf, und es wurde mir, als sollt ich sie ohne Maß und ohne Grenzen lieben. Eine Ahnung solchen Gefühles vermag Beethoven zu geben, wenn er dir den schönsten unbekannten Demant aus deinem eigenen Herzen hebt, und ihn dir glänzend und lichtersprühend vor Augen hält."5 Ein tief aufwühlendes Erlebnis, eine der Kardinalsituationen des Menschenlebens, wird hier mit dem Erlebnis der Musik Beethovens ver- glichen. Nicht in dem Sinne des Uberwältigens, nicht daß diese Musik dem Hörer etwas aufzwänge, hypnotisch gleichsam: sondern daß sie dem, der sie aufnimmt, sein eigenes Inneres eröffnet, daß sie seine Seele zum Schwingen bringt. Und dies liegt ja wieder im Bereich jenes „sanften Gesetzes", des inneren Bereiches des allgemein Menschlichen: der Künstler verkündet nichts

82 und hat nichts zu verkünden, was nicht im Aufnehmenden wie im Schaffenden selbst schon beschlossen wäre. Es ist — so dürfen wir Stifter wohl verstehen — nicht an ihm, im Sinne der Späteren zum Verkünder eines Programmes, einer Ideologie zu werden, schon gar nicht einer mit blinder Leidenschaft bekannten. „Diese Ichs renommieren heutzutage so sehr in der Gesellschaft und in der Literatur, daß man oft in einem Buche vor lauter Autor gar nicht zu dem Stoffe gelangt."8 Die Aufgabe des Künstlers ist es, um ein Wort Beethovens zu gebrauchen, „der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter dem Menschengeschlecht verbreiten". Indem sie den inneren Menschen mit den geheimen Anliegen seines Herzens weckt, wird die Musik auch immer wieder zum lösenden Medium zwischen Angela und Albrecht in den „Feldblumen". Nichtsahnend von dem bevor- stehenden Zusammentreffen findet sich Albrecht an dem anfangs erwähnten Abend des 31. Mai 1834 bei seinem Freund Aston ein und erlebt die eröffnende musikalische Darbietung: „Die Pastoralsymphonie wurde von lauter feurigen Verehrern des toten Meisters vortrefflich ausgeführt. Ich floh in sein [sc. Astons] Schreibstübchen, in das keine andere Beleuchtung flöß, als eine sanfte Dämmerung aus einem dritten Zimmer, in welchem vier dicht bei einander stehende Lampen ... die Milch ihres Lichtes ergossen. ... Auf dem weichen weißen Samte dieses Lichtes nun wallte die Symphonie zu mir herein und brachte alle Idyllen und Kindheitsträume mit, und je mehr sie schwoll und rauschte, um so mehr zog sie gleichsam goldne Fäden um das Herz. Wie ist diese Musik rein und sittlich gegen den leichtfertigen Jubel unserer meisten Opern! Auf unbefleckten weißen Taubenschwingen zieht sie siegreich in die Seele."7 Dem durch die Musik so Gestimmten begegnet Angela, jene Frauengestalt, deren Anblick auf der Burgbastei ihn so sehr betroffen und darin an Beethoven gemahnt hatte. Ihr warmes Bekenntnis für Beethoven ist, nach der im größeren Umkreise stattgefundenen Bekanntmachung, das erste zwischen dem Paar gewechselte persönliche Wort. Die Musik tritt auch weiterhin in Schlüssel- stellungen des Weges Angelas und Albrechts zueinander hervor: „ ... wenn sie vor dem Instrumente sitzt, zieht ein neuer Geist in dies seltsame Wesen, sie wird ordentlich größer, und wenn die Töne unter ihren Fingern vorquellen und dies unbegreiflich überschwengliche Tonherz, Beethoven, sich begeistert, die Tore aufreißt von seinem innern tobenden Universum, und einen Sturm- wind über die Schöpfung gehen läßt, daß sich unter ihm die Wälder Gottes beugen — und wenn der wilde geliebte Mensch dann wieder sanft wird und hinschmilzt, um Liebe klagt oder sie fordert für sein großes Herz, und wenn hierbei ihre Finger über die Tasten gehen, kaum streifend wie ein Kind an- drücken würde ... und ihr gerührtes Auge so groß und lieb und gütig auf mich /fällt, als wäre der Traum wahr, als Hebte sie mich: dann geht eine schöne Freude durch mein Herz, wie eine Morgenröte, die sich aufhellt — die Töne werden wie von ihr an mich geredete Liebesworte, die vertrauen und flehen und alles sagen, was der Mund verschweigt."8 Als sich Albrecht aber von Angela, die ihm als unantastbares Ideal des Weib- lichen erschienen war, verraten glaubt, klammert er sich in seinem verzweifelten Hadem mit diesem Schicksal an einen ganz bestimmten musikalischen Ein- druck, mit dem zweifellos Beethovens Siebente Symphonie gemeint ist: „... hat eine Entzückung über eine Seele vor der über die Α-Symphonie etwas voraus? Sind nicht beide bloße Werke der Schönheit? Ach Gott, die Α-Symphonie blieb

83 schön! !"· Albrecht muß bald einsehen, daß es nur seine übereilte Leiden- schaft, der Bruch des „sanften Gesetzes", war, welche an allem schuld war. Am Höhepunkt seines vermeintlich nicht wieder gutzumachenden Schmerzes faßt ihn abermals Musik im Tiefsten an: jetzt ist es Schuberts Vertonung des Goetheschen Seeliedes. „Wie ist Natur so hold und gut" beginnt es da — Natur: wir erinnern uns, daß es gerade Beethovens Hochgesang der Natur, die Pastorale, war, welche die Herzen Angelas und Albrechts einander bei der ersten Begeg- nung zutrug. Die Natur, unwandelbar wie die zeitlosen Werke der Kunst, ist der Raum des Menschen, dem er unerläßlich verhaftet bleibt. Immer findet sich Albrecht in einer seinem Seelenzustand entsprechenden Umgebung, dies jedoch nicht als bloß äußerlicher Kunstgriff: die im Menschen sich regenden Empfindungen werden eben wach, wenn die Landschaft (gleich wie alles wirklich Große im Sinne Stifters, Kunst, Wissenschaft, Seele) sie in gleichge- stimmter Weise anspricht. Und zu welchem anderen Zeitpunkt sollte Albrecht jene Bekenntnisse ganz persönlicher Art äußern, die seine Briefe ja darstellen, wenn nicht in jenem des Betroffenseins in seinem Inneren? Und andererseits prägt die seelische Situation des Menschen auch seine Sicht des Äußeren. Auf dem mondbeschienenen Almsee erfährt Albrecht, daß er sein Glück nicht vertan habe und Angela ihm unverloren sei. Da ändert auch die Natur ihr Gesicht: „Oh wie schön, und wie anders, als vor zwei Stunden, stand der Mond jetzt am Himmel.. ,"1D Stifters Naturdichtung ist also, wie die Beethovens, in diesem Sinne durchaus „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei".

Der überwältigte Mensch, Stifter selbst, stand auch am 8. Juli 1842 am Kom- häuselturm vor dem gewaltigen Naturereignis der totalen Sonnenfinsternis.11 Und er wollte „versuchen ..die Empfindung nachzumalen und festzuhalten, in so ferne dies eine schwache, menschliche Feder überhaupt zu tun im Stande ist". Und nachdem er mit der wohl nur ihm eigenen Kunst der hinreißenden Naturschilderung den Vorgang dem Leser nachempfinden ließ, meinte er: „... habet Nachsicht mit diesen armen Worten, die es nachzumalen ver- suchen, und so weit zurückblieben. Wäre ich Beethoven, so würde ich es in Musik sagen; ich glaube, da könnte ich es besser." Wieder ist ein Natur- ereignis, das Stifter mit dem Meister der Pastorale in Verbindung bringt. In diesem Zusammenhang erinnert man sich seines Bekenntnisses: „Meine ersten Schriftstellerversuche liegen in meiner Kindheit, wo ich stets Donnerwetter beschrieb."" Das Verglühen und Wiedererleuchten der lebens- spendenden Sonne gilt ihm Musik des Lichtes, der Farbe: „Könnte man nicht auch durch Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge von Lichtem und Farben eben so gut eine Musik für das Auge wie durch Töne für das Ohr ersinnen? Bisher waren Licht und Farbe nicht selbständig verwendet, sondern nur an Zeichnung haftend; denn Feuerwerke, Transparente, Beleuchtungen sind doch nur noch zu rohe Anfänge jener Lichtmusik, als daß man sie erwähnen könnte. Sollte nicht durch ein Ganzes von Lichtakkorden und Melodien eben so ein Gewaltiges, Erschütterndes angeregt werden können, wie durch Töne? Wenig- stens könnte ich keine Symphonie, Oratorium oder dergleichen nennen, das eine so hehre Musik war, als jene, die während der zwei Minuten mit Licht und Farbe an dem Himmel war, und hat sie auch nicht den Eindruck ganz allein gemacht, so war sie doch ein Teil davon.""

„Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so erschüttert, von Schauer und Erhabenheit so erschüttert, wie in diesen zwei Minuten — es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen, und ich hätte es

81 verstanden." 'Die „vestigia dei" sind es auch, die Beethoven in der Natur erfühlt: „Allmächtiger im Walde! Ich bin seelig, glücklich im Wald: jeder Baum spricht durch dich — ο Gott! welche Herrlichkeit! In einer solchen Waldgegend, in den Höhen ist Ruhe, Ruhe ihm zu dienen." Wäre Stifter, nach seinen Worten, Beethoven gewesen, so hätte er die Sonnen- finsternis in Musik geschildert. Aber das Ereignis, so sehr es ihn beeindrucken mochte, es läßt ihm eine Frage offen: „Warum, da doch alle Naturgesetze Wunder und Geschöpfe Gottes sind, merken wir sein Dasein in ihnen weniger, als wenn einmal eine plötzliche Änderung, gleichsam eine Störung derselben geschieht, wo wir ihn dann plötzlich und mit Erschrecken dastehen sehen? Sind diese Gesetze sein glänzendes Kleiid, das ihn deckt, und muß er es lüften, daß wir ihn selber schauen?"14 Es scheint, als habe ihm auch Beethoven nach dem flammenden Jugendbekenntnis der „Feldblumen" späterhin diesen Rest gelassen. Eine direkte Aussage liegt allerdings nicht vor. Aber aus einer Bemerkung in der Studie „Wiener Salonszenen"15 spürt man bereits eine gewisse Distanz zum Spätwerk. Es ist da die Rede vom Quartettzirkel eines Herrn Quänger, dessen Verhältnis zur Musik in der Freude an der Bewältigung von Schwierigkeiten bestehe: „Wäre ich ein Compositeur, ich setzte mich hin und verfaßte bloß für Quänger einen Inbegriff von Schwierigkeiten, womit ich das Quartett beseligte; denn sie arbeiteten freudig daran und hörten nicht auf, wenn sie auch so alt würden wie vier ewige Juden." Da heißt es auch unter anderem: „Sie haben schon mehr als hundert musikalische Nüsse auf- geknackt, und knacken jetzt am liebsten an Beethovens letzten Quartetten, den sie bis in den Himmel erheben." Zunächst dürfte sich diese distanzierte Haltung tatsächlich nur auf das Spätwerk beziehen. Denn in den ein Jahr später entstandenen „Zwei Schwestern" berichtet Otto Falkhaus von seinem Amateurquartett auf dem Lande: „Wir übten uns in wenigen der bekannteren Tonsetzer, und spielten gewöhnlich zuerst aus Haydn, dann aus Mozart und endlich aus Beethoven"16 — also noch eine sicherlich positive Einstellung. In den späten Schriften verschwindet Beethoven aus dem Gesichtskreis der Stifterschen Menschen. Heinrich Drens Vater bemerkt im „Nachsommer": „Das, was die Griechen in der Bildnerei geschaffen haben, ist das Schönste, welches auf der Welt besteht, nichts kann ihm in andern Künsten und in späteren Zeiten an Einfachheit Größe und Richtigkeit an die Seite gesetzt werden, es sei denn in der Musik, in der wir in der Tat einzelne Satzstücke und vielleicht ganze Werke haben, die der antiken Schlichtheit und Größe verglichen werden können. Das haben aber Menschen hervorgebracht, deren Lebensbildung auch einfach und antik gewesen ist, ich will nur Bach Händel Haydn Mozart nennen."17 In einem selbstbiographischen Abriß vom 26. Dezember 1867 be- merkt Stifter, daß er seit einer Aufführung in seinen Kindheitstagen in Ober- plan „noch heut zu Tage die Schöpfung für das erhabenste Tonwerk halte und sie nie ohne tiefste Rührung hören kann. (Neben Haydn ist mir dann Mozart der größte Tonsetzer.)"18

Anmerkungen:

1 Sämtliche Zitierungen nach der Ausgabe des Winkler-Verlages, Wien-München. Das Zitat in: Studien, 1950, S. 70 f., das folgende S. 70. * Ebendort, S. 60. 3 Ebendort, S. 43.

86 4 Bunte Steine und Erzählungen, 1951, S. 9 f. 4 Studien, S. 53 f. • Wiener Salonszenen, in: Die Mappe meines Urgroßvaters, Schilderungen, Briefe, 1954, S. 458 f. 7 Studien, S. 65. • Ebendort, S. 95 f. • Ebendort, S. 115. 10 Ebendort, S. 129. 11 Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842, in: Die Mappe etc., S. 501 ff., die beiden folgenden Zitate S. 504, 511. " Autobiographische Skizzen und Fragmente, ebendort, S. 610. 1S Sonnenfinsternis, ebendort, S. 511 f., das folgende Zitat S. 503. 14 Ebendort, S. 511. 15 Ebendort, S. 458 ff. '· In: Studien, S. 999. 17 Der Nachsommer, 1949, S. 401. 18 In: Die Mappe etc., S. 610.

Musikschule Werdenberg Buchs SG/Schweiz Leitung: Hanspeter Gmür

Auf 22. April 1974 suchen wir

vollamtliche Lehrkraft für Schulgesang (Mittelschule) und ein Instrumentalfach (möglichst Holzblasinstrument)

nebenamtliche Lehrkräfte für Querflöte Klarinette Klavier

Auch hier wäre evtl. eine Vollanstellung in Verbindung mit 2 Fächern oder einer benachbarten Musikschule möglich. Interessenten, die über eine entsprechende fachliche Ausbildung verfügen, werden gebeten, ihre Bewerbung zusammen mit den üblichen Unterlagen zu senden an:

Sekretariat der Musikschule Werdenberg, CH-9470 Buchs/SG, Telefon 085/6 29 01 (vormittags)

86 HEIMO ERBSE ERHIELT DEN WÜRDIGUNGSPREIS Walter Szmolyan

Nach Helmut Eder (1972) wurde nun auch Heimo Erbse mit dem neu geschaffenen Würdigungspreis (1973) des österreichischen Staatspreises ausgezeichnet. Der am 27. Februar 1924 in Rudolstadt (Thüringen) geborene Komponist — er wird also in Kürze 50 Jahre alt — ließ sich 1957 in Österreich nieder und erhielt 1963 die öster- reichische Staatsbürgerschaft; er bewohnt in Taxenbach, im Salzburgischen Pinzgau, ein idyllisch gelegenes altes Bauemhaus. Erbse studierte in Weimar Flöte, Dirigieren und Opernregie. Eine Kriegsverletzung der rechten Hand hinderte ihn am praktischen Musizieren. Von 1947 bis 1950 war Erbse an verschiedenen deutschen Bühnen als Opernregisseur tätig. 1950 verließ er die DDR und ging nach West-Berlin, wo er Kompositionsschüler von Boris Blacher wurde. Anschließend lebte er bis zu seiner Übersiedlung nach Österreich als freischaffender Komponist in Berlin und schrieb dort vor allem Schauspielmusiken für das Theater am Kurfürstendamm und Film- musiken.

1952 verursachte Erbses Opernerstling, die Kammeroper „Fabel in C", anläßlich der Uraufführung bei den Berliner Festwochen einen richtigen Theaterskandal. Am 17. August 1969 wurde dann bei den Salzburger Festspielen die vieraktige Opera semiseria „Julietta" nach Heinrich von Kleists bekannter Novelle „Die Marquise von Ο ..." uraufgeführt; die Titelrolle sang Rita Streich, am Dirigentenpult wirkte Antal Dorati. Am 24. März desselben Jahres hatte es bereits eine weitere Erbse- Premiere gegeben: unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen war das Ballett in zwei Akten „Ruth" zum erstenmal über die Bretter der Wiener Staatsoper gegangen. Ein viertes Bühnenwerk, die komische Oper in vier Bildern „Der Herr in Grau" nach einem Libretto von Carl Merz, harrt noch der Aufführung. Auf dem Gebiet der absoluten Musik liegen bis jetzt zwei Symphonien vor, in denen Erbse die klassisch-romantische Tradition in unserer Zeit fortzusetzen trachtet. Die viersätzige I. Symphonie op. 23 wurde 1967 in Hamburg unter der Stabführung Hans Schmidt-Isserstedts aus der Taufe gehoben; sie war drei Jahre später auch in Wien in einem öffentlichen ORF-Konzert zu hören. Die II. Symphonie op. 29 erlebte 1972 im Großen Wiener Sendesaal des österreichischen Rundfunks unter dem Dirigenten Rudolf Alberth ihre Uraufführung. Beiden Werken war eine 1956 in Frankfurt am Main im Rahmen der „Tage für Neue Musik im Hessischen Rundfunk" uraufgeführte Sinfonietta giocosa op. 14 vorangegangen, der die Kritik „spritzige Formulierungen" und eine „kecke Instrumentation" bescheinigte. Erbse ist nun freilich kein modemer Klangzauberer, kein Neutöner um jeden Preis. Seine Musik kann auf tonale Bezüge nicht verzichten. Er zieht die auf melodischen Einfallen basierende formale und rhythmische Gestaltung des musikalischen Materials, also die traditionelle „thematische Arbeit", dem Weben von exotischen, geräusch- haften Klangteppichen vor. Uber seine Einstellung zum kompositorischen Schaffen äußerte sich Erbse mit folgenden Worten: „Ich bin nicht der Meinung, daß ein Autor in jedem Stück um jeden Preis eine hundertprozentig neue Klangwelt zu zaubern versuchen muß, da ein solcher Weg ohne Umweltbeziehung in einen elfenbeinernen Turm führt und in einer modernistischen .Masche' endet. Solche Stücke finden schließlich nur noch in den Nachtprogrammen des Rundfunks Platz. Ich glaube somit — besonders in klanglicher Hinsicht — nicht an eine zwingende Notwendigkeit einer Musik-,Entwicklung' im Sinne des vorigen Jahrhunderts bzw. im Sinne der Theorien Schönbergs. Formale und rhythmische Durchführung sowie eine möglichst persönliche Aussage sind mir wichtiger als ein partout neuartiger Klangaufwand." Außer den erwähnten Symphonien schrieb Erbse noch andere Orchesterwerke, etwa ein Capriccio für Streichorchester (op. 4), eine Impression für grobes Orchester (op. 9), ein Präludium für Orchester (op. 10), Tango-Variationen für Orchester (op. 18) und „Pavimento", Musik für großes Orchester op. 19. An Instrumentalkonzerten ent- standen: Dialog für Klavier und Orchester op. 11 (1954), Konzert für Klavier und Orchester op. 22 (1962/63) und Tripelkonzert für Violine, Violoncello, Klavier und kleines Orchester op. 32 (1972^73); das letztgenannte Werk ist noch unaufgeführt. Auf dem Sektor der Vokalmusik sind „Das Hohelied Salomos" für Sopran, Bariton und Orchester op. 26, Fünf Orchestergesänge nach Texten von Georg Trakl op. 27, Drei sechsstimmige A-cappella-Chöre nach Texten von Nelly Sachs op. 31 und eine Anzahl von Klavierliedem nach Eichendorff, Mörike und Paul Celan zu nennen. An Kammennusikwerken führt Erbses Werkverzeichnis an: ein Streichquartett (op. 5, 1952), ein Klaviertrio (op. 8, 1953), Aphorismen für Flöte, Violine und Klavier (op. 13, 1954), ein Bläserquartett (op. 20, 1961) und ein kürzlich in Wien uraufge- füiirtes Nonett für Streichquintett, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn (op. 28, 1970/71). Dazu kommen noch eine Sonate für zwei Klaviere (op. 3), eine Sonate für Klavier solo (op. 6) und einige Kompositionen für Flöte und Klavier bzw. Gitarre.

GEBURTSTAGSKALENDARIUM

Hugo Zelzer hat am 26. Jänner in Wien seinen 70. Geburtstag gefeiert. Der jugendlich beschwingte Hofrat, Professor und Doktor der Philosophie, als Musikwissenschaftler, Pädagoge, Interpret, Komponist und Organisator bekannt geworden, ist derzeit als Lehrbeauftragter an der Wiener Universität für Opemgeschichte und Historik der Beziehungen zwischen Musik und Theater tätig. Der gebürtige Wiener hatte 1922 am Stiftsgymnasium Seitenstetten maturiert (1914 bis 1916 war er Wiener Sänger- knabe) und wirkte nach seinen Privatstudien in Klavier, Theorie und Komposition bei Franz Schmidt, Alexander Wunderer und Ernst Kanitz (1922 bis 1930) bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als Privatpädagoge und Pianist, aber auch als Chorfachmann („Wiener Frauenkammerchor"). In den ersten Nachkriegsjahren wid- mete sich Zelzer musikwissenschaftlichen, psychologischen und ästhetischen Studien an der Alma mater Rudolphina, wo er 1953 zum Dr. phil. promovierte. Bis 1961 band ihn dann ein Lehrauftrag an das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Wien. Zur selben Zeit unterrichtete Dr. Zelzer am „Institute of European Studies" in englischer Sprache Musikgeschichte. Zehn Jahre lang hat Professor Zelzer als Direktor des österreichischen Kulturinstituts in London gewirkt (1961 bis 1971) und dort eine vielfältige Tätigkeit — auch in Form von zahlreichen Vortragsreisen an britischen Universitäten — im Dienste Österreichs ausgeübt. Von seinen wissen- schaftlichen Veröffentlichungen sind neben seiner Dissertation „Grundlagen einer Strukturanalyse der europäischen Instrumentalmusik" die Herausgabe des ersten Bandes der Fux-Gesamtausgabe („La Fede Sacrilega") und seine Schrift „German

88 Opera from Mozart to Weber" (London 1973) bemerkenswert. Aber auch Chopin, der österreichischen Barockmusik und der Moderne galten seine Publikationen. Derzeit arbeitet er für einen USA-Verlag am Thema „A Background to the History of Music". Der Komponist Zelzer ist 1931 erstmals mit einem Werk für Streichtrio („Präludium und Fuge") hervorgetreten. Von den Kompositionen für Orchester sind „Menschen" (1936/37) — ein Tanzspiel für Solo- und Gruppentanz, Gesangssoli, Chor und Orchester nach Ideen von Robert Kautzky und Margarete Wallmann —, „Liebendes Mädchen" für Sopran und großes Orchester (1941), „Tres orationes" für Streichorchester (1948) urd „Variationen über ein Barockthema" (1950) besonders bemerkenswert. Großen Erfolg in Großbritannien, in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich hatte der 1967 komponierte Zyklus „Drei Gesänge aus drei Zeit- altern" für Sopran und Bläserquintett, den Rosl Schwaiger zusammen mit dem Wiener Bläserquintett uraufgeführt hat und den nun Ingeborg Hallstein in ihr Repertoire aufnimmt. E. W.

GENERALVERSAMMLUNG DER GESELLSCHAFT FÜR MUSIKWISSENSCHAFT

Am 12. Januar 1974 fand die erste Generalversammlung der „österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft" statt, an der von den bereits etwa 80 in- und ausländischen Mitgliedern fast die Hälfte teilnahm. An wichtigen Beschlüssen wurden außer der Bestätigung jener des Proponentenkomitees die Verleihung der Ehren- mitgliedschaft an Egon Wellesz, die Herausgabe eines wissenschaftlichen Jahrbuches und die Inangriffnahme einer österreichischen Musikgeschichte gefaßt. Besonderes Interesse fand die wissenschaftliche Veranstaltung „Gedanken zu einer Universalgeschichte der Musik", die von Prof. Födermayr und Doz. Gruber geleitet wurde. Gruber ging zunächst von den grundsätzlichen Problemen einer Universal- musikgeschichtsschreibung aus und verwies auf die Bedeutung, aber auch auf die Schwierigkeit, die dem Thema durch seine Aktualität und das Schlagwort von der „Weltmusik" zusätzlich entstehe. Der zentrale Aspekt einer künftigen Universal- musikgeschichtsschreibung könnte nach Grabers Meinung der der Wechselbeziehungen zwischen den Kulturen sein. Födermayr umriß den Standpunkt der Vergleichenden Musikwissenschaft in ihrem Verhältnis zur herkömmlichen Kulturkreislehre und zum Evolutionismus. Er sah eine Möglichkeit der Einbeziehung der Musik der schrift- losen Kulturen in ein universalgeschichtliches Konzept in der Anwendung der revi- dierten kulturhistorischen Methode in Verbindung mit Prähistorie und Ethnohistorie und in der Verfolgung einer vergleichend-systematischen Betrachtungsweise. Der Sinologe Prof. Rosner (Universität Bochum) demonstrierte an dem konkreten Beispiel der „europäischen Musik am Kaiserhof in Peking" universalhistorische Frage- stellungen.

Die nachfolgende Diskussion, die unter dem Vorsitz von Prof. Croll stand und an der sich neben den Referenten besonders Prof. Knepler, Dr. Brandl und Dr. Heller beteiligten, zeigte einmal mehr, wie unterschiedlich die heutige Situation eingeschätzt wird, aber auch, wie sehr ein allseitiges Interesse an der Universalgeschichte besteht. Eine gemeinsame Basis zeichnete sich am ehesten im Konsens über die Notwendig- keit einer intensiveren Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen und ebenso den philosophisch-anthropologischen Voraussetzungen der Musik ab. Die Ergebnisse der Diskussionen sollen veröffentlicht werden. Theophil Antonicek

EINBANDDECKEN für den Jahrgang 1973 der österreichischen Musik- zeitschrift können zum Preis von S 32.— beim Verlag bestellt werden.

89 AUS OPER UND KONZERTSAAL

UNBEKANNTER VERDI IN DER STAATSOPER

Verdis „Luisa Miller" ist gewiß nicht zu Unrecht von den Spielplänen der Opern- häuser verschwunden. Doch erweist sich das Werk als interessant genug, um als Ergänzung zum Verdi-Bild der Gegenwart bestehen zu können. Die Wiener Staats- oper hat eine quasi historisierende Aufführung geboten, insoferne, als gegenüber dem Original kaum Striche und Änderungen vorgenommen wurden; das gibt die Möglich- keit einer korrekten Einordnung in Verdis Evolution. Die Gerechtigkeit, die man solcherart dem Komponisten widerfahren läßt, rächt sich freilich an der Gunst des Publikums von heute: sie läßt erkennen, was Verdi damals, 1849, noch fehlte, was er erst in der Folge mit „Rigoletto", „Trovatore" und „Traviata" zu geben vermochte. Es sind vor allem dramaturgische Mißgriffe, unter denen diese Oper zu leiden hat: zu lange Szenen, das fehlende Crescendo der Spannungen, Bedeutungslosigkeiten am Rande wie fast alle Chorszenen und die beiden Auftritte der Federica, Schillers Lady Milford, die angesichts der Tatsache, daß Verdi damals nicht Politik ins Theater tragen durfte, am besten zur Gänze eliminiert worden wäre. Der Umstand, daß dies nicht geschah, verschaffte dem Wiener Publikum das freilich nur kurze Vergnügen, in einer Neuinszenierung zu begrüßen, ge- koppelt mit dem nicht ganz so erfreulichen, ihren Gatten Paul Emile Deiber als Regisseur an der Arbeit zu sehen. Äußerste Diskretion war offensichtlich seine Leit- linie, womit es ihm immerhin gelang, ohne Peinlichkeiten, freilich aber auch ohne Aufsehen, sich seiner Pflicht zu entledigen. Benachteiligt von den mißglückten Bühnenbildern Günther Schneider-Siemssens, der vor allem für die Interieurs keine rechte Lösung fand, konzentrierte er sich auf die Personenführung, wobei ihm eine gewisse Profilierung der Charaktere gelang. Im übrigen hatte er die ganze Wucht von Verdis Unvollkommenheiten zu tragen. Eine adäquate Bearbeitung der Oper hätte zumindest ihm genützt.

Konservatorium und Musikhochschule Zürich Direktor: Sava Savoff Hochschulklassen mit staatlich anerkannten Diplomen (Reifeprüfung/Orchesterdiplom, Solistendiplom) Dirigentenklasse: Ferdinand Leitner Chordirigentenklasse: Andre Charlet Klavier: Sava Savoff, Jürg von Vintschger Violine/Viola: Anton Fietz, Heribert Lauer, Ottavio Corti Violoncello: Claude Starck Orgel: Heinrich Funk Cembalo: Hans Andreae Blasinstrumente, Kontrabaß, Schlagzeug: Musiker des Tonhalleorchesters Flöte: Andre Jaunet Harfe: Emmi Hürlimann Sologesang: Sylvia Gähwiller, Kurt Huber Komposition und Theorielehrerausbildung: Rudolf Kelterborn, Hans Ulrich Lehmann Semesterbeginn: Ende April und Ende Oktober 1974. Auskünfte über Aufnahmeprüfungen usw.: Konservatorium und Musikhoch- schule Zürich, Florhofgasse 6, CH-8001 Zürich, Tel. (Ol) 32 89 55.

90 Glücklicherweise — und dieser Umstand hat den Abend gerettet — standen ihm ganz hervorragende Sänger und ein kompetenter Dirigent zur Verfügung. Alberto Erede dirigiert Verdi, wie es sich gehört: den Sängern den Vorrang lassend, das Orchester im Zaum haltend, aber jederzeit bereit, die Gefühlsausbrüche und die musikalischen Höhepunkte mitzuerleben und zu unterstreichen. Lilian Sukis ist eine ideale Luisa, auch äußerlich rollendeckend, stimmlich souverän, sowohl in den lyrisch-dramatischen Kraftentfaltungen wie in den Koloraturen, mit denen die Partie reichlich gesegnet ist. Nicht weniger erfreulich die Begegnung mit Franco Bonisolli, einem jungen Troubadour mit prachtvollem Material und glänzender Technik, der dank seines heldischen Auftretens der Gestalt des Rodolfo mehr als gerecht wurde. Giuseppe Taddei als Miller singt noch immer grandios und beschränkt sich nach wie vor im Spiel auf primitivste Gesten. Zwei Bässe von Format, Malcolm Smith und Bonaldo Giaiotti, konnten den auch musikalisch gut charakterisierten Gestalten des Wurm und des Grafen von Walter Relief verleihen. Giaiotti, bei der Premiere am Beginn sichtlich nervös, hatte sich offenbar schon vorher die Mißgunst der Haus- Camarilla zugezogen, konnte aber dank seines Einsatzes und seiner Kunst der Menschendarstellung sogar die Mißgünstigen auf seine Seite bringen, eine bemerkens- werte Leistung. Viel Glück, so muß man leider annehmen, wird der Oper nicht beschieden sein. Sie erfordert die Premierenbesetzung, da andere Kräfte kaum in der Lage sein werden, sie zu ersetzen, sie schont weder die Stimmen noch die Geduld der Hörer, die ja nur zum kleinsten Teil historisch interessiert sind. Hätte eine Bearbeitung vielleicht Abhilfe geschafft? In diesem besonderen Falle wären vielleicht Kürzungen und Straffungen von Nutzen gewesen. Rudolf Klein

ZWEI OFFENBACH-PREMIEREN IN DER WIENER KAMMEROPER

Um Treue und Untreue und um die damals schon die Gemüter erhitzende „Eman- zipation" geht es in den beiden Offenbach-Einaktern „Die Verlobung bei den Laternen" und „Eine Frau von heute", die gegenwärtig — Premiere am 19. Jänner unter der schwungvollen musikalischen Leitung Leopold Großmanns — auf dem Repertoire der Wiener Kammeroper stehen. „Die Verlobung bei den Laternen", auf dem Programmzettel als „Operette" deklariert, de facto aber eher eine Mischung aus Opera buffa und romantischem Singspiel, und vom Text her eine etwas dürftige Analogie zu Raimunds „Der Diamant des Geisterkönigs", berichtet von den Heirats- absichten des jungen Landwirtes Guillot (Dieter Schreer), der sich von den beiden lebenslustigen Witwen Fanchette (Deborah Lucas) und Catherine (Gudrun Kunze) auf das heftigste umschwärmen läßt, bei einer nächtlichen Suche nach einem Gold- schatz dann aber schließlich doch erkennt, daß er in der ihm in schwärmerischer Liebe ergebenen Denise (Eva-Maria Vicari) seinen eigentlichen „Schatz" bereits gefunden hat. Eine ganz besondere Kostbarkeit repräsentiert hier zweifellos die Offenbachsche Musik, die den Zuhörer mit geradezu magischer Gewalt in die eigen- tümliche „Guckkasten-Welt" der damals so beliebten ländlichen Genre-Bilder ent- führt. Die „realistisch-idyllisch" stilisierte Inszenierung Franz Strohmers (Regie) und Tibor Vartoks (Bühnenbild), unterstützt durch die geschmackvoll-malerischen Kostüme Lucia Listopads, vermochte sich diese Tatsache übrigens in durchaus origineller Weise zunutze zu machen.

Auf noch fruchtbareren Boden fielen freilich die Bemühungen dieses bewährten Teams bei der echt Pariserischen Vollblut-Operette „Eine Frau von heute", die nach den Angaben des ProgTammzettels am 19. Jänner übrigens ihre erste Wiener Auf- führung erlebte. Mit so viel Charme wie die engelsgesichtige, bezaubernd affek- tierte, harmlos plaudernde, dabei aber scharf kombinierende Mademoiselle Nathalie Reynaud (dargestellt von der reizenden, über eine schöne, wenn auch nicht allzu voluminöse Stimme verfügenden Paula Swepston) kämpft heute keine Frau mehr für ihre Gleichberechtigung — oder sagen wir es' ehrlich, für ihr unumschränktes Vor- recht. Die sich bald duellierende, bald die unfreiwillig gemeinsame Geliebte bedro- hende Männerschar — bestehend aus dem meistens nobel-überlegenen und nur gelegentlich die Nerven verlierenden Kavalier Pierre Dubois (Helmut Amon), seinem köstlich rabiaten Nebenbuhler Philippe Latour (Daniel Suärez-Marzal) und dem

91 dritten Konkurrenten, dem Leutnant zur See Henry Delonge (Roger Lucas) — bildet eigentlich nur den Hintergrund für eine der berühmten Szenen der ja auch als Schauspielerin ganz Paris zu Füßen liegenden Nathalie, die zwar keinerlei Gefühl für herkömmliche Moralbegriffe besitzt, sich aber trotzdem lieber alles andere als Herzlosigkeit nachsagen lassen will und daher zuletzt in dem jungen, zum Glück aber überflüssigerweise herbeigerufenen Arzt Dr. Maill6 (Manfred Eder) einen ihre bisherigen Kavaliere an Toleranz und „modemer Lebensauffassung" offenbar bei weitem überlegenen Anbeter findet. Alles in allem eine mit hinreißendem musikali- schen Schmiß und erheblichem librettistischen Witz vorgetragene Liebeserklärung an die Pariserin, an das Pariser Theater und an die Lichtermetropole an der Seine. Elisabeth Heller

URAUFFÜHRUNGEN IM ORF

Wie alljährlich bringt der österreichische Rundfunk auch in der angelaufenen Saison 1973/74 eine größere Zahl von Werken zeitgenössischer österreichischer Komponisten in seinen öffentlichen Konzerten im Großen Sendesaal in Wien zur Uraufführung. Diesem Zweck dient vor allem der gemeinsam mit dem österreichi- schen Komponistenbund (ÖKB) und der österreichischen Gesellschaft für Zeit- genössische Musik (ÖGZM) veranstaltete Zyklus IV. Im ersten Konzert dieses Zyklus am 21. November des vergangenen Jahres präsentierte das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester unter Kurt Rapf nach einer formal und in der Instrumentierung groß angelegten Passacaglia sinfonica Raimund Weissensteiners ein dreisätziges Paukenkonzert des niederösterreichischen KomDonisten Otto Schneider, der als Musik- lehrer in Wiener Neustadt wirkt und auch als Mozart-Forscher einen guten Namen hat. Als Solist des virtuosen Soloparts, in dem das Schlaginstrument auch als Melodie- träger eingesetzt wird, fungierte Fredvard Mühlhofer. Anschließend war als Kostprobe aus Horst Ebenhöhs noch unausgeführter Oper „Pompeji" (nach einem Text von Ödön von Horvath) der „Tanz der Lemniselenis" zu hören. Den Abschluß bildete die Uraufführung der 1972 fertiggestellten Neufassung der dreisätzigen IV. Symnhonie von Marcel Rubin, die den Untertitel „Dies irae" trägt, weil die gregorianische Melodie aus der Totenmesse der katholischen Liturgie im zweiten Satz des Werkes eine dominierende Rolle spielt und auch dem dritten Satz als Basso ostinato zugrunde liegt, über dem sich dann die Melodie von Rubins Lied „Verkündigung" erhebt. Das zweite Konzert am 30. November — es spielte das ORF-Symphonieorchester unter der Leitung von Peter Keuschnig — brachte neben Werken von Erich Urbanner und Alfred Prinz als Uraufführungen ein Bratschenkonzert (op. 67) des Wieners Heinz Kratochwil (Solistin: Eugenie Altmann) und den „Basse danse", eine moderne Version des alten Schreittanzes, des seit 1954 in Schweden als Musikerzieher wirkenden Österreichers Eduard Rier. Im dritten Konzert dieses Zyklus am 23. Jänner spielte das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester unter Karl Österreicher. Zu Beginn erklang als Novität die Konzertouvertüre „Orlando giocoso" in Gestalt freier Variationen über das „Lands- knechtständchen" Orlando di Lassos von Fritz Racek, dem langjährigen Leiter der Musikabteilung der Wiener Stadtbibliothek, der nicht nur als Musikwissenschaftler, sondern auch als Komponist wiederholt vor die Öffentlichkeit getreten ist. Die zweite Uraufführung des Abends galt dem dreisätzigen Orchesterwerk „Intention I" von Heinrich Gattermeyer. Das Programm wurde durch die Serenade op. 48 von Robert Leukauf und die bekannten Vier Capricen von Alfred Uhl ergänzt. Das vierte Konzert dieser Reihe am 25. Jänner war wieder dem ORF-Symphonie- orchester anvertraut, das diesmal unter der Leitung seines Chefdirigenten Milan Horvat stand. Es wurde mit einem Prolog für Orchester des philharmonischen Geigers Fritz Leitermeyer eröffnet. Als Uraufführung folgte, von Ottokar Drapal geblasen, Paul Konts originelles Kurzkonzert für Klarinette und Orchester. Hans Kann hob als Solist Karl Heinz Füssls Refrains für Klavier und Orchester (op. 13) aus der Taufe und stellte dazu eine improvisierte Kadenz bei. Das Werk gab emeut Zeugnis von der eigenwilligen Künstleipersönlichkeit dieses in Wien lebenden Komponisten,

92 der in letzter Zeit auch als Bühnendramatiker (dreiaktige Oper „Dybuk", Karlsruhe 1970) reüssierte. Besonderes Interesse erweckte die Aufführung der I. Symphonie in c-moll von Edwin Komauer (1869—1944). Der Kärntner Komponist war in Klagenfurt der erste Musiklehrer des jungen Anton Webern gewesen, bevor dieser bei Arnold Schönberg in die Lehre ging. Wie man aus den erst jetzt bekannt gewordenen frühen Kompositionen Webems ersehen kann, muß Komauer ein tüch- tiger Pädagoge gewesen sein, bei dem Webern viel gelernt hat. Komauer selbst war — wie auch seine Symphonie erwies -— als Komponist der spätromantischen Bruckner- Wagner-Nachfolge verhaftet. Walter Szmolyan

EIN MOZART-FESTIVAL IN PUEBLO

In den letzten vier Jahren hat sich in Pueblo, Colorado, vor allem durch die Initiative des Schreibers dieser Zeilen ein „Mozart-Festival" etabliert, das nicht nur in den USA, sondern bereits in Europa von sich reden macht. Es wurde auch von der Geburtsstadt Mozarts voll anerkannt. Das „Mozart-Festival" in Pueblo findet in der letzten Jännerwoche statt, doch durch den ständigen Zuwachs an Aufführungen mußte nun der Beginn des Festivals auf den 13. Jänner verlegt werden. Bekannte internationale Solisten und Ensembles wirkten bereits in den ersten vier Festivals mit: die Pianistin Lili Kraus, Benita Valente (Pamina der Metropolitan Opera), die New Yorker Camerata, Robert Johnson (Lyric Opera, Chicago), William Warfield, Jerome Hines (Met) u. v. m. Das Werk Mozarts steht natürlich im Mittelpunkt: Symphonien, Konzerte, aber auch konzertante Aufführungen der Opern „Die Zauberflöte" und „Die Hochzeit des Figaro". Dem zeitgenössischen kompositorischen Schaffen wird ebenfalls großer Raum gegeben: Komponisten werden eingeladen, Werke „im Sinne Mozarts" zu schreiben. So fand heuer die Uraufführung des Klavierkonzertes „Variationen über ein Thema von W. A. Mozart" des Österreichers Ernst Ludwig Uray statt (Solistin: Micaela Maihart-Track, der das Konzert gewidmet ist). Aber auch amerikanische Komponisten (Callahan, Schroth etc.) schrieben Kompositionen für das Festival, wobei vor allem der Zwölftöner James Callahan mit seiner „Metamorphosis on a Theme of Mozart" (er verwendete die vier Anfangstöne des letzten Satzes der C-dur-Symphonie: c-d-f-e) großen Erfolg buchen konnte. Das Pueblo Youth Symphony Orchestra wirkt vor allem bei der festlichen Eröffnung mit: hier werden in erster Linie selten zu hörende Werke Mozarts aufgeführt, ja oft „örtlich erstaufgeführt", aber auch Kantaten und Chor-Orchesterwerke (Requiem, Krönungsmesse, „Dir Seele des Weltalls", „Te Deum" KV 141, „Regina Coeli" KV 276 u. a. m.) standen bereits auf den Programmen. Daneben finden im Rahmen des Festivals Kammerkonzerte, Chorkonzerte (das örtliche College und sämtliche High-Schools und Kirchenchöre nehmen daran teil), Ausstellungen und Wettbewerbe sowie Folklore-Veranstaltungen statt. In den Ceschäftsauslagen findet man neben den neuen Leherb-Posters (vor allem das „I like Mozart"-Plakat erregte große Begeisterung) Plakate von Salzburg, Wien und anderen österreichischen Landschaften: das Heimatland Mozarts steht somit im Jänner im Mittelpunkt des Interesses. Österreichs Generalkonsul Dr. Thomas Klestil eröffnete 1973 das Festival. In dieser Saison erfuhr das „Mozart-Festival Pueblo" eine besondere Auszeichnung: es wurde von der „Bicentennial Commission in Washington" (Präsidium der Unabhängigkeitsfeiem der USA im Jahr 1976) als ein wichtiges Festival anläßlich der 200-Jahr-Fedem 1976 (und auch der 100-Jahr-Feier des Staates Colorado) anerkannt. Die örtlichen Rundfunkstationen bringen in der letzten Jännerwoche Werke von Mozart, das örtliche Femsehen zeigt Fernsehfilme aus Österreich und Mozart-Filme, und in den gesamten Vereinigten Staaten wird ein Wettbewerb für junge Streicher und Pianisten proklamiert. In dieses Festival wird somit die gesamte Stadt einbezogen, nicht nur eine spezielle Schichte der Bevölkerung. In den Volksschulen wird bereits über Österreich und seine Mission als Musikland gesprochen, kleine Mozart-Feiern finden in den Schulen statt. Das große Genie der Musikwelt fand Eingang in das tägliche Leben der Bürger von Pueblo. Gerhard Track 93 IN MEMORIAM

Julius Patzak ist nach langer, schwerer Krankheit in seinem Heim in Rottach am Tegernsee am 27. Jänner im 76. Lebensjahr gestorben. Um ihn trauern im besonderen die Wiener Urania, als deren Kapellmeister er seine Karriere begonnen hatte, die Münchner und die Wiener Staatsoper, als deren Kammersänger er starken Anteil an der Mozart-Renaissance schon in den vierziger Jahren hatte, die Wiener Sympho- niker, die er mehrmals dirigierte (seine Interpretation der „Vierten" Franz Schmidts steht noch in heller Erinnerung), und die Wiener Konzerthausgesellschaft, als deren Ehrenmitglied er an seinem 60. Geburtstag Schuberts „WinterTeise" gesungen hat. Wir haben anläßlich der Würdigungen zu seinem 60., 70. und 75. Geburtstag (ÖMZ 1963/6, 1968/4, 1973/7—8) genau die Stationen seiner Karriere geschildert und möchten ihn im Rückblick auf ein Leben, das ganz der Musik gewidmet war, einen universellen Künstler nennen, der als Sänger von Bach bis Janäcek den vielfältigen Aufgaben, die ihm als Lieder- und Oratoriensänger und als lyrischer und Charakter- Tenor der Oper gestellt waren, auf intelligente Weise gerecht wurde. Im nächsten Heft der ÖMZ wird seinem Wirken auf der Schallplatte eine Diskographie gewidmet sein, die den Leser in den Stand setzen soll, sich Patzaks Interpretationskunst in mannigfachen Bereichen zu erinnern. E. W.

Wolfgang Anheisser wurde am Abend des 1. Jänner in einer Vorstellung von Millöckers „Bettelstudent" im Kölner Opernhaus das Opfer eines Bühnenunfalls. Der junge Sänger, karrieremäßig gesehen gerade an der Schwelle von „bekannt" zu „berühmt", hat im November 1973 bei den Salzburger Kulturtagen als Hugo- Wolf-Interpret („Italienisches Liederbuch") gewirkt, stand in Verhandlungen mit der Wiener Staatsoper und hatte erst vor wenigen Monaten sein Engagement an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main angetreten. Viele Schallplatten bezeugen die Qualität seines kostbaren Baritons, seine künstlerische Flexibilität und Persön- lichkeit. Zum drittenmal in den letzten Jahren — nach dem unvergessenen Tenor Fritz Wunderlich und dem hochgeschätzten Dirigenten Istvan Kertesz — ist ein Künstler verunglückt, diesmal auf der Bühne seines langjährigen Wirkens und als „Einspringer" für einen erkrankten Kollegen. Alles Mitgefühl wendet sich der jungen Witwe zu, die ihrem unermüdlich fleißigen Gatten künstlerisch beratend zur Seite stand. E. W.

STELLENAUSSCHREIBUNG

An der Abteilung Kirchenmusik der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien gelangt die Stelle eines außerordentlichen Hochschulprofessors für eine Klasse künstlerischer Ausbildung

„Orgel und Improvisation"

mit 1. Oktober 1974 zur Besetzung. Wir erbitten Ihre Bewerbung, versehen mit den entsprechenden Unterlagen, bis längstens 20. April 1974 an die Abteilung Kirchenmusik der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Seilerstätte 26, A-1010 Wien.

94 NEUE BÜCHER

Willy Hess: Beethoven-Studien, Ver- Hochschule für Musik und darstellende öffentlichungen des Beethovenhauses in Kunst in Wien erschien nun eine alpha- Bonn, Neue Folge, Beethovenhaus Bonn betisch nach Briefpartnern geordnete Be- 1972. C. Henle Verlag, München-Duis- standsaufnahme der umfangreichen wis- burg. senschaftlichen Korrespondenz des 1964 verstorbenen Begründers der sogenannten Zum 65. Geburtstag des Schweizer Beet- „Kayserschen Harmonik". Es sind nicht hoven-Forschers wurde dieser Band, etwas weniger als 698 Briefpartner, mit denen verspätet, herausgebracht. Er enthält di- Hans Kayser von etwa 1920 bis 1964 in verse Aufsätze zur Beethoven-Forschung, Kontakt stand. Das bezeugt, daß sich eine die zum größten Teil in verschiedenen erstaunlich große Zahl von Persönlich- Musikzeitschriften, darunter auch der keiten mit seinen Erkenntnissen ausein- österreichischen, erschienen sind. Es han- andergesetzt hat. Unter ihnen befinden delt sich dabei überwiegend um Artikel, sich Komponisten wie Arnold Schönberg, die bei aller historischer Fundierung auch dessen privater Kompositionsschüler Hans eine praktisch-musikalische Komponente Kayser 1913 in Berlin war, und Paul der Materie in den Vordergrund rücken. Hindemith, der sich in den frühen drei- Formale Probleme, und da wieder die ßiger Jahren außerordentlich für die Symmetrie der Großformen, liegen dem Kaysersche Lehre interessierte. Der Brief- Autor, der bekanntlich Orchestermusiker wechsel mit Hindemith, der für die har- war und zu diesen Fragen auch direkten monikale Forschung von großer Bedeu- Zugang hatte, besonders am Herzen (die tung ist, wurde in einem eigenen Band Dynamik von Beethovens Großformen, (Heft 5) der vorliegenden Schriftenreihe die Fuge Beethovens, die Entwicklung in extenso veröffentlicht. Von anderen der Variationstechnik, die Teilwiederho- prominenten Briefpartnern seien etwa die lung), femer Echtheitsfragen mit ent- Maler Kandinsky, Klee und Liebermann, sprechender Polemik (zwei zweifelhafte der Tiefenpsychologe C. G. Jung, der Werke, zu Beethoven-Funden von Claudio Dichter Thomas Mann und die Dirigen- Arrau und Jack Werner, zu Beethovens ten Furtwängler und Klemperer erwähnt. Hochzeitslied) und Erkenntnisse, wie sie Die Verfasserin des Nachschlagewerks, aus Skizzen gewonnen werden können die Frau des Leiters des Wiener (zur Quellenfrage und Textrevision der Kayser-Instituts, hat mit großer Akribie 2. Leonorenouvertüre, zum ursprünglichen die dort aufbewahrten Briefe gesichtet Schluß des 1. Satzes der 8. Symphonie). und registriert. Sie hat neben der Datie- Von besonderem Wert sind die synop- rung auch wichtige Hinweise auf den In- tischen Artikel, die vielfach auf eigene halt gegeben, so daß der mit einschlägi- Forschungen des Autors zurückgehen, so gen Forschungen Befaßte eine verläßliehe etwa die Arbeit über die Bühnenwerke Grundlage für weitere Untersuchungen in oder die über die Eigenbearbeitungen die Hand bekommt. Ein kurzgefaßter Beethovens, sowie jene zu den verschie- tabellarischer Lebenslauf Kaysers und ein denen Fassungen des Violinkonzertes. vollständiges Verzeichnis seiner Schriften Sind diese Arbeiten zum Teil durch die bilden eine willkommene Ergänzung des vielen Publikationen des Autors, vor allem 72 Seiten starken Buches. auch durch die Supplement-Bände der Gesamtausgabe, bekannt, so bedeutet ihre Walter Szmolyan Zusammenstellung doch eine begrüßens- werte Dokumentation, deren Wert durch die beigegebene Bibliographie der Beet- hoven-Arbeiten von Willy Hess noch er- Rudolf Haase: Paul Hindemiths harmoni- höht wird. Rudolf Klein kale Quellen — Sein Briefwechsel mit Hans Kayser. Beiträge zur harmonikalen Grundlagenforschung, Heft 5. Verlag Elisabeth Lafite, Wien 1973. Ursula Hasse: Der Briefwechsel Hans Kaysers. Beiträge zur harmonikalen Der Verfasser erhellt an Hand von bis- Grundlagenforschung, Heft 4. Verlag her unveröffentlichten Briefen und ande- Elisabeth Lafite, Wien 1973. ren Dokumenten das Verhältnis Paul Hin- demiths zu Hans Kayser. Es war ja be- Als Heft 4 der von Prof. Rudolf Haase kannt, daß Hindemith vor allem in seinem herausgegebenen Schriftenreihe des von Theoriebuch „Unterweisung im Tonsatz" ihm geleiteten Hans-Kayser-Instituts für (1937), aber auch in Kompositionen wie harmonikale Grundlagenforschung an der der Kepler-Oper „Die Harmonie der

95 Welt" sich auf harmonikales Gedanken- Kompositionen Mozarts, Beethovens und gut stützte, wie wir es aus den Schriften Schuberts für mechanische Orgel, Spiel- Hans Kaysers kennen. Daß Hindemiths uhr und Walze stehen zur Debatte, „Beet- diesbezügliche Kenntnisse auf direkte An- hoven und die Militärmusik", „Schubert regung bzw. Unterweisung durch Kayser als Revolutionär" sind Spezialuntersu- und auf die Lektüre von dessen Bücher chungen von Gewicht, die Entwirrung („Orpheus", 1926; „Der hörende Mensch", der Mißverständnisse um die Höldrichs- 1932) zurückzuführen sind, beweist der mühle in der Hinterbrühl als Schubert- von Haase vorgelegte Briefwechsel. Merk- Stätte hat ihren zentralen Platz in dem würdig ist, daß Hindemith in seiner prächtig bildausgestatteten Buch; „Volker „Unterweisung" nirgends einen Hinweis der Spielmann" war Schuberts romanti- auf Kayser gibt, den er 1935 in der scher Deckname in der Leserunde Scho- Schweiz besucht hatte. Das gab später bers und Bruchmanns — diese Tatsache zu Mißverständnissen seitens der Rezen- wird für OED der Ausgangspunkt für senten Anlaß, die von einer „Duplizität seine Forschungen über Schuberts Spitz- gewisser Einsichten und Gedankengänge" namen, denen sich folgerichtig „Das eben sprachen, weil ihnen die tatsächliche ist der Fluch ..." zum Thema „Schwam- Quelle Hindemiths nicht bekannt sein merl" (Schubert-Roman von R. H. konnte. Kayser selbst war über diesen Bartsch) und „Dreimäderlhaus" (Singspiel Umstand natürlich sehr verbittert. Haase legt in seiner Dokumentation auf ein- von Emil Berte) anschließt. Mit der Tri- gehende Kommentierung des Materials logie „Paganini in Wien" — „Bettel- großes Gewicht und steuert außer einem studenten auf dem Theater" — „Arabella Vorwort und einer einführenden Ein- und die Fiakermilli" plus einem Nach- leitung auch das Schlußkapitel bei, in spiel „Alter schützt vor Torheit" schlies- welchem er vom Standpunkt der moder- sen die Wiederveröffentlichungen des nen harmonikalen Grundlagenforschung „Kochel Schuberts", als den Klein OED zu einer synthetischen Interpretation vor- charakterisiert. Daß unsere OMZ als dringt. Weitere Aufschlüsse vor allem über Publikationsorgan der „Musikalischen die Haltung Hindemiths könnte nur des- Kuckuckseier" (1956/10) die Quellenan- sen noch ungesichteter Nachlaß bringen. gaben eröffnet, erfreut den Rezensenten ganz besonders. Hans Weigels Präludium Walter Szmolyan ist wieder ein Meisterstück an Kenntnis und Erkenntnis. Erik Werba Otto Erich Deutsch: Musikalische Kuk- kuckseier und andere Wiener Musikge- schichten. Ausgewählt und mit einem Bernhard Brüchle: Horn-Bibliographie. Nachwort versehen von Rudolf Klein, Verlag Heinrichshofen, Wilhelmshaven eingeleitet von Hans Weigel. Reihe 1973. „Wiener Themen". Verlag Jugend und Volk, Wien-München 1973, 148 Seiten. Es ist gewiß ein sehr verdienstvolles, aber auch gewaltiges Unterfangen, ein Ver- Der Herausgeber hat recht: diese oft an zeichnis der Hornliteratur, noch dazu in obskurer Stelle erschienenen „Wertpa- weitestem Sinne, erstellen zu wollen. piere" — Otto Erich Deutschs Schriften Denn jeder Fachkundige weiß, daß nur über musikalische, mit Wien verbundene ein geringer Teil gerade der besten Lite- Themen — sind hiermit dem „Tresor des ratur größere Verbreitung durch den Bleibenden" einverleibt. Was ein Cerhard Druck findet, indes vieles Wertvolle, für Croll für das Vermächtnis Bernhard einzelne Bläser oder Bläsergruppen ge- Paumgartners bedeutet, ist uns Rudolf schaffen, von diesen gehortet, niemals Klein für OED. Und so können wir zum Druck gelangt und weiteres infolge ganz sicher sein, daß jedes Komma auch zu kleiner Auflagen fast unbekannt bleibt, wahrhaftig von Deutsch stammt, daß es während anderseits auf dem Notenmarkte eine bessere Auswahl seiner wissenschaft- oft zu wenig zwischen Original und Be- lich fundierten Feuilletons gar nicht ge- arbeitung unterschieden wird. Es ist daher ben kann als diese, die mit den „Musika- dem Verfasser sehr hoch anzurechnen, daß lischen Kuckuckseiern" anhebt, „Wiener er sich bemühte, auch in jene Gebiete vor- Serenaden" daranschließt, auf den „Er- zustoßen, doch dürfte noch ein schweres sten Taktstock in Wien" zu sprechen Stück Arbeit vor ihm liegen, ehe er in kommt, den Spuren des „Unheiligen zu erhoffenden späteren Auflagen ein Augustin" folgt, „Haydn und Kaiser vollkommeneres Bild bieten kann. Den- Joseph" gegenüberstellt, das Verhältnis noch ist seine und seines Verlegers Tat Fanny Elsslers zu Friedrich von Gentz von grundlegender Bedeutung und muß ausleuchtet, die Rolle der Wiener Zensur als solche anerkannt werden. Mozarts „Don Juan" gegenüber klarstellt; Emst Paul

96 NEUE NOTEN

Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion, schiedenheiten wertvolle Schlüsse musik- BWV 244, und deren Frühfassung BWV wissenschaftlicher und auch praktischer 244 b, als kommentierte Faksimile-Aus- Art gezogen werden können. Vermutlich gabe der Abschrift Johann Christoph wird der Herausgeber dies im Kritischen Altnickols herausgegeben von Alfred Bericht tun. Vielleicht wird dort aus- Dürr. Neue Bach-Ausgabe, Bd. 5 und 5 a. führlich auf ein großes Problem der Bärenreiter-Verlag, Kassel 1972. Continuo-Stimme in der Endfassung ein- gegangen, das im Vergleich mit der Friih- fassung eigentlich noch sonderbarer wird. Die von Alfred Dürr unter Verwendung Ich meine die in der Endfassung häufig von Vorarbeiten Max Schneiders heraus- erscheinende Continuo-Bezifferung des gegebenen beiden Bande sind natürlich Rezitativs ohne Baßnote. Der Vergleich Prunkstücke der Neuen Bach-Ausgabe. mit der Frühfassung, die nur eine Con- Der wohl als endgültige Fassung zu be- tinuostimme besitzt, ergibt, daß deren trachtende Text des Berliner Partitur- Baß durchwegs — auch außerhalb der Autographs liegt in der sauberen und Christus-Partien — in großen Noten- übersichtlichen Stich-Übertragung gro- werten ohne jede Pause notiert, aber ßen Formats vor, welche auch die ande- nicht beziffert ist! Bach muß sich also ren bisher erschienenen Bände auszeich- später entschlossen haben, dem Evange- net. Der Faksimile-Druck der Frühfas- listen das Fundament zu verkürzen, mit sung, die damit erstmals vorgelegt wird, Pausen zu durchsetzen. Im Lichte dieser benützt Autotypien von kleinerem For- Erkenntnis — und in Anbetracht der mat, so daß am Rande genügend Platz Stellen mit baßloser Bezifferung — hat für die Marginalien und unten für den man sich doch sehr die Frage zu stellen, kritischen Kommentar übrig bleibt, der ob die Traditionsregel des Generalbasses: über Korrekturen und Fehler des Schrei- kein Akkord ohne Baßfundament, ob bers, sowie über die Varianten der späte- diese Regel wirklich zutraf, bzw. ob sie len Fassung Auskunft gibt. Mag es auch nicht gerade durch Bachs Vorgangsweise erstaunen, daß man sich zur Vorlage dementiert wird. Zieht man daneben die dieser Frühfassung als Faksimile ent- zahlreichen schlechten Erfahrungen in schloß, und nicht zur Photo-Wiedergabe Betracht, welche durch die Praxis kurz des Autographs der Endfassung, so er- hingeworfener Orgelakkorde in Erinne- klärt sich dieses Unternehmen aus den lung blieben, dann wird man möglicher- wissenschaftlichen Ambitionen einer Ge- weise zu dem Schluß kommen, die rich- samtausgabe, die nicht ausschließlich der tige Ausführung der Rezitative sei in Praxis dienen will. Der Herausgeber hat durchgehaltenen, legato miteinander zu dies mit Bezug auf die Tatsache, daß verknüpfenden Akkorden der Oberstim- alle Änderungen Bachs einwandfrei Ver- men zu sehen, zu denen dann jeweils besserungen darstellen, selbst klar formu- kurze Baßfundamente hinzutreten. Schon liert: „Von gleichberechtigten, aber unter- dieser auf die Praxis bezogene Schluß schiedlichen Fassungen kann hier kaum würde die Konfrontation der beiden Aus- die Rede sein. Demgegenüber ist die gaben und die Seltsamkeit eines Kopisten- Frühfassung für denjenigen, der Bachs Faksimile rechtfertigen. unermüdlichen Drang zur Vervollkomm- nung eines Werkes am Beispiel der Rudolf Klein Matthäus-Passion studieren möchte, ein willkommenes Anschauungsobjekt."

Wichtige Rückschlüsse auf die Vorlage werden im Vorwort gezogen. Ohne Zwei- Franz Schubert: Neue Ausgabe sämtlicher fel lag dem Schreiber Altnickol (lange Werke, Serie VII, Abt. I, Band 4 — hatte man Kirnberger dafür angesehen) Werke für Klavier zu vier Händen: Märsche und Tänze. Vorgelegt von ein verschollenes Partiturautograph, und Christa London. Bärenreiter-Verlag, Kassel- nicht etwa ein Stimmensatz vor, was Basel-Tours-London 1972. wiederum Schlüsse auf Bachs Original zuläßt. Es datiert jedenfalls aus der Zeit Zwei Neuerungen bringt dieser Band der vor 1736. Der Kopie beigegeben (und Gesamtausgabe. Die erste ist ein Novum ebenfalls faksimiliert) ist eine Abschrift gegenüber der bisher geübten Praxis des des Textes durch Agricola. Notendrucks für Klavier zu vier Händen: Die relative Ähnlichkeit der beiden Quel- die typographische Aufteilung von Se- len schließt nicht aus, daß aus ihren Ver- cundo auf der geradzahligen, Primo auf

97 der ungeradzahligen Seite wurde aufge- Seiten deutlich; in solcher Anhäufung geben, statt dessen wurden beide Stim- sind die nunmehr erfolgten Richtigstel- men in Partitumotation untereinanderge- lungen durchaus nicht als quantite stellt; recht eigentlich ein Stein der Wei- negligeable zu betrachten. Ihre profunden sen, unbezahlbar in der Praxis: das lästige historischen Kenntnisse läßt Christa Lan- Taktezählen, das Vergleichen von Orien- don auch im Vorwort bei der Beantwor- tierungsbuchstaben fällt nun weg, zudem tung vieler Detailfragen erkennen; sie haben die Spieler einen echten Uberblick sind in diesem Falle umso schwieriger zu über das Ganze, somit auch über den lösen, als Schubert, der ja auch sonst Anteil des Partners — das Zusammen- nicht „für die Ewigkeit" schrieb, vieles spiel kann dadurch nur gewinnen. von dieser „Unterhaltungsmusik" sichtlich für den Tag und die Gelegenheit kompo- Die zweite Neuerung erfolgt als Abwei- niert. hatte. Vor allem Datierungsfragen chung von der bisher geübten Praxis der haben unter diesem Aspekt nahezu keine Schubert-Gesamtausgabe: anstelle der vor- Chancen auf Beantwortung. Christa Lan- gesehenen Nachlieferung des Kritischen dons berechtigte Zweifel an bisher fix Berichtes als eigene Publikation wird er angenommenen Datierungen werden je- hier erstmals in seinen wesentlichsten Be- denfalls auch der historisch orientierten standteilen gleich beigegeben, zum klein- Schubert-Forschung zugute kommen. sten Teil (wie schon bisher) als Fußnoten, zum größeren im Anhang, wobei auch Rudolf Klein zu einigen besonders schwer zu beurtei- lenden Lesarten Notenbeispiele hinzuge- fügt wurden. Auch diese Neuerung ist sehr zu begrüßen: etwaige auftauchende Eine Richard-Wagner-Gesamtausgabe. Fragen können ohne langes Suchen und Vergleichen ihre Beantwortung finden. Die Leipziger Firma Breitkopf & Härtel Wie die Internationale Schubert-Gesell- hatte als erste auch eine Gesamtausgabe schaft mitteilt, wird der Kritische Bericht der Werke Richard Wagners begonnen. für die diesem Band vorhergegangenen sieben Notenbände nachgeliefert. Bis zum 1925 erfolgten Tode von Michael Balling, dem alleinigen Herausgeber, la- gen 10 Bände vor, nämlich die Jugend- Der Band mit den Tänzen und Märschen wurde von Christa Landon bearbeitet. Er opern „Die Hochzeit", „Die Feen" und enthält u. a. den berühmten Militär- „Das Liebesverbot", sodann „Tannhäu- raarsch in D, D 733/1, den Trauer- ser", „Lohengrin", „Tristan und Isolde", marsch auf den Tod des Zaren Alexan- zwei Bände Orchesterwerke, ein Band der I., den sogenannten „Kindermarsch" Lieder und Gesänge und ein Band Chor- für Faust Pachler und die ganz beson- werke. Damit hatte es sein Bewenden. ders schönen Polonaisen D 824. Die Vor- Die Ausgabe blieb ein Torso und war lagen waren überwiegend die Erstdrucke, selbst in Fachkreisen kaum bekannt. was die Herausgeberin mangels Ver- Erst vor wenigen Jahren wurde der Plan gleichsmöglichkeiten vor große Probleme einer vollständigen, nach den neuesten stellte, zeigte es sich doch in den wenigen Gesichtspunkten wissenschaftlicher Editi- Fällen, wo ein Autograph zur Verfügung onstechnik durchgeführten Ausgabe wie- stand, daß die bisher gebrauchten Druck- der aufgenommen, dieses Mal von Wag- ausgaben vor allem in den Phrasierungs- ners altem Verlag B. Schott's Söhne in zeichen starke Abweichungen vom Origi- Mainz, in Verbindung mit der Bayerischen nal aufweisen. Daß sich in der Person Akademie der schönen Künste in Mün- der Herausgeberin die akribische Wissen- chen, unter Leitung von Carl Dahlhaus. schaftlerin und die praktische Musikerin Die Ziele dieser Ausgabe sind ungewöhn- verbindet, garantiert eine optimale Lö- lich weit gesteckt: Neben einer möglichst sung aller Fragen. Wie es scheint, diffe- lückenlosen Erfassung aller, auch der renziert sie auch nach musikalischen kleinsten Gelegenheitsarbeiten Wagners Grundsätzen zwischen Schuberts Akzent- und

98 liehe Äußerungen über „Parsifal" zusam- überhaupt. Im Dokumententeil zu diesen mengetragen. Es folgen alle Entwürfe der orchestralen Frühwerken finden sich auch Dichtung, diese selber mit allen, auch alle Hinweise auf verloren gegangene den kleinsten Varianten, sodann sämtliche Kompositionen Wagners, und einige Dokumente zu den Aufführungen von schöne Faksimiletafeln bereichern den 1882, Aufzeichnungen von Wagners per- verschwenderisch reichen Band. sönlich gegebenen Anweisungen durch Schade nur, daß der Verlag die so pracht- Mitwirkende und Wiedergabe der Büh- voll gestochenen Bände im Hochformat nenbilder der Uraufführung (leider nur 27 X 38 cm graphisch so wenig im Sinne einfarbig). Der rund 260 Seiten umfas- Wagners gestaltet. Eine bewußt moder- sende Band ist eine einmalige Dokumen- nistische Asymmetrie, die nicht einmal tensammlung, deren Wert gerade für die schön ist, paßt so gar nicht zur Kunst Aufführungspraxis gar nicht hoch genug Wagners, der bekanntlich allergrößten angeschlagen werden kann, erfahren wir Wert legte auf eine harmonische Ausge- doch hier eindeutig und authentisch, wie wogenheit der Titelblätter seiner Werke. Wagner sein Werk aufgeführt haben Schließlich sollen äußeres Gewand und wollte. Inhalt einigermaßen übereinstimmen und Die Partitur-Ausgabe des „Parsifal" (Band sich nicht stilistisch gegenseitig ausschlies- 14 der Gesamtausgabe in drei Teilbänden, sen, wie das hier leider sehr extrem der deren dritter im November 1973 erschien), Fall ist. Es hätte nicht sein müssen, und vorgelegt von Egon Voss, zeigt dieselbe man kann sehr wohl im Geiste Wagners editorische Sorgfalt; es ist dem Verlag etwas wohl tuend Harmonisches schaffen, hoch anzurechnen, daß er entgegen der ohne dabei in den Jugendstil zurück zu heute geübten Praxis den Vorlagen- und fallen. „Jedem Werke sein eigener Stil", Revisionsbericht der Ausgabe stets bei- diese selbstverständliche Forderung dürfte gibt, statt ihn erst Jahre später gesondert vielleicht nicht nur für die Aufführungen zu veröffentlichen. Wir erfahren hier von Bühnenwerken gelten, sondern auch wirklich alles: die Abweichungen des Erst- für die Gestaltung des äußeren Gewandes druckes vom Autograph, Wagners nach- von Werkausgaben. Willy Hess träglich angebrachte Änderungen anläß- lich der Aufführungen von 1882 und die Beschreibung der für jene Aufführungen benutzten Kopien.

In Band 19 legte Carl Dahlhaus Wagners nicht sehr zahlreiche, aber oft über- FRANZ SCHMIDT raschend originelle Klavierwerke vor, vie- (1874 —1939) les davon im Erstdruck (1970). Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, diesem Bande Klavier auch Wagners Bearbeitungen einzelner 01551 Intermezzo fis-Moll Orchesterwerke und Partien aus Opem (F. Wührer) S 35.— für Klavier allein beizugeben. Wir denken 01552 Romanze A-Dur S 35.— da vor allem an den für Mathilde Wesen- 01553 Toccata d-Moll donck gesetzten Schluß des Tristan-Vor- (F. Wührer) S 35.— spieles, an vierhändige Arrangements von Orgel orchestralen Frühwerken etc. Es besteht jedoch Aussicht, daß alle diese Stücke in 02 201 Vier kleine Präludien einem Bande „Bearbeitungen" gesamthaft und Fugen vorgelegt werden. (A. Forer) S 91.— Einzelausgaben: Der im November 1973 erschienene und 02 202 Präludium und von Egon Voss redigierte Band I der Fuge Es-.Dur S 39.— Orchesterwerke (Gesamtausgabe Band 18/ 02 203 Präludium und I) umfasst 330 Seiten und ist eine wirk- Fuge c-Moll S 39.— liche Fundgrube. Die ursprüngliche Fas- 02 204 Präludium und sung der d-moll-Konzertouverture und des Fuge G-Dur S 39.— 2. Satzes der C-dur-Sinfonie werden hier 02 205 Präludium und Fuge erstveröffentlicht, und zwar Seite an Seite D-Dur („Halleluja") S 39.— mit der endgültigen Fassung, so daß man mühelos Takt für Takt vergleichen kann. Erstdrucke sind auch die Entwürfe zweier A „Entre-act tragique" und das Fragment fti ix>i{ii\(.i K| eines Orchesterwerkes in e-moll, vielleicht Wien München das früheste erhaltene Werk Wagners

99 27. Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt — 21. Juli bis 8. August 1974 Leitung: Emst Thomas

Kompositionskurse Mauricio Kagel Karlheinz Stockhausen „1898", „Mirum für Tuba" „Mikrophonie I", „Indianerlieder", „Herbstmusik" Christian Wolff „Accompaniments", „Changing the Iannis Xenalds System"

Vortragsreihe: Komponieren 1974 Carlos Roque Aisina, Peter M. Braun, Johannes Fritsch, Vinko Globokar, Hans Peter Haller, Zygmunt Krauze, Tomas Marco, Josep M. Mestres Quadreny, Gordon Mumma, Hans Zender u. a.

Konzerte Gastkonzerte des Hessischen, Saarländischen und Westdeutschen Rundfunks Kammerkonzerte, Studiokonzerte, Elektronische Musik Kompositionen von Barraque, Boulez, Gehlhaar, Globokar, Kagel, Krauze, Maderna, Maiguashca, Mestres Quadreny, Stockhausen, Wolff, Xenakis u. a.

Kranichsteiner Musikpreis: 4000DM Der Kranichsteiner Musikpreis wird nicht als Wettbewerb ausgeschrieben, sondern als Prämie für kompositorische und interpretatorische Leistungen innerhalb der Ferienkurse und ihrer Veranstaltungen zuerkannt.

Kompositionsstudio Interpretationsstudio Koordinator: Rolf Gehlhaar Dozenten: Christoph Caskel (Schlagzeug) Saschko Gawriloff (Violine) Aloys Kontarsky (Klavier) Siegfried Palm (Violoncello) Armin Rosin (Posaune) Hans Deinzer (Klarinette) Den Teilnehmern wird die Möglichkeit Dozenten und Teilnehmer erarbeiten ge- geboten, über eigene Kompositionen zu meinsam neue Kammermusik, wobei je- referieren, neue Kompositionen zu analy- weils ein Dozent mit Teilnehmern zu- sieren, Probleme heutigen Komponierens sammenspielen wird. Konzertaufführun- zu erörtern und kompositorisch tätig zu gen sind vorgesehen, jedoch kann ein sein. Arbeitsergebnisse sollen soweit mög- Anspruch auf öffentliches Auftreten nicht lich noch innerhalb der Kurse realisiert gewährt werden. Instrumentalunterricht werden. Bewerber um eine aktive Teil- wird nur anhand der zu erarbeitenden nahme müssen kompositorische Arbeiten Kompositionen erteilt. Über eine aktive zusammen mit der Anmeldung einreichen. Teilnahme entscheidet ein Vorspiel zu Beginn der Kurse.

Auskünfte, Prospekte, Anmeldungen (bis 1. Juni 1974) INTERNATIONALES MUSIKINSTITUT DARMSTADT 61 Darmstadt, Nieder-Ramstädter Straße 190 Telefon: 1 34 16 und 1 34 17 100 NACHRICHTEN

Der erste Band des Kataloges der Musik- zertprogramme, Kritiken etc. nachweisen handschriften des Archives der Wiener können. Höchstalter 35 Jahre. Die Preis- Karlskirche wird demnächst im Rahmen verteilung erfolgt am 12. Mai im Rahmen der „Tabulae Musicae Austriacae" erschei- eines öffentlichen Galakonzertes im gro- nen (das Verzeichnis der Drucke kam be- ßen Konzertsaal der Budapester Musik- reits 1968 heraus). Der Musikbestand von hochschule; sie wird live übertragen. Die St. Karl stellt ein sehr repräsentatives Gewinner (1. Preis 40.000.—, 2. Preis: Repertoire des 19. Jahrhunderts dar, her- 00.000.—, 3. Preis: 20.000.— Forint) diri- vorgegangen aus den allsonntäglich statt- gieren das Symphonieorchester des unga- gefundenen Meßaufführungen des heute rischen Rundfunks und Fernsehens. Der noch als ältesten seiner Art bestehenden Gewinner des 1. Preises wird außerdem Kirchenmusikvereins. Er enthält auch von MRT eingeladen werden, am 16. Mai interessante Autographen, darunter von ein Abonnementkonzert des Orchesters zu H. Chelard, C. Czemy, C. Ett, Ch. Gou- dirigieren. Das Auftreten wird gesondert nod, Κ. Kempter, Th. Kretschmann, den honoriert, das Konzert vom Fernsehen Brüdern Lachner, H. Proch, S. Sechter, ausgestrahlt. Die Anmeldung erfolgt J. Spoth. Die vor kurzem durch die Presse schriftlich bis 15. Feber 1974 und ist an gegangene Meldung von einer angebli- die folgende Adresse zu richten: Inter- chen Entdeckung des Requiems von Gou- nationaler Fernseh-Dirigentenwettbewerb, nod ist insofeme richtigzustellen, als die Budapes; Η 1368 Pob 238. Existenz dieser Partitur in Fachkreisen durchaus bekannt war. Auch ist sie bereits Wettbewerb für Interpreten zeitgenössi- in älteren Verzeichnissen, vor allem jenem scher Musik. Vom 5. bis 10. April 1974 des verdienstvollen L. Vobruba, festge- führt die Stiftung Gaudeamus im Rotter- halten. Allerdings ist ihre Kenntnis bisher damer Konzertzentrum „De Doelen" nicht bzw. nur an äußerst versteckter einen Bewerb für Interpreten der Neuen Stelle (u.a. durch L. Nowak) in die Li- Musik durch, an dem Instrumental- oder teratur gelangt; auch zu Aufführungen in Vokalsolisten mit oder ohne Begleitung neuerer Zeit dürfte es, nachdem ener- sowie Ensembles bis zu neun Mitwir- gische Bemühungen Reinhold Schmids ge- kenden teilnehmen können. Die Teilneh- scheitert waren, nicht gekommen sein. mer dürfen nicht älter als 35 Jahre sein. Während es sich bei dieser Partitur um Für Ensembles gilt der Durchschnitt eine Abschrift mit autographem Titelblatt aller Mitglieder. Den Kandidaten winken handelt, sind eine Sopran-Stimme dazu 5 Geldpreise von 750 bis 3000 Gulden. und Stimmen zu einem „Christus factus Die Preisträger erhalten unabhängig von est" gänzlich autograph vorhanden. Von diesen Preisen Prämien zwischen 600 und den übrigen Autographen sind besonders 2700 Gulden und werden von der Rund- die von Simon Sechter hervorzuheben, funkgesellschaft Vara zur Aufnahme mit bei denen es sich um teilweise skizzen- dem Philharmonischen Gesellschafts-Or- hafte Niederschriften unbekannter Werke chester Rotterdam sowie zu Konzerten aus den letzten Lebensjahren des Kompo- beim Festival von Como (Autunno Musi- nisten, vermutlich also um einen Teil sei- cale di Como) eingeladen. nes Nachlasses handelt. Rundfrage zum Schönberg-Jahr. Die Musikabteilung des Osterreichischen Fem- Neue Ehrenmitglieder hat die Gesellschaft sehens (Leiter: Wilfried Soheib) hat auf- der Musikfreunde in Wien bei ihrer grund zahlreicher Anfragen im Zusam- letzten Vollversammlung ernannt. Es sind menhang mit dem 100. Geburtstag Ar- dies Karl Böhm, Josef Krips, David nold Schönbergs am 13. September 1974 Oistrach und Egon Wellesz. ein Rundschreiben an die europäischen Fernsehstationen gerichtet, um festzu- Internationaler Dirigentenwettbewerb in stellen, welche Produktionen über den Budapest. Das ungarische Fernsehen ver- österreichischen Komponisten geplant anstaltet vom 24. April bis 12. Mai 1974 sind. Der ORF selbst erwägt eine Hör- einen internationalen Wettbewerb, dessen funk-Femseh-Koproduktion des Mono- Ziel es ist, talentierte junge Dirigenten drams „Erwartung" mit Anja Silja unter aufzuspüren und der Öffentlichkeit vorzu- der musikalischen Leitung Christoph von stellen. Teilnahmeberechtigt sind Kandi- Dohnänyis, und will mit seinem Rund- daten aller Nationen, die über eine wenig- schreiben in Erfahrung bringen, ob prin- stens dreijährige Dirigierpraxis verfügen zipielles Interesse an einer Beteiligung und ihre bisherige Tätigkeit durch Kon- besteht.

101 AUS ÖSTERREICHS MUSIKLEHRANSTALTEN

MUSIKHOCHSCHULE WIEN (Spanien) bei Nichtvergabe des ersten Preises den zweiten Preis sowie den o. Prof. Dr. Erik Werbe wurde einge- „Spezialpreis für Spanische Musik". laden, als Vorsitzender des Internationalen Musilcwettbewerbs 1974 der deutschen Jesus Gonzalez Alonso (Spanien), Absol- Rundfunkanstalten in München für die vent der Konzertfachklasse Klavier (ao. Sparte Gesang zu fungieren (4. bis Prof. Hans Graf), konnte beim Konkur- 20. September). renzspiel um das von der Firma Bösen- dorfer gestiftete Preisklavier (Bösendorfer- Dr. Irmgard Bontinck, Institut für Musik- Klavierwettbewerb), dessen Endauswahl soziologie, wurde von der Musikhoch- im Brahmssaal stattfand, das begehrte schule Hamburg eingeladen, einen Vor- Instrument erringen. Zum Endauswahl- trag über das Thema „Der Einfluß der spiel waren drei Kandidaten aus verschie- technischen Medien auf das Hörverhalten. denen Ländern angetreten (die vierte Kan- Über die Veränderung der musikalischen didatin mußte krankheitshalber absagen), Botschaft und ihre Auswirkung auf das die Jury bestand aus den Professoren der Hörerlebnis" zu halten. Die Veranstaltung Konzertfachklassen für Klavier und einem am 6. Dezember 1973 fand reges Inter- Vertreter der Firma Bösendorfer. esse bei Professoren und Studenten, das sich in einer angeregten Diskussion unter Solisten des Mozart-Requiems in der großer Beteiligung der Zuhörer im An- „Waisenhaus"-Kirche am 5. Dezember schluß an das Referat äußerte. 1973, das der Päpstliche Nuntius Erz- bischof Dr. Rossi zelebriert hat, waren Isabel Carcia-Soto (Klasse Prof. Luise die Studierenden der Klasse für Lied und Scheit, Gesang) errang beim Wettbewerb Oratorium o. Prof. Dr. Erik Werba — „Maria Ros de Lauri Volpi" in Novelda ao. Prof. Kurt Schmidek: Lilleba Lund

HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST IN WIEN DARSTELLENDE KUNST Rektorat Wien III, LothringerstraBe 18, „MOZARTEUM" IN SALZBURG Telefon 72 67 56, 56 16 85 Serie 5020 Salzburg. SchwarzstraBe 26, Abteilungen: Tel. 7 44 92 Komposition, Musiktheorie und Dirigen- tenausbildung Studieneinrichtunfen Tasteninstrumente Streichinstrumente und andere Saiten- Abteilunf Komposition. Musiktheorie instrumente und Dirifentenausbildunf Blas- und Schlaginstrumente Musikpädagogik Institut für musikalisch· Grundlagenforschung Kirchonmusik Abteilunf II Tasteninstruments Sologesang und musikdramatische Darstellung Abteilunf III Streich- und Tanz indere Saiteninstrumente Schauspiel und Regie (Max-Reinhardt- Abteilunf IV Blas- und Schlafinstrumente Seminar) Film und Fernsehen Abteilunf V Musikpldafofik Ausbildung bis zur höchsten kOnstl. Reife Kurse und Lehrgänge: Institut für vergleichende Musikpldafofik Capella Academics; Elektronische Musik; Abteilunf VI Kirchenmusik Fernsah-, Film· und BQhnenpraxia; har- monikale Grundlagenforschung; moderne Abteilunf VII Solofesanf und musik- tänzerische Erziehung; musikalische Gra- dramatische Darstellunf phik; Musiktherapie; Tontechnik. Institute: Abteilunf VIII Darstellende Kunst (Schauspiel, Refie, Tanz, Volksmusikforachung, Musiksoziologie und Bühnenbild, audiovisuelle muaikpädagoglache Forschung, Österrei- Medien) chische Dramaturgie, Hans-Kayser-Insti- tut fOr harmonikale Grundlagenforschung, Sonderabteilunf „Orff-Institut" kirchenmusikalische Volksbildung, Atem- und Stimmerziehung, Wiener Klangstil, Institut für musikalische Sozial-und Heilpidafogik Elektroakustik, organologische Forschung und Dokumentation. „Internationale Sommerakademie*' der Hoch- Hochschulchfire, Öffentliche Auffahrungen, schule für Musik und darstellende Kunst Gastvorträge, Internationale Wettbewerbe. „Mozarteum" in Salzburf

102 aus Norwegen (Sopran), Sylvia Wade aus Streichquartettes III, gespielt vom Oster- Australien (Alt), Ingemar Korjus aus teichischen Streichquartett, und seines Kanada (Baß); der Abolvent der Lied- Klaviertrios 1972, das dem Mozarttrio ge- klasse Helmut Holzapfel vom Stadttheater widmet ist. Bresgens „Deutsche Toten- Innsbruck hat den Tenorpart gesungen. messe" nach Huub Oosterhuis (Amster- An der Orgel wirkte Prof. Friedrich dam) wurde am 2. November 1973 mit Lessky, Dirigent war der Direktor des dem Kammerchor Zeltweg unter der Lei- Realgymnasiums für Musikstudierende in tung von Kurt Muthspiel — die Orgel Wien, Prof. Dr. Hans Zwölfer. spielte der Komponist — in der Basilika Seckau erstmals aufgeführt. Gleichzeitig Drei Advent-Konzerte in Wiener Kirchen fanden die Uraufführungen der beiden (Kaasgrabenkirche, Kirche St. Anton in Orgelwerke Epitaph I und II statt. Das Wien X und „Kirche am Wege" in gesamte Programm wurde vom ORF Hetzendorf) haben fünf Studierenden der übertragen und vom Calig-Verlag in Wiener Musikhochschule besonderen Er- München auf Platten genommen. folg gebracht: dem Flötisten Edwin Stemberger (Klasse Prof. Reznicek), der „Junge Salzburger Preisträger musizieren" als Solist in der 2. Bach-Suite in h-moll war der Titel eines Konzerts der Hoch- wirkte, dem Fagottisten Michael Werba schule in Zusammenarbeit mit dem ORF- (Klasse ao. Prof. Karl Öhlberger), der Studio Salzburg am 10. Dezember 1973 Vivaldis Fagott-Konzert in e-moll blies, im Großen Saal des Mozarteums, bei dem dem Konzertmeister des Kammerorche- Salzburger Preisträger des österreichi- sters Florian Zwiauer (Klasse o. Prof. schen Instrumentalwettbewerbes „Jugend Franz Samohyl) und dem Solocellisten musiziert" in Leoben und des „Hugo- Rudolf Leopold (Klasse Prof. Richard Wolf-Wettbewerbes" für Liedgesang in Krotschak), die als Solisten in Haydns Wien — beide Wettbewerbe fanden im D-dur-Symphonie „Le Matin" wirkten. Oktober vergangenen Jahres statt — mit- Christian Simonis (der bei Prof. Hoch- wirkten. Auf dem Programm standen rainer studiert) war der Dirigent dieser Werke von Biber, Gerster, Mendelssohn- Advent-Konzerte. Bartholdy, Ravel, Schubert, Schumann, Wolf und Wolpert. Am Flügel: Breda Zakotnik und Mie Seiler. Chor und Orchester des Realgymnasiums für Musikstudierende in Wien wirkten unter der Leitung von Direktor Dr. Hans Die Opernschule führte mit „Schwester Zwölfer und Prof. Friedrich Lessky im Angelika" nach „Gianni Schicchi" im Urania-Zyklus o. Prof. Dr. Erik Werbas Studienjahr 1972/73 ein zweites Werk „Junge Künstler und ihre Lehrer" am aus Puccinis Triptychon als Werkstatt- 20. Januar 1974 in einer Matinee mit. arbeit am 13. Dezember 1973 im Großen Es kamen Chor- und Orchesterwerke von Saal des Mozarteums auf. Für die szeni- J. S. Bach, Joseph Haydn und W. A. sche Leitung zeichnete Peter Busse, für Mozart zur Aufführung. Die beiden die musikalische Gesamtleitung o. Prof. ersten Veranstaltungen standen im Zei- Alexander Paulmüller verantwortlich. Am chen von Violine (Rainer Küchl — Flügel begleitete Rudolf Fleischmann. Es o. Prof. Franz Samohyl) und Bläser- besteht der Plan, auch die dritte Oper kammermusik (Klasse ao. Prof. Karl aus dem Zyklus („Der Mantel") im näch- Öhlberger). sten Studienjahr aufzuführen.

MUSIKHOCHSCHULE MOZARTEUM MUSIKHOCHSCHULE GRAZ

o. Prof. Helmut Eders „Melodia-Ritmica" Der „Gundula-Janowitz-Künstlerförde- für 12 Violoncelli wurde im Oktober rungsfonds" hielt in Anwesenheit der 1973 von den Cellisten der Berliner Phil- Ehrenpräsidentin, Frau Kammersängerin harmoniker anläßlich einer Japan-Toumee Gundula Janowitz, am 14. Dezember des Orchesters in Tokio im Konzert und 1973 die diesjährige Generalversammlung Rundfunk erstaufgeführt. ab. Die Versammlung gedachte des im letzten Jahr erfolgten Ablebens des Ver- o. Prof. Cesar Bresgen leitete am 19. und einspräsidenten Dr. Paul Struzl und des 20. Oktober 1973 im Auftrag der Aka- Vorstandsmitgliedes Prof. Herbert Thöny, demie Amriswil (Schweiz) die Tagung der der Lehrer von Frau Janowitz wäh- „Rhythmus und rhythmische Erziehung rend ihrer Studienzeit am Steiermärki- heute". Am 15. Oktober 1973 brachte schen Landeskonservatorium gewesen war. das ORF-Studio Salzburg in einem öffent- Frau Kammersängerin Janowitz eröffnete lichen Konzert die Uraufführung seines der Versammlung ihre Absicht, dem Fonds

103 das Reinerträgnis eines in Frankreich ge- einer der führenden professionellen gebenen Liederabends zur Aufstockung australischen Kammermusikvereinigungen, seiner Bestände zu überweisen und er- bestellt. örterte die Möglichkeit einer Veranstal- tung zugunsten des Fonds in Graz im Jahre 1975. Die Versammlung nahm KONSERVATORIUM hierauf antragsgemäß die Neuwahl des DER STADT WIEN Vorstandes vor. Zum Präsidenten wurde o. Hochschulprofessor Dr. Erich Marckhl Gottfried Marcus und Ladislaus Väradv gewählt, zum Vizepräsidenten Herr Dr. wurde vom Bundespräsidenten der Profes- Walter Moser, zum Kassier Dr. Manfred sorentitel verliehen. Straka, zum Stellvertreter Generaldirektor Dr. Sigbert Pauritsch, zum Schriftführer Prof. Rüdiger Seitz wurde für sein kompo- Frau Hilde Lemmerer und zum Stell- sitorisches Schaffen mit dem Förderungs- vertreter Amtsrat Franz Fink. Dem Vor- preis der Stadt Wien ausgezeichnet. stand gehören weiters an: Rektor o. Prof. Dr. Friedrich Korcak, Oberstaatsanwalt Prof. Karl Hudez, der Leiter der Lied- Dr. Anton Cesnik, Intendant Dr. Carl und Oratoriumsklasse, vollendete am Nemeth und Fr. Eva Taudes (als Treu- 21. Jänner sein 70. Lebensjahr. händerin).

Edith Faraadi, tit. ao. Prof. für Klavier HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND an der Grazer Musikhochschule, ist am DARSTELLENDE KUNSTIN GRAZ 14. Dezember 1973 verstorben. Die Künstlerin wurde am 25. September 1921 8010 Graz. LeonhardstraBe 15, Postfach 208 in Budapest geboren. Noch als Kind fand Palais Heran Tel. (0 31 22) 12 0 53/54 sie in der Franz-Liszt-Musikhochschule in Budapest Aufnahme und wurde Schülerin Abteilungen von Bela Bartök (Klavier), Zoltän 1 Komposition, Musiktheorie und Kapell- meisterausbildung Kodäly (Theorie) sowie von Leo Weiner 2 Tasteninstrumente (Kammermusik). Während ihrer Studien- zeit errang sie zweimal den Liszt-Preis. 3 Streichinstrumente, Gitarre und Harfe Im Jahre 1938 erwarb sie das künstle- 4 Blasinstrumente 5 Musikpldagogik rische Diplom und wurde im Anschluß (Studienrichtungen: Schulmusik, Ins:rumen- daran Assistentin Bela Bartöks sowie tal-, Gesanfslehrerausbildung) Professorin an der Franz-Liszt-Hoch- 6 Kirchenmusik schule. 1945 übersiedelte sie nach Wien 7 Sologesang. Chor und Dramatische Kunst und erwarb die österreichische Staats- (Operndramatik, Schauspiel, Regie) bürgerschaft. Von Wien aus begann ihre 8 Jazz internationale künstlerische Karriere, die Institute sie im Laufe der Jahre als Konzert- Aufführungspraxis pianistin durch die ganze Welt führte. Elektronik Sie konzertierte dabei mit bedeutenden Jasforschung Dirigenten und Orchestern. Im Jahre 1945 Musikethnologie übernahm Frau Prof. Famadi am Steier- Wertungsforschung märkischen Landeskonservatorium eine Ensembles Repertoireklasse für Klavier, die sie auch Hochschulorchester, Hochschulchor nach der Umwandlung des Instituts in Kammerorchester, Kammerchor eine Akademie bzw. Hochschule für Musik Collegium musicum instrumentale weiterführte. Ihre Schüler konnten teils Hochachulkurse und Lehrgänge als Konzertpianisten bei bedeutenden Musikalische Grund· und Bewegungs- internationalen Wettbewerben Preise er- erziehung ringen, teils sind sie als Musikpädagogen Singschullehrer. Schulspiel im steirischen Musikleben tätig. Im Hin- Repertoirekurse für Violine und Klavier blick auf ihre pädagogischen Erfolge Expoeitur Oberschützen, Bgld. wurde ihr im Jahre 1970 vom Bundes- (Tel. 0 33 53/306) präsidenten der Titel eines außerordent- Evangelische Kirchenmusik lichen Hochschulprofessors verliehen. Dislocierte Ausbildungsklassen für Streich- und Blasinstrumente sowie für Klavier Instrumen tallehrerausbildung Lehrgang für musikalische Jugend« und Volksbildung Paul T. Coppens, ein aus der Dirigenten- Hochschulkurse für künstlerische und pld- klasse o. Prof. Max Heider hervorgegan- agogische Fortbildung gener junger Orchesterleiter, wurde zum Kammerorchester, BIAserensemble, Chor Leiter des Melbourne Chamber Orchestra,

104 PHONO - SCHALLPLATTEN

DOKUMENTATION " KRITIK ° TECHNIK

NE UE HSCHE IN L' NGEN AUF DEM PLATTENMARKT

Johannes Ockeghem: Missa pro defunctis, Recht dem Chor zugedacht ist. Waren Josquin Desprez: Deploration sur la mort jene den späten Madrigalbüchern \lonte- d'Ockeghem. Pro cantione antiqua, Lon- verdis entnommen, so bietet die neue don. Hamburger Bläserkreis für alte Mu- Platte einen Querschnitt durch die Ent- sik, Leitung: Bruno Turner. Archiv- wicklung des Meisters vom 2. bis zum Produktion 2533 145 Stereo. 8. Buch, somit vom Ausgangspunkt der zeitgenössischen fünfstimmigen und unbe- Zwei interessante Beispiele von Rekon- gleiteten Madrigalkomposition bis zu Wer- struktionen spätmittelalterlicher Auffüh- ken, die schon absolut harmonisch orien- rungspraxis. Ganz ausgezeichnet wirken tiert sind und des Continuo nicht ent- die Besetzung des Discantus und Altus behren dürfen; auch daß sie für Chor ge- mit Countertenors. Diese speziell in Eng- dacht sind, scheint aus dieser Faktur und land gepflegte Kunst des Falsettierens ist der vorwiegend ruhigen Melodieführung wohl die beste Lösung für die adäquate hervorzugehen. Die ausdrucksstarke, von Interpretation der Musik, klanglich besser den Dichtungen inspirierte Musik wird jedenfalls als der Einsatz von Knaben- von dem bestens geschulten Chor und stimmen, und auch historisch belegbar. seinem stilistisch versierten Leiter hervor- Schade, daß man stellenweise eine Trans- ragend vorgetragen, wobei die klare Ton- position gewählt hat, die zu hoch hinauf- gebung, die perfekte Legatokultur und führt. Die Interpretation der Ockeghem- die Freiheit von allen Unarten des „ge- Totenmesse, die von Bruno Turner aus mischten Chors" besonders auffallen. Die dem Codex der Bibliotheca Vaticana authentische Madrigalfassung des „La- transkribiert wurde, ist bei den neun mento d'Arianna", die der Platte den Stimmkünstlern aus England bestens ge- Titel gab, wirkt in der Chorversion aus- sichert, die Transparenz wird auch durch gezeichnet, besser als es in der Regel ein den fallweisen (leider gibt es daneben zu im Sinne des 19. Jahrhunderts geschulter viele reine A-cappella-Sätze) Einsatz von Solist zuwege brächte. Gut disponiert der vier Blasinstrumenten (Zink, 2 Posaunen Einsatz von Continuo-Instrumenten zu und Tenor-Pommer) unterstützt, wobei im den späteren Werken. Vorbildlich auch allgemeinen die erst für später gültige der Plattenkommentar von Theophil Tendenz zur klanglichen Homogenität Antonicek. Rudolf Klein vorherrscht; Spaltklang, auch mit Unter- stützung anderer Instrumente, wäre dem Charakter der Musik adäquater gewesen. Trotzdem eine gute, saubere und stili- Tanzmusik des Frühbarocks. Ulsamer- stisch vertretbare Wiedergabe der beiden Collegium, Konrad Ragossnig (Laute). Werke, deren Qualität auf diese Weise Archiv-Produktion 2533 150 Stereo. ausgezeichnet zur Geltung kommt. Der Plattenkommentar Bruno Turners sagt In Fortsetzung der Anthologie „Tanz- leider zu wenig über die historische Auf- musik der Renaissance" und als Zwischen- führungspraxis aus. Rudolf Klein glied zu der noch erwarteten Aufnahme „Tanzmusik des Hochbarocks" umfaßt die vorliegende Platte Tänze aus der Zeit von etwa 1570 bis 1620, und zwar vor- Claudio Monteverdi: Lamento d'Arianna, wiegend italienische, französische und Madrigale. Monteverdi-Chor Hamburg. englische (deutsche Tanzmusik findet sich Leitung: Jürgen Jürgens. Archiv-Produk- auf der Platte 198166, Tänze von Prae- tion 2533 146 Stereo. torius, Widmann, Schein). Der Stilüber- gang von der Renaissance zum Früh- Einer ersten Platte mit überwiegend so- barock erfolgt bei der Konfrontation die- listisch intendierten virtuosen Madrigalen ser Platte mit der vorhergegangenen völlig (2533 087) folgt nun eine weitere, die zu glatt und unmerklich, was wohl als Be-

105 weis dafür genommen werden darf, daß Peter I. Tschaikowsky: Klavierkonzerte die rhythmisch-harmonische Konzentra- b-moll, G-dnr and Es-dur. Emil Gilels, tion, die zum Barockstil führte, sehr we- New Philharmonie Orchestra, Dirigent: sentlich durch den Tanz und dessen Lorin Maazel. Eurodisc 87 217 XK. Erfordernisse herbeigeführt wurde. Schon unter diesem Aspekt ist die Tanzfolge Wie Svjatoslav Richter gehört auch besonders aufschlußreich. Daß darüber Emil Gilels zu den wichtigsten Kultur- hinaus eine Fülle von entzückenden exportartikeln der Sowjetunion, wie Rich- Musikstücken geboten werden konnte, ter hat auch Gilels das russische Virtu- zeugt von dem hohen Stand der Tanz- osenkonzert bereits einige Male auf kultur in jener Zeit. Die Musik wird Schallplatten eingespielt. Im Westen durch das Ülsamer-Collegium und dessen emsthaft konkurrenzfähig waren aus tech- buntes Instrumentarium überaus farbig nischen Gründen nur zwei dieser Auf- und vielfältig wiedergegeben, Ragossnig nahmen des b-molI-Konzerts: Richters spielt dazwischen perfekt Lautentänze. DGG-Einspielung unter Karajan. die das Der Leiter der Archiv-Produktion Andreas Werk auf das Podest klassischer Seriosität Holschneider hat die sachkundige Ein- hebt und in kalte Klangpracht hüllt, und führung zu der wunderhübschen Platte die ältere Gilels-Platte der RCA unter geschrieben. Rudolf Klein Fritz Reiner, die wesentlich mehr musi- kalisches Temperament verrät.

Gilels hat sich seit damals wenig geän- W. A. Mozart: Konzertarien für Tenor. dert, zumindest was Tschaikowsky betrifft. „Misere, ο sogno", KV 431; „Per pietä, Vielleicht ist ihm Mozart früher noch non ricercate", KV 420; „Si mostra la nicht so delikat gelungen wie jetzt. Sein sorte", KV 209; „Se al labbro mio non Spiel ist im klassischen Repertoire stili- credi", KV 295; „Con ossequio, con stisch ausgewogener geworden, ohne an rispetto", KV 210. Jozsef Reti (Tenor), Intensität zu verlieren. Manchmal meint Philharmonisches Orchester Budapest, man das auch auf den neuen Tschai- Dirigent: Antal Jancsovics. Hungaroton kowsky-Platten zu hören. Was kann ein SLPX 11 485. Pianist bei einem Werk wie dem b-moll- Konzert schon Neues bieten? Die mit- reißende Thematik, die virtuosen Passa- Diese Einspielung von Mozart-Tenor- gen hat man schon oft überzeugend, arien mit Jozsef Reti ist eine große Über- wenn auch schon lange nicht so über- raschung auf dem Plattenmarkt der zeugend gehört wie auf dieser Platte. Mozart-Neuaufnahmen. Der ungarische Man muß da schon zur alten Horowitz- Sänger verfügt aber auch über alles, was Toscanini-Aufnahme greifen, um Gleich- ein Mozart-Tenor braucht: unbedingte wertiges zu finden. Doch so manche be- Intonationsreinheit, eine faszinierende langlose Ubergangsphrase bleibt selbst bei Atemtechnik, die es ihm gestattet, weite Horowitz belanglos, Gilels hingegen Legatobögen auszusingen, ein berücken- formt sie zum unentbehrlichen Mosaik- des Mezza voce und die nötige Ge- steinchen im Gesamtbild. Er geht wohl schmeidigkeit im Stimmansatz. Umso be- noch immer mit der Geste des großen dauerlicher ist es, daß Reti im Herbst romantischen Virtuosen an das Werk 1973 allzu früh verstorben ist. Er gestal- heran und setzt Gefühlswerte nicht tet die fünf Arien mit seltenem Abwechs- gegenüber einer sezierenden analytischen lungsreichtum und mit hoher Stimm- Interpretation zurück, doch alles auf kultur. In „Misero, ο sogno" trifft er höchstem künstlerischen Niveau, gepaart ganz ausgezeichnet die melancholische mit stilistischem Verantwortungsgefühl. Grundstimmung, „Per pietä, non ricer- Lorin Maazel tut mit seinem New Phil- cate" legt er mit großartigen dramati- harmonia Orchestra ein übriges für eine schen Steigerungen an; KV 209 singt er konsequente symphonische Durchgestal- mit tief, empfundener Innigkeit, KV 210 tung, ohne den reißerischen Elementen mit ironischer Distanziertheit. Besonders des Werkes ihren Effekt zu nehmen. schön und mit strahlendem stimmlichen Glanz gelingt aber die entzückende Arie Wirklich neu ist Gilels für den Westen „Se al labbro mio non credi", die Mozart als Interpret der restlichen Klavier- 1778 in Mannheim für den 64jährigen Orchester-Werke des Komponisten. Das Anton Raaff schrieb, den Idomeneo der G-dur-Konzert ist seiner Bedeutung ent- Münchner Uraufführung. Die Orchester- sprechend viel zu wenig bekannt. Es begleitung der Budapester Philharmoniker bietet dem Pianisten genauso virtuose unter Antal Jancsovics ist dem außer- Möglichkeiten, zumindest in der hier vor- gewöhnlichen Mozartgesang Jozsef Retis liegenden Bearbeitung Alexander Silotis. durchaus adäquat. Rolf Pfluger Gilels nützt diese zur Gänze, bei Wah-

106 Ausgewählte Schallplattenaufnahmen mit EMIL GILELS

im Vertrieb von Ariola — Wien

87 217 Tschaikowskij, Klavierkonzerte Nr. 1—3 New Philharmonia Orchestra Dirigent: Lorin Maazel

80 176 Beethoven, Klavierkonzerte Nr. 1—5 Cleveland Orchestra Dirigent: George Szell Deutscher Schallplattenpreis Auch als Einzel-LP erhältlich

86 200 Emil Gilels — Recital Beethoven, Mondschein-Sonate u. a. 80 746 Beethoven, Grande Sonate Pathetique u. a. 80 291 Die klassische Klaviersonate (2 LP) (Scarlatti, Haydn, Clementi, Rameau, C. Ph. E. Bach)

85 312 Der junge Gilels Werke von Lully, Rameau, Schumann u. a.

80 155 Schumann, Nachtstücke op. 23 Schubert, Moments musicaux op. 94 Edison-Preis

76 597 Chopin, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-moll Moskauer Staatliche Philharmonie Dirigent: Kyrill Kondraschin 77 289 Chopin, Klaviersonate Nr. 2 b-moll Liszt, Klaviersonate h-moll 77 291 Haydn, Konzert für Klavier und Orchester D-Dur, Hob. XVIII Nr. 11 Mozart, Konzert für Klavier und Orchester C-Dur KV 467 Moskauer Kammerorchester Dirigent: Rudolf Barschai

86 616 Emil Gilels spielt Tschaikowskij Sonate cis-moll op. 80 Sechs Stücke op. 19

107 rung aller musikalischen Qualitäten, so Alexander Scriabin: Sämtliche Klavier- daß man den Eindruck einer in sich sonaten. Evelyne Dubourg. Tudor 1002-4. geschlossenen, mitreißenden Gestaltung Stereo. erhält. Wesentlich interessanter, wenn auch nicht so offensichtlich beein- Die erste Einspielung der 10 Scriabin- druckend, ist sein Beitrag zur Interpre- Sonaten ist wahrscheinlich gleich die tation des Allegro brillante in Es-dur schönste: undenkbar, daß diese Werke op. posth. 75. Dieser einzige überlieferte besser interpretiert werden können. Die Satz zu Tschaikowskys 3. Klavierkonzert französisch-schweizerische Pianistin gehört ist wesentlich symphonischer gearbeitet zu den Meistern ihres Faches. Sie spielt als die beiden vorangegangenen Werke. die Kompositionen, die von op. 6 bis Hier zeigt sich Gilels noch viel deut- op. 70 eine unerhörte Steigerung zur licher als Diener am Werk, der niemals Selbständigkeit aufweisen, sehr a la das ausgewogene Gleichgewicht zwischen fran^aise, mit dem Willen zur äußersten Soloinstrument und Orchester zugunsten Klarheit und Durchsichtigkeit; dabei ist des pianistischen Effektes verschiebt. In die Mehrschichtigkeit der Sonaten, jenes technischer Hinsicht sind die etwas baß- im Anschluß an Liszt ausgebaute und betonten Aufnahmen im Ganzen wohl- verfeinerte Übereinanderlegen von viel- geraten, der Orchesterklang ist ausge- fach gebrochenen Klangflächen, eine zeichnet eingefangen, wenn nicht der et- ständige Verleitung zur Kraftentfaltung was spröde Streicherklang des New und Verwischung — es bedarf schon Philharmonia Orchestra eine Einbuße eines ungeheuren Differenzierungsvermö- bedeuten würde. Robert Werba gens, einer ganz enormen Pedalisierungs- kunst, um dieses komplizierte Ineinander- spiel der Sedimente klar erkennen zu lassen. Welch feine Anschlagskultur Frau Liederabend Edda Moser (Sopran). Dubourg besitzt, erweist sich besonders Richard Strauss: Sechs Lieder nach Ge- im untersten Bereich der Dynamik: dichten von Clemens Brentano. Hans zwischen ppp und ρ vermag sie derart Pfitzner: An die Mark, op. 15, Nr. 2; zu nuancieren, daß auch in diesem Mikro- Venus mater, op. 11, Nr. 4; Verrat, bereich jederzeit genügend Spielraum für op. 2, Nr. 7; Unter den Linden, op. 24, das Nachzeichnen der musikalischen Nr. 1; Ich und Du, op. 11, Nr. 1; Hügellandschaft zur Verfügung steht. Sonst, op. 15, Nr. 4. Am Flügel: Erik Darüber hinaus besitzt sie auch die Kraft, Werba. Electrola C 063-29 052. um die gewaltigen Ausbrüche der Höhe- punkte zur vollen Geltung zu bringen, Edda Moser hat es sich mit ihrer ersten auch hier ohne jede Härte, ohne jedes Liedplatte keineswegs leicht gemacht. „motorische" Auftrumpfen: „stahlharte" Bewußt vermied sie bekannte Pfade. Be- Wirkungen wären bei Scriabin, der ja sonders hoch anzurechnen ist ihr, daß doch deutlich von Chopin herkommt, sie auch Lieder von Hans Pfitzner auf falsch am Platz. Die Herkunft von ihr Programm setzte, denen die Sopra- Chopin muß ferner die Rubato-Rhythmik nistinnen meist aus dem Wege gehen. bestimmen. Auch hierin ist Evelyne Du- Edda Moser weiß den als „spröde" ver- bourg, hörbar an Chopin und Debussy schrienen Pfitzner-Liedern mit ihren ge- geschult, unübertrefflich: ihr Instinkt — schmeidig eingesetzten Stimmitteln eine und natürlich die makellose Technik, die blühende Farbigkeit und unerhörte Inten- diesem zu gehorchen in der Lage ist — sität des Ausdrucks abzugewinnen, wobei läßt die federnde Elastizität entstehen, die ihr Erik Werba ein idealer Partner am jeder Scriabin-Interpretation unabdingbar Klavier ist, der auf feinste Nuancen des ist. Die Technik der Pianistin ist umso Vortrags sofort reagiert. Bei den Bren- mehr zu bewundern, als Scriabin ja schon tano-Liedem von Richard Strauss kommt vom Beginn an Klischees vermeidet, jene vor allem die brillante Technik und die fix-fertigen Formeln, die den Pianisten exakte Artikulation der Künstlerin bewun- „in den Fingern" liegen. dernswert zur Geltung. Erstaunlich, wie Aufnahmetechnik, Pressung und Präsen- etwa in „Heilige Nacht" der Wechsel tation — mit einem überaus klugen und von weicher, pastoser Fülle zu perlend verständnisvollen Kommentar des rus- leichten Spitzentönen organisch vollzogen sisch-schweizerischen Komponisten Wladi- wird. Sympathisch berührt auch, daß mir Vogel, tun ein übriges, um die drei Frau Moser bei aller Differenzierung in Platten zum wertvollen Bestandteil jeder der Gestaltung der einzelnen Gesänge Sammlung zu machen. Sie sind dazu prä- niemals auf bloßen Effekt aus ist. Die destiniert, die ständig wachsende Erkennt^ hörenswerte Platte beweist, daß wir im nis von der Größe dieses vielleicht deutschen Sprachraum endlich wieder genialsten russischen Komponisten zu ver- über eine Liedsängerin von Format ver- tiefen und zu festigen. Rudolf Klein fügen! Rolf Pfluger

108 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT GEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE f

29. JAHRGANG MÄRZ 1974 HEFT 3

VOM KRITISCHEN HÖREN Rudolf Klein Prolegomena zu einer Lehre vom musikalischen Stil

Von Kritik im Sinne öffentlicher Urteilsfällung soll hier nicht die Rede sein. Gemeint ist jenes kritische Hören, das der Musik vorausgehen soll, und zwar nicht nur der Ausübung von Musik, sondern auch deren Rezeption. Dieses hier gemeinte kritische Hören ist ohne Zweifel das Regulativ unseres kollektiven Musikverständnisses. In seiner Gesamtheit ergibt es ein zunächst zeitlich und örtlich konfiniertes Musikbewußtsein, das auf längere Sicht zwar nicht unfehlbar sein muß, das aber auf lange Sicht doch eine inappellable Instanz darstellt. Aus der Verantwortung gegenüber dieser letzten Instanz ergibt sich die Verantwortung des einzelnen: schon die Mitbestimmung in der Gegenwart macht die erwähnte musikalische Tätigkeit, ob sie nun wie beim Komponisten und Interpreten unmittelbare Folgen hat oder sich als winziger Teil des rezeptiven Kollektivs empfindet, im besten Sinne des Wortes „kritisch" — das heißt: wer immer mit Musik befaßt ist, steht ihr nicht wie der Richter dem Angeklagten gegenüber, er ist selbst am ,Bau jenes Kollektivbewußtseins beteiligt, das unaufhörlich weiterwächst, sich umgestaltet und verändert Kritik wird in diesem Sinne Selbstkritik. Kritik wie Selbstkritik haben mit der Bestimmung der Standorte einzusetzen. Die Selbstüberschätzimg, die sich ganze Epochen, häufiger einzelne Persönlich- keiten entgegenbrachten, hat das Ego in den Schnittpunkt eines Koordinaten- kreuzes gestellt und von diesem Zentrum aus die Lage des musikalischen Ereignisses bestimmt. Inzwischen sind wir vorsichtiger geworden. Die Ent- wicklung der Naturwissenschaften hat uns nur zu deutlich gezeigt, daß es im konkreten Bereich keine Gleichsetzung des Beobachters mit dem Absolutum, aber auch keine Abstraktion vom Beobachter gibt, daß der beobachtende Mensch unabdingbar in die Beobachtung involviert ist. Wir haben uns also selbst als Punkt in das Koordinatenkreuz einzusetzen, und von diesem Stand- punkt aus den Standpunkt des beobachtbaren Ereignisses zu bestimmen. Was aber entspricht dann dem Nullpunkt des Systems, der Kreuzung von Abszisse und Ordinate? Gestehen wir uns ruhig ein, daß wir es nicht wissen, ebenso- wenig wie wir unsem Standort im Weltgeschehen von einem absoluten Punkt aus beinteilen können. Mit diesem Ignotum wird freilich der Ausgangspunkt des Beobachters aufgewertet: er muß notwendigerweise von seinem Standort aus messen. Doch ist der Unterschied gegenüber dem vorhin erwähnten

109 Konfondieren von absolutem Schnittpunkt und dem Ego wesentlich: wir haben uns bewußt zu sein, daß wir nur per procurationem zum Mittelpunkt wurden, daß uns die kritische Tätigkeit delegiert ist und daß ihr deshalb von Anbeginn an eine Fehlerquelle eingebaut ist, die überhaupt nicht ausgeschaltet werden kann. Wir können sie aber bis zu einem gewissen Grad berücksichtigen; und das ist schon ein großer Fortschritt. Die Relativität unseres Beginnens muß uns bewußt sein. Dieser skeptische Standpunkt wird uns zunächst vorsichtig gegenüber jeder tradierten Musikanschauung machen. Denn wir wissen: jedes historische Musik- denken wurde von einem andern Punkt des Koordinatensystems unternommen — dieser Punkt kann nicht unser heutiger Standort sein. Wir müssen den damaligen Standort des Beobachters mit unserm heutigen vergleichen, den Beobachter selbst zum beobachteten Objekt machen. Diese kritische Tätigkeit ist zwar noch immer nicht objektiv richtig, sie stellt aber zumindest den Bezug zum Hic et Nunc her. Eine historische Meinung oder Anschauung als Absolutum zu nehmen, hieße von vornherein an der Aufgabe des Musikdenkens vorbei- gehen. Aus dieser Überlegung wird jedoch eines klar: der Standpunkt eines histo- rischen Beobachters hat einmal dem betrachteten Objekt gegenüber eine geringere Distanz eingenommen als unser heutiger; er hat es aus einer Nähe gesehen, die für uns nicht mehr nachzuvollziehen ist. Wir wissen aus Erfahrung, daß diese Nähe seine Beurteilung an und für sich nicht „richtiger" machte. Wir wissen aber ebenso, daß beides, Objekt wie Subjekt, innerhalb von zeit- lichen und örtlichen Grenzen denselben Bedingungen unterlag und daß des- halb alles, was in diese Grenzen konfiniert war, für beides galt, zumindest im materiellen Bereich. Die Erforschung dieser zeitlichen und örtlichen Bedin- gungen muß uns also eine Notwendigkeit darstellen, wollen wir Musik und Musikbetrachtung eines historischen Augenblicks in ihrem Verhältnis zuein- ander erfassen. Was uns besonders interessiert, geht aber über diese Konstellation hinaus: das, was die Dauer und die Verbreitung eines musikalischen Kunstwerkes nach sich zog, war eine Qualität, die eben nicht zeitlich und örtlich begrenzt war. Hier begeben wir uns auf das Gebiet der musikalischen Wertbestimmung und deren Relation zu Dauer und Ubiquität, Eigenschaften, die häufig als diagnostische Merkmale der Qualität genommen werden. Ganz so logisch ist die Sache nicht: Dauer und Ubiquität sind Merkmale post hoc und nicht propter hoc, sie folgen der Qualität nach, sind aber nicht deren Wirkung gleichzusetzen. Der alte Fehler der Kausalitätslehre soll hier nicht wiederholt werden. Sagen wir es deshalb so: die empirische Erfahrung läßt uns feststellen, daß, wo immer Dauer und Ubiquität einem musikalischen Kunstwerk nach- folgten, Qualität die Voraussetzung war, wenn nicht die einzige. Die Unter- suchung dieser Qualität, jener Qualität, die Johann Nepomuk David die Kunst- wahrheit nennt, muß uns daher besonders am Herzen liegen, wie alles, was Bestand hat über die Vierdimensionalität des Menschen hinaus. Wir haben nun aber festgestellt, daß die Kunstwahrheit eine Qualität ist, die nicht an Ort und Zeit gebunden ist. Wie ist sie also wissenschaftlich zu fixieren? Der Vorgang scheint theoretisch einfach: wir müssen nur bei einem bestimmten Werk feststellen, was darin orts- und zeitgebunden ist, das ziehen wir dann von der Qualität des Ganzen ab, und was uns bleibt, ist das Über- zeitliche, das Überörtliche. Diese Subtraktion läßt sich allerdings klarer dar-

110 Stellen als realisieren. Sie muß dennoch die Voraussetzung jedes kritischen Hörens darstellen. Die Stilkunde kann uns bei der sauberen Trennung der Posten sehr helfen. Denn was ist Stil anderes als die Summe der zeit- und ortgebundenen Merk- male in einer Pluralität von Kompositionen? Stil ist immer ein Pluraletantum — aber nicht die vollständige Summe einer Vielfalt von Kompositionen, sondern gleichsam deren gemeinsamer Nenner. Erwerben wir uns für eine umgrenzte Gruppe von Kompositionen ein Stilwissen, so ist uns das Repertoire ihrer Gemeinsamkeiten vertraut. Wir wissen beispielsweise — und dieses Wissen steckt natürlich im Begriff des kritischen Hörens —, daß das Stilrepertoire der österreichischen Klassik aus einer durchaus begrenzten Anzahl von melo- dischen Formeln, Stufengängen, Formaldispositionen usw. besteht. Jeder Ein- bruch in diese Konfinierung ist einem Stilfcruc/i gleichzusetzen. Stilbrecher dieser Art waren häufig die genialen Komponisten, auch dann in der Regel behutsam fortschreitend, nicht radikal umstürzend. Aber selbst radikale Stil- brüche, die relativ leicht zu erkennen sind, dürfen nicht als allein für das Erkennen der Genialität relevant betrachtet werden. Genialität hat sich sehr oft weitaus subtiler bemerkbar gemacht. Mozarts Beispiel darf wohl als para- digmatisch gelten: die einzelnen Dimensionen seiner Musik, isoliert betrachtet, zeigen kaum wesentliche Differenzen gegenüber dem Repertoire des Zeitstils. Musik besteht aber nicht aus zusammengeklebten Dimensionen, Musik ist ein Ganzes, in dem jeder Teil seine ganz bestimmte Funktion auf alle anderen Teile ausübt. Und Genialität kann sich auch in diesem Funktionsfeld ereignen, in jenem unglaublich differenzierten Gefüge, in dem tonale und melodische Werte, Rhythmen und Formen aufeinander Einfluß nehmen. Dieses Funktions- feld, für welches das bloße Notenbild nur ein schwaches Symbol darstellt, ist bereits sehr viel schwerer auf seine rationalen Grundlagen hin zu unter- suchen, auch deshalb, weil die analytische Wissenschaft bei weitem noch nicht alle Aspekte des Problems auch nur erfaßt, geschweige denn erforscht hat. Der Hinweis auf intuitives Erkennen wird sich nicht vermeiden lassen, zu- mindest nach dem heutigen Stand der Wissenschaft. Was wir aber vorhin Stilwissen nannten, sollte ja ebenfalls viel tiefer gehen als ins Bewußtsein: Stilwissen in einem höheren Sinne schließt neben dem empirischen auch das intuitive Wissen um solche subkutanen Stilfeinheiten ein, nur ist dieses Wissen Sache des inneren Ohres und wie alle Belange dieses inneren Ohres erfahrbar, wenn auch nicht auf rationaler Grundlage. Das Stilwissen also gibt uns einen Maßstab an die Hand: nicht einen Wert- maßstab, sondern den Substraktionsfaktor, von dem die Rede war. Dieser Tatsache müssen wir uns bewußt sein. Nichts ist bemühender, als wenn von Zeit zu Zeit Versuche auftauchen, eine bestimmte Musik auf Grund des bloßen äußeren Stilfaktors zu diskreditieren. Ein solcher Versuch hat vor einiger Zeit nicht wenig Staub aufgewirbelt. Dieser nach den Autoren so genannte Federhofer-Wellek-Test1 hat die Musiksoziologie durch falsche Frage- stellung mißbraucht. Einer Anzahl von musikalisch gebildeten — das heißt also mit Stilwissen ausgestatteten — Personen wurde manipulierte Musik vorgeführt: in relativ unbekannten Werken der Klassik (Dussek ζ. B.) wurden einzelne Noten verändert und die Aufgabe gestellt, diese Veränderungen zu erkennen; als Quasi-Gegenprobe wurden Werke von Schönberg und Webern vorgeführt, in denen ebenfalls einzelne Töne verändert wurden. Niemand wird darüber 1 In: Die Musikforschung, Jg. 24/4, mit folgenden Entgegnungen von Carl Dahlhaus und Rudolf Klein.

111 erstaunt sein, daß die Versuchspersonen die „falschen" Töne in der klassischen Musik sofort herausfanden, nicht aber in der Musik des 20. Jahrhunderts. Und es ist nur schwer zu glauben, daß dieser Versuch zu anderen Zwecken gemacht wurde, als zu dem der Diskriminierung der jüngeren Musik. Wären diesem Versuch vernünftige Überlegungen vorangegangen, dann hätten sie etwa so gelautet: Das Stilwissen im Bereich der Klassik impliziert die Kenntnis einer bestimmten Tonalität und einer bestimmten Stimmführungstechnik. Fehler gegen diese beiden Faktoren werden sofort gehört, wenn sie über die zeit- üblichen Grenzen hinausgehen, weil dann der Abstand zur Norm sofort gewaltig wird. Andererseits ist in dem erweiterten tonalen Feld und bei den Möglich- keiten der Stimmführungsspannung in Werken Schönbergs und Weberns ein Uberschreiten derselben Grenzen nicht nach denselben Prinzipien registrierbar; es wäre immerhin in umgekehrter Richtung merkbar, wenn in diesem Rahmen nunmehr tonale Komplexe und traditionelle Stimmfortschreitungen — etwa die der Dominantseptime zur Durterz der Tonika — auftauchen würden; soweit haben sich die Autoren des Versuches allerdings nicht zurückgewagt. Daß die Regwtrierbarkeit der Einzelfaktoren in einem Musikwerk etwas mit dessen Qualität zu tun hat, glauben heute nicht einmal mehr die reinen Wissen- schaftler; und daß sie ähnliche Versuche nicht etwa bei Bartök oder Messiaen vornahmen, wo das notwendig negative Resultat sich an der Popularität und dem anerkannten Wert der Kompositionen gerieben hätte, spricht Bände. Der hinter- gründigen Schlußfolgerung der Autoren dieses Versuches, daß man bei Schön- berg und Webern Töne verändern könne, ohne daß es überhaupt bemerkt wird, läßt sich entgegnen: Hier wurde kein Wert-Experiment vorgenommen, sondern ein Stil-Experiment. Zwei meilenweit voneinander getrennte Stile mit demselben Instrument untersuchen zu wollen, ist Nonsens. Die Relativität des Objekts, die Relativität des betrachtenden Subjekts und die dadurch verursachte Variabilität der Werteinschätzung soll uns nun nicht veranlassen, jede Möglichkeit des Erkennens gering zu achten. Die Methode des- Stilerforschung im richtigen Geiste, nämlich zur Gewinnung des Subtrak- tionsfaktors eingesetzt, ergibt jedenfalls einen brauchbaren Maßstab, und dies, obwohl die Methoden der Analytik dauernd wechseln. Es kann nicht die Auf- gabe der Analytik sein, auf direktem Wege Zugang zum Phänomen der Genialität zu finden: aber aufzuzeigen, bis wohin die Konvention führt und so indirekt zu zeigen, was über diese Grenze hinausgeht, das scheint eine ad- äquate Methode zu sein. Vielen Musikern scheint eine Beschäftigung mit den nicht-musikalischen Dingen der Entstehungszeit von Werken überflüssig. Dieser Ansicht ist zu wider- sprechen. Im Sinne unserer Subtraktionsthese ist alles von Wert, was als meß- barer Faktor vom Unmeßbaren abgesetzt werden kann. Vieles aber, was in der Musik meßbar ist, kann in Relation gesetzt werden mit den meßbaren und daher erforschbaren Umständen der Zeit. Natürlich nicht in direktem kausalem Zusammenhang. Aber alles, was die Umgebung eines Menschen prägt, prägt auch den Menschen selbst. Die Zusammenhänge zwischen Umwelt und kompo- sitorischer Leistung mögen subtil sein, vorhanden sind sie jedenfalls. Daher die Wichtigkeit der historischen Forschung, betreffe sie nun das Milieu, in welchem ein Meister verkehrte, die Ästhetik seiner Zeit oder auch nur die örtlichkeiten, die mit ihm verbunden bleiben. Auch aus der Größe der Konzertsäle und aus dem Verkauf von Eintrittsbilletten lassen sich Schlüsse ziehen, die bis in die Musik selbst zu verifizieren sind. Der Standort im Koordinatenkreuz ist auch hier von größter Wichtigkeit. Frühere Standpunkte taugen heute wenig:

112 Anekdote, Propaganda, Dilettantismus und Schlimmeres haben die Perspektive verzerrt. Heute wird versucht, diese schiefe Betrachtungsweise, die vor allem im 19. Jahrhundert, aber noch weit im 20., gang und gebe war, auf die Weise auszuschalten, daß man an die Quellen zurückkehrt und sich auf authentische Dokumente stützt. Um Mißdeutungen vorzubeugen: auch in zeitgenössischen Dokumenten ist nicht alles „wahr"; aber zumindest wird eliminiert, was später an Dichtung und Unwahrheit hinzukam. Schafft die Distanz zwischen Beobachter und Beobachtetem die Voraussetzung für die Abgeschlossenheit des Objekts, so wird die Analyse des gegenwärtigen Musikschaffens durch die fehlende Distanz von vornherein erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Nur für einen Teil der zeitgenössischen Komponisten können wir den Subtraktionsfaktor eines verbindlichen Gruppen-Stils in An- wendung bringen: es sind die bemitleidenswertesten Produzenten neuer Musik; denn das Vorhandensein des Maßstabes verführt allzu leicht zur Annahme, daß das Meßbare damit schon ausgemessen ist. Wenn dies sicher auch häufig der Fall ist, so darf es nicht als A-priori-Grund für eine Verurteilung hingenommen werden. Denn die Gefahren auf der andern Seite sind drohender. Gibt es nämlich für die Beurteilung einer neuen Produktion überhaupt keinen Subtraktionsfaktor, dann fehlt der Maßstab überhaupt. Kann er durch den „Erfolg" eines Werkes geliefert werden? Resonanz ist natürlich nicht a priori mit Wert gleichzusetzen. Die Ausbreitung eines Kunstwerkes kann dem Betrachter aber auch nicht gleichgültig sein. Sie läßt ja auch den Komponisten nicht kalt. Und wenn er es über sich bringt, sein Werk aus der Schublade zu nehmen und auch nur zwei Hörern vorzu- spielen, hat er das anerkannt. Somit öffnet sich in günstigen Fällen ein Weg der Verbreitung, der vom ein- zelnen Werk über das kleine Kollektiv des Personalstils zu Gruppenstilen und dann zu Massenstilen führt. Noch einmal: dieser Stilbegriff ist nicht mit dem Wertbegriff gleichzusetzen; er gibt uns lediglich den Maßstab für die Ver- breitung einer Sprache an die Hand. Gerade die Massenstile unserer Zeit, die verschiedenen Sparten der sogenannten Unterhaltungsmusik, zeigen uns deutlich, daß die größte Resonanz nicht mit größter Qualität einhergeht. Im Gegenteil, der Gedanke liegt nahe, daß nur eine effektive Deckung von Stil und Werk, das heißt also das vollkommene Fehlen des Unmeßbaren, zur Massenresonanz führen kann. Zur Erkenntnis des Werffaktors darin hilft uns, wenn nichts anderes, der Zettfaktor: die Schnellebigkeit solcher Produkte ist gewiß relevant für den Un-Wert derartiger Stilmusik. Die größte Verantwortung des kritischen Hörens trägt ohne Zweifel der Inter- pret. Er hat das Werk so wiederzugeben, daß es als Ganzes verstanden werden kann, und das in seinem meßbaren und unmeßbaren Teil (falls vorhanden). Ein weit verbreitetes Übel unserer Zeit ist die bewußte oder unbewußte An- sicht des Interpreten, daß diese beiden Teile einander nicht genügend Raum lassen: meist überwiegt dia Meinung, man könne das Unmeßbare eines Werkes nur dann gehörig zur Geltung bringen, wenn man seinen Raum auf Kosten des Meßbaren, des Stils, ausweite. Es gibt freilich aucfh die gegenteilige Meinung: daß Stil alles sei, daß Stilwissen genüge, um den Inhalt eines Werkes ganz auszuschöpfen. Die Wahrheit liegt sicher in der Mitte, oder besser gesagt: im kritischen Hören. Denn dieses hat im Ganzen der Komposition den Anteil

113 des Gemessenen und des Unmeßbaren festzustellen und danach die Inter- pretation auszurichten. Auch hier muß indessen jeder Anspruch auf das Absolute und Endgültige fallen. Zur Erkenntnis des meßbaren Teils im Ganzen kann die Wissenschaft viel beitragen — dessen Anteil am Ganzen, und gar Gewicht und Bedeutung des Unmeßbaren, wird immer Ermessenssache bleiben. Darauf beruht die Lebendigkeit historischer Musik. Im meßbaren Teil der Interpretation scheint der Begriff Fortschritt, so anfecht- bar er auch sonst im Kulturbereich ist, am Platz. Wissenschaft kann fortschreiten, und somit auch die Wissenschaft von der Stilerkenntnis. Das Ideal der Klarheit und Durchsichtigkeit, wie es etwa durch die jüngste Bach-Renaissance auf wissenschaftlicher Basis wiederhergestellt wurde, triumphiert heute beispiels- weise eindeutig über den Bach-Stil der Zwischenkriegszeit; und es ist schwer zu glauben, daß dies nur ein Eindruck aus unserer heutigen Perspektive ist. Im unmeßbaren Bereich freilich ist Vorsicht geboten. Da wechseln die Empfindungen der Interpreten oft überraschend schnell, eine Mode folgt der anderen. Ebenso ist häufig das Verhältnis zum Stil-Teil der Interpretation gestört. Am zweifelhaftesten scheinen solche Interpreten, die in einer histo- rischen Komposition nur einen Teil der Stilmerkmale als authentisch aner- kennen, einen andern Teil aber wider besseres Wissen einfach negieren, um ihn durch ihre persönliche Freiheit zu ersetzen. Um diese persönliche Freiheit geht es nun allerdings in Komposition und Interpretation, in der Kunst überhaupt. Persönliche Freiheit kann es aber in der menschlichen Gesellschaft, auch in der geistigen, nur im Rahmen von Ordnungssystemen geben. Vermag ein Komponist ein solches zwingendes Ordnungssystem als Basis der Kommunikation zu erstellen, vermag ein Interpret die zahlreichen historischen Ordnungssysteme auf Grund seines kritischen Hörens nachzuschaffen, dann hat er die Vorbedingung geleistet, um am Ab- stand von diesem Meßbaren das Unmeßbare seiner persönlichen Freiheit erkennen zu lassen, womit noch keineswegs gesagt ist, daß diese persönliche Freiheit für andere erheblich ist. Denn die Möglichkeiten zu scheitern sind unendlich groß. Im Bereich jenes Unmeßbaren entscheidet sich das Schicksal der Kunst. Das Meßbare unterliegt der Wissenschaft. Kritisches Hören besteht nicht so sehr in der Beurteilung des Unmeßbaren, vielmehr in der sauberen Trennung der beiden Regionen. Physik und Metaphysik der Kunst greifen ineinander. Vom Standpunkt des Menschen führt ein Weg zum Ganzen. Niemand darf allerdings glauben, daß er ihn auszuschreiten vermag.

Friedrich NEUMANN: Die Tonverwandtschaften. Phänomen und Problem. Ein Beitrag zur systematischen Musikwissenschaft. Publikationen der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Band 5. 96 Seiten, 83 Notenbeispiele. öS 96,— / DM 16,60. Dieses Buch ist ein Versuch, die Position der Musiktheorie in der Gegenwart neu zu bestimmen. Die Uberzeugung, daß die beste Pädagogik eine solche ist, die Rezeptivität und Produktivität vereint, veranlaßt den Autor, die musikali- schen Phänomene tunlich selbst sprechen zu lassen.

VERLAG ELISABETH LAFITE, WIEN

114 MEDIENKOMPOSITION Paul Kont Postulate einer neuen universalistischen Kunst- und Studienrichtung

Ein neues Fachgebiet künstlerischer Kommunikation soll im folgenden vorgestellt werden. Neu ist es nicht an sich, denn wir sind bereits seit Jahr- zehnten von ihm umgeben; neu aber ist es dennoch für uns, denn so sehr es unser ganzes äußeres und noch mehr unser inneres Leben verändert, so ahnungs- los stehen wir ihm gegenüber, so wenig haben wir das Ungeheure und Un- heimliche des Phänomens bemerkt. Ich meine das Feld der technischen Massen- medien, unser vertrautes Mobiliar seit langem, von dessen Wesen wir gleich- wohl so gut wie nichts wissen. Man wird sagen: die Medien vermitteln Information und Unterhaltung; sie können genau so gut Kunst vermitteln — wo liegt da ein Problem? Das Problem ist, daß es gar keine Kommunikation von Kunst gibt, sondern nur eine von Inhalten; und wenn diese gut ist im Sinne der Ausprägimg und tauglich im Sinne der Weiterwirkung, dann eben ist sie selbst Kunst. So war das seit den Anfängen, als kultische Inhalte vermittelt wurden und aus dem Modellhaften des Vorgangs unversehens der Begriff der Kunst erwuchs. Das aber steht im vollkommenen Gegensatz zu der Rolle, die wir den tech- nischen Medien zuzuweisen geneigt sind: die des bloßen Uberträgers. Stimmt diese Rolle, so heißt das, daß wir etwas falsch machen; machen wir aber etwas falsch, so müssen wir die Sache untersuchen. Wie gelangen wir zu einer solchen Untersuchung; was ist der Stein des An- stoßes? Doch wohl nicht die Klage der Massen, denen diese Medien laut Bezeichnung gewidmet sind, über artifiziellen Mangel. Auch sonst liegen kaum Beschwerden vor. Nein, wir haben kein Motiv zur Untersuchung als unseren Argwohn, den freilich ein näherer Blick auf peinigende Weise bestätigt: denn wir sehen plötzlich den gleichen gedanken- und instinktlosen, spielwütigen Fehlverbrauch am Werk, mit dem wir allen technischen Errungenschaften in diesem Jahrhundert begegnet sind, um uns selbst in die Krise zu bringen — nur daß die Krise, die wir hier zu erwarten haben, sich nicht in desolaten Marktwerten und Vemichtungsziffem, sondern in psychischen Veränderungen ausdrückt und daher unwägbar und also heillos sein wird. Dem aber kann zuvorgekommen werden, wenn zur rechten Zeit stimmige Modelle gebildet werdein. Eines der ersten musikgeeigneten Medien war die Schallplatte. Sie setzte im Grunde die Tradition der alten Spielwerke fort; gemeinsames Merkmal ist die mechanische Reproduktion und, mit einer durch die Ungenauigkeit des Uhr- werks bedingten Unschärfe, die Verabsolutierung des Zeitablaufs. Verschieden jedoch ist die „Programmierung": beim Spielwerk ebenfalls mechanisch, durch konstruktive Anordnung der Tonauslöser, meist Walzenzähne oder Stanzlöcher, bei der Schallplatte dagegen „live", d. h. eine sozusagen aus dem Konzert- leben gegriffene Ausführung wird mechanisch lediglich festgehalten. Der Be- griff der Aufnahme tritt in Erscheinung. Die Aufnahme wird möglich durch eine Aufnahmevorrichtung, das Mikrophon; diese leitet entweder unmittelbar weiter zur Fixierung auf einem Tonträger — was heute allgemein, auch im Fall der Schallplatte oder des Film-Lichttons, zunächst einmal das Magnetton-

115 band ist — oder aber, ebenso unmittelbar, zur Verteilung und Vervielfältigung vermittels Draht oder Funk. Damit sirtd wir 'beim zweiten der großen Medien angelangt, beim Rundfunk. War die Platte, oder allgemein jeder Tonträger, primär durch die Fixierung charakterisiert, so ist es der Rundfunk durch die Übertragung. Daß nun beides gekoppelt werden kann und diese Koppelung — also zunächst Fixierung und später erst Übertragung der ausgearbeiteten Konserve — zumindest im künstlerischen Bereich heute den Normalfall dar- stellt, ist nicht ohne weiteres selbstverständlich; wir begegnen hier zum ersten Mal in unserer Betrachtung der Tatsache, daß die medientechnischen Vor- gänge zur Qualifizierung des künstlerischen Produkts selbst eingesetzt sind. Das ist immerhin ein wenn auch noch wenig spezifischer Ansatz dessen, was ich „Medienkomposition" nenne. Bis hierher haben wir uns mit den beiden rein akustischen Medien beschäftigt, deren besondere Musikeignung nicht eigens hervorgehoben zu werden braucht. Nun werden wir sehen, daß ihnen auf der optischen Seite zwei weitere Medien genau, und zwar mit einer Zeitverschiebung auch historisch, entsprechen. Das erste der beiden, der Film, tritt zunächst, als Stummfilm, rein optisch in Erscheinung. So wie die Schallplatte eine tönende, hält er eine sichtbare „Live"-Aktion fest und fixiert sie zeitabsolut. Auch der Vorläufer (Analogie zum Spielwerk) ist da mit dem Mechanischen Theater. Aber mit dem bewegten Bild, mit dem „Bildgeschehen in der Zeit", ist doch gegenüber der immer schon nur in der Zeit realen Musik etwas ganz Neues eingetreten, das auch sofort ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten auf den Plan ruft. Die Idee der Fertigteil- Bauweise tritt zum ersten Mal, und gleich künstlerisch, auf, indem die „Live"- Aufnahmen zu fixen Elementen erhärtet und diese dann, im Sinne des Mecha- nischen Theaters, „angeordnet" werden. Und noch etwas: Die Kamera hat etwas, was das Mikrophon nicht hatte, nämlich den eingebauten Geschwindigkeits- regulator und somit die Zeitmechanisierung nicht wie bei der Platte erst als Ergebnis der Fixierung, sondern bereits in der Aufnahme selbst. Von Anfang an war also die Zeit voll manipulierbar, und tatsächlich exerzierte der Film mit seinen ersten Schritten bereits neben dem Schnitt den Rücklauf, den Zeitraffer, die Zeitlupe. Der Bildner konnte nun also zum Raum die Zeit mitkomponieren. Vollenden wir die Analogie, gelangen wir zum Femsehen als dem Übertragungs- medium des Optischen. Zu dieser Zeit hatte der Film bereits seinen Ton erhalten, die akustische Übertragung war längst ausgereift und die Tonträger waren meß- und bearbeitbar geworden. So gab es kein „Stumm-Fernsehen", und als schließlich noch, analog dem Magnetton, die Bild-Magnetaufzeich- nung hinzutrat, war das seines Namens „audiovisuelle" Vollmedium geboren, gespeist von Magnetfeldern gleicherweise für Bild und Ton auf einem einzigen Band. Dennoch wird uns, so bedeutsam und neuartig die Möglichkeit eines Bild- geschehens in der Zeit auch war, als Musiker nicht die Zeitfixierung des Optischen an sich interessieren, sondern seine nunmehr rein technologische Zuordnung zu den akustischen Bereichen. Ich habe bisher die Sprache nicht erwähnt, da sie anscheinend nicht wie die Musik einen eigenen Prozeß darstellt, sondern nur, wie etwa beim sprechenden Schauspieler, die klingende Erschei- nung der sichtbaren Handlung ist. Es wäre aber daran zu denken, daß es gar nicht selbstverständlich ist, Darstellung und Sprache gleichzeitig aufzunehmen. Durch die technische Abtrennung eines Tones von seinem Erzeuger ist etwas

116 völlig Neues eingetreten. Umgekehrt bringt die Zusammenfügung ein bis dahin unbekanntes Kriterium: die Synchronität. In der natürlichen Welt kann ja außerhalb der Geschwindigkeitsrelationen von Licht- und Schallwellen, wie sie etwa bei Blitz und Donner sinnfällig werden, nichts und niemand „a-synchron" sein. In der Medienwelt aber gehört das Wort nicht mehr zum Schauspieler, der Ton nicht mehr zum Musiker, das Geräusch nicht mehr zu seiner Ursache; sie alle werden abgesondert, um sich schließlich in den beiden großen Blöcken Bild und Ton, und zwar mitunter wirklich recht feindlich, gegenüberzu- stehen. Aus der vollkommenen Schlichtimg dieser Feindseligkeiten in beson- derer Weise, aus der schließlichen einmaligen Vermählung der beiden Partner resultiert das „audiovisuelle" Werk. Die Bezeichnung Medienkomposition er- hält so die Bedeutung eines überpersönlichen und ganzheiüichen Kunstbe- griffs, in dem die eigentliche musikalische Komposition aufzugehen hat, um gut und richtig zu sein. Mit diesen Vorstellungen einer Medienmusik soll nun anhand unseres schema- tischen, aber durchaus brauchbaren Quadrats aus den beiden rein audiellen Medien Platte und Hörfunk und den beiden audiovisuellen, Film und Fern- sehen, von denen jeweils wieder eines ein Fixierungs-, das andere ein Uber- tragungsmedium ist, untersucht werden, was sich davon zur schöpferischen Mitteilung eignet. Die Platte und jede frühere oder spätere Form des Phonogramms schien von vornherein für die Dokumentation akustischer Ereignisse bestimmt — was sollte daraus an neuer schöpferischer Möglichkeit erwachsen? Nun, gerade die Platte hat die einschneidendste Veränderung in der Komposition seit Beginn der Notenschrift vor rund zweieinhalb Jahrtausenden eingeleitet, auch wenn das bis heute wohl kaum ins allgemeine Bewußtsein gerückt ist. Was ist da so unbemerkt geschehen? Nichts anderes, als daß man zum ersten Mal eine Musik wie ein Bild komponieren konnte, nämlich nicht in abstrakter Zeichenschrift, die in die reale klingende Gestalt erst wieder umgesetzt werden muß, sondern sogleich in dieser selbst. Die schwarzen Musiker in den ameri- kanischen Südstaaten zu Beginn des Jahrhunderts spielten ihre Tanz- und Begräbnismusiken jedesmal ein wenig anders: sie improvisierten. Als aber der vitale Reiz dieser merkwürdigen Heterophonie entdeckt und festgehalten wurde, da war das mit dieser einen Matrize, bei der es dann jeweils blieb, keine Im- provisation mehr, sondern Komposition — „Komposition auf Tonträger", wie wir heute sagen würden, um eine unter Vernachlässigung der Notation defi- nierte Musik zu bezeichnen. Damit ist der Komponist, der sich die Nieder- schrift erspart, weil er sein eigener Interpret ist, nicht zu vergleichen; der entscheidende Punkt liegt in der Zeitfalle des Mediums, in die man arglos gerät oder der man sich mit Bedacht stellt. Welche Steigerung dieser Bedeu- tung, wenn sich nun die Zeitfalle verdoppelt, zu einer akustischen und einer optischen, die dem allgemeinen Maß der Zeit ebenso unterworfen sind wie gegenseitig einander! Den optisch-akustischen Medien uns zuwendend, erleben wir nun aber eine Ent- täuschung. Historisch sehen wir etwa folgendes: Der Film beginnt stumm, was beim Zuschauer eine Art Vakuum-Effekt hervorruft. Zu dessen Überwindung beginnt man im Kinosaal, also außerhalb des Mediums Film, Klavier zu spielen: Melodien, deren allgemein bekannter Text sie als Zitate in Beziehung zu den Vorgängen auf der Leinwand setzt, verbunden durch eindringliches Trillerwerk zur Angst des Opfers vor dem Mörder ebenso wie zum Rauschen

117 der Wipfel des Waldes. Dagegen war nun, aus der Situation des Stumm films gesehen, gar nichts einzuwenden. Selbstverständlich gehörte die Musik nicht zum Film, denn dieser bestand damals nur aus Bild. Dann aber kam der Tonfilm — und überrumpelte die Musik! Es kam gar niemand auf die Idee, daß einem in festen Einheiten gemessenen, aus konservierten Teilstücken zusammengesetzten Laufbild nicht durch die relativen und irrationalen Zeit- werte der herkömmlichen Musik entsprochen werden kann, nicht durch ihre periodischen Formen, nicht durch ihre harmonischen Klischees, und schon gar nicht durch ihren den Vorstellungen der Programmusik entspringenden soge- nannten Ausdruck. Faktisch geschah, daß man die alte Kintoppmusik zwar aus dem Saal in den Film selbst verlegte, aber nichts an ihrem Ansatz änderte, so daß sie sich dort als medienfremdes Element einnisten und fossil werden konnte. Wie vorher im Saal spielte man nun im Studio zum ablaufenden Film und nahm das Ganze auf. Natürlich ging sich die Sache nie so recht aus, da die Takte ja nicht den Kadern, die Perioden nicht den Einstellungen, die Akzente nicht — außer zufälligerweise einmal — den Bewegungen ent- sprachen; der Dirigent mußte also das eine Mal dem Bild nachjagen, das andere Mal es auf einem schönen Tremolo-Akkord ausruhend erwarten. Schließlich kommt, für den Komponisten anscheinend unerwartet, die Sprache dazu; mitten in der Phrase ist die Musik plötzlich ferne, mitten in der Phrase wird sie nach dem letzten Wort ruckartig wieder herbeigeholt. Wenn diese ganze plumpe Handwerksarbeit auch ein wenig verbessert wurde, indem sich der Komponist heute mehr auf Stoppuhr und Metronom als aufs vorbeilaufende Bild verläßt, bleibt doch die negative Grundtatsache bestehen, daß zwei sich gleichermaßen in der Zeit erfüllende Kunstformen auf in jeder Hinsicht wesensfremde Weise zusammengespannt wurden. Desorientierung des künst- lerischen Eindrucks ist die Folge. Das Schlimme aber liegt nicht einmal so sehr in der mangelnden Kongruenz der produktionstechnischen Vorgänge, als in den bis heute nebulosen Vor- stellungen über das Vermögen der Musik, Außermusikalisches zu besagen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen über klanglichen Ausdruck dürften den praktischen Komponisten kaum erreicht haben — was aber nicht einmal zu bedauern ist, da er, um dem Zuhörer in Verbindung mit etwas Literatur eine subjektive Vision zu suggerieren, in dieser Hinsicht selbst vage und subjektiv bleiben muß. Die eigentliche Fatalität nämlich ist, daß jede durch Musik plus Titel oder Beschreibung hervorgerufene Vision in dem Moment kupiert wird, als das konkrete Bild hinzutritt. Nehmen wir als Beispiel Smetanas „Mol- dau". Das ist ein an sich schon sehr schönes Stück Musik, das durch die Wechselwirkung seines Klanges mit der angegebenen Naturvorlage einen be- deutenden zusätzlichen Lyrismus erhält. Jeder Zuhörer, ob er in seinem Leben an der Moldau war oder nicht, wird eine mehr oder weniger deutliche und bewußte Bildvorstellung in sich realisieren. Nun kommt etwa ein Filmer auf die doch so naheliegende Idee, zu dieser Musik einen hübschen Kulturfilm über die wirkliche Moldau zu zeigen — und schon ist beides, Musik wie Film, im Grund zerstört. Es ist einfach nicht mehr Smetanas Moldau, die im Kopfe jedes einzelnen wieder dessen ganz eigene Moldau wird; sondern unter Diktat diese eine und einzige Moldau, die man im Film sieht. Für diesen aber ist umgekehrt die Musik wieder viel zu viel Smetana.

Ein Knäuel von Verwechslungen zeigt sich hier. Natürlich kann man nicht Messer und Gabel komponieren, wie Richard Strauss zu können vorgibt; tut

118 er es dennoch, so ist die Behandlung einer Nichtigkeit mit den opulentesten Klangmitteln eben ein prächtiger Witz. Sehen wir dazu aber die Familie beim Mittagessen leibhaftig auf der Leinwand, so lacht keiner mehr — denn der Witz ist falsch erzählt. Weiters stimmt die Zeitdauer eines Bildgeschehens so gut wie nie mit der Dauer musikalischer Darstellungen, die sich ja nur in der Zeit entwickeln können, überein. Die Bilder von Arnold Böcklin erfaßt man so ziemlich auf einen Blick — jedenfalls in nicht mehr Sekunden, als Max Reger zu ihrer musikalischen Schilderung Minuten braucht. Also müßte man im Film die Bilder jeweils während eines Satzes der „Böcklin-Suite" streng genommen bewegungslos zeigen, womit sich dann wieder Regers Orchesterwogen schlecht vertragen würden. Weder Eisler noch Prokofieff noch Copland noch ein anderer der weltberühm- ten Filmkomponisten haben das von vornherein Unsinnige einer Illustration der Illustration erfaßt, haben die nutzlose, sich selbst aufhebende Tautologie bemerkt, die darin liegt, daß zwei Komponenten einer Kunstform gegenseitig über einander aussagen sollen, was doch jede schon für sich selbst aussagt. Denn eine Kunstform, und nicht deren zwei oder drei, ist die audiovisuelle Produktion mit Bild, Sprache und Musik, bei der die einzelnen Komponenten präzise aus einander bedingt, aber nicht einander ersetzend sind. In diesem Augenblick, in diesem eben musikweltgeschichtlitihen Augenblick, da Ton und Bild auf einem gemeinsamen Ton- und Bildträger fixiert sind, löst sich die Frage des Außermusikalischen, indem sie sich auflöst. Wo Optisches und Akustisches nur mehr die beiden sensuell verschiedenen Erscheinungs- formen ein- und desselben sind, hat sie aufgehört zu existieren. Das klingt utopisch — aber doch nur, weil die Forderung bis jetzt so selten erfüllt worden ist. Stellen wir uns ein fiktives Modell vor. Ein kleiner Film, in dem Striche, Kurven, Flächen von verschiedenen Umrissen, mehr oder weniger bestimmte geometrische Figuren also, in verschiedenen Farben zu sehen sind. Ein ab- straktes Bildspiel. So etwas wird sich schwerlich von einer netten Musik in Dur und Moll „untermalen" lassen. Wir können uns aber vorstellen, daß mit dem Aufscheinen einer optischen Figur die adäquate akustische erscheint. Eine dichte vibrierende Fläche wird ein Cluster sein, ein kurzer gerader Strich ein kurzer gleichbleibender Ton wie ein Morsezeichen usw. Das ist einfach — zu einfach. Aber kaum haben wir den Zuscbauer-Zuhörer erfassen lassen, daß hier eine sensuelle Analogie und geistige Kongruenz vorliegt, können wir auf die Gleichzeitigkeit der optischen und der akustischen Figuren verzichten, und dann wird das ein hübsches Spiel. Allerdings immer noch ein Spiel, und das ist für ein Massenpublikum zu wenig. Immerhin läßt sich so etwas für die Dramaturgie einsetzen, und die meisterlichen Klangpartituren von Fano, die schon keine selbständigen Kompositionen, sondern Musik-Insze- nierungen sind, haben das gezeigt. Uberhaupt hat Frankreich, als wohl einziges Filmland, frühzeitig den richtigen Ansatz einer nicht illustrierenden, sondern geistig entsprechenden Musik gezeigt; ich denke da vor allem an Milhauds Musik für den Film aus dem spanischen Bürgerkrieg „L'Espoir".

Von diesen alten und neuen französischen Beispielen abgesehen, sieht es aber schlecht aus, und im Fernsehen ist sogar diese hoffnungsvolle Entwicklung abgerissen, was besagt, daß gerade dort, wo eine neue Art von musikalischer,

119 ja gesungener Szene möglich schien und hoffentlich noch scheint, keine Modelle mehr aufzutreiben sind. Gibt es nun wirklich keine Modelle? Doch; wir sind sogar von ihnen umgeben: die ganze Musik, die wir heute als avantgardistisch oder progressiv bezeichnen, ist Medienmusik am falschen Ort, Medienmusik ohne Medien. Das gilt zumal, wenn auch nicht nur, für die mit technischem Instrumentarium erzeugte Musik, die ja nicht von vornherein medial ist; ein elektronisches oder allgemein elektroakustisches Medium gibt es ja nicht, sondern nur elektronisches oder elektroakustisches Gerät, das sich dann allerdings besonders zum Einsatz in den eigentlichen, der Kommunika- tion dienenden Medien eignet. Im Jahr 1952 zeigte mir Herbert Eimert in Köln das Klavierstück eines einiger- maßen unbekannten Amerikaners namens John Cage, dem die Taktstriche fehlten — dafür war es mit einer durchlaufenden Sekundenbahn versehen. Es ist naheliegend, daß so etwas m einer zu einem zeitlich exakten Laufbild kom- ponierten Musik höchst nützlich, ja erforderlich sein müßte — statt dessen gibt es in der Film- und Fernsehmusik noch immer die alten Takte, die sich partout nicht mit den optischen Abläufen und ihren unregelmäßigen Akzenten in Einklang bringen lassen. Nach der Zeitfixierung ist wesentlichstes Merkmal der Medienmusik eine pluralistische Harmonik — wenn wir unter Harmonik nun einmal nicht die rationale, aber monistische Harmonik verstehen, sondern ganz allgemein den Zusammenklang. Dann aber bezeichnet gerade der Pluralismus den indifferen- ten, geräuschhaften Klang, ja sogar den genau bestimmbaren, chromatischen Cluster, als am wenigsten geeignet. Das Wesentliche an einer pluralistischen Musik ist, daß sie nicht durch Indif- ferenz ihrer Bestandteile in eins zusammenfällt, eben zu einem einzigen geräuschhaften Gebilde, und dadurch wieder, in einer etwas obskuren Art, monistisch wird. Die einzelnen Charaktere müssen nicht nur erkennbar, son- dern individuell wirksam bleiben. Das aber ist die eigentliche Grundidee der Polyphonie, sobald sie über die frühesten Organa hinausgekommen ist, und das ist heute die ganz große Chance der Filmmischung und Femseheinspie- lung! Was aber geschieht? Das Mischpult mit seinen (in Amerika) mehreren Dutzenden von Eingängen wird zu nichts anderem genützt, als daß an jedem Kanal stumpf brütend einer sitzt, der einmal während des ganzen Durchlaufs seinen Regler aufdreht, um ein läppisches kleines Geräusch herauszulassen. Warum, wenn ich vierund- dreißig Eingänge habe, nicht eine vierunddreißigstimmige, vierunddreißig- schichtige Musik, deren einzelne Schichten wiederum aus strukturierter, in sich charakteristischer Vielfalt 'bestehen? So etwas gibt es, wenn wir etwa in den Kommentaren unserer Avantgarde-Führer von „einander durchdringen- den, verschiedenartigen Strukturen" lesen. Nur wird das dann mühselig mit einer getüftelten Partitur alter Faktur und hernach mit hundert Mann Orchester realisiert, mit dem Ergebnis, daß der Zuhörer von der guten Absicht wenig oder gar nichts merkt. Am Mischpult aber wäre es ein leichtes, die einzelnen Schichten durch Anhebung der Frequenzbereiche klanglich zu trennen und gegeneinander zu charakterisieren. Dazu ist freilich eine sehr präzise Planung seitens des Komponisten nötig, denn wo der Schlag des Dirigenten fehlt, muß die Uhr das „Zusammenbleiben"

120 gewährleisten — und zwar schon vorher, nicht erst im gemeinsamen Ab- spielen. Überhaupt ist Planung und Entwurf das neue Stigma. Kompositionen von Xenakis etwa sehen aus wie Architekturzeichnungen. Töne in graphischer Notation sind Striche, deren Länge in Millimetern meßbar ist; auch die Länge einer bewegten, aber gleichbleibenden Struktur ist meßbar, bis zum Eintritt einer ebenfalls meßbaren Veränderung. Das ist Mechanisierung, die im Konzert- saal eigentlich gar nicht schön ist. In den Medien aber, wo sie nichts als schlichte, sachgemäße Arbeitsweise bedeuten würde, ist sie nicht zu finden. Dabei ist es doch so klar, daß der veränderliche tönende Zustand, der a-perio- dische klangliche Ablauf, das musikalische Ereignis als Story, dem Laufbild einzig gemäß wäre, das ja formale Rekapitulationen der Musik immer nur im Konnex mit dem Bild zuläßt. Da kommen wir nun zu den dramaturgischen Aufgaben der Medienmusik, die äußerst vielfältig sind und von denen ich daher nur ein Beispiel zitiere. In einem Film aus den dreißiger Jahren spielt die Stimme von Martha Eggerth auf einer Schallplatte die Hauptrolle. Eine Gruppe britischer Offiziere, die sich auf einem Schloß in Flandern mit dieser Platte über den Ersten Weltkrieg hinwegtrösten, verabredet ein Zusammentreffen nach dem Krieg in eben diesem Schloß. Einer der Offiziere beginnt später eine Romanze mit der leibhaftigen Trägerin jener Stimme, die schlecht auszugehen droht. Beim bewußten Zu- sammentreffen ist jedenfalls nur die Platte mit der Stimme da. Sie ertönt wie seinerzeit — aber plötzlich mit sich selbst im Duett, Martha Eggerth mal zwei: die Sängerin ist versöhnt und kündigt sich aus dem Nebenzimmer mit einem kleinen „Live"-Kontrapunkt zu ihrer jetzt als Playback fungieren- den Platte an. Das ist, wenn auch in anspruchsloser Weise, bereits ein echter Ansatz zur Medienkomposition, da die technischen Mittel musikalisch-dramaturgisch ein- gesetzt sind. 35 Jahre später komponiert der Oboist Heinz Holliger ein Stück für etliche Oboen, die eigentlich nur eine einzige sind, denn er selbst hat nacheinander alle Stimmen aufgenommen, jeweils eine neue zu der Summe der vorhergehenden fügend. Nur die letzte wird im Saal gespielt — und gerade darin liegt etwas Unorganisches. Die Präformierung, die Zubereitung des Fertigteils ist notwendig und daher legitim in der Medienarbeit; von dort abgelöst, arbeitsunnotwendig und gar noch mit dem lebenden Spieler konfron- tiert, erweist sie sich als deren Simulation. Man kann ruhig mit dem Gedanken spielen, daß die gesamte programmi- stische Haltung in der neueren Musik von Messiaens „Quatre itudes" über die serielle Musik zu den Planspielen der Aleatorik und den Programmen der Computer-Musik eine simulierte Auf galbenerfixllung darstellt, wobei die unbewußte Flucht vor den doch recht beängstigenden Medien ausschlaggebender sein dürfte als die Verführung, faszinierende neue Möglichkeiten lediglich im Kopf durchzuspielen. Für das So-Tun, als ob eine Aufgabe erfüllt würde, ist das im Verhältnis zum notwendigerweise scharfsinnigen Programm bei der Computer-Musik zutiefst unergiebige, recht eigentlich unsinnige, ja anti-sinnige Resultat, wenn man es mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Datenverarbei- tung vergleicht, besonders signifikant. Auf der anderen Seite kann die schrankenlose Freiheit im Gebrauch der medialen Einrichtungen nicht als eine Befreiung vom Druck des Programms

121 verstanden werden. Wenn dem angeblichen neuen Instrument, dem Verstärker mit seinem Regler, gerade die häßlichsten, sonst peinlich vermiedenen Neben- geräusche entlockt werden, wenn die Vorführlautstärke elektronischer oder konkreter Musik auf ein jede Erträglichkeit übersteigendes Maß gebracht wird, dann müssen hier geheimnisvolle und zweifellos gefährliche Gründe vorhegen. Ich kann mich der These nicht erwehren, daß hier unbewußt die Immunisierung gegen die künftige totale Lärmumwelt vorgenommen wird, vor der uns auch kein Energiemangel bewahren wird, denn dieser wird ja stets auf Kosten des Umweltschutzes und damit vor allem des ohnedies nicht für sonderlich dringlich angesehenen Klangumweltschutzes umgangen werden. Solche Immunisierung kann aber tatsächlich nur durch gehörsphysiologische Rückbildung erreicht werden. Uns interessiert daran aber einmal mehr die Abspaltung vom Mediensinn. Echte Freiheit und damit echter Fortschritt ist es, daß dem einzelnen Hörer und Seher Lautstärke und Klang- bzw. Bildschärfe in die Hand gegeben sind, und daß er sie mit einer winzigen Handbewegung beenden kann. Im Konzert- saal aber ist er, wenn er nicht durch Verlassen des Saals auffallen will, der Pein rettungslos ausgeliefert. Da allerdings könnte man meinen, daß nicht so sehr die Medien als der Terror unserer Zeit simuliert wird. Ich erwähne noch das sogenannte Szenische Konzert („Das Audiovisuelle findet im Saale statt"), streife knapp die Möglichkeiten der elektronischen Frequenzselektion im Klang wie im Bild, wodurch sich die Idee einer Art Negativ-Komposition durch Herausnehmen von Klangfeldem, etwa dem Holz- schnitt vergleichbar, abzeichnet, die wieder im Konzertsaal simuliert wird, so in Cerhas „Spiegel II", und kann schließlich nicht mehr eingehen auf das Allerlei der musikalischen Collage, die ein zweckfreies Abbild der den Fixie- rungsmedien wesenseigenen, dort aber wenig geübten Montage darstellt. Heißt das nun, daß wir Medienkomposition nur anhand negativer Beispiele lehren können? Fast scheint es so. Aber wir müssen die Sache von der ent- gegengesetzten Seite her betrachten. Nicht die abbauende und in die Irre gegangene neue Musik ist modellhaft für die Medienkomposition, sondern diese gibt umgekehrt mit ihren konstruktiven Postulaten der neuen Musik die richtige Richtung an. So zeigt sich Medienkomposition als das pure Gegenteil einer Art Handfertigkeitsunterricht in angewandter Musik, nämlich als objek- tive Grundlage einer heutigen kompositionsmethodologischen Gesamtlehre. Jedenfalls wird sich jede Lehre in der Wirklichkeit der Medien abspielen müssen. Sie wird zunächst einmal automatisch die Bremse gegen den Trieb unseres gegenüber der Technik kindhaften Zustands einlegen, alles nur als lustiges Spielzeug anzusehen, welches dann das Publikum als ebenso lustig anzusehen hat. Wie aber soll man einem Publikum beikommen, das ganz und gar unspezifisch ist, das man nicht kennt, dessen nur mittelbare Reaktionen irreführend sind? Jedenfalls nicht nach den unbewährten Rezepten „Konzession an den Publi- kumsgeschmack" oder gar „Kunst dem Volke". Wir müssen vor allem den Qualitätsbegriff von der alten Kunstvorstellung ablösen. Gut ist in den Medien, was eine kommunikative Aufgabe gut löst. Das heißt: erstens Perfektion der Form durch lückenlose Funktionalisierung der Mittel; zweitens Humanisierung der Technik über die große Brücke der Übertragung hinweg zur Erzielung eines zwar mittelbaren, eben medialen, aber voll wirksamen Kontakts.

122 Eine ganz besondere Schwierigkeit fili die Popularisierung emster Musik durch die Medien besteht darin, daß die Musik zum vollen Erkennen ihrer Gestalten ihres Wtedererkennens, also ihres wiederholten Hörens bedarf. Diesem Bedürf- nis ist die schlagartige Ausstreuung unter ein Riesenpublikum von verschieden- artigster Auffassungsfähigkeit natürlich feind. Die Ubertragungsmedien und davon besonders das die Augen kaptivierende Fernsehen brauchen deshalb Musikformen, die der Rekapitulation nicht bedürfen, sondern mit jedem neuen Moment kontinuierlich auffaßbar sind. Das bedeutet also: fließende Vorgänge, augenblickliche Ereignisse, veränderliche oder statische Zustände. Die in der Konzertmusik illegitime A-Thematik — illegitim deshalb, weil sie den erst mit der Behandlung eines Themas entstehenden Sinn eines Musikstücks ver- sagt, also sinn-los ist — wird in der Medienmusik das Normale, ja Gebotene sein. Architektonische Formen nach Art von Fuge und Sonate, deren Archi- tektur durch thematische Rückerinnerung im Kopf des Hörers nachvollzogen wird, werden durch die Medien kaum begünstigt werden, es sei denn durch eine kommende Mediendidaktik — ein weiterer ungeheurer Komplex. Hingegen wird die Wiederholung viele Möglichkeiten haben, aber sicherlich nur in ihrer mechanischen Form. So wuchert die sogenannte Signation bereits üppig; ich denke aber an intimere Verbindungen mit der Zeitbewegung, wo durch gleichmäßig fortlaufende Wiederholung der Eindruck des Stillstands entsteht. Aus solcher Vorausahnung dürfte eine wesentliche Stilkomponente der neuen Musik entstanden sein: die Mobiliar- und Praktikabel-Musik, zu der sich Erik Satie von dem als Zwischenspiel eines Balletts unter Rene Clair gedrehten Stummfilm „Entr'acte" offenbar aus rein praktischen Gründen angeregt fühlte. Diese Musik aber, bei der man die einzelnen Takte nach Bedarf wiederholen kann, war für Orchester geschrieben und nicht etwa für Orchestrion — d.h. das „Mechanische" drückte sich nicht in der Ausführung, sondern im Wesen der Musik selbst aus. Genau das aber wird meiner Uberzeugung nach auch für die weitere Entwicklung den Ausschlag geben. Nicht das technische Gerät macht die Medienmusik aus, sondern die durch die Technik neu gestellte Aufgabe der Gestaltung. Generator und Syntheziser, ihrerseits aus den Medien hervorgegangen, sind diesen wieder funktionsbedingt, d. h. zur Erfüllung über- geordneter Aufgaben, zuzuführen. Das herkömmliche Instrumentarium mit der menschlichen Stimme wird bestimmt weiterhin die Basis bilden, doch ist das letztmögliche Maß tontechnischen Ausformens, oder wenn man will: Aus- komponierens, zweifellos nicht mit den derzeitigen Einrichtungen abgesteckt und daher nicht abzusehen. Medienkomposition erschließt sich so aus Eigenem, wenn wir uns nur vom alten Kunstbegriff frei machen und die ganze Medienarbeit meinen, auch wo sie nur bloße Information zu sein scheint. Lassen wir also die Kinder entstehen und wachsen.

NEUE LITERATUR ZUR HARMONIKALEN FORSCHUNG Ursula Haase: Der Briefwechsel Hans Kaysers 72 Seiten, öS 69.— Rudolf Haase: Paul Hindemiths harmonikale Quellen — sein Briefwechsel mit Hans Kayser . 52 Seiten, 8 Abb., öS 69.— (Reihe „Beiträge zur haimondkalen Grundlagenforschung", Hefte 4 und 5) VERLAG ELISABETH LAFITE, WIEN

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