Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 18/20 18. Wahlperiode 13-02-21

Plenarprotokoll

20. Sitzung

Donnerstag, 21. Februar 2013

Novellierung des FAG...... 1452, Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes für Bürgerbeteiligung und Bericht der Landesregierung vereinfachte Bürgerbegehren und Drucksache 18/477 Bürgerentscheide in Schleswig- Andreas Breitner, Innenminister.... 1452, Holsteins Gemeinden und Kreisen.. 1467, Johannes Callsen [CDU]...... 1454, Gesetzentwurf der Fraktionen von Beate Raudies [SPD]...... 1456, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE und der Abgeordneten des SSW GRÜNEN]...... 1458, Drucksache 18/310 [FDP]...... 1459, Torge Schmidt [PIRATEN]...... 1460, Bericht und Beschlussempfehlung Lars Harms [SSW]...... 1462, 1466, des Innen- und Rechtsausschusses Petra Nicolaisen [CDU]...... 1463, Drucksache 18/501 Rainer Wiegard [CDU]...... 1464, Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 1465, Änderungsantrag der Fraktion der FDP Beschluss: Überweisung an den In- Drucksache 18/544 nen- und Rechtsausschuss zur ab- schließenden Beratung...... 1467, 1450 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Barbara Ostmeier [CDU], Bericht- Gesetzentwurf der Fraktionen von erstatterin...... 1467, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Petra Nicolaisen [CDU]...... 1467, und der Abgeordneten des SSW Dr. Kai Dolgner [SPD]...... 1468, 1478, Drucksache 18/200 Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 1470, Bericht und Beschlussempfehlung Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 1471, 1480, des Bildungsausschusses Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]..... 1472, Drucksache 18/475 Lars Harms [SSW]...... 1474, Änderungsantrag der Fraktionen von Barbara Ostmeier [CDU]...... 1475, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Andreas Breitner, Innenminister.... 1481, und der Abgeordneten des SSW Beschluss: 1. Ablehnung des Ände- Drucksache 18/543 rungsantrags Drucksache 18/544 Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ 2. Verabschiedung des DIE GRÜNEN], Berichterstat- Gesetzentwurfs Drucksache 18/ terin...... 1494, 310 in der Fassung der Drucksa- Heike Franzen [CDU]...... 1494, 1515, che 18/501...... 1482, Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 1497, Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ Demenzplan für Schleswig-Hol- DIE GRÜNEN]...... 1501, stein erstellen und umsetzen...... 1482, Anita Klahn [FDP]...... 1504, Sven Krumbeck [PIRATEN]...... 1507, Antrag der Fraktionen von SPD, Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 1510, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Martin Habersaat [SPD]...... 1512, der Abgeordneten des SSW Hauke Göttsch [CDU]...... 1517, Drucksache 18/491 Wolfgang Kubicki [FDP]...... 1517, Versorgung von Demenzerkrank- Dr. Waltraud Wende, Ministerin ten als Teil einer regional organi- für Bildung und Wissenschaft.. 1518, sierten sozialräumlichen Pflegein- Beschluss: 1. Annahme des Ände- frastruktur...... 1482, rungsantrags Drucksache 18/543 Änderungsantrag der Fraktionen von 2. Verabschiedung des CDU und FDP Gesetzentwurfs Drucksache 18/ Drucksache 18/552 200 in der Fassung der Drucksa- che 18/475 einschließlich des Än- Flemming Meyer [SSW]...... 1482, derungsantrags Drucksache 18/ Bernd Heinemann [SPD]...... 1483, 1490, 543...... 1519, Katja Rathje-Hoffmann [CDU]..... 1485, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS Aktionsplan Politische Jugendbil- 90/DIE GRÜNEN]...... 1486, dung...... 1519, Anita Klahn [FDP]...... 1487, Wolfgang Dudda [PIRATEN]...... 1488, Antrag der Fraktion der PIRATEN Kristin Alheit, Ministerin für So- Drucksache 15/510 ziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung...... 1490, Sven Krumbeck [PIRATEN]...... 1519, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 1492, Hans Hinrich Neve [CDU]...... 1521, Serpil Midyatli [SPD]...... 1522, Beschluss: 1. Ablehnung des Ände- Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE rungsantrags Drucksache 18/552 GRÜNEN]...... 1523, 2. Annahme des Antrags Christopher Vogt [FDP]...... 1524, 1527, Drucksache 18/491...... 1493, Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 1526, Simone Lange [SPD]...... 1527, Zweite Lesung des Entwurfs eines Kristin Alheit, Ministerin für So- Gesetzes zur Änderung des Schul- ziales, Gesundheit, Familie gesetzes...... 1494, und Gleichstellung...... 1528, Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1451

Beschluss: Überweisung an den Bil- Beschluss: Antrag Drucksache 18/ dungsausschuss und an den Sozi- 542 sowie der Tagesordnungs- alausschuss...... 1529, punkt insgesamt mit der Bericht- erstattung der Landesregierung er- Familienpolitische Leistungen re- ledigt...... 1544, formieren!...... 1529, Familienpolitische Leistungen re- Antrag der Fraktionen von SPD, formieren!...... 1544, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Antrag der Fraktionen von SPD, Drucksache 18/495 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Ergebnisse der Gesamtevaluation Drucksache 18/495 der ehe- und familienpolitischen Leistungen zur Entwicklung von Ergebnisse der Gesamtevaluation politischen Handlungsempfehlun- der ehe- und familienpolitischen gen nutzen!...... 1530, Leistungen zur Entwicklung von politischen Handlungsempfehlun- Änderungsantrag der Fraktion der gen nutzen!...... 1545, CDU Drucksache 18/551 Änderungsantrag der Fraktion der CDU Beschluss: Überweisung des Antrags Drucksache 18/551 Drucksache 18/495 an den Sozial- ausschuss...... 1530, Beschluss: Überweisung des Ände- rungsantrags Drucksache 18/551 Mehr Leichte Sprache in Schles- an den Sozialausschuss...... 1545, wig-Holstein...... 1530, Tätigkeit des Petitionsausschusses Antrag der Fraktion der PIRATEN in der Zeit vom 1. Oktober 2012 bis Drucksache 18/496 31. Dezember 2012...... 1545, Beschluss: Überweisung an den Sozi- Bericht des Petitionsausschusses alausschuss...... 1530, Drucksache 18/485

Bericht der Landesregierung zu Uli König [PIRATEN], Berichter- den Bedingungen des Deutschen statter...... 1545, Sparkassen- und Giroverbandes Beschluss: Kenntnisnahme des Be- für eine Stützung der Sparkassen richts Drucksache 18/485 und Be- in Schleswig-Holstein...... 1530, stätigung der Erledigung der Peti- Antrag der Fraktion der CDU tionen...... 1546, Drucksache 18/542 Andreas Breitner, Innenminister.... 1530, Tobias Koch [CDU]...... 1531, 1544, Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 1533, 1541, 1542, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 1535, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 1537, Torge Schmidt [PIRATEN]...... 1538, Lars Harms [SSW]...... 1539, 1452 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Beginn: 10:03 Uhr

**** Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Regierungsbank: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und begrüße Sie herzlich im Sitzungssaal des Land- Torsten Albig, Ministerpräsident tags. Ich möchte, wie gestern, mit einem fröhlichen Ereignis beginnen. Die Kollegin Heike Franzen hat Dr. Robert Habeck, Minister für Energiewen- heute Geburtstag. Ich gratuliere Ihnen, sicherlich de, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume zusammen mit Ihnen allen, ganz herzlich. Herzli- und Erster Stellvertreter des Ministerpräsidenten chen Glückwunsch!

Anke Spoorendonk, Ministerin für Justiz, Kul- (Beifall) tur und Europa und Zweite Stellvertreterin des Ich füge hinzu, dass wir Ihnen und uns wünschen, Ministerpräsidenten dass wir Ihren Geburtstag fröhlich und freundlich miteinander begehen. Dr. Waltraud Wende, Ministerin für Bildung (Heiterkeit) und Wissenschaft Darüber hinaus teile ich Ihnen mit, dass der Kollege Andreas Breitner, Innenminister Dr. Andreas Tietze von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beurlaubt ist. Monika Heinold, Finanzministerin Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und gebe Ihnen bekannt, dass nach Verständigung Reinhard Meyer, Minister für Wirtschaft, Ar- zwischen den Fraktionen der Tagesordnungspunkt beit, Verkehr und Technologie 32 A, Bericht der Landesregierung über eine Stüt- zung der Sparkassen in Schleswig-Holstein, heute Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- Nachmittag nach den Punkten 4 und 25 aufgerufen heit, Familie und Gleichstellung wird. Ich bitte Sie, auf der Tribüne gemeinsam mit mir **** die Schülerinnen und Schüler des Marion-Dönhoff- Gymnasiums, Mölln, zu begrüßen. - Herzlich will- kommen hier im Landeshaus in Kiel! (Beifall) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 40 auf:

Novellierung des FAG Bericht der Landesregierung Drucksache 18/477 Ich erteile Herrn Innenminister Andreas Breitner das Wort.

Andreas Breitner, Innenminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in Schleswig-Holstein insgesamt über 1.100 Kommunen. Das sind über 1.100 Gründe dafür, einen gerechten und gut funktionierenden Finanz- ausgleich zu organisieren. Änderungen in der Vergangenheit hatten dieses Ziel nicht immer vor Augen. Oft waren sie Stück- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1453

(Minister Andreas Breitner) werk und das Ergebnis verschiedener Einzelinteres- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen. Ein übergeordneter Leitfaden fehlte bisher. NEN) Deswegen freue ich mich, dass diese Koalition den Seit August 2012 gibt es regelmäßige Treffen des Mut hat, das Finanzausgleichsgesetz endlich Innenministeriums und der vier kommunalen Lan- grundlegend zu reformieren. desverbände auf Arbeitsebene. Bis Ende April wird (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- jede einzelne Stellschraube des Finanzausgleichs NEN) detailliert untersucht. Zahlreiche Analysen über die Kreisumlagen, die einzelnen Ausgleichsparameter Der kommunale Finanzausgleich von heute unter- oder eine mögliche Verstetigung der Finanzaus- scheidet sich in seinen Grundzügen wenig von dem gleichsmasse werden erstellt und gemeinsam disku- kommunalen Finanzausgleich aus den 70er-Jahren. tiert. Seither hat sich jedoch einiges geändert. Denken Sie nur an den demografischen Wandel oder an die Diese Ausarbeitungen sind sehr detailliert und not- Wiedervereinigung. Nach wie vor erhält beispiels- wendig. Am Ende des Prozesses, also ab Mai, müs- weise der Kreis Herzogtum Lauenburg eine Zulage sen mögliche Änderungen und deren Auswirkun- wegen seiner Zonenrandlage. gen zusammengeführt und in der Gesamtwirkung betrachtet werden. Erst danach kann ein Gesetzent- (Beifall Peter Eichstädt [SPD]) wurf erarbeitet werden. Vorher sind inhaltliche 20 Jahre nach der Deutschen Einheit ist dies zumin- Aussagen dazu nicht nur nicht möglich, sondern sie dest auffällig. sind auch völlig sinnlos. (Beifall SPD, FDP und SSW) (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man lange genug forscht, findet man etwas NEN) versteckt sogar Festbeträge, die auf Schülerbeförde- Unser Zeitplan ist mit der kommunalen Familie ab- rungskosten aus dem Jahr 1982 zurückgehen. gestimmt und erarbeitet worden. Ihre Forderung, Ein Finanzausgleich, der solche Elemente enthält, Eckpunkte vor der Kommunalwahl zu präsentieren, hat keine Zukunft, sondern muss dringend refor- wäre geeignet, unsere Partner zu brüskieren, und miert werden. zerstört Vertrauen. (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der intensive Dialog ist von den kommunalen NEN) Landesverbänden unisono gelobt worden. Seine vorläufigen Ergebnisse wurden im Beirat zum kom- Natürlich wird eine derartige Reform aufwendig munalen Finanzausgleich noch einmal auf politi- und konfliktträchtig sein. Deswegen sind für mich scher Ebene erörtert. Das zeigt deutlich - ich möch- drei Maßgaben bedeutsam: Erstens. Der gesamte te das bei dieser Gelegenheit ausdrücklich beto- Reformprozess erfolgt im intensiven Dialog mit nen -: Dieser enge Dialog und die detaillierte Her- den kommunalen Landesverbänden. angehensweise an den kommunalen Finanzaus- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleich sind einmalig in Schleswig-Holstein. NEN) (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweitens. Wir nehmen uns für das Vorhaben aus- NEN) reichend Zeit. Drittens. Die Reform erfolgt ohne Das zeigt, dass wir es ernst meinen mit der Zusam- Vorfestlegung zugunsten einzelner Kommunalgrup- menarbeit, und das nicht nur nach dem Motto: pen, auch wenn dies bereits zu Beginn der Gesprä- „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“, sondern che öffentlich bezweifelt wurde. mit dem festen Willen, gemeinsam konkrete Ergeb- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisse zu vereinbaren. NEN) Auch der Zeitplan ist eine Besonderheit. Zwischen Um es nun noch einmal deutlich zu sagen, Herr dem Staatsschutz für die Reform und dem geplan- Callsen: Es wird mit dieser Landesregierung keine ten Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichsge- Gebietsreform auf Kreis- oder Gemeindeebene ge- setzes zum 1. Januar 2015 liegen fast zweieinhalb ben, nicht von oben herab und auch nicht mittelbar Jahre. Das ist ein Zeitrahmen, der der Komplexität von hinten durchs Knie geschossen über den kom- und der Bedeutung des Vorhabens angemessen ist munalen Finanzausgleich. und zugleich ausreichend sein sollte. 1454 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Minister Andreas Breitner)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein her- aus dem gemeinsamen Topf erhalten, werden sie ausragender Bestandteil der Reform des kommuna- zukünftig eben mehr bekommen. So einfach ist das. len Finanzausgleichs wird die Neuverteilung der Es geht bei der Reform darum, Kommunen, die reinen Schlüsselmasse sein, also der 960 Millio- quasi als Dienstleister für eine ganze Region Auf- nen €, die über Schlüsselzuweisungen verteilt wer- gaben wie Kita oder Schule übernehmen, die not- den. Wie viel von den knapp 960 Millionen € erhal- wendige finanzielle Ausstattung zu gewährleisten. ten zukünftig die Gemeinden, wie viel die Kreise Das sind eben nicht nur Städte wie Kiel, Lübeck und die kreisfreien Städte, und wie viel erhalten die oder . Auch Kommunen wie Kropp oder zentralen Orte? Die Finanzsituation der Kommunen Süderbrarup, lieber Kollege Callsen, oder Wacken, hat sich in den letzten Jahren sehr unterschiedlich lieber Hans-Jörn Arp, sind Beispiele für Dienstlei- entwickelt. Wir haben einige Kommunen mit vielen sterkommunen. Sie müssen aufgrund ihrer Versor- Aufgaben und hohen Defiziten, und wir haben viele gungsfunktion und der Aufgaben, die sie schultern, tendenziell eher kleine Kommunen mit wenigen finanziell bessergestellt werden. Wir geben die Flä- Aufgaben, die sogar über einen ausgeglichenen chen nicht auf, sondern wir konzentrieren uns in der Haushalt und Rücklagen verfügen. Ich halte nichts Fläche. davon, vor diesem Sachverhalt die Augen zu ver- schließen. Und ich akzeptiere auch nicht die verein- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht bei fachende Begründung, einige Kommunen könnten der Reform auch nicht um die Bilanz für jede ein- eben besser mit Geld umgehen. Nein, das ist kein zelne Gemeinde. Eine Aufteilung in Gewinner und Naturgesetz, sondern systematisch angelegt. Verlierer wäre eine Beurteilung aus einer sehr ein- seitigen buchhalterischen Sicht und damit auch eine (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Debatte von gestern. NEN) Ich bin Innenminister aller Schleswig-Holsteinerin- Um es klar zu sagen: Für mich sind Änderungen nen und Schleswig-Holsteiner, egal, ob sie in der unverzichtbar. Ich habe mich daher dafür entschie- Stadt oder auf dem Land, ob sie im Hamburger den, diese Änderungen aktiv anzugehen und dazu Rand oder im nördlichen Landesteil wohnen. Dort, zunächst den Sachverhalt gründlich und ergebnisof- wo Menschen Leistungen in Anspruch nehmen und fen zu untersuchen. wo etwas für sie getan wird, sollen die Kommunen Der Innenminister wird also nicht die neue Vertei- genügend Mittel für ihre Aufgaben zur Verfügung lung der Schlüsselmasse Pi mal Daumen festlegen haben. Nur dann ist unser Finanzsystem so, wie es oder seine Mitarbeiter bestimmte Werte errechnen sein muss: effizient, transparent und gerecht. - Vie- lassen. Nein, bei diesem entscheidenden Punkt der len Dank. Reform des kommunalen Finanzausgleichs werden (Anhaltender Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ wir uns externen Sachverstands bedienen und einen DIE GRÜNEN und SSW) neutralen Gutachter zu Rate ziehen. Dieser Gut- achter wird sich nach Auftragsvergabe vier Monate lang mit der Frage beschäftigen, wie die vorhande- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: nen Mittel sachgerecht auf die einzelnen Kommu- Vielen Dank, Herr Minister. - Ich eröffne die Aus- nalgruppen aufgeteilt werden sollen. Sachgerecht sprache und teile Ihnen zunächst mit, dass der heißt aber nicht - auch das betone ich hier im Ge- Minister die vereinbarte Redezeit um 3 Minuten gensatz zu vielen vorlauten Stimmen ausdrück- überzogen hat, die Ihnen selbstverständlich jetzt lich -, dass zukünftig mehr Geld bekommt, wer hö- auch zur Verfügung stehen. here Defizite hat. Es geht ausschließlich um den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ausgabebedarf. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- Das heißt, wer mehr Aufgaben erfüllt, muss auch gen Johannes Callsen von der CDU-Fraktion das mehr Geld bekommen. Wort. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Johannes Callsen [CDU]: und SSW) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Haben bestimmte Kommunen viele Aufgaben, sol- Innenminister! Ich danke Ihnen und Ihrem Hause len sie auch heute schon höhere Zuweisungen als für den vorgelegten Bericht, den die CDU beantragt andere Kommunen erhalten. Wenn der Gutachter hatte und über den wir hier abgestimmt haben. Der zu dem Ergebnis kommt, dass Kommunen mit vie- Bericht liegt vor, aber ich muss feststellen, er ist len Aufgaben derzeit systematisch zu wenig Mittel weitgehend frei von handfesten Inhalten, und doch Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1455

(Johannes Callsen) entlarvt er in der Tendenz, welche Ziele diese Ko- delns. Auch in Ihrem Bericht sprechen Sie - Sie ha- alition in Wirklichkeit verfolgt. Eigentlich hätte ben es eben noch einmal gesagt - von einem Dialog schon ein Blick in Ihren Koalitionsvertrag gereicht. mit der kommunalen Familie. Gleichzeitig machen Dort nämlich sprechen Sie von Gemeinden mit Ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit jedoch deut- mindestens 8.000 Einwohnern und fügen hinzu - lich, dass die Richtung der Regierung in diesem ich zitiere -: Punkt bereits feststeht. „Um Gemeinden den Weg hin zu einer über- Es ist nicht das erste Mal, dass wir von einem Dia- schaubaren gemeindlichen Struktur zu ebnen, log reden, der tatsächlich ein Monolog ist und bei werden wir das Finanzausgleichsgesetz än- dem Ihr Ziel am Ende schon feststeht. dern.“ (Beifall CDU) Es geht Ihnen, auch wenn Sie es noch so oft anders Es ist kein Zufall, dass der vorgelegte Bericht zu behaupten, erklärtermaßen gar nicht um Finanzge- den geplanten Eckpunkten einer Reform keine klare rechtigkeit, sondern es geht Ihnen um das Ziel ei- inhaltliche Aussage, sondern allenfalls akademische ner Gebietsreform. Leerformeln enthält. Denn das, was die Landesre- (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) gierung tatsächlich plant, ist eine Austrocknung der gemeindlichen Struktur in der Fläche. Diese Wahr- Das ist die Wahrheit, die Sie hier nicht mehr aus- heit soll offenbar nicht vor der Kommunalwahl of- sprechen wollen. Deshalb werden wir es den Men- fenbart werden, damit es nicht zu einem Aufschrei schen sagen. des Entsetzens in der Fläche kommt. Dieser Bericht offenbart einerseits den Versuch der Landesregierung, ihre Absichten in Bezug auf die Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Finanzierung von Gemeinden zu verschleiern. Sie nennen keine konkreten Ziele und Eckpunkte. Da- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbe- mit lassen Sie tausende Kandidatinnen und Kandi- merkung des Abgeordneten Dr. Dolgner? daten, die zur Kommunalwahl antreten, über die fi- nanzielle und auch die strukturelle Zukunft ihrer Johannes Callsen [CDU]: Gemeinden im Nebel. Aber auch das ist eine Strate- Gern. gie dieser Küstennebelkoalition. (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Der Bericht offenbart andererseits auch, wenn man Herr Dr. Dolgner, bitte. ihn im Zusammenhang mit Ihren Äußerungen liest, Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Call- (Lachen SPD) sen, wir haben übrigens auch das Grillen von die ideologische Verbissenheit, mit der versucht Robbenbabys nicht im Koalitionsvertrag aus- werden soll, funktionierende dörfliche Strukturen geschlossen. Gestehen Sie zu, dass wir das zugunsten eines kommunalen Zentralismus zu op- trotzdem nicht vorhaben? fern. Als ein Ziel des kommunalen Finanzaus- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Woher sollten gleichs sieht es die Landesregierung an - ich zitie- wir wissen, was Sie vorhaben?) re - Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Zwi- ,,durch Steuerung der Finanzverteilung Grö- schenbemerkung. ßeneffekte zu nutzen … oder raumordneri- (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP] - Heiterkeit sche Ziele zu verfolgen …“. - Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn man diese Zielvorstellung mit der Aussage und SSW) des Ministers verknüpft, es gehe nicht um eine Bi- - Herr Kollege Kubicki, da warte ich auf Ih- lanz für jede einzelne Gemeinde, sondern um die ren Antrag. Das würde sich in einer Reihe Region, dann wird ganz deutlich, dass der kommu- von anderen Anträgen auch einreihen. Als nale Finanzausgleich für eine kommunale Ge- Vegetarier finde ich das interessant. bietsreform durch die Hintertür genutzt werden soll. Herr Kollege Callsen, weil Sie damit nicht aufhören wollen, biete ich Ihnen eine Wette Dieses Vorgehen der Landesregierung passt dabei im Übrigen in das bisherige Schema ihres Han- 1456 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

an. Da können Sie einschlagen. Ich wette mit Der ländliche Raum hat nicht nur Sonderaufgaben Ihnen um sechs Flaschen Wein. wie etwa den Breitbandausbau, denn im Vergleich zu den Städten gibt es im ländlichen Raum keinen (Zuruf CDU: Alkoholfrei! Das ist Glücks- großen Investor, der dort eine wirtschaftliche Lö- spiel! Das ist verboten! - Beifall CDU und sung darstellen kann. Herr Minister, das gilt übri- FDP) gens auch für diejenigen Gemeinden, die keine ei- - Kein Problem. Es ist nicht verboten, Herr gene Schule, keinen eigenen Kindergarten oder kei- Kollege Kubicki. Das haben Sie auch schon ne eigene Bücherei haben. Sie tragen schon heute gemacht. Sie können in solchen Dingen ja solidarisch im Verbund mit den Nachbargemeinden Vorbild sein. Ich wette mit Ihnen um sechs und gemeinsam mit den zentralen Orten diese ge- Flaschen Wein, dass wir bis zum Ende der meinsamen Kosten, und zwar über Amtsumlagen Legislaturperiode keine gesetzliche Gemein- oder Zweckverbände. degebietsreform haben. Da müssten Sie jetzt All dies blenden Sie aus, weil Sie eine Gemeinde- einschlagen, denn Sie kennen das Ziel offen- gebietsreform durch faktischen Zwang über die Fi- sichtlich schon. Schlagen Sie ein? nanzmittel erreichen wollen. Damit gefährden Sie die Vielfalt in unserem Land. Damit spielen Sie Johannes Callsen [CDU]: Stadt und Land gegeneinander aus. Als Schleswig- Ich habe Ihren Koalitionsvertrag gelesen, ich habe Holsteiner sage ich Ihnen: Wir brauchen große ihn hier zitiert, und er lässt in der Zielrichtung kei- Städte, wir brauchen kleine Gemeinden, wir brau- ne andere politische Bewertung zu als die, die ich chen unsere vielfältigen gewachsenen Strukturen. - hier vorgenommen habe. - Herzlichen Dank. Herzlichen Dank. (Beifall CDU) (Beifall CDU) Meine Damen und Herren, Sie, diese Koalition, ha- ben doch jetzt schon ganz bewusst einen Keil in die Vizepräsidentin Marlies Fritzen: kommunale Familie getrieben. Der Innenminister Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter reist von Stadt zu Stadt und verspricht, dass dort Beate Raudies das Wort. überall mehr Geld ankommt. Gleichzeitig aber leh- (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Erklär denen das nen Sie Vorfestlegungen ab und verweigern die mal!) Nennung von Eckpunkten. Das ist schlicht unred- lich. Beate Raudies [SPD]: Sie blenden dabei völlig aus, dass die CDU-geführ- te Landesregierung bereits millionenschwere Kon- - I will do my very best. solidierungshilfen gerade für die großen Städte (Zuruf von der CDU) auf den Weg gebracht hatte. Wir haben bei den Schulträgerschaften den Vollkostenausgleich einge- - Das wird reichen, keine Sorge. - Frau Präsidentin! führt. Im Übrigen sorgt der Bund mit der Übernah- Meine Damen und Herren! Uns liegt der Bericht me der Grundsicherung im Alter für gewaltige Ent- des Innenministers zur Novellierung des FAG vor. lastungen im Sozialbereich. Wenn Sie den Zentren Der Minister hat in diesem Bericht ausführlich die heute mehr Geld versprechen, dann müssen Sie Ausgangsposition für die Reform sowie die Ziele, sehr genau sagen, wo es herkommen soll. den Zeitplan und den Prozess erläutert. Dafür be- danke ich mich. Der Ministerpräsident redet davon, dass derjenige, der mehr Aufgaben erfüllt, auch mehr Geld bekom- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men müsse. Er weiß offenbar nicht, dass sich schon und SSW) heute die Einstufung im zentralörtlichen System an Ich stimme dem Minister zu: Es wird Zeit, darüber den übergemeindlichen Aufgaben der Gemeinden zu reden, wie und mit welchen Mitteln das Land die orientiert und dass sich danach auch die Verteilung Kommunen versorgt, damit diese ihre Selbstver- von Zentralitätsmitteln richtet. Das Schlimmste waltungsaufgaben erfüllen können. aber ist: Sie tun so, als ob die kleinen Gemeinden keine Aufgaben hätten. Sie zeigen damit, dass Sie Auch die kommunalen Landesverbände haben im- keine Ahnung von unserer vielfältigen Gemeinde- mer wieder auf die Verantwortung des Landes hin- struktur in Schleswig-Holstein haben. gewiesen, die Kommunen finanziell auskömmlich auszustatten. Natürlich ist der kommunale Finanz- (Beifall CDU) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1457

(Beate Raudies) ausgleich nicht alles. So hat diese Regierung erst- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN malig die Verantwortung des Landes für die Kosten und SSW) der U3-Betreuung anerkannt und beteiligt sich in Es gibt keine Vorfestlegungen und schon gar keine diesem Jahr mit 15 Millionen € daran. Ergebnisse, denn der Prozess läuft ja noch. Am En- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN de wird ein Kompromiss stehen, der in den Gesetz- und SSW) entwurf der Landesregierung einfließt. Dieser kann dann im Herbst dieses Jahres bewertet werden. Jetzt Nach Schätzungen werden sich diese zusätzlichen schon über mögliche Gewinner und Verlierer zu Mittel bis 2017, also bis zum Ende dieser Legisla- sprechen, wie die Opposition es getan hat, ist hoch- turperiode, auf rund 260 Millionen € belaufen. Da- spekulativ und wenig zielführend. Es bringt Unfrie- durch werden wir den 120-Millionen-€-Eingriff in den in die kommunale Familie und schwächt die den kommunalen Finanzausgleich teilweise kom- Verhandlungsposition der kommunalen Landesver- pensieren. Außerdem gewährt das Land besonders bände. notleidenden Kommunen nach wie vor Konsolidie- rungshilfe. (Vereinzelter Beifall SPD) Dennoch sollte unser besonderes Augenmerk auf Diese sind im Übrigen sehr wohl in der Lage, selbst dem FAG liegen. Über den kommunalen Finanz- kraftvoll für die Interessen ihrer Mitgliedskommu- ausgleich verteilt das Land keine Wohltaten, son- nen einzutreten. Das haben sie bei der Auseinander- dern gibt den laut Grundgesetz zustehenden Anteil setzung über die Kosten des Krippenausbaus nach- der Kommunen am Steueraufkommen an diese drücklich bewiesen. weiter. Artikel 49 der Landesverfassung bestimmt, (Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) dass das Land den Kommunen im Wege des Fi- nanzausgleichs Mittel zur Verfügung stellt, durch Nachhilfe aus dem Landtag brauchen die kommu- die eine angemessene Finanzausstattung gewähr- nalen Landesverbände sicher nicht. Deshalb sollten leistet wird. Gleichzeitig soll der Finanzausgleich wir uns zurückhalten, den Prozess abwarten und dazu dienen, die Leistungsfähigkeit der steuer- das Ergebnis bewerten, nämlich den Gesetzentwurf. schwachen Kommunen zu sichern und die unter- Dann ist immer noch Zeit für politische Auseinan- schiedliche Belastung mit Aufgaben auszugleichen. dersetzungen in diesem Haus. Die Finanzsituation der Kommunen hat der Innen- Der Versuch, Stadt und Land gegeneinander auszu- minister in seinem Bericht genau beschrieben. Eine spielen, läuft - so finde ich - ins Leere. Es ist ein gewisse - um es vorsichtig zu formulieren - Schief- Streit um Begriffe, wie ich an einigen Beispiele zei- lage ist wohl nicht zu leugnen. Deswegen ist es gen will: Der Schleswig-Holsteinische Gemeinde- höchste Zeit für eine Reform. tag vertritt zum Beispiel die Gemeinde Henstedt- Ulzburg mit 26.000 Einwohnerinnen und Einwoh- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nern und die Stadt Tornesch mit 13.000 Einwohne- und SSW) rinnen und Einwohnern. Die Städte Bredstedt und Erfreulicherweise stellt sich die Küstenkoalition Wilster, die dem Städtebund Schleswig-Holstein dieser Aufgabe, auch wenn es dabei nicht nur Lor- angehören, haben jeweils weniger als 5.000 Ein- beeren zu verdienen gibt. Unser Ziel haben wir klar wohnerinnen und Einwohner. Und dann hätten wir benannt: Wir wollen Aufgaben finanzieren, nicht noch die Stadt Fehmarn. Wo also beginnt die Stadt, Strukturen. Der Finanzausgleich soll transparenter wo endet die Gemeinde? - Nur gemeinsam können und effizienter werden und auf höhere Akzeptanz die regionalen Zentren und ihre Nachbarn gewin- stoßen. Davon profitieren nicht nur die Kämmerer, nen. Stadt-Umland-Kooperationen, gemeinsame sondern auch die ehrenamtlichen Kommunalpoli- Bauleitplanung oder Verwaltungszusammenarbeit tikerinnen und Kommunalpolitiker. sind wichtige Instrumente auf diesem Weg. (Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW]) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Der Prozess ist transparent und mit den Beteiligten abgesprochen, Verfahren und Zeitplan sind geeint. Deswegen ist es richtig, nicht über Strukturen zu re- Für besondere Fragen soll ein externer Gutachter den, sondern über Aufgaben und darüber, wie sie hinzugezogen werden. Das ist das Gegenteil von auskömmlich finanziert werden. Ich wiederhole es Geheimniskrämerei und Kungelrunde, denn die Be- noch einmal: Wir wollen keine Gebietsreform auf troffenen werden zu Beteiligten gemacht. Kreis- oder Gemeindeebene. Wenn sich Kommu- nen aber freiwillig zusammenschließen, dann dür- 1458 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Beate Raudies) fen sie dadurch nicht schlechtergestellt werden. Ich dem FAG gestrichen werden. Der demografische bin zuversichtlich, dass die Regierung im Herbst Wandel ist zwar kein neues Phänomen, aber der einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der all diesen kommunale Finanzausgleich berücksichtigt ihn bis- Überlegungen Rechnung trägt. - Vielen Dank. her nicht. Hier müssen wir nachsteuern. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zweitens brauchen wir mehr Einfachheit und und SSW) Transparenz. Der kommunale Finanzausgleich enthält Regelungen aus sechs Jahrzehnten. Bei eini- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gen kennt heute niemand mehr so genau die Grund- lagen. Jahrelang ist dieses Gesetz wild gewuchert. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- Wenn ich auch sonst für Natürlichkeit plädiere, hier teile ich Frau Abgeordneter Ines Strehlau das Wort. ist es höchste Zeit, das Gesetz wieder in Form zu bringen. Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! SPD) Herr Callsen, Sie müssen sich entscheiden. Wollen Sie den Dialog gutheißen oder nicht? - Auf der Manche Regelungen können selbst Fachleute nicht einen Seite sagen Sie, wir würden durchregieren. mehr nachvollziehen. Sie basieren auf Deals in der Aber wenn wir einen Dialog führen, dann ist das Vergangenheit, die heute mit keiner Aufgabe und auch nicht richtig, und Sie sagen, die Rede sei frei keinem konkreten Bedarfsindikator mehr zusam- von Inhalten. Ich glaube, Sie haben den Dialogpro- menpassen. So werden für manche Kreise die Zu- zess irgendwie noch nicht richtig verstanden. wendungen pauschal gekürzt, für andere erhöht, oh- ne nachvollziehbare Begründung und Rechen- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grundlage. und SSW) Auch die Anteile, die Gemeinden für übergemeind- Zuerst möchte ich dem Innenminister und seinem liche Aufgaben erhalten, wurden vor Jahrzehnten Haus ganz herzlich für seinen Bericht danken. pauschal festgelegt und spiegeln die heutige Reali- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Man kann auch tät nicht wider. Das müssen wir ändern. einen inhaltsfreien Dialog führen!) (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD - Das tut er nicht. - Um es vorweg zu sagen: Die und SSW) Reform des kommunalen Finanzausgleichs ist Doch Transparenz und Einfachheit allein können ein Mammutprojekt. Das Finanzausgleichsgesetz ist aus Sicht unserer Fraktion nicht das einzige Ziel kompliziert und undurchsichtig und braucht unbe- bleiben, wenn wir den Finanzausgleich reformieren. dingt ein Update. Gerade deshalb lohnt sich die Re- form. Der KFA soll für einen gerechten Ausgleich Das Geld muss drittens auch gerechter verteilt von Steuereinnahmen und Ausgabenbelastungen im werden. Gerechtigkeit heißt im Falle der Kommu- ganzen Land sorgen; von den Hunderten kleinen nen, dass das Geld den Aufgaben folgen muss. Eine Kommunen mit weniger als 500 Einwohnerinnen Gemeinde, die eine Volkshochschule oder eine und Einwohnern bis hin zur Landeshauptstadt Kiel, Stadtbücherei bereitstellt, von der auch das Umland und er muss für alle Kommunen in Schleswig-Hol- profitiert, muss auskömmlich ausgestattet werden. stein funktionieren. Das tut er aber nicht, zumindest Wir müssen auch darüber reden, ob wir in Zukunft nicht mehr. Es gibt etwa 300 schuldenfreie Kom- bei der Bedarfsbemessung mit Sozialindikatoren munen. Die meisten davon sind sehr klein. Es gibt arbeiten - Ideen gibt es aus anderen Ländern ge- aber auch hoch verschuldete Kommunen. Spitzen- nug -, zum Beispiel einem Demografiefaktor oder reiter ist Lübeck. Die Stadt hat fast 3.500 € Schul- einem Faktor, der Kinder unter sechs Jahren beson- den pro Kopf. ders berücksichtigt. Der kommunale Finanzausgleich muss erstens zeit- Wir brauchen eine empirische Untersuchung, wel- gemäßer gestaltet werden. Der KFA hat sich seit che Faktoren heutzutage beim Finanzbedarf in den 70er-Jahren kaum verändert, die kommunale Schleswig-Holstein die entscheidende Rolle spie- Situation aber sehr wohl. Das beste Beispiel wurde len. Dass das Innenministerium dazu Gutachten in der Debatte schon mehrfach genannt, nämlich einholen will, ist richtig. die Zonenrandförderung. Sie ist ein Überbleibsel aus einer anderen Epoche und muss endlich aus (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1459

(Ines Strehlau)

Auf keinen Fall werden wir uns darauf einlassen, solchen Stück ja immer der Gute ist, sondern weil bei der FAG-Reform einen Stadt-Land-Konflikt mir die Eigenständigkeit unserer Gemeinden sechs heraufzubeschwören. Für fast alle Menschen in Flaschen Wein wert ist. Schleswig-Holstein spannt sich der Lebensraum (Beifall FDP) doch zwischen verschiedenen Kommunen auf. Eine Familie wohnt zum Beispielt in Haseldorf. Die Kin- Aber wir beide, Herr Dr. Dolgner, sind uns einig der gehen in Uetersen zur Schule, aber in Wedel ins darüber: Es wird Steinbrück-Wein sein. Steinbrück- Schwimmbad. Die Eltern nutzen in Uetersen die Wein ist ein Wein zum Preis von mehr als 5 €. Bücherei und in Wedel die Volkshochschule und (Christopher Vogt [FDP]: Aber in kleinen das Theater. Auch die Einwohner ländlicher Ge- Flaschen! - Heiterkeit) meinden haben also ein Interesse an starken Zen- tralorten, deren Aufgaben auskömmlich finanziert Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich werden. zunächst bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die Erstellung dieses Berichts. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD Aber ich möchte hinzufügen: Mein Wissensdurst ist und SSW) mit diesem Bericht noch längst nicht gestillt. Wir Die Interessenlage ist längst nicht so schwarz-weiß, können ganz interessante Dinge lernen, zum Bei- wie mancher sie hier gern zeichnet oder im kom- spiel welche grundsätzlichen Erwägungen ange- munalen Vorwahlkampf auch gern überspitzt dar- stellt werden müssen, um eine Neuordnung des Fi- stellt. Es geht im Kern nicht um kleine Gemeinden nanzausgleichs vorzunehmen. gegen große oder um Land gegen Stadt. Es sitzen Die mit Drucksache 18/354 beschlossene eigentli- alle in einem Boot. Es geht darum, bei wem die che Aufgabenstellung des Landtags war jedoch eine Aufgaben anfallen und wie sie bezahlt werden. andere. Wenn der Landtag die Landesregierung per Die Landesregierung wählt mit ihrem Ansatz, alle einstimmigen Beschluss auffordert - ich zitiere -, Beteiligten an einen Tisch zu holen und in einem „einen schriftlichen Bericht über die von ihr umfassenden strukturierten Prozess mit ausreichend geplanten Eckpunkte, Ziele und Maßnahmen Zeit das Finanzausgleichsgesetz zu modernisieren, sowie den Zeitplan zur Novellierung des Fi- den richtigen Weg. Nur so wird die gefundene Lö- nanzausgleichsgesetzes in Schleswig-Hol- sung auch Akzeptanz in der kommunalen Familie stein zu geben“, finden. dann hätte ich erwartet, dass zumindest diejenigen Wir setzen darauf, dass die Beteiligten im FAG- Forderungen hier als „Ziele“ oder „Eckpunkte“ Beirat nicht bei jedem einzelnen Punkt ihren Ta- dargestellt werden, die die Landesregierung in den schenrechner aus der Hosentasche ziehen, um aus- vergangenen Monaten im Rahmen des FAG selbst zurechnen, wie viel am Ende für sie herauskommt, aufgestellt hat. Ich nenne hier zwei Beispiele. sondern dass die einzelnen Mitglieder der kommu- nalen Familie aufeinander zugehen und an einem Erstes Beispiel ist die Dynamisierung der FAG- Strang ziehen. Nur so wird eine Modernisierung ge- Mittel für die Theater in Schleswig-Holstein. Am lingen. 22. August 2012 erklärte Frau Ministerin Spooren- donk vor diesem Hohen Haus: (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) „Ich halte die Wiedereinführung einer Dyna- misierung im FAG für den Fortbestand der Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gut aufgestellten Theater für zwingend. Eine Entscheidung dazu sollte spätestens mit der Vielen Dank. - Für die FDP-Fraktion erteile ich Haushaltsaufstellung 2014/2015 auf den Weg Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort. gebracht werden.“ Dies sagte Frau Spoorendonk ja nicht als Privatper- Wolfgang Kubicki [FDP]: son, sondern sie sagte es als Mitglied dieser Lan- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! desregierung. Zunächst einmal zu Protokoll: Ich habe die Wette Wo steht in diesem Bericht, Herr Innenminister, der des Kollegen Dr. Dolgner angenommen. Das muss doch die Eckpunkte der FAG-Novellierung darstel- ja zunächst festgehalten werden, Herr Kollege len soll, dass die Landesregierung ab 2014 die Dy- Dr. Dolgner, ich habe das nicht getan, weil das ein namisierung für die FAG-Theatermittel einfüh- Kasperletheater ist, obwohl der Kasper in einem 1460 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Wolfgang Kubicki) ren will? Es ist keine Rede davon. Ich gehe nicht als alles andere, worüber wir uns unterhalten. Die davon aus, dass Sie diesen Teil vergessen haben. kriegen die 120 Millionen € obendrauf, und das Oder müssen die schleswig-holsteinischen Theater wird in dem System nur umverteilt. jetzt davon ausgehen, dass dieses nicht mehr Be- Wie sieht es eigentlich mit der Dynamisierung der standteil der FAG-Überlegungen ist? Mittel für die Theater in Schleswig-Holstein aus? (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Dazu - das ist ein Auftrag des Landtags - erwarte ich von Ihnen noch eine Stellungnahme. - Wir reden momentan über die FAG-Novellierung, Herr Kollege. Das hat mit der Haushaltsaufstellung (Beifall FDP und CDU) vergleichsweise wenig zu tun. An dieser Stelle erwarte ich vom Innenminister und Vizepräsidentin Marlies Fritzen: der Landesregierung insgesamt ein klärendes Wort. Für die Fraktion der PIRATEN erteile ich Herrn Zweites Beispiel, und das ist viel interessanter, Herr Abgeordneten Torge Schmidt das Wort. Dr. Stegner: die Höhe der FAG-Mittel. Auch hier- über schweigt sich die Landesregierung aus, und Torge Schmidt [PIRATEN]: dies, obwohl der Ministerpräsident bei jeder Gele- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! genheit von der Rücknahme des Eingriffs in den Wie im Dezember 2012 beschlossen, haben wir von kommunalen Finanzausgleich redet. Zum Beispiel der Regierung einen schriftlichen Bericht zu den am 16. November 2012, als er Gast beim Gemein- Eckpunkten, Zielen und Maßnahmen sowie zum dekongress des Schleswig-Holsteinischen Gemein- Zeitplan der Novellierung des Finanzausgleichs be- detags war. Hier heißt es ausweislich der Pressemit- kommen. Zumindest war dies, wie Herr Kubicki teilung der Staatskanzlei - ich darf zitieren -: schon sagte, so beantragt. „Wir sind als Land bis an die finanzielle Wer jetzt aber tatsächlich erwartet hat, von der Re- Schmerzgrenze bereit, den Kommunen zu gierung eine inhaltliche Positionierung oder gar Er- helfen, so Albig. Die Landesregierung stehe gebnisse zu hören, wurde leider enttäuscht. Schon zum Versprechen, den 120-Millionen-€-Ein- im zweiten Absatz des Berichts der Landesregie- griff in den kommunalen Finanzausgleich bis rung steht, dass sich die Regierung noch im Dialog 2017 schrittweise zurückzunehmen.“ mit der kommunalen Familie befinde und sich des- In Ihrem Bericht, Herr Innenminister, lesen wir halb leider noch nicht positionieren könne. auch dazu kein einziges Wort. Warum nicht? Ist (Zuruf SPD) dieser Eckpunkt im Rahmen der Novellierung des Finanzausgleichs aus Ihrer Sicht eine Petitesse und Ich frage mich allerdings, mit welchen Positionen deshalb nicht erwähnenswert? die Landesregierung in diesen Dialog geht. Sie kriegt das ja zumindest auch beim Bildungsdialog Herr Innenminister, vor diesem Hintergrund muss hin und sagt, welches ihre Vorstellungen sind. Über ich Ihnen schon die Frage stellen, was uns dieser irgendetwas müsst ihr euch doch unterhalten! Bericht eigentlich sagen soll. Denn wenn die Lan- desregierung im Vorhinein zentrale Punkte der (Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Neuordnung des FAG benennt und ein Bericht, der Ihr müsst doch eine Position haben, über die ihr in eigentlich genau diese Punkte darstellen sollte, dies einen Dialog tretet! jedoch nicht tut, gibt es dafür nur zwei Erklärungs- möglichkeiten. Entweder, Herr Minister - was ich (Beifall PIRATEN und FDP) nicht glaube -, ist Ihnen egal, was die Kolleginnen Macht ihr das bei Kaffee und Kuchen, oder wie und Kollegen in der Öffentlichkeit geäußert haben, geht das bei euch? oder aber Sie haben den Auftrag des Landtags nicht ordnungsgemäß erfüllt, was ich mir nicht vorstellen (Lachen FDP - Beifall PIRATEN) will; denn das wäre, wie Sie wissen, verfassungs- widrig. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Ich gehe davon aus, Herr Minister, dass Sie in ab- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenbemer- sehbarer Zeit, möglicherweise noch heute, die Ge- kung des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner? legenheit wahrnehmen werden, zu diesen beiden Punkten, die ich angesprochen habe, Stellung zu nehmen. Das ist für die Kommunen viel wichtiger Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1461

Torge Schmidt [PIRATEN]: Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie mir die Bemerkung, Gern doch. dass wir nicht nur einen Bericht haben, son- Dr. Kai Dolgner [SPD]: Lieber Kollege, dern auch eine ausführliche Rede des Innen- nehmen Sie vielleicht einmal zur Kenntnis - - ministers, in der zum Beispiel auch erläutert (Zuruf: Lauter! - Weiterer Zuruf) worden ist, mit wem gesprochen wurde? - Oh, man sagt mir selten, dass ich zu leise (Heiterkeit) bin; aber okay. Dann versuche ich es noch Können Sie mir verraten, warum Sie offen- einmal. sichtlich immer noch nicht die Information Lieber Herr Kollege, nehmen Sie anhand des haben, dass im Augenblick mit den Betroffe- Berichts vielleicht einmal zur Kenntnis, dass nen gesprochen wird und dass man deshalb der Landtag mit den Koalitionsabgeordneten nicht irgendwelche Ergebnisse präsentieren im Augenblick überhaupt nicht beteiligt ist, kann? Denn dann brauchte man mit den Be- sondern dass das Verfahren zurzeit im FAG- troffenen nicht zu sprechen. Beirat stattfindet, an dem die kommunalen Spitzenverbände beteiligt werden, dass also Torge Schmidt [PIRATEN]: erst einmal tatsächlich mit den Beteiligten Ja, das nehme ich zur Kenntnis. gesprochen wird, so wie Sie es ja immer gern fordern? Nehmen Sie zum Zweiten zur (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Aha!) Kenntnis, dass wir sehr wohl mit Zielen hin- Dennoch möchte ich dazu sagen, dass für mich per- eingehen? Denn es kann auch Ziel sein, et- sönlich Dialog auch heißt, dass man mehr Leute was zu modernisieren, was zum Beispiel mitnimmt, also zum Beispiel auch uns Parlamenta- noch eine Zonenrandförderung enthält oder rier. bei dem man sagt, dass keine Aufgabenorien- tierung vorhanden sei. Sie sagen doch immer, (Zuruf SPD: Etwas ganz Ungewöhnliches! - man soll anhand der Realität nüchterne Poli- Dr. Kai Dolgner [SPD]: Das machen wir mit tik machen. Ich kann immer noch nicht ver- dem Gesetzentwurf! - Weitere Zurufe) stehen, warum Sie das jetzt stören sollte. Außerdem hätte ich, wenn es noch nicht um die Po- - Dann frage ich mich ganz ernsthaft, lieber Herr sitionierung geht, schon gedacht, dass Sie mit dem Kollege, warum das nicht im Bericht steht, warum Bericht eine deutlich breitere Faktenlage vorlegen. also dieser Bericht so unglaublich allgemein gehal- Wie gesagt, der Bericht, den wir bekommen haben, ten ist. bezieht sich auf die Ausgangslage der Reform. (Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Dr. Kai Ich muss der Regierung ja zugute halten: Bei die- Dolgner [SPD]: Sie haben dem Minister sem Bericht würde es mir auch schwerfallen, zu ei- schon zugehört, oder?) ner Positionierung zu kommen, weil die wichtigsten Informationen zur Bewertung der Ausgangslage - Ja, aber wir haben einen schriftlichen Bericht be- größtenteils fehlen. antragt, und in diesem schriftlichen Bericht stehen nur Allgemeinplätze. (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Dazu machen wir ein Gutachten! Das ist der Grund, weshalb (Zuruf Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ wir ein Gutachten brauchen!) DIE GRÜNEN]) - Aber man könnte zumindest einfache Fakten auf den Tisch legen. Die Fußnoten enthalten deutlich Vizepräsidentin Marlies Fritzen: mehr Informationen als der Bericht selbst. Die Fuß- Gestatten Sie, Herr Kollege, keinen Zwischenruf noten sind also informativer als der Bericht. des Abgeordneten Rasmus Andresen, sondern eine (Beifall PIRATEN) Zwischenbemerkung des Abgeordneten Dr. Dolg- ner, der sich dazu ordnungsgemäß gemeldet hat? Zum Beispiel hätte ich erwartet, dass in dem Be- richt eine simple Angabe zur Pro-Kopf-Verschul- (Zuruf) dung gemacht wird. Leider Fehlanzeige! Die wirk- Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie noch eine wei- lich relevanten Informationen befinden sich, wie tere Zwischenbemerkung? gesagt, in den Fußnoten. Die Quellenangaben be- deuten im Vergleich zum Bericht objektiv gesehen 1462 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Torge Schmidt) einen deutlichen Mehrwert. Die Frage ist, ob Sie Lars Harms [SSW]: den Dialog tatsächlich aufgrund dieser Faktenlage Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und führen oder ob Sie einfach keine Lust hatten, einen Herren! Wir haben höchst unterschiedliche kom- ausführlichen Bericht zu schreiben. Diese Frage munale Einheiten, deren Einwohnerzahl zwischen muss ich mir stellen. knapp 40 und rund 250.000 Einwohnern liegt. Ein paar weitere Fragen werden wir uns in Zukunft Schon der Bezug auf die Größe der Kommunen stellen müssen. Erstens. Wie viele Mittel stellen macht deutlich, dass diese Kommunen nicht die wir für welchen Zweck bereit? Das ist eine ganz gleichen Aufgaben erledigen können und somit na- simple Frage. Die zweite Frage ist - das hat Herr türlich auch nicht die gleiche Bezuschussung aus Kubicki schon überspitzt gesagt -, ob man eine Re- dem FAG erhalten können. gion zugunsten der anderen Region ausbluten las- Ähnliches gilt auch für die Aufgabenstruktur der sen will oder wie man bedarfsgerecht ökonomisch Kommunen. Kreise und kreisfreie Städte sowie grö- rational handeln will. ßere kreisangehörige Orte haben andere Aufgaben Dann haben wir noch die Mindestanforderungen als die übrigen Kommunen. Auch diese Aufgaben- an das FAG, die dieser Bericht zumindest liefert. vielfalt scheint sich auf die Finanzkraft solcher Das finde ich aus Sicht der PIRATEN eigentlich Kommunen auszuwirken. Dem Bericht ist zu ent- ganz gut. Sowohl bei der Entwicklung als auch bei nehmen, dass alle kreisfreien Städte und fast alle der Umsetzung des neuen FAG soll in der kommu- Kreise einen Jahresfehlbetrag aufweisen. Dies ist nalen Familie durch Transparenz eine Akzeptanz nicht dem Umstand geschuldet, dass hier besonders geschaffen werden. Wir können das nur begrüßen. schlecht gewirtschaftet wurde, sondern dem Um- stand, dass die Finanzmittel angesichts der Viel- Auch die bei der Ausarbeitung des FAG angestreb- schichtigkeit der Aufgaben nicht ausgereicht haben. te engere Zusammenarbeit mit der kommunalen Fa- Vor diesem Hintergrund ist es daher notwendig, milie und dem Landesrechnungshof kann dem Pro- den kommunalen Finanzausgleich zu reformieren; zess eigentlich nur förderlich sein. Vor allem freuen denn diese Mittel sind ja auch dafür da, einen ge- wir uns darüber, dass eine Vereinfachung der rechten Ausgleich zwischen den Kommunen her- Rechtsmaterie des FAG durch einen einfachen beizuführen. Wortlaut angestrebt wird. Die Überarbeitung des kommunalen Finanzaus- Wir PIRATEN haben allerdings noch eine andere gleichs muss auch allein deshalb erfolgen, weil die Forderung für die Zukunft. Da es wahrscheinlich Verteilungskriterien auf der einen Seite für Au- kein einvernehmliches Votum geben wird, sollte ßenstehende höchst undurchschaubar sind und auf den Ausschüssen meiner Meinung nach ein unzen- der anderen Seite auch längst überkommene Kri- siertes und ungeschöntes Ergebnis des Dialogpro- terien wie die Zonenrandförderung beinhalten. Die zesses vorgelegt werden, um über den späteren Ge- Welt dreht sich weiter. Da ist es nur normal, dass setzentwurf auf breiter Faktenlage entscheiden zu man auch die Kriterien bei der kommunalen Bezu- können. schussung weiterentwickelt und sie den neuen Ge- (Beifall PIRATEN - Zuruf Rasmus Andresen gebenheiten anpasst. Es kann also nicht alles beim [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Alten bleiben; es muss sich etwas ändern. Ein Bei- Kommen wir schließlich zu der glorreichen Er- behalten des geltenden FAG wäre ungerecht und kenntnis, die uns dieser Bericht geliefert hat und die auch nicht sachgerecht. Es wäre nicht mehr mit der da final lautet: Eine heterogene Selektion der Kom- heutigen Situation der Kommunen vereinbar. munen erfordert eine heterogene individuell zuge- (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE schnittene Finanzierungshilfe. Was der einen hilft, GRÜNEN) kann die andere überfordern oder für diese auch Es wird immer wieder der Vorwurf erhoben, ein nicht ausreichend sein. - Für diese Erkenntnis hat neues FAG würde einen Zwang zu Gemeindefu- dieser Bericht zehn Seiten gebraucht. Ich bin be- sionen beinhalten. Das ist Unsinn. Die Haltung des geistert. SSW zu diesem Thema kennen Sie. Wir hätten gern (Beifall PIRATEN) mehr schlagkräftige und europataugliche Kommu- nen. Der Koalitionsvertrag sieht aber vor, dass Fu- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sionen nur auf freiwilliger Basis zustande kommen sollen. Wollen also Kommunen fusionieren, dann Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeord- neter Lars Harms das Wort. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1463

(Lars Harms) ist das okay. Tun sie es nicht, ist das auch okay. geschlossen sind. Beim neuen FAG geht es aber Dann ist es ihre eigene souveräne Entscheidung. darum, dass Aufgaben definiert werden und die Geldströme dann so gestaltet werden, dass diese Allerdings stelle ich für den SSW fest, dass es unter Aufgaben - egal, auf welcher kommunalen Ebene - den heutigen Bedingungen bereits viele gute Grün- auch erfüllt werden können. de dafür gibt, dass Kommunen schon jetzt fusionie- ren. Das hat aber nichts mit dem FAG zu tun. Das wäre effizient und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Zu ihnen habe ich heute noch nichts (Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gehört, obwohl sie ja eigentlich diejenigen sind, um NEN) die es geht. Für sie sollen Aufgaben erfüllt werden. Wenn wir wissen, dass die Finanzierung der Kom- Es geht nicht um die Kommunen oder darum, wer munen auf neue Beine gestellt werden soll, dann was bekommt, sondern es geht um die Bürgerinnen gibt es eigentlich nur die Frage, wie es geschehen und Bürger, darum, dass sie von der kommunalen soll und was die Kriterien sein sollen. Die Landes- Seite wirklich einen klasse Service bekommen. Das regierung hat hier einen Stufenplan entwickelt, der ist eigentlich der Grund dafür, dass wir das FAG re- die Vorgehensweise genau beschreibt. formieren wollen. Dabei ist Transparenz eines der entscheidenden (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Stichworte. Es geht erst einmal darum - in dieser GRÜNEN) Phase sind wir gerade -, den Dialog mit der kom- Gerade in diesem Reformprozess wird es dann auch munalen Familie zu suchen und dann die Grundla- möglich sein, regionale Besonderheiten in Form gen des bisherigen FAG genau zu analysieren. Es von Vorwegabzügen zu berücksichtigen. Ich denke sollen erst einmal Sinn und Zweck der Förderung dabei zum Beispiel an den Hamburger Rand, der und auch die Berechtigung der Förderung nachvoll- besondere Aufgaben hat, aber auch an die Westkü- zogen werden. Wenn dann Ergebnisse vorliegen, ste oder den Landesteil Schleswig. können diese in einen Gesetzentwurf einfließen, der dann das normale Prozedere durchläuft. Ziel ist es, ein transparentes, effizientes und gerech- tes System hinzubekommen, das den Bürgern dient. Rechtzeitig vor Verabschiedung der kommunalen Reformbedarf ist deshalb da. Wir brauchen eine Haushalte für das Jahr 2015 sollen dann die Grund- Reform des FAG, damit die Bürger einen besseren lagen endgültig feststehen, und die gesetzliche Service vor Ort bekommen. Das muss unser Ziel Grundlage soll dann beschlossen werden. In allen sein. - Vielen Dank. diesen Bearbeitungsstufen ist insbesondere die kommunale Familie beteiligt. Transparenter für (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE die Betroffenen lässt sich nach meiner Auffassung GRÜNEN) ein solcher Gesetzentwurf eigentlich gar nicht ent- wickeln. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Ich erteile Frau Abgeordneter Petra Nicolaisen für GRÜNEN) einen weiteren Dreiminutenbeitrag das Wort. Kommen wir nun zu den Kriterien, die bei der Neuverteilung der Gelder nach unserer Auffas- Petra Nicolaisen [CDU]: sung eine Rolle spielen sollten. Da ist zuerst an Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einen Grundsatz zu denken, nämlich dass wir nicht Für mich stellt sich hier eine ganz elementare Fra- mit der Gießkanne über das Land laufen und das ge. Der Innenminister hat berichtet, dass das FAG Geld mal hier und mal dort verteilen, sondern dass reformiert werden soll, und dass ein Gutachter be- wir Aufgaben definieren, die für eine Region erfüllt auftragt worden sei. Für das Gutachten sind im werden sollen, und dass wir das Geld dann dorthin Haushalt 70.000 € angesetzt. Da stellt sich natürlich lenken, wo es benötigt wird. Das hat nichts mit der die Frage - wessen Brot ich ess, dessen Lied ich Fragestellung zu tun, ob eine Kommune groß oder sing -: Mit welchem Arbeitsauftrag ist dieser Gut- klein ist; vielmehr geht es allein um die Frage: Was achter ausgestattet? wird wo für alle erledigt? Zweitens würde ich gern festhalten: Das FAG bein- Dass größere Orte, Städte, Kreise und kreisfreie haltet noch wesentlich mehr. Die CDU/FDP-Regie- Städte mehr Aufgaben für die jeweilige Region er- rung hat in der letzten Legislaturperiode das Kom- füllen, liegt auf der Hand. Allerdings heißt das nicht, dass kleine Kommunen von vornherein aus- 1464 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Petra Nicolaisen) munale Haushaltskonsolidierungsgesetz auf den Obwohl Sie sagen, es gibt keine Vorfestlegungen, Weg gebracht. gibt es natürlich bereits Vorfestlegungen durch die- se Regierung. Die Änderung des Finanzaus- (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) gleichsgesetzes halten auch wir für notwendig; da - Aber es kann nicht so schlecht gewesen sein, Herr gibt es überhaupt keinen Zweifel. Der Landtag hat Stegner. ein Gutachten in Auftrag gegeben, das bereits 2001 (Vereinzelter Beifall FDP) vorgelegt worden ist. Es gibt keinen Zweifel, dass es diese Notwendigkeit gibt. Aber mit dem Finanz- Denn es hat ursprünglich in Ihrem Koalitionsver- ausgleich auch andere Ziele erreichen wollen - wie trag gestanden, dass es abgeschafft werden soll, es die Regierung im Hinterkopf hat, und diese zu aber Sie haben es beibehalten. verneinen und so zu Protokoll zu geben -, finde ich, (Beifall CDU und FDP) mit Verlaub, höchst dreist. Durch dieses Kommunale Haushaltskonsolidie- (Beifall CDU und FDP) rungsgesetz haben wir 90 Millionen € in die kreis- Das fängt ganz bescheiden damit an, dass die Kol- freien Städte und Kreise gegeben, um eine Ent- legin Raudies in ihrem Beitrag sehr vehement deut- schuldung herbeizuführen. Das halten wir nach wie lich machen will, dass es nicht um die Verände- vor für gut. Aber auch das ist ein Teil des FAG. rung kommunaler Strukturen geht, und als Beleg Drittens würde ich gern festhalten, dass die alte dafür anführt, dass es wohl unmöglich sei, dass es Landesregierung eine Arbeitsgruppe zu diesem Gemeinden mit 26.000 Einwohnern, aber Städte Thema eingerichtet hat, um eine Analyse des FAG mit 5.000 Einwohnern gibt. Das hat in der Konse- auf den Weg zu bringen. Das kann man nur guthei- quenz ja etwas mit Strukturen zu tun. ßen. Wir werden aber weiterhin beobachten, wie (Beifall CDU und FDP - Lars Winter [SPD]: sich die Entwicklung des FAG fortsetzt. - Vielen Nicht begriffen! - Wortmeldung Dr. Ralf Dank. Stegner [SPD]) (Beifall CDU) - Die Aufgeregtheit gerade von Ihnen, Herr Kollege Stegner, der die Anzahl der Kreise zwangsweise Vizepräsidentin Marlies Fritzen: von 15 auf 4 reduzieren wollte und nur durch Ent- lassung daran gehindert werden konnte, ist schon Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Wiegard, ich einigermaßen heftig. hatte verstanden, dass Sie sich auch gemeldet hat- ten. - Dann erteile ich Ihnen nun das Wort. Bitte (Beifall CDU und FDP - Jürgen Weber schön. [SPD]: Der lügt, wenn er den Mund auf- macht!) Rainer Wiegard [CDU]: - Herr Weber, darauf kommen wir noch zurück. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Ich möchte keine Zwischenbemerkungen zulassen. wir uns nicht in diesem Landtag befänden, wenn Ich möchte auf einen Regierungspartner eingehen, wir nicht eine solche Koalition hätten, wie wir sie den Sie hier offensichtlich völlig ignorieren, Herr haben, mit der Regierung, wie wir sie haben, würde Minister, nämlich auf die Äußerung, die der Vorsit- ich dem schriftlichen Bericht, Herr Minister, den zende der SSW-Abgeordneten hier am 27. Septem- Sie vorgelegt haben und Ihre mündlich vorgetrage- ber 2012 gemacht hat. Er hat ganz eindeutig gesagt, nen Argumente für eine ausgezeichnete Vorgehens- dass es bei der Änderung des Finanzausgleiches weise halten. darum gehe, die kommunalen Strukturen zu verän- (Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS dern. 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: (Vereinzelter Beifall CDU) Das war Konjunktiv bisher! Da müssen Sie nicht klatschen!) Ich zitiere: Aber wir befinden uns in diesem Parlament, und „Die kommunale Struktur Schleswig-Hol- wir befinden uns auch in diesem politischen Um- steins ist nicht optimal.” feld. Wolfgang Kubicki hat das vorhin angespro- So weit, Lars Harms, könnten wir noch überein- chen. stimmen. Dann sagten Sie wörtlich: Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1465

(Rainer Wiegard)

„Tatsächlich verhindert die kleinteilige Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Struktur klare Entscheidungswege“ Herr Kollege Weber, für die unparlamentarischen - hören Sie genau zu - Äußerungen in Richtung des Kollegen Wiegard er- teile ich Ihnen eine Rüge. „und behindert die kommunale Demokratie.“ Zu einem Dreiminutenbeitrag hat nun Herr Abge- Wo leben Sie eigentlich, Herr Kollege? ordneter Dr. Ralf Stegner das Wort. (Beifall CDU und FDP) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Was hat er ge- Lars Harms fuhr fort: sagt?) „Kleine, reiche Umlandgemeinden saugen die großen Städte aus, und die Gießkannen- Dr. Ralf Stegner [SPD]: politik der letzten Jahre tat ihr Übriges, um Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Ungleichverteilung zu zementieren.“ Wer der Debatte hier folgt, der stellt zwei Dinge Der Gipfel ist - das ist eine ganz klare Aussage, fest, nämlich: Wir haben einen ganz hervorragen- deshalb ist es wirklich unerhört, Herr Minister, dass den Bericht des Innenministers über die Methodik Sie das hier einfach zu Protokoll wegleugnen -, gehört, wie wir mit den Kommunen sprechen. dass Lars Harms immerhin derjenige ist, von dem (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie abhängig sind, damit es diese Regierung über- und SSW) haupt gibt. Die Kollegin Beate Raudies hat mitnichten gegen (Olaf Schulze [SPD]: Wovon sind Sie eigent- die Struktur geschimpft, sondern sie hat sie wahr- lich abhängig? Von Herrn Kubicki oder wie? heitsgemäß dargestellt, nichts weiter. - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich bin nicht für alles verantwortlich!) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) - Herr Kollege, vielleicht hören Sie einfach einmal zu. Lars Harms sagte: Das Problem in der Debatte ist - es ist wirklich traurig, wenn ich in die Oppositionsreihen sehe -: „Uns ist natürlich bewusst, dass beides, also Sie glauben, Sie hätten ein schönes Thema für die Aufstockung des Finanzausgleichs“ einen Kommunalwahlkampf gefunden, weil Sie - das haben Sie als Ziel auch nicht genannt - denken: Schwarz-Gelb hat Politik gegen die Städte gemacht, jetzt behaupten wir einfach, Rot-Grün- „und die Umverteilung der Lasten,“ Blau macht Politik gegen den ländlichen Raum. - das liest man in den Zeitungen immer von Ihren Wir tun das aber nicht, meine sehr verehrten Da- Besuchen - men und Herren, wir tun das gar nicht. „nur Bausteine für eine neu gestaltete, lei- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stungsfähigere kommunale Struktur in und SSW) Schleswig-Holstein sein können. Das, was Wir tun das nicht, sondern wir reden über Aufga- wir heute machen, kann also bei Weitem ben. Wissen Sie: Erst beklagen Sie, wir hätten uns nicht das letzte Wort sein.“ vorfestgelegt und zitieren Beispiele dafür. In der Das heißt, Sie wollen mit dem FAG die kommuna- nächsten Minute sagen Sie, wir sollten den Dialog len Strukturen verändern. Mit dem finanziellen Zü- führen. Dass es manchmal gar nicht zusammen- geln wollen Sie dieses tun. Das ist der Weg. Dass passt, was Sie in zwei aufeinander folgenden Sät- Sie das, Herr Minister, in Ihrem Beitrag als Regie- zen sagen, stört Ihr Logikverständnis gar nicht. rung nicht bekunden, Aber Sie haben Pech. Der Landtag tagt nämlich öf- fentlich. Die Menschen auf der Tribüne hören Ih- (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen zu. NEN]: Weil es nicht wahr ist!) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ihnen auch!) finde ich gegenüber dem Parlament schon einiger- maßen dreist. Die können zwei Sätze hintereinander behalten. Deswegen passt es nicht zusammen, was Sie hier (Beifall CDU und FDP) tun. 1466 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist das, was gilt. Eine Koalition ist nie 100 % und SSW) SSW, 100 % Grüne oder 100 % SPD, sondern im- mer ein Kompromiss. Diese Koalition wird den kommunalen Finanz- ausgleich reformieren. Sie wird im Gespräch mit (Rainer Wiegard [CDU]: Das macht die Sa- den Kommunen und mit den Betroffenen darüber che nicht besser!) sprechen. Sie wird die Kriterien anlegen, die der In- Zu diesem Kompromiss stehen wir. nenminister hier dargestellt hat. Die sind hervorra- gend, und die sind richtig. Sie haben so etwas nicht (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE zustande gebracht. Das ärgert Sie. Sie haben kein GRÜNEN) richtiges Thema für den Kommunalwahlkampf, Wir sagen: Auf freiwilliger Basis darf das gesche- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Haben wir!) hen. Ich persönlich würde es mir sogar wünschen, dass sich einige Kommunen dazu durchringen. Das deswegen können Sie mit der Realität nicht umge- ist das eine. hen, sondern versuchen, uns zu beschimpfen, Zweitens sollten wir mit einem Missverständnis (Zuruf Hartmut Hamerich [CDU]) aufräumen. Es mag vielleicht bei Ihnen, Herr Wie- aber die Beschimpfungen fallen nur auf Sie zurück. gard, so gewesen sein, dass sich einzelne Personen Wir werden das in aller Ruhe abarbeiten. Ich sage in der CDU beispielsweise gegen den Rest der Ko- Ihnen eins: Wir werden am Ende ein gutes Reform- alition durchsetzten, weil sie einen Dickkopf haben. gesetz vorlegen, mit einem guten Innenminister, (Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD]) mit einer geschlossenen Koalition - ob Sie nun da- bei sind oder nicht. - Vielen herzlichen Dank. Daran können wir uns irgendwie erinnern, dass es da einmal jemanden gab. Bei uns ist es anders. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) (Christopher Vogt [FDP]: Aber nicht besser!) Bei uns ist es so, dass gemeinsame Beschlüsse von Vizepräsidentin Marlies Fritzen: der gesamten Koalition gefasst werden. Vielen Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Dank, dass Sie meine Möglichkeiten so groß ein- Herrn Abgeordneten Lars Harms. schätzen. Das ehrt mich sehr, das ist wunderbar, es entspricht aber nicht der Realität. Wir beschließen Lars Harms [SSW]: Dinge gemeinsam, weil wir uns über die Dinge ei- nig sind. Deswegen werden wir auch gemeinsam Frau Präsidentin! Lieber Kollege Wiegard, Sie ha- ein fantastisches Reformwerk hinbekommen. ben mich gerade eben aus dem September 2012 zi- tiert. Ich finde es gut, dass Sie das gemacht haben. (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christopher Vogt [FDP]: Das ist unredlich!) Das, was da gesagt worden ist, dass wir als SSW Vizepräsidentin Marlies Fritzen: natürlich dafür stehen und dass wir der Auffassung Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen sind, wir größere Kommunen brauchen, ist nichts liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Beratung. Neues. Dieses Konzept unsererseits gibt es schon Es ist kein Antrag gestellt worden. Der Tagesord- sehr lange. nungspunkt ist damit erledigt. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Schon mal gesagt!) (Johannes Callsen [CDU]: Ausschussüber- - Das habe ich auch schon einmal hier gesagt, Ralf. weisung!) Das ist also nichts Neues. Was aber ganz entschei- - Ich habe keinen Antrag gehört. Wenn Sie sagen, dend ist - und ich habe es heute noch einmal wie- Sie hätten das in Ihrem Redebeitrag beantragt - - derholt, damit Sie es noch einmal hören -: Wir wol- len das auf freiwilliger Basis. Das haben wir im (Zuruf Johannes Callsen [CDU]) Koalitionsvertrag vereinbart. - Bitte? Sie wünschen Ausschussüberweisung? - (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Vergiss das mit den Das ist kein Problem. - Der Kollege Callsen bean- Robbenbabys nicht, sonst glaubt der das auch tragt für die CDU-Fraktion Ausschussüberweisung. noch!) (Dr. Ralf Stegner [SPD]: So einen klasse Be- richt überweisen wir gern!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1467

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

- Die SPD-Fraktion schließt sich an. Dann gehe ich und SSW gegen die Stimmen von CDU und FDP davon aus, dass Sie den Bericht dem Innen- und empfiehlt er dem Landtag die Annahme des Gesetz- Rechtsausschuss überweisen wollen. entwurfs in der Fassung, wie er der Drucksache als Anlage beigefügt ist. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesre- gierung, Drucksache 18/477, dem Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung zu Vizepräsidentin Marlies Fritzen: überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich Herzlichen Dank, Frau Berichterstatterin. - Gibt es um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltun- Wortmeldungen zu diesem Bericht? - Das ist nicht gen? - Herr Dr. Breyer, Sie haben Ihre Hand geho- der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und ertei- ben gehabt, als ich nach der Gegenprobe fragte. Sie le Frau Abgeordneter Petra Nicolaisen von der stimmen dem nicht zu? - Okay. Dann ist das mit der CDU-Fraktion das Wort. überwiegenden Mehrheit gegen die Stimme des Abgeordneten Dr. Breyer und ohne Enthaltung so Petra Nicolaisen [CDU]: beschlossen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: Ich möchte zum Einstieg Heinrich Brüning zitieren, der gesagt hat: Demokratie bedeutet ausreden las- Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes für sen und zuhören können. Angeblich ist das, was die Bürgerbeteiligung und vereinfachte Bürgerbe- Regierungskoalition mit ihrem Gesetzentwurf errei- gehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Hol- chen will, mehr Demokratie. Was sie allerdings steins Gemeinden und Kreisen nicht getan hat, war ausreden zu lassen und zuzuhö- ren. Die Art und Weise, wie auch in diesem Fall Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS das Verfahren nicht in der gebotenen Ruhe und 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Sorgfalt, sondern im Schnellverfahren ohne Rück- Drucksache 18/310 sicht auf Verluste durchgezogen wurde, passt zu Ih- Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und rer Koalition. Ob Sie zu der Demokratie passt, die Rechtsausschusses Sie stärken wollen, möchte ich einmal dahingestellt Drucksache 18/501 sein lassen. Das Thema Bürgerbeteiligung ist von seiner Dis- Änderungsantrag der Fraktion der FDP kussionsbreite und von seinen Auswirkungen her Drucksache 18/544 extrem weit. Daher ist die Aussage der Koalition, Bevor wir in die Beratung einsteigen, möchte ich es gehe um mehr Demokratie, ebenso verkürzt wie Sie bitten, mit mir gemeinsam die Bundesvorsitzen- irreführend. Es geht hier nicht darum, mehr Demo- de der Volksinitiative Mehr Demokratie, Claudine kratie zu schaffen, sondern es geht um eine Verla- Nierth, sowie den Landesvorsitzenden der Initiati- gerung demokratischer Verantwortung. ve, Rolf Sörensen, auf der Tribüne zu begrüßen. - Hätten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Herzlich willkommen im Kieler Landeshaus! der Regierungskoalition, alle Betroffenen ausreden (Beifall) lassen und hätten Sie ihnen zugehört, dann hätten Sie erkennen müssen, dass Ihr Entwurf Demokratie Ich erteile nun der Berichterstatterin des Innen- und möglicherweise nicht fördert, sondern gefährdet. Rechtsausschusses, Frau Abgeordneter Barbara Ostmeier, das Wort. Das System der repräsentativen Demokratie beruht auf der Delegation von Verantwortung auf gewähl- te Vertreter und ist in dieser Form grundsätzlich Barbara Ostmeier [CDU]: vorgesehen. Repräsentativ getroffene Entscheidun- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und gen sind daher der Regelfall. Kollegen! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich Die CDU-Fraktion stellt sich nicht gegen die Mög- mit dem ihm durch Plenarbeschluss vom 15. No- lichkeit direkter demokratischer Elemente. Aller- vember 2012 überwiesenen Gesetzentwurf, Druck- dings muss die Funktionsfähigkeit der repräsenta- sache 18/310, in mehreren Sitzungen befasst sowie tiven Grundausrichtung erhalten bleiben. Dies eine schriftliche und eine mündliche Anhörung bedeutet auch, dass die Verantwortung für Ent- durchgeführt. Er schloss seine Beratungen in seiner scheidungen den gewählten Vertreterinnen und Sitzung am 13. Februar 2013 ab. Mit den Stimmen Vertretern nicht leichtfertig entzogen werden darf. von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN 1468 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Petra Nicolaisen)

(Vereinzelter Beifall CDU) Die großen Kritikpunkte an dem vorliegenden Ent- wurf sind die drastische Absenkung und Staffe- Die bislang bestehenden Regelungen und Mög- lung der Zustimmungs- und Unterschriftenquo- lichkeiten für Plebiszite berücksichtigen in ausge- ren, die künftige grundsätzliche Bürgerentscheids- wogener Weise dieses Prinzip. Für das Funktionie- fähigkeit der Aufstellung, Änderung, Ergänzung ren dieses Systems ist es entscheidend, dass Men- oder Aufhebung von Bauleitplänen und das Fehlen schen ehrenamtlich bereit sind, Verantwortung zu jeglicher Kalkulationen über die zu erwartenden übernehmen. Doch schon heute bestehen in einigen Kosten. Bürgerinnen und Bürger müssen eingebun- Bereichen Probleme, ausreichend Personen zu fin- den und mitgenommen werden. Dies ist auch heute den, die sich dieser Aufgabe stellen. Eine Auswei- schon der Fall. tung plebiszitärer Elemente sollte nicht ohne eine genaue Analyse der möglichen Folgen in diesem Durch den Entwurf jedoch wird die repräsentative Bereich geschehen. Demokratie in einer bedenklichen Art und Weise geschwächt, und dies könnte zu einem weiteren Hätten Sie bei der Anhörung im Innen- und Rechts- Absinken der Bereitschaft zur Übernahme eines ausschuss ernsthaft zugehört, hätten Sie diese Be- Ehrenamts führen. denken, die gerade von denen kamen, die die Neu- regelung betrifft, nämlich von den Kommunen, (Beifall CDU) nicht völlig kommentarlos übergehen können. Wenn man über das Thema ernsthaft reden will, Meine Damen und Herren, wenn die pauschale Be- dann ist nicht blinder Aktionismus gefragt, sondern hauptung aufgestellt wird, dass sich viele Bürgerin- Besonnenheit. Doch eine solche besteht bei den re- nen und Bürger in Schleswig-Holstein mehr Mög- gierungstragenden Fraktionen offenbar nicht. Es ist lichkeiten zur unmittelbaren Teilhabe an öffentli- eben nicht überall mehr Demokratie drin, wo mehr chen Entscheidungen wünschen, dann bleiben die Demokratie draufsteht. Deshalb kann ich den Kol- regierungstragenden Fraktionen einen Nachweis leginnen und Kollegen der regierungstragenden schuldig. Ich frage mich, ob die jetzt in der Ge- Fraktionen nur eines mitgeben: Wenn Sie wirklich meindeordnung vorgegebenen Einflussmöglichkei- mehr Demokratie erreichen wollen, lernen Sie aus- ten, zum Beispiel in Bezug auf Bürgerbegehren reden zu lassen und zuzuhören! oder Einwohnerfragestunden sowie Jugend- oder Wir werden den Gesetzentwurf der regierungstra- Seniorenbeiräte, diesen Wünschen nicht in hinrei- genden Fraktionen und auch den Antrag der FDP chendem Maße Rechnung tragen. ablehnen. - Vielen Dank. Ich erinnere an dieser Stelle gern noch einmal an (Beifall CDU) die Stellungnahme der SGK Schleswig-Holstein, die von unserem jetzigen Innenminister Breitner verfasst wurde. Hier heißt es zur Streichung der Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Zweidrittelmehrheit zur Initiierung eines Bürger- Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeord- entscheids nach § 16 c GemO: neter Dr. Kai Dolgner. „Wir lehnen den Vorschlag, die Zweidrittel- mehrheit zu streichen, ab. Die gewählten Dr. Kai Dolgner [SPD]: Kommunalvertreter/innen (NICHT die Ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! meinde!!!) sollen die Verantwortung für von Frau Nicolaisen, wer hat Ihnen denn heimlich Brü- ihnen zu treffende Entscheidungen nicht zu ning als Beispiel für Demokratie aufgeschrieben? leicht auf die Bürger/innen verlagern können. Also wirklich! In der Mehrheit der anderen Bundesländer gilt diese Regelung auch.“ (Beifall SPD) Ich kann der Stellungnahme nur zustimmen. Die Wir reden hier über Heinrich Brüning, den Mann, Übertragung der Entscheidungszuständigkeit muss der mit gutem Willen - gar keinen Zweifel - glaub- politisch breit getragen werden. te, gegen das Parlament mit Notverordnungen re- gieren zu können, damit eine verheerende Deflati- Schauen wir einmal auf die bestehenden Rahmen- onspolitik betrieben hat, das Vertrauen in die De- bedingungen für Bürgerbegehren in den einzelnen mokratie untergraben und geglaubt hat, man könnte Bundesländern, dann befinden wir uns mit unseren die NSDAP jetzigen Regelungen in guter Gesellschaft. (Zuruf) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1469

(Dr. Kai Dolgner)

- ja, natürlich, auch wir waren nicht frei von Irrtü- Wir wollen die Bürger nicht frustrieren, sondern sie mern, aber wir sind inzwischen weiter - ermutigen, sich für ihr Gemeinwesen zu engagie- ren. Wir werden deshalb Hürden senken und eine (Zuruf) qualifizierte Beratung ermöglichen. Die Diskussion einbinden, und dann dem Ermächtigungsgesetz zu- von Zulässigkeitsfragen während eines laufenden gestimmt hat. Sicherlich ist er eine tragische Figur, Verfahrens ist eine der typischen Frustrationsquel- aber kein Beispiel dafür, wie man Demokratie len. stärkt. Das sieht man, wenn man sich mit der End- Für uns ist es aber auch wichtig, dass direktdemo- phase der Weimarer Republik beschäftigt. kratische Elemente nicht grenzenlos sein können, (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die strukturelle Gesamtverantwortung soll bei FDP, PIRATEN und SSW) den gewählten Gemeinderatsvertretern bleiben. Das Ich möchte nicht falsch verstanden werden, alle De- bleibt sie auch, selbst wenn wir alle 15 Jahre einen mokratien, die den Namen verdienen, sind im Kern Bürgerentscheid haben. Gemeinderäte müssen deut- repräsentative Demokratien, übrigens auch die lich häufiger Entscheidungen treffen. Schweiz. Die besondere Stärke der repräsentativen Wir geben aber auch den Gemeinderäten mehr Demokratie, die sich in zweieinhalbtausend Jahren Möglichkeiten. Zukünftig kann eine Gemeinderats- in langen Diskussionen entwickelt hat, sind der Ab- mehrheit - die liegt nun mal bei 51 % - einen alter- wägungsprozess und die Kompromissfindung. Sie nativen Vorschlag zur Abstimmung stellen oder stellt sicher, dass trotz der notwendigen Mehrheits- auch von sich aus die Bürger befragen, um Bürger- entscheidungen die Minderheit Gehör findet und willen besser von Einzelinteressen, die vielleicht die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen nur mit besonderer Vehemenz vorgetragen werden, sorgsam abgewogen werden können. Sie ermög- unterscheiden zu können. Hier kann direkte Demo- licht auch in komplexen Entscheidungsprozessen kratie durchaus hilfreich sein. die Einbeziehung von Experten und eine langfristi- Nach fast 20 Jahren Kommunalmandat sei mir er- ge Lösungsfindung jenseits tagesaktueller Aufge- laubt anzumerken, dass ich es gut und richtig finde, regtheiten. In der Praxis gelingt das zugegebener- wenn sich Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von maßen mal mehr und mal weniger gut, aber die hi- Bürgerbeteiligung für eine Sachfrage stark engagie- storischen und globalen Vergleiche - den ersten hat- ren. Es ist das Wesen der kommunalen Selbstver- ten wir eben - sprechen für sich. waltung, sich um die eigenen Dinge zu kümmern. Aber bei allen guten Argumenten dürfen wir nicht (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vergessen, dass die repräsentative Demokratie kein und SSW) Selbstzweck ist, sondern sich aus Notwendigkeiten begründet. Demokratie bedeutet wörtlich „Herr- Noch besser ist es allerdings, wenn sich die Bürge- schaft des Volkes“. Es ist die Aufgabe aller Demo- rinnen und Bürger für einen längeren Zeitraum für kraten, dies auch direkt zu ermöglichen, wo es sinn- die Arbeit in unseren Kommunalparlamenten zur voll und geboten erscheint. Direktdemokratische Verfügung stellen, wie es 13.700 Menschen in die- Elemente sind nicht gegen die repräsentative De- sem Land schon heute tun. Aber auch hier ist die mokratie gerichtet, sondern sie ergänzen diese. Stärkung der Bürgerbeteiligung nicht etwa eine Ge- fährdung, außer man macht eine daraus und bläst (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas auf, was von der Substanz her gar nicht auf- und SSW) zublasen ist. Auch in Bayern ist die Demokratie üb- Frau Nicolaisen, sonst müsste mir einmal jemand rigens nicht untergegangen, und die Regelungen erklären, warum ein Bürgerentscheid zu einer Ein- dort gehen sogar noch weiter. Ich kenne diverse zelfrage die Arbeit eines Gemeinderatsmitglieds Menschen, die sich, nachdem sie sich für eine Ein- stärker einschränkt als zum Beispiel seine Nicht- zelfrage vor Ort engagiert haben, für ein dauerhaf- wahl bei der nächsten Wahl. Selbstbewusstsein tes Mandat gewinnen ließen. Kommunaler geht anders. Selbst im direktdemokra- (Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tischen Musterland Bayern gibt es einen Bürgerent- NEN]: So ist das! - Beifall SPD und BÜND- scheid durchschnittlich nur alle 15 Jahre. Kommu- NIS 90/DIE GRÜNEN) nalwahlen sind in Bayern deutlich häufiger - auch wenn ein Wechsel der Mehrheiten dort nicht so Die Kommunalpolitiker unter Ihnen, wenn Sie ehr- häufig vorkommt. lich in Ihre eigene Geschichte zurückgehen, kennen vielleicht auch solche Ereignisse, die Sie dazu be- (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Leider ist das so!) 1470 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Kai Dolgner) wogen haben, dauerhaft Verantwortung zu über- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD nehmen. und SSW) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute können wir Deshalb ist es 20 Jahre nach Einführung der Bür- einmal die Stärke der repräsentativen Demokratie gerbegehren und Bürgerentscheide in der Kommu- unter Beweis stellen: Abwägungs- und Kompro- nalverfassung Zeit für eine grundlegende Reform. missfähigkeit. Der heutige Entwurf ist ein Beispiel Die Regelungen in Schleswig-Holstein haben schon dafür, wie ein Parlament im konstruktiven Dialog lange keinen Leuchtturmcharakter mehr. mit den Repräsentanten der direktdemokratischen (Beifall PIRATEN) Volksinitiative zu einer guten Lösung kommen kann. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrück- Uns ist es im Dialog mit der Initiative „Mehr De- lich für die konstruktive Zusammenarbeit bedan- mokratie“ und unseren Koalitionspartnern gelun- ken. gen, eine Regelung zu finden, die den angestrebten Volksentscheid von „Mehr Demokratie“ über- Man muss nicht jedes Element eines Gesamtpakets flüssig macht. Wir haben miteinander diskutiert, sinnvoll finden, um das Gesamtpaket für einen sind aufeinander zugegangen und haben einen für sinnvollen Schritt vorwärts zu halten. Das liegt in alle tragbaren Kompromiss gefunden. Genauso der Natur der Sache. Dem einen ist er zu klein, dem stellen wir uns auch zukünftig den Umgang mit anderen ist er zu groß. Vielleicht können andere Konflikten auf kommunaler Ebene vor. Miteinan- trotzdem dem Beispiel der PIRATEN folgen, die der reden, überzeugen und Kompromisse ausloten - sagen: Der Schritt ist uns zu klein, wir stimmen so werden Beschlüsse der Kommunalvertretungen dem trotzdem zu. vermieden, die von den Bürgerinnen und Bürgern Ich denke da vor allem an die FDP. Im letzten Jahr nicht gewollt sind und später durch Bürgerentschei- war Ihnen der Schritt zu klein, Sie waren für den de wieder einkassiert werden. Entwurf der Volksinitiative. Mit Ihrem Änderungs- Unser Gesetzentwurf ist mitnichten ein Angriff auf antrag heute ist Ihnen der Schritt zu groß. Sie wol- die repräsentative Demokratie, wie es die CDU len das Quorum dort halten, wo es im Augenblick im Innen- und Rechtsausschuss formulierte. Im Ge- ist. Sie sind ja eine Partei der Mitte: Der Durch- genteil: Direkte und repräsentative Demokratie sind schnitt zwischen diesen beiden Positionen ist unser zwei Seiten ein und derselben Medaille. Gesetzentwurf, vielleicht können Sie dem ja doch noch zustimmen und sich einen Ruck geben. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD, PIRATEN und SSW) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Es ist auch eine Fehleinschätzung, Frau Nicolaisen, dass mehr direkte Demokratie und Mitbestimmung In der Hoffnung, dass im hervorragenden Zusam- zu einem Absinken des politischen Interesses füh- menspiel zwischen parlamentarischer und direkter ren. Gerade anders herum wird ein Schuh daraus. Demokratie das Beste für die Bürgerinnen und Bür- ger herauskommt, hoffe ich auf eine möglichst brei- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- te Zustimmung. - Ich danke Ihnen für die Aufmerk- einzelt PIRATEN und SSW) samkeit. Wer mit gestalten kann, interessiert sich auch mehr (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für das Gemeinwesen. und SSW) In Schleswig-Holstein fanden von 1990 bis 2010 nur knapp 170 Bürgerentscheide statt. Die Hinder- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: nisse für Bürgerentscheide waren viel zu hoch. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- Das ändern wir jetzt. Seien Sie gewiss, es kommt teile ich Frau Abgeordneter Ines Strehlau das Wort. uns allen zugute, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern die Wege erleichtern, ihr Leben in der Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommune mitzubestimmen. Wer sich ernst genom- men fühlt, gestaltet viel lieber mit. Das sehen wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! an der sehr hohen Beteiligung an Bürgerentschei- Unsere Demokratie wird erwachsen. Die Bürgerin- den. Schon jetzt machen im Durchschnitt 57 % der nen und Bürger fordern mehr Mitbestimmung auch Wahlberechtigten bei den Abstimmungen mit. Das zwischen den Wahlen. Das ist gut so. sind mehr als bei so manchen Wahlen. (Beifall PIRATEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1471

(Ines Strehlau)

Allerdings sinkt die Beteiligung mit der Größe der Springen Sie mit uns auf diesen Zug auf, liebe Kommune. Deshalb senken wir die Hürden, um CDU, FDP und PIRATEN. Es geht um eine starke ein Bürgerbegehren zu starten und einen Bürgerent- Zukunft. Nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und scheid erfolgreich abzuschließen - gestaffelt nach Bürgern dieses Landes machen wir Politik wieder Größe der Kommune, weil es leichter ist, in einer interessant. Dorfgemeinschaft ein Thema intensiv zu diskutie- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD ren als in einer großen Stadt. und SSW) Wir weiten die Möglichkeit für Bürgerentscheide aus, um auch über Bauleitplanung abstimmen zu Vizepräsidentin Marlies Fritzen: können. Es kann mitbestimmt werden, bis der Auf- stellungsbeschluss gefasst ist. In einigen anderen Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Abgeord- Bundesländern ist das längst üblich, ohne dass die neten Dr. Ekkehard Klug das Wort. kommunale Welt untergegangen wäre. Dort drehen sich 40 % aller Abstimmungen um Bauprojekte. Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wir trauen den Menschen in Schleswig-Holstein Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zu, zukünftig bei der Bauleitplanung verantwor- FDP hält es für notwendig und sinnvoll, die Bürger- tungsvoll mitzureden. beteiligung auf kommunaler Ebene zu stärken. Im Zuge der Anhörung des Innenausschusses sind wir (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass der Ge- einzelt PIRATEN und SSW) setzentwurf der Koalitionsfraktionen in zwei we- Wir verzichten auch - wie zwölf weitere Bundes- sentlichen Punkten geändert werden sollte. länder - auf den Zwang, Kostendeckungsvorschlä- Zum einen wollen wir die Hürden, die vor der Ein- ge für die Bürgerentscheide vorzulegen. Wir tun leitung eines Bürgerbegehrens stehen, absenken. dies nicht, weil Bürgerbegehren zu Wünsch-dir- was-Veranstaltungen werden sollen, sondern weil (Beifall FDP und PIRATEN) es für manche Bürgerinitiativen schlicht unmöglich Das Quorum sollte nach unserer Auffassung gene- ist, die Kosten präzise abzuschätzen. Hier sollen rell nur bei 4 % liegen, also bei der Mindestunter- Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger Hand in stützung, die die Koalition lediglich in Gemeinden Hand arbeiten und gemeinsam zu einem Vorschlag mit mehr als 150.000 Einwohnern vorsieht. In klei- kommen. neren Orten wollen SPD, Grüne und SSW das Mit der eingefügten Übergangsregelung ermögli- Quorum dagegen gestaffelt bis auf 10 % hoch- chen wir auch Bürgerentscheide gegen Beschlüsse, schrauben. die in der Vergangenheit liegen. Gerade nicht mög- (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Das war der Vor- lich wird es allerdings sein, alte Unterschriftenlisten schlag der Initiative!) von gescheiterten Bürgerbegehren zu recyceln. Nie- mand will tote Bürgerbegehren wieder zum Leben - Wir haben uns im Zuge der Beratungen und der erwecken. Anhörung unsere eigene Meinung gebildet, die tra- ge ich Ihnen hier vor. Auch die Frist von sechs Wochen für das Einrei- chen von Unterschriften bei kassatorischen Bür- Es ist unverständlich, weshalb das Quorum für ein gerbegehren, also denen, die sich gegen einen Ge- Bürgerbegehren in einem kleineren Ort höher lie- meinderatsbeschluss richten, fällt weg. Allerdings gen soll als in einer größeren Gemeinde. müssen, wenn ein kassatorisches Bürgerbegehren (Beifall FDP, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] gestartet wird, die Unterschriften innerhalb von und Wolfgang Dudda [PIRATEN]) sechs Monaten gesammelt sein. Das ist wichtig und richtig, damit die Kommunen Planungssicherheit Frau Strehlau hat eben zu Recht angeführt, dass es bekommen. in einem kleineren Ort viel einfacher ist - wegen des wesentlich höheren Informationsgrades, was Fazit: Wir bringen Schleswig-Holstein wieder in kommunale Angelegenheiten angeht -, direkte De- das Spitzenfeld bürgerfreundlicher Kommunalver- mokratie zu praktizieren, die natürlich immer auf fassungen. einer weitgehenden Information der Bürger beruhen (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) muss, als das beispielsweise in einer Großstadt der Fall ist. Deshalb sind wir der Auffassung, dass das Quorum für die Einleitung eines Bürgerbegehrens 1472 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ekkehard Klug) generell bei 4 % liegen sollte. Das ist der eine we- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sentlicher Änderungsantrag, den wir eingebracht Vielen Dank, Herr Kollege. - Bevor wir die Bera- haben. tungen weiter fortsetzen, bitte ich Sie, mit mir zu- Außerdem halten wir es für erforderlich, dass ein sammen weitere Schülerinnen und Schüler des Ma- Bürgerentscheid - wie das bisher im geltenden rion-Dönhoff-Gymnasiums aus Mölln auf der Tri- Recht vorgeschrieben ist - nur dann gültig sein büne zu begrüßen. - Herzlich willkommen hier im kann, wenn die dazu erreichte Mehrheit minde- Kieler Landeshaus! stens 20 %, also ein Fünftel der Stimmberechtigten (Beifall) repräsentiert. Eine Absenkung dieses bereits heute bestehenden Erfordernisses ist nach unserer Auffas- Für die Fraktion der PIRATEN erteile ich Herrn sung deshalb nicht sachgerecht. Andernfalls besteht Abgeordneten Dr. Patrick Breyer das Wort. die Gefahr, dass kleine Minderheiten die Kommu- nalpolitik in Fragen, die für einen Großteil der Ein- Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: wohnerschaft gar nicht von Interesse sind, sodass sie sich am Bürgerentscheid nicht beteiligen, domi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nieren. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie Außerdem bieten die von uns vorgeschlagenen Än- wird vom Volk in Wahlen und Abstimmun- derungen - wie wir finden - einen guten Ausgleich gen … ausgeübt.“ zwischen dem Anliegen auf der einen Seite, die di- So steht es in unserem Grundgesetz. rekte Demokratie zu stärken, auf der anderen Seite Mithilfe einer Volksinitiative, getragen von einem aber die repräsentative Demokratie zu sichern. Weil breiten gesellschaftlichen Bündnis, unterstützt von wir meinen, dass mit unseren Vorschlägen diese über 20.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schles- Balance besser gefunden wird, als das mit dem Ge- wig-Holsteinern, konnte endlich die Koalition dazu setzentwurf der Regierungsfraktionen der Fall ist, bewegt und gezwungen werden, die Mitbestim- schlagen wir diese Änderungen hier noch einmal mungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stär- mit Nachdruck vor. ken. Ich sage absichtlich „gezwungen“, denn allzu Wir finden auch, dass es richtig ist, in vielen Punk- oft habe ich in den Beratungen das Argument ge- ten die Vorgaben der jetzigen Gemeinde- und der hört: Wenn wir dem Gesetzentwurf nicht zustim- Kreisordnung zu ändern. Wir erleichtern die Einlei- men, kommt es noch viel weitergehender. Das tung von Bürgerbegehren. Insoweit gehen wir über heißt, es brauchte den Druck der Bürgerinnen und den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen hin- Bürger, um diesen Fortschritt durchzusetzen. Das aus. ist deshalb auch ein großer Erfolg für die Initiato- Wir halten es für wichtig, dass die Beschränkung ren. auf wichtige Selbstverwaltungsangelegenheiten (Beifall PIRATEN) wegfallen soll. Wir halten es für richtig, dass der Nichtsdestotrotz muss ich ganz klar aus Sicht der Negativkatalog geändert werden soll, dass es also PIRATEN sagen, dass wir hier mit weit weniger auch keinen Ausschluss von Fragen der Bauleitpla- Mitbestimmung abgespeist werden als wir PIRA- nung mehr geben soll. Wir finden es auch richtig, TEN uns das wünschen und als es andere Bundes- dass das Erfordernis, eine Zweidrittelmehrheit zu länder längst eingeführt haben. bekommen, wenn eine Kommunalvertretung einen Bürgerentscheid einleiten will, wegfallen soll. In Ein paar Beispiele: Sie wollen die Bürgerinnen und diesen Punkten sind wir mit dem Gesetzentwurf der Bürger nicht über die Gemeindefinanzen mitent- Regierungsfraktionen d'accord. Wir meinen aber, scheiden lassen, über Steuern, über Abgaben, über dass es ein ganz wesentliches demokratisches An- Hebesätze, nicht über Tourismusabgaben, nicht liegen sein muss sicherzustellen, dass mindestens über Kita-Beiträge, nicht über Schülerbeförde- 20 % der Stimmberechtigten als Mehrheit hinter ei- rungskosten. Wir PIRATEN sind der Meinung, nem Bürgerentscheid stehen. Alles andere wäre aus dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf unserer Sicht undemokratisch. Deshalb sind wir in haben, auch hier mitzuentscheiden. diesen für uns wesentlichen Punkten auch anderer (Beifall PIRATEN) Meinung als die Antragsteller. - Ich danke für die Aufmerksamkeit. Sie wollen die Entscheidung über die Ausgestal- tung von Bauleitplänen den Bürgern vorenthalten. (Beifall FDP) Man soll also einen Kraftwerksbau, einen Hoch- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1473

(Dr. Patrick Breyer) hausbau ablehnen können, aber zum Beispiel nicht de- beziehungsweise Kreistagswahlen die die Stockwerkszahl begrenzen können. Das ist ein Wahlbeteiligung unter 20 % lag? großer Fehler. - Da haben Sie mich nicht richtig verstanden, Herr Sie wollen, dass Unterschriften, die Bürgerinnen Kollege Winter. Ich habe gesagt, dass in Gemein- und Bürger ehrenamtlich am Wochenende in ihrer deräten und Kreistagen Mehrheiten entscheiden, die Freizeit mühsam gesammelt haben, nach sechs Mo- von weniger als 20 % der Wählerinnen und Wähler naten einfach ihre Gültigkeit verlieren. Das fru- gestützt sein können, zum Beispiel lag die Wahlbe- striert Bürgerinitiativen. Ich kann sagen, die Erfah- teiligung in Glückstadt bei unter 40 %. Das kann rungen mit der Volksinitiative zur freien Schülerbe- man ja auch alles in Statistiken nachlesen. Leider förderung, bei der über 18.000 Unterschriften zu- ist es heutzutage bei Kommunalwahlen üblich, dass sammengekommen sind und dann die Frist abge- Wahlbeteiligungen unterschritten werden, wie Sie laufen war, haben gezeigt, dass das ein enormes sie hier für Bürgerentscheide voraussetzen wollen. Frustrationspotenzial beinhaltet. Die Schwelle, die die FDP hier einziehen will - (Beifall PIRATEN) Herr Klug, Sie haben es gesagt -, ist noch höher. Deswegen können wir Ihrem Antrag auch nicht zu- Wir haben im Ausschuss beantragt, diese Frist zu stimmen. streichen, genauso wie viele andere Punkte. Sie sind dem leider nicht gefolgt. Wogegen ich mich ausdrücklich wehren möchte, ist die regelrechte Diffamierung der Interessen von Schließlich - vielleicht der schwerwiegendste Einzelpersonen und Minderheiten. Die haben doch Punkt - erkennen Sie das Ergebnis eines Bürgerent- auch ein legitimes Interesse daran, sich durchzuset- scheids nur an, wenn eine Mindestwahlbeteiligung zen, wenn ein Thema für einzelne sehr belastend erreicht wird. Daran werden viele Bürgerentscheide und sehr wichtig, der großen Masse aber egal ist, scheitern. Das ist widersinnig. Denn wenn in Ge- sodass nicht viele Menschen zu dem Bürgerent- meinderäten oder in Kreistagen Mehrheiten ent- scheid gehen werden. Dann ist es aber völlig legi- scheiden, die teilweise von weniger als 20 % der tim, wenn sich diejenigen, für die es wichtig ist, Wählerinnen und Wähler getragen werden, dann er- durchsetzen. kennen Sie politische Entscheidungen an. Wenn aber ebenso viele Bürger, die diese Mehrheiten ge- (Beifall PIRATEN) wählt haben, eine direktdemokratisch legitimierte Wir PIRATEN sind davon überzeugt, dass die Bür- Sachentscheidung treffen, die ein viel höheres Ge- gerinnen und Bürger in einer Informationsgesell- wicht hat, dann wollen Sie denen die Anerkennung schaft, in der Bildung und Wissen frei zugänglich verweigern. An der Stelle scheint wirklich eine vor- sind, völlig in der Lage sind und auch ein Recht demokratische Haltung durch, dass nämlich die Ob- darauf haben, politische Fragen, die sie selbst be- rigkeit, die Repräsentanten, besser wüssten, was für treffen, selbst zu entscheiden. Gerade die Informati- die Untertanen gut ist. Das können wir nur in aller onstechnologie ermöglicht eine viel weiterreichen- Entschiedenheit ablehnen. de Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger im (Beifall PIRATEN) Staat als wir sie bisher haben. Und, Frau Nicolaisen, direkte Demokratie stärkt Vizepräsidentin Marlies Fritzen: natürlich auch das Engagement in der repräsenta- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbe- tiven Demokratie. Denn ganz viele Menschen merkung des Kollegen Winter? kommen über ihr Engagement in Einzelpunkten zu einem generellen politischen Engagement. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Wir PIRATEN praktizieren dementsprechend auch Gern. eine weitreichende Mitbestimmung der Bürgerin- nen und Bürger, etwa über Projekte wie „Kassen- Lars Winter [SPD]: Herr Kollege Breyer, sturz“, wo Bürger Fragen zum Haushalt einreichen habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass konnten, etwa über unsere Priorisierungsumfrage, Sie sagen, dass Gemeinderäte, Kreistage, die bei der Bürgerinnen und Bürger bei unserer mit einer Wahlbeteiligung von unter 20 % Schwerpunktsetzung als Fraktion mitgestalten gewählt wurden, Entscheidungen treffen? konnten. Das fordern wir auch auf Landesebene, Können Sie mir sagen, bei welchen Gemein- zum Beispiel mit Bürgerhaushalten, über niedrigere Hürden für Volksentscheide und auch über Volks- 1474 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Patrick Breyer) entscheide auf Bundesebene, die wir endlich brau- Die Idee, die hinter dem Gesetzentwurf steht, ist, chen. dass Fälle, in dem ein mühseliges Schlichtungsver- fahren nötig ist, gar nicht erst auftreten. Hier geht (Beifall PIRATEN) es darum, möglichst im Vorfeld zu einem breit an- Ich schließe mit einem etwas abgewandelten Zitat gelegten Konsens zwischen den Beteiligten zu von Neil Armstrong: Der heutige Gesetzentwurf kommen. Das ist das eigentliche hintergründige der Koalition ist sicherlich ein großer Schritt für die Ziel dieses Gesetzes, meine Damen und Herren. SPD, aber kann doch für die Bürgerinnen und Bür- Mit diesem Gesetzentwurf wird die Bürgerbeteili- ger nur ein kleiner erster Schritt in die richtige gung eine ganz neue Qualität erhalten. In Fragen, Richtung sein. - Wir PIRATEN werden die Schritt- Problemen und Entwicklungen der Gemeinde kön- macher für mehr direktdemokratische Mitbestim- nen sich Bürger jetzt nicht nur mit einem Ja oder mungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sein. - Nein äußern, sondern es geht hier vielmehr um das Danke. Ob oder Wie. Denn Bürgerbeteiligung macht be- (Beifall PIRATEN) sonders dort Sinn, wo es Alternativen gibt. Zu einer funktionierenden Bürgerbeteiligung gehört Vizepräsidentin Marlies Fritzen: auch die Informations- und Wissensbereitstel- Vielen Dank. - Für die Abgeordneten des SSW lung. Nur so können Präferenzen entstehen, ermit- spricht Herr Lars Harms. telt und ausgewogen werden. Die Bürger haben sich in vielerlei Hinsicht verändert, und nun muss Lars Harms [SSW]: die Verwaltung nachziehen. Wie viele Bürger er- reicht eigentlich noch der Aushangkasten in den je- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und weiligen Dörfern? Wer liest noch die ortsüblichen Herren! Lieber Kollege Breyer, nicht wir mussten Bekanntmachungen, die oftmals in Schaukästen zu diesem Gesetz gezwungen werden, sondern viel- ausgehangen werden oder auf der Homepage der mehr hat die Volksinitiative ihre Initiative vor der Gemeinde stehen? Diese Problematik müssen wir Wahl begonnen. Und die heutigen Koalitionspartei- zur Kenntnis nehmen und uns ihrer annehmen. en haben vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie mehr Bürgerbeteiligung haben wollen, meine Da- Ein weiterer Punkt, der zur Kenntnis genommen men und Herren. werden muss, ist der Aspekt der Akzeptanz. Selbst die modernste und umfassendste Form der Bürger- (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE beteiligung wird nicht immer einen Konsens aller GRÜNEN) Beteiligten vorweisen. Aber darum geht es ja auch Soviel vielleicht zur historischen Wahrheit. Ich fü- gar nicht. Es geht darum, eine nachhaltige Akzep- ge an: Für mehr Bürgerbeteiligung bedarf es auch tanz zu schaffen, die eine Grundlage für ein aus- nicht unbedingt der PIRATEN in diesem Parla- gleichendes Miteinander zwischen Bürgern und ment, meine Damen und Herren. Kommunalvertretung bildet. (Beifall SSW und SPD) Zur Kenntnis nehmen müssen wir auch, dass das Anliegen der Bürgerbeteiligung von heute auf mor- Mehr gelebte und vereinfachte Bürgerbeteiligung gen nicht fertig ist und wir es somit abhaken kön- macht Bürgermeister und Gemeinderäte nicht nen. Die dazugehörige Informationskultur muss re- zwangsläufig zu ausgehöhlten Marionetten. Es geht gelmäßig den Gegebenheiten angepasst werden. nicht darum, dass die Bürgerbeteiligung die re- Auch wir müssen feststellen, dass die Integration präsentative Demokratie infrage stellt, sondern von allen natürlich eine Illusion ist. Aber Ziel des vielmehr sollen sich diese Bereiche ergänzen. Es Gesetzes ist immer wieder, einen Diskussion- und muss ein gesundes Miteinander geschaffen werden, Informationsprozess anzuschieben. das vor allem für Bürger Motivation zur Partizipati- on vor Ort schafft. Erfahrungen aus anderen Bun- Eine gute Planungskultur, mit einem transparenten desländern zeigen auch, dass die Anzahl der Bür- Verfahren bei der Beteiligung der Bürger und posi- gerentscheide nicht exorbitant steigt. Bürgerbeteili- tiven Erfahrungen mit der Behandlung von stritti- gung heißt eben nicht gleich Bürgerentscheid, Aus- gen Themen, werden das Protestpotential der Betei- nahmezustände sind also nicht zu erwarten, meine ligten eher mindern. Denn die wenigsten würden Damen und Herren. wohl unter der Zeile Hobbys im Poesiealbum „die Auseinandersetzung mit schwerverständlichen Planwerken aus meiner Stadt“ angeben. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1475

(Lars Harms)

(Heiterkeit SPD) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Meckern ist eben kein Selbstzweck, sondern Be- Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Frau Ab- troffenheit muss ernst genommen werden, meine geordneter Barbara Ostmeier das Wort. Damen und Herren. Mehr Bürgerbeteiligung führt somit auch zu Konfliktabbau. Dies ist für mich ei- Barbara Ostmeier [CDU]: gentlich das wichtigste Ziel dieses Gesetzes. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Ich möchte mich nun doch noch einmal zu diesem GRÜNEN) Themenbereich zu Wort melden, weil ich denke, es Abschließen möchte ich mit einem Zitat: wird hier ein bisschen verkannt und nicht erwähnt, dass wir uns in der CDU-Fraktion mit diesem The- „Die Tradition, Brücken zwischen Uneinig- ma sehr ausführlich beschäftigt haben. keiten zu bauen, ist eine Tradition der Einbe- ziehung von breiten Interessen, die darauf Es hat auch Gespräche im Facharbeitskreis CDU aufbauen, dass Entscheidungen, die in der mit der Bürgerinitiative, mit Frau Nierth, gegeben. Gemeinschaft getroffen werden, stärker sind, Ich war aus diesem Gespräch herausgegangen und als diejenigen, die vom stärksten Part im Al- hatte für mich den Eindruck gewonnen, dass wir leingang getroffen werden.“ durchaus ernst genommen worden sind und es aner- kannt worden ist, dass es auch bei uns den Gedan- So sagte es die dänische Ministerpräsidentin Helle ken gibt, an der einen oder anderen Stelle mehr Thorning-Schmidt im Dezember 2012 zum Jahres- Bürgerbeteiligung in das Gesetz aufzunehmen. Ich treffen des Dänischen Jugendrats. finde, das ist heute einfach zu wenig zum Ausdruck (Beifall SSW) gebracht worden. Da hat sie Recht. Denn wir müssen weitere Ich bin auch ein wenig enttäuscht darüber, dass das Brücken bauen zwischen Kommunalvertretern und in den Beratungen des Innen- und Rechtsausschus- Einwohnern sowie Anwohnern. Es müssen Brücken ses nicht so zum Ausdruck gekommen ist. Es gab geschaffen werden zwischen dem, was auf dem Pa- auch nicht mehr die Möglichkeit dazu, als sich die pier steht, und dem, was gelebt wird. Es muss end- regierungstragenden Fraktionen voll hinter die Bür- lich ein vernünftiges Miteinander von repräsentati- gerinitiative gestellt haben - was ich nicht negativ ver und direkter Demokratie auf die Beine gestellt bewerte. Es ist ihr gutes Recht. Aber von dem Mo- werden. Und wir kommen hier in Schleswig-Hol- ment an waren die Gespräche, die Ansätze, die wir stein diesem Ideal auch einen Schritt näher. Damit miteinander gefunden hatten, vom Tisch. Von da an sind wir in Schleswig-Holstein Spitze in der gesam- war die Gesprächskultur eine andere. ten Bundesrepublik. Ich möchte deutlich zum Ausdruck bringen: Man Abschließend möchte ich der Initiative „Mehr De- kann unterschiedlicher Meinung sein. Ich kritisiere mokratie“ danken, die für die positive Begleitung überhaupt nicht, dass Sie diesen Weg gegangen der Gesetzgebung maßgeblich mit verantwortlich sind. Ich möchte jedoch deutlich machen, wo für ist. mich und - ich glaube - auch für viele Vertreterin- nen und Vertreter der CDU-Fraktion die Grenze ist. (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Die Grenze ist da, wo in der politischen Debatte GRÜNEN) und heute das Ansehen gewählter Kommunalver- Denn, meine Damen und Herren, schon der Gesetz- treter - ich will jetzt nicht provozieren und „be- gebungsvorgang im Dialog mit der Initiative war schädigt wird“ sagen - nicht dem entspricht, wie ich ein Beispiel dafür, wie man vernünftig miteinander als Bürgermeisterin die Arbeit vieler Bürgermeis- umgeht. Schon allein das hat einen Riesenspaß ge- terkollegen und Ehrenamtler kennengelernt habe. macht. Vielen Dank. Ich finde es ganz toll, wie es (Beifall CDU) gelaufen ist und dass wir im Gesetzgebungsprozess schon das vorgelebt haben, was dieses Gesetz jetzt Wenn zum einen gesagt wird, die Teilnahme an ei- ermöglicht. Es ist einfach eine runde Sache. - Vie- ner Bürgerinitiative wecke das Interesse für die len Dank. kommunale Arbeit, dann ist das eine Behauptung, die bei aller Liebe nicht belegbar ist. Das ist eine (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Hoffnung, das ist ein Wunsch. Wenn Sie sagen, GRÜNEN) dass es für Sie der Weg ist, aus der Politikverdros- senheit herauszukommen, dann glaube ich, das 1476 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Barbara Ostmeier) wird nicht der Weg sein. Denn ich denke, dafür gibt Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ich habe es andere Mittel. zwei Fragen an Sie. Kommen wir einmal dazu, was der Unterschied ist Die erste Frage betrifft Ihr Argument, dass zwischen Bürgerbegehren und zwischen dem, was das Ansehen der kommunal vor Ort enga- gewählte Kommunalvertreter zu leisten haben. Es gierten Kommunalvertreter durch diesen ist richtig, dass in Bürgerbegehren Einzelinteressen Gesetzentwurf gemindert oder beschädigt wahrgenommen werden und das genau das Thema werde. Sind Sie der Meinung, dass in ande- eines Bürgerbegehrens ist. Sie unterstellen in Ihrem ren Bundesländern, die bei den Beteiligungs- Beitrag, dass demokratisch gewählte Kommunal- möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger vertreter nicht mehr bürgernah arbeiten. noch viel weiter gehen, zum Beispiel in Bay- ern, das Ansehen der Kommunalvertreter ge- (Martin Habersaat [SPD]: Wer unterstellt mindert oder beschädigt ist? das=) Zweite Frage: Sie haben gesagt, dass es eine - Sie haben gesagt: Die Bürgernähe ist abhanden bloße Hoffnung sei, dass Bürgerinnen und gekommen. Sie unterstellen, dass der Bürgerwille Bürger, die sich für ein Anliegen engagierten hier nicht mehr wahrgenommen wird. Das ist ein und einsetzten, auch später bereit seien, dau- völlig falsches Bild von dem, was ehrenamtliche erhaft Verantwortung zu übernehmen. Kommunalvertreter zu leisten haben. Können Sie bestätigen, dass bei den jetzt an- (Beifall CDU) stehenden Kommunalwahlen, wo viele Par- Denn ein ehrenamtlich gewählter Kommunalvertre- teien händeringend nach vielen Engagierten ter hat eine Lösung für das Gemeinwohl zu finden vor Ort suchen, die für Mandate antreten, ei- und er hat eben nicht nur ein Thema zu bearbeiten, ne Reihe von Personen, die vorher in Bürger- wie das eine Bürgerinitiative hat. bewegungen und Bürgerinitiativen aktiv wa- ren, sich jetzt bereit erklären, sich für die (Beifall Martin Habersaat [SPD]) dauerhafte Kommunalvertretung aufstellen Er berücksichtigt das aber doch in seinen Beratun- zu lassen? gen. Welches Bild haben Sie denn? Barbara Ostmeier [CDU]: (Zurufe SPD) Zu Frage eins. Ich habe eindeutig gesagt, dass ich - Ja, Sie alle. Das ist hier gesagt worden. Sie nicht dem Gesetzentwurf unterstelle, dass er das brauchten die Bürgerbeteiligung, damit mehr Bür- Ansehen beschädigt. Ich habe gesagt, die Debatte gernähe da ist. Das heißt, es ist keine Bürgernähe hier beschädige das Ansehen. Ich glaube, das habe mehr da. Das ist falsch. ich ziemlich eindeutig zum Ausdruck gebracht. (Beifall CDU) (Zuruf SPD) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: - Nein, das sage ich jetzt noch einmal. Ich bin nach vorn gegangen, weil ich das noch einmal zum Aus- Ich bitte Sie um etwas mehr Ruhe. Frau Kollegin, druck bringen wollte. Es ist auch von allen Seiten die Zeit für Ihren Dreiminutenbeitrag ist abgelau- bekundet worden, dass man das Ehrenamt der fen. Darauf weise ich zunächst einmal nur hin. Vor Kommunalvertreter durchaus schätze. Längerem hatte sich schon der Kollege Breyer ge- meldet, um eine Zwischenbemerkung zu machen. Die zweite Frage war, ob das in Bayern das Anse- Ich frage Sie jetzt, ob Sie diese Zwischenbemer- hen mindere. Das vermag ich nicht zu beurteilen. kung zulassen. Ich habe keine Evaluation vorgenommen, wie viele Bürgerinnen und Bürger, die mal an einer Bürgerin- itiative teilgenommen haben, dann in der Kommune Barbara Ostmeier [CDU]: mitarbeiten. Mir persönlich ist es so gegangen. Ja. Aber ich kann Ihnen auch sagen, bei uns in der Ge- meinde gibt es jetzt sieben neue Gemeindevertreter, Vizepräsidentin Marlies Fritzen: die aktiv mitgearbeitet haben. Die brauchten nicht in eine Bürgerinitiative zu gehen, sondern sind so Herr Breyer, dann haben Sie das Wort. dazugekommen. Das ist ein Zuwachs. (Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD]) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1477

(Barbara Ostmeier)

- Ich widerlege nur, dass ich Bürgerinitiativen brau- trägen jeweils gesagt haben, das die Mög- che, um das Interesse an kommunaler Arbeit zu lichkeit zur verbesserten Bürgerbeteiligung wecken. die repräsentative Demokratie ergänzt, und dass sie ihre außerordentlich große Wert- Ich glaube, wenn wir Politikverdrossenheit haben, schätzung für diejenigen zum Ausdruck ge- dann liegt das daran, dass wir nicht mehr so viel vor bracht haben, die Abwägungsprozesse durch- Ort sind wie wir sein müssten. Wenn wir die führen, und es nur Herr Kollege Breyer ge- Strukturen verändern, größere Strukturen haben, wesen ist, der die Minderheitenrechte in ei- dann wird es schlechter. Ich glaube nicht, dass wir ner Weise definiert hat, die ich als schwierig es in den Städten durch Bürgerinitiativen hinbe- vereinbar mit der Demokratie finde, kommen, dass sich mehr Bürger an der Arbeit in ei- ner Stadt beteiligen. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Die Bürgerbeteiligung in kleinen Einheiten bei Wahlen ist deutlich größer - das ist statistisch be- also mitnichten die Rede davon sein kann, wiesen - als die in Städten. Ich glaube nicht, dass dass wir das abwerten? man das durch das Instrument des Bürgerbegehrens Zweitens. Ich glaube, unsere Rednerinnen und durch mehr Bürgerbeteiligung beheben kann. und Redner haben sehr deutlich gemacht, (Beifall CDU) dass es viele Biografien von Menschen gibt, die sich bei einzelnen Projekten engagiert ha- Ich glaube auch nicht, dass das der Hauptansatz ben und später dann allgemeiner tätig gewor- war, mehr Bürgerbeteiligung zu bekommen, son- den sind. Das heißt nicht, dass man das muss, dern ich hatte gedacht, wir reden hier darüber, dass aber man darf das doch als gute Beispiele die Menschen ein Instrument bekommen, ihre Mei- hervorheben. Nichts anderes wollten die nung zu sagen und nicht, dass sie dadurch bewegt Rednerinnen und Redner der Koalitionsfrak- werden sollen, dass sich jeder, der die Erwartungs- tionen sagen, Frau Kollegin. Man muss nicht haltung auf den Schultern trägt, sich jetzt kommu- das eine gegen das andere ausspielen. nal engagieren soll. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Birgit Herdejürgen [SPD]: Das ist doch kei- und SSW) ne Verpflichtung!) - Nein, das ist es nicht. Aber ich darf das auch ein- Barbara Ostmeier [CDU]: mal sagen. War das eine Frage oder ein Statement? Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wenn Sie das kom- mentieren möchten, dann wäre ich dankbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kom- Sie haben uns etwas angegriffen, und viel- men wir zu einem geordneten Verfahren zurück. leicht möchten Sie das kommentieren? Ich glaube, Frau Ostmeier, die Frage von Herrn Dr. Breyer ist umfänglich beantwortet. Jetzt frage - Ich kann nur sagen: Ich habe in Frau Strehlaus ich Sie, ob Sie eine Zwischenbemerkung oder -fra- Wortbeitrag etwas darüber gehört, wie bürgernah ge des Kollegen Stegner zulassen. Kommunalvertreter arbeiten. Ich habe nicht mitge- schrieben, schauen wir uns nachher das Protokoll Barbara Ostmeier [CDU]: an. Wir können uns dann zusammen hinsetzen, und ich zeige Ihnen, was ich meine. Das, was Sie zu Ja. dem Rest gesagt haben, habe ich zur Kenntnis ge- nommen. Ich glaube, das überschnitt sich mit dem, Vizepräsidentin Marlies Fritzen: was der Kollege Dr. Breyer gesagt hat. - Vielen Dann hat Herr Stegner das Wort. Dank, dass Sie mir zugehört haben. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Liebe Frau Kolle- (Beifall CDU) gin Ostmeier, weil Sie Kritik an den Rednern der Koalition geübt haben, möchte ich Sie Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gern fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat Herr haben, dass sowohl Herr Dolgner als auch Abgeordneter Dr. Kai Dolgner. Frau Strehlau und Herr Harms in ihren Bei- 1478 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Dr. Kai Dolgner [SPD]: ich Ihnen zu, dass Sie ein allgemeinpolitisches In- teresse entwickelt haben. So läuft es doch, das wis- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sen Sie. Frau Ostmeier, Sie haben wörtlich gesagt, es gebe keine Belege, das sei keine Untersuchung. Ich habe (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mir das aufgeschrieben. Sie sagen aber auch, sie und SSW) selbst seien so ein Beleg. Ein Beleg ist ein Einzel- Ich wehre mich dagegen, dass hier eine solche Fi- fall. Damit haben Sie sich selbst widersprochen. gur aufgebaut wird. Natürlich haben wir immer die (Beifall PIRATEN - Widerspruch Abgeord- Interessen der Bürger berücksichtigt, die in unsere nete Barbara Ostmeier [CDU]) Ausschüsse gekommen sind. Natürlich haben wir ihre Meinung gehört und berücksichtigt. Eine Legi- - Aber natürlich. Ich brauche nicht alle Belege für timation aber erfolgt durch Abstimmungen. einen Mord, ich brauche normalerweise einen. Das ist die Definition von einem Beleg. Ein Beleg ist (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) ein Beleg für eine Tatsache. Das bedeutet nicht, - Herr Kollege Dr. Breyer, ich beantworte übrigens dass ich eine Gesamtschau machen muss. Sie haben auch Fragen von Bürgerinnen und Bürgern, ohne wörtlich gesagt, sie hätten keine Belege dafür, dass dafür extra ein Portal zu schalten. Dafür sind wir Bürgerbeteiligung zu mehr Kandidaturen geführt da. habe. Sie selbst sagen, bei Ihnen sei dies der Fall gewesen. Das ist schon ein Beleg. Von der Logik (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN her beweist ein schwarzer Schwan, dass nicht alle und SSW - Heiterkeit) Schwäne weiß sind. - Sie müssen kürzer klatschen, weil meine Redezeit (Beifall und Heiterkeit SPD, BÜNDNIS abläuft. Ich möchte noch etwas zu den Quoren sa- 90/DIE GRÜNEN und SSW) gen, denn es gibt dafür auch ein Sachargument. An dieser Stelle vielleicht noch einmal ein systemati- Ich habe noch viele Beispiele, zum Beispiel Frau sches Argument zum Mitnehmen: Maike Höffken aus der CDU-Kreistagsfraktion in Rendsburg-Eckernförde. Sie ist über die Elternbe- teiligung an den Schülerbeförderungskosten zu Ih- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: nen gekommen. Sie ist sogar geblieben, nachdem Herr Kollege, leider ist Ihre Redezeit abgelaufen. Sie den Schwenk gemacht haben. (Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Heiner (Beifall SPD) Garg [FDP] - Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ Daran können Sie sehen, wie jemand durch die Be- DIE GRÜNEN und SSW) schäftigung mit einer Einzelfrage mitbekommt, - Ich frage Sie, ob Sie die Hilfe des Kollegen Dr. dass es sehr sinnvoll sein kann, sich für das Ge- Garg annehmen wollen, der sich zu einer Zwi- meinwohl zu engagieren. Das ist ein weiterer Be- schenbemerkung gemeldet hat, die Sie gern noch leg. Frau Höffken ist geblieben, obwohl Ihre Partei kommentieren dürfen. Anschließend wollen Sie einen Schwenk gemacht hat und jetzt gegen ihr ur- vielleicht auch Herrn Dr. Breyer zu Wort kommen sprüngliches Anliegen ist. Das gilt für Rendsburg- lassen, der auf das Recht verzichtet, zuerst zu Wort Eckernförde ganz besonders. Trotzdem hat Frau zu kommen? - Er hatte sich zuerst gemeldet, aber er Höffken weitergemacht. In meiner Kreistagsfrakti- lässt Herrn Dr. Garg den Vortritt. - Herr Dr. Garg on gab es zum Beispiel eine sehr wertvolle Kolle- hat daher jetzt das Wort. gin, die über die Frage, ob Biomüll in Tüten oder in Tonnen abgefahren werden soll, zur SPD gekom- Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Dolg- men ist. Sie ist geblieben. ner, mich würde brennend Ihre Auffassung zu den Quoren interessieren, weil ich das (Beifall SPD - Zurufe) noch nicht ganz verstanden habe. Herr Klug, ich weiß nicht, weshalb Sie zur FDP ge- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen sind. und SSW) (Heiterkeit) Dr. Kai Dolgner [SPD]: Bei Ihnen könnte das Einzelthema Bildungspolitik eine Rolle gespielt haben und weniger die Gerech- Vielen Dank, Herr Kollege. tigkeit auf den Finanzmärkten. Trotzdem gestehe Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1479

(Dr. Kai Dolgner)

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Marlies Fritzen: GRÜNEN]: Jetzt musst du aber auch nachle- Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung gen!) des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer, auf die Sie - Das ist überhaupt kein Problem, Rasmus. Habt ihr noch eine Antwort geben können? euch darüber keine Gedanken gemacht? - Das ist komisch. Ich habe mir schon Gedanken darüber ge- Dr. Kai Dolgner [SPD]: macht. Mit dem größten Vergnügen. Nehmen wir einmal das Beispiel eines Bolzplatzes und die Frage, wie dieser weiter genutzt werden Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Danke, soll. In einem kleinen Dorf interessiert diese Frage Herr Kollege. Darf ich Ihnen Gelegenheit ge- fast alle. In einer mittelgroßen Stadt ist nur das ben, Ihre Bemerkung zu unserem Internet- Quartier davon betroffen. In einer Großstadt wie portal „Kassensturz SH“ richtig- oder klarzu- Kiel werden Sie Schwierigkeiten haben, ein gene- stellen? - Sie haben gesagt, Sie würden Fra- relles Interesse dafür zu wecken. Das ist ein sachli- gen auch beantworten, wenn sie außerhalb cher Grund dafür, warum man sagt: Es muss einfa- des Internetportals eingehen. Ist es richtig, cher sein, die Schwelle in größeren Gemeinschaften dass nur die Fraktionen das Recht haben, von entsprechend abzusenken, damit über Dinge disku- der Landesregierung bis zur Beratung des tiert wird. Wir machen das auch bei den Zustim- Landeshaushalts Auskünfte über ihre Pläne mungsquoren so, weil wir bei der Frage der Quoren zu verlangen, die rechtzeitig geliefert werden immer das Problem haben, dass es zwei Seiten ei- müssen, weil darauf ein Anspruch besteht, ner Medaille gibt: Einerseits wollen wir Partikular- während es so ist, dass dann, wenn Bürgerin- interessen verhindern; wir sind nicht der Auffas- nen und Bürger an die Finanzministerin sung, dass eine Minderheit bestimmen soll, wenn schreiben, diese keinen Anspruch darauf ha- die Mehrheit sich anders artikuliert hat. Wir sind ben, rechtzeitig eine entsprechende Antwort aber nicht der Auffassung, dass Boykott-Strategien zu erhalten? - Würden Sie also sagen, dass zu einem Erfolg führen sollten, wenn eine Mehrheit unser Portal sehr wohl sehr sinnvoll gewesen zwar eine Meinung hat, aber meint, sie müsse ihre ist? - Im Übrigen sind über dieses Portal über Meinung nicht nach außen tragen, weil das Quorum 100 Fragen von Bürgern eingegangen. so hoch sei, dass es sich nicht lohne, dagegen zu ar- - Herr Kollege Dr. Breyer, ich beantworte Ihre Fra- gumentieren. Wir wollen sicherstellen, dass über ge wie folgt: Ich habe gesagt, ich beantworte auch die Fragen diskutiert wird. Die Diskussion ist umso Fragen, wenn sie nicht über Portale gestellt worden schwieriger, je größer die Gemeinschaft ist, weil in sind. Das, was Sie jetzt an Kritik eingebracht ha- der Kommunalpolitik nicht alle, aber die meisten ben, haben Sie sich vielleicht so überlegt. Ich finde Fragen nur einen Teil der Gemeinschaft betreffen. kritische Selbstbetrachtungen immer gut. Das habe (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich aber nicht gesagt. Zweitens. Natürlich arbeitet und SSW) Politik über Fraktionen. Damit haben Sie manchmal noch ein paar Schwierigkeiten. Deshalb benutze ich Diese Auffassung muss man nicht teilen, aber ich - wie jeder andere Abgeordnete auch - meine Stel- habe vorhin gesagt: Die repräsentative Demokratie lung in der Fraktion natürlich dazu, Themen, die hat sich - das gehört noch zur Antwort - in 2.500 ich wichtig finde, zu Fraktionsthemen zu machen Jahren aus Erfahrungswissen und Notwendigkeiten und übrigens auch zu Gesetzentwürfen. Einige Ent- entwickelt. Wir haben Erfahrungswissen und Not- würfe sind in dieser Wahlperiode aus den Reihen wendigkeiten aus der direkten Demokratie. Aus un- des Parlaments gekommen. Insofern ist das kein serer Erfahrung heraus ist eine Boykottstrategie et- Widerspruch, außer man macht einen daraus. was, was wir ernst nehmen müssen. Das ist unsere Antwort darauf. Diese muss keiner nachvollziehen, (Anhaltender Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ aber ich finde, dass dies eine sachliche Antwort ist. DIE GRÜNEN und SSW) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident Klaus Schlie: und SSW) Zu einem Beitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Ge- schäftsordnung hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Ek- kehard Klug das Wort. 1480 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Dr. Ekkehard Klug [FDP]: die nur einen kleinen Teil interessieren, so- dass also für uns der Kompromiss - Sie sind Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine doch ein Mann der Mitte - in der Mitte liegt, kurze Anmerkung zu dem, was der Kollege Dolg- nämlich nicht die Quoren abzuschaffen - das ner eben zur Begründung der unterschiedlichen ist nämlich die Argumentation, die nur auf Quoren angeführt hat: Er hat gesagt, dies diene da- die Boykottstrategie guckt - und auch nicht zu, Boykottstrategien zu verhindern. Ich glaube, das Quorum unabhängig von der Einwohner- dass Sie mit dieser Begründung ein wesentliches zahl gleichzuhalten? Das ist nämlich die Problem ignorieren. Das ist das Problem, dass es Strategie, die unabhängig von der Ein- beispielsweise in Großstädten wie Kiel oder Lü- wohnerzahl glaubt, dass alles gleichmäßig in- beck oft Themen gibt, die nur für einen kleinen Teil teressant ist für die gesamte Gemeinschaft. der Bevölkerung in einem bestimmten Stadtteil Sind Sie also bereit, zur Kenntnis zu nehmen, oder für ein kleines Segment der Einwohnerschaft dass die Mitte zwischen Abschaffung des von Interesse sind. Quorums und Konstanthaltung des Quorums (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) die gestaffelten Quoren nach Einwohnergrö- Wenn sich die überwiegende Mehrheit nicht an ei- ße sind? Können Sie diese Logik zumindest nem Bürgerentscheid beteiligt, dann ist das von den nachvollziehen, auch wenn sie ihr nicht zu- Leuten keine Boykottstrategie. Sie interessieren stimmen können? sich oft nicht für die entsprechenden Themen. Sol- - Nein, die kann ich nicht nachvollziehen, weil ich che Fälle wollen wir durch Punkt 2 unseres Antrags meine, dass man die vernünftige Mitte anders fin- verhindern. Wir sind in der Tat der Meinung, dass det, nämlich so, wie wir das vorschlagen, indem man die bestehenden Quoren behalten sollte und man zum einen die Schwelle für ein Bürgerbegeh- dass es erforderlich ist, dass zu einem erfolgreichen ren auch in den kleineren Orten niedriger ansetzt, Bürgerentscheid mindestens die Stimmen von 20 % also mit dem 4-%-Quorum, dass wir damit direkte der Stimmberechtigten einer Gemeinde in die Demokratie generell in allen Gemeinden erleichtern Waagschale fallen müssen. und die Kommunalvertretungen mit Themen aus der Bürgerschaft stärker konfrontieren, dass wir Präsident Klaus Schlie: aber dann, wenn es zu einem Bürgerentscheid kommt, sagen: Gültig ist das Ganze nur, wenn min- Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine destens ein Fünftel der Stimmberechtigten aufseiten Zwischenfrage des Kollegen Dr. Dolgner? der Mehrheit in die Waagschale eingebracht wird. Dr. Ekkehard Klug [FDP]: (Beifall FDP) Ich gestatte gern eine Zwischenfrage des Kollegen Das ist die vernünftige Mitte zwischen den beiden Dolgner. Ansätzen. Es gibt viel mehr Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Aber eine letztgültige Entschei- Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Klug, dung, die dann das Kommunalparlament überrollt ich hatte ja wenig Zeit. und sagt, da sei jetzt der Bürgerwille vorrangig und (Heiterkeit) das Kommunalparlament habe dann nichts mehr zu entscheiden, das kann nur dann gelten, wenn eben - Nein, Sie hatten uns nicht gesagt, welche Zwi- 20 % der Stimmenberechtigten sagen, es soll so schenfragen wir noch stellen sollten. - Aber gut, sein, also nicht irgendeine kleine Minderheit das jetzt sind Sie erst mal dran. macht, die sich für ein spezielles Thema interes- - Beim nächsten Mal werde ich eine Liste siert. machen. - Ich hatte also wenig Zeit. Aber ha- (Beifall FDP) ben Sie mitbekommen, dass ich versucht ha- be rüberzubringen, dass die gestaffelten Präsident Klaus Schlie: Quoren die Mitte sind zwischen den beiden Problemen, dass wir nicht wollen, dass auf Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die der einen Seite die Minderheit die Mehrheit Fraktionsvorsitzende - - dominiert, wir aber auch keine Boykottstrate- (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gie haben wollen, während wir auf der ande- NEN]: Ich verzichte!) ren Seite anerkennen - das war das Bolz- platzbeispiel -, dass es natürlich Dinge gibt, - Sie verzichten. Das ist hier so angekommen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1481

(Präsident Klaus Schlie)

Dann hat für die Landesregierung Herr Innenminis- Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die ter Andreas Breitner das Wort. Beteiligungsrechte für Bürgerbegehren und Bürger- entscheide - das stand hier heute auch im Mittel- Andreas Breitner, Innenminister: punkt - werden sich deutlich verändern. Der Ge- setzentwurf erweitert nicht nur den möglichen Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der genstand von Bürgerbegehren um B-Plan-Auf- ersten Beratung des Gesetzentwurfs durch den stellungsbeschlüsse, auch Quoren und eine Reihe Landtag im November 2012 hat es im Innen- und von anderen formalen Hürden werden gesenkt. Rechtsausschuss eine schriftliche wie mündliche Anhörung zu dem Vorhaben gegeben. Ich finde, Wir erfüllen damit unser Versprechen aus dem Ko- diese hat einige relevante Erkenntnisse gebracht. alitionsvertrag, die Menschen in unserem Land stär- ker in politische Prozesse und Entscheidungen ein- Ich halte es nicht für verwunderlich, dass der Ge- zubinden. setzentwurf in einer Reihe von zentralen Punkten Beifall gerade aus dem Bereich der kommunalen Anstoß für diese Initiative ist die besorgniserregen- Verbände erfahren hat. Dazu zählt die geplante de Entwicklung, dass sich viele Menschen von poli- Neufassung der §§ 16 a bis f Gemeindeordnung, tischen Prozessen abwenden. Geringe Wahlbeteili- die dem im März vergangenen Jahres erfolgten un- gungen sprechen eine deutliche Sprache und for- tauglichen Versuch zurücknimmt, Vorschriften zu dern uns zum Gegensteuern auf, um das Interesse vereinfachen und den Kommunen Gestaltungsop- an der Politik vor Ort wieder zu wecken. Früher tionen zu eröffnen. Trotz vieler Warnungen hatte war es eine Art höfliche Distanz gegenüber der Po- der Beschluss der alten Regierungsmehrheit jede litik oder Parteiendemokratie, die spürbar war. der mehr als 1.100 Städte und Gemeinden im Lande Heute begegnet uns häufig offene Verachtung. Dar- genötigt, eine eigene Bürgerbeteiligungssatzung zu auf müssen wir reagieren. erlassen. Die verstärkte Bürgerbeteiligung kann ein Instru- Die daraus resultierenden vielfachen Bitten um Hil- ment sein, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. festellungen an das Innenministerium machen deut- Sie wird sicher kein Allheilmittel sein, aber eine lich, dass den Kommunen tatsächlich ein Bären- gute Möglichkeit, aktiv zu demokratischen Beteili- dienst erwiesen statt für sie eine Erleichterung ge- gungen einzuladen. schaffen wurde. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Durch die heutige Entscheidung des Landtags wird und SSW) weiterer unnötiger Aufwand vermieden. Für unseren Staat ist die aktive politische Betäti- (Beifall SPD) gung als Ausdruck der Identifikation mit unserem demokratischen System lebensnotwendig. Mehr Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus einige in- Bürgerbeteiligung ist daher keine Bedrohung der haltliche Neuerungen wie die Streichung der Al- gewählten kommunalpolitischen Vertreterinnen und tersgrenze von bisher 14 Jahren im Rahmen von Vertreter oder eine Schwächung des kommunalpo- Einwohnerfragestunden. Vor dem Hintergrund litischen Ehrenamts. Die repräsentative Demokra- des Wahlalters von 16 Jahren bei Kommunalwah- tie steht selbstverständlich nicht zu Disposition, sie len und wohl in Kürze auch bei Landtagswahlen er- soll aber um mehr direktdemokratische Elemente scheint es mir sachgerecht, der Reife junger Men- ergänzt werden. Das ist kein Widerspruch, und das schen in den Fragestunden Rechnung zu tragen. wird auch nicht der Untergang des Abendlandes Neu ist auch eine Vorschrift zur konsultativen, das sein. heißt nicht bindenden, Einwohnerbefragung. Es (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist sicherlich richtig, dass es einer ausdrücklichen und SSW) Regelung nicht bedurft hätte. Sie trägt jedoch aus meiner Sicht dazu bei, die Einbindung der Einwoh- Präsident Klaus Schlie: nerinnen und Einwohner in Meinungsbildungspro- zesse zu fördern und schafft damit eine noch breite- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich re Basis für Entscheidungen der Gemeindevertre- schließe die Beratung. tungen. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der (Beifall SSW) Fraktion der FDP in der Drucksache 18/544 abstim- men. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der FDP. Wer 1482 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Präsident Klaus Schlie) ist dagegen? - Das sind die Fraktionen von SPD, Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abgeordneten FDP des SSW sowie die Fraktionen von CDU und PI- Drucksache 18/552 RATEN, wenn ich das richtig interpretiere. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Zuruf SPD: Ja!) ist nicht der Fall. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der Ände- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat, wenn ich rungsantrag in der Drucksache 18/544 mit den das richtig nachvollziehe, der Abgeordnete Flem- Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ming Meyer vom SSW. den Abgeordneten des SSW sowie der Fraktionen von CDU und PIRATEN gegen die Stimmen der (Zuruf SSW: Genau!) Fraktion der FDP abgelehnt. - Okay, vielen Dank. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktio- nen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Flemming Meyer [SSW]: der Abgeordneten des SSW - - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen (Hans-Jörn Arp [CDU] spricht mit seinem und Kollegen! Es ist mittlerweile gut ein Jahr her, Nachbarn - Unruhe) dass wir unseren letzten Antrag zum Thema De- menz abschließend hier im Landtag diskutiert ha- - Ich würde das gern weiterführen, Herr Abgeord- ben. Eingebracht hatten wir ihn bereits 2011. Doch neter. trotz der erschreckenden Zahlen und Prognosen zu (Hans-Jörn Arp [CDU]: Ja, ich höre gern zu!) demenziellen Erkrankungen in Schleswig-Holstein gab es in der letzten Wahlperiode keine Mehrheit Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktio- für den Antrag. Dass wir dies bedauern, versteht nen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sich von selbst; denn nach wie vor sehen wir hier der Abgeordneten des SSW in der Drucksache Handlungsbedarf. Natürlich waren CDU und FDP 18/310 in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung auf diesem Gebiet nicht tatenlos. Aber wir hätten abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um uns angesichts der großen Herausforderung, vor der das Handzeichen. - Da sind die Fraktionen von wir stehen, schon eine deutliche höhere Priorität ge- SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abgeord- wünscht. neten des SSW und die Fraktion der PIRATEN. Wer ist dagegen? - Das sind die Fraktionen von (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE CDU und FDP. Damit ist der Gesetzentwurf in der GRÜNEN) Drucksache 18/310 mit den Stimmen von SPD, Die intensive Auseinandersetzung mit dieser Pro- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der blematik, die wir nicht nur im Landtag, sondern auf Fraktion der PIRATEN gegen die Stimmen der allen Ebenen führen, zeigt, dass wir mit diesem Fraktionen von CDU und FDP in der Fassung der Wunsch nicht allein dastehen. Drucksache 18/501 angenommen. Worum es hier geht, habe ich schon mehrmals deut- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lich gesagt: Wir müssen unser Land weit besser für SSW und PIRATEN) die Herausforderungen, die mit der Zunahme von Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Demenzerkrankungen einhergehen, rüsten. (Beifall SSW, vereinzelter Beifall SPD und Demenzplan für Schleswig-Holstein erstellen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und umsetzen Dabei müssen die Betroffenen und ihre Angehöri- Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE gen im Mittelpunkt stehen. Ihre Lebenssituation ist GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW es, die wir verbessern wollen. Genau dieses überge- Drucksache 18/491 ordnete Ziel verfolgen SPD, Grüne und SSW mit dem vorliegenden Antrag. Anstatt bei diesem The- ma wie bisher mit kaum zusammenhängenden Ein- Versorgung von Demenzerkrankten als Teil ei- zelmaßnahmen herumzudoktern, wollen wir die ner regional organisierten sozialräumlichen Aktivitäten in Bezug auf Demenz zielgerichtet bün- Pflegeinfrastruktur deln; denn wir sind fest davon überzeugt, dass es nicht mehr reicht, auf die Einzelprobleme bei der Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1483

(Flemming Meyer)

Demenzbetreuung zu schauen. Wir brauchen ein Ich will andere Vorhaben auf Landesebene ganz ge- Gesamtkonzept, um den wachsenden Herausforde- wiss nicht abwerten. Aber mit diesem Antrag ver- rungen zu begegnen. binde ich die große Hoffnung, wirklich etwas für eine verbesserte Lebenssituation der Betroffenen (Beifall SSW, vereinzelter Beifall SPD und erreichen zu können. Wir sind davon überzeugt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir bei der Versorgung Demenzkranker nicht Dabei haben wir selbstverständlich immer auch die an einem koordinierten Vorgehen und an einem Finanzlage des Landes im Blick. Uns ist also schlüssigen Gesamtkonzept vorbeikommen. Des- durchaus klar, dass wir nicht alles auf einmal haben halb bitten wir die Landesregierung, den Demenz- können. Aber gerade weil wir kleine Schritte gehen plan gemeinsam mit den Kommunen und weiteren müssen, ist es wichtig, dass diese in die richtige relevanten Akteuren und Organisationen zu erstel- Richtung führen. Es ist ganz einfach Fakt, dass der len und dessen Umsetzung landesseitig zu sichern. Anteil Demenzkranker an der Bevölkerung in Zu- So wird es uns hoffentlich gelingen, nicht nur die kunft stark steigen wird. Demenzkranken in Schleswig-Holstein auch in Zu- Ich verzichte hier ganz bewusst darauf, auf Zahlen kunft menschenwürdig zu versorgen, sondern auch und Prognosen einzugehen; die habe ich alle vor ihre Lebensqualität und die ihrer Angehörigen zu einem Jahr erwähnt, und sie stehen ja auch in der verbessern. - Vielen Dank. Begründung. Aber an diesen Zahlen kommen wir (Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE ganz einfach nicht vorbei. Deshalb ist es dringend GRÜNEN und PIRATEN) notwendig, in einem ersten Schritt regional diffe- renziert zu ermitteln, wie hoch der Bedarf an Pfle- Präsident Klaus Schlie: geleistungen sein wird. Wenn ich von „Bedarf er- mitteln“ spreche, ist es nur konsequent, wenn wir Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeord- uns dann auch überlegen, wie wir diesen Bedarf neter Bernd Heinemann. ganz konkret decken können. Bernd Heinemann [SPD]: Natürlich sind gerade bei der Umsetzung des De- menzplans noch Fragen offen. Vor allem ist zu klä- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen ren, welche Aufgabe auf welcher Ebene zu lösen und Kollegen, meine Damen und Herren! Demenz ist. Aber unabhängig davon lässt sich die Tatsache, ist eine wesensverändernde Alterserkrankung, von dass hier Aufgaben zu lösen sind, wohl kaum leug- der immer mehr Menschen betroffen sind. Laut nen. Dies hat nicht zuletzt die Anhörung zum The- Bertelsmann-Studie sind es derzeit 1,3 Millionen; ma Demenzplan in der letzten Wahlperiode sehr bis 2030 werden es 2 Millionen sein. Ein Drittel der deutlich gezeigt. älteren Männer und circa die Hälfte der älteren Frauen leiden zum Zeitpunkt ihres Todes unter De- Um die Lebensqualität von Demenzkranken und menz. Die meisten sind von der Alzheimer-Krank- ihren Angehörigen wirklich spürbar zu verbessern, heit betroffen. ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig. Für den SSW will ich gern sagen, dass uns die bes- Demenz, das bedeutet für die Betroffenen eine zu- sere Vorbeugung und verbesserte Vorsorge für po- nehmende Beeinträchtigung der geistigen Lei- tenzielle Demenzkranke besonders wichtig ist; denn stungsfähigkeit, bei der nicht nur das Gedächtnis durch verstärkte Bemühungen in diesem Bereich ist oder die Orientierung, sondern auch die Sprache, ja, es nicht nur möglich, die Zahl der Erkrankten, son- das Urteilsvermögen immer weiter begrenzt wird. dern auch die Dauer der Erkrankung zu verringern. Schließlich sind die Betroffenen kaum noch zu ei- Es ist kein Geheimnis, dass Vorsorgemaßnahmen ner selbstständigen Lebensführung in der Lage, und den Ausbruch von Demenz um 10 bis 15 Jahre ver- die Angehörigen sind oft verzweifelt; sie fühlen schieben können. Hier zu investieren, macht nicht sich erschöpft und hilflos. Die letztlich oft verzwei- nur rein menschlich Sinn, sondern auch rein ökono- felte Antwort darauf: Heimunterbringung. misch; In deutschen Pflegeheimen werden immer noch 5 (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE bis 10 % der Bewohnerinnen und Bewohner kör- GRÜNEN) pernah fixiert. Unter Einbeziehung der Anwendung von Bettgittern erhöht sich der Anteil der Bewoh- denn viele dieser Betroffenen werden dementspre- ner, die freiheitsbeschränkende Maßnahmen erlei- chend länger auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung den, sogar auf 30 bis 40 %. Mobilitätsvermin- stehen. dernde Maßnahmen beschränken dabei nicht nur 1484 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Bernd Heinemann) das Recht auf Bewegungsfreiheit. Sie erhöhen so- Meine Damen und Herren, wir wollen klare Stan- gar die Verletzungsgefahr deutlich. Hier entsteht oft dards, vor denen sich fachkompetente Einrich- ein Teufelskreis, wenn der Demenzkranke in die tungen nicht verstecken dürfen. Die Behandelnden, somatische Behandlung eingreift, zum Beispiel die Pflegenden, die Angehörigen und die Betroffe- Schläuche entfernt und so weiter. nen haben das Recht, sich auf qualifizierte Leitlini- en zu stützen, und wir haben die Pflicht, dafür Sor- Doch es gibt längst bessere Maßnahmen, die uns ge zu tragen, dass es sie gibt. zum Beispiel im Elisabeth-Krankenhaus in Eutin präsentiert wurden. Rehabilitationsmaßnahmen, (Beifall SPD und SSW) wie ein Balance- und Krafttraining, können auch Wir werden das machen. Wie wir das machen wer- bei Demenzkranken für den Erhalt der Mobilität den, ist eigentlich klar; denn qualifizierte Bestands- und als Sturzprophylaxe erfolgreich sein und aufnahme und Prognosen sind ebenso vorhanden gleichzeitig das Fixierungsrisiko vermindern sowie wie Modelle wirklich guter Praxis. Ich nenne als den Schlaf stabilisieren. Beispiel Wohnprojekte, wie etwa in Hürup. Schon jetzt besteht für 8,5 % der über 65-Jährigen Wir haben in Schleswig-Holstein ein großartiges in Schleswig-Holstein dringender Handlungsbe- Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt. Die- darf, und die Zahl wird sich in nicht allzu ferner ses ist immer auf dem neuesten Stand und hat einen Zukunft sogar verdoppelt haben. Nach einer aktuel- sehr gut gefüllten Erfahrungsspeicher. Es fehlt uns len DKV-Studie haben 70 % der Deutschen Angst also nicht am Können und am Wissen, sondern an vor einer demenziellen Erkrankung im Alter. Mehr der systematischen Umsetzung vorhandener Kom- als die Hälfte gibt an, lieber sterben zu wollen als petenzen. Wir wollen hier einen richtigen und ge- an Alzheimer zu erkranken. meinsamen Weg der Unterstützung gehen. Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat der Im vergangenen Jahr hat sich auch der Deutsche SSW mit seinem Antrag auf die Notwendigkeit der Ethikrat zu Demenz und Selbstbestimmung zu Erarbeitung eines Landesdemenzplans hingewie- Wort gemeldet. Er hat eindringlich auf die Notwen- sen. Auch die Sprecherinnen und Sprecher von digkeit von regionaler und nationaler Demenzpla- CDU und FDP haben Handlungsfelder ausgemacht. nung hingewiesen. Wir wollen uns gerade auch hier Aber Worthülsen nutzen nichts. Wir wollen jetzt für Toleranz und ein besseres Miteinander einset- endlich Taten, Maßnahmen, Hilfen, und zwar kon- zen. Die Ausgrenzung und die Stigmatisierung der kret und zielgerichtet. Betroffenen müssen unterbunden werden. Dies (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzt auch die Anwendung der UN-Behinderten- NEN) rechtskonvention voraus. Wir haben bei den Anhörungen vor einem Jahr die Schon 2011 hat übrigens das Bundesministerium Stellungnahmen der Alzheimer Gesellschaft, des für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Vor- DGB und der Pflegekassen aufmerksam gelesen. studie für einen nationalen Aktionsplan Demenz Wenn die Angehörigen nicht mehr können, fahren beim Institut für Sozialforschung und Sozialwirt- unsere Sozialsysteme angesichts der Demenzpro- schaft in Auftrag gegeben. Die Deutsche Alzheimer blematik innerhalb kürzester Zeit an die Wand. Gesellschaft hat Bundeskanzlerin Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. schon vor zwei Jahren eine konkrete nationale De- Kommunen, Ärzteschaft, Einrichtungen, Verbände, menzstrategie vorgeschlagen. Also auch auf natio- ja die Gesellschaft insgesamt steht in der Verant- naler Ebene müssen wir hier endlich weiterkom- wortung. Wir werden uns für die Forschung einset- men. Über die GMK-Konferenz oder gar den Bun- zen. Wir werden die Prävention vorantreiben und desrat werden wir auch für eine wirkliche Reform vor allem regionale Handlungsleitfäden ermögli- der Pflegepolitik eintreten. chen und zusammenführen. Aber zuerst sind wir mit unserem regionalen Bei- Die Mittel für diese ersten Schritte haben wir in den trag gefragt. Die zurzeit etwa 45.000 demenziell er- Haushalt bereits eingestellt. Die Qualität der Hil- krankten Menschen - Tendenz steigend - und ihre fen darf weder vom Wohnort noch von den jeweils Angehörigen in Schleswig-Holstein dürfen schlicht zufällig vorhandenen Kenntnissen in der Demenz- nicht vergessen werden. Im Gegenteil: Wir werden behandlung oder von der pflegerischen Unterstüt- handeln, meine Damen und Herren. - Ich danke Ih- zungskompetenz vor Ort abhängen. nen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1485

(Bernd Heinemann)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine zentrale Aufgabe im Umgang mit Demenz und SSW) kommt dem Kompetenzzentrum Demenz in Nor- derstedt zu. Diese Fachstelle hat seit 2011 die Auf- Präsident Klaus Schlie: gabe, die Versorgungsstrukturen in Schleswig-Hol- stein für die Betroffenen auszuweiten und zu ver- Jetzt hat für die CDU-Fraktion die Abgeordnete bessern. Alle beteiligten Akteure - wie beispiels- Katja Rathje-Hoffmann das Wort. - Es tut mir leid, weise Ärzte, Pflegepersonal, Pflegeeinrichtungen, ich hatte das aufgrund der vorgezogenen Wortmel- Kommunen und Behörden - werden in ihrer fachli- dung des Abgeordneten Flemming Meyer nicht in chen Arbeit für den besonderen Umgang mit De- die richtige Reihenfolge gebracht. menzkranken eigens geschult und gezielt weiterge- bildet. Beinahe alles, was Sie in Ihrem Antrag for- Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: dern, bietet bereits jetzt das Kompetenzzentrum De- Herr Präsident, das finde ich nicht so schlimm. So menz an. ist unser Änderungsantrag noch rechtzeitig verteilt (Beifall CDU) worden; er liegt Ihnen jetzt vor. So ist es gut, und so soll es auch sein. Aktuell gibt es spezielle Schulungen im Umgang mit der Krankheit Demenz für Polizistinnen und Meine Damen und Herren! Im Prinzip sind wir uns Polizisten an der Polizeischule, mit Mitarbeiterin- einig, dass wir uns künftig darauf einstellen müs- nen und Mitarbeitern der Banken und Sparkassen sen, besser und auch kompetenter mit der Krankheit und auch im ehrenamtlichen Bereich wie zum Bei- Demenz umzugehen. Allein die Zahlen sprechen spiel der Bahnhofsmission. Sie alle können sich eine eigene Sprache. Von den rund 2,4 Millionen fachlich durch die Mitarbeiter des Kompetenzzen- Pflegebedürftigen in Deutschland ist circa die Häl- trums Demenz unterweisen lassen, und sie nehmen fe, also 1,2 Millionen, zugleich an einer Demenz es verstärkt in Anspruch. Aktuell finden Gespräche erkrankt. Bis etwa 2030 wird der Anteil der pfle- mit dem Einzelhandelsverband zur Schulung von gebedürftigen Menschen auf circa 4 Millionen an- Verkäuferinnen und Verkäufern im Umgang mit steigen. Das ist eine riesige Herausforderung für die Demenz und mit demenzkranken Einkäuferinnen gesamte Gesellschaft, weil gleichzeitig die Bevöl- und Einkäufern statt, die manchmal gar nicht wis- kerungszahl sinkt. sen, wo sie sich befinden. All das muss geübt wer- Schon aus diesem Grund muss die Pflegeversiche- den, und all das wird angeboten. rung immer wieder neu ausgerichtet werden. So ist Im Austausch mit den Verantwortlichen des Kom- dies jüngst geschehen, nämlich zum Jahresbeginn petenzzentrums Demenz wird aber auch noch eine 2013. Endlich finden die besonderen Bedürfnisse weitere Notwendigkeit sehr deutlich: die flächen- von Demenzkranken eine bessere Berücksichtigung deckende Einrichtung von Pflegestützpunkten in in der ambulanten Versorgung als bisher. Das Pfle- Schleswig-Holstein. Zurzeit fehlen in vier Kreisen gegeld wurde stufenweise angehoben. Hiervon al- diese niederschwellig erreichbaren Fachberatungs- lein profitieren schon 500.000 Pflegebedürftige und stellen. Ich will sie einmal nennen; man muss nicht deren Angehörige. Zudem wurden bessere Mög- immer darum herumreden. Das sind Steinburg, lichkeiten geschaffen, dass Demenzkranke wunsch- Stormarn, Ostholstein und Schleswig-Flensburg. gemäß so lange wie möglich in ihrer eigenen und Wir hoffen, dass sich langsam die Meinung ändert gewohnten Umgebung leben können, nach dem und sich eine Bewegung entwickelt, dass auch da Motto: ambulant vor stationär. ein Pflegestützpunkt eingerichtet wird. Ebenfalls wurden die Möglichkeiten für das Leben (Beifall SPD - Lars Winter [SPD]: Den die in selbstorganisierten Wohngemeinschaften oder CDU verhindert hat!) Wohngruppen verbessert. Zudem gab es eine Auf- wertung und Verbesserung der Bedingungen für - Ich unterstütze das auch. Man muss auch einmal pflegende Angehörige wie zum Beispiel die Wei- gucken. Ich glaube, die Zahlen, die ich Ihnen gleich terzahlung des hälftigen Pflegegeldes bei der Inan- nenne, sprechen dafür. spruchnahme von Leistungen in der Kurzzeit- be- In den übrigen Kreisen finden Angehörige und De- ziehungsweise Verhinderungspflege. Außerdem menzerkrankte die notwendige fachliche Hilfe und gibt es Verbesserungen in der medizinischen Ver- Unterstützung für die von allen Seiten gewünschte sorgung von Pflegebedürftigen in stationären Hei- möglichst lange Betreuung in den eigenen vier men. Wänden. Allein im Pflegestützpunkt Norderstedt gab es im vergangenen Jahr 2012 mehr als 500 1486 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Katja Rathje-Hoffmann)

Neukontakte. Wir müssen flächendeckende Bera- Darauf sind wir, egal, welcher Fraktion wir angehö- tung ermöglichen und in eine sozialräumliche Infra- ren, fachlich einfach nicht gut genug vorbereitet. strukturplanung in den Kreisen und kreisfreien Es gibt eine Lücke im Versorgungssystem, und die- Städten einbinden. se Lücke - da gebe ich dem Kollegen Flemming Meyer recht - wollen wir endlich schließen. (Vereinzelter Beifall CDU) (Beifall SSW und Bernd Heinemann [SPD]) Das sind die großen Herausforderungen für den Umgang mit einer älter werdenden Gesellschaft. Wer morgen eine gute Pflege für seine demenz- Deswegen brauchen wir eigentlich keinen neuen kranken Angehörigen will, muss heute handeln. Demenzplan, sondern mehr Kompetenz durch mehr Wer übermorgen für sich selbst, falls er Demenz Information und flächendeckenden fachlichen Rat bekommt, eine gute Versorgung möchte, muss jetzt für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Insti- die Weichen stellen, liebe Kolleginnen und Kolle- tutionen und Unternehmen. gen. Pflege ist mehr als körperliche Versorgung. Gerade der Betreuungsaufwand bei Demenz wird (Vereinzelter Beifall CDU) immer noch völlig unterschätzt. Wir fordern deswegen, die Aktivitäten der beste- (Beifall Birte Pauls [SPD]) henden Fachstellen dauerhaft zu fördern und abzu- sichern und für das Kompetenzzentrum Demenz, Es hat sich in dieser Richtung viel getan, aber es das Sie schon gelobt haben, eine Zukunft zu bieten. muss - die Kollegin Pauls wird mir sicher recht ge- Wir beantragen für unseren Änderungsantrag die ben - noch viel mehr geschehen. Ausschussüberweisung. - Danke schön. Wir Grüne werden uns auch weiterhin auf Bundes- (Beifall CDU) ebene dafür einsetzen, dass der Pflegebedürftig- keitsbegriff endlich neu definiert wird. Präsident Klaus Schlie: (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE SSW und PIRATEN) GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Schnecken- tempo auf Bundesebene wollen wir nicht mitma- Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: chen. Wir wollen in Schleswig-Holstein das tun, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen was wir hier auf Landesebene auch tun können. Al- und Kollegen! „Vergiss mein nicht“, so heißt der les, was möglich ist, muss für eine gute Vorberei- aktuelle Kinofilm zum Thema Demenz von David tung getan werden. Unser Motto ist: Jetzt handeln Sieveking. Er begleitet hierin seine an Alzheimer und nicht länger abwarten. erkrankte Mutter auf ihrer Reise in die Demenz, ei- (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE ne Reise, von der seine Mutter nie wiederkehren GRÜNEN, SPD und SSW) wird, weil Demenz nicht heilbar ist. 2008 wurde die Landesagentur Demenz für drei Manche Menschen haben ein Gedächtnis wie ein Jahre als Modellprojekt in Norderstedt eingerichtet. Elefant, manche können sich nach wenigen Minu- „Vergissmeinnicht“ ist übrigens auch der Titel der ten nicht mehr merken, was eben gesagt worden ist, Kampagne, die die Alzheimer Gesellschaft 2008/ und sie können sich teilweise nicht mehr an ihre ei- 2009 in Schleswig-Holstein startete. Inzwischen ist genen Angehörigen erinnern. Das ist eine Situation, die Landesagentur in das „Kompetenzzentrum die insbesondere für die Angehörigen selbst sehr Demenz“ umgewandelt worden und wird dauerhaft belastend ist. gefördert. Das begrüßen wir Grüne ganz ausdrück- Demenz gehört zum Leben vieler Menschen. Nie- lich. Das Team in Norderstedt leistet hervorragende mand von uns weiß genau, ob er später einmal Arbeit. Aber ein Kompetenzzentrum allein, liebe selbst betroffen sein wird. Eines ist klar: Es gibt Kolleginnen und Kollegen, kann den Bedarf in ei- deutliche Hinweise, dass sich regelmäßige Bewe- nem Flächenland wie Schleswig-Holstein nun wirk- gung im Sinne der Prävention günstig auswirkt. lich nicht decken. Das müsste uns allen klar sein. Mehr als 45.000 Menschen in Schleswig-Holstein Wir brauchen eine systematische Erhebung, wel- leiden schon jetzt an Demenz, und ihre Anzahl che Angebote für Demenzkranke und ihre Angehö- wird in den nächsten Jahren deutlich steigen. rigen schon vorliegen. Wir brauchen entsprechende Beratungs- und Unterstützungsangebote, und wir brauchen vor allen Dingen eines - dieser Punkt ist Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1487

(Dr. Marret Bohn) mir ganz besonders wichtig -, mehr wissenschaftli- nicht sein. Das, was Sie eben gerade beschrieben che und medizinische Forschung zu Alzheimer haben, was Sie erwarten, was der Demenzplan al- und Demenz. Je früher wir ein Mittel gegen die Er- les bringen soll, hat mich zu der Frage gebracht, ob krankung finden, desto besser ist es für die Betrof- es nicht ohnehin das eigentlich originäre Handeln fenen, die nicht krank werden, und für unsere Ge- des Ministeriums ist, darüber Bestandsaufnahmen sellschaft insgesamt. zu machen und das darzustellen. Ich weiß nicht, ob wir wirklich einen Demenzplan brauchen, für den Wir müssen dahin kommen, dass wir die Erkran- wir 15.000 € zur Verfügung stellen, der anschlie- kung im Frühstadium erkennen und irgendwann ßend als Hochglanzbroschüre verteilt wird. auch einmal heilen können. (Beifall Karsten Jasper [CDU]) (Beifall SSW, Karsten Jasper [CDU] und Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Einrichtungen wie das Kompetenzzentrum De- menz in Norderstedt - auch das ist von dem Kolle- Demenz ist ein Massenphänomen und damit eine gen Heinemann dargestellt worden - sind wichtige gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Men- und richtige Maßnahmen gewesen. Ich teile Ihre schen mit Demenz gehören zu unserem Alltag. Sie Auffassung, dass eine einzige Einrichtung in bewegen sich genau wie wir im öffentlichen Raum. Schleswig-Holstein sicherlich zu wenig ist. Aber Deshalb sollten wir alle wissen, wie wir angemes- auch das wird uns ein Demenzplan nicht aufzeigen. sen und respektvoll mit Demenzkranken umgehen. Ich glaube, dass bekommen wir auch so geklärt. Was macht die Busfahrerin, wenn der Fahrgast un- bedingt nach Schilksee möchte, die Linie aber nach (Beifall Karsten Jasper [CDU]) Wellsee fährt? Was macht der Verkäufer, wenn die Wir haben diese Maßnahmen in der 17. Legislatur- alte Dame nach einer roten Jacke sucht, aber im periode aus voller Überzeugung unterstützt. Wir Schuhgeschäft steht? Wie reagiert die Polizei, wenn werden das auch weiterhin tun. sich der ältere Herr weder an seinen Namen noch an seine Adresse erinnern kann? - Wenn Sie sich all diese Situationen vor Augen führen, wird klar: Wir Präsident Klaus Schlie: brauchen mehr Information, wir brauchen mehr Frau Abgeordnete, Sie lassen eine Zwischenfrage Wissen über Demenz, und wir müssen versuchen, zu? die Anzahl der Demenzerkrankungen zu verringern. Je schneller wir uns darauf einstellen, desto besser. Anita Klahn [FDP]: Wir alle sind daher dazu verpflichtet, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern zu handeln - Gern. je früher, desto besser. Präsident Klaus Schlie: Ich würde mich freuen, wenn Sie jetzt nicht verges- sen, unserem Antrag zuzustimmen. - Vielen Dank Bitte schön, Herr Abgeordneter. für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Heiner Garg [FDP]: Frau Kollegin (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD Klahn, würden Sie mir zustimmen, dass das und SSW) Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt die vorrangige Aufgabe hat, die bereits seit Präsident Klaus Schlie: einigen Jahren im Land vielfältig vorhande- nen Aktivitäten in diesem Bereich zu koordi- Das Wort für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeord- nieren, zu bündeln und dieses Wissen weiter- nete Anita Klahn. zugeben?

Anita Klahn [FDP]: (Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Dr. Bohn hat hier sehr einfühlsam Anita Klahn [FDP]: dargestellt, wie es um Demenzerkrankte steht, welche Probleme im Alltag auftauchen. Wir von Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu und danke der FDP teilen das auch ohne Einschränkung, das für den zusätzlichen Hinweis. sage ich ganz deutlich. Dennoch fragen wir uns, ob Meine Damen und Herren, Betroffene sollten so ein Demenzplan tatsächlich das Allheilmittel ist. lange wie möglich im Kreis ihrer Angehörigen blei- Wir sagen ganz klar und deutlich: Er wird es allein ben. Hilfestellung und Aufklärungskampagnen 1488 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Anita Klahn) können in Kooperation mit Krankenkassen und diesem Grunde sagen wir ganz deutlich: Wir möch- auch Selbsthilfeorganisationen erfolgen. Man muss ten ihnen eine echte Wahlfreiheit zusichern, ihr Le- an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen, ben so weit wie möglich selbst zu gestalten. Dazu dass wir die finanziellen Ressourcen unseres Lan- benötigen die Betroffenen gute Beratung. Das kön- des, die recht knapp sind, sehr sinnvoll einsetzen nen Pflegestützpunkte leisten, aber ich betone an sollten, damit es zu einer deutlichen Verbesserung der Stelle, dass ich mir unabhängige - und zwar trä- der Lage der Betroffenen kommt. gerunabhängige - Beratungsstellen wünsche. Gestern hat ein vor dem Landesseniorenrat anwe- (Vereinzelter Beifall FDP, CDU, SPD und sender Mediziner in seinem Vortrag dargestellt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass es kleine, niedrigschwellige Angebote sein Es gibt in allen Pflegestufen mehr Geld für De- müssen. Das hat die Kollegin Bohn auch eben her- menzkranke. So erhöht sich zum Beispiel in Pflege- ausgehoben. Es ist der frühzeitige Erhalt von Lei- stufe I das Betrag um 70 €. Es gibt höhere Pflege- stungsfähigkeit, die Mobilität. Ich gebe den gestri- sachleistungen, und seit März 2012 klärt ein Exper- gen Ratschlag des Mediziners gern für die kom- tenbeirat die wesentlichen Umsetzungsschritte zur mende Mittagspause weiter: Wer frühzeitig an- Neudefinierung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. fängt, täglich 20 Minuten im forschen, flotten Schritt spazieren zu gehen, hilft, dazu beizutragen, Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt für uns ist - nicht an Demenz zu erkranken beziehungsweise das würde ich gern im Ausschuss mit Ihnen weiter nicht so frühzeitig. Das ist eine ganz simple Maß- diskutieren, deswegen beantragen auch wir die nahme. Überweisung beider Anträge in den Ausschuss -, wie die Ausbildung entsprechend um diesen Part (Vereinzelter Beifall FDP, CDU und Beifall intensiviert werden kann, damit die Pflegefachkräf- Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- te wissen, wie sie richtig mit den Menschen umge- NEN]) hen, die an Demenz erkrankt sind, wie sie ihnen Anders als Sie es in Ihrem Antrag suggerieren wol- körperliche und geistige Anregung geben können, len: Demenz ist der Gesellschaft bewusst. Damit ist damit die Menschen so lange wie möglich ihren der Gesellschaft inzwischen auch bewusst, wie dif- Alltag selber bewältigen können. fizil dieses Krankheitsbild ist. Es geht nicht allein (Beifall Dr. Ekkehard Klug [FDP]) um das Vergessen, um das Problem, sich an etwas nicht erinnern zu können, es geht auch einher mit Zum Abschluss noch zwei Zahlen: Die schwarz- vielen Einschränkungen der Mobilität und der All- gelbe Bundesregierung stellt 1,1 Milliarden € für tagsbewältigung. Dafür muss ein Mensch, der er- die bessere Versorgung von Pflegebedürftigen und krankt ist, nicht unbedingt sofort in eine stationäre ihren Angehörigen, speziell für Demenzerkrankte, Einrichtung, sondern wir sollten dem Anspruch bereit; Gelder also, die den Betroffenen direkt zu- Rechnung tragen, dass die Menschen in ihrem pri- gutekommen. Ich frage mich, wo Sie eine noch hö- vaten Umfeld bleiben wollen. Dafür brauchen die here Priorität erwarten, wenn Sie sie in dieser Maß- Angehörigen Unterstützung. nahme nicht erkennen können. An dieser Stelle muss ich ganz klar sagen, dass es Als Rot-Grün-Blau stellen Sie dagegen jetzt die schwarz-gelbe Bundesregierung gewesen ist, 15.000 € in den Haushalt für die Schaffung eines die im Rahmen des Gesetzes zur Neuausrichtung Planes ein. Ich finde, das ist zu wenig, wenn Sie der Pflegeversicherung erstmals demenziell Er- wirklich den Anspruch erheben, dass Sie mehr tun, krankte mit ihren spezifischen Bedürfnissen in den als Schwarz-Gelb es getan hat. - Vielen Dank. Leistungskatalog aufgenommen hat. (Beifall FDP und vereinzelt CDU) (Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Dr. Ekkehard Klug [FDP]) Präsident Klaus Schlie: Damit dem Personenkreis mit eingeschränkter All- Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat Herr tagskompetenz die Leistungen zugutekommen, Abgeordneter Wolfgang Dudda. werden Leistungen bereits in der Übergangsphase ab Januar 2013 bezahlt. Dazu gehören die Verbes- Wolfgang Dudda [PIRATEN]: serung der ambulanten Versorgung und der An- spruch auf häusliche Betreuung. Pflegebedürftige - Meine Damen und Herren! Das Thema ist ein sehr und auch wir - haben doch eine Vorstellung davon, wichtiges. Ausnahmsweise werde ich an der Stelle wie man betreut und versorgt werden möchte. Aus das wiederholen, was zwischenzeitlich zum Drama Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1489

(Wolfgang Dudda) der Demenzerkrankung schon gesagt wurde. Wir ten Weg zu begleiten. Drei von vier Erkrankten le- können uns angesichts der Zahlen, die wir bereits ben in einem Heim, in einer stationären Einrich- gehört haben, gar nicht ausführlich genug damit be- tung, weil es ihrer Familie nicht mehr möglich ist, schäftigen. sich bis zum Schluss um sie zu kümmern. Auch die Angehörigen brauchen dringend professionelle Hil- Ich freue mich, dass wir diesen Antrag behandeln fe. Wir müssen nicht nur die Erkrankten im Auge können, nachdem er in der letzten Legislatur auf- behalten, sondern auch die Angehörigen, die eine grund der damaligen Mehrheitsverhältnisse nicht so sehr schwierige Arbeit geleistet haben, brauchen behandelt werden konnte. Die Koalition will sich Hilfe. um Menschen kümmern, die sich selbst nicht mehr ausreichend kümmern können. Das finden wir PI- Mit jedem Schritt, den diese tückische Krankheit RATEN gut, da sind wir dabei. voranschreitet, sind die Betroffenen darauf ange- wiesen, dass ihr Umfeld die verloren gegangenen Ich gehe jetzt auf das Krankheitsbild ein, weil das Fähigkeiten sensibel, kreativ und immer wieder neu bedeutend dafür ist, wie man damit umgeht, und ergänzt und schließlich ersetzt. Demenz ist keine warum man auch - wie ich finde - mit 15.000 € aus- liebenswerte Tüddeligkeit, kein zeitweises Nachlas- kommen kann. sen des Gedächtnisses. Demenz ist ein fortschrei- „Ich habe mich sozusagen selbst verloren“, be- tender Krankheitszustand, bei dem der Erkrankte schrieb Auguste Deter ihren Zustand, als sie im immer weniger in der Lage ist, sein Kranksein, sei- Jahr 1901 in eine „Anstalt für Irre und Epilepti- ne Bedürftigkeit mitzuteilen. Sein Umfeld, die sche“ in Frankfurt am Main eingewiesen wurde. So Pflegenden und Betreuenden, ist zunehmend auf In- nannte man solche Einrichtungen damals noch. Der tuition und Vermutungen angewiesen. Dabei sind behandelnde Arzt war Alois Alzheimer. Sein Name sie natürlich oft unsicher, überfordert und gelangen wurde zum Begriff, denn fast zwei von drei De- oft an die Grenzen ihrer Kräfte. Dabei ist es völlig menzkranken sind an Alzheimer erkrankt. Es gibt unerheblich, ob der Erkrankte in der Familie oder in bekannte Alzheimer-Patienten wie Margret That- einem spezialisierten Heim gepflegt wird. cher, Ernst Albrecht, Rudi Assauer. Es gibt die fast Jeder, wirklich jeder gerät hier immer wieder an die 1,4 Millionen Demenzerkrankte überhaupt. Grenzen seiner Möglichkeiten und seiner Kraft. Im- Anders als 1901 werden Demenzerkrankte nicht mer wieder begegnet er nicht nur der Krankheit, weggesperrt oder schlicht mit Psychopharmaka ru- sondern auch der Verzweiflung und Angst, mit de- hig gestellt, auch wenn der Name der Krankheit nen die Erkrankten zusätzlich kämpfen und die ih- darauf schließen lassen könnte: Demenz - „ohne ren Emotionen unterschiedlich Ausdruck verleihen. Geist“. Genau das sind die Erkrankten nicht. Sie Ständige Verzweiflung, tiefste Traurigkeit, auch ex- können nur ihr Ich nicht mehr in Raum und Zeit treme Aggression oder totale innere Emigration - verorten. Es ist, als sickere die Persönlichkeit Trop- das alles begegnet auch den Menschen, die den fen für Tropfen aus dem Menschen heraus, habe ich Kranken zur Seite stehen wollen. aus dem Erfahrungsbericht einer Angehörigen ge- Rund 12.000 stationäre Einrichtungen in Deutsch- hört. Demenzerkrankte leben ihr Leben anders, jen- land stehen vor der schwierigen Aufgabe, diesem seits jeder Norm. Sie fürchten sich, verzweifeln, Krankheitsbild gerecht zu werden. In Schleswig- empfinden zunächst auch Aggressionen und ziehen Holstein kennen wir vor allem das Haus Schwansen sich Stück für Stück zurück, unfähig, am Leben um als besonders Heim, das sich auf Demenz speziali- sie herum teilzunehmen. Sie werden kleiner, blasser siert hat. Die Aufgabe, die sich dieses Haus gestellt und verschwinden in dem Nebel, der nur sie um- hat, wird immer drängender, weil Demenz inzwi- gibt, unerreichbar für sich und andere. Darum ist es schen der Hauptgrund für eine stationäre Weiter- für alle so schwer und fremd, mit dieser fortschrei- versorgung geworden ist. Demenz im familiären tenden Krankheit umzugehen. Raum zu begegnen und den Erkrankten angemes- An Demenz zu erkranken, bedeutet vor allem, dass sen zu begleiten, gelingt meist nur bis zu einem ge- man einen sehr langen Weg vor sich hat, auf dem wissen Grad. Die Pflege in einer stationären Ein- man immer mehr geistige und seelische Fähigkeiten richtung ist oft der letzte verzweifelte Schritt, den einbüßt. Je besser wir diese unheilbare Krankheit Menschen tun müssen, wenn sie der Aufgabe, die verstehen, desto besser wird es uns gelingen, Men- ihnen gestellt ist, nicht mehr gewachsen sind. Die schen, die die Pflege als ihre Berufung verstehen, Mehrheit der Pflegeheimbewohner - der Kollege in ihrem Bestreben zu unterstützen, demenzkranke Heinemann hat es erwähnt - ist demenzkrank. Menschen auf diesem langen und sehr schmerzhaf- 1490 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Wolfgang Dudda)

Demenz bessert sich nicht. Sie schreitet fort. Allein Bernd Heinemann [SPD]: diese Erkenntnis lässt darauf schließen, dass ein gu- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hat- ter Umgang mit Demenzkranken eine veränderte ten bisher keine Gelegenheit, uns den Antrag genau Haltung zur Pflege erfordert. Wer in der Demenz- anzusehen. Nach eingehendem Studium steht jetzt pflege tätig ist, braucht Kraft und Mut, sich auf die allerdings fest: Das ist ein Antrag Demenzplanung veränderte Lebenssituation des Erkrankten ein- verhindern reloaded. Wir haben kein Wissens- und zustellen. Er kann nicht anders handeln, als er es kein Kompetenzdefizit, sondern wir haben ein tut, mag dies auch noch so stark von der Norm ab- Handlungsdefizit. Deswegen müssen wir hier vor- weichen, dass es Außenstehenden als absonderlich ankommen. erscheint. Der Demenzkranke muss genau beobach- tet werden. Dass zwei CDU-Landräte und ein SPD-Landrat im- mer noch keine Pflegestützpunkte geschaffen ha- Verschiedene Projekte wie TransAltern setzen eine ben, bedauern wir mit Ihnen gemeinsam. substanzielle personelle Ausstattung voraus. Da sind wir an dem Punkt, um den ich den Demenz- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, plan gern erweitern würde, denn die Lage und FDP und SSW) Ausstattung der Heime, in denen die Erkrankten Das ist Aufgabe der Kreise, und da werden wir gepflegt werden, werden nicht berücksichtigt. Ich nicht nachlassen. Das wird gerade in der Demenz- würde gern mehr erfahren über die unterschiedli- planung sicherlich eine große Rolle spielen. chen Konzepte und den Erfahrungsaustausch, ohne den Demenzforschung nicht gelingen kann. An das Dass Sie Ihre Bundesregierung loben, ist in Ord- professionelle Personal werden besondere Anforde- nung, aber es gibt noch das Defizit, dass die Pflege- rungen gestellt. Die sollten wir aufarbeiten, denn bedürftigkeit nach wie vor nicht definiert ist und danach richtet sich die Ausbildung, die gegebenen- wir nach wie vor über den Bundesrat und die GMK falls für den Demenzbereich spezialisiert werden Erfolge erzielen müssen, um weiterzukommen. muss. (Anhaltende Unruhe) (Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg Insgesamt ist Ihr Antrag nicht hilfreich, weil er letz- [FDP] - Unruhe) ten Endes das beschreibt, was wir im Rahmen der Ich freue mich, wenn wir diesen Aspekt in den ehr- Demenzplanung als Defizite ansehen. Unser Antrag geizigen Anforderungskatalog, den Sie hier aufge- umfasst Ihren Antrag, und deswegen ist unser An- stellt haben, aufnehmen könnten. Das kommt mir trag umfassender und richtiger. hier zu kurz. Das finde ich aber wichtig. Ich würde Wir wollen nicht in eine neue Debatte eintreten. mich freuen, wenn wir das irgendwie einbauen Das ist alles passiert. Wir haben Anhörungen könnten. Vor dem Hintergrund betrachte ich den durchgeführt, wir haben Ergebnisse. Deswegen be- Änderungsantrag der CDU als Teil eines vollständi- antragen wir Abstimmung in der Sache. gen Demenzplans und würde das gern erörtern. - Danke schön. (Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Vereinzelter Beifall) Wir wollen endlich die Demenzplanung und nicht Präsident Klaus Schlie: mehr Worthülsen. Damit muss Schluss sein. Das Wort nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsord- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nung hat jetzt Herr Abgeordneter Bernd Heine- und SSW) mann. Präsident Klaus Schlie: Für die Landesregierung hat die Ministerin für So- ziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit, das Wort.

Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- heit, Familie und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da- men und Herren Abgeordneten! Menschen, die an Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1491

(Ministerin Kristin Alheit)

Demenz erkrankt sind, werden einen immer größe- Wir brauchen auch in diesem Bereich mehr Vernet- ren Teil unserer Gesellschaft ausmachen. Die Zahl zung. Die Angebote, die vorhanden sind, müssen von 45.000 Demenzerkrankten in Schleswig-Hol- vernetzt werden. Und wir brauchen eine gesell- stein ist bereits genannt worden. Aber auch in schaftliche Akzeptanz und eine Kompetenz im Um- Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen und in am- gang mit den Menschen, die an Demenz erkrankt bulanten Pflegediensten müssen sich die Menschen sind. auf den Umgang mit Menschen mit Demenz ein- Unsere Strategie mit dem Umgang mit Demenz stellen. Ich glaube aber - auch das ist in den voran- sollte auch dem Leitgedanken der Inklusion folgen. gegangenen Beiträgen deutlich geworden -, dass In diesem Haus wird häufig von Inklusion gespro- sich vor allem die Gesellschaft anders auf De- chen, aber meistens reden wir dann über Menschen menzkranke einstellen muss. Das Bild wird sich mit Behinderung. an dieser Stelle wandeln. Die Landesregierung glaubt daher, dass ein landes- Präsident Klaus Schlie: weiter Demenzplan ein guter Beitrag dazu sein kann, auf Perspektive die Lebenssituation von Men- Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage schen, die an Demenz erkrankt sind, und vor allem der Frau Abgeordneten Klahn? auch ihrer Angehörigen wirklich zu verbessern. Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Frau Trauernicht heit, Familie und Gleichstellung: hat das 2009 noch nicht geglaubt!) Klar. Uns allen kann ein solcher Plan dabei helfen, den Herausforderungen von Demenz gerecht zu wer- Anita Klahn [FDP]: Vielen Dank, Frau den. Dabei geht es um eine strukturierte und richtig Ministerin. - Sie sprechen immer wieder von geplante Weiterentwicklung der Versorgungsstruk- Aufklärung und Vernetzung. Können Sie mir turen. Es geht darum, sich die Anliegen und Anfor- bitte sagen, welche konkrete Aufgabe dem derungen, die ein guter Umgang mit Demenz an Kompetenzzentrum Demenz zukommt? uns stellt, genau anzuschauen und dafür zu sensibi- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist eine gute lisieren. Gefordert sind ganz vielfältige Maßnah- Frage!) men. Das macht der Antrag mit seinen elf Spiegel- strichen deutlich. Gefordert sind diese Maßnahmen - Die haben diese Aufgabe. Mit dem, was sich ge- auch vor dem Hintergrund der - ich habe es ange- sellschaftlich verändern wird, wird diese Aufgabe sprochen - gesellschaftlichen Wandlungen und des- noch größer. Ich glaube, dass wir da ein anderes sen, was Demenz im Bild unserer Gesellschaft in Netz, eine flächendeckendere Struktur brauchen. Zukunft ausmachen wird. Ich finde, dass das Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt einen ganz wichtigen Beitrag leistet. Wir brauchen bessere Aufklärung, wir brauchen ei- Wir sollten dafür sorgen, wenn wir uns über den ne gute Vorsorge und wir brauchen eine zukunftssi- Demenzplan weiter Gedanken machen und die chere Versorgungsstruktur. Maßnahmen umsetzen, die Kompetenz und Erfah- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung, die dort ist, mitzunehmen und darauf aufzu- und SSW) bauen. Wir brauchen auch - darauf lege ich Wert, das ist (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch schon von anderen gesagt worden - wirklich und SSW) flächendeckende Angebote für die Angehörigen. An der Stelle will ich kurz auf den Änderungsan- Präsident Klaus Schlie: trag eingehen. Sie können ganz sicher sein, dass in Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwi- meinen Gesprächen mit den betreffenden Landräten schenfrage der Frau Abgeordneten Klahn? die Frage, ob Pflegestützpunkte eingerichtet wer- den sollen, ein wichtiges Merkmal ist. Auch das ist eine Struktur, die den Angehörigen in unserem Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- Land zugutekommt. heit, Familie und Gleichstellung: (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich habe nichts anderes vor. und SSW) Anita Klahn [FDP]: Ich auch nicht, außer dass wir nachher spazieren gehen. 1492 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Ministerin Kristin Alheit)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber wir viel- gekassen, mein Haus und eben auch das Kompe- leicht! - Heiterkeit) tenzzentrum Demenz in Norderstedt in der Träger- schaft der Alzheimer Gesellschaft anschieben. Ich Frau Ministerin, wenn Sie sagen, wir müss- hatte es eben schon als Antwort auf Ihre Zwischen- ten die Gesellschaft anders informieren über frage gesagt: Ich finde es wichtig, dass wir das, was die Dinge, die wir in Erfahrung gebracht ha- dort geschaffen worden ist, und das, was an Kom- ben, es müsse eine andere Art von Vernet- petenz da ist, mitnehmen. Dieses zielführend zu zung stattfinden - wie bewerten Sie dann die bündeln, zusammenzuführen und eine Strategie Internetseite des Bundesministeriums für Fa- daraus zu entwickeln, finden wir eine gute Idee. milie, Senioren, Frauen und Jugend, ? Deshalb unterstützt die Landesregierung den vorlie- - Ich habe die Seite jetzt nicht vor Augen. Aber ich genden Antrag. nehme an, sie wird einen wichtigen Beitrag dazu (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leisten, dass solche Strukturen geschaffen werden. und SSW) Ich habe sie leider nicht vor Augen, aber ich werde sie mir gern gleich anschauen. Präsident Klaus Schlie: Ich würde gern dort fortsetzen, wo ich eben war, nämlich zu sagen, dass wir Inklusion als Gedanken Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Herr Abgeord- mit aufgreifen müssen. Wir reden bei Inklusion neter Dr. Heiner Garg von der FDP-Fraktion. häufig über Menschen mit Behinderung. Aber In- klusion ist eigentlich ein Begriff, mit dem beschrie- Dr. Heiner Garg [FDP]: ben wird, dass die Lebens- und Teilhabechancen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Menschen, gleichgültig was der Grund für die Ich will mich in die Auseinandersetzung, brauchen fehlenden Teilhabechancen ist, verbessert werden wir einen Demenzplan oder nicht, die hier an ver- müssen. Deshalb ist das, was wir hier bei Menschen schiedener Stelle, auch in der vergangenen Legisla- mit Behinderung bereden, ein Inklusionsthema. Es turperiode, geführt wurde, gar nicht weiter einmi- ist schon die Forderung genannt worden, den Men- schen. Ich möchte nur folgenden Hinweis geben - schen Demenz ein selbstbestimmtes Leben in der das habe ich vorhin in einem Zwischenruf auch häuslichen Umgebung so lange wie möglich zu er- schon getan -: In der vorvorangegangenen Legisla- möglichen. Das ist ein Gedanke, der Ausfluss die- turperiode gab es einen sehr umfangreichen Antrag ses Ansatzes ist. der FDP-Fraktion, einen solchen Demenzplan zu Ziel der Landesregierung ist es, Menschen mit De- erstellen. Der ist - wie ich der Vorvorgängerin von menz ein Leben in Würde zu ermöglichen und die Frau Alheit zugute halten will - hier damals aus gu- Angehörigen angemessen zu unterstützen. Deshalb tem Grund von den damaligen regierungstragenden begrüßen wir das Anliegen des Antrags, das sich Fraktionen abgelehnt worden, weil man gesagt hat - auch auf die Schultern von bereits geschaffenen damit komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Heine- Aktivitäten und ganz vielen Akteuren stützt. Der mann -, dass ein Plan die von Ihnen zu Recht einge- Antrag spricht das in dem Begriff der Bestandsauf- forderte Umsetzung nicht ersetzen würde. nahme eindeutig mit an. Wir haben in Schleswig- Damals hatten wir das Kompetenzzentrum De- Holstein bereits eine Vielzahl von Akteuren, die die menz in Norderstedt noch gar nicht. Und ich habe Behandlung, die Betreuung und die Pflege - das ist im Verlauf der Debatte gerade - bedauerlicherweise eben auch schon genannt worden - ganz deutlich im auch bei Ihrem Beitrag, Frau Kollegin Bohn - den Blick haben. Eindruck gewonnen - deshalb habe ich mich auch Ich möchte an dieser Stelle kurz innehalten und das noch einmal gemeldet -, dass eine der originären Engagement und die erfolgreiche Arbeit, die diese Aufgaben des Kompetenzzentrums Demenz bei al- Menschen leisten, würdigen und ihnen Respekt und len Kolleginnen und Kollegen noch nicht ganz an- Dank für ihre tägliche Arbeit, aus diesem Haus her- gekommen ist. aus, aber insbesondere auch von der Landesregie- (Beifall Anita Klahn [FDP] und Katja Rath- rung, aussprechen. je-Hoffmann [CDU]) (Beifall) Sie werden hier gleich über einen Antrag in der Sa- Die Anforderungen, die der Antrag stellt, sind - das che abstimmen. Tun Sie das, wenn Sie wirklich ist schon gesagt worden - bereits ein Teil dessen, glauben, dass ein Demenzplan die von Ihnen selbst was es schon gibt, was der Spitzenverband der Pfle- eingeforderten Handlungen und die Umsetzung in Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1493

(Dr. Heiner Garg) dieser zentralen Frage erledigen wird. Ich sage Ih- Präsident Klaus Schlie: nen aber, genau das wird ein Demenzplan, so wie Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Sie sich ihn vorstellen, nicht leisten. Meine Damen schließe die Beratung. und Herren, Sie werden Zeit und Geld für die Er- stellung eines Plans aufwenden, obwohl das Geld, Es ist die Ausschussüberweisung der Drucksache das Sie im Haushalt zur Verfügung stellen - auch 18/491 und des Änderungsantrags, Drucksache wenn es sich nicht um eine unglaublich hohe Sum- 18/552, beantragt worden. Es wurde beantragt, sie me handelt -, sehr viel besser ausgegeben wäre, an den Sozialausschuss zu überweisen. wenn Sie damit ein Projekt des Demenzkompe- (Zurufe) tenzzentrums in Norderstedt fördern würden. - Es war Ausschussüberweisung an den Sozialaus- (Beifall FDP und vereinzelt CDU) schuss beantragt worden. Wenn das beantragt wird, Denn eine der herausragenden Aufgaben genau die- dann wird darüber auch abgestimmt. ses Zentrums ist es, all die vielfältigen, sich im Die Frage ist also, wer stimmt dem zu? - Das sind Land entwickelnden und weiterentwickelnden Akti- die Fraktionen von CDU und FDP. Wer ist dage- vitäten auf den Bereich der Demenz zusammenzu- gen? - Das sind die Fraktionen von SPD, BÜND- führen, zu bündeln, zu unterstützen und das Wissen NIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und die Abge- fachgerecht weiterzugeben. ordneten des SSW. Damit ist die Überweisung an Herr Heinemann, ich bitte einfach noch einmal dar- den Ausschuss abgelehnt worden. um, darüber nachzudenken, ob Sie nicht über Ihren Ich lasse dann in der Sache abstimmen. Ich lasse Schatten springen und einer Ausschussberatung zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen doch zustimmen können. Die Ausschussberatungen von CDU und FDP, Drucksache 18/552, abstim- könnten dann auch relativ zügig erfolgen. Sie haben men. Wer zustimmen will, den bitte ich um das doch eine Mehrheit, das können Sie doch zügig ma- Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von CDU chen. Denn ich glaube, dass man sich schon noch und FDP. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktio- einmal darüber auseinandersetzen sollte, welche nen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- Aufgabe wir fraktionsübergreifend diesem Kompe- RATEN und die Abgeordneten des SSW. Damit ist tenzzentrum Demenz eigentlich zugewiesen haben. der Änderungsantrag in der Drucksache 18/552 mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Klaus Schlie: NEN, PIRATEN und SSW gegen die Stimmen von Herr Abgeordneter Dr. Garg, gestatten Sie eine CDU und FDP abgelehnt. Zwischenbemerkung des Abgeordneten Heine- Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktionen von mann? SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abge- ordneten des SSW, Drucksache 18/491, abstimmen. Dr. Heiner Garg [FDP]: Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzei- Ja. Selbstverständlich. chen. - Das sind die Fraktionen von SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und die Abge- Bernd Heinemann [SPD]: Herr Abgeordne- ordneten des SSW. Wer ist dagegen? - Das sind die ter, können Sie sich vorstellen, dass das Fraktionen von CDU und FDP. Damit ist der An- Kompetenzzentrum in Norderstedt es gerade- trag in der Drucksache 18/491 mit den Stimmen der zu befürwortet, dass so ein Demenzplan auf Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Weg gebracht wird? NEN, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW (Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS gegen die Stimmen von CDU und FDP angenom- 90/DIE GRÜNEN) men. - Ich kann mir vorstellen, dass dem Kompetenzzen- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trum Demenz in Norderstedt vor allem daran gele- NEN) gen ist, seine originären Aufgaben mit einer ordent- Ich schließe die Beratungen des Vormittags, und lichen Finanzausstattung erledigt zu bekommen. wir treten in eine zweistündige Mittagspause ein. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Sie Ihrem Die Sitzung ist unterbrochen. Herzen einen Stoß geben und der Ausschussüber- weisung dennoch zustimmen könnten. (Unterbrechung 12:58 bis 15:01 Uhr) (Beifall FDP und CDU) 1494 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Präsident Klaus Schlie: und SSW gegen die Stimmen von CDU, FDP und PIRATEN abgelehnt. Mit dem gleichen Stimmen- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue verhältnis empfiehlt der Bildungsausschuss dem mich außerordentlich, dass Sie es geschafft haben, Landtag, den Gesetzentwurf in der Fassung der Ih- pünktlich nach der Mittagspause hier zu sein. nen mit Drucksache 18/475 vorliegenden Be- (Beifall) schlussempfehlung anzunehmen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Außerdem liegt dem Landtag heute ein weiterer Änderungsantrag vor. - Vielen Dank. Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes Präsident Klaus Schlie: Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Wortmel- 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW dungen zum Bericht liegen mir nicht vor. Drucksache 18/200 Bevor wir in die Aussprache eintreten, teile ich Ih- nen mit, dass die Kollegin Regina Poersch erkrankt Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungsaus- ist. Wir wünschen ihr gute Genesung. Außerdem ist schusses der Kollege Tobias von Pein beurlaubt. Drucksache 18/475 Ich mache folgenden Vorschlag zur Worterteilung: Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜND- Die CDU als stärkste Fraktion erhält als Erste das NIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des Wort, da die erste Lesung des Gesetzentwurfs mit SSW Aussprache erfolgte. Ich sehe hierzu keinen Wider- Drucksache 18/543 spruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Franzen für die CDU-Fraktion. Ich erteile der Frau Berichterstatterin des Bildungs- ausschusses, Frau Abgeordneter Anke Erdmann das Wort. Heike Franzen [CDU]: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herren! Im September des letzten Jahres fand die erste Bildungskonferenz statt. Dort kündigte die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bildungsministerin an, den Dialog mit den Betrof- Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fenen ernst zu nehmen. Deshalb verschob sie die und die Abgeordneten des SSW haben im Septem- für dieses Jahr vorgesehene Schulgesetzänderung ber letzten Jahres einen Gesetzentwurf zur Ände- auf 2014. Drei Tage später brachten die Regie- rung des Schulgesetzes vorgelegt, mit dem bis zum rungsfraktionen den ersten Entwurf zum Schulge- 31. Juli 2014 keine neuen abschlussbezogenen setz ins Parlament ein. Der jetzige Bestand der Klassenverbände an Gemeinschaftsschulen gebildet Schulstrukturen sollte auf keinen Fall mehr verän- und keine neuen G-9- und G-Y-Gymnasien einge- dert werden. Mit anderen Worten, meine Damen richtet werden sollen. Zu diesem Gesetzentwurf hat und Herren, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bildungsausschuss gut 20 schriftliche Stellung- und SSW haben Angst. Sie haben Angst davor, nahmen eingeholt. dass die Menschen an den Schulen bestehende Frei- Im Dezember haben die Koalitionsfraktionen einen heiten nutzen, Angst, dass sie Entscheidungen tref- Ergänzungsantrag zu ihrem Gesetzentwurf vorge- fen, die Ihnen von den Regierungsfraktionen nicht legt, mit dem die Errichtung von Oberstufen an Ge- gefallen. meinschaftsschulen erleichtert werden soll. Zu die- Dabei haben Sie hier im Parlament immer wieder sem Antrag hat der Ausschuss über 30 schriftliche erzählt, dass die Menschen alles das, was CDU und Stellungnahmen eingeholt. FDP im Bildungsbereich beschlossen haben, Schließlich hat der Ausschuss vor zwei Wochen ei- schrecklich fänden und gar nicht wollten. Wozu ne mündliche Anhörung mit 14 Experten durchge- dann Ihr Entscheidungsfreiheitsbeschneidungsge- führt. In der Ausschusssitzung in der letzten Woche setz? Warum führen Sie den Dialog über G 8, G 9, bekräftigten die Fraktionen ihre Standpunkte. Der G Y und abschlussbezogene Klassen in den Ge- Antrag der Opposition, die abschließende Beratung meinschaftsschulen nicht? - Ich sage Ihnen, warum: des Gesetzentwurfs zu vertagen, wurde mit den Sie wissen, dass Sie diesen Dialog verlieren wür- Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den. Insbesondere beim Angebot vom neunjährigen Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1495

(Heike Franzen)

Bildungsgang an den Gymnasien. Viele Eltern ne entsprechende Qualität hat. Das Argument gilt wünschen sich das. Deshalb lassen Sie sich auch allerdings nur für die kleinen Grundschulen, in die gar nicht erst darauf ein, einen Dialog in diesem offensichtlich weder SPD, Grüne noch SSW viel Bereich zu führen. Dialog findet bei Ihnen nur dort Herzblut investieren wollen. Für die Oberstufen an statt, wo andere auch Ihrer Meinung sind. den Gemeinschaftsschulen wird dieses Argument an die Seite geschoben. (Beifall Anita Klahn [FDP]) Ich will Ihnen die Rahmenbedingungen nennen, die Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Sie vorschlagen: Oberstufen an Gemeinschafts- Ministerin im Bildungsausschuss erklärte, vom schulen sollen drei Jahre Zeit haben, um 50 Schüle- Vorgehen der Koalitionsfraktionen durchaus über- rinnen und Schüler in der Einführungsphase zu er- rascht worden zu sein, allerdings nicht davon, dass reichen. Sie haben neun Oberstufen im Land zuge- diese einen Gesetzentwurf eingebracht haben. Nein, sagt. Diese Oberstufen müssen nach der derzeit gül- sie war durchaus überrascht, dass dieser so schnell tigen Oberstufenverordnung mindestens zwei Profi- kam. War Ihnen das peinlich, Frau Ministerin? - Ich le anbieten, ein sprachliches und ein mathematisch- verstehe das sehr gut. Denn so hat auch jeder davon naturwissenschaftliches. Das heißt, es muss an den erfahren, dass Sie schon davon wussten, als Sie Oberstufen ein Spektrum von mindestens 14 Fä- noch von einem offenen Bildungsdialog sprachen. chern im ersten Jahrgang abdeckt werden. Die Das hätten Sie sicherlich lieber noch ein paar Wo- Fachleute haben uns im Ausschuss sehr deutlich ge- chen unter der Decke gehalten, um damit die Be- macht, dass man dafür pro Jahrgang mindestens richterstattung über den Bildungsdialog nicht einzu- zehn Köpfe braucht, die diese Fächer auf Oberstu- trüben. fenniveau unterrichten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Dezember ist Sie haben in der Ausschusssitzung im Dezember er- dann offensichtlich irgendjemandem aufgefallen, läutert, dass Sie 20 Planstellen für alle neun Ober- dass die versprochenen Oberstufen an den Ge- stufen bereitstellen wollen. Wie Sie an neun Ober- meinschaftsschulen gar nicht genehmigungsfähig stufen mit 20 Planstellen die Unterrichtsversorgung sind. Weder der Bedarf noch das öffentliche Be- sicherstellen wollen, das bleibt Ihr wohl gehütetes dürfnis sind da. Einigen Abgeordneten wurde of- Geheimnis. Wo die Planstellen allerdings herkom- fenbar mulmig, da sie in ihren Wahlkreisen Ver- men sollen, haben Sie nicht erläutert. Die zusätzli- sprechungen abgegeben haben, die sie nicht halten chen Planstellen, die in diesem Jahr bereitgestellt können. Also wird das öffentliche Bedürfnis schnell worden sind, sind bereits für die Differenzierungs- einmal neu definiert. stunden und für die Inklusion vorgesehen. Es blei- Das Gesetz, das dafür sorgen soll, dass die beste- ben also nur die bestehenden Gymnasien, von de- henden Schulstrukturen bis zum Ende des Bil- nen für die Oberstufen qualifizierte Lehrkräfte ab- dungsdialogs erhalten bleiben, erfuhr eine Ände- gezogen werden können. rung, welche die bestehenden Schulstrukturen voll- Vermutlich hat die Betonung der Notwendigkeit kommen über den Haufen wirft. Das ist überhaupt der pädagogisch sinnvollen Größe der Grund- gar kein Problem, weil diese Änderungen von SPD, schulen auch den Hintergrund, dass auch dort Leh- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW ja gewollt rerplanstellen abgezogen werden, um die Gemein- werden. schaftsoberstufen finanzieren zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt noch Jetzt kommen die Regierungsfraktionen mit einer besser: Bevor wir heute über den Gesetzentwurf ab- weiteren Änderung des Schulgesetzes. Die Rah- stimmen, haben die Schulen und die Schulträger menbedingungen für die Oberstufen sollen nur für bereits Nachricht erhalten, dass sie mit der Geneh- ein Jahr gelten. Das haben Sie gestern mit dem Än- migung einer Oberstufe rechnen können. Die vom derungsantrag zum Änderungsantrag zur Änderung Landkreistag eingeforderte Berücksichtigung der des Schulgesetzes wieder zurückgenommen. Schulentwicklungspläne interessiert Sie an dieser Stelle nicht die Bohne. Und die vernichtenden Kri- Was Sie aber wollen, hat Herr Habersaat im Aus- tiken der Experten aus den Anhörungen im Bil- schuss deutlich erklärt. Ich gehe davon aus: ein dungsausschuss tropfen offensichtlich an Ihnen ab. Habersaat - ein Wort. Sie wollen weitere Anregun- gen aus dem Bildungsdialog für die Einrichtung Im Zusammenhang mit der Größe kleiner Außen- von Oberstufen aufnehmen. Es wird also im näch- stellen von Grundschulen reden Sie, Frau Ministe- sten Jahr zu einer Veränderung der Rahmenbedin- rin, gern von einer pädagogischen Größe, die ge- gungen kommen müssen. Das schafft Unruhe an währleistet sein muss, damit der Unterricht auch ei- 1496 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Heike Franzen) den Schulen und untergräbt die Planungssicherheit rung und eine Einbeziehung aller Beteiligten mit der Schulträger, die sich nicht auf die heutigen Aus- den Kommunen und den Personalräten umgangen. sagen im Schulgesetz verlassen können. Man kann Die Anhörung im Bildungsausschuss zum Thema nur allen Schulträgern und Schülern empfehlen: Oberstufen fand im Schweinsgalopp statt. Zu die- Finger weg von den Oberstufen, bevor nicht klar sem Zeitpunkt hatte das Ministerium bereits mit ist, wie die Rahmenbedingungen endgültig ausse- den Mitteilungen an die Schulträger Fakten ge- hen werden. schaffen, und die Anzuhörenden haben zu Recht die Sinnhaftigkeit dieser Anhörung infrage gestellt. (Zuruf CDU: Chaotisch!) Ihre berechtigten Sorgen und ihre Kritik haben Eine ganze Reihe von Fragen bleibt weiterhin unbe- überhaupt keinen Widerhall in dem heute vorlie- antwortet. Sollen die Schulträger jetzt erst einmal genden Gesetzentwurf gefunden. investieren, um dann in drei Jahren festzustellen, Jetzt beschließen Sie zwei Tage vor der Bildungs- dass sie die 50 Schülerinnen und Schüler nicht er- konferenz dieses Schulgesetz, das nun wirklich al- reichen werden, um dann die Oberstufe wieder zu les andere als das von Ihnen benannte Moratorium schließen? Wie soll der Fachlehrermangel, den wir darstellt. Eine Verschiebung der Gesetzgebung um bereits jetzt in den Oberstufen haben, insbesondere einen Monat auf März hätte an der derzeitigen in den Naturwissenschaften ausgeglichen werden? Sachlage schlicht nichts geändert. Oder fallen diese Fächer gleich von vornherein aus? Welche Auswirkungen haben weitere Oberstufen (Zuruf SPD: Doch!) auf die Profilvielfalt unserer Oberstufen im Land? Das neue Schuljahr beginnt erst im August, und die Die Schülerzahlen werden weiter sinken. Das heißt, Schulen, die Oberstufen einrichten wollen, wissen selbst wenn wir die Quote der Abiturienten erhöhen auch Bescheid. können, werden es nicht mehr Kinder sein, die das Sie zeigen heute, dass es Ihnen nicht auf den Dialog Abitur machen. Zumindest darauf haben uns die ankommt, sondern lediglich auf die Umsetzung Ih- Experten in der Anhörung im Ausschuss bereits ei- rer eigenen bildungspolitischen Vorstellungen. Bei ne Antwort gegeben. Es geht zulasten der Vielfalt der SPD wundert mich das nicht. Das haben die der Profile und zulasten der Wahlmöglichkeiten der Menschen nicht anders erwartet. Aber es gibt die Schülerinnen und Schüler. Weniger Schüler an im- Erwartungshaltung an Sie, an die Kolleginnen und mer kleineren Oberstufen führen zu einer deutli- Kollegen von den Grünen. Sie machen sich an der chen Verringerung ihrer Wahlmöglichkeiten in der Stelle unglaubwürdig. Denn die Erwartungshaltung Oberstufe bis hin zur Sorge, dass man an einigen an Sie war eine ganz andere. Stufen nur noch mathematisch-naturwissenschaftli- che Profile mit dem Profilfach Biologie als Abitur anbieten können wird. Was sagen die Koalitions- Präsident Klaus Schlie: fraktionen dazu? - Nichts. Das ist Ihnen schnuppe! Frau Abgeordnete Franzen, gestatten Sie eine Zwi- All das haben Sie ausgeblendet und schnell einmal schenfrage des Herrn Abgeordneten Habersaat? im Ruck-Zuck-Verfahren ein Gesetz auf den Weg gebracht. Heike Franzen [CDU]: Gestern haben wir eine Verschiebung der Be- Aber gern doch. schlussfassung beantragt, besonders vor dem Hin- tergrund, dass in zwei Tagen die Bildungskonfe- Martin Habersaat [SPD]: Frau Kollegin renz tagt. Am Samstagnachmittag soll über schul- Franzen, wie beurteilen Sie den Umstand, gesetzliche Änderungen beraten werden. Wir wol- dass die Anmelderunde an den Gemein- len diese Beratungen abwarten und die Anregungen schaftsschulen Anfang März bereits endet, aufnehmen. bevor wir uns das nächste Mal im Plenum treffen? Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, vor allem Sie waren es, die sich bereits in der letz- - Das kann ich Ihnen genau sagen, Herr Habersaat. ten Legislaturperiode für einen offenen Dialog Das Ministerium hat den entsprechenden Schulen starkgemacht haben. Sie haben diesen im Koaliti- bereits mitgeteilt, dass sie beabsichtigen, Oberstu- onsvertrag durchgesetzt. Sind Sie eigentlich mit fen einzurichten. Insofern dürfte es überhaupt kein dem Dialog, den wir im Moment führen, zufrieden? Problem sein, im März die Beschlussfassung zu machen. Sie haben mit der Einbringung des Gesetzes durch die Fraktionen eine frühzeitige ministerielle Anhö- (Beifall CDU und FDP) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1497

(Heike Franzen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht ei- chen Dialog ja komplett verzichtet, was Sie übri- gentlich die Landesregierung in diesem Verfahren gens nicht daran hindert, jetzt an diesem Prozess der Schulgesetzgebung? - Die Landesregierung ist herumzumäkeln und geradezu ein Füllhorn an mie- wie eine Handpuppe von Herrn Stegner. Der Fun- sepetrigen und alarmistischen Presseerklärungen in dus der Regierungsbank wird immer vorgeholt, die Öffentlichkeit zu blasen. wenn es um den Dialog nach außen geht. Dann dür- Die Zustimmung aus allen Teilen der Gesellschaft fen Sie voll vor den Vorhang. Aber bei der Gesetz- gibt uns allerdings recht. Wir führen erst den Dia- gebung hier im Parlament ist die Landesregierung log und treffen dann Entscheidungen. Und mit völlig unbeteiligt. Ich finde, es ist ausgesprochen Angst, Frau Kollegin Franzen, hat das nun wirklich schwierig, so etwas nach außen zu tragen. An der gar nichts zu tun. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Stelle hätte ich mir von der Landesregierung sehr Ihrem Geburtstag, aber Angst machen Sie uns viel mehr Engagement gewünscht. nicht, weder an Ihrem Geburtstag noch an anderen Wir werden diesem Gesetzentwurf ganz sicher Tagen. Das, was wir mit anderen diskutieren, führt nicht zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerk- dazu, dass wir zu vernünftigen Entscheidungen samkeit. kommen. Angst ist übrigens ein schlechter Ratge- ber. Das rate ich Ihnen auch nicht. (Beifall CDU und FDP) Wahr ist hingegen: Der Ausgangszustand der gänz- Präsident Klaus Schlie: lich unklugen Politik unserer Vorgänger zählt zu den maßgeblichen Gründen, aus denen die Bürge- Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemein- rinnen und Bürger 2012 den Politikwechsel gewählt sam mit mir Schülerinnen und Schüler des Ludwig- haben. Die schwarz-gelbe Bildungspolitik hatte vie- Meyn-Gymnasiums aus Uetersen auf der Besucher- le gute Wege verlassen, auf die wir uns zuvor - bei tribüne. Seien Sie uns herzlich willkommen im Rot-Grün, aber auch in der Großen Koalition - ge- Schleswig-Holsteinischen Landtag! macht hatten. (Beifall) Herbert Spencer hat gesagt: Das Wort für die SPD-Fraktion hat deren Vorsit- „Das große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, zender, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner. sondern Handeln.“ Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wir in diesem Haus tragen Verantwortung, und die gebietet es, dort zu handeln, wo es notwendig ist, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wenigstens aber die schlimmsten Fehler der Bildung ist und bleibt die zentrale Zukunftsfrage schwarz-gelben Vorgängerkoalition zu korrigieren unseres Landes. Unsere Bildungspolitik entscheidet und damit den Grundstein für ein gutes Schulgesetz über die weitere Entwicklung unserer Kinder und zu legen. Mein Kollege Martin Habersaat hat es vor Enkel und damit über die Zukunft Schleswig-Hol- wenigen Tagen auf den Punkt gebracht und gesagt: steins. Deshalb ist es richtig, dass wir den Familien, „Unser Vorschaltgesetz beendet den Bildungsdia- den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen log nicht, sondern ermöglicht ihn erst.“ und Lehrern und auch den kommunalen Schulträ- gern Verlässlichkeit und Planungssicherheit geben. Kluger Satz, kluger Mann, kluge Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Betroffenen beteiligen. Unser Bildungsdialog ist schon jetzt ein (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erfolg, und ich freue mich auf die Ergebnisse. NEN) (Beifall SPD) An drei Stellen wollen und werden wir dies tun: Ich danke unserer Bildungsministerin Wara Wende Erstens. Gemeinschaftsschulen sollen künftig keine und ihrem Team im Namen meiner Fraktion herz- abschlussbezogenen Klassen mehr einrichten. Ab- lich, dass und wie sie diese komplexe Aufgabe be- schlussbezogene Klassen entsprechen nicht unse- wältigen. Viele von uns wissen, wie schwierig es rem Verständnis von längerem gemeinsamen Ler- ist, sich schon in diesem Haus auf eine gemeinsame nen. Wo Gemeinschaftsschule draufsteht, muss Bildungspolitik zu verständigen. Dies mit einer Gemeinschaftsschule drin sein und nicht das alte Vielzahl weiterer Akteure zu tun, ist bisher keine dreigliedrige Schulsystem. Selbstverständlichkeit gewesen, sondern ist einma- (Beifall SPD) lig. Unsere Vorgängerregierung hat auf einen sol- 1498 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ralf Stegner)

Wir wollen nicht in FDP-Retro-Manier, wie das die keit an Gymnasien - G 8 und G 9 - des Teu- Kollegin Erdmann so passend nennt, die Schülerin- fels sei? nen und Schüler nach Klasse vier in drei Sorten Um Ihnen zu helfen: Dort steht: Mensch einsortieren. Gerade Gemeinschaftsschulen sollen andere pädagogische Konzepte verfolgen. „Gymnasien haben vorrangig die Aufgabe, Dafür haben wir im Haushalt 2013 die Zahl der Schülerinnen und Schüler zur allgemeinen Differenzierungsstunden pro Klasse und Woche Hochschulreife zu führen. Die rot-grüne Ko- von drei auf fünf erhöht, um die Möglichkeiten des alition nimmt den Wunsch zahlreicher Eltern längeren gemeinsamen Lernens zu verbessern. Ver- ernst, auch an den Gymnasien wieder das sprechen gehalten! Das ist unser Prinzip, und das ist Abitur nach neun Jahren anzubieten, und sie ein wichtiges Stück Politikwechsel. berücksichtigt dabei die hohe Belastung der Schülerinnen und Schüler. Die rot-grüne Ko- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alition wird in einem ergebnisoffenen Dialog und SSW) … Möglichkeiten erörtern und umsetzen … Zweitens wollen wir keine neuen G-9- oder Y- Dazu gehört … eine Wahlmöglichkeit für die Gymnasien mehr einrichten. Wir wollen stattdessen Gymnasien, sich in Zusammenarbeit mit den für alle Kinder in Schleswig-Holstein ein qualitativ Schulträgern für ein Abitur nach 12 oder und quantitativ hochwertiges und räumlich erreich- 13 Jahren zu entscheiden.“ bares Abiturangebot haben: Flächendeckend G 8 (Martin Habersaat [SPD]: Wie viele Gemein- an Gymnasien, G 9 an Gemeinschaftsschulen schaftsschulen gibt es Niedersachsen, Herr und beruflichen Schulen. Auch deshalb brauchen Kubicki?) wir so viele Oberstufen wie irgend möglich. Die Landeselternvertretungen für Gemeinschafts- - Das ist momentan nicht die Frage. schulen und Gymnasien, die Landesschülervertre- - Aber das ist gleich die Antwort, Herr Kollege Ku- tungen, alle sind an unserer Seite. Das zwingt übri- bicki. Aber lassen wir ihn erst einmal zu Ende re- gens keine Schule zur Änderung des Bestehenden; den. Lesen Sie doch aus dieser klugen Vereinba- alle können in Ruhe weiterarbeiten. Das ist Fakt rung noch ein bisschen vor! trotz Ihrer permanenten Alarmpropaganda, meine sehr verehrten Damen und Herren. - Herr Habersaat, wenn Sie - - (Beifall SPD) - Lassen wir ihn doch einmal zu Ende vorlesen. Drittens wollen wir mit der heutigen Gesetzesände- rung die Einrichtung von weiteren Oberstufen an Präsident Klaus Schlie: Gemeinschaftsschulen ermöglichen. Im Moment hat der Abgeordnete Kubicki das Wort. Die Worterteilung wird von hier aus durchgeführt. Präsident Klaus Schlie: Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sei des Teu- Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine fels. Andersherum müsste man die Frage Zwischenfrage des Abgeordneten Kubicki? stellen: Wenn das, was Sie hier vorschlagen, so sinnvoll wäre, warum werden dann in Nie- Dr. Ralf Stegner [SPD]: dersachsen nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dort - wie in Schleswig-Hol- Wenn Sie die Zeit anhalten, werde ich gern mit stein auch - Gemeinschaftsschulen eingerich- dem Bildungsexperten der FDP einen Dialog ha- tet werden? ben. Bitte schön. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Ralf Stegner [SPD]: Dr. Stegner, ich bin hier genauso wenig Bil- Lieber Kollege Kubicki, ich will Ihnen gern ant- dungsexperte wie Sie. Aber ich habe eine worten. Ich freue mich, dass ich Gelegenheit habe, Frage an Sie als Fraktionsvorsitzender der das zu tun. Sie machen das auch regelmäßig und SPD im Schleswig-Holsteinischen Landtag. verweisen auf Baden-Württemberg und Hessen. Ist Ihnen der Koalitionsvertrag aus Nieder- Das Problem ist, dass in Niedersachsen, in Baden- sachsen zwischen SPD und BÜNDNIS 90/ Württemberg und in Hessen Schwarz-Gelb leider DIE GRÜNEN bekannt, weil Sie hier so ve- viel länger regiert und viel mehr Schaden angerich- hement erklärt haben, dass die Wahlmöglich- tet hat. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1499

(Dr. Ralf Stegner)

(Zurufe) Holstein, in Niedersachsen und in Baden-Württem- berg. Das führt dazu, dass es flächendeckend keine Alter- native zu G 8 gibt; in Niedersachsen nicht, in Ba- (Beifall SPD) den-Württemberg nicht und auch in Hessen nicht. Ich komme noch einmal zu der dritten Änderung, Das ist die Antwort. die wir vornehmen, nämlich die Errichtung weiterer (Beifall SPD) Oberstufen an Gemeinschaftsschulen zu ermögli- chen. Das ist übrigens auch ein Ergebnis des Dia- In Schleswig-Holstein haben wir hingegen auch logs im Anhörverfahren. vorher schon gute Schulpolitik gemacht. Deshalb sind wir an einem Punkt, an dem wir den Bürgerin- Der demografische Wandel und die damit einherge- nen und Bürgern sagen können: Wenn ihr Beden- hende Schulentwicklung haben gezeigt, dass wir ken habt, dann gibt es eine flächendeckende Alter- Eilbedarf haben. Deshalb nehmen wir Hinweise aus native zu G 8, und die heißt entweder G 9 an Ge- der Anhörung auf. Das schwarz-gelbe Motto, Schu- meinschaftsschulen oder G 9 an beruflichen ster, bleib bei deinen Leisten, weil es so schön ist Schulen oder G 9 an den paar Gymnasien, die wir mit dem Oben und Unten in unserer Gesellschaft, haben und denen wir Bestandsschutz gewährt ha- ist aus unserer Sicht falsch. Schleswig-Holstein darf ben. Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass man mit seinen Schülerinnen und Schülern nicht unter sagt: Ich möchte nicht, dass mein Kind das Gymna- Wert umgehen. Wir wollen mehr Kinder und mehr sium in acht Jahren abschließen soll, sondern ich Jugendliche zum Abitur führen. wünsche mir neun Jahre. Wir haben das übrigens (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, für unsere Kinder auch so entschieden. Das ist eine SSW und vereinzelt PIRATEN) hinreichende Wahlfreiheit. Herr Kollege Kubicki, das ist die Freiheit, die wir meinen. Ich bin froh, Auch wenn wir die anderen Bildungsabschlüsse ge- dass Sie über den Politikwechsel in Niedersachsen rade im beruflichen Bereich weiß Gott nicht gering so froh sind. Wir sind das auch. schätzen, so sage ich doch: Wir wollen ereichen, dass mehr Schülerinnen und Schüler bessere Chan- (Beifall SPD) cen haben. Die unterdurchschnittlichen Abiturquo- ten in manchen Regionen unseres Landes sind kein Präsident Klaus Schlie: Naturgesetz, daran muss man etwas ändern. Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine (Beifall SPD) weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Ku- bicki? Präsident Klaus Schlie: Dr. Ralf Stegner [SPD]: Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Der Tag ist so schön, er kann nur noch besser wer- Franzen? den. Wolfgang Kubicki [FDP]: Es ist meine letz- Dr. Ralf Stegner [SPD]: te. Herr Dr. Stegner, würden Sie mir freund- An Ihrem Geburtstag ganz besonders gern, Frau licherweise erklären, wie viele G-8-Gymna- Kollegin. sien es in Rheinland-Pfalz gibt, das SPD-re- giert ist? Heike Franzen [CDU]: Sehr freundlich, Herr Dr. Stegner. Sie haben gerade gesagt, - Ich kann Ihnen das nicht sagen, obwohl ich in Sie nähmen die Anregungen aus der Anhö- Rheinland-Pfalz geboren bin. Ich weiß aber, dass es rung auf. Können Sie mir bitte erläutern, diese Situation in Rheinland-Pfalz gar nicht gibt. welche Anregungen Sie aus der gerade statt- Dort hat man das achteinhalbjährige System. Las- gefundenen Anhörung im Bildungsausschuss sen Sie sich das in Rheinland-Pfalz einmal erklären. in Ihre Gesetzesvorlage aufgenommen ha- Sie sind ja kein Schulexperte. Dort geht man jetzt ben? zu dem anderen System über, dort sind die Verhält- nisse komplett anders. Ich bin aber ganz sicher, - Das will ich gern tun. Wir haben die Anregung dass die rot-grüne Bildungspolitik in Rheinland- bekommen, dass wir den Schulen, die lange dafür Pfalz genauso klug sein wird wie die in Schleswig- gearbeitet haben, Oberstufen zu bekommen, endlich auch die Möglichkeit geben, das zu realisieren, und 1500 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ralf Stegner) zwar so, dass die Eltern sicher sein können, dass Ich sage Ihnen ehrlich: Die Gemeinschaftsschulen das auch geschieht. Genau das machen wir mit un- brauchen jetzt eine Entscheidung. Schulleitungen, serem Vorschaltgesetz, liebe Frau Kollegin. Vielen Eltern und Schülerinnen und Schüler haben sich mit Dank, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, das ihren Trägern unendlich viel Mühe gegeben und in- hier noch einmal auszudrücken. tensiv an überzeugenden Konzepten gearbeitet. Das war harte Arbeit. Ich gratuliere all denjenigen, die (Beifall SPD) jetzt eine Oberstufe werden einrichten können. Ihre Die Frau Kollegin Klahn von der FDP hat am 30. Arbeit hat sich gelohnt, und wir wollen und werden November eine Pressemitteilung herausgegeben, in Sie nicht enttäuschen. Ich sage dazu: Es geht nicht der stand: „Keine weiteren Oberstufen an Gemein- darum, dass wir die einen gegen die anderen aus- schaftsschulen.“ Sehen Sie, genau das ist der Unter- spielen wollen. Vielmehr werden wir die Möglich- schied zwischen Ihnen und uns. Wir wollen mög- keiten zur Kooperation zum Beispiel mit berufli- lichst viele Oberstufen, die allen Kindern offenste- chen Schulen ausdehnen. Die Propaganda von der hen. Sie wollen eine Elite oder das, was Sie dafür rechten Seite dieses Hauses ist falsch. halten. Das ist der Unterschied zwischen uns bei Ich will noch etwas anderes sagen: Niemand wird diesem Thema. dazu gezwungen. Sie tun so, als würde Rot-Grün- Ich sage Ihnen ehrlich, es geht nur über Verände- Blau die Leute zwingen. Es sind die Schulträger, rungen. Mehr Oberstufen im Land werden auch zu die die Anträge stellen. Meine Damen und Herren mehr Schülerinnen und Schülern führen, die ihre von der CDU, wo bleibt Ihr Vertrauen in die Kom- Schulzeit mit dem Abitur abschließen. Wir denken munalpolitik? - Drei Monate vor der Kommunal- uns das übrigens nicht aus. Schon heute gibt es dort wahl ist das eine bemerkenswerte Haltung, wie Sie mehr Abiturientinnen und Abiturienten, wo es mehr mit den Schulträgern umgehen, die solche Anträge Oberstufen gibt. Ein Schulwechsel nach der zehn- stellen. ten Klasse kommt für viele Jugendliche aus Angst (Beifall SPD und SSW) vor einem Scheitern nicht infrage. Erst die an der eigenen Schule anschließende Oberstufe schafft Die Philologen sagen immer, Entscheidungen sol- hier wirksam Abhilfe. len vor Ort getroffen werden. Ich frage: Gilt das nur für Gymnasien, oder gilt das vielleicht auch für Ge- Das derzeit gültige von Schwarz-Gelb beschlossene meinschaftsschulen? Schulgesetz macht die Einrichtung von Oberstufen an Gemeinschaftsschulen praktisch unmöglich. Der (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oberstufenverhinderungsparagraf gehörte zu den so und SSW) eifrig gehätschelten Schikanierungsinstrumenten Ich kann nur sagen: Für Sie gilt Freiheit immer nur des ehemaligen Ministers Dr. Klug gegen die Ge- dann, wenn die Dinge Ihrer Meinung entsprechen. meinschaftsschulen. Die ersten Gemeinschafts- Wenn die Betroffenen sich für etwas anderes ent- schulen sind mittlerweile so weit aufgewachsen, scheiden, nämlich für eine fortschrittliche Schulpo- dass sie nach den Sommerferien 2013 mit dem litik, dann sagen Sie plötzlich, das sei alles großer Oberstufenbetrieb starten können. Auch andere Unfug von Rot, Grün und Blau im Schleswig-Hol- Schulträger wünschen sich Planungssicherheit für steinischen Landtag. die Einrichtung neuer Oberstufen. Genau deshalb ist die heutige Änderung des Schulgesetzes ein kon- sequenter Schritt. Übrigens ist die Gemeinschafts- Präsident Klaus Schlie: schule die Schulart, bei der die Eltern buchstäblich Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine mit den Füßen gegen Ihre schwarz-gelbe Politik ab- Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peter Leh- gestimmt haben. nert? Dort, wo es Kritik gab, galt diese allenfalls dem Verfahren, nicht aber der Einrichtung. Frau Fran- Dr. Ralf Stegner [SPD]: zen, Ihr Hinweis auf die Planstellen zieht nicht. Sie Vielleicht geht es um Integration? - Ich bin neugie- sind doch diejenigen gewesen, die alle Lehrerstel- rig, Herr Kollege. len streichen wollten, die durch einen Rückgang der Schülerzahlen entstanden sind. Wir sind diejenigen, Peter Lehnert [CDU]: Herr Kollege die 50 % dieser Stellen im System belassen, um Dr. Stegner, Sie haben eben die kommunale Verbesserungen zu erreichen. Selbstverwaltung angesprochen. In meinem Wahlkreis gibt es in der Stadt Barmstedt am (Widerspruch CDU und FDP) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1501

(Dr. Ralf Stegner)

Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasium miss schon darin, dass wir den Prozess um ein Jahr die Möglichkeit, G 8 und G 9 am Gymnasi- verschoben haben. Wir suchen die Zustimmung in um zu absolvieren. Die zuständigen Kommu- diesem Hause. Wir würden uns freuen, wenn die nalpolitiker haben sich mit breiter Mehrheit Union auf den Weg zurück kehren würde, auf dem dafür ausgesprochen, dieses Modell weiter- sie schon einmal halb gewesen ist, und wenn die zuverfolgen. Sehen Sie das genauso? Würden FDP sich davon verabschieden würde, die einzige Sie das auch unterstützen? Partei zu sein, die eine Retropolitik machen will. Wenn Sie das Schulgesetz zusammen mit uns ma- - Herr Kollege, ich würde unterstützen, dass wir im chen wollen, dann würde mich das freuen. Ich sage Rahmen der bestehenden Gesetze die möglichen Ihnen aber auch: Die Bürgerinnen und Bürger im Freiheiten für alle Beteiligten optimieren. Was am Land Schleswig-Holstein können sich darauf ver- Ende für die Schulen herauskommen wird, die im lassen, dass auch SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Augenblick ein Y-Modell haben, werden wir am NEN und SSW zusammen handlungsfähig sind. Ende des Bildungsdialogs entscheiden. Der ist noch nicht zu Ende. Sie finden in unserem heutigen Wir suchen den Konsens mit allen. Wir wünschen Vorschaltgesetzentwurf die drei Punkte, die ich uns einen größeren Konsens, insbesondere natürlich vorgetragen habe. Über alles andere reden wir dann auch mit den Menschen außerhalb dieses Parla- im Rahmen des Bildungsdialogs. Ich freue mich ments. Aber wir wünschen uns auch Ihre Zustim- sehr, dass die Union, die am Anfang die Anzuhö- mung. Springen Sie über Ihren Schatten. Wenn Sie renden beleidigt hat und gesagt hat, es seien Erfül- das nicht können, wird der Fortschritt von Ihnen lungsgehilfen der rot-grünen Koalition, jetzt willens trotzdem nicht aufgehalten werden. ist, sich an diesem Dialog zu beteiligen. Das ist ein (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN großer Fortschritt. Dazu beglückwünsche ich Sie. und SSW) Machen Sie mit! Der Bildungsdialog von Frau Wende ist klasse. Was am Ende dabei heraus- kommt, werden wir dem Parlament präsentieren, da Präsident Klaus Schlie: dürfen Sie ganz sicher sein. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir (Vereinzelter Beifall SPD) gemeinsam Bürgerinnen und Bürger aus Kellinghu- sen auf der Tribüne. Seien Sie uns herzlich will- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildung kommen im Schleswig-Holstein Landtag! entscheidet über Lebenschancen. Deshalb ist und bleibt es unsere Verantwortung, dass jedes Kind in (Beifall) Schleswig-Holstein die bestmögliche Bildung er- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat hält. Das ist das Ziel unserer Politik. nun das Wort die Abgeordnete Erdmann. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: - Lassen Sie doch diese alten Kamellen und solche blöden Zwischenbemerkungen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stehen Vorschaltgesetz und Dialogprozess im Wider- (Weitere Zurufe Wolfgang Kubicki [FDP]) spruch? Das war schon in der ersten Lesung eine - Ihr Minister Dr. Klug hat es in kürzester Zeit ge- zentrale Frage. Ich habe damals schon lang und schafft, wirklich alle an Schulpolitik im Land breit ausgeführt: meines Erachtens nein, aber es Schleswig-Holstein Beteiligten gegen sich aufzu- gibt ein Spannungsverhältnis. Obwohl ich dies da- bringen, und zwar in allerkürzester Zeit. Das ist mals schon ausführlich dargelegt habe, möchte ich wirklich Rekord, und Sie wissen das. Insofern soll- es erneut kurz tun. ten Sie hier nicht solche Zwischenrufe machen. Ich Der Bildungsdialog ist total breit angelegt. Es geht ziehe das zurück. Ich meinte den wenig gelungenen um Themen wie Inklusion, Unterrichtsausfall, den Zwischenruf des Kollegen Kubicki. Der Begriff Übergang von Schule zu Beruf, die verschiedenen „blöd“ wäre völlig unparlamentarisch. Er passt gar Wege zum Abitur und so weiter. Unser erster Ge- nicht zu meinem Sprachschatz. Das wäre in der Tat setzentwurf, den wir hier eingebracht haben, bezog nicht richtig. sich auf eine Teilmenge, nämlich auf die ab- Die Optimierung von Bildungschancen für die jun- schlussbezogenen Klassen und auf die Frage: Was gen Menschen in unserem Land ist nicht irgendet- ist mit G 8 und G 9, also keine weiteren Y- und G- was. Ich will ausdrücklich sagen: Wenn wir über 9-Gymnasien. Das ist alles befristet bis Juli näch- das Schulgesetz reden, dann bestand der Kompro- 1502 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Anke Erdmann) sten Jahres. Keine Schule muss den gerade einge- de deutlich, dass das nicht der Fall ist. Wer unsere schlagenen und bewusst gewählten Weg verlassen. Änderungen heute also kritisiert, auf den fällt es als Bumerang selber zurück, weil die gesetzliche Der meines Erachtens stärkste Vorwurf aus der Grundlage vorher total unklar war. Es war eben letzten Plenardebatte war der von Frau Franzen: nicht klar, Frau Franzen, wie das umgesetzt werden „Stell dir vor, ein Gesetz wird geändert, und keiner könnte. In Richtung der PIRATEN geht: Sie müss- merkt es.“ Das ist der einzige Vorwurf, von dem ten dann eben auch Handewitt und Kellinghusen sa- ich glaube, dass man sich damit auseinandersetzen gen: „Nein. Ihr Schulen ward zwar schnell. Die Po- muss. Das haben wir auch getan. Aber mit einer litik hat es ausgesessen. Es ist euer Schaden.“ Wir solchen Änderung kann man logischerweise keinen finden, das ist das falsche Signal. Dialog abwürgen. Sie müssen sich schon entschei- den, von welcher Seite Sie Ihre Kritik üben. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) Im Verfahren selber kam ein dritter Punkt hinzu, nämlich die Einrichtung von Oberstufen an Ge- Ich möchte noch einmal zum Ausgangspunkt der meinschaftsschulen. Dazu kann man drei Fragen Schulreform zurückkommen. „Eine Gemeinschafts- stellen: Warum unbedingt jetzt? Warum nicht vor- schule kann eine gymnasiale Oberstufe haben“. - her? Was heißt das für den Bildungsdialog? So haben es SPD und CDU im Gesetz von 2007 formuliert. Darauf haben sich viele Kommunalpoli- Zunächst zur Frage: warum unbedingt jetzt? tikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort verlas- Schulen haben sich 2007 auf den Weg gemacht und sen, egal welcher Couleur. Das möchte ich hier viel Arbeit in ihre Konzepte gesteckt. Sie haben die noch einmal deutlich hinzufügen. Für die Schulen Ärmel hochgekrempelt. Aber auf eine Frage haben war dieser Satz, den Sie formuliert haben - viele viele Schulen von Anfang an keine Antwort be- von denen, die das damals formuliert haben, sitzen kommen, obwohl sie häufig in Kiel angeklopft ha- ja auch noch hier -, eine Perspektive, eine echte ben, nämlich auf die Frage: Haben wir eigentlich Perspektive. Das hat Herr Bülow vom Gemeindetag eine Perspektive für unsere Oberstufe, oder haben ja auch in der mündlichen Anhörung gesagt: Viele wir keine? Die vorherigen Landesregierungen ha- Schulträger haben sich damals in ihrem Engage- ben das ausgesessen. ment ausgebremst gefühlt. Für klare Ansagen war eigentlich schon im letzten Das gilt nicht für alle Gemeinschaftsschulen; auch Frühjahr allerhöchste Eisenbahn; denn einige Ge- das ist klar. Aber an einigen Standorten war es meinschaftsschulen sind ja nicht überraschend wirklich eine zentrale Frage, ob die Oberstufe schon jetzt in Klasse 10 angekommen. Politik muss kommt, und zwar vom Anfang an. Und dennoch, also liefern. das Verfahren ist von Anfang bis hinein in diese (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sitzung - das tut uns auch sehr leid - insgesamt hek- SPD) tisch und holperig. Den Schuh ziehen wir uns an. In Warum haben wir das nicht gleich berücksichtigt? der Anhörung wurde das auch kritisiert, ebenso wie Das war ja auch eine Frage, die Sie angesprochen einzelne Umsetzungsmaßnahmen, auf die ich gleich haben, Frau Franzen. Wir haben das nicht gleich noch eingehen werde. berücksichtigt, weil wir angenommen haben, dass Eines aber möchte ich zuvor deutlich machen. Da- die gesetzliche Grundlage ausreichen würde, um für dass wir auch an Gemeinschaftsschulen zusätz- neue Oberstufen zu genehmigen. Anhörungsergeb- liche Oberstufen brauchen, hat es auch im Aus- nisse und auch das Ministerium haben uns eines schuss eine sehr breite Mehrheit gegeben. Für die Besseren belehrt. Die Koalition von CDU und FDP mündliche Anhörung sind auch viele kritische hat 2011 de facto einen Oberstufenverhinderungs- Stimmen eingeladen worden, weil es sich hierbei paragrafen ins Gesetz geschrieben, auch wenn sich um einen Punkt gehandelt hat, zu dem wir uns noch das in der Schulgesetzdebatte vonseiten der CDU etwas anhören wollten. Auf die einzelnen Punkte damals deutlich anders angehört hat. möchte ich nun kurz eingehen. Hat die Änderung jetzt also einen Einfluss auf den Erstens - das hat auch Frau Franzen angesprochen - Dialogprozess? Im Herbst letzten Jahres sind viele sei die Mindestschülerzahl pro Jahrgang zu klein. von uns und auch viele an den Schulen davon aus- Ich habe mir daraufhin noch einmal die Schulstati- gegangen, dass natürlicherweise im Sommer und stik genau angesehen. Diese zeigt: Kleine Oberstu- auch im kommenden Jahr neue Oberstufen an den fen in Schleswig-Holstein, auch so kleine, wie wir Start gehen könnten. Im Anhörungsverfahren wur- sie hier im Gesetz als Mindestgröße verankern wol- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1503

(Anke Erdmann) len, sind nicht Standard, aber sie sind auch keine von 2011 für die Schülerzahlen in der Sekundarstu- Seltenheit. Dass auch Schulen mit kleinen Oberstu- fe II. Unser Ziel ist es, mehr Jugendliche zu höhe- fen gute Arbeit machen, wird in diesem Parlament ren Abschlüssen zu führen, sie ausbildungsfähig zu wohl niemand infrage stellen wollen. Wer diese Re- machen und mehr, natürlich nicht alle, Schülerin- gelung also kritisiert, der soll dann bitte auch sagen: nen und Schüler auf dem Weg bis zum Abitur zu Wie denn dann? Soll es um eine Dreizügigkeit ge- begleiten. Darum haben unter anderem die IHK und hen? Und wenn es um eine Dreizügigkeit geht, der Bildungsforscher Professor Köller unsere Vor- heißt das dann: Das gilt nur für die neuen Oberstu- schläge begrüßt, weil wir zusätzliche Oberstufen fen, oder gilt das für alle Schulen insgesamt? Das einrichten. Auch das war ein Ergebnis des Anhö- ist mir bei der gesamten Kritik noch nicht deutlich rungsverfahrens. geworden. Deswegen glaube ich, dass wir mit der Wir wissen von den ehemaligen Gesamtschulen, konkreten Gesetzesausführung auf einem guten dass mehr als 50 % der Abiturienten in diesen Weg sind. Schulen keine Gymnasialempfehlung hatten. Das Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass das ist für mich ein richtiger Weg. Wir brauchen pro- Ministerium die Anträge und Potenziale eingehend zentual mehr Schülerinnen und Schüler mit hohen geprüft hat, das ist ja klar, damit die Oberstufen, die Abschlüssen. Deswegen wird der Schülerrückgang vor Ort entstehen, auf festem Grund gebaut sind. an vielen Stellen auch kompensiert. Auch die Schulträger werden relativ genau wissen, Eine weitere Zahl finde ich beeindruckend, und das auf was sie sich einlassen. kann man in diesem Hause auch einmal sagen. Die Zweitens wurde bemängelt, dass nicht gleichzeitig Gemeinschaftsschulen mit Oberstufen hatten im die weitgehende Kooperation von Schulen mit letzten Frühjahr rund 3.700 Anmeldungen. Plätze und ohne Oberstufen auf den Weg gebracht wird. gab es aber nur 2.700; 1.000 blieben also vor der Auch ich sehe das; ich bedaure das. In Kiel, in Tür. Rendsburg und in Mölln stehen gute Schulprojekte (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD am Start und wollen loslegen. Die können es aber und SSW) nicht, weil die gesetzliche Grundlage fehlt. Das aber ist ein Punkt, bei dem man fragen muss: „Du schaffst es nicht“, so lautet der Titel der „Zeit“ Warum ist die gesetzliche Grundlage noch nicht vom 24. Januar. Im Dossier wurde ausführlich der vorhanden? Da gab es offensichtlich einen langwie- Bildungsweg vom „Zeit“-Journalisten Marco Mau- rigen Stillstand in der Rechtspflege. rer nachgezeichnet, dem sein damaliger Lehrer, si- cherlich mit bestem Wissen und Gewissen, gesagt Wir haben dies jetzt im Bildungsdialog als einen hatte: „Du schaffst die Hauptschule, und mehr ist der wichtigen Punkte aufgegriffen. Der ist aber zur- nicht drin.“ Dieser Lehrer lag daneben. Wir wissen, zeit noch nicht entscheidungsreif. Deswegen kön- dass dies keine Seltenheit ist. Dies ist aber nicht so, nen wir das jetzt so nicht teilen. Wir stimmen aber weil die Lehrer den falschen Blick haben. Vielmehr wohl alle fraktionsübergreifend darin überein, dass hat das auch etwas mit dem Schulsystem insgesamt das 2014/2015 kommen wird; denn man darf kei- zu tun. nen Unterschied für Jugendliche machen, ganz gleich, ob diese an einer Schule sind, an der zufälli- Unser System ist durchlässig nach unten, nicht aber gerweise eine Oberstufe ist oder zufälligerweise nach oben. Das wollen wir ändern. Die zusätzlichen eben nicht. Oberstufen sind ein Beitrag zu mehr „Du schaffst das“ in unserem Schulen. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) Drittens wurde kritisiert, mehr Oberstufen trotz Schülerrückgang würden zu Überkapazitäten füh- Ein Gesetz, das keine Schule zur Veränderung ren. Wir wissen, dass ein Schülerrückgang bevor- zwingt und zwei weitere Oberstufen zum Sommer steht. Der fällt aber regional sehr unterschiedlich sowie wahrscheinlich sieben weitere zum kommen- aus - übrigens auch unsere Abiturquoten -, und er den Jahr ermöglicht - von weiteren Oberstufen sind wird in den Oberstufen bis 2020 zunächst gar nicht viele hier im Lande ausgegangen -, ein solches Ge- eintreten. Es gibt zunächst noch einen Anstieg, und setz wird den groß angelegten Bildungsdialog nicht bis zum Jahre 2020 bleiben die Zahlen erst einmal aufhalten. Wenn das, Herr Kollege Callsen, ein konstant. Das sind KMK-Zahlen aus dem Jahre Vorgehen mit der Brechstange ist, dann wüsste ich 2011. Wir kennen, Frau Franzen, die KMK-Zahlen gern, wie Sie Ihre Gesetzesänderungen von 2007 1504 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Anke Erdmann) und 2011 aus heutiger Sicht beurteilen. - Vielen Form ist unserer Ansicht nach ein Trauerspiel für Dank. das Land. Ich habe durch Zufall in den letzten Ta- gen ein Schülerreferat gesehen; da sollte ein Schü- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD ler zu dem Schulgesetz und zu unserem Bildungs- und SSW) system referieren. Er hat es so wunderbar formu- liert: Gefühlt gab es einen Schulfrieden bis 2001. - Präsident Klaus Schlie: Sie wissen, wie es danach weitergegangen ist. Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordne- (Vereinzelter Beifall FDP) te Anita Klahn. Zu Ihnen, Herr Dr. Stegner. Wenn Sie sagen, von Anita Klahn [FDP]: allen Seiten erführen Sie Zustimmung zu Ihrer Än- derung, dann frage ich Sie: Wozu zählen Sie den Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Philologenverband, die Interessenvertretung der und Herren! Liebe Frau Erdmann, ich hätte mir in Lehrkräfte, den Verband der Berufsschullehrer, den der letzten Legislaturperiode diese Art von Dialog Landeselternbeirat für Grundschulen und Förder- zwischen uns gewünscht, einen Dialog, in dem Sie zentren, den Landeselternbeirat der Gymnasien, den in einer angenehmen und sachlichen Art und Weise Schleswig-Holsteinischen Elternverein, den Ver- einmal mit Fakten aufgetreten wären. Ich habe Sie band der Regionalen Berufsbildungszentren, den in der letzten Legislaturperiode jedoch vielfach als Direktorenverbindungsausschuss, den Zusam- hektische, schnelle Sprecherin erlebt, die schnell ir- menschluss der G-9-Gymnasien, die MINT-Akade- gendwelche Behauptungen aufstellt und nicht prüft, mie, den Verein zur Förderung des mathematisch- ob es passt. Das ist eigentlich schade. naturwissenschaftlichen Unterrichts, die Städte (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das war ein Lob!) Brunsbüttel, Rendsburg, Itzehoe, Flensburg, Neu- münster sowie die Kreise Plön, Rendsburg-Eckern- Sie sprechen heute von uneleganter Hast. Das ist förde, Steinburg und Dithmarschen? Diese lehnen auch eine wunderbare diplomatische Formulierung das Vorschaltgesetz aus guten Gründen eindeutig für das, was Sie mit der Änderung des Schulge- ab. setzes vorhaben. (Beifall FDP und CDU - Zuruf Dr. Ralf Steg- Es ist auch deutlich geworden, dass die Landesre- ner [SPD]) gierung beziehungsweise der Ministerpräsident un- bedingt Gemeinschaftsschulen einrichten will. Von - Danke, Herr Dr. Stegner. daher wissen wir, was wir zu erwarten haben. Ich (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) sage Ihnen ganz ehrlich: Ich war sehr angetan, als Frau Ministerin Professor Wende beim ersten Teil - Kein Problem, Herr Dr. Stegner. - Wenn ich Sie der Bildungskonferenz ankündigte, dass es Zeit vorhin richtig verstanden habe, dann werden zu- hätte mit der Schulgesetzänderung. künftig an allen Gemeinschaftsschulen in Schles- wig-Holstein zusätzliche Oberstufen eingerichtet; (Zurufe SPD) denn nach Ihrer Aussage und nach dem, was wir Ich war wirklich erstaunt, dass sie das da so deut- wissen, wollen über 80 % der Eltern gern G 9 ha- lich gesagt hat, und habe gedacht: Okay, sie meint ben. es ernst mit dem Dialog. - Wie ernst zu nehmen das Seitens der FDP gibt es nicht weniger als zehn war, haben wir ja dann wenige Tage später festge- Hauptkritikpunkte am Vorschaltgesetz, bezogen auf stellt, als der erste Schulgesetzentwurf mit Ihren die Frage G 8, G 9, Y und abschlussbezogene Klas- Änderungen vorgelegt worden ist. An der Stelle sen sowie die Errichtung weiterer Oberstufen, die möchte ich Sie fragen, wie Sie denn persönlich da- einer Verabschiedung klar widersprechen. mit umgehen, dass Sie in der letzten Legislaturperi- ode ständig nach Schulfrieden gerufen haben, es Beginnen wir mit G 8, G 9, Art der Differenzie- aber eine Ihrer ersten Amtshandlungen gewesen ist, rung. Sie missachten schlicht und einfach den El- eine Schulgesetzänderung auf den Weg zu brin- tern- und Schülerwillen. Eltern und Schüler wollen gen. G 9 an den Gymnasien. Eine bundesweite Studie aus 2012 ergibt, dass 79 % der Befragten das neun- (Beifall FDP und vereinzelt CDU) jährige Gymnasium befürworten. Der Elternbeirat Für mich ist das wirklich ein Widerspruch. Um es der Grundschulen hat in seiner Stellungnahme deut- auf den Punkt zu bringen: Das Schulgesetz in dieser lich gemacht, dass sich eine überwältigende Mehr- heit der Grundschuleltern für G 9 ausspricht. In Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1505

(Anita Klahn)

Hamburg gibt es im Moment eine repräsentative Präsident Klaus Schlie: Umfrage, nach der sich 72 % der befragten Grund- Jetzt hat die Frau Abgeordnete Klahn das Wort. schuleltern dafür ausgesprochen haben. Das miss- achten Sie. Anita Klahn [FDP]: Außerdem beklagen der Landessportverband, der Landesjugendring, der Kinderschutzbund und die Ich habe das unter dem Tisch stehen. Wir können Feuerwehren mangelnde Freizeit und den Rück- das gleich klären. Ich habe die Unterlagen von der gang des ehrenamtlichen Engagements unter G 8. Anhörung mitgebracht, weil ich genau mit solchen Mit diesem Gesetz verbauen Sie den Gymnasien Attacken gerechnet habe. Wir werden das gleich absichtlich den Weg zu G 9 und Y. herausholen. (Vereinzelter Beifall CDU) (Unruhe - Zuruf Lars Harms [SSW]) - Muss ich den Zuruf von Herrn Harms jetzt per- Präsident Klaus Schlie: sönlich nehmen? Frau Abgeordnete Klahn, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Abgeordneten Habersaat? Präsident Klaus Schlie: Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht Anita Klahn [FDP]: können wir jetzt so fortfahren wie bisher. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Klahn. Gern. Er ist ja schon ganz aufgeregt. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Hat er eine neue Anita Klahn [FDP]: Brille?) Ich möchte noch einmal herauszustellen: Kinder in - Die hat er schon ein paar Tage länger. G 8 leiden unter einem erheblichen Druck. Aus Martin Habersaat [SPD]: Frau Klahn, ich lerntheoretischer und entwicklungspsychologischer möchte Sie fragen, wie Sie die Stellungnah- Perspektive wird G 9 für sinnvoll gehalten. me des Landeselternbeirats der Gymnasien Wir sind der Ansicht, dass abschlussbezogene Klas- beurteilen, die da lautet: sen die Bildungsqualität fördern und deswegen er- „Der Landeselternbeirat der Gymnasien be- halten bleiben sollten. dankt sich für die Möglichkeit zur Anhörung und nimmt Stellung zu … § 44 Schulgesetz Präsident Klaus Schlie: … wie folgt: Der Landeselternbeirat als insti- Frau Abgeordnete Klahn, gestatten Sie eine weitere tutionelle Vertretung der gymnasialen Eltern- Zwischenfrage des Abgeordneten Habersaat? schaft begrüßt diese Änderung ausdrücklich. Sie trägt dazu bei, dass Ruhe in die Gymnasi- Anita Klahn [FDP]: en beziehungsweise Strukturdebatte einkehrt und die Diskussion sich nun endlich auf in- Gerne. haltliche Fragestellungen der Ausgestaltung Martin Habersaat [SPD]: Frau Klahn, als von Gymnasien konzentrieren kann.“ Sie die zweite Stellungnahme des Landesel- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ternbeirats der Gymnasien erwähnten, mein- und SSW) ten Sie da die Stellungnahme, in der es heißt: - Lieber Herr Habersaat, Sie haben eine selektive „Grundsätzlich begrüßt der Landeselternbei- Wahrnehmung. Es gibt eine zweite Stellungnahme rat der Gymnasien die Möglichkeit der Ein- zu dem Gesetzentwurf. richtung neuer Oberstufen an Gemeinschafts- schulen, allerdings nicht auf Basis der vorge- (Zuruf SPD: Von Ihnen!) schlagenen Änderungen.“? - Wir haben nacheinander zwei Stellungnahmen - Genau auf die beziehe ich mich. Ich finde es eingeholt. Sie sollten die richtige lesen. Ich würde schön, dass Sie mich jetzt mit den Auszügen kon- jetzt gern fortfahren, Herr Dr. Stegner. frontieren, weil ich hier - - (Zurufe Wolfgang Kubicki [FDP] und Martin (Martin Habersaat [SPD]: „Heftige Kritik an Habersaat [SPD]) der Koalition“!) 1506 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Anita Klahn)

- Wieso „heftige Kritik“? Lieber Herr Habersaat, (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ja, Schulträger ha- man kann sich immer das heraussuchen, was es ben es so beantragt!) passend macht. Sie entfachen die Strukturdebatte neu, anstatt sich (Heiterkeit und Beifall SPD, BÜNDNIS mit uns und anderen Beteiligten darüber zu unter- 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelter halten, mit welchen Maßnahmen die Schüler tat- Beifall PIRATEN) sächlich besser gefördert werden können. Ich er- gänze dazu gerne noch, dass in der Zeit von 2007 Jetzt wollen Sie mir absprechen, dass ich die Stel- bis 2009 die Eltern und die Lehrer an den Schulen lungnahmen lese und sie so verwende, wie ich sie überaus verunsichert waren, wie das umgesetzt verstehe? Ich finde, Sie haben an der Stelle ein sehr werden soll, was Sie seinerzeit angerichtet haben. merkwürdiges Demokratieverständnis. Das war auch der Grund, dass Sie 2009 nicht mehr (Zuruf) das Bildungsministerium besetzen durften. Aber ich weiß ja, dass Herr Habersaat vor nichts Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz ver- Angst hat. Ich freue mich auf die weitere Diskussi- schärfen Sie unnötig die Konkurrenz zwischen on. den Schulen. Ein erweitertes Angebot - die demo- Ich würde gerne darauf zurückkommen, dass ab- grafische Entwicklung ist bekannt - heißt auch, bei schlussbezogene Klassen die Bildungsqualität för- Rückgang der Nachfrage wird sich die Konkurrenz- dern. Dazu gibt es eine Studie des Max-Planck-In- situation in den Schulen um Schüler und Lehrer stituts. Da wurde für NRW als Ergebnis festgehal- verschärfen. Sie scheinen das völlig zu ignorieren. ten, dass Gesamtschüler in Mathematik im Ver- Das Gesetz wird dazu führen, dass gewachsene gleich zu Realschülern um zwei Jahre, im Ver- Strukturen zerstört werden. Ich habe ihre Potenzial- gleich zu Gymnasiasten um mehr als zwei Jahre zu- analyse für die Standorte gelesen. Sie rechnen sich rückliegen, und das trotz der besseren Personal- das sehr schön. Die Schüler, mit denen sie planen, und Sachausstattung in dieser Schulform. Oder - gibt es nicht. Ihre ganze Grundannahme geht fehl. um es mit den Worten des Bildungsforschers Jür- Mehr Oberstufen führen nicht automatisch zu mehr gen Baumert zu sagen -: Abiturienten. Denn allein durch die Schaffung wei- „Es gibt keine belastbare Studie, die bestäti- terer Kapazitäten werden Schüler nicht schlauer. gen könnte, dass ein längeres gemeinsames Quantität kann Qualität nicht ersetzen. Aus meiner Lernen sinnvoll sei.“ Sicht sollte das Abitur immer noch ein Qualitäts- merkmal sein. Es ist für mich also unverständlich, dass Gemein- schaftsschulen die Möglichkeit genommen werden (Peter Eichstädt [SPD]: Eine Eliteoberstufe! - soll, abschlussbezogene Klassen einzurichten. Zuruf SPD: Am besten für alle! - Zuruf SPD: Schön selektieren! Alles schön raussortie- (Zuruf Serpil Midyatli [SPD]) ren!) - Nein, danke, Frau Midyatli. - Herr Dr. Stegner, dass Sie der Meinung sind, dass Einschränkung der Wahlfreiheit ist Punkt 4. Die Sie uns nicht brauchen, um Ihre Entscheidung Unterrichtsorganisation und Lerngruppenbildung ist durchzubekommen, ist mir persönlich hinlänglich eine originäre Aufgabe der Schulen und erfolgt bekannt. Ich finde es trotzdem sehr fragwürdig. nach pädagogischen Erfordernissen und Möglich- (Birgit Herdejürgen [SPD]: Das ist Demokra- keiten vor Ort zum Wohle der Schülerinnen und tie!) Schüler. Mit diesem Gesetz greifen Sie politisch in die Selbstorganisation von Schulen ein. Das ist ein Die Kommunen haben im Vertrauen auf ein gelten- erheblicher Rückschritt gegenüber der jetzigen Re- des Schulgesetz erhebliche Investitionen getätigt. gelung. Frau Ministerin Wende, Sie sprechen sich Das ist uns auch in den Anhörungen deutlich gesagt in allen möglichen Interviews dafür aus, den Men- worden. Diese werden mit diesem Schulgesetz in- schen die Wahlmöglichkeit zu geben. Mit diesem frage gestellt. Ich nenne als Beispiel die Stadt Neu- Gesetz konterkarieren Sie sich selbst. münster, die auf die Alexander-von-Humboldt- Schule verweist, welche eine Auswärtigenquote Meine Damen und Herren, warum haben Sie kein von 71 % aufweist und jetzt als Konkurrenz zwei Vertrauen in die Entscheidungsprozesse vor Ort? neue Oberstufen in unmittelbarer Nähe bekommt: Herr Dr. Stegner hat vorhin diese Frage aufgewor- Bordesholm ist sieben Kilometer weg und Nortorf fen. circa zehn Kilometer. Das ist eine Entfernung, die Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1507

(Anita Klahn) man Oberstufenschülern ohne Probleme zumuten Jahr ist schon wieder Unruhe. Alles muss neu, alles kann; denn wir reden hier nicht von Grundschülern. besser, alles ideologiefrei und in einem ergebnisof- Zu Recht überlegt die Stadt Neumünster, aber auch fenen Dialog gemacht werden. Geradezu gewartet die Stadt Flensburg - im Übrigen mit einem SSW- hat die Welt auf ein neues Schulgesetz, und wenn Oberbürgermeister - gegen die Bescheide des Bil- es zunächst nur als Light-Version auf den Markt dungsministeriums zu klagen. Sie lassen auch bei kommt. der Entscheidung über den Standort Kellinghusen (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Klarmachen zum außer Acht, was dort in Zukunft passieren wird. Die Ändern!) Schließung von Prinovis wird ihre Auswirkungen haben. Ministerin Wende, ich möchte Ihnen ganz persön- lich für den Bildungsdialog danken. Er hat mir sehr Auch Ihre Aussage hinsichtlich der zusätzlichen geholfen, den Einstieg in die Bildungspolitik dieses Planstellen für die Oberstufen sehen wir kritisch. Landes zu schaffen. Sie haben mich mit Menschen Denn wir sehen und empfinden es so, dass es keine zusammengebracht, die mehr von Schule und Bil- zusätzlichen Lehrerstellen gibt. dung verstehen als viele von uns hier. Allesamt in den Gruppen der Bildungskonferenz sind ausge- Präsident Klaus Schlie: wiesene Experten auf ihrem Gebiet. Deshalb kön- Kommen Sie bitte zum Schluss. nen und wollen wir mit ihnen die Dinge diskutie- ren, mit ihnen um die besten Lösungen ringen und Anita Klahn [FDP]: dann mit möglichst viel Rückenwind in der Bil- dungslandschaft Schleswig-Holsteins neue Struktu- Ich komme zum Ende. - Die Stellen werden aus ren schaffen. dem Kontingent der anderen Schulen geschnitten werden. Die Unterrichtsversorgung wird dadurch (Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE erheblich verschlechtert. GRÜNEN]) Sie schränken damit eine Profilvielfalt ein, und Sie Das ist sehr piratig, darum mag ich das so. Darum nutzen die Wege der Kooperation nicht. Das ist bin ich aber auch aufrichtig traurig darüber, dass mehr als bedauerlich. dieser Dialog torpediert wird, dass seine Glaubwür- digkeit durch das Vorschaltgesetz infrage gestellt Wir sehen dieses Vorschaltgesetz als überhastet ist. Völlig losgelöst vom Bildungsdialog wurden und falsch an. Es dient auf gar keinen Fall dazu, inzwischen drei Themen herausgelöst und sollen einen Schulfrieden in Schleswig-Holstein herbeizu- heute vorgezogen beschlossen werden: keine ab- führen. - Vielen Dank. schlussbezogenen Schulklassen an Gemeinschafts- (Beifall FDP und vereinzelt CDU) schulen, keine G-9-Gymnasien, mehr Oberstufen an Gemeinschaftsschulen. Das soll so passieren, weil Präsident Klaus Schlie: die Mehrheitsfraktionen das politisch so wollen. Warum? - Darum. Das Wort für die Abgeordneten der Fraktion der PI- RATEN hat der Abgeordnete Sven Krumbeck. (Beifall PIRATEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein offenes Sven Krumbeck [PIRATEN]: Geheimnis, dass ich inhaltlich ganz nah bei Ihnen bin. Ginge es nach mir, würden die Kinder noch Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- konsequenter eine Schule für alle besuchen und ginnen und Kollegen! Bildungspolitik ist und bleibt möglichst lange zusammen lernen. Dann würde es eine der größten politischen Baustellen in Schles- keine selektierenden, sondern nur noch fördernde wig-Holstein, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Strukturen geben. Dann würde ich wirklich die tatsächlich jeder Hand angelegt und umgebaut hat. Schule vor Ort über pädagogische Konzepte ent- Ich nenne die letzten Bauvorhaben: 2006 werden scheiden lassen. Dann würde ich mir noch mehr Haupt- und Realschulen unter Ministerin Erdsiek- Lehrer wünschen, mehr Geld, um sie besser zu be- Rave ersetzt. 2007 entstehen die ersten Gemein- zahlen und ihnen gute Arbeitsbedingungen zu schafts- und Regionalsschulen. 2009 die großen schaffen. Ich habe da eine ganz lange sehr piratige Ankündigungen der Ruhe durch die schwarz-gelben Liste, die ich gerne abarbeiten würde. Koalitionäre, leider ohne Wirkung. 2010 kommt Aber so funktioniert das hier leider nicht. Bildungs- das nicht ganz so kluge Gesetz unter einem FDP- politik lässt sich nicht am Reißbrett zaubern. Sie ist Minister. Nach dem Regierungswechsel im letzten 1508 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Sven Krumbeck) ein empfindliches Gebilde mit vielen Aspekten und Ich als Pirat kann dazu bei aller Nähe zu den grund- Akteuren. Viele dieser Akteure haben wir zum Vor- sätzlichen Vorstellungen nicht Ja sagen. Ich werde schaltgesetz befragt. Das Ergebnis war durchaus die Hand nicht für ein Gesetz heben, dem die überraschend. Denn, mal ehrlich: Sogar die, die der grundlegenden Fakten fehlen. Regierung nahestehen, haben an der einen oder an- Sie wären gut beraten, das Vorschaltgesetz in den deren Stelle Bedenken. Selbst die GEW, deren Auf- Bildungsdialog zurückzugeben und sich und uns al- fassung gerade zu Oberstufen an Gemeinschafts- len die Zeit zu geben, die wir gemeinsam für die schulen ich ausdrücklich für gut halte, sagt deutlich, Erarbeitung der genannten sachlichen Grundlagen dass sie das politische Ziel an dieser Stelle befür- brauchen. wortet, es handwerklich aber anders gemacht hätte. (Beifall PIRATEN) (Beifall PIRATEN) Stellen Sie dieses Vorschaltgesetz zurück! Nehmen Wenige sagten Nein. Alle anderen sagten: „Ja, aber Sie Rücksicht auf die, die damit leben müssen, die …“. Die Anhörung hat gezeigt, dass man sich nicht es umsetzen müssen! Schaffen Sie erst die Grundla- sicher ist, keine Prognosen geben kann, dass es kei- gen für einen landesweit belastbaren Schulentwick- ne Daten für einen verlässlichen Schulentwick- lungsplan, der fortgeschrieben wird! Ich habe das lungsplan gibt, dass es nicht einmal verlässliche re- lange gefordert und wurde in den Anhörungen in gionale Schulentwicklungspläne für alle Ecken in dieser Forderung bestätigt. Ich will - eigentlich will Schleswig-Holstein gibt. diese Regierung das auch; erinnern wir uns an die Das ist auch der Grund dafür, dass die Menschen in Regierungserklärung vom Juni letzten Jahres -: diesem Haus keine Fragen dazu beantworten kön- „Die neuen Gemeinschaftsschulen sollen nen. Sie kennen keine Grunddaten zu Abiturquoten, Oberstufen erhalten, wenn die Schulträger sie wissen nichts über die Schülerentwicklung vor und die Schulkonferenz dies beantragen und Ort, die Lenkung der Schülerströme. Sie haben kei- wenn die Schulentwicklungsplanung das her- nen blassen Schimmer über die Klassenbildungen, gibt.“ darüber, welche Konsequenzen mehr Oberstufen in den einzelnen Regionen haben. Sie schütteln den Das sagten übrigens Sie, Herr Albig. Kopf, wenn es um funktionierende Strukturen zwi- (Lars Winter [SPD]: Guter Mann!) schen unterschiedlichen Kooperationspartnern geht. Die Liste dessen, was wir alle zusammen nicht ab- Diese Planung gibt es aber nicht. Der Bildungs- schätzen können, ist leider ziemlich lang. staatssekretär bekräftigte dies in der letzten Aus- schusssitzung, indem er sagte: Ich vermute, dass Sie puzzeln so vor sich hin, immer ihre Idealvor- wir zusammen mit den Kommunen die Schulent- stellungen rot-grüner-blauer Bildungspolitik vor wicklungspläne in Gang bringen können. - Ich hö- Augen, aber leider nicht im Sinn. Aber so gestaltet re an solchen Stellen immer sehr genau hin; das ha- man nicht. Es ist sicher gut gemeint - das betone ich be ich mir notiert. ausdrücklich -, aber handwerklich ist das fahrlässig. Es gibt diese Pläne nicht, nicht in der kommunalen (Beifall PIRATEN) Familie und auch nicht im Ministerium. Falls Sie Das hat nicht zuletzt die Anhörung überdeutlich ge- sie haben, sollten Sie sie mit uns teilen. Denn nach zeigt. Man besorgt sich erst einmal die Daten, wer- Ihrem O-Ton gehört zu Ihrer neuen Politik eine po- tet sie aus und plant auf sachlicher Grundlage und litische Kultur, die Wert auf Dialog, Teilhabe und einer belastbaren Folgenabschätzung. Alle, wirklich Transparenz legt. Aber alles, wirklich alles davon alle, die an Schule beteiligt sind, wünschen sich die haben Sie mit diesem Vorschaltgesetz zur Seite ge- dazu nötige Ruhe und Verlässlichkeit in den schoben. Das kann niemanden in Ihren Reihen Schulen. Die werden Sie, wenn Sie dieses Gesetz glücklich machen. verabschieden, ihnen nicht geben. Sie machen das (Beifall PIRATEN) ganze Land zu einem Versuchsfeld nach dem Mot- to: Mal sehen, was funktioniert und was nicht. Was vom Bildungsdialog in diesem Fall zurück- bleibt, ist die Brachialgewalt eines Dr. Stegners, der Aber dann müssen Sie als Verantwortliche ein neu- nicht müde wird zu erläutern, dass auf seiner Seite es Schild an der Landesgrenze aufstellen mit der die Mehrheit besteht, die macht, was sie will. Aufschrift: Bildungsland Schleswig-Holstein, ein willkürlicher Feldversuch. (Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Zurufe) (Beifall PIRATEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1509

(Sven Krumbeck)

Mit Dialog und Sachverstand, mit dem Mut, sich Ich weiß nicht, wen Sie an dieser Stelle überzeugen selbst zu korrigieren, hat das nichts mehr zu tun. wollen, außer sich selbst. Ich glaube vielmehr, dass Ihnen allen die Muffe geht, dass Sie erkannt haben, Wer nicht weiß, was er tut, der darf auch nicht ma- dass dieses Gesetz nicht so belastbar ist, wie Sie chen, was er will, und vor allem dann nicht, wenn sich das vorgestellt haben. Es wäre gut für uns alle er politische Verantwortung trägt. gewesen, das Vorschaltgesetz in Gänze zurückzu- (Beifall PIRATEN, CDU und FDP) stellen und am Ende des Prozesses zum 1. Au- Dann nützt es auch nichts, dass Sie quasi in einer gust 2014 ein gutes Schulgesetz auf den Weg zu Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Vorschaltgesetz bringen. Aber den Mut hatten Sie nicht. nebst Erweiterung eine befristete Lösung gemacht (Beifall PIRATEN und CDU) haben, nur um diese dann umgehend wieder zu- Das wollte der heimliche Bildungsmacher, Herr rückzunehmen. Wir haben über den Befristungsan- Dr. Stegner, nicht, da gab es kein Zurück, nur Au- trag sogar ein bisschen gelacht - von wegen weni- gen zu und durch. ger zeitliche Verlässlichkeit als die Tragezeit einer indischen Elefantenkuh und so. (Lachen SPD) (Martin Habersaat [SPD]: Was? - Heiterkeit Durch sind Sie jetzt, am gewünschten Ziel aber lei- und Zurufe) der nicht. Da ist Ihnen die Muffe gegangen wegen der Anhö- (Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE rung und Ihrer voreiligen Ankündigungen, dass Sie GRÜNEN]: Ihr passt euch der CDU an!) das nicht in Einklang bringen konnten mit dem Bil- Denn dieses Gesetz droht Ihnen auf die Füße zu fal- dungsdialog und den fehlenden Daten und Struktur- len, und Sie sind so wenig davon überzeugt, dass informationen. Dass Sie handwerklich so konfus Sie es selbst befristen wollten, agieren, hat uns doch überrascht; das war für uns befremdlich. (Unruhe - Glocke des Präsidenten) (Zurufe) was aber handwerklich, formal juristisch nicht ging. - In wilder Hektik gezimmert und wieder eingeris- Denn dass diese Befristungs- und Entfristungsge- sen, und das alles auf der Grundlage hausgemachter schichte Ihre Glaubwürdigkeit nicht stärkt, ist Ihnen Probleme. wohl klar. Lieber Kollege Habersaat, dass Sie jetzt handeln (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] - Un- müssen, weil Sie bei manchen Gemeinschafts- ruhe) schulen hinsichtlich der Oberstufe im Wort stehen, Da wäre Sachverstand statt blinder Aktionismus ge- haben Sie sich selber eingebrockt. fragt gewesen. (Beifall PIRATEN und CDU) Nun haben wir einen Änderungsantrag der Mehr- heitsfraktionen, der nicht einmal eine Woche ver- Vizepräsident Bernd Heinemann: lässlich war. Das ist rekordverdächtig. Ich habe ge- gen Ihren ersten Antrag gestimmt, ich habe gegen Herr Abgeordneter Krumbeck, gestatten Sie eine Ihren Änderungsantrag gestimmt, und ich werde Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steg- auch gegen Ihren nächsten Änderungsantrag stim- ner? men. Sven Krumbeck [PIRATEN]: (Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Zurufe) Ja. Herzlichen Glückwunsch dazu! Am Ende bleibt vor allem die Erkenntnis: Mit Bildungsdialog hat das Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sehr geehrter Herr nicht so viel zu tun, mit solider Politik auch nicht. Kollege Krumbeck, Sie sind ja noch nicht lange im Parlament. Ist Ihnen aufgefallen, Sie wollen wirklich Ruhe und Verlässlichkeit in die dass man für einen Mehrheitsbeschluss im Schulen bringen? So schaffen Sie die langersehnten Parlament 35 Stimmen braucht? Meine reicht klaren Strukturen mit gesetzlichen Vorgaben, die so also nicht aus. wenig Haltbarkeit mitbringen? Was soll ich als Schule und als Schulträger von solch kurzatmigem (Dr. Heiner Garg [FDP]: Na ja! - Heiterkeit Murks halten? und Zurufe) 1510 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Sven Krumbeck)

- Das ist mir bewusst. Mir ist aber auch bewusst, Sven Krumbeck [PIRATEN]: was die Position des Fraktionsvorsitzenden in der Ja. SPD bedeutet und dass Sie als ehemaliger Staatsse- kretär im Bildungsministerium deutlich versuchen, Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege da Ihre Fühler auszustrecken. Krumbeck, herzlichen Dank. - Sind Sie mit mir einer Meinung, dass ohne die Stimme (Beifall PIRATEN und CDU - Heiterkeit und des Kollegen Dr. Stegner die Mehrheitsfrak- Zurufe) tionen keine Mehrheit im Landtag hätten? Vizepräsident Bernd Heinemann: (Heiterkeit, Beifall und Zurufe) Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn - Ja, Herr Kollege Garg, da bin ich mit Ihnen einer Abgeordneten Martin Habersaat? Meinung. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ihr Scharfsinn ist Sven Krumbeck [PIRATEN]: unglaublich! - Unruhe) Ja. Ich fahre fort. - Weil Sie nicht abwarten konnten, weil Sie selbst Pflöcke einschlagen wollten, ohne Vizepräsident Bernd Heinemann: sich schlau zu machen, egal wie es ausgeht, nimmt Ihnen die ergebnisoffene Diskussion mit Sachver- Herr Abgeordneter! stand an dieser Stelle kaum noch jemand ab. Das ist (Zurufe) schade. Martin Habersaat [SPD]: Ich muss mich Verehrte Frau Ministerin Wende, ich bleibe dabei: erst vergewissern: Fraktionsvorsitzender, ist Ihre Vorstellungen zur Bildungspolitik teile ich. Ih- mir eine Zwischenfrage gestattet? ren Bildungsdialog möchte ich würdigen. Persön- lich hätte ich mir ein anderes, besseres erstes Ge- (Heiterkeit) setz gewünscht, das Ihren Namen trägt und das von - Vielen Dank. - Herr Krumbeck, mir ist mehr Menschen ehrlich mitgetragen wird. - Danke. nicht ganz klar, wieso es meine Schuld ist, (Beifall PIRATEN, CDU und FDP) dass die 2007 ins Leben gerufenen Gemein- schaftsschulen in diesem Sommer so weit sind, dass sie Oberstufen einrichten könn- Vizepräsident Bernd Heinemann: ten, und nun, wo gerade die Einschulungs- Für die Abgeordneten des SSW spricht Frau Abge- phase läuft, die Antwort bräuchten, ob sie im ordnete Jette Waldinger-Thiering. August 2013 mit einer Oberstufe starten dür- fen oder nicht. Jette Waldinger-Thiering [SSW]:

Sven Krumbeck [PIRATEN]: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der recht aufge- Diese Antwort haben Sie doch längst gegeben, Sie regten Stimmung rund um die Änderung des Schul- haben doch längst die Signale ausgegeben, dass es gesetzes ist mir eines besonders wichtig zu betonen: die Oberstufen geben wird. Jetzt noch einen Monat Der zeitliche Druck bei der Bearbeitung hat dazu zu warten, wo man sich fast sicher sein kann, weil geführt, dass dieses Verfahren etwas holprig ge- Sie - wie Herr Stegner immer betont - die Mehrheit laufen ist. Diesen Umstand bedauere ich ausdrück- haben, dass es so kommen wird, halte ich nicht für lich. Ich gebe auch zu bedenken, dass bis 2014 für sehr glaubwürdig, wenn es Ihnen wirklich auf Dia- keine einzige Schule hier im Land der Zwang log in der Bildungskonferenz ankommt. besteht, ihre Struktur zu ändern. Ganz im Gegen- (Beifall PIRATEN, CDU und FDP) teil, nach den vielen Unsicherheiten der vergange- nen Jahre halten wir es für sehr wichtig, dass an al- len Schulstandorten in Ruhe weitergearbeitet wer- Vizepräsident Bernd Heinemann: den kann. Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Gerade weil so mancher ganz gezielt in diese Rich- Dr. Garg? tung Unsicherheiten verbreitet, möchte ich noch einmal betonen, dass Gemeinschaftsschulen und Gymnasien für diese Koalition gleichermaßen Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1511

(Jette Waldinger-Thiering) wichtig sind. Das bleibt selbstverständlich auch die Der Vorwurf, der begonnene Dialog sei bloß Thea- Grundlage, auf der wir gemeinsam mit allen Akteu- ter, weil heute schon Fakten geschaffen würden, ren, die bereit sind, sich konstruktiv einzubringen, wird deshalb von den meisten Betroffenen auch an Inhalten arbeiten wollen. nicht geteilt. Ich will hier klar sagen: Anders als un- sere Vorgänger wirbeln wir eben nicht alles wahllos (Beifall Martin Habersaat [SPD]) durcheinander. Wir sorgen nur dafür, dass das Diesen Weg werden wir schon allein deshalb nicht bestehende Chaos nicht noch größer wird. verlassen, weil es bei unserem Anspruch bleibt, Aus unserer Sicht werden mit dieser Änderung des zum Schuljahr 2014/2015 ein gutes Schulgesetz Schulgesetzes weder der Elternwille verletzt noch im Dialog mit den Betroffenen zu beschließen. Dar- die Wünsche der Dialogpartner verhöhnt. Wie ge- an hat sich auch zur heutigen zweiten Lesung zu sagt: Uns geht es nur darum, weitere Fehlentwick- unserem Vorschaltgesetz nichts geändert. lungen und Auswüchse zu verhindern. Der Dialogprozess ist in vollem Gang. Wie alle Wir wollen unter anderem die Möglichkeit, weitere wissen, haben wir Sonnabend die nächste Bildungs- abschlussbezogene Klassenverbände an Gemein- konferenz. Es ist schon recht merkwürdig, dass die schaftsschulen einzurichten, verhindern - und dies Opposition wirklich gar kein gutes Haar an diesem aus einem ganz einfachen Grund: Abschlussbezo- Bildungsdialog lassen kann. Dabei hat mein Kolle- gene Klassen entsprechen gerade nicht der Idee des ge Martin Habersaat gewiss nicht übertrieben, als er gemeinsamen Lernens und haben mit dem Kern der diesen Dialogprozess als den umfassendsten be- Gemeinschaftsschule überhaupt nichts zu tun. Jeder zeichnet hat, den wir in Schleswig-Holstein je er- hier weiß, dass sie nur zum Ziel hatten, das gemein- lebt haben. Diesen Ansatz als reine Augenwischerei same Lernen zu schwächen und die Hauptschule zu bezeichnen, halte ich für wirklich unangemes- durch die Hintertür wieder einzuführen. Die Koali- sen. Aber wer weiß: Vielleicht ärgert man sich ja tion aus SPD, Grünen und SSW vertritt dagegen die auch nur darüber, dass man die verschiedenen bil- Auffassung, dass Kinder in Schleswig-Holstein dungspolitischen Beschlüsse in der vergangenen nicht länger in Schubladen gesteckt werden dürfen. Legislaturperiode nicht ähnlich sorgfältig vorberei- Wir meinen, dass dies Denken von vorgestern ist tet hat. Oder vielleicht erkennt man erst heute, dass und endlich beendet werden muss. es ein Fehler war, einfach über die Köpfe der Be- troffenen hinweg entschieden zu haben. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Flemming Meyer [SSW]) (Unruhe) Es ist doch gerade dieses Prinzip des längeren ge- Wie dem auch sei, im Ergebnis haben uns unsere meinsamen Lernens an Gemeinschaftsschulen, das Vorgänger in der Schullandschaft ein heilloses von unglaublich vielen Schülerinnen und Schülern Durcheinander hinterlassen. Die Leidtragenden sind sowie Eltern ausdrücklich gewünscht wird. Vor die- Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Eltern. Sie sem ganz konkreten Bedürfnis der Betroffenen soll- und nicht zuletzt die Schulträger haben diese chao- te auch die Opposition nicht länger die Augen ver- tischen Verhältnisse gründlich satt. Das zeigt auch schließen. Indem wir abschlussbezogene Klassen- die Bildungskonferenz sehr deutlich. Deshalb ha- verbände verhindern und die von Schwarz-Gelb ge- ben wir uns zur Aufgabe gemacht, endlich über In- strichenen Differenzierungsstunden zurückgeben, halte statt über Strukturen zu reden. Gerade weil können Gemeinschaftsschulen endlich wieder ihrer wir diesen konstruktiven Dialog mit den Akteuren Kernaufgabe nachgehen. und ihre Bedürfnisse insgesamt sehr ernst nehmen, brauchen wir dieses Vorschaltgesetz. Nur so kön- Diese deutliche Stärkung des gemeinsamen Lernens nen wir das vorhandene Bildungschaos gründlich mag von CDU und FDP zwar aus ideologischen durchleuchten und Schritte in die falsche Richtung Gründen nicht gewollt sein, bildungspolitisch sind verhindern. wir damit aber auf dem absolut richtigen Weg. Wo genau wir hier vom Elternwillen abweichen sollen, Eines habe ich schon in der vergangenen Debatte bleibt mir ein völliges Rätsel. zum Schulgesetz versucht, deutlich zu machen: Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nehmen wir gezielt Noch einmal: Wir stehen zum Zwei-Säulen-Mo- Einfluss auf einige Dinge, die ungebremst schlicht dell aus Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. und einfach zu weiteren Unsicherheiten und Proble- Die jungen Menschen, die hier in Schleswig-Hol- men führen würden. Dies tun wir zeitlich eng befri- stein ihr Abitur machen, sollen die Wahl haben stet, genauer gesagt, bis das neue Schulgesetz im können: die Wahl zwischen dem achtjährigen Bil- August nächsten Jahres in Kraft tritt. dungsgang am Gymnasium und dem neunjährigen 1512 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Jette Waldinger-Thiering) an Gemeinschaftsschule oder Beruflichem Gymna- Mit Blick auf den etwas unglücklichen Ablauf bei sium. Mit dem die Gymnasien betreffenden Punkt dieser Gesetzesänderung möchte ich gern noch ein- unseres Entwurfs wollen wir auch in diesem Be- mal betonen, dass ich den Groll der Opposition reich Sonderwege verhindern und Unsicherheiten über den plötzlichen Änderungsantrag nachvoll- vermeiden. ziehen kann. Dies war so nicht beabsichtigt und soll auch so nicht wieder vorkommen. Das heißt im Klartext: Bestehende G-8-Gymnasien sollen keinen neunjährigen Bildungsgang einführen Trotz aller Kontroversen in der Schulpolitik hoffe und G-9-Gymnasien nicht zu Y-Modellen wechseln ich aber, dass wir das gemeinsame Ziel haben, dürfen; denn für uns steht fest, dass nicht nur bei mehr jungen Menschen zu einem höheren Bil- den Gemeinschaftsschulen, sondern eben auch bei dungsabschluss zu verhelfen. Um dieses Ziel zu er- den Gymnasien zu viele Sonderwege ermöglicht reichen, brauchen wir Gymnasien und Gemein- wurden. So stand zwar überall Gymnasium drauf, schaftsschulen gleichermaßen. Wir brauchen Si- aber es war eben nicht überall dasselbe drin. Diese cherheit für unsere Schülerinnen und Schüler, El- Entwicklung und die damit verbundene Unsicher- tern, Lehrer und Schulträger. Ich bin davon über- heit wollen wir begrenzen, bis wir gemeinsam mit zeugt: Moratorium und Bildungsdialog werden da- den Betroffenen eine endgültige Entscheidung ge- zu führen, dass wir am Ende ein gutes Schulgesetz funden haben - nicht mehr und nicht weniger. im Sinne der Betroffenen haben werden. Ein wichtiger Punkt im Vorschaltgesetz betrifft die (Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einrichtung von Oberstufen an Gemeinschafts- und vereinzelt SPD) schulen. Hier sage ich eins ganz deutlich: Wenn Ich kann gut verstehen, dass die CDU nichts von man diese Schulform will, was nicht nur der unserem Bildungsdialog hält, wenn ich mir die al- Wunsch dieser Koalition, sondern vor allem vieler ten Pressemitteilungen und Reden durchlese. Da hat Schüler und Eltern ist, dann muss sie sich auch ent- die bildungspolitische Sprecherin Heike Franzen et- wickeln können. Es ist aber allen hier bekannt, dass was gesagt, was ich zitieren darf: Der Bildungsdia- eine Weiterentwicklung dieser Schulform auf der log, der Runde Tisch, das sei der Bildungsaus- Grundlage des schwarz-gelben Schulgesetzes nicht schuss des Landtags. - Wir sind mit unserer Koaliti- möglich war. Weil wir aber heute an einem Punkt on rausgegangen und machen einen Bildungsdia- sind, an dem die ersten Gemeinschaftsschulen ihren log, zu dem alle Betroffenen eingeladen werden, Oberstufenbetrieb starten könnten, sehen wir hier und zwar nicht nur hier im Landtag. dringenden Handlungsbedarf. (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und GRÜNEN) Dr. Ralf Stegner [SPD]) Wir meinen, dass die Schulträger hier ein völlig be- Vizepräsident Bernd Heinemann: rechtigtes Interesse haben zu wissen, woran sie sind. Sie brauchen endlich Planungssicherheit. Bevor wir zu den Dreiminutenbeiträgen kommen, begrüßen Sie bitte mit mir die Landesschülervertre- Wir wollen den Gemeinschaftsschulen die Mög- tung der Gymnasien in Schleswig-Holstein, den lichkeit geben, sich zukunftsfähig aufzustellen. Da- Landesschülersprecher Lukas Johnsen aus Glück- für ist die Einrichtung neuer Oberstufen nun einmal stadt und den stellvertretenden Landesschülerspre- zwingend notwendig. Um es ganz deutlich zu sa- cher Florian Lienau aus Bokholt-Hanredder. - Herz- gen: Es geht hier nicht um die Schwächung des lich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Gymnasiums oder das Ausspielen der einen Landtag! Schulart gegen die andere. Es geht mit diesem Schritt einzig und allein darum, die logische Konse- (Beifall) quenz aus der Einführung der Schulform Gemein- Jetzt kommen wir zu den Dreiminutenbeiträgen. - schaftsschule zu ziehen. Sowohl Gymnasien als Als Erstes hat Herr Abgeordneter Martin Habersaat auch Gemeinschaftsschulen brauchen die Chance von der SPD-Fraktion das Wort. auf eine gesunde Entwicklung. Mit unserer Rege- lung haben wir ihnen genau diese Möglichkeit ge- Martin Habersaat [SPD]: geben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hat- (Unruhe - Glocke Präsident) ten im vergangenen Jahr eine Landtagswahl, und zu dieser Landtagswahl sind die unterschiedlichen Par- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1513

(Martin Habersaat) teien in Schleswig-Holstein mit unterschiedlichen einen Anspruch darauf, dass nicht Schritte in eine bildungspolitischen Konzepten angetreten. Drei Richtung unternommen werden, für die wir nicht dieser Parteien haben gemeinsam eine Mehrheit er- gewählt worden sind. Deshalb: Ja, dieses Vor- rungen, und die drei Fraktionen haben sich in einem schaltgesetz ist nötig, damit wir ein Jahr lang in Ru- Koalitionsvertrag auf ihre bildungspolitischen Ziele he in diesen Dialogprozess gehen können. verständigt. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt kommt etwas Neues: Diese drei Koalitions- und SSW) fraktionen haben nicht sofort angefangen, das um- Die Zustimmung zu diesem Moratorium ist auch zusetzen, was sie für richtig halten und wofür sie in größer, als zumindest die Kollegin Klahn das hier den Wahlkampf gezogen sind, sondern haben ge- dargestellt hat. Ich bin sehr dankbar, dass Frau sagt: Wir starten einen Dialogprozess, und wir re- Klahn nicht auch die Namen aller FDP-Mitglieder den mit vielen Menschen über Bildungspolitik. Al- verlesen hat, dann hätte es noch beeindruckender lerdings haben wir dieses Vorschaltgesetz davor ge- geklungen. setzt, um diesen Dialog zu ermöglichen. Sie nennen das Arroganz, ich nenne es Arroganz, überhaupt (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das hätte sie viel- niemals den Dialog gesucht zu haben. leicht geschafft in ihrer Redezeit!) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Zustimmung zu den beiden ersten Punkten ist und SSW - Olaf Schulze [SPD]: Das ist der riesig groß. Frau Klahn, ich entschuldige mich da- Unterschied!) für, dass ich Ihnen ausgerechnet an der Stelle, als Sie über G 8 und G 9 geredet haben, die Stellung- Wir sagen, dass es schlicht und ergreifend Verläss- nahme des Landeselternbeirats Gymnasium zur lichkeit auch unseren Wählerinnen und Wählern Frage G 8 und G 9 vorgelesen habe. gegenüber ist, ein Jahr lang, bevor wir mit diesem Dialog fertig sind, Schritte in eine Richtung zu ver- (Beifall SPD) hindern, gegen die wir nun einmal in den Landtags- Der kritisierte Punkt, der in der Anhörung öfter zur wahlkampf gezogen sind. Sprache kam, Herr Kubicki, betrifft die Einrich- (Beifall SPD, SSW und Anke Erdmann tung neuer Oberstufen. Auch dazu wurde mehr- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wortmel- fach gesagt, dass sich die Kritik mehrheitlich mit- dung Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) nichten dagegen richte, dass wir neue Oberstufen einrichten, sondern sie richtet sich gegen den Zeit- - Ich würde die Zwischenfrage zulassen. plan. Vizepräsident Bernd Heinemann: Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Breyer, bitte stellen Sie Ihre Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- Zwischenfrage. ge der Frau Abgeordneten Klahn. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Danke, Herr Kollege. Sie haben eben gesagt, das Martin Habersaat [SPD]: Vorschaltgesetz ermögliche den Bildungsdia- log. Verstehe ich das richtig, dass der Bil- Mit Vergnügen. dungsdialog ohne Vorschaltgesetz nicht möglich wäre? Vizepräsident Bernd Heinemann: (Lachen und Beifall PIRATEN und verein- Mit Vergnügen. zelt CDU) Anita Klahn [FDP]: Weil Sie das aufgerufen haben - sonst hätte ich es nicht gemacht -, Martin Habersaat [SPD]: möchte ich Sie auf Folgendes ansprechen. Im Prinzip verstehen Sie das genau richtig, Herr Sie haben dargestellt, ich hätte Umdruck Breyer, weil Sie verstehen müssen, dass die SPD 18/723 nur selektiv gelesen, nämlich die er- eine Partei ist, die ein Programm zu ziemlich allen ste Seite, auf der es heißt: Punkten hat, die in der Gesellschaft relevant sind. „Grundsätzlich begrüßt der Landeselternbei- Unsere Mitglieder und unsere Wähler haben an uns rat der Gymnasien die Möglichkeit der Ein- den Anspruch, dass wir dieses Programm, wenn wir richtung neuer Oberstufen an Gemeinschafts- gewählt werden, umsetzen. Zumindest haben sie schulen …“ 1514 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Ich weise Sie darauf hin und bitte Sie, zur Weil die Schulentwicklungsplanung eine kommu- Kenntnis zu nehmen, dass auf der Rückseite nale Aufgabe - da komme ich zu Herrn Krumbeck - der letzte Satz lautet: und nicht Landesaufgabe ist, ist es ein wenig schlankfüßig zu sagen, das Land solle erst eine fer- „Daher wird der Änderungsvorschlag zur tige Schulentwicklungsplanung aufstellen und dann Einrichtung von Oberstufen an Gemein- darüber nachdenken, ob und wo gegebenenfalls schaftsschulen abgelehnt. neue Oberstufen einzurichten sind. Das ist für die Mit freundlichem Gruß Schülerinnen und Schüler, die heute eine Ansage Dr. Thomas Hillemann“ brauchen: „Was wird nach den Sommerferien aus mir?“, eine absolut unfaire Aussage zu sagen: Wir planen sozusagen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, Martin Habersaat [SPD]: und vielleicht gibt es eines Tages dann neue Ober- Frau Klahn, ich habe Sie mitnichten in dem Punkt stufen. angegriffen, den Sie mir gerade unterstellt haben. Herr Kubicki, ich bin Ihnen die Zahlen noch schul- Ich war auch so fair, den zweiten Halbsatz vorzule- dig: In Niedersachsen gibt es 88 Gesamtschulen, sen, in dem es gerade hieß: Oberstufen im Prinzip denen stehen 292 Gymnasien und sage und schreibe ja, aber nach einem anderen System. 516 Hauptschulen gegenüber. Von einer flächen- (Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) deckenden Wahlmöglichkeit zwischen G 8 und G 9, wie wir sie in Schleswig-Holstein anstreben, Nun haben wir im Land Gemeinschaftsschulen, die ist Niedersachsen weit entfernt und insofern kein brauchen eine Antwort auf die Frage: Dürfen wir geeigneter Vergleich. eine Oberstufe einrichten? Ich finde es lustig, dass Sie auf der einen Seite kritisieren, das Ministerium (Vereinzelter Beifall SPD - Wolfgang Ku- schreibe Briefe auf gar nicht vorhandener gesetzli- bicki [FDP]: Bei Hauptschulen!) cher Grundlage, aber auf der anderen Seite kritisie- Weil Sie zum wiederholten Male Rheinland-Pfalz ren, wir schafften mit übertriebener Hast eine ge- ins Feld geführt haben, zum wiederholten Male setzliche Grundlage. meine Antwort: Rheinland-Pfalz hat nie bei G 8 Was sollen wir denn in Handewitt und Kellinghu- oder G 9 mitgemacht, weil Rheinland-Pfalz schon sen erzählen? Was macht eigentlich der Kollege immer G 8,5 hatte. Rheinland-Pfalz hat aber Mo- Rickers in Kellinghusen, wenn er gefragt wird, ob dellgymnasien zugelassen, die G 8 erproben. er für die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe Wir haben in der Anhörung verschiedene Anregun- ist? Ich habe ihn in Kellinghusen als Unterstützer gen bekommen. Das betraf die Kooperation von be- einer gymnasialen Oberstufe wahrgenommen. ruflichen Schulen und Gemeinschaftsschulen. Das Herr Wiegard, wie geht es Ihnen, wenn Sie mit Ih- betraf die Frage der Profilbildung in der Region: rem Bürgermeister in Bargteheide sprechen? Sind Müssen alle Schulen mit den zwei gleichen Profilen Sie für eine Oberstufe an der Dietrich-Bonhoeffer- anfangen, oder gibt es unterschiedliche? Frau Fran- Schule oder dagegen? zen, da gilt: Ein Habersaat, ein Wort! Ich danke Ih- nen, dass Sie mir anlässlich Ihres Geburtstags den Wie ist das in Lauenburg, Herr Schlie? Sagen Sie: schönen Slogan geschenkt haben. „Jawohl, Lauenburg ist zu Recht die einzige Stadt im Kreis Herzogtum Lauenburg, die keine Oberstu- (Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) fe hat“, oder sagen Sie: „Ach doch, eine Oberstufe Das nehmen wir alles auf. Ich danke nicht nur da- in Lauenburg könnte eine vernünftige Sache sein“? für, sondern stelle auch fest, dass ich heute im (Zuruf Klaus Schlie [CDU]) Landtag öfter zitiert worden bin als Heinrich Brü- ning. Auch dafür bedanke ich mich. - Vielen Dank. In Nortorf gab es Veranstaltungen, in denen sich der Kollege Göttsch für eine zweistufige Oberstufe (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausgesprochen hat. NEN) Heute stimmen Sie dagegen und sind empört, dass wir es ermöglichen, Oberstufen an Gemeinschafts- Vizepräsident Bernd Heinemann: schulen einzurichten. Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat Frau (Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist das! So ist Abgeordnete Heike Franzen von der CDU das das wahre Leben! - Beifall SPD) Wort. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1515

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Relation in Schule brauchen? Das unterbinden Sie in Zukunft. Niedersachsen ist nicht schlechter als in Das ist keine Optimierung von Freiheit, sondern Schleswig-Holstein! - Martin Habersaat Einschränkung von Freiheit. [SPD]: Schleswig-Holstein hat 137 Gemein- schaftsschulen und 99 Gymnasien! - Wolf- Vizepräsident Bernd Heinemann: gang Kubicki [FDP]: Und wie viele G-9-An- gebote machen Sie? - Martin Habersaat Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfra- [SPD]: Wir arbeiten daran!) ge des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner? - Das Wort hat Frau Abgeordnete Franzen. - Auch Heike Franzen [CDU]: von mir noch einmal herzlichen Glückwunsch! Wenn ihm das so auf der Seele liegt, dann mal los! Heike Franzen [CDU]: Dr. Ralf Stegner [SPD]: Liebe Frau Kolle- Herzlichen Dank, Herr Präsident! - Herr Habersaat, gin Franzen, wären Sie bereit, zur Kenntnis es ist schön, wenn ich Ihnen an meinem Geburtstag zu nehmen, dass Sie die Freiheit der Gemein- eine Freude machen konnte. Ich muss allerdings schaftsschulen dadurch eingeschränkt haben, doch ein bisschen Wasser in den Wein gießen. dass Sie ihnen die Differenzierungsstunden weggenommen haben? Wären Sie darüber Herr Dr. Stegner, Sie haben deutlich gemacht, Sie hinaus auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, würden die Hälfte der demografischen Entwicklung dass wir im Juli 2009 - Union und SPD - ver- innerhalb des Schulsystems bei den Lehrkräften zu- einbart hatten, dass wir von den nach Schü- rückhalten. Meine Damen und Herren, das ist nicht lerrückgang theoretisch wegfallenden Stellen richtig. Das müssen Sie auch einmal zur Kenntnis 50 % zur Haushaltskonsolidierung einsetzen nehmen. Sie haben 300 Lehrerplanstellen verspro- und 50 % zur Qualitätsverbesserung einset- chen. In diesem Jahr bauen Sie 213 ab. Bleiben de- zen wollten, und Sie danach gemeinsam mit finitiv noch 87 über. Sie werden in den Jahren 2014 der FDP beschlossen haben, alle Stellen zu und 2015 noch einmal 100 Lehrerplanstellen mehr streichen, die nach dem Schülerrückgang abbauen, als die schwarz-gelbe Landesregierung theoretisch eingespart werden könnten, dem- geplant hat. gegenüber die SPD bei der Vereinbarung ge- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kann man blieben ist und mit den Grünen und dem nicht vergleichen, nein? Sie rechnen das an- SSW in der Koalitionsvereinbarung verabre- ders!) det hat - nichts anderes steht drin - - Damit gehen Sie weit über das hinaus, was wir je- (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP] - Weitere mals vorgesehen hatten. Bis 2020 werden unter Zurufe) dem Strich sage und schreibe 190 Lehrerplanstellen - Darf ich das in Ruhe zu Ende führen, Herr in Schleswig-Holstein übrig bleiben. Das ist der Präsident? Das wäre nett, sodass das Proto- Stellenabbaupfad, den die Finanzministerin vorge- koll - - stellt hat. Das ist vielleicht mehr, als wir gesagt ha- ben - das will ich gar nicht in Abrede stellen -, aber Vizepräsident Bernd Heinemann: es ist deutlich weniger als das, was Sie versprochen haben; das waren nämlich 750 Lehrerplanstellen. Würden Sie bitte die Zwischenrufe während der Zwischenfrage unterlassen, weil es sonst für das Herr Dr. Stegner, Sie haben gesagt, Sie wollten an Protokoll schwer ist, das aufzunehmen! den Schulen Freiheit optimieren. Was Sie mit Ih- rem Vorschaltgesetz machen, ist, an unseren Dr. Ralf Stegner [SPD]: - Ich lege großen Schulen Freiheit einzuschränken. Wert darauf, dass das im Protokoll steht, nämlich dass wir in der Koalition vereinbart (Beifall CDU und FDP) haben, dass wir von den theoretisch durch Die Schulen haben nicht mehr die pädagogische den Schülerrückgang wegfallenden Lehrer- Freiheit, Unterricht zu organisieren, selber darüber stellen 50 % zur Haushaltskonsolidierung zu entscheiden: Wann können wir wie gemeinsa- einsetzen und 50 % zur Qualitätsverbesse- mes Lernen, Differenzierung, Binnendifferenzie- rung, beispielsweise für mehr oberstufennahe rung oder äußere Differenzierung, so in unserer Gemeinschaftsschulen, beispielsweise für Schule organisieren, wie wir es für unsere Schule, mehr Differenzierungsstunden, beispielswei- für unsere Lehrkräfte und für unsere Kinder in der se für mehr Inklusion und beispielsweise für 1516 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

mehr Ganztagsangebote. Wenn Sie, die Sie zu können. Weit aufgestellte Oberstufen an Ge- deutlich mehr Stellen streichen wollten, näm- meinschaftsstufen und immer mehr Oberstufen lich die anderen 50 % auch noch, das kritisie- werden dazu führen, dass die Bandbreite der Profile ren, dann ist das, mit Verlaub gesagt - auch immer geringer werden wird. Das werfe ich Ihnen wenn das Ihr Geburtstag ist - nicht besonders an der Stelle vor. glaubwürdig. Wenn Sie dann auch noch Herrn Köller aus dem (Rainer Wiegard [CDU]: Das ist nicht wahr!) Bildungsausschuss hier anführen und zitieren, dann möchte ich darauf hinweisen, dass er eine sehr Heike Franzen [CDU]: prägnante Aussage im Bildungsausschuss gemacht hat. Er hat nämlich gesagt, Sie können in der Se- Herr Dr. Stegner, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie kundarstufe I so viel längeres gemeinsames Lernen offensichtlich Ihre Wahlversprechen hier im Land- einführen, wie Sie wollen. Wenn Sie nicht in die tag immer noch prognostizieren und propagieren, frühkindliche Bildung investieren, wird Ihnen das aber in der Tat etwas anderes machen. Ich rechne es herzlich wenig nützen. Er hat allerdings auch ge- Ihnen gern noch einmal vor. sagt, es schadet nicht unbedingt. (Vereinzelter Beifall CDU und FDP) Wenn Sie darauf eingehen, ob wir 2010 ein Gesetz 300 Planstellen wollten Sie zur Verfügung stellen, mit der Brechstange gemacht haben, dann will ich 213 kürzen Sie in diesem Jahr, macht 87. Im näch- Ihnen sagen, wir haben lediglich Freiheiten opti- sten Jahr kürzen Sie 365. Wir hatten 265 vorgese- miert und insofern in keinster Weise mit der Brech- hen. Das Jahr darauf sind noch einmal 100 on top stange gearbeitet. Ich will gern noch etwas zum Bil- vorgesehen. Bis 2020 bleiben unterm Strich nicht dungsdialog aufgreifen: Wir haben gerade gehört, Ihre versprochenen 750 Planstellen; es bleiben 190. dass die Landesschülervertretung auf der Tribüne Damit bleiben Sie weit hinter dem zurück, was Sie sitzt. Sie hat heute eine Pressemitteilung herausge- dem Wähler versprochen haben. geben, die Sie sehr interessieren sollte, meine Da- men und Herren. Die Landesschülervertretung (Beifall CDU und FDP) schreibt: Die Schulgesetzänderung scheitert vor der Wenn Sie der Union sagen, sie solle auf den Weg Bildungskonferenz. Die LSV geht bestimmt inhalt- zurückkehren, den wir 2007 gegangen sind, dann lich mit den Forderungen der Koalitionsfraktionen gilt dies nicht nur für uns, sondern insbesondere für konform. Uns stört das Verfahren. Es scheint im die SPD. Die SPD ist 2007 den Weg mit uns gegan- Rahmen der Bildungskonferenz bisher, als würden gen, Gymnasien und Regionalschulen als die wir dort als Schülervertretung wahrgenommen, um- Schulen der Regel und die Gemeinschaftsschulen so erstaunter zeigt sich der Landesvorstand, dass als Optionsschulen einzurichten. Jetzt sind Sie die- nun zwei Tage vor der nächsten Bildungskonferenz jenigen, die den Regionalschulen das Wasser abgra- einige grundsätzliche Entscheidungen vorwegge- ben wollen. nommen werden. - Eine zweite Pressemitteilung des IVL sagt: Hier werden entgegen der allgegen- (Zuruf Serpil Midyatli [SPD]) wärtig propagierten Dialogkultur der Landesregie- - Da wollten sehr wohl Schülerinnen und Schüler rung eindeutig Verbotsstrukturen in das Schulge- hin, Frau Midyatli. Sie beschneiden die Freiheit der setz eingezogen, wie sie nur der Denke von Ver- Schulen in Ihren pädagogischen Entscheidungen. waltungspädagogen entspringen können. Wenn es darum geht, Oberstufen an Gemein- Meine Damen und Herren, geben Sie sich einen schaftsschulen einzurichten, sage ich: Frau Erd- Ruck. Wir haben noch nicht entschieden. Verschie- mann, ich habe nichts gegen zweizügige Oberstu- ben Sie die Entscheidung des Vorschaltgesetzes, fen. Aber die müssen Bestand haben können. Das, oder setzen Sie es ganz ab. Dialog muss auch Dia- was Sie ins Gesetz schreiben, geht unter die Maß- log aushalten können. - Herzlichen Dank. gabe einer zweizügigen Oberstufe zurück. Ja, (Beifall CDU und FDP) selbstverständlich. (Beifall CDU und FDP) Vizepräsident Bernd Heinemann: Damit beschränken Sie die Vielfalt, die wir in den Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat nun der Oberstufen haben. Wir brauchen in einer Oberstufe Herr Abgeordnete Hauke Göttsch das Wort. eine gewisse Anzahl an Schülerinnen und Schülern, um eine große Bandbreite an Profilen darstellen (Zurufe: Oh!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1517

Hauke Göttsch [CDU]: Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Präsident! Dass ich zum Thema Bildung mei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen ersten Dreiminutenbeitrag leiste, hat mich auch Weil ich immer sehr interessiert den Ausführungen gewundert. Aber, Herr Habersaat, Sie haben mich des Kollegen Habersaat und seinen Zwischenfragen ja zitiert. Ich war bei dieser Veranstaltung, die gut lausche, möchte ich zunächst feststellen - ich bin gefüllt war. Es waren sehr viele Sozialdemokraten zwar kein Lehrer, aber trotzdem mathematisch als dort, Sie waren leider nicht dabei. Ich kann Ihnen Volkswirt einigermaßen vorgebildet -, dass es in sagen: Ich habe es nicht gefordert, sondern der An- Niedersachsen deutlich mehr Schulen gibt, die G 9 trag wurde von diesen Schulen, von Nortorf und anbieten, als in Schleswig-Holstein außerhalb der von Bordesholm, gestellt. Ich habe da gesagt: Wenn Gymnasien. Und deshalb müssen Sie die Frage be- die Zahlen stimmen und das Ministerium das ge- antworten: Wenn Sie denn wollen, dass nach Schul- prüft hat und zustimmt, dann sollen sie diese auch formen getrennt G 8 und G 9 angeboten wird, müs- bekommen. sen Sie erklären, woher Sie dann die Kapazität neh- men wollen, da 80 % der Eltern ihre Kinder im G- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 9-Zweig ausbilden lassen wollen. Den müssen wir Herr Dr. Stegner, der mit dabei war, kann sich be- dann zunächst einmal aufbauen. stimmt an meine Aussage erinnern. Es war ein sehr Und nun zu Rheinland-Pfalz: Rheinland-Pfalz hat interessanter Abend. Da hat er versprochen, dass er kein „8,5 Abitur“, sondern ein „8,75 Abitur“, da die sich dafür einsetzen wird, und es wird wohl so Schüler dort Ende März ihr Abitur erhalten. kommen. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ihre mathematische Vizepräsident Bernd Heinemann: Vorbildung ist grandios!) Herr Abgeordneter Göttsch, gestatten Sie eine An- - Ja, Herr Stegner, ich weiß, dass Sie das immer merkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner? wieder überrascht, dass man auch mathematisch vorgebildet sein kann, ohne sich zu verrechnen. Hauke Göttsch [CDU]: (Heiterkeit FDP) Sehr gern, wenn ich sie beantworten kann. - Einige haben es jetzt begriffen. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ich wollte eine Ich möchte Ihnen nur zur Kenntnis geben, was Herr Zwischenbemerkung machen, Herr Kollege Ahnen aus Rheinland-Pfalz - Göttsch. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie so entschlossen die beiden Oberstu- (Zurufe SPD: Frau Ahnen!) fen unterstützt haben, wie ich das auch ge- im Rahmen von Gender: „das Ahnen“ - gesagt hat macht habe. Dafür möchte ich mich herzlich zur Frage des Sonderweges G 9 in Rheinland- bei Ihnen bedanken. Pfalz. Sie hat gesagt: Der Beschluss in Rheinland- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pfalz, nicht flächendeckend auf G 8 umzusteigen, und SSW - Wortmeldung Wolfgang Kubicki war eine meiner schwierigsten Entscheidungen. [FDP]) Wenn 15 Bundesländer das anders machen, dann ist das schon ein starker Druck. Doch der Weg des - Ich nehme Ihre Äußerung zur Kenntnis. Landes hat sich als der richtige erwiesen. Die dortigen Gymnasien kennen zwei Besonderhei- Vizepräsident Bernd Heinemann: ten: So haben die G-9-Abiturienten ihr Abschlus- Weitere Wortmeldungen der Abgeohdneten des szeugnis schon Ende März in der Tasche. 17 der Landtags sehe ich nicht mehr. insgesamt 146 Gymnasien sind bislang zu G-8-Gymnasien geworden, und zwar alle als Ganz- (Zurufe) tagsgymnasien. - Doch, jetzt sehe ich es auch. Das Wort hat jetzt Das erklärt noch einmal, warum die Grünen in Nie- der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki, Frakti- dersachsen - das wissen wir ja - komplett zu G 9 onsvorsitzender der FDP. zurück wollten. Das erklärt, warum der Druck des Elternwillens überall dazu führen wird, an Gymna- sien G 8 und G 9 anzubieten, auch in Schleswig- Holstein. Ich sage Ihnen voraus, dass Ihre bisheri- 1518 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Wolfgang Kubicki) gen Vorstellungen, das sequenziell über Schularten stufen der Gymnasien und die Oberstufen der Ge- zu regeln, scheitern werden. - Herzlichen Dank. meinschaftsschulen werden ergänzt um berufliche Gymnasien oder - wie ich sie lieber zu bezeichnen (Beifall FDP und vereinzelt CDU) pflege - um berufliche Oberstufen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Mit anderen Worten: Nicht ein, sondern gleich drei gleichwertige, aber nicht gleichartige Wege führen Weitere Wortmeldungen sehe ich aus dem Plenum zum Abitur. Und weil wir im Sekundarbereich I ein nicht mehr. gleichwertiges Nebeneinander von starken Gymna- Jetzt hat für die Landesregierung die Bildungs- und sien und starken Gemeinschaftsschulen haben Wissenschaftsministerin Frau Dr. Wara Wende das möchten, brauchen wir mehr Gemeinschafts- Wort. schulen mit eigener Oberstufe. Diese eigenen Oberstufen sind alles andere als ein Selbstzweck, Dr. Waltraud Wende, Ministerin für Bildung und sondern sie korrespondieren mit unserem Ziel, Wissenschaft: künftig nicht nur mehr, sondern auch andere Schü- lerinnen und Schüler als bisher zum Abitur zu füh- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen ren. und Herren! Folgt man der heutigen Diskussion, dann stellt man sich die Frage: Beschädigt das Vor- Die Chance auf eine erfolgreiche Bildungsbiografie schaltgesetz den Dialog auf der Bildungskonfe- muss jungen Menschen auch dann eröffnet werden, renz oder nicht? Darüber hinaus scheint das die wenn sie nicht aus einem Elternhaus mit hohem au- zentrale Auseinandersetzung zu sein, wenn es um ßerschulischen Unterstützungspotenzial stammen den Bildungsdialog geht. Ich darf Sie beruhigen: und wenn sie keine ehrgeizigen Eltern haben, die Das Vorschaltgesetz steht nicht im Konflikt mit ihnen im Notfall Nachhilfestunden finanzieren. dem Bildungsdialog. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns (Zuruf CDU: Dann ist ja alles gut!) endlich mit dem Streit über Schulstrukturen aufhö- ren, denn er ist nicht zielführend. Das Vorschaltgesetz hat lediglich einen Sinn, näm- lich Ruhe in die Diskussion um unsere Schulen zu (Lachen CDU und FDP) bringen. Lassen Sie uns lieber daran arbeiten, wie wir jen- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seits der Schulstrukturdebatte die inhaltliche Quali- tät des schulischen Unterrichts optimieren kön- Wir wollen keinen hektischen Aktionismus, son- nen. dern wir wollen, dass sich alle etwas mehr Zeit neh- men, (Beifall SPD und SSW) (Tobias Koch [CDU]: Sie auch?) Wie können wir die intellektuellen, sozialen und emotionalen Potenziale unserer Kinder optimal för- dass etwas mehr Gelassenheit in den Dialog dern? Wie machen wir aus unseren Schulen Schü- kommt. lerschulen, an denen Schulabsentismus der Vergan- Aus diesem Grund haben wir im Übrigen auch die genheit angehört? Und wie schaffen wir es, dass die Änderung des Schulgesetzes um ein Jahr verscho- Zahl unserer Risikoschüler nachhaltig reduziert ben. Vielleicht bringt ja auch dies etwas mehr Un- wird? aufgeregtheit in die Diskussion. Die bestehenden (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Schulstrukturen werden sich auch in Zukunft nicht wirklich grundlegend ändern. Intendiert ist ledig- Vizepräsident Bernd Heinemann: lich eine klare Strukturierung unserer Schulland- schaft. Das bedeutet, wir werden in Zukunft im Se- Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage kundarbereich I ein Zwei-Säulen-Modell haben, des Herrn Abgeordneten Kubicki? bestehend aus starken Gymnasien und starken Ge- meinschaftsschulen. Dr. Waltraud Wende, Ministerin für Bildung und (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaft: und SSW) Nein. Im Sekundarstufenbereich II wird aus dem Zwei- (Tobias Koch [CDU]: Das ist der Dialog! - Säulen-Modell ein Drei-Säulen-Modell. Die Ober- Zurufe CDU: Oh!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1519

(Ministerin Dr. Waltraud Wende)

Das sind die Fragen, auf die wir eine Antwort su- Antrag der Fraktion der PIRATEN chen, und nicht die, die von den wirklich wichtigen Drucksache 15/510 Fragen ablenken, ob das Vorschaltgesetz dem Bil- dungsdialog schadet. Wir werden den Bildungsdia- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das log übrigens übermorgen, am Samstag, mit der ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. zweiten großen Bildungskonferenz fortsetzen. Auch Für die antragstellende Fraktion, die PIRATEN, hat Sie, meine Damen und Herren der Opposition, sind der Herr Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende eingeladen. Ich habe mit Freude wahrgenommen, Sven Krumbeck - so weit sind wir noch nicht - dass auch viele von Ihnen angemeldet sind. Wenn (Zuruf: Das kann noch kommen!) Herr Kubicki seit Neuestem Interesse am Bildungs- dialog entdeckt hat, dann darf auch er gern am das Wort. Samstag kommen. Wir freuen uns. Sven Krumbeck [PIRATEN]: (Beifall SPD) Hoffentlich nicht! - Sehr geehrter Herr Präsident! Es wäre schön, wenn es uns dann im Interesse un- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wahlen serer Schülerinnen und Schüler gelingt, miteinander allein machen noch keine Demokratie - dieser präg- und nicht gegeneinander zu arbeiten. - Ich bedanke nante Satz stammt von Barack Obama, und eigent- mich für Ihre partielle Aufmerksamkeit. lich ist damit - wie immer - alles gesagt. Wer De- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mokratie will, muss viel dafür tun. Es reicht nicht, und SSW) Menschen vor eine Wahl zu stellen. Sie müssen wissen, welche Möglichkeiten damit verbunden Vizepräsident Bernd Heinemann: sind. Sie müssen das Rüstzeug dafür erhalten, als Bürger eine politische Entscheidung zu treffen. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Fast ist es, als wäre der amerikanische Präsident bei der Anhörung zur Senkung des Wahlalters auf 16 in Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Schleswig-Holstein dabei gewesen. Wahlen ma- Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen noch keine Demokratie - das war auch hier und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 18/ das Ergebnis des breit angelegten Austausches, an 543, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich dessen Ende vor allen Dingen die Aufforderung der jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- Jugendvereine und -verbände stand, sie in die Mög- haltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stim- lichkeit zu versetzen, politische Jugendbildung in men der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE diesem Land voranzutreiben. Genau das wollen wir GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW ange- mit diesem Antrag aufnehmen. Politische Bildung nommen. soll Heranwachsende dabei unterstützen, ihren ei- Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktio- genen gesellschaftlichen Standpunkt zu kennen und nen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu reflektieren. Das ist der erste entscheidende der Abgeordneten des SSW, Drucksache 18/200, in Schritt, um am politischen und gesellschaftlichen der vom Ausschuss empfohlenen und soeben geän- Leben aktiv teilhaben zu können. derten Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, (Beifall PIRATEN) den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Gesetz- Junge Menschen bereits ab 16 in diese Prozesse entwurf mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS einzubeziehen, stößt in diesem Haus auf einen brei- 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW ten Konsens. Das zeigt die Debatte um die Sen- gegen die Stimmen der anderen Fraktionen ange- kung des Wahlalters. Aber politische Bildung be- nommen. ginnt viel früher. Sie beginnt eigentlich sofort im häuslichen Umfeld. Eltern sind Vorbilder. Sie be- (Beifall SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Spar- ginnt vor allem auch in Kindergärten. Ich weiß, samer Beifall!) dass dies ein Dollpunkt bei einigen von Ihnen ist, Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf: dass sich manche schwer darauf einlassen können. Aber es gibt diese politische Bildung bereits. Im Kern geht es in der Kindergartenarbeit vor allem Aktionsplan Politische Jugendbildung um das Prinzip der Demokratisierung, die in er- ster Linie über das zentrale Prinzip der Selbstbe- stimmung zu erreichen ist. Es geht um ein soziales 1520 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Sven Krumbeck)

Miteinander, um die Wahrnehmung der eigenen (Beifall PIRATEN) Person in der Mitte einer Gesellschaft, ausgestattet Ich hätte mir an dieser Stelle tatsächlich eine frakti- mit Rechten und Pflichten. onsübergreifende Selbstverpflichtung gewünscht, Wir in Schleswig-Holstein sind da schon sehr weit, eine Verpflichtung, die an geeigneter Stelle in den so weit, dass man sich sogar in Japan Anregungen Kinder- und Jugendaktionsplan der Landesregie- für die politische Bildung im Kindergarten aus rung Aufnahme finden könnte. Schleswig-Holstein geholt hat. Die Fachhochschule Ich finde das aus mehreren Gründen wichtig: Kiel hat hierzu einen umfangreichen Erfahrungs- schatz. Die zentrale Frage ist hier: Was dürfen Kin- Die Ergebnisse der Anhörungen im Landtag zum dergartenkinder allein oder gemeinsam mit anderen Thema Wahlalter 16 hatte ich genannt. Eine Kleine in Kindergärten entscheiden? Wie werden sie be- Anfrage zum Thema Jugendbeiräte in den Gemein- gleitet? Wie macht man das? Da sind wir schon gut, den hat ergeben, dass die Landesregierung über- und da sollten wir noch besser werden. haupt keinen blassen Schimmer davon hat, was zum Bereich der Jugendbeteiligung in den Kom- (Beifall PIRATEN) munen so läuft. Antworten konnten nicht gegeben Das Gleiche gilt auch für den Schulalltag. Wir wol- werden mit dem Hinweis, dass dies Sache der Ge- len politische Bildung in Schule und im außer- meinden sei. schulischen Bereich. Es gibt schon genug gute Bei- (Christopher Vogt [FDP]: Das stimmt!) spiele, aber wir wollen, dass man hier nicht zufällig in den Genuss guter Konzepte kommt, sondern dass Das mag formal richtig sein, aber wenn ich mich dies möglichst alle Schülerinnen und Schüler er- als Land hinstelle und stolz darauf bin, dass wir ei- reicht. ne entsprechende Gemeindeordnung haben, dann sollte ich auch verfolgen, was damit geschieht, (Beifall PIRATEN) dann sollte ich auch Interesse daran haben. Das Wir wollen damit erreichen, dass alle, unabhängig geht gar nicht anders. von ihrem Wohnort, losgelöst von ihrer Herkunft, (Beifall PIRATEN) Zugang zu politischer Bildung haben. Darum möchten wir erreichen, dass in den Lehrplänen und Mit der politischen Bildung ist es doch ähnlich. Al- Bildungsstandards politische Bildung als unver- le hier im Haus werden darauf verweisen, dass uns zichtbares Element obligatorisch verankert wird. die politische Kultur in diesem Land verpflichtet, Kinder und Jugendliche in ihrer jeweiligen Lebens- (Beifall PIRATEN) phase ernst zu nehmen und ihnen Teilhabe und Auch dazu gibt es in den Regionen schon vorbildli- Mitbestimmung zu ermöglichen. Was dazu aller- che Aktionen und Projekte, die auf andere Orte dings konkret läuft - dessen bin ich sicher -, ist wie- übertragen werden können, wenn alle mitmachen der nicht unmittelbare Sache der Regierung. Das würden. Ausdrücklich haben wir daher gefordert, müssen andere machen. Die müssen wir dabei un- dass Erfahrung, Kenntnisse und Konzepte der Lan- terstützen, die müssen wir in die Lage versetzen, ja, deszentrale für politische Bildung und weiterer vielleicht müssen wir sie auch verpflichten. Das Träger in die politische Bildung sowie in die loka- soll dieser Antrag leisten. len Bündnisse für Akteure in diesen Prozess einzu- Dass die Koalition Mitte des Jahres einen Kinder- beziehen sind. und Jugendaktionsplan vorlegen will, finden wir Dabei ist uns klar, dass vor allem die außerschuli- gut. Dass die politische Jugendbildung Berücksich- sche Jugendarbeit in Hinblick auf ihren politi- tigung findet, hoffen wir auch durch diese Initiati- schen Bildungsauftrag zu stärken ist. Da sperrt sich ve. Da ist viel Konkretes drin, daraus kann man viel niemand. Das wollen wir gern machen, allerdings Konkretes machen. Man muss es nur tun und darf benötigen wir dafür die entsprechenden Ressour- sich nicht nur auf Sonntagsreden verlassen. cen. Das meinte auch schon Clement Attlee vor Jahr- In mehreren Gesprächen haben wir ermittelt, was zehnten, als er sagte: Die Demokratie ist eine Re- dazu zurzeit nötig wäre, und entsprechende Anträge gierungsform, die freie Diskussion voraussetzt, im Zuge der Haushaltsberatung gestellt. Da wollte doch ist dies nur erreichbar, wenn die Leute aufhö- uns niemand folgen. Das ist schade; denn das wäre ren zu quatschen. eine sehr konkrete Hilfe gewesen für einen Bereich, Das finde ich auch. Darum sollten wir nicht reden, in dem es keinen Dissens geben kann. sondern heute hier konkret handeln. - Danke. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1521

(Sven Krumbeck)

(Beifall PIRATEN) lich häufig angegeben. Meiner Meinung nach sind das zu viele. Vizepräsident Bernd Heinemann: (Beifall PIRATEN) Für die CDU-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Jetzt kommen wir zu den Gründen: Nach den Grün- Hans Hinrich Neve das Wort. den für diese Einschätzung gefragt und danach, welche Maßnahmen nötig wären, um mehr junge Hans Hinrich Neve [CDU]: Menschen zur Teilnahme an Wahlen zu bewegen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politi- wird von 80 % der Bundesbürger die politische Bil- sche Jugendbildung ist richtig und wichtig. Daher dung genannt. an dieser Stelle vielen Dank an die PIRATEN, dass (Beifall PIRATEN) Sie mit diesem Antrag das Thema einmal in den Mittelpunkt rücken. Eines vorweg: Mit vielen Aus- Hier sind wir beim Thema. 73 % der Befragten - sagen in Ihrem Antrag stimmen wir überein. vor allem die jüngeren - nennen Angebote zur Be- teiligung von Jugendlichen, die frühzeitig Interes- (Beifall PIRATEN) se an Wahlen wecken können, als eine nötige Maß- Denn auch unser Anliegen ist es, die politische Ju- nahme. gendbildung zu fördern. Bei meiner Vorbereitung (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) und der Frage, wer und was eigentlich alles zur po- litischen Jugendbildung gehört, bin ich auf eine De- Es gibt noch viele andere Nennungen. 10 % der Be- finition gestoßen, die ich hier - mit Erlaubnis des fragten nannten ganz zum Schluss eine Herabset- Präsidenten - gern einmal zitieren möchte: Politi- zung des Wahlalters auf 16 Jahre als eine Voraus- sche Jugendbildung soll insbesondere den jungen setzung, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ins- Menschen Kenntnisse über Gesellschaft und Staat gesamt müssen wir erkennen, dass gerade die vermitteln, die Urteilsbildung über politische Vor- Schule gefragt ist, denn es ist nirgendwo anders gänge und Konflikte ermöglichen, zur Wahrneh- leichter als in der Schule, Jugendliche mit den mung der eigenen Rechte und Interessen ebenso Grundsätzen unserer Demokratie vertraut zu ma- wie der Pflichten und Verantwortlichkeit gegenüber chen. Nirgendwo anders ist es leichter, Jugendliche der Gesellschaft befähigen sowie zur Mitwirkung auf das Thema Wahlen vorzubereiten. einer Gestaltung einer freiheitlich-demokratischen Die Ausführungen unter dem zweiten Spiegelstrich Gesellschaft und Staatsordnung anregen. Ihres Antrags halten wir daher für richtig. Bera- Dieser Auffassung von politischer Jugendbildung tungsbedarf sehen wir noch bei dem Thema Finan- kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Mit zierung. Wir sehen auch einen Beratungsbedarf bei dieser Definition wird aber auch klar: Politische Ju- dem Thema der Einbeziehung der lokalen Akteure gendbildung findet auf vielfältige Art und Weise und Bündnisse. Das ist noch nicht klar. Daher wird statt: auf Landesebene und auf kommunaler Ebene, aber auch die Ausschussüberweisung genannt. Die- in den Vereinen und Verbänden, besonders in den ser werden wir uns anschließen. Verbänden des Landesjugendrings, und in den Ge- meinden vor Ort. Vizepräsident Bernd Heinemann: Aber auch die Schule muss ihren Auftrag zur politi- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- schen Jugendbildung ernst nehmen. Warum nenne ge des Herrn Abgeordneten Schmidt? ich gerade die Schule? - Einer forsa-Umfrage war zu entnehmen, dass sich bei der Bundestagswahl in Hans Hinrich Neve [CDU]: den letzten Jahren gerade die jüngeren Wahlbe- Gern. rechtigten unter 30 Jahren weniger stark beteiligt haben als die älteren Wahlberechtigten. Nach den Torge Schmidt [PIRATEN]: Herr Neve, Gründen gefragt, nennen 70 % der Bundesbürger würden Sie mit mir übereinstimmen, dass das als möglichen Grund, dass jüngere Wähler glauben, Wahlalter ab 16 Jahren nicht zwangsläufig durch ihre Stimmabgabe nichts verändern zu kön- nur dafür da ist, die Wahlbeteiligung zu stei- nen. Immerhin noch 66 % vermuten ein fehlendes gern, sondern dass es primär darum geht, Wissen über Politik als Hintergrund. Dies haben auch jungen Menschen zu ermöglichen, an gerade die unter Dreißigjährigen überdurchschnitt- demokratischen Prozessen teilzuhaben? - 1522 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Hans Hinrich Neve)

Dass es also nicht zwangsweise nur um die Ob mit dem aktuellen Angebot an politischer Ju- Wahlbeteiligung geht? gendbildung genügend Jugendliche erfasst werden, wissen wir nicht. Deshalb sollten wir hier eine Be- (Beifall PIRATEN und SPD) standsaufnahme machen. Ob die Mittel, die wir - Wir brauchen zunächst einmal eine gewisse Be- heute einsetzen, ausreichen, wissen wir nicht. Wir standsaufnahme darüber, wie weit wir mit der poli- wissen auch nicht, ob sie besser verteilt werden tischen Bildung sind. Ich habe den Eindruck, der je- müssten. Vor der Aufforderung zu weiterer Förde- doch überhaupt nicht bewiesen ist, dass die politi- rung und weiteren Angeboten sollte die Bestands- sche Bildung überwiegend in den Verbänden des aufnahme der aktuellen politischen Bildung in Landesjugendrings stattfindet und dass in der Schleswig-Holstein stehen. Darüber sollten wir im Schule gewisse Defizite vorherrschen könnten. Das Ausschuss diskutieren. Insofern beantrage ich die weiß ich nicht, das müssen wir erforschen und er- Überweisung an den Sozialausschuss und bedanke gründen. Meine Meinung ist aber: Es geht nicht, mich für die Aufmerksamkeit. dass wir das Pferd von hinten aufzäumen. Das ist (Beifall CDU) bei der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre so. Man hätte auf der anderen Seite beginnen kön- nen, nämlich bei der politischen Bildung. Dann wä- Vizepräsident Bernd Heinemann: re alles andere eine logische Schlussfolgerung ge- Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Serpil wesen. Midyatli das Wort. Wo wir noch Beratungsbedarf sehen, habe ich ge- sagt. Das ist die Finanzierung. Ist die Frage damit Serpil Midyatli [SPD]: beantwortet? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen (Torge Schmidt [PIRATEN]: Ich hätte noch und Kollegen! Ich möchte Sie zunächst darauf hin- eine zweite Frage.) weisen, dass dies die Rede meines Kollegen Tobias von Pein ist. Das werden Sie an einigen Stellen Vizepräsident Bernd Heinemann: merken. Bitte, Sie können noch eine zweite Frage stellen. (Zuruf Christopher Vogt [FDP]) Torge Schmidt [PIRATEN]: Wie Sie sicher - Er spricht nämlich von sich. Daher werde ich wissen, gibt es auch heute schon politische nicht sagen: Ich bin in Stormarn zur Schule gegan- Jugendbildung in Schleswig-Holstein, die gen, sondern ich werde sagen: Tobias von Pein ist wahrscheinlich auch ganz gut ist. Somit in Stormarn zur Schule gegangen. Entschuldigung, macht das Wahlalter ab 16 Sinn. Eine Ver- dass ich das hier noch einmal erklären muss, lieber besserung macht natürlich auch die Situation Herr Kollege Vogt. - Ich bin froh, dass ihr alle wie- besser. Sie sagten es schon: Das Pferd von der wach seid. Guten Morgen! hinten aufzuzäumen, ist dafür der falsche Dass der Antrag der Fraktion der PIRATEN ein Ausdruck. wichtiges Thema anspricht, ist wohl unstrittig. In Schleswig-Holstein dürfen Jugendliche ab 16 Jah- Hans Hinrich Neve [CDU]: ren schon seit Langem über die Zusammenset- zung der Kommunalparlamente abstimmen. Sie Zu dem Thema Wahlalter 16 haben wir unsere Po- werden es nach dem Willen der Koalitionsfraktio- sition, die bekannt ist. Man kann das eine nicht von nen und der PIRATEN auch bei den nächsten dem anderen trennen. Voraussetzung ist erst ein- Landtagswahlen dürfen. mal, die Menschen für die Politik zu begeistern. Voraussetzung ist im Grunde genommen die politi- (Beifall SPD und PIRATEN) sche Bildung. Diese muss auf vielfältige Art und Die Förderung der politischen Bildung für junge Weise stattfinden. Ich habe es eben erwähnt: Ich Leute unter 18 wird damit natürlich noch wichtiger finde, hier gibt es gerade im schulischen Bereich als jetzt schon. Selbstverständlich ist die Schule zu- gewisse Defizite. Diese haben wir während der nächst einmal der wichtigste Träger der politischen Veranstaltung Jugend im Landtag und bei Diskus- Bildung von Schülerinnen und Schülern. Dass die sionen mit Schülern erlebt. Das ist nicht generell Situation zu verbessern ist, zeigen viele Umfragen so, aber ich erkenne in großen Bereichen Defizite. zum Alltagswissen über politische Fragen unter Bei diesen sollten wir beginnen. - Danke. jungen Leuten. Dass die fundierte Auseinanderset- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1523

(Serpil Midyatli) zung mit Politik oft erst in der 11. Klasse und damit nahme zu machen, um zu erkennen, an welchen erst in der Oberstufe erfolgt, ist etwas, was man Stellen wir noch besser sein können und sehr wahr- wirklich einmal infrage stellen kann und muss. scheinlich auch besser werden müssen. (Beifall SPD und PIRATEN) Die Piratenfraktion war im Vorfeld dieser Bera- tungen so freundlich, den anderen Fraktionen ihren Vorher ist dies im Lehrplan nicht vorgesehen. To- Antragsentwurf zur Verfügung zu stellen. Wir ha- bias von Pein hatte selbst Glück, was dieses Wissen ben auch schon signalisiert, dass wir durchaus angeht. Sowohl sein Geschichtslehrer in der Mittel- große Sympathien für den Antrag haben. Es war stufe als auch sein WiPo-Lehrer in der 10. Klasse nur nicht möglich, bereits im Vorfeld zu dieser Sit- haben es drauf gehabt, ihm Politik in jugendgerech- zung schon einen gemeinsam getragenen Antrag- ten Häppchen zu präsentieren. Nicht zuletzt die in- stext zu formulieren. Ich denke aber, dass es mög- tensive Beschäftigung mit den Bundestagswahlen lich sein sollte, in den Beratungen der beiden betei- hat damals sein Interesse geweckt. Etwas später ist ligten Ausschüsse, nämlich Bildung und Soziales, Tobias von Pein dann neugierig geworden und hat zu einer Antragsfassung zu kommen, die für alle sich bei den Jungsozialisten in Stormarn engagiert. akzeptabel ist. (Beifall SPD) Ich bitte Sie daher, diesen Antrag zur Federführung Was die Situation der politischen Bildung angeht, an den Bildungsausschuss und zur Mitberatung an so ist es nicht so, dass wir das Thema in Schleswig- den Sozialausschuss zu überweisen. Holstein neu erfinden müssten. Der letzte Bericht, (Beifall SPD und PIRATEN) den eine Landesregierung zur politischen Bildung in Schleswig-Holstein vorgelegt hat, stammt aus dem Jahr 2009. Er zeigt die starke Verankerung der Vizepräsident Bernd Heinemann: politischen Bildung in den Schulen auf. Dabei geht Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat diese weit über die Vermittlung von Kenntnissen jetzt Frau Abgeordnete Ines Strehlau das Wort. hinaus und findet ihren Ausdruck auch in der akti- ven Partizipation von Schülerinnen und Schülern. Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese steht als Kernauftrag im Schulgesetz. Dar- über hinaus ist die politische Bildung als Schwer- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! punkt der außerschulischen politischen Jugendbil- Politik geht vielen Jugendlichen am Allerwertesten dung im Jugendförderungsgesetz verankert. vorbei. Ich war in der vergangenen Woche bei ei- nem Gespräch über Politik in einer 11. Klasse. Auf Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen war meine Frage: „Wer geht denn von euch zur Kom- ebenfalls ein Schwerpunktthema im Kinder- und munalwahl?“, meldete sich nicht einmal ein Viertel Jugendaktionsplan Schleswig-Holsteins, den unsere aller Schülerinnen und Schüler. Das ist bitter. Die damalige Ministerin Dr. Gitta Trauernicht auf den Wahlbeteiligung der Erstwählerinnen und Erstwäh- Weg gebracht hat. Auch die Sportverbände haben, ler liegt oft unter der anderer Altersgruppen. Es besonders was die Bekämpfung von Gewalt, Dis- besteht also Handlungsbedarf. Wir müssen es kriminierung und Rassismus angeht, ihren Auftrag schaffen, das Interesse für Politik zu wecken. Da- erkannt. Der Antrag der Piratenfraktion fordert von zu machen die PIRATEN in ihrem Antrag gute der Landesregierung mehr und besser vernetzte Ak- Vorschläge. tivitäten. (Beifall PIRATEN) Wir sehen darin aber die Gefahr, die politische Ju- gendbildung zur alleinigen Aufgabe des Landes Wichtig ist, politisches Handeln und Partizipati- zu machen. Das wäre unserer Auffassung nach kein on in allen Altersstufen und in allen Institutionen guter Weg. Dieser Ansatz würde das Land auch da- stärker zum Thema zu machen. Demokratie beginnt zu zwingen, seine finanziellen Leitungen in diesem bereits in der Kita. In einigen Kitas können die Bereich ganz erheblich auszuweiten. Darüber wol- Kinder zum Beispiel bereits selbst entscheiden, an len wir noch einmal im Einzelnen reden. welchen Angeboten sie an dem Tag teilnehmen wollen. Auch bei der Auswahl von Ausflügen kön- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aha, im Dialog!) nen sie entscheiden. Sie lernen Mitbestimmung von Wir wollen nicht Erwartungen wecken, die wir im Anfang an. schlimmsten Fall aus finanziellen Gründen doch (Beifall PIRATEN) nicht umsetzen können. Dennoch kann es durchaus sinnvoll sein, einmal eine landesweite Bestandsauf- 1524 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Ines Strehlau)

Genauso muss es auch in der Schule weitergehen: auf Augenhöhe begegnen und es eine echte Mitbe- Klassenrat, Schülervertretung, Mitbestimmung über stimmung gibt. Die Jugendlichen müssen merken, Projekte und Arbeitsformen, Vereinbarungen über dass sie mit ihrem Engagement etwas bewegen Lernziele müssen mit den Schülerinnen und Schü- können. Mit der Senkung des Wahlalters auf lern getroffen werden. Wenn Kinder und Jugendli- 16 Jahre bei Landtagswahlen gehen wir einen che merken, dass sie selbst gestalten können und Schritt in die richtige Richtung. mit ihren Ideen und Forderungen ernst genommen Auf diesem Feld gibt es aber noch deutlich mehr zu werden, ist das eine gute Voraussetzung für die tun. Der Antrag der PIRATEN bietet für die Vertie- Entwicklung eines politischen Bewusstseins, für ein fung des Themas im Ausschuss eine gute Grundla- Eintreten für die eigenen Interessen, aber auch für ge. die Übernahme von Verantwortung für andere. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Auch im politischen Raum ist es wichtig, dass Kin- PIRATEN und SSW) der und Jugendliche merken, dass ihre Meinung erst genommen und ihre Mitwirkungen geschätzt wird. Die Gemeindeordnung bietet Instrumente da- Vizepräsident Bernd Heinemann: für an, die leider nicht ausreichend genutzt werden. Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Zum einen gibt es den § 47 f in der Gemeindeord- Christopher Vogt das Wort. nung, der bei allen Entscheidungen, die für Kinder und Jugendliche relevant sind, ihre Beteiligung vor- Christopher Vogt [FDP]: sieht. Da gibt es deutliches Optimierungspotenzial. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politi- Darüber hinaus sollen Jugendbeiräte in den Kom- sche Bildung, politische Teilhabe und Mitbestim- munen eingerichtet werden. Das scheitert zum Teil mung von Jugendlichen sind auch für meine Frak- an einer zu geringen Anzahl an Kandidatinnen und tion ganz wichtige Anliegen. Wir hatten hier bereits Kandidaten. Zum Teil fehlen auch das Interesse in der Debatte über die Absenkung des Wahlalters oder die gute Vorbereitung durch die Verwaltung auf 16 Jahre, die wir ja sehr skeptisch sehen, ange- und die Kommunalpolitik. regt, dass zunächst die Maßnahmen im Bereich der Über die Beteiligungsprozesse in Kita, Schule und politischen Bildung verbessert werden müssten. Die Kommune hinaus müssen aber auch Kommunal-, PIRATEN haben sich das offensichtlich zu Herzen Landtags-, Bundestags- und Europawahlen in den genommen und haben nun diesen Antrag vorgelegt. Schulen thematisiert werden. Da bleibt nach mei- Die Forderung nach verbesserter politischer Bil- ner Erfahrung auch noch einiges zu tun. Vor dung unserer Jugendlichen habe ich nicht etwa des- Wahlen steht dieses Thema bei längst nicht allen wegen geäußert, weil ich den Jugendlichen poli- Schulen auf dem Stundenplan. Das muss deutlich tisch misstraue, sondern ganz im Gegenteil. Ich ha- intensiviert werden. be gerade wieder im letzten Landtagswahlkampf, Die Schulen sind dabei nicht auf sich allein gestellt; ebenso wie viele von Ihnen wohl auch, die Diskus- Sie können Unterstützung anfordern, zum Beispiel sionen bei den Jugendverbänden und in den von der Landeszentrale für politische Bildung. Schulen sowie bei zahlreichen Podiumsdiskussio- Diese hat das Projekt „Jung und wählerisch“ vor nen erlebt, die gezeigt haben, wie groß das Interes- den Landtagswahlen in 50 Klassen an 18 Schulen se der Jugendlichen an Politik ist. Dabei kam dieses durchgeführt. Die Rückmeldungen von den Jugend- Thema nämlich auch immer wieder zur Sprache, lichen waren sehr positiv, und das Angebot wird und da habe ich eine große Skepsis der Jugendli- jetzt zu den Kommunalwahlen erneuert. chen zu diesem Thema erlebt, und zwar nicht nur bei denen, die schon älter als 18 Jahre waren, son- Auch der Landesjugendring und die Kreisjugend- dern auch bei denen, die ein Alter zwischen 16 und ringe unterstützen zum Beispiel mit Flyern und or- 18 Jahren hatten. ganisieren Podiumsdiskussionen. Mit der Veranke- rung der Landeszentrale für politische Bildung So wurde denn auch von vielen Jugendlichen im- beim Landtag ist die Vernetzung auch der außer- mer wieder die Forderung erhoben, dass die politi- schulischen Jugendarbeit und Bildungsträger auf sche Bildung insbesondere im schulischen Bereich den Weg gebracht worden. Das unterstützen wir - das ist der größte Bereich - deutlich verbessert sehr. wird. Das habe ich überall gehört. Deshalb sollten wir das auch entsprechend ernst nehmen. Insofern Es wird uns nur gelingen, Kinder und Jugendliche sollte man nach meiner Auffassung in diesem Be- mehr für Politik zu interessieren, wenn wir ihnen Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1525

(Christopher Vogt) reich noch einiges mehr tun bei den Lehrplänen, Freiheit wirklich bedeutet, damit sie das auch emo- aber auch im Bereich der Lehrerfortbildung; denn tional nachvollziehen können. die Lehrer sind ja schließlich diejenigen, die das (Beifall FDP) entsprechend vermitteln sollen. Ich rede nicht so gern aus dem eigenen Schicksal Frau Kollegin Strehlau, Ihr einleitender Satz hat heraus; Einzelschicksale sollten in der politischen mich doch einigermaßen irritiert, als Sie sagten, wo Debatte überhaupt keine Rolle spielen. Ich möchte denn den jungen Menschen etwas vorbeigeht. Ich aber eines kurz ansprechen. Auch ich war als Schü- erlebe nämlich immer wieder, dass das Interesse an ler im Europäischen Parlament. Dort hat man einen Politik durchaus besteht. Wenn Sie hier sagen, nur Austausch mit jungen Menschen aus anderen euro- ein Viertel der Schülerinnen und Schüler wolle zur päischen Ländern veranstaltet. Das war alles sehr Kommunalwahl gehen, dann sollte man das ein we- interessant. Ich fand es aber - jetzt aus meiner ganz nig differenzierter betrachten. Das Interesse an poli- persönlichen Sicht, vielleicht geht es anderen auch tischen und gesellschaftlichen Themen ist durchaus so - deutlich interessanter, die Gedenkstätten der vorhanden. Ich glaube aber, es fehlt oft - das ist Konzentrationslager zu besuchen oder die Gedenk- auch der Punkt, den die Jugendlichen selber äußern stätten zur Berliner Mauer. Das hat mich persönlich - am Verständnis für das parlamentarische Vor- immer viel mehr geprägt als Parlamentsplanspiele, gehen. Die Jugendlichen wissen nämlich oftmals auch wenn diese sicherlich notwendig sind. Inso- gar nicht, was sie mit ihrer Stimme bei Kommunal- fern sollte man auch dies nach Möglichkeit ein we- wahlen verändern können. Sie sehen selbst, dass die nig mehr forcieren. kommunalen Kompetenzen stark eingeschränkt sind. Die vier Punkte, die die PIRATEN in ihrem Antrag angesprochen haben, sind grundsätzlich richtig, ich Ich höre immer wieder, dass die Schülerinnen und glaube aber, sie sind insgesamt noch ein bisschen Schüler sagen, sie interessierten sich schon für sol- dünn, und das kann sicherlich noch ein bisschen che Themen, aber sie wüssten gar nicht, was sie mit fundierter herausgearbeitet werden. Insgesamt ist ihrer Stimme wirklich verändern könnten. Ich glau- die Initiative gut und sollte weiter beraten werden. be, das ist ein Problem, das man stärker ins Auge Vielleicht sollte man das in dem Bericht der Lan- fassen sollte. Man sollte also nicht so pauschal sa- desregierung machen, der turnusgemäß vorgelegt gen, die Jugendlichen hätten kein Interesse an Poli- wird. tik. Das halte ich für völlig falsch. Skeptisch bin ich, ehrlich gesagt, hinsichtlich der (Beifall FDP) Forderung nach mehr politischer Bildung in den Meine Damen und Herren, wenn ich an die Verbes- Kindertagesstätten. Ich glaube, dass das etwas serung der politischen Bildung im schulischen Be- schwierig ist. Dort sollte die soziale Kompetenz ge- reich denke, dann denke ich in erster Linie nicht an stärkt werden. Aber politische Bildung im eigentli- den klassischen Politikunterricht, in dem vermittelt chen Sinne in Kindertagesstätten in einer parlamen- wird, wie das politische System in Deutschland tarischen Demokratie zu forcieren, da - das muss oder anderswo funktioniert, sondern ich meine, es ich ganz ehrlich sagen - bin ich doch sehr skeptisch. wird immer wichtiger, dass Jugendliche in einem (Wortmeldung Sven Krumbeck [PIRATEN]) immer größer werdenden Abstand zu historischen Geschehnissen in Deutschland die Möglichkeit ha- - Ich lasse die Zwischenfrage gern zu, wenn die ben, auch andere Eindrücke außerhalb der Schule Uhr angehalten wird. zu gewinnen, die vielleicht auch ein wenig die (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn der Präsi- emotionale Kompetenz in diesem Bereich stärken. dent aufmerksam ist!) Es geht darum, dass man erkennen kann, was der emotionale Wert von Demokratie und Rechtsstaat- lichkeit ist. Es geht auch darum, dass man den Par- Vizepräsident Bernd Heinemann: lamentarismus erleben kann, dass man im Landtag Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- oder im ist oder gar auch im Europäi- ge des Abgeordneten Krumbeck? schen Parlament. Wir müssen sehen, dass viele jun- ge Menschen auch keinen Bezug mehr zu den Ge- Christopher Vogt [FDP]: schehnissen im Dritten Reich haben oder zu den Geschehnissen in der damaligen DDR. Deshalb Ja, immer noch. sollten die Schülerinnen und Schüler durch andere Exkursionen verstehen lernen, was der Wert der 1526 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Vizepräsident Bernd Heinemann: (Beifall FDP, PIRATEN und vereinzelt CDU) Bitte schön. Sven Krumbeck [PIRATEN]: Herr Kollege Vizepräsident Bernd Heinemann: Vogt, stimmen Sie mir zu, dass Demokratie und Mitbestimmung auch außerhalb von Für die Abgeordneten des SSW hat Frau Abgeord- Wahlen und politischen Parteien stattfinden nete Jette Waldinger-Thiering das Wort. - Bitte und dass auch das allgemeine gesellschaftli- schön! che Miteinander im Kindergarten durch die Grundprinzipien der Demokratie geprägt und Jette Waldinger-Thiering [SSW]: gestaltet werden muss? Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Beifall PIRATEN) und Herren! Zu dem Antrag möchte ich drei An- merkungen machen. Es geht um ein Lob und zwei Christopher Vogt [FDP]: Leerstellen des Antrags. Ich habe nicht gesagt, Sie hätten irgendwie gefor- Erstens. Der Antrag verzichtet darauf, das Rad neu dert, wir sollten vor Wahlen Podiumsdiskussionen erfinden zu wollen. Das findet unsere Unterstüt- in Kindergärten machen. Das ist mir schon klar. Ich zung. Das ist das Lob. Die Vorgängerregierungen hatte ja gerade gesagt, die soziale Kompetenz muss haben zwar nicht alles richtig gemacht, aber in Sa- gestärkt werden. chen Jugendbildung gibt es in Schleswig-Holstein unbestreitbar solide Strukturen innerhalb und au- (Beifall Dr. Heiner Garg [FDP]) ßerhalb von Institutionen, die junge Menschen an Aber politische Bildung im eigentlichen Sinne, fin- die Politik heranführen und die zur Teilhabe und de ich, hat in Kindertagesstätten so nichts zu su- kritischer Auseinandersetzung motivieren. Es geht chen. Darauf hatte ich hingewiesen. dabei nicht nur um den klassischen Unterricht, son- dern gerade in diesem Bereich werden innovative (Beifall FDP, CDU und vereinzelt SPD) und experimentelle Formen ausprobiert. Die Ju- Ich wundere mich darüber, dass Kritik aus der gendlichen werden da abgeholt, wo sie sind, in ih- SPD-Fraktion kommt, wenn andere Sozialdemokra- rer Sprache, mit ihren Anliegen und in ihren Medi- ten klatschen; aber gut. en. (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Zweitens. In Schleswig-Holstein spielt die außer- schulische Jugendbildung traditionell eine große - Herr Stegner, ich weiß ja, wir beide sind diese Rolle, ob in der Kirche mit Teamercard und JuLei- Woche ganz dicke; das ist doch schön. La oder in den Sportvereinen, wo Jugendliche (Beifall Dr. Heiner Garg [FDP]) schon frühzeitig lernen, Verantwortung zu überneh- men und ihre Interessen durchzusetzen. Der Lan- Abschließend möchte ich - ich habe nur noch 6 Se- desjugendring bündelt diese Aktivitäten und infor- kunden Redezeit - auf Folgendes hinweisen. Wir miert über die Angebote, die regional verfügbar sollten uns wirklich vertieft im Sozialausschuss und sind. Auch die Parteien bieten Jugendlichen eine im Bildungsausschuss mit dem Thema befassen. Mitgliedschaft an. All diese Verbände bleiben im Dabei geht es auch um die Frage, wie es mit der Fi- vorliegenden Antrag allerdings außen vor. Es ent- nanzierung der politischen spricht weder der gesellschaftlichen Realität noch Jugendorganisationen, der Jugendverbände aus- erscheint es sachlich angemessen, die wesentlichen sieht. Das betrifft vor allem den Landesjugendring Säulen politischer Jugendarbeit nicht zu berück- und seine Organisationen. sichtigen. Hier muss der Antrag ergänzt werden. (Beifall FDP und PIRATEN) Drittens. Es gibt Defizite in der politischen Ju- Ich glaube, auch die Vernetzung, gerade mit der gendbildung. Die werden allerdings im vorliegen- Landeszentrale für politische Bildung, ist ein den Antrag unterschlagen. Diese Defizite beziehen großes Thema. Diese Themen sollten wir eingehend sich auf die Einbindung unterschiedlich strukturier- beraten, am besten gemeinsam mit dem Bericht der ter Bevölkerungsgruppen. Eine Gymnasiastin in Landesregierung. - Vielen Dank für die Aufmerk- Kiel oder Neumünster mit den Grundregeln des de- samkeit. mokratischen Miteinanders vertraut zu machen, ist relativ einfach. Die Politik kapituliert allerdings vor schwer zugänglichen Adressaten. Dazu gehören un- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1527

(Jette Waldinger-Thiering) bestritten Jugendliche mit Migrationshintergrund. Vogt, kann man so nicht stehen lassen. Sie haben Politische Jugendbildung, die über die Verteilung gesagt, in Kindertagesstätten habe politische Bil- bunter Broschüren hinausgehen soll, muss in der dung nichts zu suchen. Das bewegt mich so stark, Lage sein, die notwendige Identifikation des Ein- dass ich jetzt einen Dreiminutenbeitrag dazu leisten zelnen - ob er sich nun zu einer wie auch immer de- möchte. finierten Mehrheit oder zu einer wie auch immer Ich will Ihnen sagen: Sie haben jetzt gerade die po- definierten Minderheit zählt, ist dabei weitestge- litische Bildung ausgespielt hend ohne Belang - zu ermöglichen, wenn nicht gar zu bewirken. (Zuruf Christopher Vogt [FDP]: Ihre Frakti- onskollegen haben geklatscht!) Die Bundesregierung setzt sich im Nationalen Ak- tionsplan Politische Bildung ausdrücklich mit - hören Sie mir zu - gegen soziale Kompetenzen. Menschenrechten und der Veränderung in einer Das eine schließt das andere aber nicht aus. multiethnischen Gesellschaft auseinander. Der Na- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionale Aktionsplan will ausdrücklich Unterschied- NEN) lichkeit befördern und ruft dazu auf, Buntheit und Differenz, also ausdrücklich die Unterschiede, an- Es gibt schon heute viele Kindergärten beziehungs- zuerkennen. Heterogenität und eben nicht Unifor- weise Kindertagesstätten, die genau das tun, näm- mität bringt komplexe Gesellschaften voran. Sie lich Demokratieverständnis vermitteln, die das in bietet entscheidende politische, gesellschaftliche ihre Konzepte einbeziehen. und ökonomische Vorteile. Das sage ich ausdrück- (Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) lich als Teil der dänischen Minderheit in Schles- wig-Holstein, die die Mehrheit mit alternativen Ich finde, mit der Vermittlung von Demokratiever- Sicht- und Lebensweisen befruchtet. Es geht eben ständnis - das gehört zur politischen Bildung dazu - nicht, wie im Antrag formuliert, darum, Jugendli- kann man gar nicht früh genug beginnen. che unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnort zu aktivieren, sondern darum, die Unter- und PIRATEN) schiede ausdrücklich zu thematisieren. Damit kann man auch nicht in irgendeinem Alter Für den SSW ist klar: Politische Jugendbildung ist einsetzen. Das wächst mit. Meine Töchter sind jetzt Teil der aktuellen Antidiskriminierungsdebatte. vier und fünf Jahre alt. Ich muss gestehen, ich bin Hinter diesen Standard des Nationalen Aktions- schon ziemlich stolz darauf, dass sie im Groben plans können und wollen wir nicht zurück. Darum wissen, wie so etwas funktioniert, und dass sie da- empfehlen wir die Einbindung des Kuratoriums Po- mit groß werden, in der Hoffnung, dass sie das spä- litische Bildung. ter dann auch sehr ausgeprägt leben können. - Vie- Die Kritik an dem vorliegenden Antrag ist substan- len Dank. ziell. In der vorliegenden Form schadet der Antrag (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sogar seinem Ansinnen, die Strukturen der politi- und SSW) schen Jugendbildung auf ein solides finanzielles Fundament zu stellen. Wir befürworten daher die Vizepräsident Bernd Heinemann: Überweisung des Antrags in den Bildungs- und den Sozialausschuss. Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Christopher Vogt das Wort. (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Christopher Vogt [FDP]: Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen den Rücken zudrehen muss. Zu einem Dreiminutenbeitrag hat Frau Abgeordnete Aber ich glaube, der Rest des Saales sollte mich Simone Lange von der SPD-Fraktion das Wort. auch verstehen. Simone Lange [SPD]: Ich möchte wirklich nicht falsch verstanden wer- den. Ich glaube, der eine oder andere hat mich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und falsch verstanden - ob absichtlich oder unabsicht- Herren! Ich habe jetzt meinen Platz im Präsidium lich, weiß ich nicht. Ich habe festgestellt, dass eini- verlassen; denn das, was Sie gesagt haben, Herr ge Ihrer Fraktionskollegen Applaus gespendet ha- 1528 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Christopher Vogt) ben. Sicherlich sollte das Zustimmung signalisie- rechtskonvention, auf die sich die Bundesrepublik ren. Insofern möchte ich einfach nur darauf hinwei- verpflichtet hat. Sie schreibt fest: Nur wenn sich sen. Vielleicht habe ich mich bei den Begriffen et- Kinder und Jugendliche aktiv an der Gestaltung ih- was vertan, oder vielleicht definiert jeder bestimmte rer Umwelt beteiligen können, erfahren sie sich als Sachen für sich anders. Dadurch kann dieses Teil einer sozialen und politischen Gesellschaft. Missverständnis aufgekommen sein. Demokratie als Unterrichtsgegenstand in verschie- denen Klassenstufen und Demokratie als praktisch Ich habe gesagt, dass die soziale Kompetenz ge- erfahrbare Schulkultur sind darum seit Langem eine stärkt werden soll. Natürlich ist das in Kindergär- Selbstverständlichkeit. Dabei bedeutet „Selbstver- ten ganz wichtig. Wir wollen ja, dass Kinder in ständlichkeit“ eben nicht, dass man das in das Ge- Kindergärten gehen, damit sie dort das soziale Mit- setz, in die Bildungspläne schreibt und es damit gut einander lernen - meinetwegen kann man das de- sein lässt. mokratische Grundprinzipien nennen -, damit sie lernen, dass man sich abstimmt, dass man miteinan- Die Lehrpläne eröffnen Spielraum für Schwer- der diskutiert, dass man fair miteinander umgeht. punktsetzungen, wie im Antrag gefordert. Es gehört auch zum Selbstverständnis der Schulen, dass die Darum ging es mir aber gar nicht. Ich habe nur ge- Lehrpläne einen Rahmen geben, aber nicht vor- sagt, bei der politischen Bildung im klassischen schreiben, welche Schwerpunkte die Schulen im Sinne, so wie ich sie verstehe, sollte man in Kin- Einzelnen zu setzen haben. dertagesstätten vorsichtig sein; denn man sollte, glaube ich, die Kinder auch nicht überfordern. Inso- Es geht darum, Demokratie für junge Menschen fern habe ich versucht, das zu differenzieren. Das im Alltag erfahrbar zu machen, eben in der ist mir offenbar nicht gelungen. Aber der eine oder Schule und - das haben wir jetzt mehrfach debat- andere hat, glaube ich, verstanden, was ich meinte. tiert - altersgemäß auch in Kitas. Ich halte das für Ich hoffe, dass ich das jetzt aus der Welt räumen einen ganz wichtigen Moment, und es gibt tolle konnte. Ich wollte nicht sagen, dass Kindern keine Projekte in Schleswig-Holstein, die Demokratie sozialen Kompetenzen oder Ähnliches vermittelt auch in Kitas erfahrbar machen, natürlich altersge- werden sollten. Wer sollte ich denn sein, dass ich recht. Das hat nichts mit einer Diskussion in der hier so etwas sage? Ich glaube, einige haben mich Oberstufe zu tun. Aber Demokratieverständnis von vornherein richtig verstanden. Ich hoffe, das ist muss früh anfangen. bei dem Rest jetzt auch der Fall. Insofern vielen (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dank dafür, dass ich das noch einmal klarstellen und SSW) konnte. Wenn dazu ein weiteres Konzept gewünscht wird, (Beifall FDP und vereinzelt CDU) können wir das selbstverständlich machen. Aber ich wäre dafür, ganz konkret zu fassen, was neben dem, Vizepräsident Bernd Heinemann: was es schon gibt, gewollt ist. Vor allem wäre mei- Weitere Wortbeiträge aus den Reihen des Parla- ne Anregung, die Jugendlichen und die Verbände ments sehe ich nicht. Dann hat jetzt für die Landes- einzubeziehen. regierung die Frau Ministerin für Soziales, Familie, (Beifall PIRATEN) Gesundheit und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit, das Wort. Das halte ich für wichtig, und deswegen glaube ich nicht, dass es gut ist, das am grünen Tisch bis zum Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- Sommer übers Knie zu brechen. Ich glaube, wir heit, Familie und Gleichstellung: brauchen dafür länger. Diese Zeit sollten wir uns nehmen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es war Heide Moser, eine Bekanntlich liegt der Teufel manchmal im Detail. meiner Vorgängerinnen, die das Thema Partizipati- Es ist schon gesagt worden: Außerschulische Ju- on von Kindern und Jugendlichen 1990 in einer gendbildung ist nach SGB VIII eine der Aufgaben bundesweiten Vorreiterrolle angepackt hat. Seitdem der Kinder- und Jugendhilfe, liegt also in kommu- hat die Landesregierung das Thema als jugendpoli- naler Verantwortung. Politische Jugendbildung ist tisches Schwerpunktthema fest verankert. davon ein Teilbereich. Ich bin mir ganz sicher, dass die Antragsteller nicht die Absicht hatten, in diesen Dabei orientieren wir uns an dem umfassenden Verantwortungsbereich hineinzuregieren. Im Sinne Teilhabeanspruch von Artikel 12 der UN-Kinder- des Anliegens - mehr politische Jugendbildung - Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1529

(Ministerin Kristin Alheit) wäre dann aber die Einbindung der kommunalen (Vereinzelter Beifall CDU) Ebene von Bedeutung, damit da keine Missver- - Das kann ich Ihnen jetzt auch nicht beantworten, ständnisse aufkommen. aber da sind wir ganz nah beieinander. Das ist ge- (Beifall Dr. Heiner Garg [FDP]) nau der Punkt, wo ich meinte: Wir müssen uns Ge- danken darüber machen, was wir konkret erreichen Ein Punkt ist noch wichtig. Außerschulische politi- wollen. Dass es an bestimmten Punkten besser sche Jugendbildung ist originär Aufgabe der Träger wird, dass wir noch besser werden können, will ich der Einrichtungen von Jugendarbeit, also etwa der überhaupt nicht bestreiten. Die Frage ist: Ist der Jugendverbände, von Trägern der offenen Kinder- Antrag in dieser Form dann das Richtige, oder müs- und Jugendarbeit oder von Jugendbildungsstätten. sen wir uns genauer darüber Gedanken machen, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen? Und Vizepräsident Bernd Heinemann: dafür wäre ich sehr. Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall Dr. Heiner Garg [FDP]) des Abgeordneten Neve? Das Land fördert auf Landesebene organisierte Trä- Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- ger: den Landesjugendring und die Landesverbände heit, Familie und Gleichstellung: sowie die Träger der kulturellen Kinder- und Ju- gendbildung. Was das Land meiner Ansicht nach Ja. - Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen. auf keinen Fall tun sollte, ist, den Trägern jenseits Hans Hinrich Neve [CDU]: Frau Ministerin, der Verfassungstreue Gebotsvorgaben für ihre Bil- wir hatten gerade in der Mittagspause eine dungsinhalte zu machen. Das ist aus gutem Grund Diskussion mit Landtagsabgeordneten aus staatsfern organisiert. dem Bundesland Brandenburg, wo die politi- Demokratie hat schon längst Einzug in den Unter- sche Jugendbildung auch Thema war. Wir richt und den Schulalltag gehalten, ebenso in die haben gemeinsam erkennen müssen, dass Arbeit der Jugendverbände und der Jugendhilfe. dies in den Lehrplänen bundesweit verankert Die vielfältigen Beispiele würden Gott sei Dank ist, dass es im Grunde genommen also Be- den Rahmen hier deutlich sprengen. Aber ich finde standteil des Unterrichts ist. Wir mussten es ganz richtig: Demokratie muss immer wieder auch gemeinsam feststellen - auch in anderen neu verhandelt und neu errungen werden. Deswe- Bundesländern ist es so -: Da ist irgendwo gen spricht sich auch die Landesregierung dafür ein Mangel. Es ist verankert, es wird ge- aus, dass wir diesen Antrag im Ausschuss beraten macht, aber es kommt bei den Schülern nicht und gucken, was wir daraus lernen können. - Danke an. Man mag ja im Kindergarten anfangen schön. und in der außerschulischen Jugendarbeit weitermachen. Aber wenn dazwischen ein (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vakuum ist, müssen wir uns schon Gedanken und SSW) machen, wie wir dieses Vakuum ausfüllen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Dann wurde von den Landtagskollegen aus Brandenburg auch berichtet, dass es sehr Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich stark variiert, anscheinend sehr stark von der schließe die Beratung. Person der Lehrkraft abhängt, wie engagiert Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache die mit der Politik vertraut ist. Wir haben bei 18/510 federführend in den Bildungsausschuss und „Jugend im Parlament“ hier erleben müssen, mitberatend in den Sozialausschuss zu überweisen. dass die Jugendlichen sagen: Das hat uns kei- Wer so beschließen will, den bitte ich um das ner in der Schule beigebracht. Es nützt Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - nichts, dass man auswendig lernt, wie groß Dann ist das so beschlossen. der Schleswig-Holsteinische Landtag ist und so weiter. Vielmehr muss man begreifen, wie Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 19: Politik funktioniert. Hier scheint noch ein Defizit zu sein. Das ist auch meine Frage. - Familienpolitische Leistungen reformieren! Die können wir heute wahrscheinlich nicht zu Ende beantworten -: Wie bekommen wir hier eine Lösung hin? 1530 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE Erstens. Er bezieht sich offensichtlich auf einen Ar- GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW tikel in der Zeitschrift „Capital“ vom 19. Febru- Drucksache 18/495 ar 2013. Zweitens. Eine Quelle für die dort gemachten Aus- Ergebnisse der Gesamtevaluation der ehe- und sagen wird nicht angegeben. familienpolitischen Leistungen zur Entwicklung Drittens. Beteiligungen werden nicht beliebig abge- von politischen Handlungsempfehlungen nutzen! schrieben, sondern aufgrund von Unternehmensbe- wertungen wertmäßig in der Bilanz erfasst. Insofern Änderungsantrag der Fraktion der CDU sind die Ausführungen in dem Artikel nicht nach- Drucksache 18/551 vollziehbar. Es ist in den Fraktionen vereinbart worden, das oh- Viertens. Auch wird nicht deutlich, dass die Beteili- ne Aussprache in den Sozialausschuss zu überwei- gungen an der Landesbank Berlin von den einzel- sen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das nen Sparkassen gehalten werden und nicht vom Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sparkassen- und Giroverband für Schleswig-Hol- Dann ist auch das so beschlossen. stein. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20: Fünftens. Der Sparkassen- und Giroverband für Schleswig-Holstein ist nicht mit der Absicht an das Mehr Leichte Sprache in Schleswig-Holstein Land herangetreten, seine Anteile an der HSH Nordbank AG zu übertragen. Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/496 Insgesamt bleiben aus Sicht der Landesregierung Motivation und Intention dieses Artikels unklar. Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen. Ich Der Sparkassen- und Giroverband selbst weist schlage vor, den Antrag Drucksache 18/496 in den laut Presseberichtserstattung des „sh:z“ vom Mitt- Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen woch darauf hin, dass dies Gerüchte seien, mit de- will, den bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! nen die Lage in Schleswig-Holstein schlechtgeredet - Enthaltungen? - Dann ist das so beschlossen. werden solle. Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 32 A: Meine Damen und Herren, fest steht nur eines: Die- se Diskussion schadet unseren Sparkassen. Bericht der Landesregierung zu den Bedingun- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen des Deutschen Sparkassen- und Giroverban- und SSW) des für eine Stützung der Sparkassen in Schles- Deshalb möchte ich an dieser Stelle eine Zäsur vor- wig-Holstein nehmen und mich lieber mit den Tatsachen ausein- Antrag der Fraktion der CDU andersetzen und mich diesen zuwenden, statt Kaf- Drucksache 18/542 feesatzleserei zu betreiben und unbestätigten Ge- rüchten hinterher zu spüren. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit der Drucksache 18/542 wird Vizepräsident Bernd Heinemann: ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zu- nächst darüber abstimmen, ob dieser Bericht in die- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage ser Tagung gegeben werden soll. Wer so abstim- oder Anmerkung des Abgeordneten Wolfgang Ku- men möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - bicki? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das ein- stimmig so beschlossen. Andreas Breitner, Innenminister: Ich erteile das Wort für die Landesregierung dem Sehr gern. Herrn Innenminister Andreas Breitner. Vizepräsident Bernd Heinemann: Andreas Breitner, Innenminister: Bitte schön, Herr Abgeordneter. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Minister, Sie mich zu dem Dringlichkeitsantrag der CDU- ich habe diesen Artikel auch gelesen. Ich Fraktion zunächst fünf Punkte anmerken. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1531

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

kann mich Ihren Ausführungen im Wesentli- Stärkung des Kernkapitals gehört, die wir nun prü- chen anschließen. Ich habe nur eine Frage: fen werden. Ist es zutreffend, dass der Sparkassen- und Auf dieser Basis kann der Gesetzentwurf im Detail Giroverband bis Ende März ermitteln oder erarbeitet werden. Die erste Kabinettsbefassung ist mitteilen soll, wie hoch der Eigenkapitalbe- für Ende Mai vorgesehen. Danach wird die förmli- darf der Sparkassen in Schleswig-Holstein che Verbandsanhörung durchgeführt. Mit Beginn insgesamt nach Basel III wäre? Das steht da der Anhörung, also bereits Ende Mai/Anfang Juni auch drin. und damit deutlich vor der Sommerpause, wird das Innenministerium den Landtag über den Gesetzent- Andreas Breitner, Innenminister: wurf unterrichten. Die zweite Kabinettsbefassung Ich kenne keine zeitliche Befristung, innerhalb de- kann nach der Sommerpause erfolgen. Die erste Le- rer der Sparkassen- und Giroverband uns das mel- sung im Landtag ist für September geplant. det. Richtig ist, dass sich nach der im Januar 2013 Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen: beschlossenen Gesetzesänderung die sogenannten Wir treiben die Gesetzesänderung zügig voran, aber vergleichbaren Träger - sprich: die HASPA Finanz- wir bereiten sie auch mit großer Sorgfalt vor. Dabei holding - nicht mehr an öffentlich-rechtlichen Spar- gilt für uns trotz des notwendigen Handlungsbe- kassen beteiligen können. Damit ist die Gefahr ei- darfs: Sorgfalt geht vor übertriebener Schnelligkeit. ner Privatisierung der Sparkassen gebannt. Das war richtig und gut. (Unruhe) (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich bin überzeugt: Das Verfahren wird der Rege- und SSW) lungsnotwendigkeit gerecht und schafft zugleich Raum für die notwendigen fachlichen und politi- In einem zweiten Schritt ist es nun erforderlich, den schen Abstimmungen. So wird es gelingen, noch in öffentlich-rechtlichen Sparkassen zügig eine neue diesem Jahr in enger Abstimmung mit den beteilig- Option zur Kapitalstärkung zu eröffnen. Wir ha- ten Akteuren eine Änderung des Sparkassenge- ben dazu einen ersten vorläufigen Arbeitsentwurf setzes zu verabschieden. Wir schaffen damit die erarbeitet und ihn dem Sparkassen- und Girover- Voraussetzungen, um die Zukunftsfähigkeit der band Schleswig-Holstein und den kommunalen Sparkassen in Schleswig-Holstein zu gewährleisten. Landesverbänden zur Vorabstimmung zugeleitet. - Vielen Dank. Dieser sieht von uns aus Folgendes vor: Erstens. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Hol- und SSW) stein soll eine Beteiligung am Stammkapital von öf- fentlich-rechtlichen Sparkassen ermöglicht werden. Vizepräsident Bernd Heinemann: Dabei muss gewährleistet sein, dass das Stammka- pital die jeweiligen bankaufsichtsrechtlichen Vor- Meine Damen und Herren, Antragsteller ist die aussetzungen für die Anerkennung als Kernkapital CDU-Fraktion. Darum hat jetzt der Abgeordnete erfüllt. Tobias Koch das Wort. Zweitens. Die Beteiligungsquote sollte aus unserer Sicht von derzeit 25,1 auf 49,9 % erhöht werden. Tobias Koch [CDU]: Drittens. Zugleich ist zu klären, ob zukünftig auch Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und der SGV im Verwaltungsrat der Sparkasse vertreten Herren! Die heutigen Ausführungen der Landesre- sein sollte, an der er am Stammkapital beteiligt ist. gierung machen deutlich, wie fahrlässig es im Janu- Dies ist derzeit nach dem Sparkassengesetz ausge- ar war, die Änderung des Sparkassengesetzes oh- schlossen. ne weitere Beratung in diesem Schnellverfahren durch den Landtag zu peitschen. Wir werden im Laufe des Monats März sowohl mit dem SGV als auch mit den kommunalen Landes- (Widerspruch SPD) verbänden über unseren Entwurf sprechen und ihn Die einzige Möglichkeit für eine externe Kapital- eingehend erörtern. Darüber hinaus bin ich mit den beschaffung wurde gestrichen, ohne dass Sie bis verschiedenen Akteuren aus der Sparkassenland- heute die Alternativen und deren Konsequenzen für schaft im Gespräch. Dabei habe ich einige weitere unsere Sparkassen beurteilen können. interessante und erwähnenswerte Vorschläge zur 1532 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Tobias Koch)

(Birgit Herdejürgen [SPD]: Ist das die Rede Mit Ihrem vorschnellen Handeln haben Sie die Po- vom letzten Monat?) sition der schleswig-holsteinischen Sparkassen ge- genüber dem DSGV ganz erheblich geschwächt. In der Diskussion wurde damals immer wieder dar- auf verwiesen, dass auch bei einer Streichung der (Birgit Herdejürgen [SPD]: Mit deren Zu- Beteiligungsmöglichkeit der Hamburger Sparkasse stimmung!) die Sparkassen selber mit ihren Stützungseinrich- Das Mindeste wäre es doch gewesen, diese beiden tungen über genügend Mittel und Wege verfügten, Elemente im Paket mit dem DSGV zu verhandeln. um ihre Kapitalprobleme im Rahmen des Verbun- Wenn die Regierungsfraktionen clever gewesen des zu lösen. wären, eine kluge Politik betrieben hätten Die Presseberichterstattung in dieser Woche führt (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wie Sie! - Wolf- uns allen vor Augen, dass die Hilfen des DSGV gang Kubicki [FDP]: Das werden wir schon und damit der bundesweiten Sparkassenfamilie sehen, Herr Stegner!) nicht bedingungslos erfolgen werden. Die jetzt in der Presse lancierten Folterinstrumente mögen da- und nicht einfach dem stegnerschen Aktionismus bei erst einmal nur ein Testballon sein, um die Dau- hinterhergelaufen wären, dann hätten Sie doch die menschrauben im Verhandlungspoker mit dem Streichung der Haspa-Beteiligung zumindest als Schleswig-Holsteinischen Sparkassenverband anzu- Faustpfand in den Verhandlungen einsetzen kön- ziehen. Insgesamt verfestigt sich aber doch der Ein- nen, um im Gegenzug akzeptable Bedingungen druck, dass der DSGV wild entschlossen ist, beim für unsere Sparkassen bei den Stützungsmaßnah- Sorgenkind Schleswig-Holstein endgültig durch- men auszuhandeln. Herr Dr. Stegner, vielleicht hät- zugreifen und dieses Problem ein für alle Mal zu ten Sie erst einmal nachdenken sollen, was Sie mit beseitigen. Es zeichnet sich damit ab, dass die ge- Ihrer vorschnellen Gesetzesänderung bewirken, be- stellten Bedingungen dieses Mal nicht nur die je- vor Sie diese auf den Weg bringen. weiligen Stützungssparkassen, sondern den Schles- (Beifall CDU - Zurufe SPD und BÜNDNIS wig-Holsteinischen Sparkassen- und Giroverband 90/DIE GRÜNEN) in seiner Gesamtheit betreffen werden und damit je- de einzelne Sparkasse im Land. Alles, was Ihnen jetzt noch bleibt - Dr. Stegner na- türlich vorneweg -, ist, lauthals zu tönen, dass die in Welche Bedingungen letztlich auch immer gestellt der Presse genannten Bedingungen unrealistisch werden, klar ist: Sie dürften gravierend sein. Die seien und dass diese als Notausgang überhaupt mögliche Vorgabe umfangreicher Abschreibungen nicht infrage kämen. auf Beteiligungen war jetzt Gegenstand der Presse- berichterstattung. Aufgeworfen wurde auch bereits Könnten es sich unsere Sparkassen am Ende tat- die Frage nach der Struktur der bislang 14 Sparkas- sächlich leisten, diese Bedingungen und damit das sen in Schleswig-Holstein. Denkbar wären Vorga- dringend benötigte Stützungskapital abzulehnen? ben zur Einschränkung der zukünftigen Geschäfts- Die Antwort lautet: nein. Könnte stattdessen das politik im Stützungsland Schleswig-Holstein. Letzt- Land einspringen und unseren Sparkassen finanziell lich stellt sich auch die Frage nach der Eigenstän- unter die Arme greifen? Die Antwort lautet eben- digkeit des Schleswig-Holsteinischen Sparkassen- falls: nein. verbands, wenn dieser nur noch am Tropf des Meine Damen und Herren, deswegen reicht es DSGV hängt. nicht, wenn die Landesregierung und erst recht die Allesamt Konsequenzen mit gravierenden Folgen Regierungsfraktionen immer nur sagen, was alles für die Sparkassen in Schleswig-Holstein, für ihre nicht geht. Sie sind jetzt aufgefordert, Lösungen zu Finanzierungsfunktion des Mittelstands und damit entwickeln, um unseren Sparkassen einen Ausweg für das gesamte Land. Egal welche Bedingungen aus ihrer misslichen Lage aufzuzeigen, in die Sie der DSGV als Gegenleistung für sein millionen- sie selbst hineingebracht haben. Das ist Ihr Job und schweres Notfallopfer stellt, Fakt ist: Mit der Ände- Ihre Verantwortung als Landesregierung. Nur die rung des Sparkassengesetzes und der gestrichenen gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, bedeutet Beteiligungsmöglichkeit der Haspa haben unsere noch kein zusätzliches, frisches Kapital; das muss Sparkassen jetzt keine andere Alternative mehr, von außen kommen. Herr Dr. Stegner. Sie sind damit dem Diktat des Mit Ihrer alleinigen Streichung der Haspa-Beteili- DSGV ausgeliefert. gung haben Sie Ihre Aufgaben noch nicht geleistet. (Beifall CDU und PIRATEN) Wir warten jetzt einmal, was da von Ihnen in den Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1533

(Tobias Koch) nächsten Monaten kommt. Das zusätzliche Kapital ten. Anteile an der Landesbank Berlin sollten zum brauchen unsere Sparkassen dringend. Ich bin ge- abgeschriebenen Wert an die Sparkassenfamilie spannt, woher Herr Dr. Stegner dies jetzt nehmen übergeben werden. Im Gegenzug könnten die Spar- wird. - Herzlichen Dank. kassen bis zu 500 Millionen € aus dem Notfalltopf für Schieflagen erhalten. Der Sparkassen- und Giro- (Beifall CDU) verband dementiert das. Der SGV sagt, sie lösten die Probleme in der S-Gruppe. Bleibt eigentlich nur Vizepräsident Bernd Heinemann: eines übrig, die neuen Kapitalanforderungen nach Für die SPD-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Basel III. Da gibt es meines Wissens keinen neuen Dr. Ralf Stegner das Wort. Sachstand seit der Januar-Debatte. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Redet der eigent- Was sind unsere Ziele? Die bleiben: Wir wollen die lich nur noch? - Weitere Zurufe) Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen, das Vertrauen der Menschen in die Sparkassen und ihre Dr. Ralf Stegner [SPD]: regionale Verankerung, die öffentlich-rechtlichen Säule mit allen Möglichkeiten, die es dafür gibt, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stärken. Wir wollen die Sparkassen als Kreditin- Herr Koch hat im „Kapital“ gelesen - Gott bewahre, stitut in der Fläche und als Kreditgeber für den nicht in dem vom roten Karl, sondern in der Zeit- Mittelstand erhalten und stärken. Und wir wollen schrift „Capital“. Die Lesefrucht ist ein Dringlich- vor allem, dass die Sparkassen dem Gemeinwohl keitsantrag der Opposition, und das ist Ihr gutes verpflichtet bleiben. Davon profitiert nämlich durch Recht. Ausschüttungen die kommunale Sport-, Kultur-, Ju- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Der Union!) gend- und Sozialförderung. Ich finde es besonders schön und freue mich auf- Wo liegen die Gegensätze zur Opposition? - Auch richtig darüber, dass Sie heute so zahlreich anwe- das ist schnell aufgezählt: Kurzfristige Lösungen send sind und dieses Mal mit debattieren. Offenbar ohne nachhaltige Wirkung, etwa der Verkauf der interessiert Sie das Thema Sparkassen also doch. Provinzial oder der LBS, kommen für uns definitiv Das ist ja schon einmal etwas Positives. nicht infrage. Wir haben im Januar versprochen: Wir werden in (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben wir Ruhe über die notwendige Hilfe für unsere Spar- gar nicht vorgeschlagen! Wer hat das vorge- kassen beraten. Das wäre vielleicht auch ein Rat- schlagen?) schlag an die Opposition. Wir erarbeiten kluge und realistische Hilfen, die die (Dr. Heiner Garg [FDP]: Hallo!) Sparkassen mehrheitlich selbst wollen. Wir halten nichts von den blau-gelben Glückskügelchen unse- - An die CDU, Teil der Opposition. Herr Garg, aber res „Dr. Eisenbart der Sparkassen“, des Kollegen auch Sie sind ja noch in der Opposition. Kubicki. Vielleicht fühlt sich ja der eine oder ande- (Heiterkeit FDP) re damit besser, aber wenn dann dem Patienten der Weiße Ritter erscheint, handelt es sich viel eher um Was Ihre Vorwürfe an meine Person betrifft, schla- das Delirium und nicht um die Genesung, glaube ge ich Ihnen vor, dass wir uns darauf einigen: Ich ich. Weiße Ritter gibt es im realen Leben eher bin schuld am Wetter und am schlechten Zustand nicht. der Union. Dann sind wir damit durch, (Wolfgang Kubicki [FDP]: Deshalb reden (Heiterkeit und Beifall FDP) Sie mit Flowers! Sensationell!) und dann könnten Sie ausnahmsweise auch einmal - Wir führen deswegen die Gespräche in aller Ruhe. ein Sachargument vortragen oder gar auf den Be- richt der Regierung eingehen. Das wäre doch ein Der Kollege Koch behauptet, unsere Sparkassen richtiger Fortschritt. seien jetzt ohne Wenn und Aber auf die Solidarität des Bundesverbandes angewiesen. Max Frisch (Beifall SPD) sagt: Die beste Tarnung ist die Wahrheit, die glaubt Was ist der Anlass der Debatte? „Capital“ sagt, die einem eh keiner. - Was ist die Wahrheit? - 14 Spar- Sparkassen in Schleswig-Holstein wollten ihren kassen im Land haben 2012 ein Plus bei den Darle- Anteil von 5 % an der HSH Nordbank abschrei- henszusagen von knapp 9 % verbucht, bei den Un- ben und an Hamburg und Schleswig-Holstein abtre- ternehmen und Selbstständigen lagen sie bei über 1534 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ralf Stegner)

11 %. Im Bestand liegt das Plus bei 1,5 %. Die Ein- Tobias Koch [CDU]: Herr Kollege Dr. Steg- lagen sind um knapp 2 % gewachsen. Die Eigenka- ner, ich würde gern zwei Fragen an Sie rich- pitalquote liegt im Schnitt bei 12 % inklusive der ten, wenn Sie nach eigener Aussage mit den Stützungsfälle. Es kann also überhaupt nicht die Akteuren sprechen. Rede davon sein, dass die Sparkassen in Schleswig- Erste Frage: Gehen Sie davon aus, dass es Holstein insgesamt marode seien. Davon kann weiteren Stützungskapitals für schleswig- überhaupt gar keine Rede sein. holsteinische Sparkassen bedarf? (Beifall FDP) Und zweitens: Gehen Sie davon aus, dass Es gibt aber Probleme. Diese Probleme versuchen dieses Kapital vom Bundesverband ohne jeg- wir zu lösen. liche Auflagen zur Verfügung gestellt wird? Erstens. Im ersten Schritt haben wir Privatisierun- gen ausgeschlossen. Das war vernünftig und rich- Dr. Ralf Stegner [SPD]: tig. Die Mehrheit dieses Hauses ist nach wie vor Was die erste Frage angeht, haben wir im Januar der Meinung, dass das im Januar notwendig gewe- die Lage der Sparkassen hier sorgfältig diskutiert. sen ist. Dabei ist deutlich geworden, dass es in der Tat Zweitens. Wir wollen die Rahmenbedingungen Sparkassen gibt, die in Schwierigkeiten sind. Wir verbessern. Der Innenminister hat vorgetragen, wel- haben die Sparkasse Südholstein, wir wissen, dass che Überlegungen es dort gibt. Das werden wir lo- es Probleme im Kontext mit der Sparkasse Bred- gischerweise mit Sorgfalt beraten. Ich sage aber stedt gegeben hat, wir kennen die Probleme, die auch: Einige Fragen müssen zunächst einmal von durch Abschreibungsbedarf mit der HSH Nordbank den Sparkassen intern geklärt werden, damit die und der Berliner Landesbank entstehen und in der Politik sorgfältig prüfen kann und sachgerecht mit Folge auch niedrigzinsbedingt waren, wenn ich an Rahmenbedingungen reagiert. Wir machen nämlich die Landesbausparkassen oder die Provinzial den- keine Politik anstatt der Sparkassen, sondern versu- ke. Das sind in der Tat alles Probleme. chen, ihnen dabei mit Dingen zu helfen, die sie üb- Ich habe hier beim letzten Mal schon vorgetragen rigens selbst wollen. und wiederhole, dass mir der Chef des Bundesspar- Sie betreiben Opposition nach dem Motto, Sie kassen- und Giroverbandes, Herr Fahrenschon, ge- könnten alles besser, Herr Koch, weil zum Glück sagt hat, dass er sicher sei, dass die Probleme der keinerlei Gefahr besteht, dass Sie das auch unter Sparkassen in der S-Gruppe gelöst werden können Beweis stellen müssen. Das können wir uns als Re- und auch gelöst werden, weil man nämlich darauf gierungsfraktion nicht leisten. Wir müssen das an- angewiesen ist zu zeigen, dass die Sparkassenidee ders machen. Deswegen reden wir mit den Akteu- eine gute ist, nämlich vor Ort in regionaler Kompe- ren, mit den Sparkassen, mit dem Sparkassen- und tenz für Privatkunden und kleine und mittlere Un- Giroverband Schleswig-Holstein, auch mit dem ternehmen der Dienstleister zu sein, den wir auch Bundessparkassen- und Giroverband und mit den dringend brauchen, und damit auch denen überle- Kommunen, um zu befriedigenden, praktikablen gen zu sein, die in der Finanzkrise ganz andere Din- und zukunftsfesten Lösungen für unsere Sparkassen ge getrieben haben. Insofern habe ich keinen zu kommen. Das ist unser Ziel. Grund, daran zu zweifeln. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Vizepräsident Bernd Heinemann: Ich bin natürlich nicht im Detail darüber informiert, Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine wie Gespräche zwischen dem einen und dem ande- Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Abge- ren laufen. Sie trauen mir zwar vieles zu, und man ordneten Tobias Koch? weiß auch das eine oder andere, aber daran werde ich noch nicht beteiligt. Im Augenblick ist es noch Dr. Ralf Stegner [SPD]: nicht der Fall, dass der Fraktionsvorsitzende aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag beteiligt Mit dem größten Vergnügen! wird. Wenn es so sein sollte, wären Sie der Erste, der es von mir erfährt. Vizepräsident Bernd Heinemann: Bitte schön, Herr Abgeordneter. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1535

Vizepräsident Bernd Heinemann: Ich kann nur sagen: Die Debatte ist komplett über- flüssig. Dass Sie Zeitung gelesen haben, ist schön. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder -be- Aber daraus einen Dringlichkeitsantrag zu machen, merkung? mit dem auch ein Eindruck erweckt wird, der die Sparkassen insgesamt in Misskredit bringt, denn die Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sparkassenidee funktioniert insgesamt sehr wohl Immer gern. auch in Schleswig-Holstein, (Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Lars Vizepräsident Bernd Heinemann: Harms [SSW]) Bitte schön. das - so muss ich es sagen - ist nicht besonders Tobias Koch [CDU]: Da meine zweite Frage klug. Das geht auf Ihr Konto, aber Sie werden fest- noch nicht beantwortet ist: Gehen Sie davon stellen, dass auch in dieser Frage a) die Koalition aus, dass zusätzliches Stützungskapital vom geschlossen operiert und b) das zuständige Ministe- DSGV ohne Bedingungen zur Verfügung ge- rium und der Innenminister sehr sachgerecht, sehr stellt wird? Wenn Sie Herrn Fahrenschon ge- ruhig und sehr solide - so wie wir das kennen - mit sprochen haben, wäre es doch klug gewesen, den Sparkassen reden wird. Wir werden im Herbst wenn Sie ihn im Vorfeld Ihrer Gesetzesände- ein entsprechend gutes Gesetz hier miteinander ver- rung gefragt hätten, mit welchen Bedingun- abschieden. gen für unsere Sparkassen zu rechnen ist, Sie sind übrigens eingeladen, bei diesem Gesetz am wenn sie zusätzliches Kapital benötigen. Ende mit zuzustimmen. Wir freuen uns über jede Stimme, die wir mehr als unsere Mehrheit kriegen. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Aber wir haben unsere Mehrheit auch so. - Vielen Mein Eindruck - ich weiß nicht, wie das in der Uni- herzlichen Dank. on zugeht - ist, dass sie im Sparkassen- und Giro- (Beifall SPD und Burkhard Peters [BÜND- verband nicht so miteinander reden, dass der eine NIS 90/DIE GRÜNEN]) dem anderen Bedingungen stellt, sondern dass sie daran interessiert sind, dass die Stützungssysteme Vizepräsident Bernd Heinemann: funktionieren. Ohne die Fachtermini alle im Kopf zu haben - da sind Sie im Gegensatz zu mir beruf- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat lich vorgebildet -, aber wenn ich das richtig weiß, Herr Abgeordneter Rasmus Andresen das Wort. ist es in Schleswig-Holstein so, dass, wenn es Stüt- zungsfälle gibt, zunächst einmal der Landesspar- Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kassen- und Giroverband mit seinem Stützungs- NEN]: fonds eintritt, und sollte der nicht reichen, tritt der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- Bundesverband für alle seine Mitglieder ein. Das ginnen und Kollegen! Wir debattieren hier heute - tut er übrigens ohne Bedingungen, das ist deren Re- das sollten wir uns alle auf der Zunge noch einmal gularium in den Verträgen. Mir ist jedenfalls nichts zergehen lassen, Herr Koch - auf Grundlage einer zugetragen worden, dass es da wilde Kämpfe, Be- einzigen Pressemeldung. Viel mehr Quellen gab es dingungen oder sonst etwas gibt, was man aus der nicht, und diese Quellen sind bisher auch anonym. Privatwirtschaft gut kennt, Herr Kollege Koch, da Das heißt, die Journalistin, die den Artikel in der haben Sie recht. Aber so weit bin ich nicht darüber Zeitschrift „Capital“ verfasst hat, Herr Kubicki, zi- informiert, und zurate gezogen worden bin ich auch tiert anonyme Insider - wie es so schön in dem Arti- nicht. Das tut mir zwar leid, aber es ist in der Tat kel heißt - aus dem Sparkassenverband. die Wahrheit. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) (Zuruf Tobias Koch [CDU]) Wir haben nicht mehr Grundlagen für diese Debat- - Es ist schön, dass Sie das alles schon wissen. Sie te. Hinzu kommt, dass es auch schon die ersten De- machen auch ein bisschen Politik nach dem Motto, mentis aus den Sparkassenverbänden zu diesen dass Sie uns alle möglichen Dinge prognostizieren, Meldungen gibt. Das ist die Grundlage und der und am Ende erklären Sie uns, warum es anders ge- Rahmen für diese Diskussion. kommen ist. Das haben Sie dann auch vorher ge- wusst. Das ist ja die Art und Weise, wie Sie mit uns reden. 1536 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Vizepräsident Bernd Heinemann: tagung ausführlich diskutiert haben - zumindest diejenigen von uns, die zu der späten Stunde noch Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- anwesend waren -, auch die Entwicklung der HSH ge des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer? Nordbank eine entscheidende Rolle. Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lösungen auf Kosten der Stabilität der HSH Nord- NEN]: bank sind keine guten Lösungen für Schleswig- Holstein. Es wäre zum Beispiel ein fatales Signal in Genau, sehr gern. Richtung Ratingagenturen, wenn die Sparkassen Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Herr Kol- wirklich ihre 5 % Anteile abstoßen müssten. Auch lege Andresen, Sie haben in Ihrem Debatten- das Land hat mit seinen Anteilen an der HSH be- beitrag die anonymen Quellen ein bisschen reits genug zu schultern. Die Übernahme der Antei- entwertet. Wollen Sie mir zugestehen, dass le der Sparkassen an der HSH vom Land ist sehr anonyme Quellen bei der öffentlichen Mei- schwer vorstellbar. nungsbildung sehr wichtig sind, dass zum Wir nehmen allerdings natürlich auch die Lage der Beispiel auch der Watergate-Skandal aus an- Sparkassen - auch das haben wir mehrmals in De- onymer Quelle bekannt geworden ist? batten schon gesagt - sehr ernst; denn sie zeigt ein- - Herr Kollege, vom Watergate-Skandal sind wir mal mehr, wie gefährdet auch die Eigenkapitalaus- noch sehr weit entfernt. stattung nicht aller, aber zumindest einiger Spar- kassen hier bei uns im Land ist. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD - Zurufe CDU und FDP: Wenn allerdings CDU und FDP - Sie, Herr Koch, Noch!) haben es gerade getan - jetzt so tun, als liege das al- lein am Ausstieg aus der Privatisierungsgefahr, - Ich weiß nicht mehr als das, was ich heute in der dann ist das reichlich überzogen. Als wäre die Has- Zeitung gelesen habe. Nichtsdestotrotz sind auch pa das Allheilmittel für die Probleme der Sparkas- anonyme Quellen logischerweise Quellen. Whist- sen gewesen! Der erste Einstiegsversuch in Lauen- leblowing ist ein anderes wichtiges Thema, das da- burg ist gescheitert, und es lag nur ein weiterer An- mit in Zusammenhang steht, geht aber ein bisschen trag von Hohenwestedt vor. weg vom Kern der Debatte, auf den ich jetzt gern zurückkommen möchte. (Christopher Vogt [FDP]: Aber der hatte Konsequenzen!) (Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Selbst mit Beibehaltung der Haspa-Klausel hätten wir uns mit weiteren Lösungsmöglichkeiten be- Trotzdem muss man bei Quellenkritik immer schäftigen müssen. Das tun wir auch. Wir als grüne schauen, ob es mehrere unterschiedliche Quellen Fraktion bereiten Fachgespräche zu diesem Thema gibt oder worauf man sich hier verlassen kann oder vor. Der Innenminister hat gerade ausführlich den halt auch nicht. konkreten Zeitplan beschrieben, wie sich die Lan- Es ist also unklar, inwieweit der heute erschienene desregierung das Verfahren zu weiteren Änderun- Bericht in der Zeitschrift „Capital“ den Tatsachen gen zur Verbesserung der Lage der Sparkassen vor- entspricht. Wir wissen insofern nicht, ob die Absto- stellt. ßung von HSH-Anteilen wirklich eine Bedingung Für uns gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands für Schnelligkeit“. eine Unterstützung unserer Sparkassen ist oder eben nicht. Aber für eine Bewertung fehlen uns die (Wolfgang Kubicki [FDP]: Beim Sparkas- Grundlagen. sengesetz war das nicht der Fall!) Grundsätzlich gilt natürlich: Wenn wir das Ganze Das bedeutet aber nicht, dass wir Vorhaben - ganz hier schon debattieren, Herr Koch, muss man auf ruhig bleiben! - auf die lange Bank schieben, son- ein paar Sachen eingehen, die Sie hier angerissen dern wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen. haben, nämlich dass man die Debatte nicht losge- Hierzu werden wir weitere Gespräche mit dem löst von anderen haushaltspolitischen Fragen sehen Deutschen Sparkassen- und Giroverband führen. kann, sondern wir das Ganze gesamthaushaltspoli- Sie werden nötig sein. Es reicht eben nicht, nur Zei- tisch und gesamtbankenpolitisch entscheiden und tungsmeldungen wahrzunehmen, sondern man abwägen müssten. Deshalb spielt neben der Lage muss auch mit den Akteuren direkt sprechen, um der Sparkassen, die wir auch in der letzten Plenar- mögliche Lösungen zu erarbeiten. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1537

(Rasmus Andresen)

Ich habe im Januar gesagt, dass unser Antiprivati- Ich bin sicher, Sie sind nicht dafür verantwortlich, sierungsvorstoß nur der Anfang einer Neuaufstel- wie es der CDU oder der FDP geht. Aber Sie sind lung der Sparkassen war. Genauso ist es. Die öf- mit dafür verantwortlich, wie es der SPD geht. Mit fentlich-rechtliche Verfassung der Sparkassen ist dem letzten herausragend guten Wahlergebnis kön- für uns nach wie vor ein hohes Gut. Sie ist so kost- nen Sie wirklich zufrieden sein! Hören Sie damit bar, dass wir jedes Risiko ausschließen mussten, sie auf, immer so zu tun, als hätten Sie mit den 30 %, durch Privatisierung zu verspielen. Uns konnte - die Sie erreicht haben, die Mehrheit der Bevölke- das sage ich nur, weil das in der Debatte eine Rolle rung in Schleswig-Holstein hinter sich. Das ist der gespielt hat und wir nach der Anhörung keine Aus- erste Punkt. sprache mehr hatten - niemand glaubhaft versi- Der zweite Punkt ist viel wichtiger: Dass Sie dau- chern, dass der Einstieg der Haspa kein solches Pri- ernd Privatisierungsvorurteile vor sich hertragen, vatisierungsrisiko darstellt. Deshalb haben wir das um Entscheidungen zu rechtfertigen, die mit diesem Gesetz im Schnellverfahren geändert. Argument gar nicht zu rechtfertigen wären, Deshalb und weil die Haspa nicht bereit war - auch (Beifall FDP und CDU) das hat Herr Boll sehr deutlich im Ausschuss ge- sagt -, mögliche Rückabwicklungskosten zu tragen, lasse ich Ihnen an einem Punkt nicht durchgehen. bekamen wir in der Anhörung die Unterstützung Wer dauernd so argumentiert wie Sie, hätte doch der Sparkassenverbände. sofort aufschreien müssen, als die Erklärung kam, dass sich ausgerechnet der Manager eines Hedge- Wir müssen in den nächsten Monaten an bankenpo- fonds, Herr Flowers, erneut mit Garantien an der litischen Lösungen arbeiten, die nachhaltig wirken. HSH Nordbank beteiligen und damit eine gefahrlo- Dass wir mehr als einen Krisenherd haben und es se Rendite von 4 % auf Kosten der Steuerzahler starke Wechselwirkungen zwischen den unter- Schleswig-Holsteins erhalten soll. Darüber habe ich schiedlichen bankenpolitischen Maßnahmen gibt, von Ihnen kein Wort gehört. macht es für uns nicht einfacher. (Beifall FDP) Ich warne allerdings alle Beteiligten davor, nach einfachen Lösungen zu schreien und auf Gerüchte - Ich bin gespannt, wie Sie es rechtfertigen wollen, Herr Koch! - panisch zu reagieren. Gleichzeitig ist dass sich Herr Flowers erneut an der Garantieerklä- für uns die Parlamentsbeteiligung - ähnlich wie im rung an der HSH Nordbank beteiligen kann. Das ist Verfahren um die HSH Nordbank - ein ganz zentra- dann die große Weltökonomie, die der HSH Nord- les Anliegen. Ich bin mir sicher - Sie haben es gera- bank hilft. Ich erwarte da Ihre erklärenden Aussa- de angekündigt, Herr Breitner -, dass wir das ähn- gen. lich wie mit dem Finanzministerium auch mit dem Ich habe den Artikel in „Capital“ gelesen, der mich Innenministerium vorbildlich im parlamentarischen eigentlich gar nicht überrascht. Die Informationen Verfahren hinbekommen und eine Lösung finden kommen offensichtlich aus Berlin und nicht aus werden, die unseren Banken vor Ort hilft. - Schö- Schleswig-Holstein. Der Einzige, der dort wörtlich nen Dank. zitiert wird, ist der Kollege Ralf Stegner. Ich will (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD kurz zitieren, was er auf Fragen von „Capital“ er- und SSW) klärt hat. Er wird dort gefragt. Vielleicht kriegt er auch einmal die Gelegenheit zu einem Interview im Vizepräsident Bernd Heinemann: „Capital“. Er hat dort erklärt: Für die FDP-Fraktion hat der Herr Fraktionsvorsit- „,Unseren Anteil an der HSH werden wir si- zende Wolfgang Kubicki das Wort. cherlich nicht aufstocken, indem wir die An- teile der Sparkassen übernehmen. Das alles Wolfgang Kubicki [FDP]: sind Notausgänge, die für uns nicht infrage kommen’, sagte Ralf Stegner, Chef der SPD- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landtagsfraktion.“ Bevor ich mich dem eigentlichen Thema widme, zwei kurze Vorbemerkungen. Herr Dr. Stegner, ich Wir wüssten gern, was denn ein richtiger Ausgang bin eigentlich davon ausgegangen, dass unsere Ab- ist, wenn das nur Notausgänge sind. Das darzulegen sprache, wir machen es intelligenter als in der letz- sind Sie uns noch schuldig. ten Tagung, für uns beide gilt. Bedauerlicherweise Ich will nur sagen: Die 300 Millionen bis 500 Mil- haben Sie sich daran nicht gehalten. lionen €, die dort genannt werden, Herr Minister, 1538 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Wolfgang Kubicki) kommen nicht von der Opposition. Ich darf daran Ich bin sehr gespannt, wie Sie diesen Knoten bis erinnern, dass Ihr Vorgänger im Amt, Herr Teu- Ende des Jahres auflösen wollen, Herr Dr. Stegner. cher, immerhin auch Sozialdemokrat, massiv öf- Das wird nicht mit dem SGV allein gehen. Dazu fentlich davor gewarnt hat, das Sparkassengesetz brauchen Sie Kapital von außen. Wenn Sie dann so zu ändern, weil genau dies der Eigenkapitalbedarf weit sind, dass Sie das erkannt haben, treffen wir ist, den die Sparkassen in diesem Jahr aufstocken uns hier wieder. Dann unterhalten wir uns über an- müssen. Die spannende Frage wird sein: Wo dere Bedingungen als gegenwärtig. - Herzlichen kommt das her? Ich höre jetzt, dass der Sparkassen- Dank. und Giroverband das übernehmen will. Herr (Beifall FDP und CDU) Dr. Stegner, ich darf Sie daran erinnern, dass wir früher einmal eine Diskussion hatten, in der die FDP unter anderem vorgeschlagen hat, eine Schles- Vizepräsident Bernd Heinemann: wig-Holstein-Sparkasse mit genau dem Modell zu Für die Fraktion der PIRATEN hat der Herr Abge- gründen - die Sparkassen, der SGV beteiligt sich an ordnete Torge Schmidt das Wort. allen Instituten als eine Art Holding -, weil uns das die einzige Möglichkeit schien, die Sparkassen im Torge Schmidt [PIRATEN]: Land stark genug zu machen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Aber das ist Schnee von Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen gestern. Wir sind jetzt in einer völlig anderen Situa- und Herren! Ich habe heute den Bericht in „Capi- tion. tal“ gelesen. Nach dem Brimborium, das wir gestern zu diesem Artikel hatten, hatte ich - muss Sie müssen schon erklären, woher in diesem Jahr ich ganz ehrlich sagen - ein bisschen mehr erwartet. 300 bis 500 Millionen € herkommen sollen. Ich kann Ihnen auch sagen, warum sie entstehen müs- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sen. SSW und Angelika Beer [PIRATEN]) Ich habe übrigens interessiert auch Folgendes ver- Wirklich Neues kam nicht ans Tageslicht. Dennoch nommen: Wenn der SGV einsteigt, verliert er defi- glaube ich, es ist ein wichtiges Thema, über das wir nitiv seine Prüfungsmöglichkeiten gegenüber den uns im Plenum unterhalten sollten. Die Situation Sparkassen. Er darf sich bei einer Eigenbeteiligung der Sparkassen in Schleswig-Holstein hat sich seit nicht selbst prüfen. Es ist irre, so etwas annehmen dem letzten Monat kaum geändert. Weiterhin ist die zu wollen. Da brauchen Sie eine andere Prüfungs- Lage schwierig. Weiterhin gilt es, eine Schieflage organisation. der 14 Sparkassen in Schleswig-Holstein abzuwen- den. Drei Sparkassen sind schon angeschlagen und (Beifall FDP und CDU) benötigen akut Hilfe. Die Sparkassen brauchen in diesem Jahr deshalb Abschreibungen im hohen Millionenbereich bei der 300 Millionen bis 500 Millionen € - das will ich HSH Nordbank belasten die Bilanzen zusätzlich. kurz erklären -, weil die Kommunen in Schleswig- Wir haben schon mehrfach auf die Folgen im Hin- Holstein sonst erhebliche Schwierigkeiten bekom- blick auf Basel III hingewiesen. men. Nach Basel III dürfen die Kommunen weiter- hin Kredite mit einer sogenannten Nullgewichtung Versetzen wir uns doch einmal in die einzelnen bekommen. Das heißt, sie brauchen nicht mit Ei- Blickwinkel der Akteure des Artikels. Auf der genkapital unterlegt zu werden. Trotzdem werden einen Seite möchte der Deutsche Sparkassen- und sie bei der sogenannten Leverage Ratio einberech- Giroverband die Sparkassen in Schleswig-Hol- net. Das heißt, 3 % der Kreditsumme muss mit Ei- stein aus der HSH Nordbank aussteigen lassen. Aus genkapital hinterlegt sein. In dem Moment, in dem ihrer Sichtweise ist das verständlich, schließlich bil- sie bei den Kommunen - auch dann, wenn sie deren den die 423 Sparkassen und acht Landesbankkon- Kredite nicht mehr mit Eigenkapital hinterlegen zerne und zehn Landesbausparkassen einen Haf- müssen - die Kreditsumme aufblähen, müssen sie tungsverbund. Die Erfahrungen der WestLB aus 3 % des Eigenkapitals in der Bilanzsumme vorhal- NRW sind noch sehr schmerzhaft in Erinnerung. ten. Das wird dazu führen, dass die Kommunen, Natürlich möchte der Deutsche Sparkassenverband weil sie nicht margenträchtig sind, weniger Kredite nicht für die HSH Nordbank haften. Das ist ganz von den Sparkassen bekommen, weil die Sparkas- logisch. sen in andere Kreditvergaben ausweichen müssen, Auf der anderen Seite ist das Interesse des Landes um diese Bedingung insgesamt zu erfüllen. Schleswig-Holstein zu sehen. Derzeit steht eine Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1539

(Torge Schmidt)

Debatte um eine Garantieerhöhung bei der HSH (Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU) Nordbank im Raum, um die Bank zu stabilisieren. So, liebe Regierung, wie kommen wir nun aus die- Neben der Garantie sind allerdings auch der Haf- ser Zwickmühle heraus? - Die HSH muss gerettet tungsverbund der Sparkassen und ihre Einlagen für werden, die Sparkassen brauchen Kapital, die Has- die Stabilität der HSH Nordbank essenziell wichtig. pa darf das Kapital nicht geben, und der DSGV (Beifall PIRATEN) knüpft das Kapital für die Sparkassen an Bedingun- gen, die für das Land Schleswig-Holstein nicht Deswegen gibt es aus unserer Sicht auch keinen tragbar sind. Ich möchte persönlich nicht in Ihrer Grund, den Haftungsverbund auch nur stückweise Haut stecken. aufzulösen. (Beifall PIRATEN, CDU und FDP) Kommen wir zur Sichtweise der Sparkassen im Land. Die Sparkassen im Land brauchen dringend Kapital. Im Raum stehen Summen bis zu 500 Mil- Vizepräsident Bernd Heinemann: lionen €. Für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abge- Im letzten Monat haben wir über das Sparkassenge- ordnete Lars Harms das Wort. setz gesprochen. Im Eilverfahren wurde eine Betei- ligung der Haspa unterbunden. Wenn die Sparkas- Lars Harms [SSW]: sen das Kapital nicht von der Haspa bekommen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und können, müssen sie es sich woanders herholen. Herren! Ich nehme die FDP-Anträge immer sehr (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) ernst. Von der Regierung war gewollt, dass sie sich dieses (Wolfgang Kubicki [FDP]: Welcher FDP- Kapital vom Deutschen Sparkassen- und Girover- Antrag?) band holen. So sagte Herr Breitner in der letzten - Ja, CDU, Entschuldigung, auch die nehme ich Plenartagung: ernst, selbstverständlich. Ich habe zu meiner Mitar- „Eine realistische Möglichkeit stellt dabei je- beiterin gesagt, such mir ein paar Fakten zu diesem doch lediglich der Sparkassen- und Girover- Artikel heraus. Daran ist meine Mitarbeiterin dann band Schleswig-Holstein dar. Nur er wird auch gescheitert. Denn es gibt keine Fakten zu die- tatsächlich willens sein, sich an unseren sem Artikel. Es ist schon eine kleine Sünde, dass Sparkassen zu beteiligen. Ich halte es für sehr wir hier im Parlament auf null Grundlage, auf Basis erwähnenswert, ihm diese vorübergehende eines Artikels in einer Zeitschrift, der durch nichts Möglichkeit der Beteiligung einzuräumen.“ bestätigt ist, eine Debatte führen müssen. Wir soll- ten uns wirklich überlegen, ob das noch adäquat für Nun, jetzt sind wir in einer schwierigen Situation. ein solches Landesparlament ist. So etwas passiert halt, wenn man Gesetze im Eil- verfahren und mit heißer Nadel strickt. (Beifall SSW und SPD) (Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU) Lieber Kollege Kubicki, was davon jetzt überbleibt, ist die althergebrachte Debatte, die wir wieder füh- Ich denke, es ist naiv zu glauben, dass der Sparkas- ren werden. Wir haben 14 Sparkassen, von denen sen- und Giroverband für seine Hilfe im Gegenzug sich drei Sparkassen in einer schwierigen Situati- keine Forderungen an die Sparkassen stellt. Im on befinden. Das ist auch nichts Neues. Wir wissen „Hamburger Abendblatt“ vom 17. Januar schließen auch, dass wir Schwierigkeiten haben werden, Ba- Sie, Herr Stegner, kategorisch aus, dass das Land sel III erfüllen zu können. Wir wissen auch, dass dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Hol- das eine Herausforderung ist. Wir wissen natürlich stein die schwer in die Bilanz schlagende 5-%-Be- auch, dass wir uns als Koalition gegen eine mögli- teiligung der krisengeschüttelten HSH Nordbank che Privatisierung gewandt haben und deswegen abnehmen könne. Sie sagen, es sei Januar und nicht das Sparkassengesetz geändert haben. Auch das ist Weihnachten. Sie haben anscheinend schon damals nichts Neues. Das ist alles alter Kaffee von vorges- gewusst, welche Forderungen der Deutsche Spar- tern. Nur aufgrund eines Antrags, der null Grundla- kassen- und Giroverband stellen wird. Mit dem ge hat! Sparkassengesetz hat die Regierung die Sparkas- sen Schleswig-Holstein tatsächlich zum Bittsteller Und da wir gerade dabei sind: Natürlich gibt es des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands ge- auch Lösungen. Denn ich kann dieses Gerede, dass macht. es keine Lösungen gibt, dass die Haspa die einzige 1540 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Lars Harms)

Lösung sei und man dafür jedes Risiko eingehen Vizepräsident Bernd Heinemann: müsse, nicht mehr hören. Wir haben mehrere Lö- Es gibt eine weitere Zwischenfrage des Kollegen sungen. Wir haben die Lösung, dass sich der Deut- Callsen. sche Sparkassen- und Giroverband beteiligt. Wir haben die Lösung, dass sich möglicherweise der Landesverband beteiligt. Wir haben die Möglich- Lars Harms [SSW]: keit der Lösung, dass sich öffentlich-rechtliche Dann habe ich mich falsch ausgedrückt. Es geht Sparkassen in Schleswig-Holstein aneinander betei- darum, dass es keine private Sparkasse ist. Es geht ligen. Es gibt die Möglichkeit, dass man das Gesetz darum, dass damit auch nicht präjudiziert ist, dass so fasst, dass sich Sparkassen aus anderen Bundes- wir, wenn sich die Haspa daran beteiligt, mögli- ländern an unseren Sparkassen beteiligen können. cherweise private Geldinstitute haben, die sich dort Es gibt die Möglichkeit eines stärkeren kommuna- einklagen können. Dieses Problem besteht da nicht. len Engagements. Und es gibt als sechsten Punkt die Möglichkeit von Sparkassenfusionen. Es gibt (Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS tierisch viele Möglichkeiten. Nichts ist ausge- 90/DIE GRÜNEN) schlossen. Deswegen denke ich, ist diese Debatte Das ist der Kern der Sache. Deswegen kann man hier beziehungsweise die Grundlage, auf der wir dieses prüfen, oder man kann es auch verwerfen, diese Debatte führen, nämlich der Antrag, eigent- wenn man meint, dass man es verwerfen sollte. lich total fehl am Platz. Aber erst einmal ist das die Lösung, die mir sinn- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) voller erscheint als das, was uns Ihre Koalition da- mals auf den Tisch gelegt hat. Vizepräsident Bernd Heinemann: Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Harms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki? Jetzt halten wir die Redezeit noch einmal an. - Er- lauben Sie eine weitere Zwischenfrage? Lars Harms [SSW]: Lars Harms [SSW]: Aber gerne. Ja, selbstverständlich. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Harms, habe ich das gerade richtig verstan- Johannes Callsen [CDU]: Herr Harms, den, dass sich, wenn sich der DSGV beteili- wenn ich es eben richtig verstanden habe, ha- gen dürfte, die Hamburgische Sparkasse, die ben Sie die Erwartung hinsichtlich eines hö- Mitglied im DSGV ist, darüber dann mit an heren kommunalen Engagements geäußert. unseren Sparkassen beteiligen dürfte? Habe ich Sie insofern richtig verstanden, dass Sie erwarten, dass die Gewährträger - Lieber Herr Kollege Kubicki, es kommt darauf an, noch stärker in die finanzielle Verantwortung welche Rechtsform der jeweilige hat, der sich betei- gehen? ligen will. Der Deutsche Sparkassen- und Girover- band hat eine gewisse Rechtsform, wo das eben - Lieber Kollege Callsen, ich erwarte gar nichts. Ich möglich ist. habe eben noch einmal deutlich gemacht, dass es neben der Haspa meines Erachtens noch minde- - Das ist ein eingetragener Verein. stens sechs weitere Möglichkeiten gibt, hier etwas - Sehen Sie, und dann ist das keine Problematik, zu machen. Eine Möglichkeit davon ist, dass sich dass er sich dann beteiligt. Egal, wer daran dann möglicherweise die Kommunen stärker an ihren wieder beteiligt ist. Sparkassen beteiligen. Ob sie das dann tun oder nicht, liegt selbstverständlich in der Hoheit der - Das ist eine private Einrichtung. Kommunen. Sie können das selber entscheiden. Da - Das ist egal, lieber Kollege Kubicki. Das ist so, würde ich niemals eingreifen, Herr Kollege Call- dass der Deutsche Sparkassen- und Giroverband sen. keine privatrechtliche Organisation ist und es keine Zu guter Letzt, meine Damen und Herren, wir ha- gerichtliche Institution gibt - - ben auch bei diesem Rede- und Antwortspiel fest- - Das ist ein e. V., ein eingetragener Verein. stellen können, dass es keine neuen Argumente gibt, dass es nichts Neues gibt. Das Einzige, das neu ist, ist, dass wir heute wieder hier diskutieren, Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1541

(Lars Harms) dass wieder gesagt wird, die Sparkassen sind in len. Es ist ein bisschen kurios, dass Sie unterstellen, Not, dass wieder gesagt wird, dass bis zu 14 Spar- dass es anders passiert ist. kassen irgendwann über die Wupper gehen, dass Das Zweite ist: Herr Kubicki, Sie haben gesagt, wir wieder die Sparkasse schlechtreden - nicht wir, wenn sich der DSGV an der Sparkasse beteiligt, das tun andere. dann dürfe er nicht mehr prüfen. Das mag so sein. Ich denke, das ist der Kardinalfehler. Wir dürfen Es wird aber sowieso überlegt, ob man das Prüfwe- die Sparkasse nicht schlechtreden, sondern wir ha- sen in Hinblick auf Bredstedt und andere Vorgänge ben uns daran zu beteiligen, in Gemeinschaft mit in der Weise optimiert, dass man sich mit anderen den Sparkassen für eine Lösung zu sorgen, die ih- Verbänden zusammentut, Prüfvorgänge in ander- nen weiterhilft. weitige Kooperation delegiert. Das wäre sogar schlau, insofern ist das kein Hinderungsgrund Einen ersten Schritt - und das muss man ehrlicher- mehr. weise sagen - ist der Schritt, den wir gemacht ha- ben. Dieser Schritt, sie vor einer möglichen Privati- Und was die Notausgänge angeht: Ich wollte Sie sierung zu bewahren, ist ein Schritt, der vom Spar- einmal erleben, was Sie gesagt hätten, wenn ich kassen- und Giroverband Schleswig-Holstein be- vorgeschlagen hätte, das Land übernimmt die An- grüßt wurde. teile. Sie wären uns mit Schuldenbremse und Ab- baupfad und sonstigen Argumenten gekommen, (Lachen FDP) von den europarechtlichen Dingen einmal ganz zu Er ist ein Schritt, der auch von den kommunalen schweigen - all das, was Sie sowieso immer tun. Landesverbänden begrüßt wurde. Deswegen sind das keine Notausgänge. (Beifall SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist Was die Hilfen des Landes angeht, war mein Hin- das!) weis auf Weihnachten nicht ganz unbegründet. Wir So ganz verkehrt, meine Damen und Herren, wer- erinnern uns ganz deutlich, dass sich Herr Carsten- den wir da wohl nicht gelegen haben. Wenn es den und Herr Kamischke so einen Notfonds ausge- dann darum geht, ein neues Gesetz zu schaffen, dacht haben, der nur bis Silvester gehalten hat, da werden wir das im Dialog genau mit diesen beiden er im Ergebnis nichts taugte. Das können wir in der auch wieder machen. Und wenn diese beiden dann Form gar nicht machen. Deswegen kommt es gar sagen, das ist ein toller Weg, den ihr da vorschlagt, nicht infrage. dann bin ich mir sicher, dass es ein Weg ist, der Zu Ihrem Vorwurf, dass wir die Entscheidung im rechtssicher ist. - Vielen Dank. Januar zu schnell getroffen hätten, will ich sagen: (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Wenn Hohenwestedt durch den Innenminister hätte GRÜNEN) genehmigt werden müssen, wozu es gekommen wä- re - denn er hätte das genehmigen müssen -, und je- mand irgendwann dagegen geklagt hätte, dann wäre Vizepräsident Bernd Heinemann: die Koalition hier dafür verantwortlich gewesen, Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. dass die Privatisierung des Sparkassenwesens in Als Erstes hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner Deutschland vorangebracht wird. Das wäre unsere von der SPD-Fraktion das Wort. Verantwortung gewesen, und Sie hätten sich auf die Schenkel geklopft. Das wollten wir vermeiden. Ei- Dr. Ralf Stegner [SPD]: ne solche Verantwortung wollen wir nicht überneh- men. Deshalb musste das im Januar sein. Dafür ha- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben wir auch die Zustimmung bekommen. Ich wollte auf ein paar der Argumente in der Debat- te eingehen. Fest steht, dass ein Teil der schleswig- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- holsteinischen Sparkassen Probleme hat, andere ha- NEN) ben es nicht. Der DSGV tut das, was er tun sollte, was auch seine Aufgabe ist. Ich finde die Vorstel- Vizepräsident Bernd Heinemann: lung schon ziemlich aberwitzig, wenn mir der Prä- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- sident des Deutschen Sparkassen- und Giroverban- ge des Herrn Abgeordneten Kubicki? des, der mir in einem persönlichen Gespräch gesagt hat, man werde die Probleme in der S-Gruppe selbst lösen, nicht gesagt hätte, er wolle solche Be- Dr. Ralf Stegner [SPD]: dingungen stellen, wie Sie sie permanent unterstel- Bitte. 1542 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Dr. Ralf Stegner)

Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege das Vergnügen, Ihren klugen Fragen im Ausschuss Dr. Stegner, es kann sein, dass ich den Arti- lauschen zu dürfen. kel falsch verstanden habe, aber wenn ich - Darf ich die Frage noch zu Ende führen? den Artikel richtig verstanden habe, dann sollte die Übertragung der Anteile für 1 € ge- - Entschuldigung, sprechen Sie weiter. schehen. Sie sollte für das Land sozusagen kostenfrei sein. Die Sparkassen sollten dies Vizepräsident Bernd Heinemann: auf null abschreiben und dann kostenfrei übertragen; wahrscheinlich, weil man aus Sie waren noch nicht fertig? dem Haftungsrisiko herauskommen wollte, das die Sparkassen in irgendeiner Form noch Dr. Ralf Stegner [SPD]: tragen. Ich weiß es nicht, aber die Übertra- Ich dachte, Sie wären schneller. gung sollte für 1 € geschehen. Wie dies die Schuldenbremse tangieren kann, ist mir nicht Vizepräsident Bernd Heinemann: ganz klar. Sie dürfen die Frage gern zu Ende ausführen, wenn - Ich muss Ihnen ehrlich sagen, mir ist nicht ersicht- der Herr Abgeordnete das zulässt. lich, wie man sich sein Urteil auf der Basis von Mutmaßungen von Journalisten bilden soll. Tobias Koch [CDU]: Am Ende der Frage steht das Fragezeichen, danach kommt die (Beifall SSW) Antwort. Ich habe mich ausschließlich zu der Frage geäußert, ob wir willens seien, Anteile zu übernehmen. Dazu Vizepräsident Bernd Heinemann: kann ich nur sagen: Das sind wir nicht, weil es nicht vernünftig ist. Das ist weder der Kurs des Das könnte auch eine Anmerkung sein, Herr Abge- Landes Schleswig-Holstein noch der Kurs von ordneter. Hamburg. Nebenbei bemerkt leisten das Schlecht- Tobias Koch [CDU]: Also noch einmal: Auf reden und die Behauptung, man schreibe das auf meine Nachfrage hin hatte der Minister im null ab, ebenfalls keinen Beitrag zu einem pflegli- Ausschuss erklärt, dass eine Genehmigung chen Umgang mit unserem Eigentum, wenn ich das des Vertrags frühestens in acht Wochen zu einmal so sagen darf. Auch das möchte ich gern erwarten wäre, und zwar vom Zeitpunkt der hervorheben. Anhörung im Ausschuss ausgehend. Von da an würde es noch acht Wochen dauern. Ich Vizepräsident Bernd Heinemann: frage Sie: Das soll der Grund für das Eilver- fahren im Januar gewesen sein? - Der Grund Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn war, dass Sie die Sorge hatten, dass Ihr Mini- Abgeordneten Tobias Koch? ster schneller mit einer Genehmigung Tatsa- chen schaffen und Ihrem Gesetzgebungsver- Dr. Ralf Stegner [SPD]: fahren zuvorkommen würde. Bitte sehr. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Tobias Koch [CDU]: Herr Kollege Dr. Steg- ner, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Entschuldigen Sie, der Innenminister ist Verfas- Notwendigkeit für die schnellen Beratungen sungsminister und an Recht und Gesetz gebunden, im Januar die drohende Genehmigung des das ist Punkt eins. Antrags der Sparkasse Hohenwestedt gewe- (Beifall Hans-Jörn Arp [CDU]) sen sei. Der Minister hat im Ausschuss er- klärt: Die Bearbeitung dieses Antrags hätte Punkt zwei: Ich kenne den Innenminister schon ein noch ungefähr weitere acht Wochen gedau- paar Jahre. Er ist durchaus in der Lage, auf Ihre ert. subtilen Fragetechniken antworten zu können. Wenn ich seine Ausführungen richtig nachgelesen (Zurufe von der SPD: Insgesamt!) habe, die sich mit dem decken, was er mir selbst - Sehr geehrter Herr Kollege Koch, ich habe das dazu gesagt hat, dann kam der Antrag aus Hohen- Ausschussprotokoll gelesen. Ich hatte leider nicht westedt Mitte Dezember. Wenn man acht Wochen hinzuzählt, dann hätte der Zeitpunkt vor dieser Ta- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1543

(Dr. Ralf Stegner) gung gelegen, Herr Kollege Koch. Ich sage: Für Wolfgang Kubicki [FDP]: Davon gehe ich den Fall einer solchen Genehmigung und des Be- aus, Herr Dr. Stegner, ich kenne mich ja. Ich klagens eines privaten Wettbewerbers aufgrund von möchte anmerken oder fragen, ob Ihnen be- Wettbewerbsnachteilen wären wir bei dem bekann- kannt ist, dass Basel III gar nichts mit euro- ten Wettbewerbsfundamentalismus, den wir gele- päischen Regelungen zu tun hat, sondern gentlich in Urteilen erleben, als Koalition am Ende dass der Baseler Ausschuss eine Zusammen- diejenigen gewesen, die dafür verantwortlich gewe- fügung von europäischen und amerikani- sen wären. Sie hätten sich gefreut, Herr Kubicki schen Zahlungssystemen, Notenbanken und vornweg. Alle anderen hätten sich auch gefreut. anderen Banken ist, um herauszufinden, wie Entschuldigung, diese Freude wollten wir Ihnen der internationale Standard für die Eigenka- nicht bereiten. pitalausstattung von Banken verbessert wer- den kann, und zwar im Rahmen von G 20, (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie verantworten damit Finanzkrisen wie in den Jahren demnächst, was hier passiert!) 2007/2008 nicht wieder entstehen können. Hinzu kam, dass uns die Sparkassen selbst sowie - Ich finde es ganz wunderbar, dass Sie uns noch die kommunalen Landesverbände und der Sparkas- einmal erläutert haben, dass Sie den Sachverhalt sen- und Giroverband und der Bundessparkassen- kennen. Ihre Frage deutet darauf hin, dass ich mit und Giroverband dafür gelobt und uns geradezu ge- meinem Hinweis recht hatte. Wenn das nicht nur beten haben, das so zu machen. Das haben wir ge- europäische, sondern weltweite Regelungen sind, macht. Darüber können Sie nicht wegreden, das die mit Blick auf weltweite Verwerfungen im Rah- bleibt Fakt. men der Finanzkrise getroffen werden, dann muss (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erst recht bezweifelt werden, dass die Passgenauig- NEN) keit auf kleine und regionale Sparkassen und Ge- Ich wollte noch einen letzten Punkt ansprechen, da nossenschaftsbanken gegeben ist. Das ist sie meines wir hier von europäischen Regelungen im Kontext Erachtens nicht. Man muss eher sagen: Einige der mit Basel III reden: Ich sehe ein Problem darin, Dinge, die uns Großbanken eingebrockt haben, dass wir europäische Regelungen haben, die ei- müssen andere mit zum Teil sehr schwierigen Vor- gentlich für Großbanken gedacht sind und eben gaben auslöffeln. Die kleinen Sparkassen in Schles- nicht für Sparkassen und Genossenschaftsbanken, wig-Holstein, denen es eigentlich gut geht, haben weil sie in Teilen wirklich Probleme auslösen. Ich Schwierigkeiten, bestimmte Anforderungen zu er- habe darüber mit dem zuständigen Bundesfinanz- füllen. minister gesprochen. Das sieht die Bundesregierung Wir wissen, dass das deutsche dreigliedrige Ban- im Grunde nicht anders, denn diejenigen, die das kensystem nicht nur in Ihrer Partei, sondern auch dreigliedrige Bankensystem eigentlich nicht wollen, in Europa und in der Welt teilweise wenig Freunde entwerfen in Antwort auf die Finanzkrise auch Re- hat, weil Großbanken sich etwas anderes vorstellen gelungen, die für kleine Sparkassen und für Genos- und diese lästigen Wettbewerber loswerden wollen. senschaftsbanken gar nicht passend sind und denen Das ist ein Teil des Problems. Deshalb glaube ich, Probleme bereiten, die diese gar nicht ausgelöst ha- dass internationale Regelungen auch auf ihre Pass- ben. Auch das ist ein Punkt, um den man sich in der genauigkeit hin überprüft werden müssen. Ich er- europäischen Politik kümmern muss, auch wenn ich warte von der nächsten Bundesregierung - diese weiß, dass das ein großes Rad ist, an dem gedreht wird es wohl nicht mehr tun -, dass sie sich solcher werden muss. Fragestellungen annimmt.

Vizepräsident Bernd Heinemann: Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Dr. Stegner, Ihre Redezeit ist Herr Abgeordneter Dr. Stegner, Ihre Antworten lö- abgelaufen. Wenn Sie möchten, können Sie aber ei- sen neue Fragen aus. ne Frage beantworten oder sich eine Anmerkung (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nur eine einzige des Abgeordneten Kubicki anhören. Frage!) Dr. Ralf Stegner [SPD]: - Erlauben Sie eine weitere Frage des Herrn Abge- ordneten Kubicki? Vielleicht krönt das den Tag, also bitte. 1544 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Dr. Ralf Stegner [SPD]: Millionenhöhe wieder einbringt. Zu glauben, dass die bundesweiten Sparkassen einen dreistelligen Ich sehe, dass wir die Geduld der Kollegen strapa- Millionenbetrag nach Schleswig-Holstein überwei- zieren. Eine Frage will ich aber noch zulassen. sen, ohne dafür eine einzige Bedingung oder Aufla- Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich halte das ge zu stellen; wie blauäugig und naiv kann man nur nicht nur aus schleswig-holsteinischer Sicht, sein! sondern aus weltweiter Sicht für wichtig: Ha- All das hätten wir erst einmal im Rahmen von nor- be ich Sie so verstanden, dass ich die Sozial- malen Gesetzesberatungen erörtern müssen. Dafür demokratie in Schleswig-Holstein insofern reicht es nicht, am Rande von Anne Will ein kurzes an meiner Seite finde, dass wir uns daranma- Gespräch mit Georg Fahrenschon zu führen. chen müssen, aus Deutschland heraus die Re- gelungen von Basel III zu verändern? (Martin Habersaat [SPD]: Was geht Sie der Rand von Anne Will an? - Heiterkeit SPD - Ich muss sagen, ich bin etwas bescheiden. Was Ih- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren Einfluss auf die Weltpolitik angeht, so kann man den natürlich nicht überschätzen. Ich selbst Bei Herrn Dr. Stegner war offensichtlich die Angst würde mir aber nicht zumessen wollen, dass das, vor der großen Privatisierungschimäre so groß, dass was wir hier tun, einen Einfluss auf die Weltpolitik der Blick vernebelt war. Daher kommt wohl der hat. Ich würde mir aber wünschen, dass die Bun- Name Küstennebelkoalition. desregierung in dem Sinne tätig wird, dass sie das (Zurufe SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dreigliedrige Bankensystem, das sich in Deutsch- und SSW) land sehr bewährt hat, in der Weise verteidigt, dass sie bei solchen Verhandlungen Regelungen aushan- Er hätte stattdessen sorgfältig die Konsequenzen delt, die passgenau sind und nicht nur für Großban- abwägen müssen. Statt ein normales Gesetzge- ken anwendbar sind. Wenn Sie aber Ihren großarti- bungsverfahren durchlaufen zu lassen, galt Ihnen gen Einfluss in der FDP, von dem wir jeden Tag im Schnelligkeit vor Sorgfalt. Das schadet unserem Fernsehen hören und sehen, so anwenden können, Land. Das müssen die Sparkassen jetzt ausbügeln, dass Ihr Bundesaußenminister das sogar noch vor weil Ihnen keine Alternativen bleiben. Niemand in der Bundestagswahl durchsetzt, dann ziehe ich mei- diesem Haus hat gesagt, dass die Hamburger Spar- nen Hut. kasse die einzig seligmachende Alternative gewe- sen wäre. Wir haben bereits im Dezember eine Ge- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und setzesänderung eingebracht, die das beinhaltet, was SSW) der Minister vorhin hier präsentiert hat, nämlich ei- ne Beteiligungsmöglichkeit des Verbandes selbst. Vizepräsident Bernd Heinemann: Alternativen zu streichen, ohne die Konsequenzen Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Tobi- der anderen Alternativen zu kennen, war fahrlässig, as Koch das Wort zu einem weiteren Dreiminuten- und das haben Sie zu verantworten. beitrag. Vizepräsident Bernd Heinemann: Tobias Koch [CDU]: Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schlie- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und ße die Beratung. Ich stelle fest, dass der Berichtsan- Herren! Der heimliche Ministerpräsident unseres trag Drucksache 18/542 durch die Berichterstattung Landes hat mit dem Deutschen Sparkassen- und der Landesregierung seine Erledigung gefunden Giroverband gesprochen. Er hat von Herrn Fah- hat. Es ist kein Antrag gestellt, der Tagesordnungs- renschon die Zusage bekommen: Das regeln wir im punkt ist erledigt. Verband. Von Bedingungen ist Herrn Dr. Stegner Durch Protokoll ist festgestellt worden, dass ich nichts bekannt. Er geht auch davon aus: Bedingun- den Änderungsantrag der Fraktion der CDU zum gen gehören nicht zum Geschäftsgebaren der öf- Tagesordnungspunkt 19 nicht auch habe überwei- fentlich-rechtlichen Sparkassen. sen lassen. Ich wiederhole deshalb die Abstimmung Pech ist nur, dass es beim Stützungsfall der Nord- und rufe den Tagesordnungspunkt 19 erneut auf: Ostsee-Sparkasse bereits genau solche Bedingun- gen gegeben hat. Damals war die Auflage und Be- Familienpolitische Leistungen reformieren! dingung des DSGV, dass die Stadt Flensburg als Träger zunächst einmal ihr Kapital in zweistelliger Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1545

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE Am 7. Dezember besuchte eine Abordnung die Ju- GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW stizvollzugsanstalt Lübeck und führte Gespräche Drucksache 18/495 mit der Anstaltsleitung, dem Personalrat, der Schwerbehindertenvertretung und der Gefangenen- mitverantwortung durch. Ergebnisse der Gesamtevaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen zur Entwicklung Im vergangenen Quartal hat sich der Ausschuss mit von politischen Handlungsempfehlungen nutzen! mehreren Petitionen aus dem Bereich Kinderbe- treuung beschäftigt. Da der Ausschuss hier eine Änderungsantrag der Fraktion der CDU grundsätzliche Problematik erkennt, wird er sich Drucksache 18/551 auf dem Wege der Selbstbefassung mit dem Wunsch und Wahlrecht der Eltern von unter drei- Wer auch den Änderungsantrag der CDU an den jährigen Kindern und dem Kostenausgleich in Ausschuss überweisen will, den bitte ich jetzt um § 25 a Kindertagesstättengesetz auseinandersetzen. das Handzeichen. - Das ist einstimmig. Dann ver- fahren wir so. Im vierten Quartal 2012 hat sich der Petitionsaus- schuss mit Themen wie der Problematik von an Ich rufe zum Ende dieser Tagung Tagesordnungs- Google gerichteten Löschersuchen, der Befreiung punkt 37 auf: des SSW von der Fünfprozenthürde, der Neugliede- rung der Bundesländer oder den Ausbauplänen von Tätigkeit des Petitionsausschusses in der Zeit Marina Wendtorf befasst. vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 Ende des letzten Jahres gelangte eine problemati- Bericht des Petitionsausschusses sche Personalsituation in der Justizvollzugsanstalt Drucksache 18/485 Lübeck, deren Entwicklung und Folge seit Länge- rem im Petitionsausschuss erörtert werden, in den Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der Petiti- Blick der Öffentlichkeit. onsausschusses, dem Herrn Abgeordneten Uli Kö- Wie Sie sehen, spiegelt die Arbeit des Petitionsaus- nig. schusses auch immer die aktuelle Entwicklung wi- der. Uli König [PIRATEN]: An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Ihnen eine kurze Bilanz für das Jahr 2012 zu ge- und Herren! Ich bitte Sie trotz der fortgeschrittenen ben. Im Jahr 2012 sind 476 neue Petitionen einge- Stunde noch kurz um Ihre Aufmerksamkeit. gangen, 336 Petitionen wurden vom Petitionsaus- Der Petitionsausschuss des Schleswig-Holsteini- schuss abschließend behandelt. 77 Petitionsverfah- schen Landtags hat im Zeitraum vom 1. Oktober ren konnten dabei im Sinne des Petenten abge- 2012 bis 31. Dezember 2012 128 neue Petitionen schlossen werden, 66 Fälle sind zumindest ein Tei- erhalten und drei Selbstbefassungsverfahren einge- lerfolg der Petenten. leitet. Diese über 40 % positiv abgeschlossenen Verfahren In drei Sitzungen hat sich der Ausschuss mit diesen sind für den Petitionsausschuss Motivation und An- und mit den aus den vorherigen Quartalen noch an- sporn, auch in diesem Jahr wieder gute Ergebnisse hängigen Verfahren befasst. 77 Petitionen sind ab- zu erzielen. schließend behandelt worden, davon 36,4 % im (Beifall) Sinne beziehungsweise teilweise im Sinne der Pe- tentinnen oder der Petenten. 61 % der Petenten Ich bin fast fertig. Wir kommen aber noch zu mei- konnte aus unterschiedlichen Gründen nicht zum nem Lieblingspunkt. Wir werden zum 1. März das Erfolg verholfen werden. Zwei Petitionen haben öffentliche Petitionsportal freischalten, sich im Laufe des Verfahrens durch Zurückziehen (Beifall PIRATEN und SSW) seitens des Petenten anderweitig erledigt. über das man öffentliche Petitionen einreichen und Darüber hinaus hat der Ausschuss eine Anhörung auch mitzeichnen kann. Aktuell kann man eine Pe- des Direktors des Schleswig-Holsteinischen Land- tition auf allen möglichen Wegen einreichen, vor- tags durchgeführt. zugsweise auf Papier oder über die Website. Aber niemand sieht diese Petition, und niemand kann sa- 1546 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

(Uli König) gen: „Ja, ich finde diese Petition gut und unterstütze Vizepräsident Bernd Heinemann: sie.“ Das wird dann ab dem 1. März möglich sein. Vielen Dank für Ihren Bericht. Ich danke dem Be- Der Ablauf ist folgender: Man reicht die Petition richterstatter ganz herzlich. Wortmeldungen zum auf der Website ein, sie wird kurz vom Petitions- Bericht sehe ich nicht. Eine Aussprache ist nicht ausschussbüro auf grundlegende Fragen geprüft, vorgesehen. zum Beispiel ob das Thema menschenverachtend Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Bericht Druck- ist oder ob da nicht ganz grober Unfug drin steht sache 18/485 zur Kenntnis zu nehmen und die Erle- und so weiter und so fort. digung der Petitionen zu bestätigen. Wer der Aus- Danach wird die Petition dann online gestellt, und schussempfehlung folgen und so beschließen will, die Bürgerinnen und Bürger haben sechs Wochen den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Zeit, dafür mitzuzeichnen. Enthaltungen? - Dann ist das so beschlossen. Ab einer Schwelle von 2.000 Mitzeichnungen hat Meine Damen und Herren, ich unterbreche die der Petent die Möglichkeit, vor Ort angehört zu Plenartagung bis morgen früh, 10 Uhr, wünsche al- werden. Aufgrund der Schleswig-Holsteinischen len einen angenehmen Abend, gute Veranstaltun- Verfassung ist es leider nicht möglich, eine öffentli- gen und eine angenehme Nachtruhe. Tschüss, bis che Ausschusssitzung zu machen. Aber darüber morgen. können wir in der Verfassungskommission ja noch Die Sitzung ist geschlossen. einmal reden. (Beifall PIRATEN) Schluss: 18:27 Uhr Hiermit komme ich zum Ende meines Berichts und bitte Sie, die Erledigung der Petitionen aus dem vierten Quartal 2012 zu bestätigen. (Beifall)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenografischer Dienst Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1547

Anhang Reden zu Protokoll

Familienpolitische Leistungen reformieren! Wir müssen zudem berücksichtigen, dass von den 200 Milliarden € insgesamt allein 55,4 Milliarden € Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE als familienbezogene Leistungen im engeren Sinne GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW bezeichnet werden können. Hier gibt es die größte Drucksache 18/495 Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, wie zum Bei- spiel das Kindergeld mit rund 19,3 Milliarden € oder das Elterngeld mit ungefähr 4,6 Milliarden €. Ergebnisse der Gesamtevaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen zur Entwicklung Kein Bestandteil dieser erwarteten Bewertung ist von politischen Handlungsempfehlungen nutzen! das Betreuungsgeld, obwohl Sie genau über diese künftige familienpolitische Leistung das lauteste Änderungsantrag der Fraktion der CDU und das meiste Getöse veranstalten. Drucksache 18/551 Wir, als Union in Schleswig-Holstein, bekennen uns ja freimütig dazu, dass wir uns lieber anstatt ei- Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: ner Barauszahlung von 100 € beziehungsweise ab Meine Damen und Herren! Sie fordern in Ihrem 2014 150 € etwas anderes gewünscht hätten, näm- Antrag die Landesregierung auf, die bundespoliti- lich eine direkte und zweckgebundene Verwendung schen Aktivitäten zu stärken, alle direkten und alle für die Altersversorgung oder Weiterbildung der je- indirekten Kinder- und Familienleistungen zu refor- weils erziehenden Eltern von Kindern im Alter von mieren. Das hört sich für uns so an, als würden Sie 1 und 2 Jahren. alle diese Leistungen in einer Gesamthöhe von rund Nun, wir alle wissen, wie diese Verhandlungen aus- 200 Milliarden € für grob verschwenderisch und für gegangen sind. unnütz halten. Trotzdem können und dürfen wir bei der beschlos- Nun ist es bereits seit Langem von der christlich-li- senen Kompromisslösung zum Betreuungsgeld auf beralen Bundesregierung beschlossen, eine Gesam- keinen Fall von einem familienpolitischen Super- tevaluation der ehe- und familienpolitischen Leis- GAU sprechen. Sie tun ja gerade so, als sei jede tungen auf den Weg zu bringen. In diesem For- Frau oder jeder Mann, die oder der sich in den al- schungsobjekt beschäftigt man sich zurzeit immer lerersten Lebensjahren ihres oder seines Kindes um noch intensiv mit dem Erreichen der familienpoliti- dessen Erziehung kümmert, ein Dummchen am schen Ziele aus dem 7. Familienbericht der Bundes- Herd und zudem ein Erziehungsversager. Sie diffa- republik aus dem Jahr 2006; mit Zielen wie die mieren das Betreuungsgeld zur Bildungsfernhalte- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Wahlfrei- prämie, und das ist einfach nur frech und unerhört. heit, der guten und gedeihlichen Entwicklung von Kindern sowie mit Zielen, die zur wirtschaftlichen Wir wollen, dass sich die Familien entscheiden dür- Stabilität und zum Nachteilsausgleich und zur Er- fen, wir wollen wirkliche Wahlfreiheit für die El- füllung von Kinderwünschen beitragen. Zudem tern. wird das ganze Spektrum der ehe- und familienbe- Meine Damen und Herren, ich finde, dass wir zur zogenen Maßnahmen, also die statischen Maßnah- Sachlichkeit zurückkehren müssen und uns darum men und monetären Leistungen im Bereich der So- zu kümmern haben, was für die Unterstützung der zialversicherung und der Realtransfers, wie zum Familien am geeignetsten ist. Die klassische Fami- Beispiel die Bereitstellung von Kinderbetreuung, lie darf nicht zum Kostenfaktor degradiert werden. mit einbezogen. Familien brauchen für ihre unterschiedlichen Le- Wesentliche Ergebnisse dieser Studie und politi- bensentwürfe unterschiedliche Leistungen, und ge- sche Handlungsempfehlungen werden erst im Früh- nau um diese müssen wir uns kümmern. sommer 2013 erwartet. Wir finden es immer noch richtig, dass der Staat die Diese Analyse ist wichtig und notwendig und sie ist Ehe unterstützt. Genauso sollte aber auch der Staat erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik unverheiratete Paare mit Kindern unterstützen, und Deutschland von einer Bundesregierung auf den genau deswegen sind wir dafür, dass das Ehegatten- Weg gebracht worden. Wohl bemerkt von der Uni- splitting stufenweise zu einem Familiensplitting on und der FDP. weiterzuentwickeln. Hierzu müssen wir uns alle 1548 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

Gedanken machen - und zwar dann, wenn wir die Die meisten Organisationen, die sich um Kinder Ergebnisse der Studie vorliegen haben. - Herzlichen kümmern, fordern dies aus gutem Grund schon lan- Dank. ge: Eine Kindergrundsicherung würde bei hohem Einkommen dazu führen, dass nur noch dieser Be- Dr. Gitta Trauernicht [SPD]: trag steuerlich abgezogen und bei den geringen Ein- kommen voll ausgezahlt wird. Das ist gerecht und Meine Damen und Herren! Kaum ein Land in Euro- bekämpft Kinderarmut, wie uns das skandinavische pa gibt so viel Geld für familienpolitische Leistun- Länder vormachen. Es geht nicht ohne existenzsi- gen aus wie Deutschland. Dennoch gibt es Unzu- chernde Arbeitslöhne und nicht ohne eine an der friedenheit und Ungerechtigkeit; die Geburtenrate Grundsicherung orientierte staatliche Transferpoli- sinkt, der Ausbau der kinder- und familienfreundli- tik. Hier muss Deutschland effizienter und humaner chen Infrastruktur kommt nur schleppend voran werden. Es ist klar: Die Einführung der Kinder- und die Kinderarmut ist auf unerträglich hohem Ni- grundsicherung ist finanziell nur realistisch, wenn veau. Es gibt politischen Umsteuerungsbedarf - und familienpolitische Leistungen konzentriert werden. zwar nicht zu knapp! Das ist längst klar und bedarf Die Bundesregierung macht seit Jahren das Gegen- nicht einmal mehr der Vorlage der Expertenstudie teil. Das Betreuungsgeld ist das letzte unsägliche des Bundesfamilienministeriums. Beispiel. Aus Wissenschaft und Praxis, von Kirchen oder aus Das Credo moderner Familienpolitik ist ein ausge- der Wirtschaft, ja von allen Seiten kommt die For- wogenes Verhältnis zwischen ökonomischer Exi- derung: Wagt endlich eine Modernisierung der fa- stenzsicherung für Kinder, guter Bildungsinfra- milienpolitischen Leistungen. struktur und partnerschaftlich geteilter Zeit für Kin- Wir brauchen in Deutschland kein Ehegattensplit- der! ting, weil dies eine Privilegierung eines überholten Ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik ist Familienmodells ist. Das Ehegattensplitting ist ein notwendig; dieser erfordert Kraft, Überzeugung Relikt aus vergangenen Zeiten, ein Stolperstein für und Mut. Aufbruchsstimmung muss erzeugt wer- die Gleichstellung von Frauen und ein Hemmschuh den. Nichts davon ist bei der Bundesregierung er- für wirtschaftliche Entwicklung. Es missachtet die kennbar. Im Gegenteil: Streit um das unsägliche heutige Vielfalt und Lebenssituation von Familien. Betreuungsgeld innerhalb der Bundesregierung und Es hat keinerlei positive Anreizwirkung. Das Ehe- den sie tragenden Parteien, Streit zwischen Bund gattensplitting ist teuer und ungerecht. und Ländern über das Geld für das bürokratische So kann es nicht weitergehen! Wir brauchen auch Teilhabegesetz und Streit zwischen der alten und kein Familiensplitting. Das klingt zwar gut, ver- der neuen Bundesfamilienministerin über alles und schärft die soziale Spaltung und die zentralen Pro- jedes. bleme des Ehegattensplittings und wäre ein teures Liebe Ministerin Ahlheit, mit dem vorliegenden Steuergeschenk für finanziell gut situierte Eltern. Antrag bitten wir Sie, den notwendigen Um- Das sieht sogar Finanzminister Schäuble so; schon schwung in der Familienpolitik auf Bundesebene zu deshalb werden wir den Änderungsantrag der CDU befördern. Von den regierungstragenden Fraktionen ablehnen. im Landtag bekommen Sie dazu ordentlichen Längst gibt es ein breites gesellschaftliches Bünd- Rückenwind. nis für eine Individualbesteuerung mit gegenseitiger Unterhaltsverpflichtung für verheiratete und nicht Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verheiratete Eltern. Meine Damen und Herren! In einigen Dingen sind Wir brauchen kein Kindergeldsystem, das die Sche- wir uns einig, in vielen nicht. Worin wir uns nicht re zwischen Arm und Reich verschärft, keinen Kin- einig sind, ist die konkrete Ausgestaltung der Fami- derzuschuss, der arme Familien nicht erreicht, kein lienförderung. Es geht schon los bei der Frage, was Betreuungsgeld, das Kinder aus Bildungseinrich- oder wer Familie ist: Ehepaare mit Kindern? Ehe- tungen fernhält, kein bürokratisches Teilhabepaket paare ohne Kinder? Alleinerziehende? Eltern und für arme Kinder und anderes mehr. ihre Kinder ohne Trauschein? Paare ohne Trau- Wir brauchen ein überzeugendes Gesamtkonzept schein? Paare gleichen Geschlechts? Die Antworten aus guter Infrastruktur für Bildung, Erziehung und fallen je nach Parteizugehörigkeit sehr unterschied- Betreuung und eine überzeugende, eine gerechte lich aus. Kindergrundsicherung. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1549

Wir Grüne sehen das so: Familie ist da, wo Men- fassungswidrig ist. Und ich wiederhole es noch ein- schen dauerhaft und verbindlich Verantwortung mal: Damit sind 80 Millionen € für den Ausbau von füreinander übernehmen. Daran sollte sich auch ei- Krippen und Kitas in Schleswig-Holstein in den ne moderne und gerechte Familienförderung orien- Wind geschrieben worden. tieren. Lassen Sie uns nach vorn schauen. Lassen Sie uns Die Familienförderung in Deutschland ist historisch die Streitereien beenden und uns konkret den gewachsen. Sie ist durch das kleinbürgerliche Ideal Schlüsselfragen zuwenden: der Alleinverdienerehe geprägt: „Vattern verdient Wie kann es besser gehen? Wovon profitieren Fa- das Geld, Muttern kümmert sich zu Hause um die milien wirklich? Kinderschar“. Das mag vielleicht vor 100 oder mehr Jahren nachvollziehbar gewesen sein. Heute Erstens. Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert ist es das nicht mehr. Aber das einseitige und starre sein. Unabhängig davon, in welcher Familie es auf- Familienbild prägt die deutsche Familienförderung wächst. Unabhängig davon, ob arm oder reich, ob immer noch. Daran haben auch diverse Reformen seine Eltern verheiratet sind oder nicht. Deshalb nur wenig geändert. wollen wir eine Kindergrundsicherung. Das Ehegattensplitting bevorteilt die Alleinverdie- Zweitens. Kinder brauchen Geborgenheit, soziale nerehe - unabhängig davon, ob darin Kinder leben Kontakte und altersangepasste Bildung. Diese ver- oder nicht. Das System aus Kindergeld und Kinder- antwortungsvolle Aufgabe können Familien, Kita freibetrag benachteiligt Familien mit geringem Ein- und Schule nur gemeinsam bewältigen. Deshalb kommen. Besserverdienende profitieren. Das ist un- müssen wir das Angebot an Kinderbetreuung weiter gerecht, und das wollen wir ändern. Kinderbetreu- verbessern. Wir brauchen insgesamt mehr Angebo- ung ist teuer und das System der Gebührenbefrei- te - insbesondere für Kinder unter drei. Wir brau- ung regional extrem unterschiedlich. Wer viel be- chen flexiblere Betreuungszeiten, ganztägig und in zahlen kann, erhält mehr Betreuung und bessere den Ferien. Wir brauchen gut ausgebildete Fach- Qualität. Die Angebote sind in allen Altersgruppen kräfte, denn Erziehung ist eine anspruchsvolle und weder quantitativ noch qualitativ ausreichend. Gut verantwortungsvolle Aufgabe. ausgebildete und qualifizierte Frauen „versauern zu Drittens. Alle Familien müssen uns gleich viel wert Hause“, während Arbeitgeber händeringend nach sein. Deswegen wollen wir das Ehegattensplitting Fachkräften suchen. Teilzeitarbeit ist Frauensache, abschaffen - es ist ein alter Zopf, der nicht mehr in geringfügige Arbeitsverhältnisse auch. Führungspo- die Zeit passt. sitionen bleiben fest in Männerhand. Die Armuts- quote steigt und - wen wundert’s? -: Armut betrifft Ich finde unsere Argumente sind überzeugend. in erster Linie Kinder und Frauen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Bekennen Sie sich zu einer modernen Familienförderung, die ih- Soweit - so schlecht. Das ist die Situation von Fa- ren Namen verdient. Helfen Sie mit, dass die Fami- milien in Deutschland - trotz der staatlichen Famili- lie die Keimzelle unserer Gesellschaft bleibt. enförderung. Was kürzlich über ein Gutachten des Bundesfamilienministeriums durchsickerte, ist nicht neu. Die Ergebnisse wiederholen lediglich, Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- was internationale Studien schon längst erkannt ha- heit, Familie und Gleichstellung: ben. Das deutsche System der Familienförderung Sehr geehrtes Präsidium! Verehrte Damen und Her- ist teuer, unübersichtlich und ineffektiv! Und es ren Abgeordnete! Nach Auffassung der Landesre- muss endlich erneuert werden. gierung gibt es bundesweit Einvernehmen zumin- Aber was macht die CDU? Was macht die Bundes- dest darüber, dass die Wirkung, familienpolitische regierung? Sie beschließt das Betreuungsgeld. Zu- Leistungen auf den Prüfstand gehört. Das ist grund- rück in die Sechziger, da gab es noch Schwarz- sätzlich positiv. Weiß-Filme. Anstatt für mehr und bessere Kinder- Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob Schwarz- betreuung zu sorgen und Frauen den Weg in den Gelb in Berlin den Mut hat, die neue umfangreiche Arbeitsmarkt zu erleichtern, tut die Union genau Evaluation zu veröffentlichen. Schon der 7. Famili- das Gegenteil. Sie zahlt Familien Geld dafür, dass enbericht des Bundes hatte bereits 2006 festgestellt, die Kinder keine frühkindliche Bildung in An- dass Deutschland trotz hoher Ausgaben für die Fa- spruch nehmen. Sie zahlt Geld dafür, dass Mütter milienförderung mit gerade mal 1,34 Kindern pro nicht am Erwerbsleben teilnehmen. Verrückter geht Frau eine der niedrigsten Geburtenraten Europas es nicht - zumal das Betreuungsgeld auch noch ver- hat. Schon da wurde festgestellt: In Deutschland 1550 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013

werden Einzelmaßnahmen viel zu selten auf ihre der Kinderzuschlag mit dem Kindergeld zusam- Gesamteffekte überprüft. Schon damals gab es die mengeführt. Empfehlung, dass finanzielle Leistungen für Fami- Ein Umsteuern bei den familienpolitischen Leistun- lien nicht weiter in Einzelmaßnahmen zu zersplit- gen ist dringend erforderlich. Wir haben in tern. Und schon damals war das richtig. Deutschland - auch ohne das Betreuungsgeld - etwa Wer sich anschaut, was die Bürgerinnen und Bür- 150 ehe- oder familienbezogen Leistungen. Zwi- ger zum Beispiel über das Verhältnis von Betreu- schen diesen gibt es vielfältige, teils gewollte, teils ungsgeld und Investitionen in Bildung und Betreu- nicht beabsichtigte Wechselwirkungen und auch die ung denken, sieht: Die Menschen haben dazu eine Inkonsistenzen. Um diese beseitigen zu können, ist deutliche Meinung, und zwar für Bildung und Be- es notwendig, die familienbezogenen Transferleis- treuung. tungen ganzheitlich zu betrachten und ein auf Transparenz und soziale Ausgewogenheit ausge- Wir kommen angesichts endlicher Ressourcen auch richtetes Gesamtkonzept der Kinder- und Familien- nicht umhin zu diskutieren, was wie zu fördern ist. förderung zu entwickeln. Wir werden diese Diskus- Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie sion auch auf bundespolitischer Ebene im Sinne steht außer Frage. Warum er bedeuten soll, einseitig dieses Antrages unterstützen. zum Beispiel die Einverdienerehe vor moderneren Formen, wie Ehe und Familie gelebt wird, zu privi- Die Ergebnisse der Gesamtevaluation wollen und legieren, steht aber sehr wohl infrage. Das gilt auch werden wir auch auf landespolitischer Ebene disku- für ehebezogene Maßnahmen, die kinderlose Paare tieren und damit die politische Diskussion beför- gegenüber Alleinerziehenden mit Kindern oder ge- dern. genüber unverheirateten Eltern bevorzugen. Ob das dem Gebot, Familie zu schützen, heute noch ent- spricht, wage ich zu bezweifeln. Das ist eine Frage, über sich die unsere Gesellschaft verständigen muss. Das Ehegattensplitting bevorzugt und zementiert tradierte Rollen- und Geschlechtermuster. Es hemmt die Erwerbstätigkeit von Frauen und fördert damit die Gefahr weiblicher Altersarmut. Auch da kann man klar entscheiden: Will man das, oder will man das nicht? Ich kann Ihnen für diese Landesre- gierung sagen: Wir wollen das nicht. Über das Betreuungsgeld ist schon viel gesagt wor- den, nicht erst heute. Schleswig-Holstein hat sich im Bundesrat - leider vergeblich - gegen das Be- treuungsgeld ausgesprochen. Wir werden zukünfti- ge Initiativen gegen dieses unsinnige Gesetz im Bundesrat unterstützen. Es gibt aber noch weitere, auch schon länger beste- hende Baustellen: Das Kindergeld zum Beispiel führt zu einer Bevorzugung von besserverdienen- den Eltern und ist damit sozial ungerecht. Diese Feststellung hat nichts damit zu tun, die verfas- sungsrechtlich gebotene Freistellung des Kinderexi- stenzminimums infrage zu stellen. Deshalb liegen auch Konzepte vor, die verfassungsrechtliche Vor- gaben berücksichtigen und dabei für mehr Gerech- tigkeit sorgen. Mit einem gestaffelten Kindergeld zum Beispiel. Das würde heißen: Familien mit mitt- lerem und niedrigem Einkommen erhalten mehr. Bei Familien mit niedrigem Einkommen wird dazu