Das Vergessene Jubiläum Eine Glanzvolle Zukunft Vorsich
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WELTMUSIK W1SONNABEND/SONNTAG, 3./4. MAI 2008 TAZ THEMA, DIE VERLAGSBEILAGE DER TAGESZEITUNG, E-MAIL: [email protected], FAX: 030 -25 106 94 ls Madonnabeim „Live- Earth“-Spektakel im ver- taz Verlags- und Vertriebs GmbH gangenen Juli aufdie Kochstr. 18, 10969 Berlin Bühne des Wembley-Sta- A V.i.S.d.P.: Bascha Mika dions trat,hatte sie eine Überra- schung mitgebracht: Der ukrai- Redaktion: Daniel Bax nischstämmige GitarristEugene Hütz und ein bärtiger Geiger von der NewYorker „Gipsy-Punk“- Band GogolBordellokamen mit Auch im Radiound im Fernse- ihr,umihren Hit„La Isla Bonita“ hen siehtes, vonein paar Ni- in eine wilde Balkanserenade zu schen abgesehen, nichtviel bes- verwandeln. Es wareiner dieser ser aus. Das liegt nichtnur am Momente, die noch Wochen spä- Fremdeln mitallem Fremden. Es ter aufYouTube Furore machen liegt auch an der Segregationder und mithunderten vonKom- Szenen, die in Deutschland be- mentaren bedachtwerden. Er sonders ausgeprägt ist. Ein Festi- zeigte, dass Madonnadie Zei- valwie im dänischen Roskilde, chen der Zeitzulesen vermag. wie das Sziget in Budapestoder Denn Balkanmusik liegt derzeit praktischalleFestivals in Frank- fraglosimTrend. reich, wo Rockbands und Hip- Wenn jemand heute wissen hop-Acts einträchtig neben afri- will, wo er mehr Musik vonGogol kanischenMusikern, Balkan- Bordellound verwandten Kapel- Trompetern oder Salsabands lenfinden kann, brauchternur aufspielen, das gibt es hierzulan- in den nächsten Plattenladen zu de einfach nicht. gehen und in der Weltmusik-Ab- Doch allmählich kommtBe- teilung im Osteuropa-Regal zu wegung in die Fronten. Der stöbern: Dortwirderfündig. Das Trend zurVermischung lässtsich warnichtimmer so einfach. schließlich nichtmehr ignorie- Denn der Begriff wurdeerstvor ren, wenn sich britische Musiker rund zwanzig Jahren erfunden, wie DamonAlbarn oder Björk um Musikstilen ausaller Welt und US-Bands wie Vampire den Wegindie Plattenläden zu Weekend in Afrikanach Inspira- bahnen. Ausdiesem Grund tra- tion umsehen, eine Band wie Ca- fen sich 1987 in einem Pub in lexikomit Mariachi-Trompetern London eine Handvoll Konzert- antrittoder sich ein Indie-Held veranstalter,Musikjournalisten wie Beirutaus Balkan-Traditio- und Labelchefs: Sie suchten ei- nals bedient. Oder eben Madon- nen Begriff, der es ihnen erleich- na den Zigeunertanz übt. tern sollte, so unterschiedliche Klar,das hatmit der Globali- Dinge wie bulgarische Frauen- sierungzutun. Als Paul Simon in chöre, Soukous-Musik ausdem den Achtzigerjahren nach Südaf- Kongo oder Dangdut-Pop ausIn- rika fuhr,umdortsein „Grace- donesien unter die Leute zu brin- land“-Albumaufzunehmen, Pe- gen. So kamdas Wort vonder ter Gabriel seinen Fans einen „Weltmusik“ in die Welt. afrikanischen Freundnamens Dieser Sammelbegriff istim- Youssou N’Dourpräsentierte mer umstritten gewesen, selbst oder David Byrne mitder Salsa- ein Szenepapstwie David Byrne sängerin Celia Cruz im Duett hadertmit ihm. Doch die Schub- sang, da ging es ihnen allen noch lade hatsich als ungemein prak- darum,diese Musik bekannter tisch erwiesen, um ganz unter- zu machen. David Byrne und Pe- schiedliche Musikstilezupopu- ter Gabriel gründeten zu diesem larisieren. Werhätte gedacht, Zweck sogar eigene Plattenfir- dass portugiesischer Fado und men. Inzwischen hatsich die kubanischer Son, aber auch Blas- „Weltmusik“-Sparte etabliert, zu- musik vomBalkan oder Afrobeat gleich finden neue, hybride Mu- ausNigeria plötzlich wieder so siktrends ausallen Ecken der ein Comeback erleben, vonDJs in Welt dank YouTube, MySpace & den Mixer geworfen und welt- Co schnell weltweit ein wachsen- weit ein neues, urbanes Publi- des Nischenpublikum. Ob Reg- kumfinden würden? In ihren je- gaeton, Baile-Funk, japanischer weiligen Heimatländern waren Manga-Pop oder der Siegeszug sie schließlich schon abgeschrie- des Bollywood-Kinos –die Triba- ben, galten als angestaubt und lisierung der Szenenschreitet hoffnungslos altmodisch. unaufhaltsam voran, und die Eigentlich gäbe es deshalbet- Grenzen zwischen „hier“ und waszufeiern: Zwanzig Jahre Ätsch! Madonna hat sich den Gipsy-Punker Eugene Hütz von Gogol Bordello geschnappt, um auf der Balkanwelle zu surfen FOTO: DDP „dort“ verschwimmen. Vonalt- Weltmusik, das isteine Erfolgsge- hergebrachten Vorstellungen schichte. Nichtnur,weil lokale von„Tradition“und „Authentizi- Stars wie Cesaria Evora, Youssou tät“ muss mansich da wohl ver- N’Dour oder der BuenaVista So- abschieden.Aber so gesehen, hat cial Club dadurch international die Weltmusik nichtnur eine Karriere gemachthaben. Oder, Vergangenheit. Sie hatauch noch weil inzwischen jede Metropole Das vergessene Jubiläum eine glanzvolle Zukunft vorsich. ihre Tango-, Salsa- oder Balkan- Achja, und Madonna? Sie szene hat. Sondern auch, weil aus Vor20Jahren wurde der Begriff „Weltmusik“ erfunden, um Musikstilen aus aller Welt den Wegzu wählte EugeneHützvon Gogol der urbanen Vermischung der Bordelloals Hauptdarsteller für Genres ständig neue Hybride einem urbanen Publikum zu ebnen. Daraus wurde einer der wichtigsten Trends der letzten Dekaden ihren Film „Filth and Wisdom“– entstehen; Elektro-Tango,Fla- ihr Regiedebüt,das sie im Früh- menco-Funk, Afro-House, Latin- ten –vielleichtdie wichtigste Be- Vergangenheitdürfte –neben die Spitze der Charts, und der Hand in Hand gingen. Popist jahr schon malauf der Berlinale Hiphop, Orient-Pop, Mestizo- wegung, die die musikalische der weiteren technologischen Lambada ausBrasilien avancier- eben ein gefräßiges Monster,das vorstellte. Sie hätte ihn auch für Rock oder eben Gipsy-Punk, um Entwicklung der letzten Deka- Entwicklung –deshalbauch der te für eine Saison zumModetanz. sich alles einverleibt, wasesin ihr neues Album„HardCandy“ nureinige zu nennen. den geprägt hat. Offenbar gibt es Schlüssel zu den musikalischen Es folgte ein Griot-Sänger aus die Hände bekommt. engagieren sollen: Dann wäre es Die Entdeckung lokalerPop- ein Bedürfnis nach Geschichte, Trends der Zukunft liegen. Mali namens Mory Kanté, dessen Dass die deutsche Musikpres- vielleichtetwas aufregender ge- stile, das Revivalund Recycling Tradition und, ja, auch Exotik – Einen Vorgeschmack aufdiese technoid aufgepumptes „Yeké se das runde Jubiläum verschla- raten als der matte R-’n’-B-Ab- traditioneller Musiken sowie die auch das Revivaldes Roots-Reg- Entwicklung gabesvor zwanzig Yeké“zueiner frühen Ravehym- fen hat, istallerdings sympto- klatsch, den sie mitHilfe von lokale Adaption globaler Musik- gaemuss manindiesem Zusam- Jahren. Damals, 1988, stürmte ne aufstieg: auch so ein Hybrid, matisch: Wasallzusehr nach Starproduzenten wie Timbaland trends, das war–neben der Aus- menhang sehen. Im Rückgriff eine Sängerin ausIsrael namens bei dem elektronische Innova- Weltmusik aussieht, wirdgeflis- und Pharell Williams sowie Jus- differenzierung elektronischer aufdie musikalische Vielfaltder OfraHaza mitder Popversion ei- tion und die Rückbesinnung auf sentlich ignoriertund fälltunter tin Timberlakeals Duettpartner Musik in ihre diversen Spielar- Welt und „exotische“ Moden der nes jemenitischen Volkslieds an das Erbe afrikanischer Griots verschärften Folkloreverdacht. abgelieferthat. DANIEL BAX ANZEIGE W2DIE TAGESZEITUNG 3./4. MAI 2008 weltmusik E-MAIL: [email protected] Hüter des Garifuna-Erbes am Strand von Belize: Hier wurden ihre Vorfahren vor 200 Jahren an Land gespült FOTO: CUMBANCHA Soul der schwarzen Karibik Vom Schiffbruch verweht: Die Kultur des Garifuna-Volks in Mittelamerika erlebt derzeit ein Revival. Das Garifuna Women’s Project und sein Album „Umalali“ bilden die Speerspitze dieser Bewegung verteilt. Einige sind, wie Desere zu werden. „V ieleKinder lernen im vergangenen Jahr „Umalali“ VON KNUT HENKEL Diego,inBelize zu Hause. Sofia ihre Muttersprache kaum noch“, auf: ein Album, das beste Chan- Blanco dagegen lebt mitihrem beklagt Sofia Blanco.Dem Unter- cen hat, noch mehr Zuhörer für Im Lichtder aufgehenden Sonne Mann in Guatemala –inder gang ihrer Kultur will sie jedoch die Balladen der Garifunazube- stehtSofia Blanco aufeinem KüstenstadtLivingstone, wo um nichttatenlos zu sehen. So bil- geistern. schmalen Steg im Hafen von 1802 die Garifunainihren Kanus den die Garifuna-Frauen die Jahrelang hatte Ivan Duran, Dangriga: eine Szene, wie einer gelandet sein sollen. Speerspitze einer Bewegung, die als Sohn spanischer Eltern in kitschigen Postkarteentsprun- „Am 26. November haben die ihr Erbe bewahren möchte. Mexikogeboren und in Belize gen. Die 54-jährige Sängerin hält ersten Familien dortihren Fuß ZumGarifunaSettlementDay aufgewachsen, die passenden Ausschau –sie erwartet eine klei- aufden Strand gesetzt“,ist Sofia schlängeltsich ein langer Pro- Stimmen für sein Projekt ge- ne Flottillevon Fischerbooten, Blanco überzeugt. In Dangriga, zessionszug im Rhythmus der suchtund warmit seinem Rekor- die in den Hafen der Kleinstadt wo sie am heutigen TagzuGast Trommeln durch die Straßen der durch ganz Mittelamerika im Süden vonBelize einlaufen ist, wirddagegen der 19. Novem- vonDangrigazur Kirche. Im Zen- gereist. „Als er die Frauen dann sollen. Leise summtsie eine Me- ber als „GarifunaSettlement trum der Zeremonie stehen die beisammenhatte, haben wir nur lodie vorsich hin. „Es istein altes Day“ gefeiert. Schon sind am Insignien der Garifuna-Kultur: einige Kilometer weiter vonhier Fischerlied, das die Frauen frü- Horizontdie ersten mitPalm- die schwarz-gelb-weiße Flagge, in einer kleinen Hütte ihren Ge- her sangen, wenn die Männer in wedeln und den großblättrigen die Cassavapflanze und die bei- sang aufgenommen“, erinnert die Kanusstiegen und zumFi- Cassavapflanzen geschmückten den Trommeln, Primeiround sich