Soziologie Als SF-Generator
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SOZIOLOGIE ALS S.-F.- GENERATOR ? - Eine Analyse von Jack Vances „Die Mondmotte “ und „ Die Kriegssprachen von Pao “ anhand Pierre Bourdieus Kapitalientheorie Schriftliche Hausarbeit zum Kurs 04546 "Literarische Science-Fiction“ angefertigt im Hauptfach Neue Deutsche Literaturwissenschaft von Cornelia Gliem Matrikelnummer: 6418562 2004 1 GLIEDERUNG 1. Einleitung S. 1 2. Science Fiction S. 2 2.1. Konfusion der Zugehörigkeit S. 2 2.2. Das Triviale - Verteidigung eines Stiefkindes S. 3 2.3. Die Möglichkeiten der S. F. S. 5 3. Klärung der von Bourdieu verwendeten Begriffe S. 7 3.1. Kapitalien S. 8 3.2. Feld S. 9 3.2.1. Das literarische Feld S. 9 3.3. Habitus S. 10 3.3.1. Der Habitus des Autors S. 11 3.4. illusio S. 11 4. Einordnung von Jack Vance und dessen Werk S. 12 4.1. Jack Vance‘ Werdegang S. 12 4.2. Vance‘ Stellung im S.F.-Genre S. 13 4.3. Jack Vance‘ Habitus S. 14 4.4. Kunst, Künstler und das Schreiben S. 14 5. Interpretation von Die Mondmotte und Kriegssprachen von Pao S. 16 5.1. Die Mondmotte S. 16 5.2. Die Kriegssprachen von Pao S. 20 6.1. Draußen und Drinnen S. 24 6.1. Von Vance zur Vance‘ Geschichte S. 24 6.2. Aus der Realität (Faktion) zur konzeptierten Welt (Fiktion) S. 27 6.2.1. Dichter lügen nicht S. 27 6.2.2. Oft ist Literatur wirklicher als die Realität S. 28 7. Resümee S. 29 2 1. Einleitung Er schuf etwas aus dem Nichts und machte das Nicht-Seiende zu etwas Seiendem; und er formte große Säulen aus nicht fühlbarer Luft. Das ist das Zeichen: Er sah, sprach und ließ die gesamte Schöpfung und alle Dinge aus einem einzigen Namen entstehen. aus : Sefer Jezira , das Buch der Schöpfung Klar, ich hätte auch das klassischere (banalerer?) ‚ Am Anfang war das Wort ‘ wählen können, aber ich wollte die ursprüngliche Abstraktheit dieser semiologischen Idee beto- nen, ohne gleich zu viele religiöse Assoziationen zu wecken. Aber habe ich damit nicht schon an Beginn dieser Hausarbeit den Boden der Realität, der Sachlichkeit verlassen? Die Angemessenheit der normalen Grundlagen einer literaturwissenschaftlichen Unter- suchung verletzt? Mag sein, dass ich ähnlich wie andere, bessere Apologeten 1 der Science Fiction einfach nur ein paar edle Ahnen verleihen will. Im folgenden Text möchte ich aber darlegen, dass gerade Science Fiction tatsächlich für mehr als nur Unterhaltung stehen kann (wo- bei dieses ‚nur‘ natürlich bei aller guten Absicht schon taxonomisch ist). Wie kommt man nun darauf, soziologische Kategorien auf Literatur, in diesem Falle fiktionale Werke 2 anzuwenden? Eine Soziologie der Literatur ist so neu ja nicht mehr, die Literatursoziologie 3 beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem gesamten Spektrum der Literaturberufe, hat dabei der Produktion- und der Rezepienten-Ästhetik grundle- gende Daten geliefert bzw. sie erst ermöglicht. Auch wurden literarische Werke im Rahmen (literatur )-geschichtlicher Untersuchungen oft als Ausdruck der Gesellschaft ihrer Ent- stehung und des Autors verstanden, zumeist in relativ leichtsinniger Gleichsetzungen von Werk, Autor und Zeit. Der französische Wissenschaftler Pierre Bourdieu bezog seine Begriffe Kapital und Feld auch auf die Literatur 4, indem er das Verhältnis von Autor und Verleger im sog. Literarischen Feld fasste. In dieser Hinsicht ist er zur allgemeinen Literatursoziologie zu rechnen, er nimmt mit dem Begriff des Habitus allerdings eine mittlere Position zwi- 1 auch für andere Trivialformen wie Comics: vgl. auch Artmann, H. C.: Grammatik der Rosen. Gesammelte Prosa. Band 2, S.33-34. Salzburg und Wien 1979. " Es wäre heute immerhin an der Zeit, sich bei uns zu bequemen, Comic Writing als das anzuerkennen, was es schon längst geworden ist, nämlich Literatur. Gelesen wird sie von den 97%, die keine Ahnung von Joyce oder Musil haben [sei's drum], doch wäre es meiner Meinung überaus wichtig, daß sich die 3%, die Joyce und Musil (...) zu lesen vorgeben, auch über Comic Writing informieren wollten“ und „In einigen zwanzig Jahren wird man über diese »Comics Epoche« tiefgründige Abhandlungen schreiben“ und auch „ Poplite- ratur ist heute einer der Wege (...) der gegenwärtigen Literaturmisere zu entlaufen“. 2 bis auf weiteres verwende ich die Unterscheidung fiktionale (u.a. Schriftsteller) und pragmatische Literatur (u.a. Journalist), siehe Punkt 6. 3 In den 60igern und 70igern (Frankfurter Schule/Kritischer Theorie, marxistischen Literaturtheorie) ent- standen, erhielt durch Frankreich (Bourdieu) und Deutschland (Systemtheorie) neue Impulse 4 Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. 2001 3 schen den Polen der Determination des Werks durch Gesellschaft, Biographie und Au- torenwille 5 und der rein werkimmanenten Interpretation ein. Darüber hinaus wandte Bourdieu sein Instrumentarium 6 konkret auf die fiktionale Welt von Gustave Flauberts Erziehung des Herzens 7 an. Mir persönlich wurde bei der Lektüre von Pierre Bourdieu, Norbert Elias oder auch Arnold Toynbee bewusst, wie gut sich ihre Untersuchungen und Ergebnisse für die kreative Leistung von Schriftstellern verwenden ließen, was für eine unermessliche Fundgrube die Details ihrer Werke für Weltenschöpfer 8 darstellen. In der folgenden Hausarbeit habe ich mein Augenmerk auf den U.S.-amerikanischen Autor Jack Vance, speziell auf dessen SF-Kurzgeschichte Die Mondmotte 9 und seinen Roman Die Kriegssprachen von Pao gelegt und verwende dazu das kulturtheoretische Instrumentarium des Soziologen 10 Pierre Bourdieu. 2. Science Fiction 2.1. Konfusion der Zugehörigkeit Auf den ersten Blick erscheint die Sache klar: Science Fiction 11 - das sind Außerirdi- sche, Raumschiffe, fremde Planeten, Erfundenes über die Zukunft. Damit dürfte man tatsächlich auch viele Werke richtig eingeordnet haben, zumindest was den Inhalt betrifft. Schwieriger wird es, wenn man Werke wie Gullivers Reisen (J. Swift), Frankenstein (Mary Shelley) oder Das Neue Atlantis (F. Bacon) betrachtet. Kei- ne Spur von Außerirdischen oder Raumschiffen und alles spielt auf der Erde. Dennoch gelten sie u.a. als S.F.-Literatur. Wie bei fast jeder Gattungsbestimmung in der Literatur ist man bei allen Anstrengungen, genuine Kriterien der natürlichen Gattungen zu bestimmen, auf Traditionen und Verweisungen der Autoren und Kritiker selbst ange- 5 vgl. Suvin, der Teile von H. G.Wells mit dessen Herkunft erklärt, Suvin 1979, S.270, siehe auch die mate- rialistische Interpretation, die beispielsweise die Entenhausen -Comics als Widerspiegelung des amerikanischen kapitalistischen Systems versteht, auch Lucien Goldmanns Vorstellung von der Homologie zwischen der Struktur der gesell. Mentalität und literarischen Werk 6 „Frédéric (...) stellt einen hervorragenden Analysator unserer tiefstgehenden Beziehung zur sozialen Welt dar “ Bourdieu 2001, S.69 7 Bourdieu 2001; für diese Hausarbeit lag allerdings eine Ausgabe mit einem anderen Titel vor: C. Has- tings: Erziehung der Gefühle. 8 vgl. Andreas Irle: Wortschmied und Weltenschöpfer. in: Alien Contact Nr. 25 1996 und Jack Vance: The World Thinker. in: Thrilling Wonder Stories 1945 9 erstmals August 1961 in: Galaxy 10 oder auch: das soziologische Instrumentarium des Kulturtheoretikers 11 ich werde mich nachstehend besonders auf Steinmüller, Karlheinz [u.a.]: Science Fiction-Werkzeug oder Sensor einer technisierten Welt? 1995 u. Suvin, Darko: Poetik der Science Fiction. 1979 beziehen, stellvertretend für die große 4 wiesen. Tauf-Paten hat es viele gegeben, ob diese Werke denn nun utopische oder phan- tastische Literatur , technischer Zukunftsroman , kontrafaktische Literatur, Verniade , roman imaginaire, voyages extraordinaires (Titel der für Verne begründeten Buchrei- he), Wissenschaftsmärchen oder speculativ fiction genannt wurden. Als Ahnen werden Utopie 12 , Staatsroman, Tierfabel und Märchen (oft in fiktive Reiseberichte gekleidet) angeführt und die Zuordnung von beispielsweise Frankenstein zum Horror-Genre (gothic-novel ) oder des Herrn der Ringe -Komplexes (J.R.Tolkien) zum Fantasy-Sektor zeigt, dass auch heute noch Verwirrung über die Grenzen dieser Gattung besteht. Trotz der Übernahme von Motiven und Stoffen aus Mythos (Quest) und Märchen hat die S.F. auch ganz eigene ‚Erfindungen‘ in die Literatur eingebracht: die künstliche Intelligenz, was sich klar von moderner, fortschrittsgläubiger Ambition herleitet. ‚Science Fiction‘ - diese Bezeichnung verdeutlicht den Anspruch, den die neuzeitlichen Vertreter aus der angelsächsischen Kultur 13 vertraten: Wissenschaftlichkeit ( science ) in der Literatur ( fic- tion ). (Wobei dies natürlich auch für den literarischen Realismus, die Futuristen und die modernen Autoren allgemein zutrifft.) Generell kann man zwischen realistischere S.F. und phantastischer Fantasy unterscheiden 14 , wobei dies einem hauptsächlich inhaltli- chen Kriterium zu Grunde liegt. Fantasy enthält häufig Figuren aus der Mythologie, aus Märchen und Fabel und diese können mittels Magie, Wunder und Schicksal tätig wer- den. Allerdings kann S.F. wie Fantasy durchaus das gleiche „Personal“ aufweisen, der entscheidende Unterschied dürfte doch in den Prämissen der fiktiven Welt bestehen, sodass Die Drachen von Pern (Louis McMasters Bujold) ob der wissenschaftlichen (biologisch-genetischen) Erklärung trotz der telepathischen Drachen mit Recht zur S.F.- Literatur gezählt werden können. Die Beziehungen zwischen Science Fiction und Wissenschaft sind von unterschiedli- cher Art: Teils werden gegenwärtige wissenschaftliche und technische Entwicklungen in die Zukunft projiziert; teils ermöglichen hypothetische Erfindungen phantastische Abenteuer; teils werden Erkenntnisse der Biologie, Psychologie und Anthropologie (oft populär-