REGIERUNG Merkels Missmanager Die schwarz-gelbe Koalition versinkt auch deshalb im Chaos, weil Kanzleramtschef seiner Aufgabe nicht gerecht wird. Angela Merkels wichtigster Mann ist kein stiller Moderator der Regierungsarbeit, sondern ein zuweilen aufbrausender Parteipolitiker.

ie deutschen Bundeskanzler wa - Erst beschloss die Koalition, statt der weiß man manchmal bei uns nicht mehr, ren immer nur so gut wie ihre angekündigten Strukturreform des Ge - wer Freund und Feind ist.“ DAmtschefs. Willy Brandt konnte sundheitswesens einfach die Beiträge zu Eigentlich wäre es die Aufgabe des sich seine depressiven Phasen leisten, weil erhöhen. Dann zerstritt sie sich über die Kanzleramtschefs, Streitfragen zu schlich - derweil das Tagesgeschäft geplante Neuordnung der Sicherungsver - ten. Wenn sich zwei Minister nicht eini- verrichtete. fasste erst Tritt, wahrung. gen, landet der Fall auf seinem Schreib- als er Wolfgang Schäuble in die Regie - Die Stimmung in der Regierung ist so tisch. Ronald Pofalla aber vermag die rungszentrale holte, und Gerhard Schrö - mies, dass die Kanzlerin in der Sitzung Konflikte nicht zu entschärfen, er heizt ders Reformpolitik ist ohne deren Archi - der Unionsfraktion klagte: „Am Abend sie selbst an. Mit Pofalla hat ein zuweilen tekt Frank-Walter Steinmeier nicht denk - bar. Angela Merkel hat es weniger gut. Ihr Kanzleramtschef heißt Ronald Pofalla. Der wichtigste Mitarbeiter in ihrem schwarz-gelben Kabinett hat sich in den knapp neun Monaten, die er nun die Re - gierungsgeschäfte leitet, zum Problemfall entwickelt. Selten zuvor hat eine Bundes - regierung einen desaströseren Start hin - gelegt. Aus Union und FDP wollten bis - lang keine Partner werden, sie blieben Gegner, die dem anderen jeden Erfolg missgönnen. Der Regierungsmotor läuft L E K

nicht rund, er stottert, zischt und dampft. N U

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Das zeigt schon ein Blick auf die vergan - E N I A gene Woche. R

Kanzlerin Merkel, Amtschef Pofalla „Der kann das nicht“

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men. Auch deshalb steht die Regierung Der eine wurde unter Merkel Parlamen - derzeit vor den Scherben ihres Schaffens. tarischer Geschäftsführer, der andere Pofalla scheint von der ständigen Angst CDU-Generalsekretär. Aber je weiter sie geplagt, die CDU könnte im parteipoliti - kamen, umso mehr wuchs ihr gegenseiti - schen Stellungskampf einen Nachteil er - ges Misstrauen. Pofalla entschied sich, leiden. So gibt es auch im Monat neun seine Laufbahn ganz an die Merkels zu von Schwarz-Gelb kaum ein Projekt, auf knüpfen, Röttgen dagegen fing an, sich das sich Union und FDP geräuschlos eini - eine eigene Machtbasis zu bauen. Er leis - gen können. Offen zitieren lässt sich kein tet sich mal ein kritisches Wort gegen die Koalitionär mit seiner Kritik an Merkels Kanzlerin, und er denkt darüber nach, Missmanager. Das bedeutet aber nicht, Chef des mächtigen CDU-Landesverban - dass sie nicht täglich neu geäußert würde. des Nordrhein-Westfalen zu werden. „Unter Pofalla herrscht Organisations - Pofalla möchte unbedingt verhindern, chaos“, sagt ein FDP-Regierungsmitglied. dass Röttgen an ihm vorbeizieht, auch des - „Er bunkert sich ein, ist für niemanden halb macht er ihm das Leben schwer. Mit - zu sprechen, aber das führt nicht dazu, te Mai erklärte der Kanzleramtschef plötz - ) . R

. dass die Arbeit gut erledigt wird. Bei uns lich, der Bundesrat werde für die Ver - U (

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P herrscht die Auffassung: Der kann das längerung von Atomkraftwerkslaufzeiten D

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I einfach nicht.“ nicht gebraucht. „Wir werden ein verfas - N I R

A Solche Urteile fallen auch auf die Kanz - sungskonformes, zustimmungsfreies Ge - B M A lerin zurück. Wieder mal drängt sich die setz haben“, sagte Pofalla zur Überra - G

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M Frage auf, ob Merkel ein Gespür für Per - schung Röttgens. In internen Verhandlun -

. U ( sonalpolitik hat, ob sie die richtigen Leu - gen war zuvor noch von verfassungsrecht - F I A L

/ ten an die richtige Stelle setzt. Mit Pofalla lichen Problemen die Rede gewesen.

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T hat sie sich einen Mann ins Kanzleramt Kurz nach seiner Aussage musste sich H K A

; geholt, der ihr ergeben ist bis zur Selbst - Pofalla dann eines Besseren belehren las - ) . L

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U aufgabe. Nun aber zeigt sich, dass es sen. Die Beamten des Innen- und des Jus - (

A P mehr Qualitäten braucht, um das Kanzler - tizmisteriums kamen zu dem Schluss, dass D

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K amt zu führen. die Atomlaufzeiten ohne Zustimmung des H C

S Viele in der Koalition sehnen sich in - Bundesrats allenfalls „moderat“ verlän - N A H

zwischen nach Thomas de Maizière zu - gert werden dürfen. Pofalla war demnach ; ) . L ( rück, der zu Zeiten der Großen Koalition viel zu weit vorgeprescht. D L I B Pofallas Posten innehatte. De Maizière Die Stimmung bei den Atomverhand - N I E

T galt als ehrlicher Makler, er kam aus der lungen ist seither verdorben. Der Kanz - S L L U

Welt der Beamten und strahlte eine Über - leramtschef unterstellt dem Umweltminis- /

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N parteilichkeit aus, die auf die Streithähne ter, er hintertreibe die Pläne der schwarz- A M L

E der Großen Koalition beruhigend wirkte. gelben Koalition für längere Reaktorlauf - K N

E Nichts offenbart Pofallas merkwürdiges zeiten. Röttgen revanchiert sich, indem H

N Kanzleramt in Berlin E Amtsverständnis besser als der endlose er Pofalla in internen Besprechungen sei - G R Ü J Zwist der Koalition um die Atompolitik. ne Geringschätzung spüren lässt. Seit einem halben Jahr leitet er nun schon Die Folge ist, dass die Regierung bis aufbrausender Parteipolitiker die zentrale die Verhandlungen, vordergründig geht heute kein vernünftiges Energiekonzept Schaltstelle der Regierung übernommen. es um die Frage, wie lange die Kraftwerke vorweisen kann. Die Unionsfraktion ist Natürlich kann der Kanzleramtschef in Deutschland noch am Netz bleiben sol - wegen des Streits so genervt, dass ihr nicht alle Defizite einer Koalition ausbü - len. In Wahrheit führt Pofalla auch einen Chef Volker Kauder schon mit seiner geln, er sollte aber stets den Erfolg der Machtkampf mit seinem Intimfeind, Bun - FDP-Kollegin Birgit Homburger verein - ganzen Regierung im Auge haben. Pofalla desumweltminister Norbert Röttgen. bart hat, die Sache notfalls selbst in die hingegen ist der Parteisekretär geblieben, Beide stammen aus der nordrhein-west - Hand zu nehmen. der er vier Jahre lang war. Seine neue Rol - fälischen CDU und zogen Anfang der Mittlerweile kursiert unter konservati - le hat er bis heute nicht richtig angenom - neunziger Jahre in den Bundestag ein. ven Abgeordneten der Spott, ein Projekt Die Problemfälle des Kabinettschefs

Das Kanzleramt ermutigt die Gewerkschaften, Umweltminister Röttgen und Kanzleramts - Verteidigungsminister Guttenberg wehrt neue Mindestlöhne zu fordern. Wirtschafts - chef Pofalla streiten öffentlich über längere sich gegen ein Gutachten des Kanzleramts, minister Brüderle ist strikt dagegen. Reaktorlaufzeiten, zum Ärger der Kanzlerin. sein Zorn gilt nicht zuletzt Pofalla.

( )'" $ 28/2010 19 Deutschland habe am ehesten Chancen, wenn man Guttenberg, er witterte eine Intrige. Po - bei Pofalla anzurufen. „Ich weiß schon, das Kanzleramt heraushalten könne. falla wiederum hält Guttenberg für über - ich weiß schon“, wimmelt er dann die „Der Autoritäts- und Vertrauensverlust schätzt, auch deshalb wirft er ihm gern Anrufer ab. Was konkret anliegt, will er des Kanzleramts ist enorm“, sagt ein Knüppel zwischen die Beine. oft gar nicht hören. Weil Pofalla es ver - wichtiger Strippenzieher der CDU. „Zu - Eigentlich müsste Pofalla der oberste säumt, die Streitereien des Alltags früh sagen werden nicht eingehalten, das Ver - Friedensrichter der Koalition sein, aber zu klären, bleiben immer mehr Probleme trauen ist dahin. Manchmal hat man den das hat er nie gelernt. So wirft er sich lie - bei den Parteichefs hängen. Die Montags - Eindruck, das Kanzleramt ist nur in In - ber in politische Schlachten, gern auch runde der Staatssekretäre war früher ei - trigen unterwegs, nicht in der Sache.“ mit Rainer Brüderle. Der Wirtschaftsmi - nes der wichtigsten Treffen der Regie - An allen Ecken der Regierung sitzen nister von der FDP pochte jüngst öffent - rung, hier ließen sich Streitigkeiten ab - Leute, mit denen Pofalla noch eine Rech - lich auf den Wortlaut des Koalitionsver - räumen, mit denen man nicht gleich die nung offen hat. Für einen Kanzleramts - trags – dort stehe, dass die Regierung kei - Kanzlerin behelligen wollte. chef ist das die denkbar schlechteste Vor - ne neuen Mindestlöhne einführen will. Unter der Leitung von Pofalla sei das aussetzung. Er sollte sich ganz in den Pofalla aber denkt nicht daran, sich an Treffen zu einer „locker-flockigen Har - Dienst der Sache stellen: des geschmei - die Vereinbarung zu halten. Wenn er mit monieveranstaltung“ verkommen, wie digen Regierens. Pofalla aber glaubt, sein Gewerkschaftsbossen spricht, fordert er ein Teilnehmer klagt. Kontroverses wird Umfeld bekämpfen zu müssen. sie regelmäßig auf, bei dem Thema „or - ausgeblendet, auf die Tagesordnung Karl-Theodor zu Guttenberg beispiels - dentlich Druck zu machen“. Das sei nütz - kommt nur, worauf sich die Abteilungs - weise war Anfang vergangenen Jahres lich im Kampf gegen die Liberalen. leiter der Ministerien bereits verständigt noch CSU-Generalsekretär. Damals führ - Umgekehrt fühlen sich viele in der haben. So stauen sich die Probleme, und te er mit seinem CDU-Kollegen Pofalla Unionsfraktion von Pofalla zu wenig ein - es wächst der berechtigte Eindruck, die zermürbende Debatten über die Strate - gebunden. Er ermunterte die Innenpoli - Regierung kriege kaum etwas geregelt. gie der Union. Es herrschte Eiszeit zwi - tiker der Unionsfraktion, im Streit mit Pofallas Entscheidungsschwäche steht schen den Parteizentralen in München der FDP über Sicherheitsgesetze hart zu in eklatantem Widerspruch zu seinem und Berlin. bleiben. Als dann Justizministerin Sabine Machtanspruch. In einer Runde von Jetzt wird der Streit auf höherer Ebene Leutheusser-Schnarrenberger eine Re - Staatssekretären kündigte er Ende Januar fortgesetzt. Im Juni sorgte das zerrüttete form der Sicherungsverwahrung für ge - an, dass er nun die Europapolitik an sich Verhältnis zwischen dem Verteidigungs - fährliche Straftäter auf den Weg brachte, ziehen werde. Die zuständigen Ministe - rien könnten sich weiter abstimmen, ließ er die Beamten wissen. Die Richtung be - stimme künftig aber das Kanzleramt. Als es dann jedoch ernst wurde in der Europapolitik, war von Pofalla nichts zu hören. Im Auswärtigen Amt sah man mit Verwunderung, wie die Bundesregierung in der Euro-Krise lange ohne einheitliche Position agierte. Das Kanzleramt vertrat zunächst eine harte Linie gegenüber Griechenland. Finanzminister Wolfgang Schäuble wollte dagegen frühzeitig helfen und sprach sich für einen Europäischen S

E Währungsfonds aus. Das Auswärtige Amt F

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D warb für eine engere Zusammenarbeit

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D zwischen den Euro-Ländern. Alle redeten A

M I D munter durcheinander, Pofalla gelang es

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G R nicht, aus all dem Gerede eine Stimme E N I H H T C N der Regierung zu formen. R Ü A G - D

S Die Kanzlerin kennt die Klagen über P N P A U J H Pofalla, Konsequenzen aber wird sie dar - Regierungschefs Kohl 1984, Schröder 1999*: Missgriff korrigiert aus kaum ziehen. Merkel kann erstaun - lich langmütig sein, wenn es um ihre Mit - minister und dem Kanzleramtschef für musste alles schnell gehen, weil das Kanz - streiter geht, und kaum einer war treuer einen handfesten Koalitionskrach. Eigent - leramt einen Erfolg vorweisen wollte. als Pofalla. lich ging es um eine Petitesse: Das Kanz - Das Eckpunktepapier der Ministerin Andererseits kennt sie die Geschichte leramt hatte ein Rechtsgutachten anfer - passierte das Kabinett, doch der Kanzler - ihrer Vorgänger. Helmut Kohl stolperte ti gen lassen, das sich mit der Frage be - amtsminister und seine Leute hatten es auch deshalb durch seine ersten Amtsjah - schäftigt, ob sich Guttenberg im Unter - versäumt, sich zuvor mit den Innenpoli - re, weil der feingeistige Rechtsphilosoph suchungsausschuss zur Bombennacht von tikern der CSU abzusprechen. Nur Gün - Waldemar Schreckenberger Angst vor Kunduz einer Gegenüberstellung unter - ter Krings, der stellvertretende Fraktions - Entscheidungen hatte. Gerhard Schröders ziehen muss. chef der CDU, erhielt einen Anruf aus Kanzleramtsminister wie - Aber weil sich Guttenberg und Pofalla dem Kanzleramt. In der Landesgruppen - derum interessierte sich nicht für die misstrauen, weitete sich die Sache schnell sitzung der CSU am Montag zürnte Par - Mühen der Detailarbeit, auch deswegen zur Affäre aus. Das Verteidigungsminis - teichef Horst Seehofer: „Das mache ich versank die rot-grüne Regierung zunächst terium sei von dem Auftrag des Kanzler - jetzt zur Chefsache.“ im Chaos. amts nicht informiert worden, wütete Die Dinge lägen einfacher, wenn Po - Für beide Kanzler lief es erst besser, falla ein sanfteres Gemüt hätte. Im Kanz - als sie ihre Missgriffe korrigierten und leramt aber mehren sich die Klagen über ihre Amtschefs austauschten. * Links: mit Waldemar Schreckenberger, Kanzleramts - chef von 1982 bis 1984; rechts: mit Bodo Hombach, seinen harschen Ton. Den FDP-Abgeord - R$ B)*, U$("# D%%(, R$ N+#"(!, Kanzleramtschef von 1998 bis 1999. neten ist inzwischen die Lust vergangen, R& P ")*(, M"!$ S+ , M($"& T!"$

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