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Gunter Thielen

Globalisierung › Deutschland nach der Krise › Soziale Marktwirtschaft › Standpunkte und Perspektiven › inhalt Seite 03

Editorial seite 04 Dr. Gunter Thielen: „Unser Ziel ist es, Deutschland krisenfester zu machen Dr. Gunter Thielen › Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung über seine drei großen Themen › seite 04 Globalisierung › Sommerdialog der Saarlandbotschafter seite 08 „Wir brauchen eine faire Globalisierung“

Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises seite 10 „Deutschland hat Nachholbedarf bei der Förderung von Vielfalt“

„change“-Interview seite 12 „Eine globale Ökonomie braucht auch globale Regeln und Strukturen“

wirtschaftskrise › Globalisierung › Für die Zukunft braucht unsere globalisierte Welt vor allem eines: „change“-Beitrag Menschlichkeit! Mehr dazu ab › seite 06 seite 16 „Eine langfristige Anti-Krisen-Strategie muss auf Vertrauen, Nachhaltigkeit und Steuerung setzen“

Interview mit n-tv seite 18 „Bürger müssen in Entscheidungen intensiver eingebunden werden“

„change“-Kommentar seite 22 „Europa muss zum Bollwerk gegen Krisen werden“ t ard eych w e soziale marktwirtschaft › Krise › Nur wer aus den Fehlern der Vergan- arn genheit lernt, kann daraus neue Wege in die Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Zukunft gehen und Krisen meistern › seite 14 oto: f seite 26 „Soziale Marktwirtschaft wird eine Renaissance erleben“

AG. titel Konferenz „Deutschland auf dem Weg aus der Krise“ n e seite 30 „Soziale Marktwirtschaft ist ein stabiles Fundament für wag Gesellschaft und Wirtschaft“ s k Interview mit DIE WELT seite 34 „Die Soziale Marktwirtschaft muss wieder für alle eine etty, Vol g

, Aufstiegschance bieten“ ap Interview mit dem Westfalen-Blatt ette, m seite 38 „Zur Sozialen Marktwirtschaft gehört auch die Beteiligung von eit v Bürgern am Produktiv-Vermögen“ Soziale Marktwirtschaft › Ein altes Modell mit viel Potenzial für die Zukunft. Dr. Gunter Thie- otos: f seite 42 Dr. Gunter Thielen – Vita / Impressum len über wirtschaftliche Chancen › seite 24 editorial › Seite 04

„Unser Ziel ist es, Deutschland krisenfester zu machen“

ines unserer großen gemeinsamen Ziele in der Bertelsmann Im Austausch mit Experten und Bürgern haben sich drei Hand- Stiftung war es bei meinem Start als Vorstandsvorsitzender, lungsfelder herauskristallisiert, die in der Gesellschaft, der Politik E die Wirkung unserer Arbeit deutlich zu erhöhen. Zwei Ge- und der Wirtschaft wieder eine größere Rolle spielen müssen: Ver- sichtspunkte waren dabei für uns von besonderem Gewicht: Wir trauen zurückgewinnen, Nachhaltigkeit verankern und Steuerung wollten uns thematisch stärker fokussieren und uns zeitnah an verstärken. wichtigen gesellschaftspolitischen Fragestellungen beteiligen. Da- Die globalen Krisenfolgen waren durch den ökonomischen Ein- her haben wir unsere fast 200 Projekte durch eine robuste Struktur bruch, aber auch aufgrund der Ausbreitungsgeschwindigkeit dra- mit 18 Programmen ersetzt. Durch diese Bündelung sind wir nun matisch. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass sich die Krise in der Lage, auch komplexe inhaltliche Herausforderungen schnell, in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausgewirkt hat. Auch umfassend und lösungsorientiert anzugehen. Zudem arbeiten wir wir hatten zunächst damit gerechnet, dass Deutschland viel härter inzwischen stärker interdisziplinär und bringen mehr und unter- getroffen würde. Es hat sich aber gezeigt, dass wir mit der Sozialen schiedlichere Sichtweisen ins Spiel. Marktwirtschaft noch immer ein solides Fundament für Wirtschaft Die hat sich in den vergangenen Jahren und Gesellschaft besitzen. Mit einem Krisenmanagement, das alle stark verändert – unsere Strukturen sind schlanker, die Hierarchi- relevanten Akteure eingebunden hat, und einem noch immer vor- en flacher geworden, und wir beziehen auf der Grundlage unserer handenen gesellschaftlichen Zusammenhalt konnten massenhafte Ergebnisse deutlicher Position. Als fester Bestandteil des demo- Konkurse und große Arbeitslosigkeit verhindert werden. Für uns kratischen Meinungsbildungsprozesses wollen wir unsere Ideen war das Anlass genug, uns zukünftig wieder intensiver mit der Sozi- einbringen und dabei Diskussionen anstoßen. Dazu stellen wir alen Marktwirtschaft zu beschäftigen. Unser Ziel ist es, diese erfolg- unsere Untersuchungen, Einschätzungen und Haltungen offen reiche Grundlage zu stabilisieren und sie für die nächste Generati- zur Debatte. on fit zu machen. Die Bürger sehen besonderen Handlungsbedarf Vor dem Hintergrund meiner eigenen Biografie, mit zahlrei- darin, dass es in unserer Gesellschaft wieder gerechter zugeht und chen Stationen und Managementaufgaben in Unternehmen, habe sich Spaltung nicht weiter verschärft. ich mich seit der Übernahme des Stiftungsvorsitzes besonders bei Die Globalisierung, die Folgen der Wirtschaftskrise und die Themen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft sind Themen, die man nur engagiert. Die Konsequenzen und die Entwicklungspotenziale der schwer voneinander trennen kann. Sie prägen unseren Alltag, egal Globalisierung waren und sind ein solcher Aspekt. Als wir 2007 an- ob bei der Arbeit oder im persönlichen Umfeld. Deshalb sind wir fingen, intensiver über die Auswirkungen der globalen Vernetzung auch alle gefordert, uns an der Gestaltung unser Lebens- und Ar- zu diskutieren, wurde schnell deutlich, dass wir insbesondere an beitswelt aktiv zu beteiligen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die zwei Stellen Handlungsbedarf sahen. Einerseits wollten wir zeigen, Beiträge in dieser Broschüre dazu Mut machen und gleichzeitig dass viele Menschen von der Globalisierung profitieren und sich für Anregungen zum Nachdenken liefern. sie ganz neue Chancen entwickeln. Anderseits sind wir auch nicht Meine Tätigkeit in der Bertelsmann Stiftung hat mir auf viele blauäugig und haben uns deshalb auch intensiv mit globalen Steu- Dinge einen neuen und erweiterten Blick vermittelt. Ich empfinde erungsmechanismen befasst. Wir nehmen auch hier eine unideolo- die Arbeit hier noch immer als einen sehr spannenden Lernpro- gische Rolle ein und suchen nach einer Globalisierungsstrategie, die zess, der gleichzeitig zahlreiche Möglichkeiten zur Gestaltung bie- den Menschen weltweit nachhaltig hilft. tet. Für mich ist es jeden Tag ein großartiges Erlebnis, noch einmal Die Beschäftigung mit der Globalisierung bildete eine gute in einem völlig neuen Arbeitsfeld aktiv zu sein, trotzdem aber auch Grundlage für eine schnelle Auseinandersetzung mit der weltwei- Impulse setzen und Erfahrungen einbringen zu können. ][ ten Wirtschaftskrise. Wir haben uns bemüht, den Krisenverlauf möglichst präzise zu verfolgen und die denkbaren Auswirkungen zu skizzieren. Unser Ziel ist es, über den Tag hinauszudenken und nach mittel- und langfristigen Optionen zu suchen, um Deutsch- land dauerhaft krisenfester zu machen. Zum ersten Mal haben wir dafür in der Stiftung eine Task Force gebildet, die sich über andert- halb Jahre mit den Perspektiven Deutschlands bis 2020 befasst hat. Herzlichst, Ihr Dr. Gunter Thielen › editorial Seite 05 tung f Foto: bertelsmann sti

Dr. Gunter Thielen und († 2009) Globalisierung Globalisierung

„Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten, aber zu gestalten“ Dr. Gunter Thielen

G-20-Treffen 2009 in Pittsburgh, USA Foto: ap images globalisierung › Seite 08

Dr. Gunter Thielen > „Wir brauchen eine faire Globalisierung“

Rede beim Sommerdialog der Saarlandbotschafter 2008 (Auszüge)

eine internationale Konferenz und mung der Welt: Der Mensch nahm Abschied sierung ist dennoch kein Schicksal, dem wir keine wissenschaftliche Tagung von seinen Begrenzungen und machte sich uns einfach ergeben müssen. Wir können K kommt heute an dem Thema „Glo- auf, eine neue Welt zu entdecken. die Globalisierung gestalten, beeinflussen balisierung“ vorbei. Es ist sicherlich das Von diesem Geist der Globalisierung und steuern. Dafür müssen wir allerdings wichtigste Megathema unserer Zeit. Es sollten wir uns begeistern lassen! Ohne al- wissen, wo die Chancen und Risiken liegen, erfasst alle Bevölkerungsschichten, alle lerdings die Gefahren dabei zu vergessen, müssen wissen, in welche Richtung wir ge- wissenschaftlichen Disziplinen, beherrscht die mit den Konsequenzen dieser Entwick- hen wollen und wo man den Hebel zur Ver- die Reden von Politikern, wird in zahllosen lung verbunden waren und sind. Während änderung ansetzen kann. Fachbüchern diskutiert, und es scheint, als sich zu Beginn des globalen Zeitalters die Die Bertelsmann Stiftung ist der Ort, würde die Welt inzwischen aufgeteilt in Be- Welt ausdehnte und die Menschen nur an dem sehr unabhängig gedacht und ge- fürworter und Gegner der Globalisierung – langsam die wirkliche Größe begriffen, arbeitet werden kann. Das ist eine hervor- oder auch in Gewinner und Verlierer. Also rückt heute die Welt zusammen, spielen Ent- ragende Voraussetzungen dafür, Impulse in jene beiden Gruppen, die entweder von fernungen keine Rolle mehr, und Informa- zu setzen im Prozess der Globalisierung, den unglaublichen Chancen der Globali- Gedanken in Bewegung zu bringen und sierung profitieren, oder die sie schlicht Menschen zu begeistern. Deshalb haben als eine Amerikanisierung des Welthandels wir uns als Stiftung auch vorgenommen, vehement ablehnen. „Bildung, Gesundheit, in den nächsten Jahren die Gestaltung der Im Jahr 1492 wurde mit dem Nürnberger Arbeit, demokratische Globalisierung zum Kern unserer strategi- Behaim-Globus das globale Zeitalter einge- schen Ausrichtung zu machen. Es geht uns läutet. Dieser Globus illustrierte nach den Teilhabe und Kultur um eine faire Globalisierung, die den Men- Entdeckungen der spanischen und portu- sind für uns der schen in den Mittelpunkt stellt. Was wir giesischen Seefahrer zum ersten Mal ein Maßstab für eine faire tun, muss Menschen nützen! Ihre Chancen Abbild der Welt, das Europa nicht mehr in Globalisierung.“ auf Bildung, Gesundheit, Arbeit, demokra- der Mitte einer flachen Scheibe sah. tische Teilhabe und Kultur sind für uns der Die Welt wurde mit einem Schlag un- Maßstab für eine faire Globalisierung endlich groß und rund. Plötzlich wurden Die Bertelsmann Stiftung möchte zu kontinentale Dimensionen erkennbar, die tionen benötigen nicht einmal mehr eine einem der Moderatoren und Initiatoren die Grenzen des heimischen Territoriums Atempause zwischen Sender und Empfän- für eine globalisierte Welt werden, die den sprengten. Fortan war der Mittelpunkt der ger. Wenn Sie so wollen, ist aus dem Globus Menschen aktiv an der Gestaltung der Ge- Welt nicht mehr Europa. Und folgerichtig des Jahres 1492 ein Microchip geworden. sellschaft und des eigenen Schicksals betei- nannte man danach unseren Kontinent Langsam wächst die Einsicht, dass die ligt. Wir sehen unsere Aufgabe darin, diese nur noch die „Alte Welt.“ Globalisierung ein Prozess ist, der weder Diskussion weiter voranzutreiben und Die Globalisierung ist also keine neue Er- aufzuhalten noch zu ignorieren ist. Der Bündnisse für eine faire Globalisierung zu findung der Wirtschaft, Politik oder Gesell- ehemalige Bundespräsident Roman Her- schmieden. Bei einer solchen Betrachtung schaft des 20. Jahrhunderts. Globalisierung zog hat deshalb auch von der „Globalität“ von Globalisierung wird für jeden offen- hat zumindest in Europa in der Mitte des als einem Fakt gesprochen, über dessen sichtlich, dass es uns dabei nicht nur um letzten Jahrtausends angefangen. Sie brachte Bewertung man sich streiten kann, der aber die Ökonomie gehen kann. Einen solchen einen ungeheuren Umbruch in der Wahrneh- nicht mehr zur Disposition steht. Globali- Prozess können wir uns nur vorstellen, › globalisierung Seite 09

Dr. Gunter Thielen mit dem ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

wenn Vielfalt und Unterschiedlichkeit als angeht. Abgrenzung geprägt ist, sondern durch Chance verstanden werden. Wir kommen zu dem Ergebnis: Globali- soziale Gerechtigkeit, Zusammenhalt und Auf einem solchen Weg zu einer fairen sierung gelingt, wo Menschen aktiv betei- Förderung. Globalisierung sind für uns die beiden ligt und eingebunden werden. Ich glaube, Dies alles könnten Elemente einer Visi- Gesichtspunkte Teilhabe und Integrati- Europa bietet ein ausgezeichnetes Beispiel on der fairen Globalisierung sein. Einem on besonders wichtig. In vielen Bereichen dafür, wie substantiell die demokratische Projekt, das Ausstrahlungsfähigkeit entwi- unserer Gesellschaft werden wertvolle Po- Mitwirkung des Einzelnen für die erfolgrei- ckeln könnte. Weltweit entstehen immer tenziale überhaupt nicht beachtet oder in che Entwicklung einer ganzen Gesellschaft mehr und einflussreichere Non-Profit-Or- unverantwortlicher Weise verschwendet. sein kann. Europa ist heute ein Kontinent ganisationen. Wir wollen uns als Stiftung Das ist tragisch für viele Menschen: Sie der Demokratie. Trotz alter Feindschaften deshalb international verstärkt mit ande- bekommen nie eine realistische Chance, und verheerender Kriege ist es gelungen, ren Think Tanks vernetzen. Für mich steht ihre Fähigkeiten zu entwickeln und einzu- die Europäische Union zu einem Ort des fest: Nur mit starken Bündnispartnern bringen. In der Konsequenz folgen daraus dauerhaften und friedfertigen Dialogs zu kann es gelingen, globale Veränderungs- Armut, mangelnde Bildung, soziale Aus- prozesse zu beeinflussen. Vorbilder wie grenzung, unzureichende Ernährung und Al Gore, das Ehepaar Gates, Muhammad Gesundheitsversorgung. Yunus, Kofi Annan, Bischof Tutu und Auf der anderen Seite geht der Gesell- „Gesellschaften, Reinhard Mohn zeigen: Mit guten Ideen, schaft damit ein riesiges Reservoir an Ta- überzeugenden Botschaften, hoher per- lenten, Fähigkeiten und Impulsen verloren. die Teilhabe sönlicher Integrität und nicht zuletzt mit Diese Situation ist nicht akzeptabel – nicht und Integration eigenem Kapital können Menschen viel nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern ermöglichen, bewegen. In einer Allianz solcher Kräfte auch für die gesamte Gesellschaft. Wir sind agieren am Ende und Akteure kann es gelingen, neue Werte uns sicher: Gesellschaften, die ein hohes viel erfolgreicher.“ im Globalisierungsprozess zu verankern. Maß an Teilhabe und Integration ermög- Den Versuch einer solchen Allianz wollen lichen, agieren am Ende viel erfolgreicher. wir initiieren. Ein solch umfassendes Verständnis von Die Welt verändert sich, und mit ihr Teilhabe und Integration im nationalen verändern auch wir uns. Die euphorisch und internationalen Rahmen ist deshalb machen. Das ist eine zentrale Errungen- begrüßte Globalisierung in den Neunzi- für uns die Grundlage für einen gemeinsa- schaft für uns alle, dass sollte aber auch gerjahren mit der Öffnung internationaler men und gerechten Entwicklungsweg. eine Erfahrung und ein Modell sein, das Märkte ist einer weitaus nüchternen Be- Immanuel Kant schrieb vor über zwei- wir als Europäer aktiv in den Globalisie- trachtung gewichen. Die Bertelsmann Stif-

tung hundert Jahren, dass die Menschen „sich rungsprozess einbringen. Ein weiterer Be- tung mischt sich in diese Diskussion ein. f nicht ins Unendliche zerstreuen können, standteil könnte unser einheitlicher Raum Sie setzt das Thema faire Globalisierung sondern endlich sich doch neben einander für Wirtschaft, Demokratie und Recht in auf die eigene internationale Tagesord- dulden“ müssen. So hellsichtig hat der Phi- Verbindung mit der Vielfalt von unter- nung. Wir wollen die Chancen der Globa- losoph die Globalisierung auf den Punkt ge- schiedlichen Kulturen und Lebensweisen lisierung für positive Veränderungen. Und bracht. Wir sind heute alle Nachbarn. Es gibt sein. Und schließlich auch unser Verständ- wir wollen viele Menschen ermuntern und oto: bertelsmann sti f nichts mehr auf der Welt, dass uns nichts nis von Zusammenleben, das nicht durch ermutigen, diesen Weg gemeinsam mit globalisierung › Seite 10

Dr. Gunter Thielen > „Deutschland hat Nachholbedarf bei der Förderung von Vielfalt“

Rede anlässlich der Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises 2008

eit zwanzig Jahren vergibt die Ber- Globalisierung ist inzwischen für die onen in den Globalisierungsprozess. Diese telsmann Stiftung nun schon den Menschen in den westlichen Industrielän- Entwicklung wird aber nach meiner festen S Carl Bertelsmann-Preis. Von Reinhard dern eine Tatsache. Für die anderen ist es Überzeugung schon bald an ihre Grenzen Mohn initiiert, blicken wir seit zwei Jahr- eine Herausforderung, eine wirkliche Chan- stoßen. Alleine dieser Kostenanreiz reicht zehnten immer wieder über die Grenzen ce für die Zukunft. Und genau als das sollten bald nicht mehr, um Produktion und Pro- Deutschlands und suchen im internationa- wir die Globalisierung auch sehen: Sie eröff- duktionsstätten zu verlagern. len Rahmen nach Lösungen für Probleme, net völlig neue Möglichkeiten, Menschen In der nächsten Phase der Globalisie- die uns behindern und blockieren. Auch und Kulturen kennenzulernen und zusam- rung wird Qualität eine ganz neue Rolle aus heutiger Sicht eine völlig einfache und men neue Wege zu entdecken. Unsere Auf- spielen. Und damit sind wir schon sehr klare Idee, die vielleicht deshalb noch so gabe ist es, diese Herausforderung anzuneh- nah an der Themenstellung dieses Carl ungeheuer modern ist. Dieser Blick in an- men, gleichzeitig aber die Globalisierung Bertelsmann-Preises. Zu dieser Qualität dere Länder war für Reinhard Mohn nie dabei auch bewusst zu gestalten. gehören ebenso intelligente Lösungen, wie vom Konflikt der Kulturen oder der Kon- große Kundennähe und die Bereitschaft, kurrenz zwischen Nationalstaaten geprägt. sich immer wieder auf neue Situationen Er wollte einfach nur wissen, wie lösen an- einzustellen. Bildung ist da natürlich ein dere Herausforderungen, und was kann „Internationalisierung ganz wichtiger Faktor. Nur gut ausgebilde- man davon auf unser Land übertragen. ist eine Chance und te Menschen erkennen Herausforderun- Internationalisierung ist eine Chance und gen und sind in der Lage, dafür adäquate keine Bedrohung oder Risiko. Das wurde keine Bedrohung oder Lösungen zu finden. Die Diskussion um beim Carl Bertelsmann-Preis von Anfang Risiko.“ die Qualität von Bildung wird gerade in an so verstanden. unserem Land schon sehr lange und leider Zwanzig Jahre später leben wir alle in auch sehr fruchtlos geführt. Denn trotz einer Phase, die umfassend in allen Lebens- Unabhängig von diesen individuellen jahrzehntelanger Auseinandersetzung ist bereichen von der Globalisierung geprägt Einstellungen ist uns aber klar: Die Globali- ein grundlegender Wandel nicht erkenn- wird. Die internationale Verflechtung legt sierung macht weder vor Kontinenten noch bar. Unser Schulsystem bremst Talente aus

noch immer an Tempo zu, Geld- und Wa- vor Nationalstaaten Halt. und behindert Kinder und Jugendliche, ütze f renströme fließen ständig noch schneller. Wenn man heute über Globalisierung die nicht mit einem normalen gutbürger- Und immer mehr Menschen werden zu ei- redet, dann stehen meistens die ökonomi- lichen, deutschen Hintergrund in ihre Bil- nem Bestandteil dieser globalen Ökonomie, schen Aspekte im Mittelpunkt. Und diese dungskarriere starten. gleichzeitig aber auch zu einem Teil der glo- ökonomischen Aspekte reduzieren sich Bildung ist einer der wichtigen Fakto- tung, sebastian p

balen Weltgemeinschaft. Das mag auf den dann schnell auf die Verlagerung von Ar- ren der nächsten Globalisierungsphase. f ersten Blick noch sehr abstrakt klingen, aber beitsplätzen. Globalisierung steht für die Ansonsten hätten wir es uns bei diesem die praktischen Konsequenzen erreichen je- ständige Suche nach den günstigsten Rah- Carl Bertelsmann-Preis auch einfach ma- den Einzelnen direkt und spürbar. Sei es bei menbedingungen für die Industrie und den chen können und die Sieger des PISA-Tests den Auswirkungen auf den eigenen Arbeits- Dienstleistungssektor. Billige Arbeitskräfte noch einmal auszeichnen können. Wenn platz, sei es beim Einkauf oder der telefoni- sind noch immer der zentrale Antrieb für es stimmt, dass Qualität zukünftig das

schen Buchung von Flugtickets. die Einbeziehung neuer Länder und Regi- treibende Element der Globalisierung sein Fotos: bertelsmann sti › globalisierung Seite 11

Liz Mohn und Dr. Gunter Thielen mit einigen der prominenten Botschaftern des bundesweiten Integrationswettbewerbs „Alle Kids sind VIPs“: Tänzern der „Flying Steps“(unten), Comedian Bülent Ceylan, Moderatorin Shary Reeves und Sängerin Jenniffer Kae (von links)

wird, dann müssen wir auch Vielfalt und Brücken bauen, Austausch und Verständi- der weltweiten Recherche, gleichzeitig aber Unterschiede zulassen. Wir brauchen eine gung herstellen. Ein großer Vorteil im all- auch der Auftakt, diese Idee möglichst weit Gesellschaft die sich bewegt, die sich ver- täglichen Zusammenleben, aber auch eine in die Politik, die Gesellschaft und die Schu- ändert, die lebt, die ganz unterschiedliche unglaubliche Chance für wirtschaftliche len hineinzutragen. Natürlich sind Kanada Sichtweisen gestattet und die allen Men- Prozesse. Eine solche Vielfalt zum Erfolg und Toronto nicht mit unseren Ausgangs- schen, unabhängig von ihrer Herkunft, faire zu führen, fällt einem nicht in den Schoß. bedingungen in Deutschland vergleichbar. Chancen eröffnet. Einheitlichkeit, Konfor- Integration ist ein anstrengender Prozess, Unser diesjähriger Preisträger, die Schul- mität und Normierung sind in Phasen der mit vielen Hürden und Rückschlägen. Am Industrialisierung sicherlich notwendig, in Ende profitieren von dieser Mühe aber alle der globalisierten Welt der Zukunft führen Menschen, egal ob Zuwanderer oder Ein- diese Eigenschaften aber in die Sackgasse. heimischer. „Länder, die Vielfalt Länder, die Vielfalt schätzen und fördern, Ein wichtiger Schlüssel, um Vielfalt zu schätzen und fördern, ermöglichen, ist die gezielte Integration werden klare Vorteile über das Bildungssystem. Schule erhält damit in wachsendem Maße nicht nur haben.“ „Bildung ist einer der eine wichtige Rolle in der Wissensver- wichtigsten Faktoren mittlung, sondern ist auch ein zentraler der nächsten Globali- Baustein einer vielfältigen und bunten verwaltung von Toronto, zeigt aber, dass Gesellschaft. man mit der Herausforderung aktiv umge- sierungsphase.“ Der Weg zu einer fairen Globalisierung hen muss, wenn ein großer Teil der eigenen wird uns nur gelingen, wenn wir Chancen Bürger nicht in Kanada geboren ist. Und die für alle Menschen auch in Deutschland Kanadier zeigen uns auch, dass man aus werden klare Vorteile haben. Denn sie lassen gerechter gestalten. Gerade wir als Ex- der vermeintlichen Mängelverwaltung he- in ihrem Land, in ihrer Gesellschaft schon portweltmeister haben noch einen gro- rauskommen und Vielfalt als Gestaltungs- die Globalisierung im Kleinen zu. ßen Nachholbedarf bei der Förderung von aufgabe verstehen kann. Die Städte, Regionen und Länder, die das Vielfalt. Als Bertelsmann Stiftung möchten Strukturen, die ein hohes Maß an Teilha- Zusammenleben unterschiedlicher ethni- wir gerne einen Beitrag dazu leisten, Kin- be und Integration ermöglichen, funktionie- scher Gruppen, Kulturen und Religionen dern und Jugendlichen mit Migrations- ren am Ende viel erfolgreicher! Das Vorbild tatkräftig unterstützen, sind potenziell mit hintergrund eine echte Chance in dieser für die Zukunft sind deshalb Städte wie To- der ganzen Welt vernetzt. Hier kennt man Gesellschaft zu eröffnen. Der Carl Bertels- ronto – hier hat man verstanden, dass Viel- die unterschiedlichen Sprachen und Bräu- mann-Preis „Integration braucht faire Bil- falt und Integration zwei zentrale Bausteine che, man hat Kontakte, man kann schnell dungschancen“ ist deshalb zwar Abschluss für moderne Gesellschaften darstellen. ][ globalisierung › Seite 12

Dr. Gunter Thielen > „Eine globale Ökonomie braucht auch globale Regeln und Strukturen“

Dr. Gunter Thielen in „change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung“, 1/2010

ie Globalisierung wirkt sich in ver- zur Abstimmung und zur Koordination, schiedenen Formen auf fast alle Men- aber auch zur Entscheidung und zum D schen aus. Kaum ein Platz auf dieser „Wir müssen uns von Handeln. Die bestehenden Organisati- Erde ist heute so abgeschieden, als dass er der Vorstellung verab- onen und Gremien binden zu wenige nicht von diesen Veränderungen erreicht schieden, alle Kräfte Akteure ein oder sind der Dynamik der würde. Dieser Wandel fällt allerdings sehr Globalisierung nicht gewachsen. Um zu unterschiedlich aus: Die Vielfalt der Pro- in einer Organisation funktionieren, braucht Globalisierung duktangebote steigt, Arbeitsplätze entste- zu bündeln.“ auch Global Governance – eine internati- hen oder fallen weg, andere Kulturen rücken onale konsensorientierte Ordnungspoli- näher, Kommunikationsnetzwerke dehnen tik ohne die Dominanz einzelner Akteure. sich aus, und die Beeinträchtigung der Um- Global Governance steht aber gleichzeitig welt trifft jeden. Globalisierung ist deshalb auch für die Kooperation von staatlichen für uns alle inzwischen Normalität, in vielen und nichtstaatlichen Einrichtungen. Fällen aber eine ambivalente Normalität. oder das Erdbeben auf Haiti zeigen eine an- Auf Global Governance darf man nicht Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat dere Seite der Globalisierung. Hilfe und Un- hoffen oder warten, wir sind vielmehr gezeigt, dass unsere Ökonomien global ver- terstützung wird plötzlich auf der ganzen alle gefordert, an ganz unterschiedlichen flochten sind und sich alle wirtschaftlichen Welt mobilisiert und organisiert. Natürlich Stellen über solche Strukturen nachzu- Entwicklungen auch national auswirken. funktioniert nicht immer alles sofort in denken. Die faktische Ablösung der G8- Dass die Folgen alle Menschen erreichen, der ersten Minute, aber es gelingt doch, durch die G20-Treffen gehört ebenso aber die Verantwortung für die Krisen nur auch vielen hunderttausend Menschen dazu wie das Weltsozialforum, die welt- in den Händen von wenigen liegt, ist nicht im größten Chaos zu helfen. Und das über weite Vernetzung von Bürgerstiftungen akzeptabel. Eine globale Ökonomie braucht alle kulturellen, sprachlichen und bürokra- oder Spendenaktionen über Facebook auch globale Regeln und verlässliche Struk- tischen Grenzen hinweg. Diese Hilfe wird und Twitter. turen. Globalisierung benötigt Nachhal- aber nicht nur von Regierungen und Or- Verabschieden müssen wir uns von tigkeit, muss bei allen Beteiligten Vertrau- ganisationen getragen, sondern Millionen der Vorstellung, alle diese Kräfte in einer en aufbauen und sich auch als steuerbar von Menschen beteiligen sich unmittelbar Organisation bündeln zu können. Die erweisen. Verkommt sie stattdessen zum mit Spenden und Aktionen – eine Globali- Herausforderung besteht vielmehr da- krisengeplagten Zocker-Kapitalismus, wird sierung von unten, die durch ihre Bereit- rin, alle zu vernetzen. Global Governance sich die Systemfrage über kurz oder lang schaft zum Engagement wirklich Hoffnung muss man sich deshalb als eine Bewe- auch global stellen. macht. gung von Menschen und Institutionen Große Herausforderung und dramati- Es wird deutlich, dass eine globalisier- vorstellen, die den Anspruch haben, Glo- sche Katastrophen wie der Tsunami 2004 te Welt angemessene Strukturen braucht, balisierung aktiv zu gestalten. ][ › globalisierung Seite 13

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ARGENTINIEN Demokratien

defekte Demokratien

stark defekte Demokratien Qualität der Demokratie

Der Bertelsmann Transformationsindex (BTI) untersuchte 128 Demokratien (60 Prozent) und Autokratien (40 Prozent) ist in den Staaten der Erde. 76 dieser Länder erfüllen die Grundanforderun- letzten Ausgaben des BTI stabil geblieben. Defizite, zum Beispiel gen eines demokratischen Systems. Während 23 der Demokratien in Madagaskar oder Georgien, werden durch Qualitätsgewinne in keine wesentlichen Defizite aufweisen, werden 53 als „defekte Liberia, der Türkei oder Serbien ausgeglichen. Insbesondere die Demokratie“ eingeordnet, darunter Kenia, Russland oder Haiti. kontinuierliche Festigung der Demokratie in Flächenstaaten wie Hier gibt es trotz relativ freier Wahlen erhebliche Probleme, Brasilien oder Indonesien ist beeindruckend. politische und bürgerliche Freiheitsrechte durchzusetzen, oder es Mehr dazu unter: mangelt an effektiver Gewaltenteilung. Das Verhältnis zwischen www.bertelsmann-transformation-index.de

info> bertelsmann transformationsindex (bti)

Die Untersuchung von 128 Ländern bietet Politik und internatio- Qualität des politischen Managements werden anhand detaillier- naler Öffentlichkeit eine Orientierung über Qualität und Entwick- ter Kriterien bewertet und in einer Analyse begründet. lungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft. BTI-Board Ranking Das Projekt wird von einer interdisziplinär besetzten Experten- Bewertungsgrundlage ist die Zielvorstellung einer konsolidierten kommission begleitet, dem BTI-Board. Dieses setzt neue inhalt- marktwirtschaftlichen Demokratie. So beurteilt der BTI den Stand liche Impulse, identifiziert Herausforderungen und diskutiert der rechtsstaatlichen Demokratie und sozial verantwortlichen Projektergebnisse. Marktwirtschaft sowie Konsequenz und Zielsicherheit der politi- Ziel schen Akteure beim Umsetzen von Reformvorhaben. Die Daten werden in einem Status- und einem Management-Index zusam- Strategien für den Wandel zur marktwirtschaftlichen Demokratie mengefasst. zu finden, bleibt kompliziert, da jede Entwicklung ein Sonderfall ist. Jedoch sind Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg der Ländergutachten Transformationsprozesse vergangener Jahrzehnte entschieden Regelmäßige Gutachten informieren über den Entwicklungsstand haben, die ergiebigste Quelle, um Fehler zu vermeiden und gang- bare Wege zu identifizieren. ik: dieter duneka der Länder. Politische und wirtschaftlichen Leistungen und die f gra wirtschaftskrise

„Die notwendigen Verände- rungsschritte nach der Krise werden nur Erfolg haben, wenn viele Menschen einbezogen werden.“ Dr. Gunter Thielen › wirtschaftskrise Seite 15 wirtschaftskrise

Börse in New York: Die Krise wird offensichtlich Foto: getty images wirtschaftskrise › Seite 16

Dr. Gunter Thielen > „Eine langfristige Anti- Krisen-Strategie muss auf Vertrauen, Nachhaltigkeit und Steuerung setzen“

Dr. Gunter Thielen in „change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung“, 3/2009

ie Globalisierung hat die Welt, die ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet te Job für mich, und wo bekomme ich eine Arbeitsbeziehungen und das Leben werden; passende ärztliche Behandlung? Klarheit D von uns allen in den letzten Jahren verschafft uns Orientierung und Urteilsfä- stark verändert. Dieser Wandel hat viele > gerade in einer globalisierten und verunsi- higkeit. Menschen verunsichert. In Deutschland, cherten Welt brauchen wir wirksamere Steu- Vertrauensbruch hat unmittelbare und aber auch in vielen anderen Ländern, ist erung und klarere Rahmenbedingungen. direkte Folgen. Wer nicht einhält, was er die Angst der Menschen gewachsen, an den versprochen hat, ist unglaubwürdig und neuen Chancen und Möglichkeiten nicht In kleinräumigen gesellschaftlichen sollte dafür geradestehen und haften. Ohne teilhaben zu können. Strukturen bildet Vertrauen einen ganz ein verlässliches Haftungsrecht, das schnell Diese Ängste, Sorgen und Nöte haben zentralen Baustein für das Zusammenle- greift, findet Vertrauen in entwickelten Ge- sich in den letzten Jahren noch verstärkt. ben und das Zusammenarbeiten. Ohne sellschaften und Ökonomien nicht statt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Vertrauen geht nicht viel. Aber auch in Der Versuch, Vertrauen als wichtige Verunsicherung vieler Menschen vergrö- einer globalisierten Welt brauchen Men- Klammer wieder zu stärken, ist natürlich ßert und einschneidende Konsequenzen schen und Märkte Vertrauen. Und schwin- auch ein Einstieg in die wichtige Debat- spürbar gemacht. Die bedrohlichen Ele- dendes Vertrauen ist sicherlich zumindest te um Werte in unserer Gesellschaft. Hier mente der Globalisierung für die Weltwirt- ein Bestandteil der weltweiten Finanzkrise. brauchen wir eine Verständigung darüber, schaft haben an Gewicht gewonnen. Unter Vertrauen kann man nicht kaufen. Es muss welche Eigenschaften unser Zusammenle- den aktuellen Rahmenbedingungen kann sich vielmehr entwickeln, über die Zeit und ben in Zukunft prägen sollen. ich diesen Eindruck teilen. Die Krise hat das gemeinsame Zusammenwirken. Steigende Renditen, höhere Wachs- noch einmal die Notwendigkeit gezeigt, tumserwartungen und immer größere nun an vielen Stellen gesellschaftspoliti- Boni-Zahlungen waren an vielen Stellen sche und ökonomische Veränderungen scheinbar die alleinigen Antriebskräfte wirklich anzugehen. „Wir brauchen die der Wirtschaft. In der Gesellschaft wurden Im Rahmen unserer Stiftungsarbeit, aus Abkehr von der hekti- Herausforderungen wie die Integration vielen Gesprächen mit Bürgern, Wissen- schen Suche nach dem von Menschen aus anderen Ländern, ein schaftlern und Entscheidungsträgern haben nächsten ‘quick win‘.“ förderndes Bildungssystem oder der Über- sich drei Probleme herauskristallisiert. Über gang ins Berufsleben nicht mit der not- diese Herausforderungen wollen wir einen wendigen Intensität bearbeitet. Auf allen ik: dieter duneka breiten öffentlichen Dialog führen, um kon- Ebenen stehen kurzfristige Strategien im f krete Veränderungsschritte zu initiieren: Der Aufbau von Vertrauen funktioniert Mittelpunkt, die eine Nachhaltigkeit in der

in der modernen Welt durch transparente Entwicklung blockieren. tung. gra f > Vertrauen muss wieder eine verlässliche Strukturen und Angebote und durch ein Was wir brauchen, ist die Abkehr von Grundlage zwischen Individuen und Ge- klares Regelwerk. Was wir brauchen, sind der hektischen Suche nach dem nächsten sellschaft werden; nicht unbedingt mehr Informationen, son- „quick win“. Dauerhafte Erfolge muss man dern ein Mehr an Klarheit: Was ist in mei- sich hart erarbeiten. Das ist sicherlich müh- > Beziehungen und Prozesse müssen stär- nen Lebensmitteln, welches Risiko gehe ich seliger und weniger prestigeträchtig, es

ker auf eine soziale, ökonomische und bei der Geldanlage ein, welches ist der bes- schafft aber eine solide Grundlage für wirk- Foto: bertelsmann sti › wirtschaftskrise Seite 17

zess, die richtige Balance aus Freizügigkeit und Steuerung zu finden. Ein so vielfältiges Zusammenspiel von Ländern und Kräften wie bei der Globalisierung kann nicht ein- fach nur dem Primat der Stärksten und Leistungsfähigsten unterworfen werden. Die Finanzmarktkrise hat sehr eindrucks- voll gezeigt, wohin die Weltwirtschaft ge- trieben wird, wenn Zügellosigkeit und rei- nes Profitstreben die Oberhand gewinnen. Dies war und ist auch eine Krise der Ord- nungsstrukturen; es wäre deshalb falsch, sich möglichst schnell und ohne Verände- rungen in den nächsten Aufschwung zu retten. Mehr Global Governance zwischen Nationalstaaten und unabhängigen Orga- nisationen ist zur Lösung dieser Herausfor- derungen gefordert. Grundvoraussetzungen für funktionie- Dr. Gunter Thielen mit Philip D. Murphy (Mitte), US-Botschafter in Deutschland, und dem deutschen rende Steuerungssysteme sind klare Ziel- Botschafter in den USA, Dr. Klaus Scharioth, bei einer Lunch Debate zur Finanzkrise in Berlin setzungen, die Bereitschaft zur Führung und die Akzeptanz aller Akteure. Zu einer neuen Ausrichtung von Gesellschaft und Ökonomie gehört es, den Menschen mit „Nach der Wirtschaftskrise sind mir wichtiger geworden“ seinen Bedürfnissen und Wünschen wie- der in den Mittelpunkt zu stellen. Ganz eng damit verknüpft ist der Wiederaufbau von verlorengegangenem Vertrauen. Die Einkommen, Sicherheit 35 % Wohlstand langfristige und dauerhafte Ausrichtung von Entscheidungen und Entwicklungen Persönliche Orientierung 24 % und Lebenssinn ist ebenfalls von großer Wichtigkeit. Auf

Meine Familie, meine Kinder, 24 % meine Eltern

Stabile persönliche Beziehungen 20 % „Auch in einer globali- und Freundschaften sierten Welt brauchen Ehe und Partnerschaft 15 % Menschen und Märkte Vertrauen.“ Quelle: Bertelsmann Stiftung, Demoskopische Umfrage TNS-Emnid, 2009

der Grundlage eines solchen Wertekanons same Veränderungen und ein gesichertes gensätze sind, zeigt Bionade mit ihrem Er- brauchen wir Frauen und Männer, die be- Wachstum. frischungsgetränk. Nachhaltigkeit ist eine reit sind, Verantwortung zu übernehmen, Wenn man den Mut und die Kraft auf- gute Strategie, die viele Gesichtspunkte mit für Positionen einzustehen und diese am bringt, einen solchen langen Weg zu gehen, einbezieht und die Menschen als Bürger Ende auch umsetzen. Für eine solche Rolle dann können am Ende die Erfolge auch oder als Kunden in den Mittelpunkt stellt. braucht man Mut, aber auch den Willen zur ziemlich cool aussehen. Skandinavien ist Nachhaltigkeit könnte für Deutschland Gestaltung und ein großes Durchhaltever- seit Jahren ein Vorreiter für ein früh einset- zu einem überzeugenden und erfolgrei- mögen. Steuerung funktioniert in der De- zendes und integriertes Bildungssystem, chen Markenkern werden. Erfindergeist mokratie und in der Wirtschaft nur, wenn das alle Schüler mitnimmt und sie top und Ingenieurskunst auf der einen Seite man den Menschen die Ziele und den Weg ausgebildet entlässt. Apple ist ein Beispiel und weitreichende politische Verantwor- erklärt, und sie ihn anschließend überzeugt dafür, wie man auch als Unternehmen tung für alle Bürger auf der anderen Seite mitgehen. nachhaltig und mit langem Atem Produkte – ein spannendes und zukunftssicheres Vielleicht kann Deutschland auch hier entwickeln und dabei trotzdem wirtschaft- Modell. – wie in der Vergangenheit bei der sozialen lich sehr erfolgreich agieren kann. Dass Für gesellschaftliche und wirtschaftliche Marktwirtschaft – wieder eine Vorreiterrol- Genuss, Ökologie und Wachstum keine Ge- Strukturen ist es ein kontinuierlicher Pro- le übernehmen. ][ wirtschaftskrise › Seite 18

Dr. Gunter Thielen > „Bürger müssen in Entscheidungen intensiver eingebunden werden“

Von Dr. Gunter Thielen, aus einem Interview mit

n einer Umfrage der Bertelsmann Stif- hier einen gesellschaftlichen Wertewandel? chig geworden sind, suchen die Menschen in tung zu den Folgen der Wirtschaftskrise Ich weiß nicht, ob wir hier schon von einem dieser Krise vor allem Sicherheit und sozia- I gibt jeder vierte Bundesbürger an, dass Wertewandel sprechen sollten. Die Menschen len Zusammenhalt. Viele finden ihn in ihrer die Rolle der Familie, der Kinder oder die Be- sagen aber, dass für sie als Reaktion auf die eigenen Partnerschaft, Familie und ihrem so- ziehung zu den Eltern in den vergangenen Wirtschaftskrise das persönliche Umfeld, die zialem Umfeld. Monaten für ihn an Stellenwert gewonnen unmittelbaren sozialen Beziehungen und der Zum anderen verstärkt sich möglicherweise hat. Für 20 Prozent sind stabile persönliche Wunsch nach Orientierung größer geworden hier auch ein Wertewandel, der schon län- Beziehungen und Freundschaften wichti- sind. Wir sehen darin vor allem zwei Motive: ger zu beobachten ist. Weg von materiellen ger als vor der Krise und für 15 Prozent die Wo alle bewährten Zusagen und Netze brü- Bedürfnissen, von oberflächlichem Konsum, eigene Ehe oder Partnerschaft. Gleichzeitig lockeren Beziehungen in einer unübersicht- hat aber auch die Frage der materiellen Si- lichen Welt des ständigen Wandels hin zu cherheit an Bedeutung gewonnen. Über die festen Bindungen und Rückzug in ein bes- Ergebnisse der Umfrage sprach n-tv mit Dr. „Ich glaube, dass ser überschaubares häusliches und soziales Gunter Thielen. wir die Menschen im- Umfeld. Das ist zunächst einmal nur allzu menschlich und normal. Eine große Anzahl von Menschen sagt in der mer in ihrer Bereit- Solche Zahlen zeigen vor allem, dass das Umfrage, dass für sie persönliche Beziehun- schaft zur Solidarität Vertrauen bei sehr vielen Menschen verloren gen, Ehe, Familie, Kinder oder andere Werte unterschätzen.“ gegangen ist. Bemerkenswert ist aus unserer an Bedeutung gewonnen haben. Erleben wir Sicht das Ausmaß dieses möglichen Mentali- › wirtschaftskrise Seite 19

tätswandels. Es geht hier um jeden vierten eine große Anzahl der Menschen und weist bessere Integration von Ausländern sein Bundesbürger und nicht um irgendeine klei- in ihren Antworten darauf hin. sollte? ne Randgruppe. Das ist für mich ein sehr positives Signal aus In der Befragung wünschen sich über 80 dieser Umfrage. Die Menschen in unserem Sind denn mit der Krise auch nicht-materi- Prozent der Menschen mehr Solidarität zwi- Land haben verstanden, dass eine nachhalti- elle Werte in unserer Gesellschaft verloren schen Alt und Jung oder zwischen Arm und ge Entwicklung auch eine bessere Integration gegangen? Reich. Hat Sie das überrascht? unserer Bürger mit Migrationshintergrund Es ist das verloren gegangen, was die Gesell- Überrascht hat mich die große Zahl der Men- verlangt. Die Menschen wollen auch hier so- schaft zusammenhält: Vertrauen. Vertrauen schen, die diese Forderungen erheben, und lidarisch sein. Sie verlangen keine Lösungen ist eine unerlässliche Grundlage, um miteinan- zwar über alle Schichten und Einkommens- auf Kosten von Randgruppen. Wir sollten der zu kooperieren. Aber der Aufbau und der gruppen hinweg. Wir sind der festen Über- diese Bereitschaft zum Miteinander und zum Erhalt von Vertrauen funktionieren nicht ein- zeugung, dass die Soziale Marktwirtschaft Zusammenhalt aufgreifen und nutzen. fach so nebenher. Es erfordert Zeit und Mühe und den persönlichen Kontakt. Dafür scheint Als einige der wichtigsten Gründe der Wirt- in einer Welt der schnellen Erfolge und der schaftskrise werden immer Gier und kurzfris- hohen Renditen oft kein Platz mehr zu sein. tiges Profitstreben genannt. Das Misstrauen Aber dieses kurzfristige Denken wird sich „Es ist verloren gegenüber Unternehmen und Wirtschaft rächen. Denn wenn die Erfolge von gestern gegangen, was die kommt auch in dieser Umfrage deutlich zum aufgebraucht und die Erträge im Minus sind, Ausdruck. dann fehlt die Basis für einen Neuanfang. Das Gesellschaft zusammen Wenn die Krise eines gezeigt hat, dann das, gilt für das Zusammenleben der Menschen, hält: Vertrauen!“ dass die grenzenlose Beliebigkeit und die für die Politik wie für die Wirtschaft. reine Lehre des Neoliberalismus an der Gier gescheitert sind. Der Vertrauensverlust gilt In Ihrer Umfrage sagen immerhin 45 Prozent wieder eine Renaissance erleben muss. Sie für die Wirtschaft und das Management der Befragten, sie glauben, als Reaktion auf war über Jahrzehnte eine stabilisierende insgesamt. Denn in der Wirtschaft fehlt es die Krise werde der Zusammenhalt in unse- und ausgleichende Kraft in unserem Land. angesichts kurzfristiger Rendite-Erwartung rer Gesellschaft stärker. Und damit auch ein Garant für den sozialen inzwischen an vielen Stellen an verlässlichen tung

f Ich glaube, dass wir die Menschen immer Zusammenhalt. Sie war ein Modell, das sei- Strukturen, in denen Vertrauen wachsen in ihrer Bereitschaft zur Solidarität unter- ne Funktionsfähigkeit längst bewiesen hat kann. schätzen. Denn ein Mehr an Zusammenhalt und in moderner Form wiederbelebt werden ist genau die richtige Antwort auf die Krise, muss. Sind Gier und kurzfristiges Profitstreben und Zusammenhalt ist notwendig. Wir haben nicht einfach nur populäre Alltags-Erklärun- dieses Thema in den vergangenen Jahren Wie verstehen Sie den Wunsch, dass eine gen? Liegen die Ursachen nicht doch tiefer?

Fotos: bertelsmann sti aber sträflich vernachlässigt. Das erkennt Konsequenz aus der Krise zukünftig eine In der Bertelsmann Stiftung sind wir ›› wirtschaftskrise › Seite 20

zu der Überzeugung gekommen, dass viele ökologische Aspekte und Abläufe beschränkt. der aktuellen Umbrüche und Probleme zwar Heute haben wir verstanden, wie wichtig es durch die aktuelle Weltfinanzkrise ausgelöst, ist, überall die langfristigen Konsequenzen „Wir müssen in aber nicht unmittelbar verursacht wurden. mitzudenken und zu beachten. Nachhaltig- der Frage der Überall in der Gesellschaft ist es in den ver- keit brauchen wir in all unseren sozialen und Nachhaltigkeit noch gangenen Jahren zu Schieflagen und Fehlent- ökonomischen Prozessen. Ich weiß nicht, ob ambitionierter wicklungen gekommen. Aber auch hier wa- sich diese Erkenntnisse bereits in allen Un- ren Egoismus, Gier und fehlende Kontrollen ternehmen hinreichend durchgesetzt haben. werden.“ die entscheidenden Faktoren. Es handelt sich Dabei handelt es sich um einen Lernprozess. daher nicht nur um eine allein wirtschaftli- Ist Nachhaltigkeit eigentlich die entscheiden- haltiges Denken im Umweltschutz und in der de Strategie als Antwort auf die Krise? Wirtschaft beschränken. Wenn es uns gelingt, Ja, Nachhaltigkeit in all ihren Aspekten ist noch mehr Nachhaltigkeit in unseren sozialen „Nachhaltiges Wirt- die umfassende und einzig überzeugende Strukturen zu etablieren, könnten Deutsch- schaften bedeutet, auf Strategie. Welche Folgen kurzfristige Strate- land und Europa in der Welt mit dieser Stra- der Grundlage realisti- gien in der Wirtschaft haben, hat die aktuelle tegie durchaus Modellcharakter entwickeln. Finanzkrise eindrucksvoll gezeigt. Die wahl- scher Rendite-Erwar- lose Kreditvergabe in den USA war schließ- Reicht Nachhaltigkeit aus, um wirtschaftlich tungen dauerhafte lich einer der Auslöser der globalen Rezessi- und politisch die Krise zu überwinden? Beziehungen zu Kun- on. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, auf Nachhaltigkeit ist einer von drei Schlüsselfak- den und Mitarbeitern der Grundlage realistischer Rendite-Erwar- toren. Der Zweite ist das Vertrauen, das wie- aufzubauen.“ tungen dauerhafte Beziehungen zu Kunden der aufgebaut werden muss, und das Dritte und Mitarbeitern aufzubauen und Produkte ist die Steuerungsfähigkeit. Ökonomien und zu entwickeln, die langfristiges Wachstum Gesellschaften brauchen feste Rahmenbedin- ermöglichen. gungen, Kontrolle und eine vorausschauende che, sondern auch um eine soziale und po- Steuerung mit klaren Zielen. In diese Ziele litische Krise. Oder wenn man es neutraler Sind wir in den Unternehmen in Deutschland müssen in demokratischen Gesellschaften ausdrücken will, falsche gesellschaftliche, bei der Frage der Nachhaltigkeit auf dem alle Menschen einbezogen werden. Ansons- strategische Zielvorstellungen. richtigen Weg? ten sind Gesellschaften nicht mehr steuerbar. Nach unserer Überzeugung haben wir in Vorausschauende Steuerung heißt aber nicht In der Umfrage erklärt die Mehrzahl der Be- Deutschland unter ökologischen und ökono- nur, dass die Bürger zwischen klaren Alter- fragten, sie glaube nicht, dass die deutschen mischen Gesichtspunkten schon eine Menge nativen entscheiden können. Bürger müssen Unternehmer zukünftig nachhaltiger und ver- an Ideen und praktischen Erfahrungen in in Entscheidungen zukünftig viel intensiver antwortlicher wirtschaften werden. Ist dieser Sachen Nachhaltigkeit zu bieten. Wir müs- eingebunden werden. Nur durch Teilhabe Eindruck aus Ihrer Perspektive richtig? sen in der Frage der Nachhaltigkeit noch wird Steuerung im gesellschaftspolitischen Der Ruf nach Nachhaltigkeit war lange auf ambitionierter werden, uns nicht auf nach- Raum erst möglich. ][ › wirtschaftskrise Seite 21

info> die chronologie der krise

Sommer 2007 bis Anfang 2008: April: Schieflage zweier Hedgefonds der Bank Bear Stearns. In Deutsch- Weltfinanzgipfel stemmt sich mit Beschlüssen gegen die Krise. land kriseln IKB und diverse Landesbanken. Mai: 2008: Im Kampf um Opel macht Magna das Rennen. Sommer: Juni: Banken brechen zusammen (Lehman Brothers). Dow Jones ver- General Motors meldet Insolvenz an. bucht den größten Tagesverlust seit dem 11. September 2001. Juli: Oktober: Große Koalition macht Weg für die Bad Banks frei. Weltweit stellen Regierungen riesige Summen zur Rettung der August: Banken bereit. Deutschland: 480 Milliarden Euro! Erste Hoffnungen auf Ende der Krise. November: September: Wirtschaftsweise senken Wachstumsprognosen. Deutschland in Rezession. General Motors will Opel-Mehrheit an Magna und die russische Sberbank verkaufen. In Deutschland Angst um 4000 Stellen. Dezember: Oktober: Autoindustrie gerät immer tiefer in die Krise. Hypo Real Estate vollständig verstaatlicht.

2009: November: Januar: Ausverkauf Quelle. In USA beantragt der Mittelstandsfinanzierer Teilverstaatlichung der Commerzbank und erste Abwrackprämie. CIT Gläubigerschutz und will sich in einem geordneten Insolvenz- verfahren sanieren. Es ist die größte US-Bankenpleite seit dem Februar: Zusammenbruch von Lehman Brothers. GM will Opel nun doch Mit bislang 102 Milliarden Euro muss die Hypo Real Estate behalten. gestützt werden. Bundesregierung denkt über Verstaatlichung der Dezember: HRE nach. Milliardenschweres Konjunkturprogramm in USA. Trotz Wirtschaftskrise zeigen die Arbeitslosenzahlen leicht nach März: unten. Die insolvente Warenhauskette Karstadt setzt Sanierungs- Krise um General Motors und die Frage, ob der deutsche Staat die kurs mit weiteren Filialschließungen fort. GM-Tochter Opel retten sollte. wirtschaftskrise › Seite 22

Dr. Gunter Thielen > „Europa muss zum Bollwerk gegen Krisen werden“

Von Dr. Gunter Thielen, in „change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung“, 1/2009

uropa ist an vielen Stellen in unse- Die globale Wirtschaftskrise stellt un- Angesichts dieser schwierigen wirt- rem Leben sehr präsent. Zahlreiche seren Kontinent nun vor zusätzliche He- schaftlichen Situation, aber auch mit Blick E Dinge, die unseren Alltag prägen, rausforderungen. Inzwischen haben die auf die zu geringe EU-Akzeptanz der Bür- werden inzwischen in Brüssel und Straß- Auswirkungen der Krise alle Länder der ger, brauchen wir alle mehr und nicht weni- burg entschieden. Auch wenn wir nur in EU erreicht und manche sogar bis an den ger Europa. Gebraucht wird ein modernes unser Portmonee greifen und einen Euro Rand des Staatsbankrotts getrieben. Die Europa, das sich den anstehenden Fragen, herausnehmen, sehen wir sofort, welche Menschen merken, dass sich dieser ökono- Problemen und Herausforderungen mit rasante Entwicklung die Europäische Uni- mische Einbruch nicht nur auf die Banken neuen Instrumenten und Strategien stellt. on in den letzten Jahrzehnten genommen und die Finanzmärkte auswirken wird. Es Dazu gehört die Notwendigkeit, sich auf hat. Gerade für uns Deutsche zeigen Reisen drohen sinkende Einkommen, Millionen eine gemeinsame Vision für Europa zu ver- in alle Himmelsrichtungen, dass wir auf von Arbeitsplätzen geraten in Gefahr, und ständigen. Ohne ein gemeinsames Grund- einem entgrenzten Kontinent leben mit ei- eine tiefgreifende gesellschaftliche Verän- und Zielverständnis ist Europa nicht steu- ner einzigen Währung. In Europa und für derung innerhalb von Europa und seinen erbar und entwickelt keine Ausstrahlung uns Europäer hat sich also viel verändert. Mitgliedsländern wird folgen. für die Menschen. Am meisten überzeugen

„Wir brauchen mehr und nicht weniger Eu- ik: dieter duneka ropa. Die EU muss zu f einer lebendigen Union ihrer Bürger werden.“ ardt link. gra h

Trotzdem bleibt das Interesse der Bürger Foto: bern an Europa begrenzt und die Begeisterung verhalten. Statt der zahlreichen positiven Entwicklungen stehen scheinbar kritische Gesichtspunkte für viele Menschen im Vor- dergrund. Die Ursache dafür mag an einem Konstruktionsfehler­ der Europäischen Uni- on liegen – sie ist über die Jahre leider nur das Projekt der politischen Akteure und ih- rer Institutionen geblieben. Trotz der Erfol- ge scheint Europa damit in eine Sackgasse geraten zu sein. Die Kanzlerin Dr. Angela Merkel im Gespräch mit Dr. Gunter Thielen beim Bürgerforum › wirtschaftskrise Seite 23

am Ende die Taten und Erfolge, deshalb braucht die EU auch Kooperation und Deutschland holt auf mehr abgestimmte Aktionen. Die Europä- Welches Industrieland kommt Ihrer Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit am nächsten? ische Union muss jetzt beweisen, dass es Angaben in Prozent ihr gelingt, sich als Gemeinschaft gegen die Folgen der Wirtschaftskrise zu stemmen: 38 Vielleicht sorgt diese Krise dafür, dass Eu- Schweden 27 ropa schneller und effektiver zusammen- findet und sich als Kraftzentrum begreift. Deutschland 5 19 Ein Europa, das in einer der schwersten Wirtschaftskrisen aller Zeiten besteht und 18 Schweiz gemeinsam und entschlossen handelt, 16 würde sicher viele Menschen überzeugen 19 Dänemark und vielleicht auch begeistern. Ein hand- 14 lungsfähiges Europa wäre für die Bürger 8 Niederlande eine positive Entwicklung und ein not- 6 wendiger Schritt in Richtung Zukunft. Die 2 EU muss zu einer lebendigen Union ihrer Frankreich 2 Bürger werden. Die Menschen in den 26 Mitgliedsländern müssen endlich auch ak- kein Land davon 4 tiv in die Gestaltung und Entwicklung der 5 Europäischen Union einbezogen werden. 12 keine Angaben Sie brauchen die Chance und die Möglich- 14 keiten, sich in politische Entscheidungen 2007 2010 einzubringen und über ihre Repräsentan- Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 18 Jahre, Mehrfachangaben möglich ten der EU zu entscheiden. Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 10008 (2007), 10049 (2010) Mit einer klaren europäischen Werte- und Zielorientierung, mit handlungsfähi- gen Strukturen und mit einem Europa der Bürger würde ich mir selbst in Krisenzeiten keine Sorgen um die EU machen. ][

info> task force „perspektive 2020 – deutschland nach der krise“

Die programmübergreifende Task Force 1. Vertrauen weiteren Fragestellungen verbunden: wie „Perspektive 2020 – Deutschland nach Wie kann Vertrauen in der Gesellschaft der Systemakzeptanz und Politikzufrie- der Krise“ hat gezielt das Know-how der zurückgewonnen und stabilisiert werden? denheit, der sozialen Frage sowie der Stiftung gebündelt, um Lösungsansätze Wie kann Vertrauen in die demokratische internationalen Verflechtungen. in die Diskussionen einzuspeisen. Das und marktwirtschaftliche Ordnung in Kri- 3. Nachhaltigkeit Aufgabenfeld lag in der Analyse der mittel- sen bewahrt und gestärkt werden? und langfristigen Auswirkungen auf das Wie kann die Kurzfristigkeit der Entschei- gesellschaftliche Zusammenleben. Dazu 2. Steuerungsfähigkeit der Politik dungsorientierung in Wirtschaft, Gesell- gehörten Fragen des gesellschaftlichen Die Wirtschaftskrise forderte Reaktionen schaft und Politik überwunden werden? Zusammenhalts und Vertrauens oder die und Interventionen der Politik, die das Wie ist nachhaltiges wirtschaftliches Suche nach gemeinsamen Werten. Aber bisher gekannte Maß deutlich überstiegen. Wachstum zu erreichen, wie nachhaltiges auch die Identifizierung von Wegen für Wie ist eine Überforderung von Politik Handeln in Gesellschaft und Politik zu eine nachhaltigere ökonomische Entwick- und Staat zu vermeiden? Wie kann die verankern? lung, die den Menschen wieder stärker in Politik auf Dauer immer wieder erforder- Dieser Schwerpunkt war verknüpft mit den Mittelpunkt stellt. liche Eingriffe leisten? Wie kann sie die Fragen der Zukunftsorientierung, der glo- Verteilungswirkungen ihrer Entscheidun- balen Verantwortung, der internationalen Drei Querschnittsthemen standen dabei gen kontrollieren? Verflechtung sowie der Wertorientierung im Mittelpunkt: Auch dieser Gesichtspunkt war eng mit in Wirtschaft und Gesellschaft. soziale marktwirtschaft „Wir müssen die Soziale Marktwirt- schaft auf den Feldern Bildung, Integration, Demographischer Wandel, Arbeitsmarkt und Beteiligung fit für die Zukunft machen.“ Dr. Gunter Thielen foto: volkswagen ag soziale marktwirtschaft

Autoproduktion bei VW – Das Wirtschaftswunder war die Grundlage für die Soziale Marktwirtschaft soziale marktwirtschaft › Seite 26

Dr. Gunter Thielen > „Die Soziale Marktwirtschaft wird eine Renaissance erleben“

Dr. Gunter Thielen im Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung, September 2009

ie Bertelsmann Stiftung sieht die Ge- Beweist die schnelle Reaktionsgeschwindig- sellschaft durch die große Finanzkri- keit in der Finanzkrise nicht, dass man eher D se an einem Wendepunkt. Was kann „Es kann nicht sein, die nationalen Regierungen braucht als den getan werden, um verlorenes Vertrauen dass 46 Prozent der internationalen Abstimmungsprozess, der zurückzugewinnen? Ihr Chef zieht Lehren. Menschen mit fremden alles langsamer macht? Wurzeln keinen Berufs- Das nationale Handeln ist wichtig, kann aber Herr Thielen, Sie erwarten bedeutende Um- nur ein erster Schritt sein. Denken Sie zum wälzungen der Gesellschaft durch die Krise. abschluss haben.“ Beispiel an die Garantie für alle Sparein- Doch Umfragen zeigen, dass die Stimmung lagen durch die Bundeskanzlerin – wären schon wieder viel besser ist als die Lage und dann keine internationalen Schritte zur Stüt- die Leute jetzt zur Tagesordnung übergehen erspüren kann und uns in die Lage versetzt, zung der Banken gefolgt, hätte diese Garan- wollen. frühzeitig darauf zu reagieren. tie nicht getragen. Das wäre sehr schade. Diese Krise kann eine große Chance sein, und zwar nicht nur für die Zeigt der Umgang mit der Schweinegrippe Krisenmanager waren die Nationalstaaten – Deutschen, sondern für die ganze Welt. Wenn nicht, dass wir schon sehr gute Krisenmana- der eine ist vorgeprescht, die anderen zogen wir aus der Krise nichts lernen, kommt die gement-Systeme haben? nach. Am Ende haben nationale Regierungen nächste ganz bestimmt, und zwar irgendwo, Das ist ein gutes Beispiel für Krisenbewälti- mit nationalem Geld Banken gerettet und wo wir sie nicht erwarten. Wir haben bisher gung. Wir brauchen weltumspannende Struk- Garantien ausgesprochen. Ist das nicht das nichts getan, um zu verhindern, dass so et- turen. Das gesamte Krisenmanagement muss Muster für eine erfolgreiche Zukunft? was noch mal passiert. in Zukunft über transnationale Einrichtungen Keine Frage, die Nationalstaaten müssen es laufen. Aus dieser Krise können wir lernen, richten. Das geht aber nicht ohne interna- Lassen sich aus der Finanzkrise Lehren für dass wir internationale Organisationen wie tionale Abstimmung. Wenn sich nach der künftige Krisen auch ganz anderer Art zie- die Vereinten Nationen und den Internatio- Lehman-Pleite nicht die internationale Staa- hen? nalen Währungsfonds brauchen und stärken tengemeinschaft darauf verständigt hätte, Man sollte ein Krisenmanagement entwi- müssen. Diese müssen eng zusammenarbei- systemrelevante Banken zu stützen, hätten ckeln. Unser Ziel sollte sein, ein weltweites ten, um in einem Netzwerk Notfallpläne zu die nationalen Krisenstrategien nicht gegrif- System einzurichten, das solche Eruptionen entwickeln. fen. Wir brauchen ein zweistufiges Verfah- › soziale marktwirtschaft Seite 27

ren: Die internationale Staatengemeinschaft hard Mohn immer mit dem Begriff Konti- setzt den Rahmen, dann erfolgt eine Umset- nuität erklärt hat; die Entwicklung einer zung in nationale Politik. „Kontinuität ist die Gesellschaft, eines Unternehmens, einer Or- Entwicklung ganisation ohne Brüche. Sie haben in der Bertelsmann Stiftung zehn einer Gesellschaft Thesen entwickelt, mit denen Sie mögliche ohne Brüche.“ Was bedeutet das für die Rendite von Unter- langfristige Folgen der Finanzkrise beschrei- nehmen? ben. Greifen wir die These „Vertrauen schlägt Für ein Unternehmen würde das Folgendes Rendite“ heraus. Warum soll nach dieser Kri- bedeuten: Erstens: Das Unternehmen muss se die Maximierung der Rendite nicht mehr wir auf qualitatives Wachstum setzen – neue so viel Geld erwirtschaften, um mindestens im Vordergrund stehen? Technologien können dabei helfen. seine Größe plus ein der Inflation entspre- Natürlich wollen alle eine möglichst hohe chendes Wachstum finanzieren zu können. Rendite für ihre Anlagen bei gleichzeitig Aufstrebende Industrienationen haben das- Es muss, zweitens, so viel Geld verdienen, geringem Risiko. Da das nicht geht, müssen selbe Recht auf Wachstum und Wohlstand dass es seine Mitarbeiter anständig bezahlen sie abwägen, was ihnen lieber ist. Menschen wie die alte Industriewelt. Wie wollen Sie kann. Und es sollte, drittens, über die Steu- sind heute sicher vorsichtiger als vor zwei dort nachhaltiges Wachstum vorschreiben? ern hinaus noch einen gewissen Beitrag für Jahren bei der Anlage ihres Geldes. Ob die- Diese Nationen, zum Beispiel China, haben die Gesellschaft leisten. Aber Kontinuität ist se Einstellung jedoch nachhaltig ist, ist noch ein ureigenes Interesse, die Umweltver- nicht nur Geld, das ist vor allem nachhalti- offen. schmutzung im Zaum zu halten. Aber natür- ge Planung, damit man Generationenwechsel lich haben sie auch ein Recht auf Wohlstand. und Fluktuationen managen und genug Inno- Sie sagen, wir brauchen qualitatives, nach- Dazu stehen ihnen alle sauberen Technologi- vation schaffen kann, um neue Produkte auf haltiges Wachstum statt quantitatives. en und Produkte zur Verfügung, die die In- den Markt zu bringen. Solange wir auf Quantität so viel Wert legen, dustrieländer bereits entwickelt haben. verbrauchen wir mehr Ressourcen als wir Was wäre Nachhaltigkeit im gesellschaftli- herstellen. Das kann auf Dauer nicht aufge- Was verstehen Sie unter dem Wieselwort chen Kontext? hen. Solange die Menschheit wächst, werden „Nachhaltigkeit“? Da spielt zum Beispiel Bildung eine große wir immer mehr benötigen. Deshalb sollten Das ist das, was Bertelsmann-Gründer Rein- Rolle und die Integration von Zuwande- ›› soziale marktwirtschaft › Seite 28

rern. Es kann nicht sein, dass 46 Prozent der Wie beschädigt ist das Leitbild Marktwirt- Familienmitglied führt, stehen für hohe Kon- Menschen mit fremden Wurzeln keinen Be- schaft durch die Krise? tinuität. Die Familienunternehmer sind oft rufsabschluss haben. So gibt es Brüche, keine Meiner Ansicht nach wird die Soziale Markt- dreißig, vierzig Jahre lang im Betrieb, bis sie Nachhaltigkeit. Deren Vita ist geschädigt, das wirtschaft - wohlgemerkt die soziale - eine nicht mehr können. Sie sehen ihre Mitarbei- können die Hartz-IV-Empfänger von morgen Renaissance erleben. Wir brauchen das Ver- ter mehr als Mitglieder einer großen Familie. sein. trauen in die Institutionen. Ich hoffe, dieses Sie haften auch, wenn es nicht klappt. Ich Vertrauen wird wieder wachsen. Auch in die könnte mir vorstellen, Haftungsfragen auch Aber viele wollen sich nicht integrieren? für Manager gesetzlich stärker zu regeln. Nach meiner Auffassung helfen da nur Vor- Auch da muss mehr Wert auf Nachhaltigkeit bilder. Menschen, die selbst einen Migrati- gelegt werden. onshintergrund haben, hier erfolgreich sind „Die internationale und in den Familien Überzeugungsarbeit leis- Staatengemeinschaft Warum wird ein solches Gewicht auf Boni ten. Das machen die Kanadier vorbildlich. setzt den Rahmen, gelegt in der Finanzbranche? Anderswo wird dann erfolgt eine Um- auch Leistung ohne Bonus erbracht. Andere Länder haben von vornherein auf Das Boni-Phänomen ist noch nicht alt. Den qualifizierte Zuwanderung gesetzt. setzung in nationale Bankern muss es gelungen sein, ihren Share- Das müssen wir auch hinbekommen, sonst Politik.“ holdern zu erklären, dass sie so wertvoll für steuern wir in die nächste Krise, sonst be- das Unternehmen sind. Viele haben für ihre kommen wir Parallelgesellschaften. Die Stif- Banken tatsächlich auch viel Geld verdient, tung schaut sich die Beispiele in der Welt an, Politik, damit die Bürger wieder wählen ge- leider aber oft nur kurzfristig. In der Krise wo Integration gelungen ist. Kanadier, Ameri- hen. In der Wirtschaft braucht es länger, dort haben wir als Bürger mit unseren Steuern kaner, Australier suchen sich gut ausgebildete ist das Vertrauen nachhaltig gestört. viele Banken gestützt – doch nun gibt es Zuwanderer aus. In Deutschland ist das große schon wieder hohe Rückstellungen für Boni, Problem hingegen oft fehlende Qualifikation Aber die Bürger können doch zwischen Un- das ist gefährlich. und mangelnde Sprachkenntnisse. Wenn wir ternehmern und angestellten Managern oder diese Probleme nicht lösen, bekommen wir Bankern unterscheiden. Soll die Regierung eingreifen? eine gespaltene Gesellschaft. Familienunternehmen, besonders wenn ein Sie soll für Nachhaltigkeit sorgen. Dafür, dass › soziale marktwirtschaft Seite 29

Manager erst einen Bonus bekommen, wenn nicht unsere abendländischen. Wir müssen man sieht, dass ihre Entscheidung vernünftig eine Debatte darüber führen, wer jungen war und zu einem Nutzen für das Unterneh- Leuten noch Werte vermittelt und welche men geführt hat. Man könnte Rückhalterech- das sind. te vereinbaren oder Langzeit-Boni. Wie trifft der Strukturwandel die Medien? Müsste nicht zum Bonus der Malus dazu- Die Medien befinden sich im tiefgreifendsten kommen? Umbruch seit Gutenberg. Es ist sehr schwer, Das wäre das Allerbeste, das wird ja auch sich darauf einzustellen. Man kann alles im diskutiert. Man sollte bis zu zwei Jahresge- Internet abbilden, es wird nur nicht bezahlt. hälter zurückfordern können. Ein Malus ist Wenn das so bleibt, hat die Medienindustrie heilsam für Investitionsvorhaben. Am Anfang schwere Zeiten vor sich. Eigentlich müssten stehen oft große Versprechungen – und was alle mitmachen beim Anbieten bezahlter In- kommt hinterher dabei heraus? Das kann halte im Netz. Rupert Murdoch hat ja gerade man bestimmt besser machen, wenn man die einen Vorstoß gemacht, für Inhalte auch Geld Verantwortlichen am Portemonnaie fasst. Ich zu verlangen. Es gibt keine Prognose, wie das bin sehr für eine Investitionsnachrechnung, ausgeht. Man kann das, was man teuer er- je nach Ergebnis gibt es eine Belohnung oder stellt, auf Dauer nicht verschenken. einen Abzug. Wie zeigt sich die Medien- und Wirtschafts- Wie kommt mehr Verantwortung in wirt- krise in der Bertelsmann Stiftung? schaftliches Handeln, der Appell zum Maß- Ich rechne damit, dass wir mit weniger Geld halten reicht ja nicht? auskommen müssen. Wir haben die Etats ette

m Wir müssten eine generelle Wertedebatte bereits frühzeitig angepasst und um etwa t i führen. Die Familie leistet Wertevermittlung 20 Prozent gesenkt. Weitere Reaktionen oft nicht mehr, die Bedeutung der Kirchen werden wir der wirtschaftlichen Entwick- otos: ve

F nimmt ab. Der Islam vermittelt Werte, aber lung anpassen. ][ soziale marktwirtschaft › Seite 30

Dr. Gunter Thielen > „Soziale Marktwirtschaft ist ein stabiles Fundament für Gesellschaft und Wirtschaft“

Konferenz „Deutschland auf dem Weg aus der Krise“, Berlin, April 2010

ber Jahre, wenn nicht Jahrzehnte Die Krise hat auch Deutschland als gro- Anlagen gesetzt hatten und der Krise des- galt Deutschland unter ökonomi- ßes Exportland schwer getroffen. Das Brut- halb mit einer gewissen Gelassenheit be- Ü schen und gesellschaftspolitischen toinlandsprodukt ist bei uns im Vergleich gegnen konnten. Alle diese Aspekte kann Gesichtspunkten als unbeweglich und nur zu den anderen G7-Staaten am stärks- man natürlich einzeln und voneinander bedingt zukunftsfähig. Ohne eine schnelle ten gesunken. Trotzdem hat die Krise in getrennt betrachten. Ich bin aber der festen und grundlegende Liberalisierung aller Le- Deutschland weniger tiefe Spuren hinter- bens- und Arbeitsbereiche schien für uns lassen als in anderen Ländern. Zumindest kaum noch Hoffnung zu bestehen. Wir hat- einige Ursachen für diese relativ stabile ten uns fast schon selbst daran gewöhnt, Situation lassen sich aufzählen: „Die Qualität der dass Reglementierung alles blockiert und > die im großen Konsens Bildung muss sich der nächste Deal deutlich höher ausfallen beschlossenen Krisenpakete auf allen Ebenen und musste als der letzte. Für mehr Wachstum > die intensive Nutzung der Kurzarbeit für alle Altersgruppen durfte man jede Risiken eingehen und alle > die Garantie der Spareinlagen durch Regeln über Bord werfen. die Kanzlerin verbessern.“ Gut zwei Jahre später wirken solche Be- > und die mit Begeisterung trachtungen merkwürdig und fast schon aufgenommene Abwrackprämie. ein wenig beunruhigend. Die globale Fi- Überzeugung, dass sich die Frage „Warum nanz- und Wirtschaftskrise hat sehr umfas- Zu einer solchen Auflistung gehören na- hat Deutschland die Krise so gut überstan- send und rasch diese Ideale, Zielsetzungen türlich auch noch die besonnenen Tarif- den?“ nur aus der Summe aller dieser Be- und Systeme zusammenbrechen lassen. partner und die Unternehmen, die trotz mühungen, Initiativen und Einstellungen Geblieben sind eine noch immer schwer fehlender Aufträge ihre Belegschaften ge- beantworten lässt. Und die Antwort heißt verkaterte Weltwirtschaft und Gesellschaf- halten haben. Nicht zu vergessen auch die „Soziale Marktwirtschaft“. ten, die wieder nach einem Rahmen und übergroße Mehrheit der Bürger, die in der Bereits 2008 haben wir uns in der Ber- einer Orientierung suchen. Vergangenheit nicht auf hochspekulative telsmann Stiftung Gedanken darüber ge- › soziale marktwirtschaft Seite 31

Um eine stabile und handlungsfähige So- ziale Marktwirtschaft zu gewährleisten, setzt Dr. Gunter Thielen auf fünf Handlungsfelder: Bildung, Integration, Demographischer Wandel, Beteiligung und Arbeitsmarkt

macht, welche Strukturen und Instrumente Bei aller Kritik, bei aller Veränderung man braucht, um Deutschland dauerhaft und auch bei allen Fehlern besitzt die So- vor den Auswirkungen globaler Krisen ziale Marktwirtschaft in Deutschland doch „Eine zukunfts- schützen zu können. Schon sehr frühzeitig ein festes Fundament. So stützen wir uns fähige Soziale Markt- haben sich dabei drei Handlungsfelder he- einerseits noch immer auf ein Sozialsys- wirtschaft nimmt rauskristallisiert: tem, dass stabil genug ist, um auch die Fol- gen einer globalen Wirtschaftskrise aufzu- Menschen mit Migra- > Vertrauen muss wieder eine fangen. Anderseits sind aber auch unsere tionshintergrund mit.“ verlässliche Grundlage werden, politischen und gesellschaftlichen Struktu- > Prozesse müssen auf eine soziale, ren darauf ausgerichtet, im Konsens Wege ökonomische und ökologische zu finden, die von einer breiten Mehrheit Nachhaltigkeit ausgerichtet sein, getragen und unterstützt werden. Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft ge- > und in einer globalisierten Welt Die Soziale Marktwirtschaft von heute ist rade in der Krise wieder gestiegen ist. brauchen wir wirksame Steuerung sicherlich nicht mehr mit den Fünfzigerjah- Bei aller Erleichterung und Zufriedenheit und klare Rahmenbedingungen. ren zu vergleichen. Trotzdem schafft sie für mit der momentanen Situation in Deutsch- Deutschland und die Menschen noch im- land können wir mit Blick auf die Euro-Län- Schon damals hatten wir die Vermutung mer einen Rahmen, der für Sicherheit und der und die vorhandenen Konjunkturrisiken ng u und vielleicht auch die Hoffnung, dass die Stabilität steht. Bei diesem Eindruck spielt in den USA noch immer keine Entwarnung ft i Soziale Marktwirtschaft einen Rahmen und sicherlich das Gefühl eine große Rolle, es geben. Aber wir müssen auch selbstkritisch

ann st eine Grundlage bietet, mit dem man die Fol- hat aber auch etwas mit der Realität zu tun fragen, wo bei uns noch Defizite und He- m gen und Konsequenzen für die Menschen in – dafür hat die Bewältigung der Krise den rausforderungen liegen. Einen wichtigen tels r unserem Land würde besser abfedern kön- Nachweis erbracht. Es wundert mich deshalb Hinweis gibt die schon erwähnte Umfrage, e b nen. Alle unsere bisher vorliegenden Studien auch nicht, dass eine aktuelle Befragung der zwar ist das Vertrauen in die Soziale Markt-

foto: bestätigen unsere damaligen Vermutungen. Bertelsmann Stiftung gezeigt hat, dass das wirtschaft gestiegen, gleichzeitig sehen ›› soziale marktwirtschaft › Seite 32

die Bürger aber auch eine zunehmende sozi- dungssystem spaltet eine Gesellschaft dau- sich eine moderne Soziale Marktwirtschaft ale Spaltung unserer Gesellschaft. erhaft. Gerade unter dem Gesichtspunkt des einstellen und einlassen. Ein Mehr an Betei- Früher stand die Soziale Marktwirtschaft gesellschaftlichen Ausgleichs ist das nicht ligung erhöht gleichzeitig die Stabilität und nicht nur für Stabilität und Sicherheit, son- akzeptabel. Unser Bildungssystem muss ne- die Dynamik einer Gesellschaft und Wirt- dern insbesondere auch für Ausgleich und ben der Wissensvermittlung auch die Aufga- schaft. Weder mit apathischen Untertanen Teilhabe. Einem Anspruch, dem sie heute be übernehmen, für alle mehr Chancen zu noch mit frustrierten und distanzierten nicht nur aus Sicht der Menschen, sondern eröffnen. Nach unserer Überzeugung wird Bürgern lässt sich in Zukunft noch ein Staat auch vor dem Hintergrund unserer aktu- dies nur durch eine gezielte individuelle För- machen. ellen Zahlen und Untersuchungen nicht derung aller Schüler gelingen. mehr gerecht wird. Unter den Gesichts- 5. Handlungsfeld: Arbeitswelt und Arbeits- punkten Teilhabe, Ausgleich und Gerech- 2. Handlungsfeld: Integration markt tigkeit gibt es also einen grundsätzlichen Deutschland hat Jahrzehnte gebraucht, um Unsere aktuelle Studie zeigt ein deutliches Handlungsbedarf. für sich selbst zu akzeptieren, ein Einwan- Defizit an gerechter Teilhabe auf dem Ar- Wir brauchen aber nicht nur eine Re- derland zu sein. Das sind verlorene Jahr- beitsmarkt: Es gibt eine zunehmende Kluft naissance der Sozialen Marktwirtschaft, zehnte mit verschenkten Chancen für unser zwischen Arbeitnehmern in traditionellen in dem wir ihre alten Tugenden des Aus- Land und, vor allem, mit vielen gescheiter- Beschäftigungsverhältnissen und Menschen, gleichs und der Teilhabe wieder aktivieren. ten Lebensentwürfen gewesen. Das muss die sich in atypischen Beschäftigungsver- Die Soziale Marktwirtschaft muss sich auch ein Ende haben! Eine zukunftsfähige Soziale hältnissen wie befristeten Stellen oder in neuen Herausforderungen stellen. Denn Marktwirtschaft nimmt Menschen mit Mi- unsere Gesellschaft hat sich in den letzten grationshintergrund mit, nutzt ihre Vielfalt Jahrzehnten tiefgreifend gewandelt. Des- und Talente und eröffnet ihnen Lebensent- halb brauchen wir auch eine Soziale Markt- würfe, Anerkennung und Akzeptanz. Eine „Die Herausforderung wirtschaft für die nächste Generation! soziale Marktwirtschaft nur für Deutsche für die Soziale Markt- wird die Gesellschaft zerreißen und die Wirt- wirtschaft ist es, Teil- schaft in eine Sackgasse führen. habe an Bildung, an „Wir brauchen neue 3. Handlungsfeld: Demographischer Wandel Gesundheit, an Arbeit, Ideen, um Menschen Ich persönliche finde es gut, dass die Men- am politischen und ge- in Beschäftigung zu schen älter werden und dabei noch immer sellschaftlichen Leben sehr aktiv sind! Deshalb will ich hier auch halten und Arbeitslo- gar keine Drohkulisse einer alternden Ge- zu ermöglichen.“ sigkeit zu vermeiden.“ sellschaft aufbauen. Eine zukunftsfähige Soziale Marktwirtschaft muss aber diese Veränderungen aktiv aufgreifen und Ant- Zeitarbeit befinden. Hier müssen die Über- Um eine solche moderne und zukunfts- worten für die Gesellschaft und Wirtschaft gänge geglättet werden. Auch Menschen in fähige Soziale Marktwirtschaft aufzubauen, entwickeln. Die Anforderungen an die Sozi- diesen Beschäftigungsverhältnissen brau- sieht die Bertelsmann Stiftung fünf große ale Marktwirtschaft – Stabilität, Sicherheit, chen eine Perspektive. Die Herausforde- Handlungsfelder: Ausgleich und Teilhabe – wird man an die rung besteht darin, dies umzusetzen, ohne Ansprüche einer älter werdenden Bevölke- die Barriere zwischen Beschäftigung und 1. Handlungsfeld: Bildung rung anpassen müssen. Arbeitslosigkeit wieder zu erhöhen. Wir wissen alle, dass unser Wissen der einzi- ge Rohstoff ist, den wir nutzen können, um 4. Handlungsfeld: Beteiligung Die Beschäftigungsrisiken waren schon uns in einer globalen Ökonomie zu behaup- Natürlich denken wir uns die Soziale vor der Wirtschaftskrise ungleich verteilt. ten. Deshalb muss sich die Qualität unserer Marktwirtschaft immer auch als repräsen- Auch wenn die Auswirkungen auf den Ar- Bildungsangebote auf allen Ebenen und für tative Demokratie. Beide Erfolgsmodelle beitsmarkt zurzeit zuversichtlich stimmen, alle Altersgruppen deutlich verbessern. Wir sind in unseren Erfahrungswelten eng können wir nicht automatisch auf eine struk- brauchen aber auch mehr Menschen mit miteinander verknüpft. An vielen Stellen turelle Veränderung hoffen. Langfristig brau- höheren Abschlüssen, nur so haben wir hat sich aber gezeigt, dass die Bürger nicht chen wir deshalb neue Ideen auch jenseits eine Chance in der Wissensgesellschaft. hinreichend in Entscheidungsfindungen der Kurzarbeit, um Menschen in Beschäfti- Bildung ist aber nicht nur für unsere einbezogen sind oder ein Mehr an Gestal- gung zu halten und Arbeitslosigkeit zu ver- Wirtschaft wichtig. Ein ungerechtes Bil- tung einfordern. Auf beide Aspekte muss meiden. › soziale marktwirtschaft Seite 33

Liz Mohn, Dr. Gunter Thielen (Mitte) und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen (rechts), im Gespräch

Die Angst vor Arbeitslosigkeit, die wach- sende Lohnkluft, die fehlenden Chancen für Zeitarbeiter und die Deklassierung von „Ein Mehr an Beteiligung Menschen mit gebrochenen Erwerbsbio- erhöht gleichzeitig graphien sind in den Köpfen der Menschen die Stabilität und die sehr verankert. Wir können zwar heute fest- stellen, dass die Reformen von 2003 bis Dynamik einer Gesell- 2005 dazu beigetragen haben, die Zahl der schaft und Wirtschaft.“ Arbeitslosen erheblich zu senken. Gleichzei- tig werden aber diese Reformanstrengungen in der Öffentlichkeit auch weiterhin mit der Zunahme von befristeten Arbeitsverträgen, dung, an Gesundheit, an Arbeit, am poli- Zeitarbeit, Teilzeit und einer Ausweitung des tischen und gesellschaftlichen Leben zu Niedriglohnsektors verbunden. ermöglichen. Die Reformen haben damals versucht, Der Zugang zur Arbeitswelt ist und bleibt Antworten auf die Herausforderungen entscheidend. Denn auf Dauer gewährleis- durch die zunehmende Globalisierung und tet nur eine kontinuierliche Beschäftigung Technologisierung, durch den demographi- auch den Zugang zu sozialer Sicherung und schen Wandel und durch die Veränderungen gesellschaftlicher Wertschätzung. des modernen Familienbildes zu geben. Un- Es ist in den letzten Monaten vieles rich- sere Anforderungen an die Reform des Ar- tig gemacht worden. Es gilt deshalb, an die- beitsmarktes setzen heute andere Akzente ser Stelle nicht stehen zu bleiben, sondern ng u – wir wollen, dass er mehr gerechte Teilhabe dafür zu sorgen, dass dieser Weg zu einer ft i ermöglicht. Nur auf dieser Grundlage sehen modernen und gerechten Sozialen Markt-

ann st wir ein stabiles politisches und ökonomi- wirtschaft konsequent weiter beschritten m sches Fundament für eine zukunftsfähige wird. Wenn uns dies gelingt, dann haben tels r Soziale Marktwirtschaft. wir auch eine stabile und verlässliche e b Die Herausforderung für die Soziale Struktur für unsere Gesellschaft und Wirt-

foto: Marktwirtschaft ist, die Teilhabe an Bil- schaft in der nächsten Generation. ][ soziale marktwirtschaft › Seite 34

Dr. Gunter Thielen > „Die Soziale Marktwirtschaft muss wieder für alle eine Aufstiegschance bieten“

Dr. Gunter Thielen im Interview, DIE WELT, Mai 2010

eutschlands Arbeitsmarkt hat sich auseinandergeht. Ich denke, es ist durchaus in den vergangenen Jahren rasant an der Zeit, dass der Kuchen wieder gerech- D verändert. In der Krise ist er nun „Wir müssen Gruppen ter verteilt wird. wesentlich robuster als in anderen Län- für den Arbeitsmarkt dern. Dennoch sind Reformen nötig, meint gewinnen, die bisher Angesichts der wachsenden Unsicherheit am die Bertelsmann Stiftung. Sie befasst sich Arbeitsmarkt ist das aber nicht absehbar. schon seit langem intensiv mit der Zukunft unterrepräsentiert Das Gefühl der Unsicherheit hat sich durch der Sozialen Marktwirtschaft. Mit dem Stif- sind.“ die Globalisierung verstärkt. Heute arbeiten tungsvorsitzenden Gunter Thielen, der bis in Deutschland nur noch 60 Prozent in klas- Ende 2007 den Konzern führte, sprachen sischen Arbeitsverhältnissen, 40 Prozent in Stefan von Borstel und Marcus Heithecker. beruht. Übrigens: Als Reinhard Mohn die atypischen wie Teilzeit, Zeitarbeit oder be- Bertelsmann-Unternehmenskultur entwickelt fristeter Tätigkeit. Das ist eine Folge der im Herr Thielen, kaum ein Land wurde von der hat, war seine Grundüberzeugung, dass ein Jahr 2002 begonnen Hartz-Reformen. Aller- Krise so stark getroffen wie Deutschland. partnerschaftlicher Umgang mit den Beschäf- dings haben diese auch dazu geführt, dass Dennoch ist die Arbeitslosigkeit kaum ange- tigten der bessere Weg ist. Nach dem Motto: mehr als eine Million Arbeitsplätze zusätzlich stiegen. Wie erklären Sie das deutsche Job- Behandelt die Leute anständig, beteiligt sie entstanden sind. Wir müssen uns aber drin- wunder? am Gewinn, und lasst sie mitentscheiden. gend darum bemühen, die Durchlässigkeit Das haben wir in großen Teilen dem flexibel zwischen den verschiedenen Arbeitsformen gehandhabten Instrument der Kurzarbeit zu Die Entwicklung in der Gesamtwirtschaft ist zu vereinfachen – also Menschen bessere verdanken. In anderen Ländern ist das Ins- aber eher durch Lohnverzicht gekennzeich- Möglichkeiten bieten, auch unbefristete, si- trument nahezu unbekannt. Dass sich Staat, net. chere Stellen zu bekommen. Unternehmen und Arbeitnehmer in der Krise Die Tarifpartner haben sich in den letzten zusammentun, um Arbeitsplätze zu erhalten, Jahren auf moderate Lohnabschlüsse ver- Eine Lockerung des Kündigungsschutzes ist zutiefst partnerschaftlich. Eine Partner- ständigt. Das war notwendig, und hat gehol- würde da doch für mehr Flexibilität sorgen. schaft, die auf dem festen Fundament der fen. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass Die Kündigungsschutzgesetze in Deutschland Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich weiter sind in Ordnung. Die Unternehmen können › soziale marktwirtschaft Seite 35

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Seite 10 DIE WELT W i r t s c h a f t Montag, 31. Mai 2010

Panik nach Rating-Abstufung Spaniens bleibt aus „Der Kuchen muss gerechter verteilt werden“ Bertelsmann-Stiftungschef Thielen über den Unterschied zwischen Arm und Reich, Jobwunder und Frauenquote Fitch verringert Bonität – Aktienmärkte nervös Deutschlands Arbeitsmarkt hat Wirtschaft bedeutet der demografi- NEW YORK – Am späten Freitag- gen. Beim äußerst schwach einge- sich in den vergangenen Jahren ra- sche Wandel: Schon der nächste abend gab es einen kurzen Schock stuften Schuldensünder Griechen- sant verändert. In der Krise ist er Aufschwung könnte durch den für Spanien. Die Ratingagentur land etwa wurden teilweise zwei- nun wesentlich robuster als in an- Fachkräftemangel behindert wer- Fitch hat die Kreditwürdigkeit Spa- stellige Zinsen für Kredite verlangt. deren Ländern. Dennoch sind Re- den. niens von der Bestnote „AAA“ um Die Euro-Staaten mussten dem formen nötig, meint die Bertels- eine Stufe auf „AA+“ herabgestuft. Land mit milliardenschweren Hil- mann Stiftung. Der Thinktank des Und was soll geschehen? Als Grund nannte Fitch Ratings un- fen beispringen, um einen Staats- Medienkonzerns forscht seit Jahren Thielen: Wir müssen Gruppen für ter anderem die drastischen Spar- bankrott zu vermeiden. Der Euro intensiv über die Zukunft der Sozia- den Arbeitsmarkt gewinnen, die beschlüsse, mit denen die Regie- fiel nach der Bekanntgabe der Ab- len Marktwirtschaft. Mit dem Stif- bisher unterrepräsentiert sind. Bei- rung in Madrid die hohe Verschul- stufung Spaniens zunächst auf ein tungsvorsitzenden Gunther Thie- spielsweise die gut ausgebildeten dung drücken will. Dies werde das Tagestief bei 1,2283 Dollar, erholte len, der bis Ende 2007 den Konzern Frauen. Viele wollen nach der Ba- Wirtschaftswachstum in Spanien sich später aber wieder und stieg führte, sprachen Stefan von Borstel bypause wieder zurück in den Be- mittelfristig bremsen. Allerdings wieder über die Marke von 1,23 Dol- und Marcus Heithecker. ruf, aber wie schaffen sie das mit seien die Aussichten stabil und die lar. Die Europäische Zentralbank kleinen Kindern? Da kann der Staat Kreditwürdigkeit des Landes bleibe (EZB) hatte den Referenzkurs am DIE WELT: Herr Thielen, kaum ein einiges tun, zum Beispiel durch den hoch. Fitch schloss sich damit der Freitagmittag noch auf Land wurde von der Krise so stark Ausbau der Kinderbetreuung. An Agentur Standard & Poor’s an, die 1,2384 Dollar festgesetzt. Die Ak- getroffen wie Deutschland. Den- dieser Stelle greifen zwei weitere tienmärkte reagierten nervös, aber noch ist die Arbeitslosigkeit kaum wichtige Punkte: Zum einen, profi- ■ Kritik von Ökonomen: Das nicht panisch. Der Dow-Jones-In- angestiegen. Wie erklären Sie das tieren nach allen Studien die Kin- dex schloss mit einem Minus von deutsche Jobwunder? der von einer möglichst frühen För- Timing der Ratingagentur 1,19 Prozent auf 10 136,63 Punkte. Gunter Thielen: Das haben wir in gro- derung in Kindertagesstätten. Zum Noch zu Monatsbeginn hatte Fitch ßen Teilen dem flexibel gehand- anderen müssen wir über eine ge- könnte schlechter nicht sein die Bestnote „AAA“ für die Kredit- habten Instrument der Kurzarbeit rechtere Verteilung der Bildungs- würdigkeit Spaniens bestätigt. In- zu verdanken. In anderen Ländern ausgaben nachdenken. Im Ver- Spanien vor Monatsfrist ebenfalls zwischen hat die Regierung in Ma- ist das Instrument nahezu unbe- gleich ist die Gebühr für einen Kita- auf „AA“ herabgestuft hatte. drid einen harten Sparkurs be- kannt. Dass sich Staat, Unterneh- Platz höher, als für einen Studien- Der Berliner Wirtschaftsökonom schlossen und weitere Maßnahmen men und Arbeitnehmer in der Krise platz. Aber auch die Unternehmen Michael Burda kritisierte die Her- angekündigt. zusammentun, um Arbeitsplätze zu können eine Menge tun, durch Be- abstufung: „Das verschärft die Kri- Für den Haushalt 2011 werde die erhalten, ist zutiefst partnerschaft- reitstellung von Kindergärten, fle- se. Und es erschwert das, was Spa- Ausgabengrenze im Vergleich zu lich. Eine Partnerschaft, die auf xible Arbeitszeiten, Teilzeit und nien tun muss“, sagte der Ökonom, diesem Jahr um 7,7 Prozent auf rund dem festen Fundament der Sozialen vieles mehr. der an der Berliner Humboldt-Uni- 122,3 Mrd. Euro gesenkt, beschloss Marktwirtschaft in Deutschland versität Wirtschaftslehre unter- das Kabinett am Freitag in Madrid. beruht. Übrigens: Als Reinhard Aber Frauen müssen heute noch richtet, dem Berliner „Tagesspiegel Zugleich korrigierte die Regierung Mohn die Bertelsmann-Unterneh- immer besser sein als der männli- am Sonntag“. „Das Timing könnte ihre Wachstumsprognosen erneut menskultur entwickelt hat, war sei- che Bewerber, um eine Führungspo- nicht schlechter sein.“ Der Ökonom nach unten. 2012 werde die Wirt- ne Grundüberzeugung, dass ein sition zu ergattern. fordert mehr Wettbewerb unter schaft um 2,5 Prozent und 2013 um partnerschaftlicher Umgang mit Thielen: Stimmt, sie müssen besser den Ratingagenturen und macht 2,7 Prozent zulegen, hieß es. Das den Beschäftigten der bessere Weg sein. Das ist ungerecht. Da halten sich für die Gründung staatlicher sind jeweils 0,4 Prozentpunkte we- ist. Nach dem Motto: Behandelt die sich noch alte Vorurteile. Aber Füh- und halbstaatlicher Einrichtungen niger als zunächst prognostiziert. Leute anständig, beteiligt sie am rungspositionen müssen grund- stark. „Ratingagenturen nach dem Für das laufende Jahr wird ein Gewinn, und lasst sie mitentschei- sätzlich mit dem Besten besetzt Vorbild des TÜV oder der DEKRA Rückgang von 0,3 Prozent erwartet, den. werden, den man findet – egal ob wären sinnvoll“, sagte er. für 2011 ein Wachstum von 1,3 Pro- das ein Mann oder eine Frau ist. Bundeswirtschaftsminister Rai- zent. Die spanische Regierung Die Entwicklung in der Gesamt- ner Brüderle (FDP) sprach sich im rechnet außerdem damit, dass die wirtschaft ist aber eher durch Hilft da vielleicht eine Quote? „Hamburger Abendblatt“ für die Arbeitslosigkeit dieses Jahr zu- Lohnverzicht gekennzeichnet. Thielen: Eine Frauenquote ist mei- Gründung einer unabhängigen eu- nimmt, aber bis 2012 auf eine Quote Thielen: Die Tarifpartner haben sich ner Meinung nach diskriminierend ropäischen Ratingagentur aus. Je von 17,5 Prozent reduziert werden in den letzten Jahren auf moderate für die Frauen. Ich bin überzeugt, schlechter die Ratingagenturen die kann. Derzeit sind rund 4,6 Millio- Lohnabschlüsse verständigt. Das Frauen sind heute so gut ausgebil- Bonität beurteilen, umso schwieri- nen Menschen in Spanien ohne Job. war notwendig, und hat geholfen. det und so selbstbewusst, dass sie ger und teurer wird es für das Land, Das entspricht einer Quote von 20 Die Kehrseite der Medaille ist aber, sich auch ohne Quote durchsetzen. sich Geld am Finanzmarkt zu besor- Prozent. dpa dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Ich Als Fachkräfte kommen ja auch Zu- denke, es ist durchaus an der Zeit, wanderer infrage. dass der Kuchen wieder gerechter Thielen: Erst einmal müssen wir da- verteilt wird. für sorgen, dass nicht mehr so viele Datenschützer warnt vor Menschen auswandern. In den letz- Angesichts der wachsenden Unsi- ten zwei Jahren haben erstmals Missbrauch von Handy-Ortung cherheit am Arbeitsmarkt ist das mehr Menschen unser Land verlas- aber nicht absehbar. sen, als eingewandert sind. Beson- Ministerin Aigner rechnet mit Klagen gegen Google Thielen: Das Gefühl der Unsicher- ders hochqualifizierte Fachkräfte heit hat sich durch die Globalisie- gehen weg. Daher brauchen wir in BERLIN – Der Bundesbeauftragte dendaten verfüge und diese zuord- rung verstärkt. Heute arbeiten in der Tat dringend qualifizierte Zu- für Datenschutz, Peter Schaar, hat nen könne. Deutschland nur noch 60 Prozent wanderer. Dafür muss Deutschland dringend vor Missbrauch bei der Mobile Geräte können sehr ge- in klassischen Arbeitsverhältnis- seine Einwanderungspolitik verän- Ortung von Mobiltelefonen ge- naue Standortdaten liefern, etwa sen, 40 Prozent in atypischen wie dern und wir müssen endlich ak- warnt. Bei der großen Zahl der Nut- durch Feststellung der Funkzelle im Teilzeit, Zeitarbeit oder befristeter zeptieren, dass wir in einem Ein- zer von Ortungssystemen könne Mobilfunknetz, eingebaute Satelli- Tätigkeit. Das ist eine Folge der im wanderungsland leben. nicht ausgeschlossen werden, dass tenortung (GPS) oder Auswertung Jahr 2002 begonnen Hartz-Refor- Demo gegen soziale Ungerechtigkeit: „Ein gesetzlicher, bundesweit einheitlicher Mindestlohn ist geboten PA/MARCUS FÜHRER auch Menschen geortet würden, von Informationen über lokale men. Allerdings haben diese auch Und die zu uns kommen, werden „die weder davon wissen, noch da- Funknetze (WLAN). In manchen dazu geführt, dass mehr als eine Thielen: Aus Sicht der Bertelsmann tragen werden. Wie sehr ist das Jobwunder auch auch noch schlecht integriert. mit einverstanden wären“, sagte Geräten und Diensten werden nach Million Arbeitsplätze zusätzlich Stiftung ist die Einführung eines darauf zurückzuführen, dass die Thielen: In einer internationalen Schaar der Zeitung „Sonntag Aktu- Angaben von Datenschützern die entstanden sind. Wir müssen uns moderaten, gesetzlichen und bun- Warum reichen da nicht die Bran- Bevölkerung altert, also die Zahl Studie haben wir die Einwande- ell“. „Diese heimliche Ortung muss verschiedenen Ortungsmethoden aber dringend darum bemühen, die desweit einheitlichen Mindestloh- chen-Mindestlöhne, die jetzt in vie- der Erwerbsfähigen abnimmt? rungspolitik verschiedener Staaten gesetzlich und technisch soweit miteinander kombiniert. Im Ergeb- Durchlässigkeit zwischen den ver- nes geboten. Zwar sollte sich der len Wirtschaftszweigen vereinbart Thielen: Die demografische Ent- analysiert. Da sieht Deutschland wie möglich unterbunden werden.“ nis lässt sich damit jeder Schritt des schiedenen Arbeitsformen zu ver- Lohn der Arbeit generell an ihrer werden? wicklung hat in den letzten Jahren nicht gut aus. Spitze ist Kanada. Paragraf 98 des Telekommunika- Nutzers nachvollziehen. einfachen – also Menschen bessere Produktivität bemessen. Aber er ist Thielen: Ein bundesweit einheitli- viele in der Wirtschaft umdenken Dort heißen Einwanderer Neu-Ka- tionsgesetzes verlange eine schrift- Bundesverbraucherschutzminis- Möglichkeiten bieten, auch unbe- kein Preis wie jeder andere. Es cher Mindestlohn ist deswegen lassen und ist nach meiner Über- nadier und nicht Migranten. Dort liche Einwilligung, geortet zu wer- terin Ilse Aigner (CSU) erneuerte fristete, sichere Stellen zu bekom- muss gewährleistet sein, dass eine sinnvoll, weil allen Beschäftigten zeugung eine der neuen Herausfor- wird aktiv integriert: Die Einwan- den. Zudem müsse der Handy-Nut- indes ihre Forderung an die Inter- men. alleinstehende Person durch eine überall klar ist, auf welchen Lohn derungen für die Soziale Markt- derer werden intensiv betreut – und zer bei jeder fünften Ortung per net-Dienste Google und Facebook, Vollzeitstelle ihren Lebensunter- sie mindestens Anspruch haben. wirtschaft. Die Arbeitgeber sehen, zwar die ganze Familie. Das kennt Textmitteilung (SMS) darüber in- den Datenschutz ihrer Nutzer bes- Eine Lockerung des Kündigungs- halt bestreiten kann. Die Festlegung Auch die Unternehmen hätten da- dass Fachkräfte rar werden. Das hat man bei uns bislang nur bei Fuß- formiert werden. Unseriöse Anbie- ser zu gewährleisten. „Wenn das schutzes würde da doch für mehr eines Mindestlohns sollte nach mit eine klare Orientierung. Das sicherlich auch bereits dazu beige- ball-Profis, die rundum vom Club ter umgingen diese Regelung aber, Vertrauen der Nutzer schwindet, Flexibilität sorgen. dem Vorbild Großbritanniens einer schafft ein höchstmögliches Maß tragen, dass die Mitarbeiter in der unterstützt werden. Andere Länder so Schaar. „Wenn jemand fälschli- riskieren die Firmen ihr Geschäfts- Thielen: Die Kündigungsschutzge- unabhängigen Kommission über- an Transparenz. Krise gehalten wurden. Für die setzen noch früher an: Ohne nach- cherweise für mich eine solche Er- modell“, sagte Aigner dem Magazin setze in Deutschland sind in Ord- gewiesenen Sprachkurs kann man klärung abgibt, habe ich als Betrof- „Focus“. Wegen des besonders um- nung. Die Unternehmen können dort nicht einwandern. Parallelge- fener kaum eine Möglichkeit her- strittenen Straßenfoto-Dienstes gut agieren. Wenn eine Firma um- sellschaften können so gar nicht auszufinden, ob mein Handy geor- Street View rechnet die Ministerin gebaut werden muss, braucht das Der Vorstandschef der Bertelsmann Stiftung erst entstehen. tet wird. Hier ist Missbrauch Tür mit einer Flut von Klagen gegen Unternehmen manchmal Mitarbei- und Tor geöffnet.“ Google: „Wenn die Welle an Wider- ter mit anderen Qualifikationen, ■ Gunter Thielen (67) ist seit 1980 bei Bertelsmann. übergab er den Vorstandsvorsitz an Hartmut Ostrowski Ist die Soziale Marktwirtschaft vor Bedenklich sei, dass die Bundes- sprüchen anhält, vermuten wir, das kann zu Kündigungen auf der Der Maschinenbauingenieur aus dem Saarland begann und übernahm am 1. Januar 2008 den Posten des diesen veränderten Rahmenbedin- netzagentur akzeptiere, dass die dass es bis Jahresende mehr als einen Seite und Neueinstellungen im Druckbereich des international agierenden Medien- Vorstandsvorsitzenden der 1977 gegründeten Bertels- gungen noch zeitgemäß? Einwilligungserklärungen an die 50 000 werden könnten.“ auf der anderen Seite führen. In konzerns mit Sitz in Gütersloh. 2002 löste der be- mann Stiftung. Stellvertretende Vorsitzende ist die Thielen: Sie hat sich als solides Fun- Ortungsdienste gehen, die aber gar Das Unternehmen hatte – wie in Deutschland ist das alles eine Frage sonnene Manager und Vertraute des Witwe des Gründers, Liz Mohn. Die Stiftung hält mehr dament erwiesen – muss allerdings nicht wüssten, wem das zu ortende zahlreichen anderen Ländern – gan- des Geldes, beziehungsweise der Firmenpatriarchen Reinhard Mohn als drei Viertel der Aktien am Bertelsmann-Konzern. den neuen großen Herausforderun- Handy denn wirklich gehört. „Auf ze Straßenzüge fotografiert. Dabei Höhe der Abfindungen. Dann über- (gestorben 2009) überraschend Die Stiftungsarbeit folgt der Überzeugung, dass Wett- gen angepasst werden. Bildung, In- diese Weise könnte jemand, der wurden auch private Daten aus of- legt sich ein Unternehmen ganz ge- Thomas Middelhoff im Vorsitz der bewerb und bürgerschaftliches Engagement eine we- tegration, Beteiligung, Arbeits- bloß meine Handynummer kennt, fenen Funknetzen (WLAN) miter- nau, ob es die Mitarbeiter weiter Bertelsmann AG ab. Pläne Mid- sentliche Basis für gesellschaftlichen Fortschritt sind. markt und demografische Entwick- unter dem Namen „Micky Maus“ fasst und gespeichert. Die Staatsan- einsetzen oder weiter qualifizieren delhoffs für einen Teilbörsengang Seit ihrem Bestehen hat die Stiftung mit ihren heute lung sind Fragen, die in den 50er- erfahren, wo ich mich aufhalte“, waltschaft ermittelt in der Sache. kann, bevor es teure Kündigungen des Unternehmens stoppte Thielen 300 Mitarbeitern mehr als 800 Mio. Euro für gemein- Jahren, als Ludwig Erhard sie entwi- sagte Schaar. Besser wäre es, wenn Aigner sagte weiter, sie unter- ausspricht. im Sinne der Familie Mohn. 2007 nützige Arbeit zur Verfügung gestellt. Sie versteht sich ckelte, noch keine große Rolle die Einwilligung dem Mobilfunk- stütze EU-Forderungen, Internet- als Motor, der notwendige Reformen antreibt. Er- spielten. Wir brauchen also eine unternehmen erteilt würde, das Daten schneller zu löschen und IP- Kann ein Mindestlohn für mehr Stiftungschef Gunter klärtes Ziel Thielens ist es, die Bertelsmann Stiftung Soziale Marktwirtschaft für das 21. schließlich über die exakten Kun- Adressen zu verschleiern. dpa/AFP Sicherheit sorgen? Thielen JIM RAKETE zum größten Thinktank Europas auszubauen. DW Jahrhundert.

Russische Millionäre misstrauen dem eigenen Staat Studie: Der Geldadel aus Moskau fürchtet den Einfluss der Bürokratie und plant nur kurzfristig – Eine Vererbung der Unternehmen an die Kinder ziehen viele nicht in Betracht Von Eduard Steiner dierte: „Ich will diese Last und Un- über 100 Mio. Dollar und einem facher Versuche der Staatsführung, gänge. Um nicht aufzufallen, setzt ängstigt. „Der Vertrauensverlust nug abwirft, verbindet die Mehrheit sicherheit, die über dem Manage- Vermögen im Bereich von 100 bis dieses Geschwür auszumerzen, der Finanzadel angeblich sogar im durch den Fall Chodorkowski wirkt ihre Expansionspläne doch wieder MOSKAU – Wenn russische Unter- ment eines großen Business in 500 Mio. Dollar. wuchert es weiter. Auf 240 bis 300 Privatleben auf Bescheidenheit. bis heute nach“, sagte Jewgeni Jasin, mit dem eigenen Land. 72 Prozent nehmer von ihrem eigenen Land re- Russland schwebt, nicht an meine Schon jetzt horten 84 Prozent der Mrd. Dollar – ein Fünftel des jährli- Nur je zwei der 25 befragten Millio- Ex-Wirtschaftsminister und Rektor schließen für die nächste Zukunft den, klingt das gewöhnlich nicht Kinder übergeben“. Befragten Geld im Ausland – vor- chen BIP – schätzt das Nationale näre gaben an, eine Jacht, eine Uh- der Higher School of Economics in den wirtschaftlichen Sprung nach sehr schmeichelhaft. Dementspre- Wie eine neue Studie der Finanz- wiegend auf Zypern, in der Schweiz Komitee zur Korruptionsbekämp- rensammlung oder Kunstwerke zu Moskau, der WELT: „Die Politik Europa aus. Aber außer zweien chend gering ist auch der Wunsch, gruppe UBS und Campden Re- und auf den Virgin Islands. Nicht fung den Umsatz. Im weltweiten In- besitzen. Die Hälfte erklärte, über müsste sich nur endlich aus der sind alle Befragten bereit, ihr Un- die eigene Zukunft mit dem Riesen- search zeigt, ziehen es zwei Drittel um Steuern zu hintergehen, wie be- dex von „Transparency Internatio- keine Luxusgegenstände zu verfü- Wirtschaft zurückziehen und die ternehmen zu einem guten Preis zu reich zu verbinden. „In diesem der russischen Millionäre vor, dass tont wird, sondern um das Kapital nal“ teilte sich Russland 2009 Platz gen. Unternehmer in Ruhe lassen.“ verkaufen. Etwas weniger als die gutLand istagieren. es besser, kein Unterneh- Wihreenn Nachkommen eine die Zukunft Firmavor dem Zugriff umgebautkorrupter Beamter 146 mit Kenia wer und der Ukraine.- Auf- Diegeboten. allem Anschein nach vomZwarDarauf bauensollte die Firmenchefs sichHälfte will der das in den nächstenLohn zwei der Arbeit denken lassen und ist nach meiner Überzeu- mer zu sein. Das wirkliche Geld nicht mit dem Unternehmen der El- zu schützen. grund der Willkür der Beamten Kreml verordnete Inhaftierung des bislang nicht. Wie die UBS-Umfra- bis vier Jahren tun. Dass sie dann nämlich machen die Bürokraten“, tern verbinden. Aber auch das rest- Am meisten klagen die Firmen- versuchen die Unternehmer laut einst reichsten Russen Michail ge zeigt, planen sie in einem Zeitho- nach Europa ziehen, sagen sie nicht. erklärte ein Großunternehmer die- liche Drittel besteht nicht darauf. bosse nämlich laut Umfrage über UBS-Umfrage, keine Aufmerksam- Chodorkowski im Jahr 2003 und die rizont von maximal zwei Jahren Dort lassen sie fürs erste ihre Kin- denser Tage muss, gegenüber der ZeitungbrauchtBefragt wurden Besitzerdas von Fir-Unternehmendie Bürokratie und die damit ein- keit manch des Staates auf sich -zu ziehen, Zerschlagunggenerell seines Ölkonzerns anvoraus. ihrer Weil der junge russische Produktivitätder studieren. Und kaufen für alle bemessen. gung eine der neuen Herausforderungen für „Wedomosti“. Ein anderer sekun- men mit einem Jahresumsatz von hergehende Korruption. Trotz viel- und denken auch nicht an Börsen- Yukos hatte die Unternehmer ver- Markt freilich trotz aller Risiken ge- Fälle Immobilien. mal Mitarbeiter mit anderen Qualifikationen,+ Aber er ist kein Preis wie jeder andere. Es die Soziale Marktwirtschaft. Die Arbeitgeber das kann zu Kündigungen auf der einen Seite muss gewährleistet sein, dass eine alleinste- sehen, dass Fachkräfte rar werden. Das hat und Neueinstellungen auf der anderen Sei- hende Person durch eine Vollzeitstelle ihren te führen. In Deutschland ist das alles eine Lebensunterhalt bestreiten kann. Die Fest- Frage des Geldes, beziehungsweise der Höhe legung eines Mindestlohns sollte nach dem der Abfindungen. Dann überlegt sich ein Vorbild Großbritanniens einer unabhängigen „Wir müssen Menschen Unternehmen ganz genau, ob es die Mitar- Kommission übertragen werden. bessere Möglichkeiten beiter weiter einsetzen oder weiter quali- bieten, unbefristete fizieren kann, bevor es teure Kündigungen Warum reichen da nicht die Branchen-Min- ausspricht. destlöhne, die jetzt in vielen Wirtschafts- und sichere Stellen zu zweigen vereinbart werden? bekommen.“ Ein bundesweit einheitlicher Mindestlohn ist deswegen sinnvoll, weil allen Beschäftigten „Der Kuchen muss überall klar ist, auf welchen Lohn sie mindes- gerechter verteilt tens Anspruch haben. Auch die Unternehmen sicherlich auch bereits dazu beigetragen, werden.“ hätten damit eine klare Orientierung. Das dass die Mitarbeiter in der Krise gehalten schafft ein höchstmögliches Maß an Trans- wurden. Für die Wirtschaft bedeutet der de- parenz. mografische Wandel: Schon der nächste Auf- schwung könnte durch den Fachkräftemangel Kann ein Mindestlohn für mehr Sicherheit Wie sehr ist das Jobwunder auch darauf zu- behindert werden. sorgen? rückzuführen, dass die Bevölkerung altert, Aus Sicht der Bertelsmann Stiftung ist die also die Zahl der Erwerbsfähigen abnimmt? Und was soll geschehen? Einführung eines moderaten, gesetzlichen Die demografische Entwicklung hat in den Wir müssen Gruppen für den Arbeitsmarkt und bundesweit einheitlichen Mindestlohnes letzten Jahren viele in der Wirtschaft um- gewinnen, die bisher unterrepräsentiert ›› soziale marktwirtschaft › Seite 36

sind. Beispielsweise die gut ausgebildeten Hilft da vielleicht eine Quote? Frauen. Viele wollen nach der Babypause Eine Frauenquote ist meiner Meinung nach wieder zurück in den Beruf, aber wie schaf- diskriminierend für die Frauen. Ich bin über- „Die Einführung eines fen sie das mit kleinen Kindern? Da kann zeugt, Frauen sind heute so gut ausgebildet moderaten, gesetzli- der Staat einiges tun, zum Beispiel durch und so selbstbewusst, dass sie sich auch chen und bundesweit den Ausbau der Kinderbetreuung. An dieser ohne Quote durchsetzen. einheitlichen Mindest- Stelle greifen zwei weitere wichtige Punkte: Zum einen profitieren nach allen Studien die Als Fachkräfte kommen ja auch Zuwanderer lohnes ist geboten.“ Kinder von einer möglichst frühen Förderung infrage. in Kindertagesstätten. Zum anderen müssen Erst einmal müssen wir dafür sorgen, dass wir über eine gerechtere Verteilung der Bil- nicht mehr so viele Menschen auswandern. In den letzten zwei Jahren haben erstmals Ist die Soziale Marktwirtschaft vor diesen mehr Menschen unser Land verlassen als veränderten Rahmenbedingungen noch zeit- eingewandert sind. Besonders hochqualifi- gemäß? „Schon der nächste Auf- zierte Fachkräfte gehen weg. Daher brauchen Sie hat sich als solides Fundament erwie- schwung könnte durch wir in der Tat dringend qualifizierte Zuwan- sen – muss allerdings den neuen großen He- den Fachkräftemangel derer. Dafür muss Deutschland seine Einwan- rausforderungen angepasst werden. Bildung, derungspolitik verändern, und wir müssen Integration, Beteiligung, Arbeitsmarkt und behindert werden.“ endlich akzeptieren, dass wir in einem Ein- demografische Entwicklung sind Fragen, die wanderungsland leben. in den Fünfzigerjahren, als Ludwig Erhard sie entwickelte, noch keine große Rolle spielten. Und die zu uns kommen, werden auch noch Wir brauchen also eine Soziale Marktwirt- dungsausgaben nachdenken. Im Vergleich ist schlecht integriert. schaft für das 21. Jahrhundert. ][ die Gebühr für einen Kita-Platz höher als für In einer internationalen Studie haben wir die einen Studienplatz. Aber auch die Unterneh- Einwanderungspolitik verschiedener Staaten men können eine Menge tun, durch Bereit- analysiert. Da sieht Deutschland nicht gut stellung von Kindergärten, flexible Arbeits- aus. Spitze ist Kanada. Dort heißen Einwan- zeiten, Teilzeit und vieles mehr. derer Neu-Kanadier und nicht Migranten. Dort wird aktiv integriert: Die Einwanderer Aber Frauen müssen heute noch immer bes- werden intensiv betreut – und zwar die gan- ser sein als der männliche Bewerber, um eine ze Familie. Das kennt man bei uns bislang nur Führungsposition zu ergattern. bei Fußball-Profis, die rundum vom Club un- Stimmt, sie müssen besser sein. Das ist unge- terstützt werden. Andere Länder setzen noch recht. Da halten sich noch alte Vorurteile. Aber früher an: Ohne nachgewiesenen Sprachkurs Führungspositionen müssen grundsätzlich mit kann man dort nicht einwandern. Parallelge- dem Besten besetzt werden, den man findet - sellschaften können so gar nicht erst entste- egal ob das ein Mann oder eine Frau ist. hen. › soziale marktwirtschaft Seite 37

neka Anteil der Zeitarbeit du r in Vollzeitäquivalenten an der aktiven Erwerbsbevölkerung ete di in ausgewählten Ländern. Angaben in Prozent k: i 0 1 2 3 4 5 af r Großbritannien 4,8 1,0 ng. g u

ft 2,8 i Niederlande 0,5 Frankreich 2,5 ann st – 0,1 m Luxemburg 2,4 tels 0,5 r e b Belgien 2,2 0,5 oto: F Japan 2,1 1,3 USA 2,0 0,2 Irland 1,7 0,2 Schweiz 1,7 0,7 Deutschland 1,6 0,8 Österreich 1,5 0,7 Schweden 1,3 0,3 Finnland 1,1 0,7 Italien 1,0 Dr. Gunter Thielen im Gespräch mit Staatsministerin 0,7 Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung Norwegen 1,0 für Migration, Flüchtlinge und Integration 0,5 Portugal 0,9 k.A. Dänemark 0,8 0,5 Spanien 0,8 – 0,1

Stand 2007 Veränderung seit 2000

Quelle: CIETT 2009 soziale marktwirtschaft › Seite 38

Dr. Gunter Thielen > „Zur Sozialen Marktwirtschaft gehört auch die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktiv- Vermögen“

Dr. Gunter Thielen im Interview mit dem WESTFALENBLATT, Dezember 2009

Hat die größte Finanz- und Wirtschaftskrise Umwelt. Die sozialen Aufgaben lassen sich seit den Dreißigerjahren die Wirtschaft ver- beispielsweise durch die Beteiligung von Ar- ändert? „Die Wirtschaft hat beitnehmern am Produktivvermögen lösen. Die Wirtschaft und damit die Welt. Die Aus- gesellschaftliche Aber auch die Bildung spielt eine wichtige wirkungen sind immer noch nicht in vollem Aufgaben. Dazu zählt Rolle, wenn es gilt, jungen Menschen gleiche Umfang sichtbar. In jedem Fall ist viel Ver- der sparsame Umgang Chancen zu geben und sie zu integrieren. Die trauen verlorengegangen. Das Umdenken Soziale Marktwirtschaft muss neu positio- hat aber schon begonnen. Im Mittelpunkt mit Ressourcen.“ niert werden. einer neuen Zielsetzung steht nachhaltiges Wirtschaften. Darüber hinaus müssen neue Weiter links? Frühindikatoren für aufkommende Krisen Nein. Aber sie muss gerechter sein. Die und neue Steuerungsinstrumente zu ihrer setzen und ihre Einhaltung zu überwachen. Schere zwischen Arm und Reich ist zu weit Bekämpfung bestimmt werden. Damit hat er schon genug zu tun. Seine En- auseinandergegangen. Die vorher brei- gagements bei den Banken und einzelnen te Mittelschicht ist an den Rändern abge- Gehört dazu, dass der Staat künftig eine grö- Firmen aber sollten, so gut und notwendig schmolzen. Das darf so nicht weitergehen. ßere Rolle spielen muss? sie gewesen sind, bald beendet werden. Der Die Armut breiter Schichten schließt in- Zunächst hat der Staat bereits bei der Be- Staat ist kein Unternehmer. zwischen 25 Prozent der Gesellschaft aus. kämpfung dieser Krise eine wichtige Rolle Ihnen fehlt eine Grundbildung. Der Aus- gespielt. Er hat, indem er die Banken ge- Aber war nicht die freie Marktwirtschaft Mit- schluss aus dem normalen Leben aber führt stützt und große Konjunkturprogramme verursacher dieser Krise? zu Enttäuschung und Aggression. Auf diese aufgelegt hat, richtig und schnell reagiert. Deshalb erlebt jetzt die Soziale Marktwirt- Art erzeugen wir Parallelgesellschaften. 40 Der Staat muss auch künftig eine wichtige schaft eine Renaissance. Die Wirtschaft hat Prozent der Menschen mit ausländischer Rolle spielen, um eine erneute Krise zu ver- gesellschaftliche Aufgaben. Dazu zählt der Herkunft haben keine abgeschlossene Be- hindern. Dabei sollte er sich jedoch darauf sparsame Umgang mit Ressourcen als Vo- rufsausbildung. Sie sind die Hartz-IV-Emp- beschränken, die Rahmenbedingungen zu raussetzung für den Schutz von Klima und fänger von morgen. › soziale marktwirtschaft Seite 39

Dr. Gunter Thielen beim Besuch einer japanischen Delegation in Gütersloh

Sie selbst haben die Bankenrettung ver- Quelle. Als Außenstehender möchte ich hier rigkeiten gerieten, waren fast alle Double A teidigt. Das Geld für die Hypo Real Estate kein Urteil abgeben. Ich sehe nur, dass viele oder gar Tripple A geratet. Bei der Ursachen- hätte jedoch vermutlich auch gereicht, um in letzter Minute gestartete Rettungsakti- forschung darf man nicht vergessen, dass die Karstadt und Quelle zu retten. Bei dem onen in der Vergangenheit schiefgegangen Krise von den USA und dem dortigen Immo- Handelskonzern gingen sehr viel mehr Ar- sind; so etwa bei Holzmann und den Werf- bilienmarkt ausgegangen ist. Richtig wäre beitsplätze verloren als bei der Bank. War ten. In jedem Fall ist der Niedergang des es, die Vorschriften für Darlehen, wie sie in die Rettungsaktion des Staates trotzdem Traditionshauses Karstadt Quelle tragisch. Deutschland gelten, zu internationalisieren. gerechtfertigt? Ich hoffe nur, dass noch viele Jobs über Teil- Hätten in den Vereinigten Staaten die glei- verkäufe gerettet werden können. chen Bestimmungen gegolten wie hier, hätten niemals solche faulen Häuserkredite ausge- Brauchen wir neue Spielregeln für den inter- geben werden können. Nun sind die Banken „Die Schere zwischen nationalen Finanzmarkt? vorsichtig, fast zu vorsichtig. Die Kreditver- Arm und Reich ist Zunächst einmal müssen die vorhandenen ge- knappung gefährdet schon die konjunkturelle vor der Krise zu weit nauer angewendet werden. Künftig darf kein Erholung. Schlägt ein Pendel so groß aus, ist Bankprodukt mehr ohne genaue Prüfung in das immer schädlich für die Wirtschaft. auseinandergegangen.“ den Markt gehen. Außerdem halte ich stren- gere Eigenkapitalvorschriften für die Banken Brauchen wir vielleicht sogar einen UN-Fi- für notwendig. International sind die Regie- nanzminister? ng u Die Rettung der HRE war, wenn auch sehr rungen zum Glück bereits dabei, die Spielre- Wir brauchen neue Organisationen, die die ft i teuer, unverzichtbar. Bei der Berechnung geln für den Finanzmarkt zu überarbeiten. internationalen Finanzströme kontrollieren. muss bedacht werden, dass sich nicht jede Diese können bei der UNO angesiedelt sein, ann st m Garantie, die unser Staat in der Krise abge- Gehören dazu auch internationale neue Re- oder auch beispielsweise beim IWF. Die neu- tels r geben hat, auch auf der Kostenseite nieder- geln für die Rating-Agenturen? en Regeln sollten von den G20 aufgestellt e b schlagen wird. Das bisherige System hat die Schwachstellen werden. Die Konferenz von Pittsburgh mach-

foto: Schwieriger ist die Frage nach Karstadt nicht erkannt. Die Banken, die in Schwie- te dafür den Anfang. ›› soziale marktwirtschaft › Seite 40

Bei den „Kronberger Gesprächen“ 2009 in Riad: Dr. Gunter Thielen und Liz Mohn vom Vor- stand der Bertelsmann Stiftung, Prinz Turki Al-Faisal sowie der damalige Wirtschafts- minister Karl-Theodor zu Guttenberg

Sollte es eine Obergrenze für Manager-Boni, Diesen Werteverlust gibt es. Früher wa- -Gehälter und -Abfindungen geben? ren Kirche und Familie wegweisend für die „Die Jugend fordert, Ich halte nichts von einer starren Obergren- geistige Orientierung. Mit ihrer Schwäche dass wir sie stärker ze. Wohl aber muss die Bezahlung adäquat hat sich auch der innere Zusammenhalt der in die gesellschaftliche und vertretbar sein. Und sie darf sich aus- Gesellschaft aufgelöst. Die Bertelsmann Stif- Verantwortung schließlich am nachhaltigen Erfolg ausrich- ten. Es kann nicht sein, dass ein Banker für einbinden.“ den Verkauf nicht werthaltiger Papiere auch noch hohe Provisionen kassiert und sein „Wir brauchen neue Kunde hernach pleite geht. Organisationen, die die Ist es richtig, den Handel mit Brot zu besteu- Die hohen Gehälter für führende Manager internationalen Finanz- ern, nicht aber den Handel mit Aktien? lassen sich nur rechtfertigen, wenn diese Das ist eine ethische Frage. Brot und Wasser auch ähnliche Risiken eingehen wie selbst- ströme kontrollieren.“ sowie die Grundnahrungsmittel müssen allen ständige Unternehmer. Deshalb sollten sie Menschen zugänglich sein. Dafür müssen sich genau wie beim Unternehmer auch vom die Staaten nicht nur bei den Steuern zurück- sichtbaren und messbaren Erfolg abhängig tung hat sich zum Ziel gesetzt, diese Sinn- halten, sondern unter Umständen auch zu sein. Wenn beispielsweise eine teure Inves- Diskussion mit neuen Ideen zu befeuern. Da- Subventionen greifen. Eine Börsenumsatz- tition nicht das hält, was der Manager vor- bei müssen auch schmerzhafte Wahrheiten steuer sollte man dagegen nur unter dem As- her von ihr versprochen hat, so soll er das ausgesprochen werden. Die Jugend fordert, pekt betrachten, ob der Staat eine zusätzliche auch mit einem Malus am Gehalt spüren. Das dass wir sie stärker in die gesellschaftliche Einnahmequelle benötigt. Ich sehe nicht, dass würde mit Sicherheit zu einer realistischeren Verantwortung einbinden. Wenn es je eine sie die Finanzströme besser regeln würde. Im Kosten-Nutzen-Abwägung führen. Null-Bock-Haltung in der Jugend gegeben Übrigen müsste eine Börsenumsatzsteuer in- hat, so ist das lange vorbei. ][ ternational eingeführt werden, weil sie sonst Kann es sein, dass die Raffgier Einzelner nur sofort das Aus einzelner Finanzplätze bedeu- einen allgemeinen Verlust von Werten spie- ten würde. gelt? › soziale marktwirtschaft Seite 41

Zustimmung wächst wieder Haben Sie von der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland eine gute Meinung oder keine gute Meinung?* Angaben in Prozent

60 55 50

40 37 38 38 38

31 31 30 28 28

20 14 10

0 1996 2000 2004 2008 2010

gute Meinung keine gute Meinung

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre; *bis Oktober 2004: „... in der Bundesrepublik ...“ Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 6038, 6096, 7062, 10021, 10049

info> das projekt

mit anderen Projekten und der intensiven Zusammenarbeit mit den Büros in Brüs- sel, Barcelona und Washington D.C. Die Projektarbeit fokussiert sich in verschie- denen Projektlinien und Arbeitssträngen auf drei Ebenen: „Soziale Marktwirtschaft in Deutschland“, „Europäisches Wirt- Mit dem mehrjährigen Projekt „Zukunft schafts- und Sozialmodell“ und „Global Soziale Marktwirtschaft“ will die Bertels- Economic Sustainability“. mann Stiftung zu einer Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft beitragen, Infos: neka ihre Leitlinien und Prinzipien modernisie- www.bertelsmann-stiftung.de/soz du r ren und sie als zukunftsfähige Ordnungs- ete idee auch in die europäische und die di k:

i globale Politik einbringen. af r Das Projekt ist innerhalb der Stiftung programmübergreifend angelegt, sodass ng. g u sich alle Bereiche – von der Politik über ft i die Bildung bis zur Wirtschaft – mit den Inhalten befassen. ann st m Das Programm basiert auf der in der tels

r Stiftung und ihren Netzwerken vorhan- e b denen Expertise, wie auch den Synergien foto: dr. gunther thielen › Seite 42

vita> dr. gunter thielen

Gunter Thielen, am 4. August 1942 im Saarland geboren, studierte nach dem Abitur Maschinenbau und Wirtschaftswis- senschaften an der Technischen Hochschule in Aachen. Der Pro- motion zum Dr. Ing. folgten verschiedene Führungspositionen in der BASF-Gruppe, bevor er Technischer Leiter der Wintershall- Raffinerie in Kassel wurde.

1980 startete er seine Karriere bei Bertelsmann. Er wurde Vorsitzender der Geschäftsführung des Tiefdruckunternehmens maul-belser, Nürnberg. 1985 wurde er Vorstand der Bertelsmann AG und Leiter des Bereiches Druck- und Industriebetriebe, der 1996 in Bertelsmann Industrie und 1999 in Arvato AG überging und zu den profitabelsten Bertelsmann-Bereichen gehört.

2001 wurde Thielen zusätzlich Vorsitzender des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung sowie der Bertelsmann Verwaltungsgesell- schaft. Ein Jahr später folgte die Berufung zum Bertelsmann-Konzern- chef bis Ende 2007.

Seit dem 1. Januar 2008 ist er Vorsitzender des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung. Er verantwortet die Programme „Europas Zukunft“, „Evidenzbasierte Politikstrategien“ und „Zukunft global denken“. Darüber hinaus ist er verantwortlich für Kommunikation, Finanzen, Personal sowie für die Bertelsmann Foundation in hardt

Washington und das Büro der Bertelsmann Stiftung in Brüssel. yc we

arne

Dr. Gunter Thielen ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. o: t Fo impressum

Bertelsmann Stiftung, Carl-Bertelsmann-Straße 256, 33311 Gütersloh [email protected] Verantwortlich Karin Schlautmann Redaktion Ulrich Lünstroth, Ulrike Osthus Redaktionelle Mitarbeit Tanja Breukelchen Creative Direction / Design Dirk Bartos, Andreas Kersten, BartosKersten Printmediendesign, Hamburg Schlussredaktion Johannes Taubert Lithografie OPS Obenhaupt Publishing Service, Hamburg Druck Matthiesen Druck, Bielefeld © Bertelsmann Stiftung, Juli 2010.