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BAD ALCHEMY 50 Blaugras ist: unfrohe Musik. Unzufriedene Musik. Nihilistische Musik. Atheistische Musik. Terroristische Musik. Gottlose Musik. Unverantwortliche Musik. Unheimlich treffsichere Mu- sik. Sinnliche Musik. Zügellose Musik. Musik, die einen in Schwierigkeiten bringt. Musik, die einen belästigt. Musik, die einen anstachelt. Musik, die Panik erzeugt. Musik, die einen de- moralisiert. Foltermusik. Instrumentalmusik. Schockmusik. Tyrannenmusik. Feindselige Musik. Outlaw-Musik. Grüblerische Musik. Herzschmerzmusik. Leidensmusik. Verzweiflungsmusik. Rohe Musik. Todesmusik. Elektrischer-Stuhl-Musik. Sadistenmusik. Nazimusik... Wißt ihr, wovon ich spreche? (John Fahey Blaugrasmusik, dt. Karl Bruckmaier) ANYTHING GOES - NOT Dass Diedrich Diederichsen gerne Licht in eine Sache bringt und wie er das tut, hatte ich schon früher bemerkt (Licht als Metapher, BA 37). In Verschleiern und Entschleiern: Die Kultur des Psychedelischen, seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog Summer of Love. Psychedelische Kunst der 60er Jahre (Hatje Cantz, 2005) zeigt er sich einmal mehr als ‚Aufklärer‘ der alten Schule. Das sind Leute mit der Überzeugung, dass im Ne- bel der Beliebigkeit eine Taschenlampe zu Überlebensausrüstung gehört. Timothy Learys ‚Politics of Ecstasy‘ stellt DD etwas gegenüber, das er ganz explizit „Licht- politik“ nennt. Psychedelik als ambiges Phänomen zerlegt er dabei in eine ‚rechte‘ psychedelische Erfahrung als Evasion und eine ‚linke‘ psychedelische Erfahrung als Engagement , basierend auf Desillusionierung und Dekonditionierung, die den ‚Schleier der Maya‘, das ‚Spektakel‘, eben nicht als Mantra akzeptieren, sondern zu zerreißen versuchen. Was sichtbar dabei würde, wäre keine andere Welt, keine trans- zendente Hinterwelt, sondern diese Welt, aber eben ‚anders‘, ohne Maske. „Es geht eben gerade nicht darum, eine andere Welt zu schauen, andere Zustände zu erreichen, die uns vom irdischen Bewusstsein und seiner Sinnlichkeit entfernen, sondern es geht darum, mit allen Mitteln die Sinne zu schärfen, sie von der Illusion zu befreien, um sie zu sich selbst kommen zu lassen.“ Solche „psychedelische Erkenntnis als antikapitalis- tische Entzauberung des Warenzaubers“ ist nichts weniger als pure Gnosis, verstan- den als ‚weiße‘, ‚linke‘ oder meinetwegen ‚bad‘ (alchemystische) Gnosis. Währenddessen stößt man in Popjournalismus (Ventil Verlag), der von Jochen Bonz, Michael Büscher & Johannes Springer herausgegebenen Nachlese einer kulturwis- senschaftlichen Tagung im November 2003 an der Universität Bremen, auf ein Medien- segment, das seinen Triumph - „Kein Pop ohne Medien, keine Medien ohne Pop“ - als Krise erfährt und sich nun eingeklemmt findet zwischen zwei deprimierenden Befun- den: „Es gibt keine Subkultur mehr“ (Büscher) – „Heute ist alles Popjournalismus“ (A. Waltz). So windet man sich zwischen Subversion und Affirmation, Selbstausbeutung und Zeilenhonorar, Kulturnischen mit ihrem Elitedünkel und Kommerzkacke, die an- geblich den „realen Bedürfnissen realer Menschen“ entspricht, zwischen exotischen und akademischen Engpässen, Begeisterung und Zynismus, zwischen General Interest, sprich Feuilleton, und Special Interest, sprich Intro, Spex, Vision, de:Bug, Groove. Springer kommt zu der Erkenntnis, dass die „Integrationsmaschine“ so effektiv arbei- tet, „dass sich...ein Außen zum So-Leben nicht mehr so einfach finden lässt.“ Christoph Jacke verspricht sich durch die Etablierung einer „transdisziplinären Popkulturwis- senschaft“ im akademischen Betrieb immerhin ersatzweise Karrieremöglichkeiten für die wegrationalisierten Jobs im Blätterwald (oder hab ich da was falsch verstanden?). Felix Klopotek unterscheidet ein ‚politisches‘, ‚diskursives‘, ‚literarisches‘ und ‚idiosynkratisches‘ Schreiben und verwischt dann mit Textbeispielen von Salzinger, Toop, Goetz und Drechsler die Unterschiede eher als sie zu illustrieren. Klaus Fiehe, Ex-Geier Sturzflug, erzählt ausführlich von seinen Erfahrungen als Moderator beim WDR-Ableger Eins Live. So nebenbei erfahre ich da, dass es für die WDR-Sendung Popsession mal die interessante Quote gab, in zwei Stunden mindestens vier Songs aus europäischen Ländern exklusive Deutschland oder England zu spielen. Pinky Rose trauert den Jahren nach, in denen sie ihren Familienalltag mit zwei Kindern, ihre Pop- begeisterung und General-Interest-Zwänge bei Radio Bremen und als Pop-Kolum- nistin für Die Zeit durchaus in Einklang hatte bringen können. Kito Nedo gräbt dann noch tiefer in der Es-war-einmal-Kiste mit einem Porträt des Rebel-Rock-Mythoma- nen Helmut ‚Überohr‘ Salzinger (1935-93), der mit Rock Power oder wie musikalisch ist die Revolution? (1972) und Swinging Benjamin (1973) für Furore sorgte, bis er da- ran irre wurde, ob er als Maulwurf oder Hamster im System sich abmühte, ob er Lo- komotivführer oder Notbremser sein sollte; der deshalb absprang ins Grüne und den- noch nicht umhin konnte, schon 1979 zu konstatieren: „Das sinkende Schiff, das ich, Ratte, zu verlassen gedacht, es fährt noch immer, ich an Bord. Inzwischen, zehn Jahre danach, hab ich’s begriffen: drinnen, draußen, alles eins.“ 3 Salzinger hatte als 68er den Anschluss an die Sounds gefunden, aber ihr und vielen ande- ren Illusionen längst schon den Rücken gekehrt als Diedrich Diederichsen dort sein Gra- ce-Jones-Porträt ‚Sexualität & Wahrheit‘ veröffentlichte, das Felix Beyer nun als einen Schlüsseltext zur 82er Poptheorie einer kommentierenden Lektüre unterzieht, wohl wissend, dass Diederichsen schon 1985 eingestanden hat: „Unser Subversions-Überbau war jedenfalls ziemlich aus der Luft gegriffen.“ Dennoch hielt der Popjournalismus der folgenden Sowohl-Als-auch-Jahre speziell das Phantasma hoch & heilig, dass ‚Hedonistisch- und Politisch-Sein‘ durchaus, quasi mit links, vermittelbar seien. Eric Pe- ters entzaubert dieses Selbstverständnis, das speziell in der Intro bis heute en vogue ist und das von mir anlässlich Thomas Venkers ebenfalls bei Ventil erschienenem Ignoranz und Inszenierung. Schreiben über Pop hinterfragt wurde (BA 43), in seiner unverhofft deutlichen Kritik ‚Tocotronic, die Pop-Linken und Ich‘: „Es scheint so, als ob das Schrei- ben selbst hier als politische Handlung begriffen wird, dass eine Gegenhaltung zum Mainstream im Anders-Schreiben-über-Anderes aufgehoben sein soll.“ Peters konsta- tiert einen distanzlosen Begeisterungsduktus, der Tocotronics Wendung zu aufgeblase- nen Pathos-und Weltumarmungssphrasen symbiotisch mitzumachen bereit ist. Bonz spielt anschließend den akademisch Souveränen, indem er ‚popjournalistische Subjekt- positionen nach Techno‘ lacanisiert. Und zum Abschluss wird noch Diederichsen selbst zum Stichwort ‚Pop-Feuilleton‘ befragt, wobei es zu Leichenreden kommt wie – DD: “Das Versprechen, du kannst auch abhauen, du kannst auch ein ganz anderes Leben führen...ist heutzutage nicht attraktiv. Deswegen ist auch Popmusik lieber ein Simula- krum, das man benutzt, wie man sich auch Blumen in die Vase stellt, wenn man nicht auf dem Land lebt. Eben nur so.“ Waltz: „Popmusik bedeutet nicht mehr,...dass etwas ganz anderes möglich ist, vielmehr ist sie ein kleines Integrationsversprechen...das den Zu- stand Mittelstand-Sein, nicht Niemand zu sein erzeugt.“ Aber erst Bonz scheint bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen, und stellt die Frage, die mir zu ‚Popjournalismus‘ seit Jahren durch den Kopf geht: „Warum schreibst du nicht über Fußball?“ Apropos ‚über‘. Tobias Rapp hat in der TAZ (3.3.06) wenig Zweifel gelassen, dass der ‚Strukturwandel der popmusikalischen Öffentlichkeit‘, gemeint sind Musicblogs und Onlinehypes, ein Popblätterwaldsterben bedeuten könnte. Nicht weil die Klo- und Fahrschüler-Mags so langsam sind. Sondern weil das neue Medium sich als Message genügt und sich abkoppelt vom musikalischen Zündstoff. Jede Eintagsfliege taugt als Hype. Ein quicker Eklektizismus pickt sich Songs für ein iPod-Sammelsurium an Hits. Die Ästhetik ist als Distinktionsfaktor völlig obsolet. Nur alte Säcke verschwenden noch Zeit an ganze CDs, nur Nerds interessieren sich für Bands und ihre Geschichten. Irgendwo im gleichen Wald haben sich Klaus Sander vom Audioverlag Supposé und Jan St. Werner von Mouse On Mars, Microstoria & Sonig die Köpfe zerbrochen über die Vorgemischte Welt (Suhrkamp, 2005). In einer Reihe von Gesprächen umkreisten sie das Elend der ‚Musikmaschinen‘- und ‚Geräte‘-Musik, Sander mit Forderungen nach klaren Unterscheidungskriterien, nach Maßstäben, kritischen Qualitätsfiltern gegen die Zeit raubende Überschwemmung mit Belanglosem, beide mit dem Gegenvorschlag ‚Komplexität‘ und Stoßseufzern über die fehlende ‚Gelassenheit‘ gegenüber der gras- sierenden ‚Beliebigkeit‘. Aber ‚Man ist Teil des Zirkus‘, ob man will oder nicht, denn die ‚Kritik liegt am Boden‘ und sowohl die Pop-Liberalen als auch die Mille Plateau‘schen ‚Diskursklumpen‘ sind alles andere als ein Damm gegen eine ‚Kunst im Fäulnisstadium‘, gegen die ‚Eintrick‘-Berühmtheiten, „Selbstficker“ und „Plagiatoren“, die im Gegenteil noch schamlos gehypt und beschwurbelt werden. Werner: „Was da liegt, ist nur ein braunes Würstchen, das guckt man sich nochmal kurz an, und dann spült man es weg - und das war halt die Pop-Idee.“ Sander: „Man weiß, daß man es eigentlich vernachlässi- gen kann und sogar müßte, aber man schafft es nicht, weil es einen derart anspringt, von allen Seiten, und an einem kleben bleibt.“ Was Not tut, meint er, ist ein „Verneinen...als radikales Sich-entziehen, Nicht-teilhaben... Kann es das geben und wenn ja: Wie?“ Klaus Theweleit kommt zu Hilfe mit dem nicht unüblen Spruch: „Nicht jede Musik ist Musik...manche Musiken