St. Jacobi Göttingen Silvesterkonzert 2019 31. Dezember 2019 · 20.30 Uhr Stefan Kordes, Orgel

Eine Rundreise durch Pariser Kathedralen PROGRAMM

Saint-Sulpice · Marcel Dupré (1886-1971) Prélude et fugue H-Dur aus Trois Préludes et fugues, op. 7 (1912)

Saint-Vincent-de-Paul · Léon Boëllmann (1862-1897) Prière à Notre Dame aus der Suite Gothique, op. 25 (1895)

Saint-Augustin · Eugène Gigout (1844-1925) Toccata h-moll aus den Dix Piéces en Recueil (1890)

Saint-Étienne-du-Mont · Maurice Duruflé (1902-1986) Sicilienne aus der Suite, op. 5 (1933)

Saint-Philippe-du-Roule · Henri Mulet (1878-1967) Toccata „Tu es petra et portæ inferi non prævalebunt ad- versus te“ aus den Esquisses Byzantines (1920)

Sainte-Clothilde · César Franck (1822-1890) Pièce héroïque aus den Trois Pièces (1878)

La Trinité · Olivier Messiaen (1908-1992) Prière après la communion aus dem Livre du Saint Sacrement (1984)

Notre-Dame · Louis Vierne (1870-1937) Carillon de Westminster aus den Pièces de fantaisie op. 54 (1927)

Stefan Kordes, Orgel

2 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN ABENDS

Liebe Besucher des Silvesterkonzertes, schon als Jugendlicher reiste ich immer wieder nach Paris. Dabei plante ich meine Tage so, dass ich möglichst viele Gottesdienste und Konzerte in den großen Kathedralen besuchen konnte und auf diese Weise eine Viel- zahl dieser wunderbaren Räume, Orgeln und Organisten erleben konnte. Einen Eindruck dieser Reisen möchte ich Ihnen heute weitergeben - viel- leicht macht es Ihnen ja Appetit, im kommenden Jahr auch einmal die Pariser Kathedralen zu besuchen. Einer der bedeutendsten Orgelbauer der Romantik war Aristide Cavaillé- Coll. Er stattete zahlreiche Pariser Kirchen mit seinen Orgeln aus. So ent- stand eine einzigartige Wechselwirkung zwischen den Kathedralen mit ihrer großen Akustik, den großen Orgeln und den herausragenden Kom- ponisten, die für diese speziellen Instrumente komponierten. Zu den beliebtesten Kompositionsweisen dieser Orgelkomponisten zählt die "französische Toccata": Rauschende Akkorde werden abwechselnd von beiden Händen gespielt, die Harmonien wechseln (im Unterschied zu deutschen Kompositionen dieser Zeit) selten, damit das Klangerlebnis auch bei viel Nachhall durchhörbar bleibt. Die langsame Melodie wird meist vom Pedal übernommen. Genau in diesem Sinne ist das Prélude von Marcel Dupré komponiert. Die tänzerisch-spielerische Fuge (versuchen Sie einmal, das sprunghafte Thema nachzusingen!) wagt im Mittelteil sogar einen Wechsel in latein- amerikanische Rumba-Rhythmen, bevor das Toccaten-Motiv des Anfangs mit dem Fugenthema kombiniert wird. Große Ruhe können Sie in den beiden Gebeten (prière) des heutigen Abends erleben: Eine ruhige, getragene Melodie bei Leon Boëllmann, stilisierte Vogelstimmen begleitet von ätherischen Harmoniefolgen (mit dem 32´-Subbass unserer Orgel) bei Olivier Messiaen.

3 Die Toccata von Eugène Gigout kombiniert in seinem kurzweiligen Per- petuum mobile schnelle Tonleitern und Dreiklangsbrechungen mit einer wiegenden Melodie. Maurice Duruflé lässt in seiner Sicilienne (dem Mittelsatz der Suite op. 5, die auch auf der CD "4 Jahrhunderte Orgelmusik" eingespielt ist) eine Hirtenmelodie im 6/8-Takt durch verschiedene Begleitungen in immer wieder neuem Licht erscheinen. Die berühmte Toccata "Du bist ein Fels" von Henri Mulet wartet mit schnellsten Akkordrepetitionen und außergewöhnlichen Harmoniewech- seln auf. César Franck komponierte sein "Pièce héroique" für die Weltausstellung 1878 - für die neue Konzertorgel im Palais de Trocadéro und lässt die be- sonders zahlreichen Farbmöglichkeiten des großen Instrumentes (das nach mehreren Umbauten heute leider stark verändert in Lyon steht) in diesem Stück zur Geltung kommen. Der Schluss dieses Abends gebührt natürlich der leider durch den Brand im Sommer teilweise zerstörten Kathedrale Notre Dame und dem be- rühmtesten Stück von Louis Vierne: das "Carillon de Westminster".

Mein herzlicher Dank gilt Ole Landschoof für die Präsentation und die Erstellung des Programmheftes sowie Arne zur Nieden für die Assistenz.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Rundreise durch das romantische Paris und ein gutes neues Jahr!

Stefan Kordes

4 SAINT SULPICE Marcel Dupré (1886-1971)

Marcel Dupré stammte aus einer Organistenfamilie, in der er seine erste musikalische Ausbildung erhielt. Schon im Alter von zwölf Jahren hatte Dupré eine Organistenstelle in seiner Heimatstadt Rouen inne. In Paris wurde er Schüler der renommiertesten Or- ganisten seiner Zeit: , Louis Vierne und Charles-Marie Widor waren seine Leh- rer. 1934 trat er die Nachfolge seines Lehrers Widor an der weltberühmten Orgel von St-Sulpice an. Als Orgelvirtuose, der die Kunst der Improvisation meisterhaft beherrschte, errang er Weltruhm. Um dies zu verdeutlichen genügt vielleicht eine Zahl: Während seiner ersten beiden Kon- zertreisen in die USA (1921-23) spielte Dupré 204 Orgelkonzerte. Kennzeichen sei- ner Kompositionen sind oftmals der freie Umgang mit traditionellen Gattungen und eine erweiterte Tonalität.

SAINT-VINCENT-DE-PAUL Léon Boëllmann Obwohl der Elsässer Léon Boëllmann nur 35 Jahre alt wurde, hat er der Nachwelt 160 Kompositionen (Kammermusik, Orchestermusik und Orgelmusik) hinterlassen, die in der spätromantischen Tradition von Franck und Saint-Saëns stehen. Nach dem Stu- dium an der École Niedermeyer wurde Boëllmann zunächst 1881 Organist der Chororgel von St- Vincent-de-Paul, bevor er 1887 ‒ empfohlen von Charles Gounod und dem Orgelbauer Cavaillé-Coll ‒ Organist an der großen Cavaillé-Coll-Orgel wurde. Nach seinem frühen Tod 1897 nahm sich sein Schwiegervater Eugène Gigout nicht nur der drei Kinder an, die Boëllmann hinter- ließ, sondern auch der Veröffentlichung und dem Bekanntmachen seiner Werke. In die Geschichte der Orgelliteratur ist er mit seiner Suite Gothique eingegangen, die eines der schönsten Gebete für die Orgel und eine äußerst mitreißende Toc- cata enthält.

5 SAINT-AUGUSTIN Eugène Gigout Eugène Gigout studierte an der École Niedermeyer in Paris und war ‒ wie sein Freund Gabriel Fauré ‒ Schüler von Camille Saint-Saëns. Mit 19 Jahren wur- de er zum Organisten an der neu errichteten Kirche St-Augustin ernannt. Gigout war als Orgelvirtuose sehr anerkannt, was sich etwa darin äußerte, dass er für das Orgelspiel bei der Trauerfeier seines Freun- des César Franck ausgewählt wurde. Gerade Gigouts liturgisches Orgelspiel wurde sehr geschätzt. Von der Liturgie und der Gregorianik sind auch die meis- ten Kompositionen Gigouts geprägt, sinfonisch komponierte er eher selten. Künstlerisches und Familiäres mischten sich bei Gigout auf zunächst erfreuliche, später leider traurige Weise: Seine Adoptivtochter heiratete 1885 seinen Lieblingsschüler Léon Boëllmann, der Gigout bei dessen Lehrtätigkeit an der im selben Jahr von Gigout gegründeten Orgelschule unterstützte. Es folgte allerdings ein tragisches Ende, als Boëllmann 1897 und seine Frau ein Jahr später starben. Gigout nahm sich der drei Enkel an und zog sie groß. SAINT-ÉTIENNE-DU-MONT Maurice Duruflé Während seines Studiums lernte Maurice Duruflé mit 17 Jahren Charles Tournemire kennen, der ihn zu seinem Vertreter in Ste-Clothilde machte. Seine Studien am Pariser Conservatoire (Orgel bei Eugène Gigout, Komposition bei Paul Dukas) wurden er- gänzt durch privaten Unterricht bei Louis Vierne, dessen Vertreter Duruflé 1927 wurde. 1930 wurde er zum Titularorganisten an St-Étienne-du-Mont berufen und 1943 erhielt er eine Professur für Har- monielehre. Zu diesen Erfolgen kam 1947 der Ruhm, der ihm durch die gute Aufnahme seines Requiems zuteil wurde. Dennoch blieb Duruflé, was die Veröffentlichung seiner Werke betrifft, äußerst selbstkritisch. Charakteristisch für Duruflés Stücke ist ihr häufiger Bezug zur Gregorianik, die er als Chorknabe in Rouen erstmals kennenlernte und bei Tournemire als kompositi- onsbestimmendes Prinzip erlebte. 1975 endete Duruflés Karriere, weil er nach einem Autounfall unfähig war, seine Beine zu bewegen. 6 SAINT-PHILIPPE-DU-ROULE Henri Mulet Ein Fixpunkt im Leben von Henri Mulet war die Kathédrale Sacré-Coeur, die auf dem Hügel von Montmartre über der Stadt Paris thront. In ihrer Nähe würde Mulet 1878 geboren, in ihr war sein Vater als Chordirektor angestellt, von ihr ist sein bekanntestes Werk, die Esquisses Byzantines, beein- flusst. Doch bevor Mulet Organist wurde, war er zunächst im Cello-Studium erfolgreich. 1894 wechselte er das Instrument und wurde Schüler von Widor und Guil- mant. Nach Stationen in St-Roch und St-Eustache wurde er 1911 Titularorganist an St-Philippe-du-Roule. Mulet, der sich wegen seiner Abneigung gegen das Stadtleben vom musikalischen Paris isoliert hatte, blieben seine beiden Träume in Paris uner- füllt: Weder wurde er Professor am Conservatoire, noch Organist an Sacré-Coeur. 1937 verbrannte Mulet fast seine sämtlichen Kompositionen und verließ Paris, um aufs Land zu ziehen, wo er auch seinen Lebensabend verbrachte. SAINTE-CLOTHILDE César Franck César Franck ist gewissermaßen der Vater der fran- zösischen Orgelsinfonie. Nach dem Studium in sei- ner Heimatstadt Lüttich und in Paris wurde er 1858 Organist an Ste-Clothilde. Diese Stelle hatte er bis zu seinem Tod 1890 inne. Zwei Schwerpunkte sei- ner Arbeit als Organist, Orgellehrer und Komponist waren die Beschäftigung mit Bachs Orgelwerk und mit der Kunst der Orgelimprovisation. Von seinen Orgelimprovisationen und ihrer harmonischen Far- bigkeit sind viele seiner Stücke geprägt: Es reihen sich improvisatorische Durchführungen von Melodien aneinander, die nicht in die gängigen Gattungsschemata passen. Sein Grande pièce symphonique ist ein derartig aus- gedehntes Werk, wie es vorher nicht existiert hatte. Auch wenn Franck es nicht als „Symphonie“ bezeichnet hat, so verdeutlich der Zusatz „symphonique“ doch, wel- che Richtung Franck mit seinen Kompositionen eingeschlagen hat: hin zu orchestra- len Klängen auf der Orgel. Seine Schüler, zu denen Pierné, Tournemire und Vierne zählten, haben seine Ideen aufgenommen und weitergeführt. 7 An St-Augustin wirkten u.a.: 1863–1925: Eugène Gigout 1930–1948: André Fleury 1949–1997: Suzanne Chaisemartin

An St-Philippe-du-Roule wirkte: 1911-1937 Henri Mulet

An der Madeleine wirkten u.a.: 1847–1858: Louis Lefébure-Wély 1858–1877: Camille Saint-Saëns 1877–1896: Théodore Dubois 1896–1905: Gabriel Fauré 1962–1968: Jeanne Demessieux Seit 1979: François-Henri Houbart

An Ste-Clothilde wirkten u.a.: 1859–1890: César Franck 1890–1898: Gabriel Pierné 1898–1939: Charles Tournemire 1939–1942: Flor Peeters 1945–1987: An La Trinité wirkten u.a.: An St-Vincent-de-Paul wirkte: 1871–1901: Alexandre Guilmant 1881–1897: Léon Boëllmann 1931–1992: Olivier Messiaen 1992–2008: Naji Hakim ab 2011: Loïc Mallié

An Notre-Dame wirkten u.a.: 1755–1772: Louis-Claude Daquin 1760–1793: Claude Balbastre 1900–1937: Louis Vierne 1954–1984: Pierre Cochereau An St-Sulpice wirkten u.a.: 1985-2016: Jean-Pierre Leguay 1715–1749: Louis-Nicolas Clérambault Seit 1985: Olivier Latry, 1863–1869: Louis-J.-A. Lefébure-Wély Philippe Lefebvre 1870–1933: Charles-Marie Widor Seit 2016: Vincent Dubois 1934–1971: Marcel Dupré Seit 1985:

An St-Étienne-du-Mont wirkten u.a.: 1930–1986: Maurice Duruflé 1953–1997: Marie-Madeleine Duruflé seit 1997: Thierry Escaich seit 1997: Vincent Warnier LA TRINITÉ Olivier Messiaen (1908-1992) Olivier Messiaen begann seine musikalische Karrie- re als Autodidakt, indem er sich im Jungenalter phantastische Opern am Klavier erschloss. Er er- hielt Klavier- und Harmonielehreunterricht und trat schließlich mit elf Jahren ins Pariser Conservatoire ein. Zu seinen Lehrern zählten Marcel Dupré und Charles-Marie Widor. Nach einem erfolgreichen Studium wurde Messiaen 1931 mit gerade einmal 22 Jahren zum jüngsten Titularorganisten Frank- reichs ernannt. Seine Stelle an der Kirche La Trinité hatte er bis zu seinem Tod 1992, also über 60 Jahre inne. Die einzigartige Verbin- dung von unerschütterlichem Glauben, einer ausgeprägten Vorliebe für das Wunder- bare, Offenheit für exotische Musik und der Begeisterung für Vogelgesänge in seiner Person haben zu einem außergewöhnlichen Werk geführt und Messiaen den Ruf als eines der innovativsten Komponisten des 20. Jahrhunderts eingebracht. NOTRE-DAME Louis Vierne (1870-1937) Louis Vierne hat trotz eines an Schicksalsschlägen reichen Lebens die Orgelsinfonie zu ihrem Höhe- punkt geführt. Obwohl er schwer sehbehindert geboren wurde, wurde er 1890 am Conservatoire aufgenommen. Zu seinen Lehrern dort zählten César Franck und Charles-Marie Widor, der ihn 1892 zu seinem Stellvertreter an St-Sulpice ernann- te. Nachdem Vierne im Jahr 1900 zum Organisten von Notre-Dame gewählt worden war, zählte er bald zu den besten Organisten seiner Zeit. Dem künstlerischen Erfolg standen jedoch viele Enttäuschungen und Schicksalsschläge gegenüber: Vierne war zeitlebens gesundheitlich angeschlagen. Außerdem wurde er bei der Nachfolge Guilmants am Conservatoire nicht berücksichtigt, was ihn ähnlich schwer kränkte wie die Ablehnung der Geistlichen von Notre-Dame gegenüber seinem Wunsch, Maurice Duruflé zu seinem Nachfolger zu ernennen. Nach einem von Einsamkeit und Depressionen überschatteten Lebensabend starb Vierne am 2. Juni 1937 am Ende eines Konzerts am Spieltisch der Orgel von Notre-Dame. 10 DER ORGELBAUER ‒ MAÎTRE DES MAÎTRES Aristide Cavaillé-Coll (1811-1899) Wenigen Orgelbauern dürfte es vergönnt sein, in die Weltliteratur Einzug gehalten zu haben ‒ Aristide Cavaillé-Coll ist es gelungen. In seinem Roman Bel- Ami beschreibt Guy de Maupassant, wie die 1846 von Cavaillé-Coll erbaute Orgel der Madeleine wäh- rend einer Hochzeit klang: „Es waren langgezogene, gewaltige, schwellende Klänge wie Meereswogen; sie schallten so mächtig, als müßten sie das Gewölbe hochheben und sprengen, um gegen den blauen Him- mel emporzusteigen. Ihre bebenden Klänge erfüllten die ganze Kirche und ließen die Herzen erzittern. Auf einmal wurden sie stiller, und leichte, flüchtige Klänge schwebten in der Luft und berührten das Ohr wie ein leiser Hauch. Es waren graziöse, leichte, sprudelnde Gesänge, die wie Vogelgezwitscher klangen; und wieder schwoll diese anmu- tige Musik, breitete sich aus, gewaltig, voll und mächtig, wie wenn ein Sandkorn sich in ein ungeheures Weltall verwandelte.“ Cavaillé-Coll entwickelte den „symphonischen“ Orgeltypus, der die großen sin- fonischen französischen Orgelwerke erst möglich machte. Zunächst löste er da- bei ein technisches Problem: Die bei sehr großen Orgeln zwangsweise schwer- gängige Spielmechanik, machte er leichtgängig, indem er die Taste nicht direkt mit dem Ventil an der Pfeife verband, sondern eine pneumatische Hebelmaschi- ne ‒ gewissermaßen die ‚Servolenkung der Orgel‘ ‒ zwischenschaltete. Neben dieser technischen Neuerung baute Cavaillé-Coll akustisch äußerst wirk- same Schwellwerke (Teilwerke der Orgel, die in einem Kasten stehen, der durch Jalousien geschlossen werden kann.) Dadurch war es möglich, den eigentlich statischen Orgelklang stufenlos vom pianissimo zum fortissimo anschwellen zu lassen. Durch eine ausgefeilte Windanlage schaffte er es, den benötigten Wind (die Luft, die die Orgel zum klingen bringt) stabil zu halten. Unterschiedliche Winddrücke (je nach Pfeifenart), überblasende Flöten und orchestrale Zungen- stimmen, die Holz– und Blechblasinstrumente imitieren, ermöglichten der Orgel eine orchestrale Klangfülle, die bis dahin nicht existiert hatte. Und so konnte César Franck 1851 über seine Cavaillé-Coll-Orgel in der Kirche Saint-Jean-Saint- François sagen: „Mon orgue, c’est un orchestre!“ 11 MEISTERWERKE AUS DER WERKSTATT CAVAILLÉ-COLL

Die Orgel der Kathedrale von Saint-Denis (IV/70) 1834 erhielt Cavaillé-Coll wider Erwarten den Auf- trag zum Bau dieser Kathedralorgel. Für den 23- Jährigen war dies der große Durchbruch. Die Fir- ma konnte von Toulouse nach Paris umziehen und wurde die französische Orgelbaufirma.

Die Orgel der Pfarrkirche La Madeleine (IV/48) 1846 errichtete Cavaillé-Coll eine Orgel, die in gewisser Weise einen Bruch mit der Tradition dar- stellte: Er verzichtete auf Anraten von Louis Lefébure-Wély auf sämtliche Klangkronen (Orgelregister, die den strahlenden Glanz erzeu- gen) und legte den Fokus auf die Grundstimmen der Orgel. Die Abbildung zeigt die Orgel als Teil eines archi- tektonischen und städtebaulichen Plans: Die Orgel tront auf dem großen Portal der Kirche, das eine Achse bildet mit der Rue Royale, dem Obelisken auf dem Place de la Concorde, der Pont de la Con- corde und dem Giebel der Assemblée Nationale.

Die Orgel der Pfarrkirche Saint Sulpice (V/100) Sein größtes (und bis heute nahezu unverändert erhaltene) Werk stellt die Orgel von Saint-Sulpice dar, die Cavaillé-Coll 1862 unter Verwendung von Registern der Vorgängerorgel von François-Henri Clicquot fertigstellte. Der überwältigende Erfolg dieser Arbeit sorgte dafür, dass man Cavaillé-Coll 1868 mit dem Umbau und der Erweiterung der Orgel von Notre-Dame beauftragte.

12 VITA STEFAN KORDES

Stefan Kordes wurde 1968 geboren und studierte in Hamburg, Stuttgart und Wien Solistenklasse Orgel und A-Kirchenmusik. Orgel studierte er u.a. bei Bern- hard Haas, Jon Laukvik, Burkhard Meyer-Janson und Michael Radulescu. Seit 2001 ist er Kantor und Organist an St. Jacobi in Göttingen. Neben der Lei- tung der beiden Chöre an St. Jacobi und der Internationalen Orgeltage führt ihn eine rege Konzerttätigkeit an prestigeträchtige kirchenmusikalische Orte in ganz Europa und Asien (etwa Paris: St. Sulpice, St. Étienne-du-Mont; Riga: Dom; St. Petersburg: Philharmonie; Dresden: Frauenkirche, Kreuzkirche; Leipzig: Thomaskirche) sowie zu historisch bedeutenden Orgeln in ganz Europa (z. B. Stellwagen-Orgel St. Jacobi Lübeck, Arp-Schnitger-Orgeln St. Ludgeri Norden und Steinkirchen, Walcker-Orgel Lutherkirche Wiesbaden.) In St. Jacobi spielte Kordes Zyklen mit sämtlichen Orgelwerken von Alain, C.P.E. Bach, J.S. Bach, Brahms, Couperin, Duruflé, Franck, de Grigny, Mendels- sohn Bartholdy, Messiaen, Muffat und Schumann. Als Dirigent führte Stefan Kordes mit seinen Ensembles sowie mit verschiedenen Symphonieorchestern Oratorien, Symphonien und andere Werke von der Renaissance bis zu zeitgenös- sischen Komponisten auf. Daneben konzertiert er als Pianist, Kammermusiker und Liedbegleiter. CD-, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen runden seine kir- chenmusikalische Tätigkeit ab. 13 DIE GROSSE ORGEL VON ST. JACOBI

Die Ott-Schmid-Orgel von St. Jacobi, eine der größten Orgeln Südniedersachsens, beherrscht optisch das Westwerk der Kirche. Gut zu erkennen sind das Schwellwerk (ganz oben, mit Jalousien), die beiden Zimbelsterne (darunter), die Spanischen Trompeten (waagerechte Pfeifen, die in den Raum hineinragen), das Rückpositiv (darunter) und die Pedaltürme mit dem Register Prinzipal 16‘ (rechts und links). 14 DIE GROSSE ORGEL VON ST. JACOBI 1966 errichtete der Göttinger Orgelbauer Paul Ott in St. Jacobi eine viermanualige Orgel mit 58 Registern. Das klangschöne und handwerklich solide Instrument ist seit- her in unzähligen Gottesdiensten erklungen und hat in über 2000 Konzerten Hörer und Spieler gleichermaßen begeistert. Anfang der 2000er-Jahre stellte sich allerdings her- aus, dass nach fast 40 Jahren intensiver Nutzung einiger Renovierungsbedarf be- stand. Da außerdem der Wunsch bestand, auch romantisches Orgelrepertoire adäquat darstellen zu können, wurde die Orgel im Jahr 2007 vom Orgelbauer Siegfried Schmid grundlegend überholt, neu intoniert und um ein Schwellwerk (9 Register) sowie das Register Subbaß 32‘ erweitert.

DISPOSITION I. Manual: Rückpositiv II. Manual: Hauptwerk III. Manual: Brustwerk IV. Manual: Schwellwerk Praestant 8′ Großprinzipal 16′ Metallgedackt 8′ Bourdon 16′ Holzflöte 8′ Quintade 16′ Spitzgambe 8′ Holzflöte 8′ Quintade 8′ Oktave 8′ Prinzipal 4′ Gambe 8′ Oktav 4′ Hohlflöte 8′ Spillgedackt 4′ Voix Céleste 8′ Rohrflöte 4′ Oktave 4′ Nasard 2 2⁄3′ Prinzipal 4′ Nasard 2 2⁄3′ Gedackt 4′ Oktave 2′ Traversflöte 4′ Superoktave 2′ Quinte 2 2⁄3′ Flöte 2′ Mixtur V 2 2⁄3′ Gemshorn 2′ Superoktave 2′ Tierce 1 3⁄5′ Oboe 8′ Terz 1 3⁄5′ Waldflöte 2′ Quinte 1 1⁄3′ Clarinette 8′ Quinte 1 1⁄3′ Mixtur IV-VII 1 1⁄3′ Septime 1 1⁄7′ Tremulant Mixtur IV-VII 1′ Scharf IV-VI 1′ Superoktave 1′ Dulzian 16′ Trompete 8′ Scharf IV-V 2⁄3′ IV. Manual: Chamadenwerk Trichterregal 8′ Rankett 16′ Spanische Trompete 16‘ Tremulant Krummhorn 8′ Spanische Trompete 8‘ Tremulant Spanische Trompete 4‘ Pedal Subbass 32′ Gedackt 8′ Nachthorn 2′ Kontrafagott 32′ Prinzipal 16′ Spitzflöte 8′ Sesquialtera II 5 1⁄3′ Posaune 16′ Subbass 16′ Oktave 4′ Rauschpfeife II 2 2⁄3′ Trompete 8′ Oktave 8′ Holzflöte 4′ Mixtur VI 2′ Clarine 4′

Koppeln: I/II, III/II, IV/I IV/II, I/P, II/P, IV/P Zimbelstern · 4000-fache Setzeranlage 15 CD-AUFNAHMEN DER GROSSEN ORGEL VON ST. JACOBI Die erste CD-Aufnahme an der überholten und erweiter- ten Orgel von St. Jacobi, u.a. mit der heute erklingenden Sicilienne von Duruflé.

„das Resultat kann nur mit summa cum laude benotet werden.“ (Musik & Kirche)

Diese CD präsentiert einen bunten Strauß der schönsten und beliebtesten Orgelwerke Bachs an der größten Orgel Südniedersachsens und gleichermaßen einen exemplari- schen Querschnitt durch das vielfältige Orgelschaffen Bachs. Zugleich lädt die Aufnahme auch dazu ein, die zahlreichen verschiedenen Klangmöglichkeiten und Solo- stimmen der Orgel kennen zu lernen.

Die zweite CD der Reihe „Zauber der Orgelmusik“ ist ganz der Orgelmusik Frankreichs gewidmet. Aus dem heutigen Programm ist das Prière von Olivier Messiaen enthalten.

„Kordes präsentiert [...] seine beeindruckenden Fähigkei- ten als Organist.“ (Göttinger Tageblatt)

Bachs musikalisches Testament für Orgel, die sogenannte „Orgelmesse” wurde am 24.8.2018 im Rahmen der Inter- nationalen Orgeltage in St. Jacobi aufgeführt. Sie besteht aus 27 Orgelwerken, die zu Bachs kunstvollsten Orgelstü- cken gehören. Die Schola St. Jacobi singt die den Vertonungen zugrunde- liegenden Choräle und Liturgiestücke. (2 CDs) Die CDs können am Kirchenhütertisch erworben oder über www.jacobikantorei.de be- stellt werden.

Silvester-Sonderangebot: 2 Einzel-CDs: 25 € 3 Einzel-CDs: 35 € Orgelmesse + 1 CD: 30 € Orgelmesse + 2 CDs: 40 €