Silvesterkonzert 2019 31
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St. Jacobi Göttingen Silvesterkonzert 2019 31. Dezember 2019 · 20.30 Uhr Stefan Kordes, Orgel Eine Rundreise durch Pariser Kathedralen PROGRAMM Saint-Sulpice · Marcel Dupré (1886-1971) Prélude et fugue H-Dur aus Trois Préludes et fugues, op. 7 (1912) Saint-Vincent-de-Paul · Léon Boëllmann (1862-1897) Prière à Notre Dame aus der Suite Gothique, op. 25 (1895) Saint-Augustin · Eugène Gigout (1844-1925) Toccata h-moll aus den Dix Piéces en Recueil (1890) Saint-Étienne-du-Mont · Maurice Duruflé (1902-1986) Sicilienne aus der Suite, op. 5 (1933) Saint-Philippe-du-Roule · Henri Mulet (1878-1967) Toccata „Tu es petra et portæ inferi non prævalebunt ad- versus te“ aus den Esquisses Byzantines (1920) Sainte-Clothilde · César Franck (1822-1890) Pièce héroïque aus den Trois Pièces (1878) La Trinité · Olivier Messiaen (1908-1992) Prière après la communion aus dem Livre du Saint Sacrement (1984) Notre-Dame · Louis Vierne (1870-1937) Carillon de Westminster aus den Pièces de fantaisie op. 54 (1927) Stefan Kordes, Orgel 2 ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN ABENDS Liebe Besucher des Silvesterkonzertes, schon als Jugendlicher reiste ich immer wieder nach Paris. Dabei plante ich meine Tage so, dass ich möglichst viele Gottesdienste und Konzerte in den großen Kathedralen besuchen konnte und auf diese Weise eine Viel- zahl dieser wunderbaren Räume, Orgeln und Organisten erleben konnte. Einen Eindruck dieser Reisen möchte ich Ihnen heute weitergeben - viel- leicht macht es Ihnen ja Appetit, im kommenden Jahr auch einmal die Pariser Kathedralen zu besuchen. Einer der bedeutendsten Orgelbauer der Romantik war Aristide Cavaillé- Coll. Er stattete zahlreiche Pariser Kirchen mit seinen Orgeln aus. So ent- stand eine einzigartige Wechselwirkung zwischen den Kathedralen mit ihrer großen Akustik, den großen Orgeln und den herausragenden Kom- ponisten, die für diese speziellen Instrumente komponierten. Zu den beliebtesten Kompositionsweisen dieser Orgelkomponisten zählt die "französische Toccata": Rauschende Akkorde werden abwechselnd von beiden Händen gespielt, die Harmonien wechseln (im Unterschied zu deutschen Kompositionen dieser Zeit) selten, damit das Klangerlebnis auch bei viel Nachhall durchhörbar bleibt. Die langsame Melodie wird meist vom Pedal übernommen. Genau in diesem Sinne ist das Prélude von Marcel Dupré komponiert. Die tänzerisch-spielerische Fuge (versuchen Sie einmal, das sprunghafte Thema nachzusingen!) wagt im Mittelteil sogar einen Wechsel in latein- amerikanische Rumba-Rhythmen, bevor das Toccaten-Motiv des Anfangs mit dem Fugenthema kombiniert wird. Große Ruhe können Sie in den beiden Gebeten (prière) des heutigen Abends erleben: Eine ruhige, getragene Melodie bei Leon Boëllmann, stilisierte Vogelstimmen begleitet von ätherischen Harmoniefolgen (mit dem 32´-Subbass unserer Orgel) bei Olivier Messiaen. 3 Die Toccata von Eugène Gigout kombiniert in seinem kurzweiligen Per- petuum mobile schnelle Tonleitern und Dreiklangsbrechungen mit einer wiegenden Melodie. Maurice Duruflé lässt in seiner Sicilienne (dem Mittelsatz der Suite op. 5, die auch auf der CD "4 Jahrhunderte Orgelmusik" eingespielt ist) eine Hirtenmelodie im 6/8-Takt durch verschiedene Begleitungen in immer wieder neuem Licht erscheinen. Die berühmte Toccata "Du bist ein Fels" von Henri Mulet wartet mit schnellsten Akkordrepetitionen und außergewöhnlichen Harmoniewech- seln auf. César Franck komponierte sein "Pièce héroique" für die Weltausstellung 1878 - für die neue Konzertorgel im Palais de Trocadéro und lässt die be- sonders zahlreichen Farbmöglichkeiten des großen Instrumentes (das nach mehreren Umbauten heute leider stark verändert in Lyon steht) in diesem Stück zur Geltung kommen. Der Schluss dieses Abends gebührt natürlich der leider durch den Brand im Sommer teilweise zerstörten Kathedrale Notre Dame und dem be- rühmtesten Stück von Louis Vierne: das "Carillon de Westminster". Mein herzlicher Dank gilt Ole Landschoof für die Präsentation und die Erstellung des Programmheftes sowie Arne zur Nieden für die Assistenz. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Rundreise durch das romantische Paris und ein gutes neues Jahr! Stefan Kordes 4 SAINT SULPICE Marcel Dupré (1886-1971) Marcel Dupré stammte aus einer Organistenfamilie, in der er seine erste musikalische Ausbildung erhielt. Schon im Alter von zwölf Jahren hatte Dupré eine Organistenstelle in seiner Heimatstadt Rouen inne. In Paris wurde er Schüler der renommiertesten Or- ganisten seiner Zeit: Alexandre Guilmant, Louis Vierne und Charles-Marie Widor waren seine Leh- rer. 1934 trat er die Nachfolge seines Lehrers Widor an der weltberühmten Orgel von St-Sulpice an. Als Orgelvirtuose, der die Kunst der Improvisation meisterhaft beherrschte, errang er Weltruhm. Um dies zu verdeutlichen genügt vielleicht eine Zahl: Während seiner ersten beiden Kon- zertreisen in die USA (1921-23) spielte Dupré 204 Orgelkonzerte. Kennzeichen sei- ner Kompositionen sind oftmals der freie Umgang mit traditionellen Gattungen und eine erweiterte Tonalität. SAINT-VINCENT-DE-PAUL Léon Boëllmann Obwohl der Elsässer Léon Boëllmann nur 35 Jahre alt wurde, hat er der Nachwelt 160 Kompositionen (Kammermusik, Orchestermusik und Orgelmusik) hinterlassen, die in der spätromantischen Tradition von Franck und Saint-Saëns stehen. Nach dem Stu- dium an der École Niedermeyer wurde Boëllmann zunächst 1881 Organist der Chororgel von St- Vincent-de-Paul, bevor er 1887 ‒ empfohlen von Charles Gounod und dem Orgelbauer Cavaillé-Coll ‒ Organist an der großen Cavaillé-Coll-Orgel wurde. Nach seinem frühen Tod 1897 nahm sich sein Schwiegervater Eugène Gigout nicht nur der drei Kinder an, die Boëllmann hinter- ließ, sondern auch der Veröffentlichung und dem Bekanntmachen seiner Werke. In die Geschichte der Orgelliteratur ist er mit seiner Suite Gothique eingegangen, die eines der schönsten Gebete für die Orgel und eine äußerst mitreißende Toc- cata enthält. 5 SAINT-AUGUSTIN Eugène Gigout Eugène Gigout studierte an der École Niedermeyer in Paris und war ‒ wie sein Freund Gabriel Fauré ‒ Schüler von Camille Saint-Saëns. Mit 19 Jahren wur- de er zum Organisten an der neu errichteten Kirche St-Augustin ernannt. Gigout war als Orgelvirtuose sehr anerkannt, was sich etwa darin äußerte, dass er für das Orgelspiel bei der Trauerfeier seines Freun- des César Franck ausgewählt wurde. Gerade Gigouts liturgisches Orgelspiel wurde sehr geschätzt. Von der Liturgie und der Gregorianik sind auch die meis- ten Kompositionen Gigouts geprägt, sinfonisch komponierte er eher selten. Künstlerisches und Familiäres mischten sich bei Gigout auf zunächst erfreuliche, später leider traurige Weise: Seine Adoptivtochter heiratete 1885 seinen Lieblingsschüler Léon Boëllmann, der Gigout bei dessen Lehrtätigkeit an der im selben Jahr von Gigout gegründeten Orgelschule unterstützte. Es folgte allerdings ein tragisches Ende, als Boëllmann 1897 und seine Frau ein Jahr später starben. Gigout nahm sich der drei Enkel an und zog sie groß. SAINT-ÉTIENNE-DU-MONT Maurice Duruflé Während seines Studiums lernte Maurice Duruflé mit 17 Jahren Charles Tournemire kennen, der ihn zu seinem Vertreter in Ste-Clothilde machte. Seine Studien am Pariser Conservatoire (Orgel bei Eugène Gigout, Komposition bei Paul Dukas) wurden er- gänzt durch privaten Unterricht bei Louis Vierne, dessen Vertreter Duruflé 1927 wurde. 1930 wurde er zum Titularorganisten an St-Étienne-du-Mont berufen und 1943 erhielt er eine Professur für Har- monielehre. Zu diesen Erfolgen kam 1947 der Ruhm, der ihm durch die gute Aufnahme seines Requiems zuteil wurde. Dennoch blieb Duruflé, was die Veröffentlichung seiner Werke betrifft, äußerst selbstkritisch. Charakteristisch für Duruflés Stücke ist ihr häufiger Bezug zur Gregorianik, die er als Chorknabe in Rouen erstmals kennenlernte und bei Tournemire als kompositi- onsbestimmendes Prinzip erlebte. 1975 endete Duruflés Karriere, weil er nach einem Autounfall unfähig war, seine Beine zu bewegen. 6 SAINT-PHILIPPE-DU-ROULE Henri Mulet Ein Fixpunkt im Leben von Henri Mulet war die Kathédrale Sacré-Coeur, die auf dem Hügel von Montmartre über der Stadt Paris thront. In ihrer Nähe würde Mulet 1878 geboren, in ihr war sein Vater als Chordirektor angestellt, von ihr ist sein bekanntestes Werk, die Esquisses Byzantines, beein- flusst. Doch bevor Mulet Organist wurde, war er zunächst im Cello-Studium erfolgreich. 1894 wechselte er das Instrument und wurde Schüler von Widor und Guil- mant. Nach Stationen in St-Roch und St-Eustache wurde er 1911 Titularorganist an St-Philippe-du-Roule. Mulet, der sich wegen seiner Abneigung gegen das Stadtleben vom musikalischen Paris isoliert hatte, blieben seine beiden Träume in Paris uner- füllt: Weder wurde er Professor am Conservatoire, noch Organist an Sacré-Coeur. 1937 verbrannte Mulet fast seine sämtlichen Kompositionen und verließ Paris, um aufs Land zu ziehen, wo er auch seinen Lebensabend verbrachte. SAINTE-CLOTHILDE César Franck César Franck ist gewissermaßen der Vater der fran- zösischen Orgelsinfonie. Nach dem Studium in sei- ner Heimatstadt Lüttich und in Paris wurde er 1858 Organist an Ste-Clothilde. Diese Stelle hatte er bis zu seinem Tod 1890 inne. Zwei Schwerpunkte sei- ner Arbeit als Organist, Orgellehrer und Komponist waren die Beschäftigung mit Bachs Orgelwerk und mit der Kunst der Orgelimprovisation. Von seinen Orgelimprovisationen und ihrer harmonischen Far- bigkeit sind viele seiner Stücke geprägt: Es reihen sich improvisatorische Durchführungen von Melodien aneinander, die nicht in die gängigen Gattungsschemata passen. Sein Grande pièce symphonique ist ein