Alfred Quellmalz – Volksliedforschung in Südtirol (1940-1942)

Masterarbeit

zur Erlangung des Grades Master of Arts (MA) im interuniversitären Masterstudium Musikologie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

JULIA MAIR

am Institut für Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz

Begutachter: Univ.-Prof. Dr.phil. Michael Walter

Graz 2017 Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Alfred Quellmalz – Jugend, Krieg und Studium 2 2.1 Das Deutsche Volksliedarchiv 4 2.2 Das Staatliche Institut für Deutsche Musikforschung in Berlin 7 2.3 Die Abteilung II Volksmusik 9 2.4 Die Frage nach Quellmalz' politischer Motivation und das Leben nach Kriegsende 14

3. Südtirol – Die Option 21 3.1 Das 30 3.2 Die Südtiroler Kulturkommission 34 3.3 Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsgemeinschaft für Optanten und der Kulturkommission 36 3.4 Die Gruppe Volksmusik 39 3.5 Alfred Quellmalz' Mitarbeiter in Südtirol 43 3.6 Ähnliche Forschungen im Faschismus 57

4. Die Feldforschungen in Südtirol 60 4.1 Aufnahmetechnik – Das Magnetophon 62 4.2 Beispiele 63

5. Die Zusammenarbeit mit den faschistischen Behörden 73

6. Die Bedeutung der 'Sammlung Quellmalz' für die Südtiroler Volksmusik nach 1945 – Rezeption und Verwendung 76

7. Schlusswort 81

8. Bibliographie 82 1. Einleitung

Übersende eine Aufstellung der Daten von Märkten, Almabtrieben und Kirchtagen, die bis Neujahr im Kreis Bruneck abgehalten werden. Von Wahlen bei Toblach ist eine gute Beschreibung der Bräuche beigelegt. Für Dr. Wolfram und Quellmalz dürfte die sogenannte Knittelmusik von Interesse sein. Von Mühlbach ob Gais im Tauferertal wird folgendes gemeldet: Von grösserer Bedeutung dürfte für die Kulturkommission das Vorhandensein des alten 5-stimmigen deutschen Bauerngesangs in der Kirche sein, mit vielen schönen alten Liedern. Der Chor singt gut und stimmrein. Das Dörfchen liegt eine Stunde hoch am Berg. Dies Dörfchen dürfte für die Filmleute von Bedeutung sein am heurigen Kirchtag, der am 20. Okt. stattfindet. Kirchtag mit dem Aufstellen des Kirchtagmichls, und sein Begräbnis, dann der Almabtrieb mit seinen Bräuchen.1

Die vorliegende Masterarbeit hat zum Ziel, die musikwissenschaftlichen Feldforschungen, welche im Auftrag des Ahnenerbes von der Gruppe Volksmusik unter der Leitung von Alfred Quellmalz in den Jahren 1940-1942 in Südtirol durchgeführt wurden, zu beleuchten und zu kontextualisieren. Das einleitende Zitat gibt bereits einen Eindruck von Quellmalz' Tätigkeiten in Südtirol sowie von der Bedeutung, die das nationalsozialistische Regime der Volksmusik beimaß. Neben Quellmalz' beruflichem Werdegang und seinen Tätigkeiten am Staatlichen Institut für Deutsche Musikforschung in Berlin sollen in dieser Arbeit auch die Aufgabenbereiche seiner Mitarbeiter in der Gruppe Volksmusik einer näheren Betrachtung unterzogen werden, wobei die ideologische Involvierung ebenfalls betrachtet werden wird.

Ferner wird ein weiterer Fokus auf die Entwicklung und Organisation des Ahnenerbes sowie der davon abzweigenden Kulturkommission gerichtet. In einem weiteren Teil der Arbeit wird die Situation in Südtirol hinsichtlich Faschismus und Option beleuchtet; auch wird die Frage nach ähnlichen musikwissenschaftlich-ethnologischen Untersuchungen von faschistischer Seite her aufgeworfen, was für eine Kontextualisierung der Sammlung Quellmalz unerlässlich ist.

Die letzten Kapitel dieser Masterarbeit befassen sich unter Einbeziehung der Archivmaterialien (Alfred Quellmalz' Nachlass, Briefe, die 'Sammlung Quellmalz') aus

1 Nachlass Quellmalz, Abschrift eines Briefes von Peskoller (Leiter der Abteilung III) an Alfred Quellmalz, Richard Wolfram und SS-Hauptsturmführer Dr. Bousset, unter Beifügung der Aufstellung über Almabtriebe, Märkte und Kirchtage, vom 17. September 1940.

1 dem Referat Volksmusik in Bozen mit der genauen Durchführung der Feldforschung (Methoden, technische Geräte, Transport, musikwissenschaftliche Faktoren), welche an einigen Beispielen dargestellt wird. Es soll auch erklärt werden, warum die Südtiroler Volksmusik sowohl für den Nationalsozialismus als auch für Quellmalz von so großer Bedeutung war. Die Arbeit schließt mit der Frage nach der Rezeption und Bedeutung der 'Sammlung Quellmalz' für die Südtiroler Volksmusik.

2. Alfred Quellmalz – Jugend, Krieg und Studium

Alfred Quellmalz wurde am 25. Oktober 1899 in Oberdigisheim in Deutschland geboren. Sein Vater Gustav Quellmalz praktizierte als Arzt und erhielt ab 1900 in Isny (Allgäu) eine Stelle als Stadtarzt. Quellmalz, zu diesem Zeitpunkt noch ein Kleinkind, begleitete seinen Vater oftmals auf seinen Arztbesuchen, die ihn auch auf viele Bergbauernhöfe führten. Dies und auch die Tatsache, dass Quellmalz mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Brüdern Kurt und Heinz viele Wanderungen in den Bergen Nord- und Südtirols unternahm, prägte sein Leben und seine Interessen entscheidend. Urlaubsaufenthalte verbrachte die Familie Quellmalz nicht nur in Österreich, sondern auch in Meran, Bozen und Prad in Südtirol. Neben diesen Faktoren war auch die Begegnung Quellmalz' mit klassischer Musik für sein Leben sehr wichtig. Von 1912 bis 1917 besuchte er ein Humanistisches Gymnasium in Dresden, wo er unter anderem das Spiel auf der Violine für sich entdeckte und das Ziel verfolgte, Musiker zu werden. Diesem Traum kam jedoch sein unverhohlener Enthusiasmus für den ersten Weltkrieg in die Quere: Quellmalz' Begeisterung und Kampfbereitschaft führten dazu, dass er – wie zahlreiche seiner Altersgenossen – die Schule abbrach und sich für den Kampfeinsatz beim Württembergischen Gebirgsbataillon meldete.

Sein erster Einsatz an der Front brachte ihn durch Zufall nach Südtirol, wo er als Beobachter und Meldegänger tätig war. Ferner betätigte er sich auch als Sanitäter. Auch Quellmalz' Vater war als Arzt an der Dolomitenfront eingesetzt worden, an jener Front, die sich zwischen 1915 und 1918 vom Stilfser Joch an der Schweizer Grenze bis über das Ortlergebirge und den Adamello (Provinz Brescia) hin zum Gardasee erstreckte. Alfred Quellmalz bestätigte später, dass die Stationierung in Südtirol seine Beziehungen 2 zu diesem Land noch weiter gefestigt habe. Im Frühjahr 1918 fand Quellmalz' Kriegseinsatz jedoch ein jähes Ende, als er sich an der Piave-Front eine Gasvergiftung zuzog. Den Urlaub, der ihm daraufhin zur Genesung zugestanden wurde, nutzte er, um seinen Abschluss am Gymnasium nachzuholen.

Nach Ende des ersten Weltkrieges hatte Quellmalz vor, sich an den Kämpfen gegen die Kommunisten in Bayern zu beteiligen, doch da er seine Gasvergiftung nicht zur Gänze auskuriert hatte, erschwerten gesundheitliche Probleme diesen Plan. Eine Tuberkuloseerkrankung, die er sich zusätzlich zuzog, bescherte ihm bis 1921 abwechselnd Aufenthalte im Militärlazarett in Ulm und im Sanatorium seines Vaters in Isny. Obwohl Quellmalz diese Erkrankungen selbstverständlich stark beeinträchtigten, fand sich darin auch Positives: ihm wurde eine vierzigprozentige Kriegsversehrtheit bescheinigt, welche ihm im Zweiten Weltkrieg letztendlich den Einberufungsbefehl ersparen sollte.2

Als seine Genesung endlich Fortschritte machte, strebte Quellmalz danach, seine musikwissenschaftlichen Interessen weiterzuverfolgen. Im Sommersemester 1921 immatrikulierte er sich an der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg und begann, Musikwissenschaft und Philosophie zu studieren. Neben seinen Kursen bekam er hier erstmals Kontakt zur Bündischen Jugend, bei der ihm vor allem die tiefe Verbundenheit zum Volkslied und zur Volksmusik im Allgemeinen zusagte. Dieses Empfinden führte schließlich dazu, dass Quellmalz dieser aus der Wandervogel- Bewegung hervorgegangenen Organisation beitrat. Im Jahr 1922 schließlich führte Alfred sein Studium an der Universität Leipzig fort und wechselte 1923 nach München. Im Bestreben, eine Laufbahn als Musiker einzuschlagen, besuchte er zwar weiterhin musikhistorische und -theoretische Kurse, legte seinen Schwerpunkt jedoch auf die Praxis. Seine Aufnahme in die Akademie der Tonkunst erfolgte 1925, wo er damit begann, Violine und Komposition zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt traf er auf die in München lebende Stuttgarter Ausdrucks- und Kunsttänzerin Leonie Blum, welche er 1927 heiratete. Zusammen gründete und leitete das Paar eine Schule für Musik und künstlerischen Tanz, denn obgleich Quellmalz keinen Studienabschluss hatte, befähigte

2 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus (Biblioteca Musicologica Bd. 6), Innsbruck u. a. 2001, S. 17-18.

3 ihn ein absolvierter Lehrgang zu 'Einheitlicher Musiklehre' zur Abhaltung von Kursen für Kinder und Anfängerkursen für Erwachsene. Gelehrt wurde unter anderem Harmonielehre, Gehörbildung und Musikgeschichte.3

Ab April 1928 war Quellmalz am Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg am Breisgau als musikwissenschaftlicher Assistent tätig, und 1937 wurde er an das Staatliche Institut für deutsche Musikforschung in Berlin beordert. Zunächst fungierte er dort als Archivar, und 1938 wurde er zum Leiter der Abteilung II Volksmusik ernannt. Nach seiner Evakuierung in die fränkische Schweiz 1943 führte er dort die Arbeit mit seiner Abteilung fort. Im selben Jahr erhielt Quellmalz die Anweisung, seine Forschungsergebnisse aus den Jahren 1940-42, die er in Südtirol gesammelt hatte, auszuwerten. Der Grund dafür war, dass man den Beweis für die Zugehörigkeit der Südtiroler zum deutschen Kulturkreis erbringen wollte. Bis 1945 war Quellmalz mit dieser Ausarbeitung beschäftigt, konnte seine Forschungen jedoch nicht zu Ende führen. 1944 wurde Quellmalz trotz seines Versehrtheitsbescheides und seiner starken Kurzsichtigkeit als Untersturmführer in die Waffen-SS eingezogen, jedoch nur, um seine Einberufung in den Kriegsdienst zu verhindern und ihm die Fortführung seiner Tätigkeiten zu ermöglichen. In seinem Lebenslauf bekräftigte Quellmalz, niemals einer militärischen Organisation angehört oder an einer derartigen Ausbildung teilgenommen zu haben. Nach Kriegsende blieb Quellmalz bei seiner Familie in Hard (Vorarlberg), da sein Institut der Hochschule Regensburg angegliedert worden war. Ab 1947 arbeitete er für drei Jahre am Radio Vorarlberg mit, danach erhielt er eine Stelle an der Bauernschule Waldsee.4

2.1 Das Deutsche Volksliedarchiv

Die Volksmusik und insbesondere das Volkslied gewannen im NS-Regime stark an Bedeutung. Aufgeladen mit einer neuen, kultisch-ritualischen Konnotation, nahm diese Musik in den nationalsozialistischen Feierlichkeiten, aber auch in der Freizeitgestaltung mehr Raum ein als zuvor.

3 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 19-20. 4 Nachlass Quellmalz, Lebenslauf, Referat Volksmusik Bozen.

4 Wilheln Ehmann, ein deutscher Musikwissenschaftler und Kirchenmusiker, schrieb hierzu Folgendes:

Die 'Liederstunden des Volkes' machen aus den Liedgenuß ein Liedbekenntnis: durch die Gezeitenprägung des Volksliedes, die Lied, Jahreszeit, Landschaft, Volk, Geschichte mit einer jeweiligen bestimmten Sinngebung in eine Einheit binden, wird im Singen dieser ganze Bezug lebendig. Das Volks singt sich mit seinen Liedern in diesen Zusammenhang hinein....Es setzt sich im Singen dem vollen Bezug der Mächste aus, die das Lied heraufzwingt. So ist das Lied kein flacherer oder tieferer Genuß, keine stille oder laute künstlerische Erbauung, sondern ein stetes gemeinsames Bekenntnis zu den Seinsmächten unseres Lebens und ihrer selbst gesetzten Ordnung. Wir verfügen nicht frei über das Lied....Wir halten nicht das Lied in spielenden Fingern, sondern das Lied hält uns in richtender Hand. Das Volks begeht das Jahr in seinen Volksliedern. Es wächst das kultische Jahr. Damit wird das Lied ein Stück bekenntnishaft vollzogenes Leben.5

Das Volkslied als neues 'völkisches Ritual' und als 'kulturpolitische Forderung' etablierte sich nicht nur in praktischer und ideologischer, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht.6 Bereits 1928 plante das Deutsche Volksliedarchiv in unter der Leitung des Mediävisten und Volkskundlers John Meier die Herausgabe einer Gesamtausgabe deutscher Volkslieder. Aus diesem Grund und auch aufgrund des Wunsches einer musikwissenschaftlichen Systematisierung der Archivbestände zögerte Meier nicht lange, als ihm Quellmalz als Mitarbeiter empfohlen wurde. Erstaunlicherweise war Quellmalz der erste Musikwissenschaftler, der an dem 1914 gegründeten Archiv eingestellt wurde. Seine Hauptaufgabe war die Untersuchung von Melodieaufzeichnungen auf ihre wissenschaftliche Verwendbarkeit hin sowie das Ordnen von über 100.000 Liedbelegen in einen Incipitkatalog. Quellmalz war bis 1937 im Deutschen Volksliedarchiv tätig. Neben seiner Arbeit im Archiv setzte er in Freiburg auch sein zuvor abgebrochenes Studium fort und besuchte unter anderem Kurse bei Wilibald Gurlitt, der auch sein Doktorvater war. Gurlitt war ein angesehener Musikwissenschaftler, der jedoch durch die Religion seines Schwiegervaters als 'jüdisch versippt' galt und im dritten Reich unter Repressalien (Publikations- und Lehrverbot) zu leiden hatte.71932 schloss Quellmalz sein Studium mit Bestnoten und einer Dissertation

5 Wilhelm Ehmann, Die Liederstunde des Volkes. DMK 1, 1936, H. ½, S. 74-83, hier S. 77, zit. nach Kurt Drexel, Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945, Innsbruck 1994, S. 55-57. 6 Vgl. Kurt Drexel, Musikwissenschaft und NS-Ideologie, S. 57. 7 Vgl. Meike Hoffmann, Nicola Kuhn, Hitlers Kunsthändler, Hildebrand Gurlitt 1895-1956, Die Biographie, München 2016, S. 168-173.

5 zum Thema Die Weise vom Elslein. Ein Beitrag zur Geschichte des älteren deutschen weltlichen Liedes ab. Dieses Lied, welches im Zentrum seiner Dissertation stand, war durch die Jugendmusikbewegung populär geworden, und Quellmalz setzte sich zum Ziel, den 'deutschen' Ursprung des Liedes zu erforschen.8

Wichtig für Quellmalz' Arbeit im DVA sowie auch für seine später in Südtirol durchgeführten Feldforschungen war sein Interesse an der Balladenforschung. Seine Mitarbeit am dritten Band der Reihe Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien war für Quellmalz eine Möglichkeit, diesem Interesse nachzugehen. Ferner forderte Quellmalz die Publikation einer „Gesamtausgabe unserer deutschen Volksliedmelodien nach rein musikalischen Gesichtspunkten“9, welche in drei Bänden den germanischen Ursprung von Volksliedern erforschen sollte. Um dieses Projekt durchzusetzen, schloss er sich zumindest scheinbar dem zu dieser Zeit aufstrebenden nationalsozialistischen Idealen an: Die Gesamtausgabe sollte die von den Nationalsozialisten ins Zentrum gerückte Frage nach der Verbindung von Musik und Rasse wissenschaftlich erforschen und das 'Deutschtum' der Volkslieder aufzeigen.10 Im universitären Umfeld, in dem Alfred Quellmalz sich bewegte, waren insbesondere sein Doktorvater Gurlitt und die deutschnationale Elemente seiner Arbeiten eine treibende Kraft, die eine fruchtbare Basis für eine nationalsozialistisch motivierte Musikwissenschaft boten. Diese Rahmenbedingungen führen unweigerlich zur Frage, wie Quellmalz von diesen Faktoren in seinen Arbeiten beeinflusst wurde. Obgleich er sich in einem nationalsozialistisch geprägten Umfeld bewegte und sein Fähnchen diesbezüglich opportunistisch nach dem Wind richtete, trat er erst nach seinem Umzug nach Berlin (1937) der NSDAP bei. Seine Veröffentlichungen, die er in seiner Zeit im DVA hervorbrachte, tragen jedoch unverkennbar die Zeichen der damaligen Zeit. Thomas Nussbaumer bescheinigt Quellmalz eine „Selbstverständlichkeit [gegenüber] den […] opportunen 'nationalen' Fragestellungen“11, führt jedoch gleichzeitig an, dass Quellmalz' Wechsel an die Abteilung II (Volksmusik) des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung keinesfalls politisch motiviert gewesen wäre.12 8 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 20-21. 9 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 22. 10 Die Musikwissenschaft wurde, wie die Wissenschaft im Allgemeinen, von den Nationalsozialisten instrumentalisiert und zur Legitimation der herrschenden politischen Ideologie missbraucht. 11 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 23. 12 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 20- 23.

6 2.2 Das Staatliche Institut für Deutsche Musikforschung in Berlin

Das staatliche Institut für Deutsche Musikforschung in Berlin war im Jahr 1935 gegründet worden. Die Ursprünge dieses Instituts lassen sich bis ins Jahr 1868 zurückverfolgen, als der Musikwissenschaftler Robert Eitner die Gesellschaft für Musikforschung begründete. Diese Gesellschaft bestand bis 1906 und publizierte viele musikhistorisch bedeutsame Schriften. Im Jahr 1901 erfolgte die Gründung der vom Germanisten und Musikhistoriker Rochus Freiherr von Liliencron geleiteten Preußischen Musikhistorischen Kommission, die bis 1931 sechzig Bände der Reihe Denkmäler Deutscher Tonkunst veröffentlichte. Die Musikhistorische Kommission wurde 1933 aufgelöst, und sämtliche Bestände wurden an das 1935 begründete Staatliche Institut für Deutsche Musikforschung übertragen. Die Bedeutung dieser Gesellschaften und Kommissionen für Alfred Quellmalz' Arbeit äußerte sich insbesondere in der ebenfalls von von Liliencron bis 1912 geleiteten Preußischen Volkslieder-Kommission, die für die Herausgabe zweier Volksliederbücher verantwortlich war: 1906 erschien das zweibändige Volksliederbuch für Männerchor, neun Jahre später das Volksliederbuch für gemischten Chor. Während es in diesen Werken und in den bisherigen Aufgaben der Volkslieder-Kommission vor allem um die Sammlung von relevantem Material für die als Kaiserliederbücher bekannten Publikationen ging, wurde der Aufgabenbereich jetzt signifikant auf den Bereich der expliziten Volksliedforschung erweitert. Verantwortlich für diese Erweiterung zeichnete Max Friedlaender (1867-1958), der damals stellvertretender Vorsitzender der Kommission war.13

Thomas Nussbaumer zufolge war für die damalige Zeit die „institutionengeschichtlich bedingte, fachlich ohne Zweifel fragwürdige Trennung von Text- und Melodieforschung und die daraus resultierenden Kompetenzstreitigkeiten“14 prägend. Anstatt einer oder bestenfalls zwei Stellen, an denen über Volkslieder und -musik geforscht wurde, teilten sich John Meiers Deutsches Volksliedarchiv, Friedlaenders 1917 gegründetes Archiv Deutscher Volkslieder und das Archiv in Berlin theoretisch sowohl die Kompetenzen als auch den Forschungsbereich.

13 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 24. 14 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 25.

7 Das Berliner Archiv wurde gemeinhin als Konkurrenz für die übrigen Forschungsstellen gesehen, da man dort Schritte in Richtung einer Auflösung der Trennung von Melodie- und Textforschung unternahm.15

Als direkten Vorläufer für das 1935 gegründete Staatliche Institut sah Nussbaumer das Fürstliche Institut für musikwissenschaftliche Forschung, welches Fürst Adolf von Schaumburg-Lippe 1917 in Bückeburg gegründet hatte. Dieses Institut zeichnete sich durch seine Unabhängigkeit von Universitäten aus und durch die Tatsache, dass dort explizit ausschließlich Musikwissenschaftler tätig waren. Im Zentrum der Arbeit stand die Erforschung der lokalen Musikgeschichte sowie die Archivierung von musikhistorischen Quellen. Der wirtschaftliche Niedergang im Jahr 1931, der unter anderem den Aufstieg der Nationalsozialisten begünstigte, wurde dem Fürstlichen Institut jedoch zum Verhängnis, sodass es sämtliche Tätigkeiten (unter anderem die Herausgabe der Zeitschrift Archiv für Musikwissenschaft) einstellen musste. Max Seiffert (1968-1948), seit 1921 Leiter des Instituts, pochte daraufhin beharrlich auf die Wiedereinrichtung eines zentralen, der Musikforschung gewidmeten Instituts, und die Gründung des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung war schlussendlich auch ihm zu verdanken. Man ernannte ihn zum Leiter und übernahm die Bestände des Fürstlichen Instituts, um an dessen Arbeit direkt anschließen zu können. Das Institut war dem Reichserziehungsministerium untergeordnet. Bis heute ist Thomas Nussbaumer zufolge eine kritische Betrachtung der Aktivitäten dieses Instituts ausständig. Die Aufgaben des Instituts waren vielfältiger Natur, und durch die Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Institutionen wie etwa Musikschulen oder Konservatorien war es in ideologischer Hinsicht von großer Bedeutung für den Nationalsozialismus. Der Zusammenschluss von Musikwissenschaftlern und Verlegern in einem Institut erlaubte die Herausgabe fundierter musikalischer Quellenwerke, die sich einerseits auf die Denkmäler Deutscher Tonkunst sowie die Denkmäler der Tonkunst in Bayern bezogen, nach der Annexion Österreichs aber auch die Denkmäler der Tonkunst in Österreich einschlossen. Beschlossen wurden die Publikationen des Instituts von einem aus Musikwissenschaftlern bestehenden Ausschuss, dessen Vorsitz von 1935 bis 1939 Heinrich Besseler (1900-1969) und von 1939 bis 1945 Friedrich Blume (1893-1975) führte.

15 Vgl. Thomas Nussbaumer, Ebd..

8 Das Institut für Musikforschung setzte sich aus drei verschiedenen Abteilungen zusammen: Abteilung I war die historische Abteilung, die umfangreiche bibliographische Publikationen sowie die Herausgabe musikhistorischer Zeitschriften koordinierte. Auf die Abteilung II (Volksmusik) wird im folgenden Kapitel näher eingegangen werden. Die dritte Abteilung äußerte sich in einer großen, 1888 begründeten Sammlung von Musikinstrumenten, die von 1919 bis 1933 von Curt Sachs, einem Musikwissenschaftler jüdischer Abstammung, verwaltet wurde. 1935 wurde die Sammlung dann dem Staatlichen Institut angeschlossen und auch in das Institutsgebäude (Palais Creutz) verlegt.16 1939 wurde Alfred Quellmalz vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am Institut aufgenommen:

In der Annahme Ihres Einverständnisses ernenne ich Sie zum ordentlichen Mitglied des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung. Ich spreche dabei die Erwartung aus, daß Sie gewillt sein werden, in kameradschaftlicher Verbundenheit mit dem Institut an der ihm gestellten Aufgabe mitzuwirken: Das stolze musikalische Erbgut unseres deutschen Volkes in jeder Hinsicht zu wahren und zu hegen.17

2.3 Die Abteilung II Volksmusik

Zu den kulturellen Aufgaben, die das neue Deutschland mit grosser Energie in Angriff genommen hat, gehört auch die Pflege des Volksliedes. Von allen Gebieten, die die Erneuerung unseres Volkstumes betreffen, ist sie wohl am meisten mit unserem Gefühlsleben verwachsen. Es gibt kaum einen Deutschen, der nicht zu irgend einer Zeit, und sei es nur in seiner Kindheit, mit dem Bolkslied in unmittelbare Berührung gekommen ist. Stets hat es ihn aus dem Alltag herausgehoben oder ihm, als Marsch- oder Arbeitslied gesungen, seine harte Pflicht erleichtert.18

Dieses Zitat aus einem Vortrag Alfred Quellmalz' aus dem Jahr 1934 zeigt bereits sehr deutlich den Stellenwert der Volksmusik zur Zeit des Nationalsozialismus. Um diesen Bereich der Musik nicht außen vor zu lassen, wurde im Institut für Musikforschung auch eine Abteilung zur musikwissenschaftlichen Erforschung von Volksmusik eingerichtet. In diese Abteilung wurden die bereits bestehenden, bisher getrennt

16Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 27. 17 Nachlass Quellmalz, Mitteilung des Reichsministers, K-04/Ordner 3, Referat Volksmusik Bozen. 18 Nachlass Quellmalz, Vortrag vom 21. Februar 1934. K-02/ Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen.

9 voneinander agierenden Forschungsstellen für Volkstanz und das auslandsdeutsche Volkslied eingegliedert. Als Leiter der Abteilung Volksmusik wurde zunächst Kurt Huber, ein bayrischer Volksmusikforscher, berufen; Alfred Quellmalz fungierte als sein Stellvertreter. Ab 1939, nachdem Huber nach München ging, übernahm Quellmalz die Leitung der Abteilung, deren Aufgabenbereiche die Erfassung und Erforschung von Volksliedern, -tänzen und Instrumentalstücken aus der Vergangenheit und der Gegenwart waren. Das geplante Ziel war nicht nur die Erforschung der Volksmusik in Deutschland beziehungsweise in deutschsprachigen Ländern, sondern in Gesamteuropa. Nussbaumer fasst den Tätigkeitsbereich des Archivs nach dem Musikethnologen Alfred Berner (1910-2007) in fünf Teilbereichen zusammen: „die Sammlung und Archivierung handschriftlicher Volkslied- und Volkstanzaufzeichnungen, den Aufbau eines Schallarchivs, die Anlage einer Bildsammlung und Filmstelle, den Aufbau einer Fachbibliothek und schließlich Kartei- und Katalogisierungsarbeiten.“19 Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, gab es anfänglich Schwierigkeiten bei der Verteilung und Koordination der Kompetenzen, denn während das Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg für die textlichen Bezüge der Volkslieder zuständig waren, erforschte das Volksliedarchiv 'nur' die Melodien. Persönliche Querelen zwischen Kurt Huber, dem Leiter der Abteilung Volksmusik, und John Meier, dem Leiter des DVA, verhinderten ebenfalls eine gute Zusammenarbeit. Huber forderte bereits 1936, dass sämtliche Forschungsarbeiten und Kompetenzen im Staatlichen Institut für Musikforschung vereint werden sollten. Zu einer erzwungenen – und deshalb auch schwierigen – Zusammenarbeit kam es schließlich 1937, als die finanzielle Belastung zweier im selben Feld tätigen Institute für das Deutsche Reich nicht mehr tragbar war. Nach Alfred Quellmalz' Aufstieg zum Leiter der Abteilung verbesserte sich das Arbeitsklima nur geringfügig, und auch die alten Kompetenzstreitigkeiten blieben bestehen. Da sich das Musikforschungsinstitut und somit auch die Abteilung für Volksmusik in Berlin befanden und Teil des Reichserziehungsministeriums waren, kam es nach der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich dazu, dass sämtliche Archive – d. h. das Recht auf ihre wissenschaftliche Erschließung – Quellmalz und seinem Forschungsteam zugänglich gemacht wurden; das Freiburger Archiv hatte somit das Nachsehen.20

19 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 28. 20 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 28- 29.

10 Bereits erwähnt wurde die Aufgabe des Archivs, eine Sammlung von Volksmusiktonträgern anzulegen. Ein Teil der Aufnahmen wurde angekauft, aber auch das Archiv selbst zeichnete sich durch eine rege Aufnahmetätigkeit aus. Die Aufnahmen wurden im Archiv als Schallplatten, als Magnetophonbänder, als Tonfolien und Phonographenwalzen gelagert, auf denen sich Volksmusik aus Deutschland und den angrenzenden Gebieten, aber beispielsweise auch aus Russland, Belgien und Litauen befand. Die Bildersammlung des Archivs, die 1944 2032 Stück umfasste, zeigte Tänzer, Sänger und Musikanten, Szenen aus Brauchtum und Tradition. Ferner wurden im Archiv fünfzehn 16-Millimeter-Schmalfilme aufbewahrt, jenem Aufzeichnungsformat, das seit dem Jahr 1923 in Gebrauch war. Neben den wissenschaftlichen Standardwerken, die in der zum Archiv gehörenden Fachbibliothek aufbewahrt wurden, legte man einen Katalog an, in sich sämtliche Quellen, die Gewährsleute bei durchgeführten Feldforschungen, eine Bibliographie der europäischen Volksmusik wie auch die nach den Incipits geordneten Beiträge der Liedsammlungen befanden. Nach den von Quellmalz in Südtirol durchgeführten Feldforschungen wurden seine Aufzeichnungen ebenfalls in diesen Katalog eingegliedert. Zwei zusätzliche Unterabteilungen der Abteilung Volksmusik waren die beiden Zentralstellen für Volkstanz sowie für das Volkslied der Auslandsdeutschen; sie genossen eine Art Sonderstellung, da sie nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht bedeutsam waren. Die Stelle für Volkstanz bestand bereits seit 1935, und ihr Leiter Arthur Nowy war als Mitarbeiter an die Abteilung Volksmusik übernommen worden. Ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie erforschte er die Volkstänze der an das Deutsche Reich grenzenden Länder hinsichtlich germanischer Elemente und der Durchsetzungskraft derselben gegen fremde Volkstanzformen.21

Wie bereits am Beispiel Arthur Nowys ersichtlich, konnte sich auch die wissenschaftliche Arbeit der Abteilung Volksmusik der nationalsozialistischen Einflüsse nicht entziehen. Man kann vermuten, dass dies auch nicht im Interesse der dort beschäftigten Wissenschaftler lag, denn die Betonung des 'Völkischen' und die dahingehende Verbindung von Wissenschaft und Politik verschaffte ihnen Aufträge und Ansehen, sofern sie die gewünschten Resultate erbrachten. Auch Alfred Quellmalz

21 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 30- 31.

11 profitierte von dieser neuen Bedeutung seines Faches. Im Gegensatz zu Arthur Nowy und weiteren seiner Kollegen publizierte Quellmalz jedoch nur einen Aufsatz, mit dem man ihn konkret in die sogenannte 'völkische Wissenschaft'22 einordnen kann, unter dem Titel Die Bedeutung der Volksliedkunde für die Musikerziehung (1939). In diesem Aufsatz geht Quellmalz nicht allein auf Volksmusik ein, sondern damit zusammenhängend auch auf die Musikerziehung und die Verbindung des Volksliedarchivs mit dem BdM und der HJ. Als Aufgaben für Volksliedforscher führt er folgende Punkte an:23

So erstrecken sich die Aufgaben der Volksmusikforschung auf neun Bereiche: a) die „musikwissenschaftliche Untersuchung der Einzelmelodie“ zur Dokumentation des melodischen Variantenreichtums, b) die „Beobachtung der Melodiegruppen“ zur Kennzeichnung regionaler, „stammes- und rassenmäßiger“ Eigenheiten, c) die Untersuchung des „gesamtdeutschen Charakters unserer Volksmusik“, d) die Erhellung von „Zusammenhängen zwischen Volksmusik und Rasse“, e) die Erforschung der „Wechselbeziehungen zwischen Volks- und Kunstmusik“, f) die Erschließung der „Verbindung von Volkslied und Volkstanz mit dem Brauchtum“, um in der vom Nationalsozialismus initiierten Fest- und Feiergestaltung „an die echte, artgemäße Überlieferung“ anknüpfen zu können, g) die Darstellung der „Beziehung zwischen völkischer Vergangenheit und Musik“ und h) – als politische Forderung und letzte Konsequenz – die Erarbeitung von Grundlagen „für eine neue, artgemäße Weltanschauung“.24

Quellmalz' beruflicher Ehrgeiz machten seine Anpassung an die herrschenden politischen und ideologischen Systeme erforderlich. In Zusammenarbeit mit der NSDAP veröffentlichte die Abteilung Volksmusik Liederbücher für beispielsweise den BdM oder die HJ und beteiligte sich aktiv an Reichsmusiktagen und anderen parteilichen Musikveranstaltungen, die Quellmalz auch das Knüpfen von nützlichen Kontakten ermöglichte. Wichtig zu erwähnen ist hierbei der Volksbund für das Deutschtum im Ausland und der dort tätige Musikreferent Hermann Peter Gericke. Bereits vor Kriegsbeginn war man daran interessiert gewesen, die Musik der an Deutschland grenzenden Länder auf vermeintliche germanische Elemente zu

22 Als 'völkische Wissenschaft' wird jene Wissenschaft bezeichnet, die sich gegen naturwissenschaftliche Grundlagen wendet und als nationale Aufgabe im Dienste des Volkes und der politiscehn Ideologie versteht. Siehe dazu Herbert Merthens, Die Naturwissenschaften im Nationalsozialismus, S. 427-444, in: Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Bd. 1, hg. von Reinhard Rürup, Berlin u.a. 1979. 23 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 33- 34. 24 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 35.

12 untersuchen und somit den „angestrebten Nachweis germanischer Kontinuität“25 zu erbringen. Je stärker sich die nationalsozialistische Ideologie in der Wissenschaft niederschlug, desto mehr Bedeutung wurde auch diesem Forschungsgebiet beigemessen. Gericke publizierte zusammen mit Alfred Quellmalz und dem Germanisten Hugo Moser, der ebenfalls beim VDA mitarbeitete, im Auftrag des Reichserziehungsministeriums das Werk Lieder unseres Volkes (1938). Diese Publikation wurde mit dem Ziel geschaffen, im Ausland lebenden Deutschen grundlegende deutsche Volkslieder zu vermitteln. Um zu vermeiden, dass das Werk als zu stark politisch beeinflusst angesehen und womöglich nicht veröffentlicht wurde, finden sich in den Quellenangaben anstelle von beispielsweise 'Liederblatt der Hitlerjugend' nur die Angabe des Verlages. Da das Liederbuch für die ganze Familieg gedacht war, mussten auch 21 politische Lieder gestrichen werden. Gericke, Quellmalz und Moser entschieden sich schließlich zur Publikation einer 'unpolitischen' Ausgabe für die Auslanddeutschen und eine eigene Ausgabe für Deutschland, in der alle nationalsozialistischen Lieder enthalten blieben. Auch nach dem Krieg wurde das Buch weiter verkauft, jedoch in einer überarbeiteten Neuauflage: man ersetzte die politischen Lieder durch geistliche Lieder.26

Die Abteilung Volksmusik bemühte sich sehr darum, Chorleiter, Kapellmeister und sonstige im Musikleben eingebundene Persönlichkeiten als Sammler von Volksliedern und -musikstücken heranzuziehen, eine Herangehensweise, die der Abteilung viel Material einbrachte. Bei dieser Tätigkeit kam es erneut zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Deutschen Volksliedarchiv, da man sich gegenseitig das Forschungs- und Sammlungsmaterial streitig machte. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 versuchte John Meier, das Ostmärkische Volksliedunternehmen sowie die diesbezüglichen Archive unter seine Kontrolle zu bringen, scheiterte aber an der Gegenwehr des Amtes Rosenberg, welches ihn als aus wissenschaftlicher und ideologischer Perspektive ungeeignet deklarierte. Quellmalz und Max Seiffert, die gute Kontakte zu Haiding pflegten, wurden an Meiers Stelle für eine Zusammenarbeit mit den ostmärkischen Archiven verpflichtet. Die Einbindung des Deutschen Volksliedarchivs erfolgte nur lose und einzig aus formalen Gründen. 1939 wurde das Ostmärkische Volksliedunternehmen

25 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 37. 26 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 34- 36.

13 schließlich aufgelöst, was zur Folge hatte, dass die gesamte Kontrolle nun dem Amt Rosenberg und der Abteilung Volksmusik übertragen wurde. Während das Amt Rosenberg für die ideologisch-politischen Belange verantwortlich war, sorgte die Abteilung Volksmusik für die fachlichen Aspekte. Diese Wendung sorgte für ein Wachsen von Quellmalz' Einfluss. Er legte detaillierte Richtlinien fest, wie die einzelnen Gauarchive zu verwalten wären sowie welche Faktoren bei der Sammlung und Archivierung von Volksliedern und Instrumentalmusik zu berücksichtigen waren; Richtlinien, mit denen die kleinen und zum Teil von wissenschaftlich nicht geschultem Personal verwalteten Archive überfordert waren. Durch die bereits geplante und bewilligte Reise nach Südtirol war Quellmalz nicht mehr in der Lage, an dieser Situation etwas zu ändern.27

2.4 Die Frage nach Quellmalz' politischer Motivation und das Leben nach Kriegsende

Beruft man sich auf die im Referat Volksmusik in Bozen vorhandenen Dokumente, lässt sich die Frage nach Alfred Quellmalz' Motivation allem Anschein nach klar beantworten. Nicht nur er selbst spricht sich für die rein wissenschaftlichen Hintergründe seiner Arbeit aus, sondern auch seine langjährige Mitarbeiterin Gertraud Simon. In einem Schreiben vom 21. November 1947 erklärte Simon wie folgt:

Am 1. Januar 1939 bin ich als wissenschaftl. Assistentin in die Abt. Volksmusik des Staatl. Instituts für Musikforschung, dessen Leiter Herr Dr. Quellmalz war, eingetreten. Bis zum Kriegsende war ich seine engste Mitarbeiterin und bin daher in der Lage aus eigener Anschauung über dessen Tätigkeit auszusagen. Ich bin laut Spruchkammerentscheid vom 28.3.1947 politisch unbelastet. Herr Dr. Quellmalz ging während der ganzen Zeit unserer Zusammenarbeit in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auf. Sie bildete seinen ausschließlichen Lebensinhalt. Von einer politischen aktiven Tätigkeit konnte bei ihm niemals die Rede sein. Durch den Forschungsauftrag des Reichswissenschaftsministeriums, das in Südtirol noch lebende musikalische Volksgut durch Schallaufnahmen zu erfassen, kam Dr. Quellmalz zum erstem Mal mit dem der SS angegliederten Forschungsinstitut „Das Ahnenerbe“ in Berührung, da Südtirol als Umsiedlungsgebiet unter der Betreuung der SS stand. Auch in Südtirol war ich seine Mitarbeiterin. Wir konnten dort in den Jahren 1940-1942 unbeeinflusst durch die SS unseren Auftrag durchführen. Nach

27 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 39- 43.

14 Beendigung dieser Tätigkeit gab „Das Ahnenerbe“ das dort gewonnene äusserst wertvolle Material nur unter der Bedingung als Leihgabe dem Staatsinstitut für Musikforschung, dass dessen Abt. Volksmusik gleichzeitig Musikabteilung des „Ahnenerbe“ würde. Eine Ablehnung hätte bedeutet, dass ein anderer, mit Himmler gut bekannter Wissenschaftler das Material zur Auswertung bekommen hätte. Ausserdem hatte Dr. Quellmalz Kenntnis von den Plänen des Amtes Rosenberg (Anm.: Dienststelle für Überwachungs- und Kulturpolitik), aus der Abt. Volksmusik ein Parteiarchiv zu machen. Nur durch die Annahme des Ahnenerbe-Vorschlages konnte er diesen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen. So stimmte er nach langen Gewissenszweifeln diesem Vorschlag zu und konnte damit seine Abteilung als reine wissenschaftliche Forschungsstätte erhalten. Zwar wurde Dr. Quellmalz zur äusseren Kennzeichnung dieser Vereinigung in die SS aufgenommen. Trotzdem hat er sich in der Durchführung seines vom „Ahnenerbe“ gestellten Auftrages, ein Werk über die Volksmusik Südtirols zu schreiben, in keiner Weise von der SS beeinflussen lassen. Für ihn waren immer rein wissenschaftlich sachliche Gesichtspunkte massgebend. Um die Arbeit durchführen zu können, wurde er uk (Anm.: unabkömmlich) gestellt. Nach der Aufhebung der uk-Stellungen wurde er im Februar 1944 zwangsläufig zur Waffen-SS eingezogen, bekam aber sofort wieder den Auftrag seine Arbeit fortzusetzen. Die wissenschaftliche Untersuchungen, an denen ich unmittelbar teilhatte, wurden in unserem eigenen Staatsinstitut durchgeführt und fanden mit Kriegsende ihren vorläufigen Abschluss. Herr Dr. Quellmalz wurde Mitte April 1945 in seine Heimat entlassen, während ich das Institut bis zu dessen Überführung an die Katholische Universität Regensburg an seiner Stelle betreute. Während der ganzen von 1939-1945 dauernden Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Quellmalz habe ich ihn als einen Gelehrten kennengelernt, der sich von jeder politischen Tätigkeit ferngehalten hat und nur seiner Arbeit lebte. Ich versichere an Eides Statt, dass meine obigen Angaben der Wahrheit entsprechen.28

Quellmalz selbst schreibt in seinem Lebenslauf, dass sich das Ahnenerbe nur deshalb an ihn wandte, da man in sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen die Zusammenarbeit mit namhaften Forschern suchte. Er habe sich ausschließlich aus wissenschaftlichen Gründen zugänglich und kooperationswillig gezeigt, und es sei ihm gelungen, seine Arbeit fortsetzen zu können, ohne „irgendwelche parteiideologische[n] Konzessionen zu machen“29. Ferner weist Quellmalz in seinem Lebenslauf auf seine Schwierigkeiten mit dem Amt Rosenberg hin, welches ihn als politisch unzuverlässig deklarierte und sich gegen Quellmalz' Ernennung zum Abteilungsleiter aussprach.30 1987 rechtfertigte sich Quellmalz' Sohn Klaus-Dieter im Bezug auf eine Diskussion, welche auf dem 16. Seminar für Volksmusikforschung im Kolpinghaus Bozen geführt worden war:

28 Nachlass Quellmalz, Bestätigung von Gertraud Simon, Referat Volksmusik Bozen. 29 Quellmalz, Lebenslauf, Referat Volksmusik Bozen. 30 Quellmalz, Lebenslauf, Referat Volksmusik Bozen.

15 Er hob die Verwundung seines Vaters im Ersten Weltkrieg hervor, ebenso die Tatsache, dass sein Vater bis Kriegsende mit seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt gewesen war.31

Nachdem die gesamte Abteilung II in die Regensburger Universität eingegliedert worden war, begannen sich die Vorwürfe gegen Alfred Quellmalz zu häufen. Insbesondere Hans Albrecht, Bruno Stäblein und Friedrich Blume waren überzeugt, Quellmalz habe ihnen die Abteilung Volksmusik absichtlich durch die Eingliederung an das Ahnenerbe entziehen wollen. John Meier äußerte ähnliche Vorwürfe, die der Behauptung, Quellmalz habe sich so weit als möglich von der Politik und damit vom Nationalsozialismus ferngehalten, widersprechen:

Ganz vertraulich möchte ich in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß nach meiner Empfindung, ohne dass ich direkte Unterlagen habe, der Leiter der Abteilung Volksmusik des Staatlichen Instituts Dr. A. Quellmalz bestrebt ist sich und seine Abteilung vom Staatlichen Institut zu lösen und womöglich in die Ahnenerbe-Stiftung überzugehen, mit der er enge Beziehungen hat und von der er auch mit dem Referat für indogermanische Musik betraut ist. Auf diese Weise würde er, der dem Leiter des Staatlichen Instituts bisher untersteht, selbständig werden und größere Bewegungsfreiheit besitzen. Wie schon hervorgehoben, besitze ich keine Unterlagen für diese Ansicht, aber ich habe das innerliche Gefühl, daß sie richtig ist. In diesem Falle wäre natürlich die weitere Folge, daß Herr Quellmalz sich bemühen würde auch das Deutsche Volksliedarchiv dem Ahnenerbe einzugliedern.32

Obwohl Meier nur von einem unbestimmten Gefühl spricht, scheinen seine Bedenken angesichts der Rivalitäten zwischen dem Deutschen Volksliedarchiv und dem Staatlichen Institut nicht so abwegig, wie man unter Umständen annehmen könnte. Bruno Stäblein, Lektor für Musikgeschichte an der Universität Regensburg, schrieb nach einem Gespräch mit Quellmalz' ehemaliger Mitarbeiterin Gerda Lichtenecker einen Brief an Friedrich Blume, in dem er ihm mitteilte, wie Quellmalz Lichtenecker zufolge in einem Speisewagen im Zug von einem Mitarbeiter des Ahnenerbes angesprochen wurde. Man habe ihm die Eingliederung seiner Abteilung angeboten, und Quellmalz habe laut Lichtenecker dieses Angebot sofort angenommen, da er eine positive und fruchtbare Zusammenarbeit mit Hans Albrecht gänzlich ausschloss. Die Tatsache, dass Quellmalz jedoch ausgerechnet in einem Speisewagen von einem SS-

31 Klaus-Dieter Quellmalz, Entwurf vom 18.10.1987, Nachlass, Referat Volksmusik Bozen. 32 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 313.

16 Mann angesprochen wurde, hält nicht nur Thomas Nussbaumer für sehr unwahrscheinlich. Stäblein führt weiterhin an, dass Quellmalz Mitarbeiterinnen Lichenecker und Simon in die SS 'zwangseingegliedert' worden waren, doch auch diese Behauptung lässt sich damit entkräften, dass ihre Mitgliedschaft in der SS ihnen das Weiterarbeiten an ihren Forschungen ermöglichte – genau so, wie es auch bei Quellmalz selbst der Fall war. Während zwei eidesstattliche Bestätigungen – eine von Gerda Lichtenecker und die zweite, bereits zitierte, von Gertraud Simon – erklären, dass eine vermeintliche Überantwortung der Abteilung Volksmusik an das Ahnenerbe schlichtweg eine Lüge sei, sah Hans Albrecht die Dinge, vor allem aufgrund Stäbleins Behauptungen, in einem anderen Licht. Nach Kriegsende, im November 1946, schrieb er an John Meier:33

Es war für mich überdies außerordentlich lehrreich, von Stäblein zu hören, daß Quellmalz seine Absicht, die ganze Abteilung der SS in die Hände zu spielen, in engerem Kreise offen ausgesprochen hat. Ich selbst habe diesen Verdacht schon lange gehegt, konnte aber nie etwas beweisen, und als ich durch eine Mitarbeiterin von Berlin aus einige wichtige Fingerzeige bekam, war es leider schon so spät, daß ich von Schlesien aus zwar Quellmalz um Aufklärung bitten konnte, daß aber seine Antwort mich dort nicht mehr erreicht hat.34

Wie weit diese persönlichen Rivalitäten reichten, lässt sich daran erkennen, dass Albrecht bereits zu einem früheren Zeitpunkt Bruno Stäblein vor Quellmalz warnte:

Ich möchte Sie als Treuhänder des Instituts nun dringend bitten: Lassen Sie Quellmalz nicht an die Sachen heran und halten Sie auch das Freiburger Volksliedarchiv John Meiers davon fern! Ich befürchte nämlich, daß man von dort aus versuchen wird, sich in den Besitz der Bestände zu setzen. Quellmalz ist ja auch aus dem Freiburger Archiv hervorgegangen und wird vielleicht hinter etwaigen Annäherungsversuchen stecken.35

Dieses Misstrauen gegenüber Alfred Quellmalz' Absichten rührte auch von der begründeten Annahme her, jemand anderes könnte Anspruch auf die Archivbestände erheben oder sie juristisch anfechten. Die Bestände waren vorher Eigentum verschiedener Ämter und Organisationen gewesen, die nach Kriegsende nicht mehr existierten. Man versuchte, die Bestände ohne großes Aufsehen sicherzustellen, um

33 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 313. 34 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 314. 35 Thomas Nussbaumer, Ebd.

17 nicht die Aufmerksamkeit von Quellmalz oder Meier zu wecken; es wurde gefürchtet, Quellmalz, der nach dem Krieg nach Vorarlberg ging, könnte auf irgendeine Weise versuchen, die Bestände nach Innsbruck zu schaffen – wo er durchaus wieder Zugriff auf sie hätte. Thomas Nussbaumer zitiert hier einen Brief von Albrecht an Stäblein, in dem die Sorge um die Bestände zum Ausdruck gebracht wird:36

Wir dürfen nicht vergessen, daß das ganze Südtirol Material Eigentum des „Ahnenerbes“ war und als solches vielleicht von O[e]sterreich angefordert werden kann, zumal Herr Quellmalz jetzt als Oesterreicher agiert und alle Bande frommer Scheu gewichen sind. Auch bleibt ja immer noch ein Argument in John Meiers Händen, daß nämlich der größte Teil des Materials tatsächlich aus Abschriften Freiburger Provenienz stammt, daß außerdem die Abteilung in die Hände eines versierten Volksmusikforschers gehört, als welcher sich jederzeit Herr Prof. Wiora präsentieren kann, und daß daher die Aufbewahrung des Materials in Regensburg unpraktisch sei.37

Die Sorgen von Blume, Albrecht und Stäblein waren zum Teil begründet, denn aufgrund einflussreicher Freunde aus Nordtirol war Quellmalz nach dem Krieg von den Behörden nicht aus Österreich ausgewiesen worden. Noch 1945 reiste Quellmalz nach Innsbruck und knüpfte Kontakte zur Nordtiroler Landesregierung, die sehr dazu geneigt war, Quellmalz' Südtirol-Sammlung für Innsbruck einzufordern und ihm dort auch die Habilitation zu ermöglichen. Berücksichtigt man, dass Stäblein, Albrecht und Blume von diesen Überlegungen Kenntnis hatten, sind ihre Befürchtungen vollkommen verständlich. Dennoch wurden die Pläne der Nordtiroler Landesregierung im Bezug auf die Sammlung aus mehreren Gründen nicht verwirklicht. Nach Ende des Krieges war Quellmalz zusammen mit seiner Familie nach Hard (Vorarlberg) gezogen, wo er für das Erste jegliche Tätigkeiten im musikwissenschaftlichen Bereich einstellen musste und mit Problemen bei der Überprüfung seiner Tätigkeiten im Dritten Reich zu kämpfen hatte. Es gab Versuche, die Familie Quellmalz aus Hard zu vertreiben; das legte sich erst, als sich der Bürgermeister hinter sie stellte38. Zudem wurde Quellmalz als Mitglied der SS besonders genau unter die Lupe genommen im Hinblick auf seine politische und wissenschaftliche Vergangenheit. Quellmalz selbst brachte verschiedene Rechtfertigungen vor:39

36 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 314- 315. 37 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 315. 38 Nachlass, Brief, K-04/Ordner 4, Referat Volksmusik Bozen. 39 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 315- 316. 18 Ernste Schwierigkeiten hatten ich stets mit dem Amt Rosenberg […] und mit der Reichsjugendführung, die von mir die Bearbeitung eines Bandes von Parteiliedern (im Rahmen einer Gesamtausgabe deutscher Volkslieder) forderte. Ich zögerte diese – trotz schwerster Vorwürfe von Seiten der RJF – solange hinaus, bis das Kriegsende das Erscheinen von selbst unmöglich machte. Auch sonst hatte ich von der Partei wegen meiner lauen Haltung und wegen Verkehrs mit jüdischen Freunden manches auszustehen. In die Partei bin ich 1937 nur eingetreten, um nicht meine Stelle am Staatsinstitut zu verlieren, was für mich Erwerbslosigkeit (4 Kinder!) und Aufgabe meines Berufes bedeutet hätte. […] Die französische Militärbehörde behandelte mich nach eingehender Untersuchung nicht mehr als SS-Mann, gab mir im Gegensatz zu den SS-Leuten sofort meinen Entlassungsschein heraus und befreite mich von jeder Meldepflicht. […] Auch die Spruchkammer in Tübingen […] reihte mich als Mitläufer ohne Sühnemaßnahmen ein [...]40

Aus diesem Auszug aus Quellmalz' Lebenslauf geht hervor, dass er für die französischen Behörden als gewöhnliches Parteimitglied galt und deshalb auch nicht unter allzu strengen Auflagen zu leiden hatte. Dennoch hatte Quellmalz noch lange mit Vorwürfen und Vermutungen, die seine politische Reputation betrafen, zu kämpfen. 1950 schrieb er einen Brief an Carl Haensel, den Rechtsberater des Südwestfunks in Baden-Baden:

Meine politische Vergangenheit wurde eingehend und – als Reichsdeutscher in Österreich – nicht gerade wohlwollend von der obersten französischen Militärbehörde in Österreich sowie von den zuständigen österreichischen Behörden überprüft. Beide Stellen kamen zu dem Ergebnis, daß keinerlei Belastung durch die SS vorliege. Ich bekam infolgedessen sofort meinen Entlassungsschein ausgehändigt, wurde nicht in der SS-Liste geführt und war von den für SS-Angehörige und politisch Belastete bestehenden Meldungen befreit; ja, die französische Militärregierung verschaffte mir sogar durch eigenes Eintreten einen Passierschein nach Deutschland, was damals für einen politisch irgendwie Vorbelasteten gänzlich unmöglich war.41

Den Passierschein nach Bayern erhielt Quellmalz jedoch erst 1947, sodass er tatenlos zusehen musste, wie sein Institut an die Regensburger Hochschule ging. Um das Verfahren mit der französischen Militärbehörde zu beschleunigen, bat Quellmalz Gisela Schmitz-Kahlmann, eine ehemalige Mitarbeiterin des Ahnenerbes, um ein schriftliches 'Entlastungszeugnis', welches aussagen sollte, dass er der SS nur zum Zwecke der Fortführung seiner wissenschaftlichen Arbeit beigetreten war und niemals einer Formation wie etwa den Totenkopfverbänden angehört hatte. Diese Bitte gewinnt

40 Quellmalz, Lebenslauf, Referat Volksmusik Bozen. 41 Nachlass, Brief von Quellmalz an Haensel, 1950, Referat Volksmusik Bozen.

19 deshalb an Brisanz, weil Quellmalz einige nicht unwichtige Fakten unterschlug. Sein Beitritt zur SS erfolgte nicht erst, wie von ihm behauptet, im Jahr 1943, sondern bereits im Sommer 1942. Ferner behielt Quellmalz hier für sich, dass er eine führende Position im Ahnenerbe sowohl angestrebt als auch erhalten hatte. Während Schmitz-Kahlmann in diesem Punkt auf Quellmalz' Seite stand und betonte, dass seine Ausführungen der Wahrheit entsprachen, war es für ihn weitaus schwieriger, zu erklären, warum er bereits 1942 der SS beitrat. Die eidesstattliche Erklärung von Gertraud Simon diente deshalb dem Zweck, ihn gewissermaßen als Opfer der politischen Umstände darzustellen. Aufgrund ihrer ungebrochenen Loyalität zu Quellmalz ist es fraglich, wie objektiv und wahrheitsgemäß diese Erklärung tatsächlich ist. In dieser eidesstattlichen Erklärung gab Simon Fakten wieder, die Thomas Nussbaumer zufolge eindeutig falsch sind, es ist jedoch unklar, ob Simon bewusst die Wahrheit verschwieg oder von Quellmalz falsch informiert wurde. Das von Quellmalz anscheinend gefürchtete Amt Rosenberg hatte nicht die notwendigen Kompetenzen, eine staatliche Forschungseinrichtung wie die Abteilung Volksmusik in ein Parteiarchiv umzuwandeln. Die Befürchtungen könnten daher rühren, dass sich Quellmalz' Beziehung zum Amt Rosenberg immer mehr verschlechterten, während er seine Tätigkeiten bei der Konkurrenz, also beim Ahnenerbe, verstärkte. Zu Beginn wurde von Seiten des Amtes Rosenberg noch versucht, Quellmalz wieder zurückzuholen, doch er lehnte jeglichen Antrag auf Zusammenarbeit ab, was zu großen Unstimmigkeiten führte. Dieses nicht unwichtige Element unterschlug Quellmalz sowohl in der Zusammenarbeit mit Simon als auch in seinem Lebenslauf. Ebenfalls unwahrscheinlich ist Simons Behauptung, dass Quellmalz bei einer Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem Ahnenerbe seine Südtirol- Sammlung verloren hätte. Der von ihr genannte, mit Himmler scheinbar gut bekannte Konkurrent Quellmalz' war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht existent. In einer weiteren, von Quellmalz in Auftrag gegebenen eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen SS-Hauptsturmführers Alfred Kraut sagt aus, dass Quellmalz „alles andere als ein überzeugter SS-Angehöriger oder Nationalsozialist“ und „der SS- und Parteiideologie scharf ablehnend gegenüber[stand]“42. Bedenkt man Quellmalz' von vielen Seiten bestätigtes freundliches und angenehmes Naturell und seine Bemühungen, in Belangen des Ahnenerbes so objektiv und wissenschaftlich wie möglich vorzugehen,

42 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 319.

20 erscheint Krauts Aussage plausibel, wenn auch mit Sicherheit – wie Thomas Nussbaumer es treffen beschreibt – „freundschaftlich übertrieben“43.44

Zusammenfassend bleibt hinsichtlich Alfred Quellmalz' politischer Vergangenheit zu sagen, dass er zwar mit Sicherheit kein glühender Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie war, sich jedoch aus Opportunismus stets auf die Seite des Regimes schlug, wenn es ihm beruflich von Nutzen sein konnte. Die Aussagen von Gertraud Simon und Alfred Kraut, dass für Quellmalz stets die Wissenschaft an erster Stelle stand, mögen zutreffen; doch Nussbaumer verweist mit Nachdruck auf die Tatsache, dass Quellmalz gegen Ende des Krieges in Briefen öfters voller Stolz auf seine Mitgliedschaft bei der SS hinwies. Wie unzählige andere Wissenschaftler, Musiker oder Künstler verlegte sich auch Quellmalz nach 1945 eine 'bereinigte' Version der Vergangenheit, um behördliche Schwierigkeiten zu vermeiden und möglichst unbehelligt von sämtlichen Konsequenzen bleiben zu können. Nachdem er nach dem Krieg vorerst keinen Zugriff mehr auf die von ihm erstellte Südtirol-Sammlung hatte, wurde ihm nach dem Krieg auch jede Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Musikforschung verweigert. Quellmalz sah sich diesbezüglich als Opfer von Albrechts Verleumdungen, welchen der Präsident der Gesellschaft, Friedrich Blume, nichts entgegenzusetzen hatte. Erst nach 1948 wurde sein Fall von der Gesellschaft endlich genauer untersucht, und man betrachtete ihn nach Klärung der Ereignisse als vollständig rehabilitiert.45

3. Südtirol – Die Option

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 wurde der Süden Tirols im Friedensvertrag von Saint Germain (1919) Italien zugesprochen. Im selben Jahr versprach König Viktor Emanuel III., den Status der Südtiroler als eigenständiges Land zu respektieren und die an Italien angegliederte deutschsprachige Minderheit wohlwollend zu behandeln.46

43 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 319. 44 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 316- 319. 45 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 320- 321. 46 Vgl. Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol. Überblick über Recht, Geschichte und Politik, Wien 1996, S. 74. 21 „Die neuen, mit Italien vereinigten Gebiete schaffen neue Probleme, die zu lösen sind“, erklärt der Körnig feierlich vor der neuen Abgeordnetenkammer am 1. Dezember 1919. „Unsere Tradition der Freiheit wird uns den Weg zur Lösung weisen, die dem höchsten Respekt für die Autonomien und die lokalen Traditionen entsprechen wird.“47

Trotz des augenscheinlichen guten Willens zu einem friedlichen Zusammenleben sollten sich die Versprechungen des Königs nach der Machtergreifung der Faschisten jedoch in Luft auflösen. Eine Person, die im Zuge dieser Geschehnisse unweigerlich genannt werden muss, ist der nationalistische Politiker Ettore Tolomei (1865-1952). Bereits seit 1890 propagierte Tolomei eine Ausdehnung der natürlichen Grenzen Italiens, und nach der Machtergreifung der Faschisten im Jahr 1922 verstärkte er seine Bemühungen in diese Richtung. 1923 veröffentliche er schließlich seine Maßnahmen zu einer vollständigen Italianisierung Südtirols. Hier ein Auszug davon:48

- Ernennung italienischer Gemeindesekretäre; - Einführung der ausschließlich italienischen Amtssprache; - Entlassung der deutschen Beamten und Lehrer bzw. deren Versetzung nach Altitalien und deren Ersetzung durch Italiener; - Verstärkung der Carabinieritruppe unter Ausschluss deutscher Mannschaft; - Errichtung italienischer Kindergärten und Schulen; - italienische Gerichtssprache; - Steigerung des Truppenbestandes in Südtirol; - Beseitigung deutscher Banken.49

Besonderes Augenmerk verwendete Tolomei auf eine „nomenclatura locale italiana“50, also die Übersetzung beziehungsweise Umwandlung der deutschen Ortsnamen in Südtirol in italienische. Die schwerwiegendsten Auswirkungen hatten Tolomeis Maßnahmen jedoch im Schulwesen. 1923 erließ Mussolini die sogenannte 'Lex Gentile', welches die Abhaltung des Unterrichts in den Volksschulen in italienischer Sprache

47 Renato Ballardini, Bericht des Präsidenten der ständigen Verfassungskommission an die italienische Abgeordnetenkammer (anlässlich der Vorlage des neuen Autonomiestatutes, aus Atti Parlamentari (Protokolle), Abgeordnetenkammer Nr. 2216-277 A, Rom 1970 (deutsche Übersetzung: Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck), S. 2, zit. nach Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol. Überblick über Recht, Geschichte und Politik, Wien 1996, S. 74. 48Vgl. Rudolf Lill (Hg.): Die Option der Südtiroler 1939. Beiträge eines Neustifter Symposions, Bozen 1991, S. 29-32. 49Tolomei, Archivio XXIII/1928, S. 10-49, zit. nach Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol. Überblick über Recht, Geschichte und Politik, Wien 1996, S. 69. 50 Rudolf Lill, Die Option der Südtiroler 1939,S. 33.

22 durch italienische Lehrer vorschrieb. Bei Josef Siegen findet man einige Zeitzeugenberichte:51

„In der Schule haben wir nur Italienisch gehabt. […] ich war bei den ersten, die nicht mehr die deutsche Schule besuchten.“ (Gottfried, 1922, 4.) „Da wundern wir uns heute noch, wie das vor sich ging. Die Lehrerin verstand kein Wort Deutsch und wir kein Wort Italienisch. Wie hat sie das gemacht!“ (Anna, 1924, 4) „[Deutsch] Rechtschreiben können wir nicht. Das haben wir nie gelernt. [Lesen] Können wir. Aber die Umlaute kennen wir nicht und die Zwielaute nicht.“ (Gottfried, 1922, 5) „Wir können nicht Deutsch schreiben. Da kann es vorkommen, dass in einem Wort mehr Fehler sind als Buchstaben. Wir haben oft geschrieben, wie wir gesprochen haben, im Dialekt. Das war schwierig zum Lesen.“ (Anna, 1924,5)52

Da diese Probleme offenkundig waren und die Südtiroler den Verlust ihrer Sprache befürchteten, wurde aktiv, aber natürlich im Geheimen, nach Lehrern gesucht, die bereit dazu waren, die Kinder in der deutschen Sprache zu unterrichten. Im Zuge dieses Aufrufs entstanden die sogenannten 'Katakombenschulen'. Diese 'Schulen' – es handelte sich meistens um Dachböden oder andere abgeschiedenen Räumen auf Bauernhöfen – waren illegal, und wenn die Lehrpersonen von der faschistischen Polizei entdeckt wurden, hatten sie mit strengen Strafen zu rechnen. Eine Zeitzeugin schildert:53

„Dann haben wir einen Winter Katakombenschule gehabt. Ja. Das sagt man doch so. Am Sonntag Nachmittag so verstohlen auf einem Bauernhof. Ein paar Mal bei der Kapelle draussen, beim Wegmann, ein paar Mal bei uns daheim, dann beim Wassermann unten, und vielleicht, ich weiß es nicht mehr ganz genau. Zwei Mädchen aus Bozen [haben den Unterricht erteilt]. Die sind zu Fuss von Sarnthein heraufgekommen. […] Die sind am Morgen heraufgekommen. Um ein Uhr war am Sonntag der Rosenkranz, da mussten wir in die Kirche gehen, und nach dem Rosenkranz sind wir dann auf den Bauernhof in die Schule gegangen. Bis um viere vielleicht, und dann sind die Mädchen wieder hinuntergegangen. […] Da mussten wir die Deutsche Schrift lernen [als Hausaufgabe].Vorher hatten wir ja nur Italienisch […] So deutsche Zeitungen hat sie gehabt. Und Rechenaufgaben hat sie auch gegeben“54

51 Vgl. Josef Siegen, Re-konstruierte Vergangenheit. Das Lötschental und das Durnholzertal. Wirtschaftliche und sozio-kulturelle Entwicklung von zwei abgeschlossenen Alpentälern zwischen 1920 und 2000 aus der Sicht der Betroffenen (Freiburger sozialanthropologische Studien Bd. 3) S. 285. 52 Josef Siegen, Ebd.. 53 Vgl. Josef Siegen, Re-konstruierte Vergangenheit., S. 286. 54 Josef Siegen, Re-konstruierte Vergangenheit, S. 286-287.

23 Benito Mussolini wollte Südtirol schnellstmöglich italianisieren, was bedeutete, dass die Minderheit der Südtiroler jegliches Anrecht auf ihre Kultur und den Gebrauch ihrer Sprache verloren. Bereits damals gab es in der italienischen Politik heftige Reaktionen gegen dieses Vorgehen, da man schon seit 1919 der erzwungenen Annexion der Südtiroler und dem damit verbundenen Risiko zu Unfrieden und Revolution skeptisch gegenüberstand.55 Der ehemalige italienische Ministerpräsident und heutige Richter des italienischen Verfassungsgerichtshofes Giuliano Amato verurteilt diese Maßnahmen auf das Heftigste:

È cresciuta peggio perché, dopo una fase iniziale di intelligente tolleranza, subentró il fascismo che volle imporre l'italianitá all'insegna dell'intollerante predominio della cultura delle insegne e della lingua del gruppo etnico italiano. Fu un tragico errore (…)56

Trotz der harten Italianisierungspolitik machte Mussolini ab und zu kleinere Zugeständnisse, einerseits um Österreich friedlich gestimmt zu halten und andererseits, um angesehene Südtiroler Persönlichkeiten für seine Zwecke zu manipulieren. Die Versprechungen und Zugeständnisse des Duce wurden jedoch allesamt nur halb oder gar nicht in die Tat umgesetzt, und auch seine Anstrengungen im Kampf gegen den auch in Südtirol präsenten Nationalsozialismus sind nicht der Rede wert. Dies resultierte in der Südtiroler Bevölkerung in – zum Teil heute noch vorhandener – starker Abneigung gegen Italien, heimlicher Verteidigung der eigenen Kultur sowie der Bildung von aggressiven oppositionellen Bewegungen wie beispielsweise dem VKS (Völkischer Kampfring Südtirol). 1933 beorderte Mussolini den Präfekten Giuseppe Mastromattei nach Bozen mit dem Auftrag, die sich dem Faschismus entgegenstellenden aufkommenden nationalsozialistischen Tendenzen auszumerzen, die Ernüchterung folgte jedoch unmittelbar darauf: Mastromattei berichtete von einer Spaltung der Bevölkerung in zwei Lager:

1. die „Austriacanti“, d. h. Die von Klerus, Adel und Besitzern geführte ältere Generation, welche auf die Rückkehr zu Österreich hoffte; 2. die sowohl von Italien wie von den einheimischen Honoratioren enttäuschte Jugend. Sie wollte eine

55 Vgl. Oskar Peterlini (Tagungsleiter), Akte der Tagung 50 Jahre Pariser Vertrag, 17. September 1996, Bozen, S. 5. 56 Giuliano Amato, Diario in pubblico „L'espresso“, Rom 1988, S. 33, zit. nach Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol. Überblick über Recht, Geschichte und Politik, Wien 1996, S. 75.

24 dynamische Entwicklung und war 1933 in kürzester Zeit dem Nationalsozialismus verfallen, welcher bereits in der Provinz über eine dichte Organisation verfügte.57

Mastromattei versuchte, der faschismusfeindlichen Stimmung durch radikale Maßnahmen (gezielte Einschüchterung und Gewalt gegen die Führer der NS- Bewegungen, Zureise von Italienern nach Südtirol) entgegen zu wirken. Aus heutiger Perspektive erscheinen diese Maßnahmen eher kontraproduktiv, sie sollten jedoch für Alfred Quellmalz' Forschungsarbeit relevant werden. Nach wie vor glaubten viele Südtiroler an den Führer, der sie in sein Reich holen würde, sobald die Zeit dafür reif war. Diese Hoffnung war nicht gänzlich unbegründet, denn im frühen Parteiprogramm der NSDAP findet sich folgende Aussage: „Wir verzichten auf keinen Deutschen im Sudetenland, in Südtirol, in Polen, in der Völkerbundskolonie Österreich und in den Nachfolgestaaten des alten Österreich.“58

Bereits seit 1933 spielte Südtirol in den Plänen Adolf Hitlers eine Rolle, jedoch ging es ihm nicht um das Land selbst, sondern nur um dessen Rolle in Verbindung zu potentiellen höher stehenden Zielen. Um gegen den Weltkriegsgegner Frankreich bestehen zu können, begann er, aktiv an einem Bündnis zwischen Deutschland und Italien zu arbeiten. Um sich das Wohlwollen Mussolinis zu sichern, erklärte sich Hitler zum Verzicht auf Südtirol beziehungsweise dessen Re-Annexion an Österreich bereit. Trotz der Hoffnung vieler Südtiroler auf die Rückkehr zu Österreich wird bereits 1922, lange vor seiner Machterlangung, deutlich, dass dies für Hitler nie in Frage kam: „Wir müssen Italien offen und aufrichtig erklären, daß für uns die Südtiroler Frage niemals existieren wird...“59. Auf die sogenannte 'Südtiroler Frage' ging Hitler in Mein Kampf explizit ein:

Der Grund, warum man in den letzten Jahren von ganz bestimmten Kreisen aus die Frage „Südtirol“ zum Angelpunkt des deutsch-italienischen Verständnisses machte, liegt ja klar auf der Hand. Juden und habsburgische Legitimisten haben das größte Interesse daran, eine Bündnispolitik Deutschlands zu verhindern, die eines Tages zur Wiederauferstehung eines freien deutschen Vaterlandes führen könnte. Nicht aus Liebe zu Südtirol macht man heute dieses Getue – denn dem wird dadurch nicht geholfen,

57 Rudolf Lill (Hg.): Die Option der Südtiroler 1939. Beiträge eines Neustifter Symposions, Bozen 1991, S. 11. 58 Rudolf Lill (Hg.): Die Option der Südtiroler 1939, S. 12. 59 Rudolf Lill (Hg.): Die Option der Südtiroler 1939, S. 13.

25 sondern nur geschadet – sondern aus Angst vor einer etwa möglichen deutsch-italienischen Verständigung. [...] Da allerdings stehe ich nicht an zu erklären, daß ich nun, da die Würfel gefallen sind, eine Wiedergewinnung Südtirols durch Krieg nicht nur für unmöglich halte, sondern auch persönlich […] ablehnen würde […] Was uns heute leiten muß, ist immer wieder die grundlegende Einsicht, daß die Wiedergewinnung verlorener Gebiete eines Reiches in erster Linie die Frage der Wiedergewinnung der politischen Unabhängigkeit und Macht des Mutterlandes ist. Diese durch eine kluge Bündnispolitik zu ermöglichen und zu sichern, ist die erste Aufgabe einer kraftvollen Leitung unseres Staatswesens nach außen.60

An dieser Haltung hielt Hitler trotz der Empörung, die er damit bei seiner eigenen Partei hervorrief, stets fest. Zudem befürwortete er die Assimilierung durch die Faschisten, wenngleich er Mussolini zu einer behutsameren Vorgehensweise und geringeren Radikalität riet. Mussolini, der Hitler zu Beginn eher misstrauisch gegenüberstand, wurde erst erst 1933, also nach dem Sieg der NSDAP, für Hitlers Annäherung etwas zugänglicher. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 und Hitlers Bekräftigung der Brennergrenze als unantastbar war der Duce dann am 22. Mai 1939 bereit, den von Hitler so lange und umsichtig vorbereiteten Stahlpakt, ein Vertrag zur Versicherung gegenseitiger militärischer Unterstützung, zu unterzeichnen. Gleichzeitig wurde vereinbart, die Südtiroler in einer 'Option' darüber entscheiden zu lassen, ob sie in das Deutsche Reich abwandern oder im italienischen Südtirol bleiben wollten. Die Möglichkeit zur Entscheidung bestand bis zum 31. Dezember 1939, und bis dahin stimmten schließlich ganze 86 Prozent für das Auswandern nach Deutschland. Teils wurde diese Entscheidung aus Angst vor der vollständigen Italianisierung getroffen, teils jedoch auch aus Hoffnung auf ein besseres Leben im Deutschen Reich, die von Hitler geschürt wurde.61

Hitler hatte somit zwar auf Südtirol verzichtet, jedoch nicht auf die Südtiroler. Seine Umsiedlungspläne betrafen jedoch auch Menschen in Lettland, Ungarn, Rumänien und Kroatien, die nach der Ideologie der Nationalsozialisten zu den 'Volksdeutschen' gehörten. Günther Pallaver und Leopold Steurer schätzen, dass am Ende ungefähr zwischen 770.000 und 930.00 Menschen Teil dieser Umsiedlungen waren. Dass die männlichen 'Volksdeutschen', die Hitler in sein Reich zurückholte, zugleich als Soldaten

60 Adolf Hitler, Mein Kampf, 851.-855. Auflage, München 1943, S. 709-711. 61 Vgl. Rudolf Lill (Hg.): Die Option der Südtiroler 1939. Beiträge eines Neustifter Symposions, Bozen 1991, S. 20-22.

26 in seine Kriege gezwungen wurden, war ein willkommenes Nebenprodukt dieses kulturellen und menschlichen Chaos. Im Falle Südtirols sprechen Pallaver und Steurer von einem Dreistufen-Umsiedlungsplan, der sich wie folgt aufbaut:62

Etappe 1: Umsiedlung der in Südtirol geborenen und lebenden reichsdeutschen Staatsbürger (vor allem der Exösterreicher). Etappe 2: Umsiedlung der nicht bodengebundene 'Volksdeutschen' (also vor allem der Arbeiter, Angestellten, Freiberufler, Kaufleute, etc.) Etappe 3: Umsiedlung der restlichen bodengebundenen 'volksdeutschen' Bevölkerung (vor allem der Bauern).63

Der Völkische Kampfring Südtirol reagierte mit Empörung auf die Pläne Hitlers. Auf einem im Juli 1939 veröffentlichen Flugblatt taten sie diese Empörung folgendermaßen kund:

Deutsche Männer und Frauen, Kämpfer der Bewegung! Für Südtirol hat die Schicksalsstunde geschlagen. Als wir vor 6 Jahren den harten Kampf für Volk und Heimat aufnahmen, waren wir überzeugt, daß dieser Kampf durch unseren Einsatz und mit Hilfe des Reiches zum Erfolg führen werde. Doch es kam anders. Eine Welt von Feinden stand gegen Deutschland auf, um es zu vernichten. Dies benützte Italien, um zum tödlichen Schlag gegen Südtirol auszuholen. Kameraden! Angesichts der Not seines von Feinden umringten Volkes hat sich der Führer entschlossen, das Wohl Südtirols dem Wohle Deutschlands zu opfern. Es wurde die Aussiedlung der Südtiroler verfügt. Das ist der schwerste Schlag, der uns Südtiroler treffen konnte. Am schwersten trifft er uns Kämpfer der Bewegung, die wir jahrelang für unsere Heimat gekämpft haben, geopfert und gelebt haben. Wir haben in diesem Kampf unsere Pflicht getan. Niemand konnte diese Entscheidung voraussehen. Nun Kameraden, müssen wir als harte Soldaten dem Volke die geschworene Treue halten. Ihm gehört auch weiterhin unser ganzer Einsatz. Unser letztes Gut ist unsere Ehre. Diese werden wir zu bewahren wissen. Die erforderlichen Weisungen werden in den nächsten Tagen erlassen. Die Landesführung64

Wie bereits vorher erwähnt, musste die Wahl bis zum 31. Dezember 1939 getroffen werden, nur für Geistliche, Kranke, Gefängnisinsassen und Pflegekinder wurde die Frist

62 Vgl. Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Bozen 2011, S. 17-18. 63, Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 18. 64 Gamper-Archiv, Option 1939, Eingaben, zit. nach Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus, Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage. Teil 2, Dokumente, Innsbruck 1990, S. 595.

27 um ein halbes Jahr verlängert. Optionsberechtigt war im Prinzip jeder, der sich zu einem Volksdeutschen erklärte und vom Deutschen Reich als solcher anerkannt wurde. Wichtige Merkmale wie Sprache und Abstammung mussten jedoch vorhanden sein, daher gab es Unklarheiten, wie etwa mit zugewanderten ItalienerInnen im Südtiroler Unterland oder den Ladinern zu verfahren wäre. Es gab von politischer Seite unterschiedliche Meinungen, wer denn genau umgesiedelt werden sollte: Während Heinrich Himmler dafür eintrat, die ganze Südtiroler Bevölkerung nach Deutschland und Österreich umzusiedeln, plädierte Mastromattei dafür, nur die Reichsdeutschen abwandern zu lassen. Er wollte verhindern, dass sich die wirtschaftliche Situation des Landes durch die Umsiedlung zu vieler Bauern verschlechterte.65 Von der 'Option' betroffen waren neben der Provinz Bozen auch Ampezzo-Buchenstein, das Kanaltal (Provinz Belluno), das Fassatal, das Fersental, Lusern und auch die deutschen Sprachinseln in der Provinz Udine.66

Die Umsiedlungen, die zunächst sehr enthusiastisch begannen, gerieten zum einen aufgrund des Krieges recht bald ins Stocken, zum anderen auch durch die Tatsache, dass das von den Nationalsozialisten versprochene Siedlungsgebiet für die Optanten schlichtweg nicht realisierbar war. Zu Beginn jedoch schien die Umsiedlung die Rettung vor dem Faschismus zu sein. „Der größte Teil blieb in Tirol (51,5 Prozent), gefolgt von Vorarlberg (7,6 Prozent), Steiermark und Kärnten mit Osttirol (7,5 Prozent) […] 14,5 Prozent emigrierten in die Kerngebiete des Deutschen Reichs“67. Zu diesem Zeitpunkt vertraute Südtirol noch vollkommen den Versprechungen Himmlers und Hitlers. Da die nationalsozialistische Gesinnung in Südtirol bereits stark verbreitet – man könnte es beinahe verwurzelt nennen – war, hatte der VKS die Möglichkeit, die Option zur 'Stimmungsmache' zu nutzen: „Die Option wurde gezielt in eine Entscheidung zwischen 'deutsch' und 'welsch' umgedeutet. Wer sich fürs Bleiben in der Heimat engagierte, wurde mit dem Makel des Verräters am 'deutschen Volkstum' belegt.“68 Das Optionsergebnis, in dem ganze 90 Prozent der Südtiroler für eine Abwanderung nach Deutschland stimmten, bot dem VKS ebenfalls eine willkommene Möglichkeit zur

65 Vgl. Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus. Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage, Teil 1, Darstellung, 2. verbesserte Auflage, Innsbruck 1994, S. 160. 66 Vgl. Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 19-20. 67 Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 21. 68 Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 23.

28 Verbreitung des Gerüchts, dass Hitler bei einem solchen Maße an Zustimmung gar nicht anders könne, als nicht nur die Bevölkerung, sondern das gesamte Land in sein Deutsches Reich zu holen. Gegen die massive Propaganda des VKS stellte sich einzig und allein der niedere Klerus, der dem Nationalsozialismus allgemein ablehnend gegenübertrat. Als der Bischof Johannes Geisler (1882-1952) sich jedoch für eine Umsiedlung aussprach, verlor der Klerus sämtliche Glaubwürdigkeit. Ferner wurde die Verwirrung und Unsicherheit derer, die in der Heimat bleiben wollten, durch die unklare Haltung der italienischen Behörden sowie das – später als 'sizilianische Legende' bekannt gewordenen – Gerücht, dass die 'Dableiber' in ein Gebiet in Süditalien umgesiedelt würden, geschürt.69

1943 schließlich waren die Umsiedlungen so sehr ins Stocken geraten, dass man die gesamte Aktion im Grunde als gescheitert betrachten konnte. Die Katastrophe von Stalingrad hatte viele zum Nachdenken bewogen und dafür gesorgt, dass sich keiner mehr freiwillig für eine Ausreise in das Deutsche Reich entschied. Als dann im Juli 1943 nach dem Sturz Mussolinis deutsche Soldaten über den Brenner vorrückten, kehrten mit ihnen auch viele Optanten in ihre Heimat zurück, überzeugt, dass die Italiener nun vertrieben und das Land wieder ihnen gehören würde.70

Pallaver und Steurer zufolge hatte die Option neben den politischen und wirtschaftlichen Folgen auch schwerwiegende psychologische Konsequenzen. Die Aufspaltung zwischen Optanten und Dableibern zerriss unzählige Familien, führte zu einem Konflikt mit der Kirche und löste Anfeindungen, Diffamierungen und Denunziationen aus. Nach Kriegsende wurde den umgesiedelten Optanten die Möglichkeit geboten, nach Südtirol zurückzukehren; ein Angebot, das die meisten auch annahmen. Da sie jedoch völlig mittellos in die Heimat zurückkehrten und dort auch zumeist kein Zuhause mehr hatten, wurde in einigen Stadtteilen Bozens wie auch in Meran, Bruneck, Brixen und Sterzing Siedlungen errichtet, welche den Rückoptanten zur Verfügung gestellt wurden. Waren die Optanten bei der Umsiedlung in das Deutsche Reich als Fremde und zusätzliche Esser, die in neuen Wohnungen einquartiert wurden, misstrauisch und missbilligend beäugt worden, waren sie auch nach der Rückkehr nach

69 Vgl. Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 21-24. 70 Vgl. Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus, S. 166-167.

29 Südtirol isoliert und wurden verächtlich und diskriminierend behandelt. Um die Südtiroler von einer Rückkehr in die Heimat zu überzeugen, drohte Österreich, die Optanten zu Staatenlosen zu machen. Man schätzt, dass etwa 30.000 bis 40.000 Optanten trotz dieser Drohung in Österreich verblieben. Erst vor einigen Jahren kam ans Licht, dass die Rücksiedlungen der Südtiroler einigen NS-Verbrechern zur Flucht verhalf: Nach 1945 gesuchte Verbrecher wie etwa Josef Mengele, Adolf Eichmann und Erich Priebke gaben sich als staatenlose Südtiroler aus, besorgten sich durch Südtiroler Fluchthelfer Pässe des Internationalen Roten Kreuzes und konnten auf diese Weise nach Südamerika entkommen.71

3. 1 Das Ahnenerbe

Die Studiengesellschaft für Geistesurgeschichtliches 'Deutsches Ahnenerbe' wurde am 1. Juli 1935 von Heinrich Himmler ins Leben gerufen. Ebenfalls an der Gründung beteiligt waren der Volkskundler – er promoviert bei John Meier – und Gelehrte Herman Wirth, der Reichsbauernführer Richard Walther Darré sowie der ehemalige Privatsekretät Wirths, Wolfram Sievers. Der hauptsächliche Initiator dieser Gesellschaft war Herman Wirth, den Himmler 1934 kennen gelernt hatte. Wirths Versuche, seinen germanistischen wissenschaftlichen Arbeiten extremen völkischen Charakter zu verleihen, führten dazu, dass er Außenseiter abgestempelt und außerhalb von nationalsozialistischen – amateurwissenschaftlichen – Kreisen keine Anerkennung fand. Himmler erkannte in dem verachteten Laienwissenschaftler einen Unterstützer und entschloss sich deshalb, ihn zu fördern. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass sich Himmler selbst sehr für völkische Geschichtsauffassung und rassenbiologische Forschungen interessierte, wenn auch stets auf laienhaftem Niveau. Darré fügte sich mit seinen radikalen rassenbiologischen Thesen, welche trotz gegenteiliger Behauptungen von führenden Wissenschaftlern Gehör fanden, nahtlos in diese Gruppe von Amateurwissenschaftlern ein. Bezieht man all diese Faktoren mit ein – unter anderem das große Interesse dieser drei führenden Köpfe an Horoskopen, schwarzer Magie sowie an der Schaffung einer 'germanischen Religion' – steht das Ahnenerbe als vermeintlich

71 Vgl. Günther Pallaver und Leopold Steurer (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch!, S. 27-33.

30 wissenschaftliche Organisation in einem sehr unvorteilhaften Licht. Es stellt sich die Frage, warum eine derartige Gesellschaft nicht nur sporadische Unterstützung erhielt, sondern viel mehr zahlreiche Untergruppierungen mit ebenso zahlreichen Mitgliedern aufwies. Sämtliche Versuche Himmlers, namhafte 'echte' Wissenschaftler in seine Untersuchungen zu involvieren – als Beispiel sei hier etwa der Atomphysiker Werner Heisenberg genannt – scheiterten jedoch daran, dass das Ahnenerbe als Forschungseinrichtung anfangs nicht ernst genommen wurde. Michael H. Kater beschreibt äußerst treffend, weshalb genau das Ahnenerbe als 'zwielichtig' angesehen wurde:72

Wollte [Himmler] eine von ihm vertretene These bewiesen haben, so verlangte er von dem forschenden Wissenschaftler, daß er mit unermüdlichem Fleiß so lange arbeitete, bis er die entsprechenden Fakten gefunden habe. Er betrachtete den gesamten Kosmos gleichsam als einen großen, geschlossenen Raum, ausgefüllt mit „Hunderttausenden von Mosaiksteinchen, die das wahre Bild der Entstehung des Weltsystems und ihrer Geschichte darstellen“73; der Forscher müsse nur die richtigen Steinchen, zur These passend, heraussuchen, und das erforderte lediglich Zeit. Falls es der Wissenschaftler dennoch wagen sollte, in die herkömmliche Forschungsmethode zu verfallen und seine These anhand der tatsächlich vorhandenen Beweismittel änderte, betrachtete Himmler die Forschung als umsonst. Für diese Art von Wissenschaftler verspürte er nur ein verachtendes Mitleid.74

Trotz dieser unkonventionellen Auffassung von wissenschaftlichem Arbeiten war es Himmlers Wunsch, auch von der 'Schulwissenschaft' anerkannt zu werden und mit führenden Persönlichkeiten verschiedener Disziplinen zusammenzuarbeiten. Herman Wirth war für Himmler folglich deshalb interessant, da er einerseits ein anerkannter Wissenschaftler war, sich andererseits aber auch auf laienhafter Ebene mit Themen abseits der 'Schulwissenschaft' befasste. Es gab jedoch durchaus namhafte Wissenschaftler, die für Himmler zu arbeiten bereit waren, darunter Alexander Langsdorff und Hans Schleif, die bei einigen archäologischen Grabungen beteiligt waren. Sie hatten sich Himmler vor allem deshalb zur Verfügung gestellt, um sich gegen seinen Rivalen, den Reichsleiter zu behaupten. Genau wie Himmler hatte Rosenberg es sich zum Ziel gesetzt, eine neue nationalsozialistisch-germanische

72 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 1997, S. 11-18. 73 Vermerk Sievers betr. Unterredung (v. 14. u. 15.5.43) in Hannover, 21.6.43, T – 580, 190/386, zit. nach Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 19. 74 Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 19.

31 Religion zu begründen, die er durch die bedingungslose Gleichschaltung des Reiches mit seinem Amt durchsetzen wollte.75

Für die Gründung der Studiengesellschaft war vor allem Herman Wirth ausschlaggebend, und er führte auch den Terminus der 'Geistesurgeschichte' in die Bezeichnung der Organisationein, was darauf hinweist, wie bedeutend seine Thesen für das Ahnenerbe waren. Wirth war Präsident des Vereins, während Himmler sich zum Kurator ernannte. Darrés Aufgabenbereich wurde nie näher definiert. Zum Generalsekretär des Ahnenerbes ernannte Himmler schließlich Wolfram Sievers, einen Anwärter der SS und Wirths ehemaligen Sekretär. Mit dieser Ernennung wollte Himmler höchstwahrscheinlich sicherstellen, dass die SS im Ahnenerbe hinreichend vertreten war. Bei Sievers vermischte sich eine starke Affinität zur Religion mit einer durchgehenden „Voreingenommenheit für alles Völkische“76. Obwohl Sievers zu Beginn seiner Karriere noch sehr dem vom Nationalsozialismus abgelehnten christlichen Glauben anhing, entwickelte er nach und nach esoterische Tendenzen, die unter anderem denen Himmlers ähnlich waren.77

Da das Ahnenerbe auf keinerlei Förderungen zurückgreifen konnte, finanzierte es sich vor allem aus den Beiträgen der einzelnen Mitglieder. Darré stand als Reichsbauernführer ein größeres Budget zur Verfügung als der erst 1938 begründeten SS, deshalb weist das Ahnenerbe anfangs eine große Nähe zum Reichsnährstand, der Organisation zur Verwaltung von Agrarwirtschaft und Agrarpolitik, auf. 1936 schließlich übernahm die Deutsche Forschungsgemeinschaft den größten Teil der Auslagen des Ahnenerbes, was zur Folge hatte, dass Himmler sich vom Reichsnährstand lösen und unabhängiger arbeiten konnte. In der ersten Zeit nach der Gründung widmete sich das Ahnenerbe – teils gezwungenermaßen – folgenden Bereichen:78

Wenn es heute so aussieht, als habe das „Ahnenerbe“ anfangs hauptsächlich den kulturpolitischen Zielen des Reichsnährstandes gedient, so muß man sich vor Augen halten, daß diese damals in etwa noch den

75 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 23. 76 Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 28. 77 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 27-35. 78 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 37.

32 Vorstellungen der selbst entsprachen. Geisteswissenschaftliche Aufträge an „Ahnenerbe“- Mitarbeiter, die dem ideologischen Gedankengut des Reichsbauernführers und seiner engsten Berater entstammten, kollidierten also noch nicht mit der Weltanschauung der SS, wie es später der Fall hätte sein können. Die agrar-deterministische Auffassung der germanisch-deutschen Geschichte, verdichtet im „Blut-und-Boden“-Mythos Darrés, war im „Ahnenerbe“ maßgebend, von Himmler durchaus gelitten und auch für die Schutzstaffel akzeptiert. […] Ansonsten zeigten „Ahnenerbe“-Wissenschaftler Lichtbildvorträge auf Kreisbauerntagen, bereiteten Ausstellungen im Rahmen der „Grünen Woche“ des Reichsnähstandes vor und hielten Vorträge wie „Brauchtum im Bauernstand“ bei Veranstaltungen anderer Gliederungen der Partei, etwa bei der Schulungsleitertagung der Reichsjugendführung im September 1936.79

Meinungsverschiedenheiten und sich stetig zuspitzende ideologische Differenzen zwischen Himmler und Darré sorgten jedoch bereits nach nicht allzu langer Zeit für eine Entfernung des Ahnenerbes vom Reichsnährdienst. Der Hauptstreitpunkt war die Sichtweise Darrés, dass das nationalsozialistische Volks auf immer ein Volks sesshafter Bauern bleiben sollte, während Himmler das Ideal des wehrhaften Bauern, der sein Land nach Osten erweitert, verfolgte; insbesondere die Idee der Osterweiterung teilte Darré nicht. Auch Sievers fühlte sich durch die unterschiedlichen Ansichten Darrés in seinen Tätigkeiten eingeschränkt. Anders als Himmler schien Darré einem Krieg stets eher abgeneigt, doch Himmler zögerte lange, etwas gegen Darrés unwillkommene Ansichten zu unternehmen, da das Ahnenerbe auf die Förderungen des Reichsnährdienstes angewiesen war. Die unwiderrufliche Trennung zwischen Darré und Himmler und damit auch zwischen Ahnenerbe und Reichsnährdienst erfolgt schließlich erst im Februar 1938.80

Vorerst versuchte das Ahnenerbe, das sich in einzelne Referate mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen gliederte, sich auf (pseudo)wissenschaftlicher Basis zu etablieren. Unter der Leitung und Aufsicht von Herman Wirth legte man Sammlungen altgermanischer Gegenstände an, fertigte Repliken und produzierte Filme über die germanische Urgeschichte, die zum Teil mehrere Stunden dauerten. Mit den Geldern des Reichsnährdienstes finanzierte man Wirth auch Expeditionen nach Skandinavien, auf denen er seine Forschungen vorantreiben konnte. Himmler, der sich zwar über Wirths sehr zweifelhaften wissenschaftlichen Ruf im Klaren war, hoffte, dass die

79 Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 37. 80 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 38-41.

33 künftigen, innerhalb des Ahnenerbes entstandenen Publikationen Wirths einen seriöseren Anstrich haben würden; diese Hoffnung zerstörte sich jedoch spätestens mit der Erscheinung des Werks Die Heilige Urschrift der Menschheit, in dem sich sämtliche Thesen auf Behauptungen stützten und Wirth sich weigerte, ein Quellenverzeichnis anzulegen. Mehrere Vorkommnisse dieser Art brachten Himmler schließlich dazu, sein zu Beginn gegebenes Versprechen – nämlich jenes, Wirths Forschungen zu unterstützen und seine wissenschaftliche Reputation wiederherzustellen – aufzugeben. Eine Reihe von zermürbenden inszenierten Konflikten sollten den 'Problemfall Wirth' lösen, so Himmlers Plan. Er verbot Wirth, öffentlich mit seinen Forschungen und Filmvorführungen aufzutreten und warf ihm vor, gegen die Satzungen des Ahnenerbes zu verstoßen sowie die Gelder zu verschleudern. Grund für diese Haltung war nicht nur die Tatsache, dass Wirth die Ziele des Ahnenerbes ins Lächerliche zog, sondern vor allem auch, dass Himmler die Institution der SS als Kulturreferat angliedern wollte.81

Wirths Nachfolger und bedeutender Mitwirker als Aufbau des Ahnenerbes als Kulturreferat wurde der Indogermanist und Professor für Arische Kultur- und Sprachwissenschaft Walther Wüst. Er teilte Himmlers politische und kulturelle Ansichten und auch seine wissenschaftlichen Auffassungen. Kater zufolge sollte „Die Arbeit des 'Ahnenerbes' der Schutzstaffel selbst zugute kommen […], und zwar in zwei Bereichen: dem der weltanschaulichen Schulung mit dem Endziel einer neuen 'säkularisierten Religiösität' […] und dem der praktischen Verwertung 'wissenschaftlicher' Erkenntnisse bei der weiteren physischen Ausgestaltung der SS, ihrer Lebens- und Ausdrucksformen.82

3.2 Die Südtiroler Kulturkommission

Die Einrichtung einer Südtiroler Kulturkommission erfolgte auf Bestreben Himmlers Ende des Jahres 1939. Sie hatte ihren Hauptsitz im Hotel Bristol in Bozen, und als ihr Leiter fungierte Wolfram Sievers.83 Hauptaufgabe der Kulturkommission war es, als

81 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 42-43. 82 Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945, S. 53. 83 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 85.

34 'deutsch' deklarierte Kulturgüter, die sich in Südtirol befanden, zu katalogisieren und, sofern bewegliche Güter, nach Deutschland zu schaffen. Handelte es sich um unbewegliche oder schlichtweg zu umfangreiche Güter wie etwa große Gemälde, Skulpturen oder Bauwerke, sollten diese zeichnerisch erfasst und anschließend in Deutschland vor Ort kopiert werden. Dieses Unternehmen diente nicht nur der 'Rückführung' deutscher Kunst in das Deutsche Reich, sondern sollte auch den Optanten dabei helfen, sich schneller in der neuen Umgebung einzuleben und die Pflege ihrer Kultur nicht abreißen zu lassen. Der Hintergedanke war jedoch vermutlich pragmatischer Natur: Die als 'deutsch' deklarierten Güter waren meist wertvolle Kunstgegenstände, die die Nationalsozialisten nicht den Italienern überlassen wollten.

Auch spiegelte man wissenschaftliches Interesse an den Zeugnissen der Südtiroler Kultur vor, welche es durch das Ahnenerbe zu erforschen und zu erhalten galt.84 Von italienischer Seite her begegnete man dieser Tätigkeit jedoch mit wenig Zustimmung: für die Faschisten war sämtliche in Südtirol befindliche beziehungsweise geschaffene Kunst grundsätzlich als italienisch anzusehen. Man legte den Mitgliedern der Kulturkommission so oft als möglich Steine in den Weg, um die 'Rückführung' von Kunstgegenständen zu erschweren oder ganz unmöglich zu machen; die Interventionen reichten von rechtlichen Mitteln bis hin zu Schikanen, denen Sievers' Mitarbeiter ausgesetzt waren. Die Differenzen diesbezüglich lösten sich bis zum Ende der Optionsbestrebungen nicht.85

Sämtliche Mitglieder der Südtiroler Kulturkommission waren im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie darauf geschult, gegenständliche Beweise für eine germanische Kontinuität in der Südtiroler Kultur zu erkennen. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland (AdO), insbesondere mit dem Leiter des dortigen Kulturdienstes Norbert Mumelter, wollte Sievers als deutsch deklariertes Südtiroler Kulturgut 'retten'. Die AdO hatte bereits Arbeitsgruppen gebildet, die dasselbe Ziel wie die Südtiroler Kulturkommission verfolgten:86

84 Vgl. Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus, S. 162. 85 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42),S. 85-86. 86 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42),S. 86-87.

35 1. Schrifttum, 2. Siedlungskultur und bildende Kunst mit den Referaten Siedlungskultur, Aufbauplanung, Bildende Kunst und Volkskunst und Kunstaufklärung, 3. Sammlung und Museen, 4. Archive, 5. Vorgeschichte, 6. Sprach- und Namensforschung, 7. Volksforschung mit den Untereferaten Brauchtum und Tracht, Märchen und Sagen, Tanz und Lied, 8. Sippenkunde, 9. Film.87

3.3 Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsgemeinschaft für Optanten und der Kulturkommission

Die Gruppe Volksmusik und die Feldforschungen in Südtirol waren nur durch ein günstiges Zusammenwirken des Volksbildungsdienstes der Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland mit der Südtiroler Kulturkommission möglich. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde im Jahr 1940 zu dem Zweck gegründet, den Optanten Betreuung und Beratung hinsichtlich der Umsiedlung nach Deutschland sowie auch Hilfe zur Eingewöhnung in der 'neuen Heimat' zu bieten. Interessant ist, dass die AdO aus dem ehemaligen Völkischen Kampfrings Südtirols hervorging, der nach seiner Entdeckung durch Himmler eine Neuorientierung unternommen hatte. Obwohl die Arbeitsgemeinschaft keine wirklichen Verhandlungsbefugnisse mit den faschistischen oder den nationalsozialistischen Behörden besaß, betrieben sie Propaganda und versuchten, die Optanten von einer Umsiedlung nach Deutschland zu überzeugen. Die AdO war der Amtlichen deutschen Ein- und Rückwandererstelle unterstellt, und zwischen den beiden Organisationen wurden beständig Kleinkriege ausgefochten, sei es aufgrund von fehlenden Befugnissen, als auch aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten. Die AdO wurde von vielen Mitgliedern der Ein- und Rückwandererstelle als separatistische Vereinigung gesehen, da sich deren Mitarbeiter zuallererst als 'Südtiroler' und erst danach als 'Deutsche' sahen. Zudem beunruhigte die Deutschen vermutlich, dass die AdO ihren Einflussbereich lückenlos auf ganz Südtirol ausgedehnt hatte; Untergruppen befassten sich mit dem Transport- und Verkehrswesen sowohl mit der Erhaltung von Kultur und Brauchtum. Da das Ahnenerbe mit der Südtiroler Kulturkommission eine ganz ähnliche Einrichtung aufgebaut hatte, kam es ebenfalls ständig zu Streitigkeiten.88

87 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 87. 88 Vgl. Thomas Nubaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 94-95.

36 Der Leiter der AdO, Norbert Mumelter, wehrte sich entschieden gegen die Versuche Himmlers, den Kulturdienst aufzulösen und die Mitarbeiter bei Wolfram Sievers in der Kulturkommission unterzubringen. Mumelter argumentierte, dass man auf den Kulturdienst nicht verzichten könnte und auch, dass sich die Tätigkeiten der Kulturkommission nicht mit denen der AdO deckten. Himmler schenkte seinen Argumenten Gehör und setzte fest, dass der Kulturdienst unter dem neuen Namen 'Volksbildungsdienst' an die Kulturkommission anzugliedern und an die NS-Ideologie gekoppelt zu halten war. Jedoch konnten auch diese Maßnahmen die Stimmung zwischen den Vereinigungen nicht bessern, und es gab weiterhin Probleme und Streitigkeiten aufgrund der fehlenden Kooperationsbereitschaft einzelner Mitglieder. Von Seiten der Kulturkommission wurde beanstandet, dass sich der Volksbildungsdienst in die wissenschaftliche Erforschung kultureller Zusammenhänge einzumischen versuchte. Ferner sorgten Gerüchte um die Finanzierung der Institutionen – 1941 kam das Gerücht auf, dass sämtliche Förderungen allein der Kulturkommission zuteil würden, was sich allerdings als falsch erwies – für interne Unruhen. Besonders Norbert Mumelters Weigerung, sich sämtlichen Ansichten der Kulturkommission widerstandslos zu beugen, waren ein Stein des Anstoßes und sorgten dafür, dass er im Januar 1941 entlassen wurde. Danach schien Ordnung in die Strukturen einzukehren, was auch daran liegen mochte, dass die Aufgabenbereiche sowohl der Kulturkommission als auch des Volksbildungsdienstes genauer definiert wurden. Der Volksgruppenführer (Volksgruppenführer kümmerten sich um Zugehörige des deutschen Volkes im Ausland, d. h. ohne deutsche Staatsbürgerschaft) Hofer verfasste einen Plan mit den Aufgaben der neun Sachreferate, den Sievers in einem Schreiben anschließend an Himmler schickte.89

1) Volksbildung: Veranstaltung von 'Volksbildungsabenden' mit Vorträgen und Lichtbildervorführungen. Bücher- und Zeitungswesen; deren Beschaffung und Verleih. Büchereien. 2) Schrifttum: Erfassung, Ausrichtung und Schulung der Schriftsteller, Förderung ihres Schaffens, Nachwuchsförderung, Anbahnung und Anregung von Veröffentlichungen. Pressestelle der AdO. Eigene Unterabteilung: Nachkriegsgeschichtsschreibung. 3) Musik: Erfassung und Förderung der Musiker und des Musiklebens. Nachwuchsschulung, Musikveranstaltungen. - Eigene Unterabteilung: Erfassung der Musikkapellen und Sicherstellung ihrer Instrumente. 4) Pflege von Volkslied, Volkstanz und Brauchtum: Gründung und Betreuung der Sing- und Tanzgruppen,

89 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 96- 99.

37 Veranstaltungen, Theaterspiel, Freizeitgestaltung. Wiederbelebung alter Volkslieder und Tänze. 5) Bildende Kunst: Erfassung, Ausrichtung und Schulung der bildenden Künstler, Förderung ihres Schaffens, Nachwuchsförderung, Anbahnung von Ausstellungen. Zuweisung von Aufträgen der Volksgruppenführung. 6) Bauwesen: Erfassung, Ausrichtung und Schulung der Architekten und Bauschaffenden. Nachwuchsförderung. Schulungsbücherei für Baufachleute. Unterstützung der Arbeitsgruppen Hausbauforschung und Kunstschätze der Kulturkommission, wo solche angefordert wird. 7) Bildstelle. Beendung der Erfassung der ganzen Heimat im Bild, Verkartung der Negative, aktueller Bildbericht, Bildersammlung zur Orts- und Landesgeschichte (bes. Nachkriegszeit), Erfassung und Schulung der Lichtbildner, Auswertung alles vorhandenen Privatmaterials, besonders der Farbaufnahmen für Vorführungen. 8) Trachtenpflege: Feststellung und Einführung der neuen Volkstrachten. Weckung des Trachtenverständnisses. 9) Sippenkunde: Aufklärung der Optanten, Erfassung und Schulung aller Interessenten, Anlegung von Ahnentafeln und Auswertung der vorhandenen Forschungen für alle Mitinteressierten. Praktische Sippenpflege durch Gründung der Sippenverbände, Aufstellung der Sippentreuhänder und Abhaltung von Sippentagen.90

In dieser Auflistung fehlt noch das Sachreferat für Jugend- und Volksmusik, welches von Karl Aukenthaler geleitet wurde. Trotz dieser vermeintlichen Strukturierung beweist die Tatsache, dass wenig später ein weiterer – leider undatierter – sowie völlig überarbeiteter Organisationsplan veröffentlicht wurde, dass die Arbeitsweise der Kulturkommission und der Sachreferate nach wie vor chaotisch war. Was sich aus den vorhandenen Materialien erschließt, ist, dass die Kulturkommission der AdO die wissenschaftliche Aufzeichnung von Kultur und Brauchtum überließ. Sievers behauptete des Öfteren, dass der Mangel an geschulten Fachkräften ein wissenschaftliches Arbeiten in der AdO unmöglich machte; in Wahrheit war die Kulturkommission jedoch nicht unglücklich darüber, zumindest diesen Bereich an ihre Kollegen aus Südtirol abtreten zu können.91

90 Hofer, Organisation des Volksbildungsdienstes der AdO, Anlage zu Sievers an Himmler, April 1941 (BABZ, NS 21/219), zit. nach Thomas Nußbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 99-100. 91 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 100- 101.

38 3.4 Die Gruppe Volksmusik

Im März des Jahres 1940 trafen sich Wolfram, Sievers und Quellmalz in Wien zu einer ersten Besprechung hinsichtlich der Expedition nach Südtirol. Neben den Fragen und Problemen, die durch die politischen und ideologischen Gegebenheiten entstanden, musste auch eine adäquate Ausrüstung besorgt und Gewährsleute vor Ort rekrutiert werden. Ferner bedurfte es der Zusammenstellung einer Forschungsgruppe und der Ausarbeitung eines Fragebogens, der in Südtirol an die Teilnehmenden der Feldforschung ausgegeben werden konnte. Erste Schwierigkeiten ergaben sich beispielsweise bei der Anforderung von Aufnahmegeräten: Quellmalz konnte durch die Gruppe Volksmusik auf zwei Magnetophone zurückgreifen, rechnete jedoch zusätzlich mit einem dritten Gerät aus dem Wiener Phonogrammarchiv; letzteres wurde ihm jedoch nicht zur Verfügung gestellt. Noch dazu kam, dass Quellmalz beharrlich darauf bestand, zu den Tonaufnahmen auch Foto- und Filmaufnahmen durchzuführen. Anfänglich zog Quellmalz eine Zusammenarbeit mit dem Amt Rosenberg in Betracht, beschloss letzten Endes aber, das Fotografieren selbst zu übernehmen. Für die Filmaufnahmen wurde in der Kulturkommission eine Unterabteilung eingerichtet. Hinsichtlich der Expeditionsteilnehmer stand zu Beginn der Gespräche nur fest, dass Quellmalz' langjährige Assistentin, die promovierte Musikwissenschaftlerin Gertraud Wittmann (später verheiratete Simon) Teil der Gruppe sein würde. Wenig später, am 16. April, bestätigte auch der Volkskundler Karl Horak seine Bereitschaft, sich an den Forschungen zu beteiligen. Horak war Leiter des Sachreferats für Brauchtum in der Kulturkommission und daneben ein anerkannter Volkstanzforscher. Ein weiteres Mitglied war der deutsche Musikwissenschaftler Fritz Bose, der sich eigenständig beim Ahnenerbe als Teilnehmer für die Expedition bewarb, seine Zusage dazu aber erst im letzten Moment gab. Er beteiligte sich als Vertreter des Instituts für Lautforschung der Universität Berlin an der Expedition. Im Sommer 1941 kam als letztes Mitglied er Innsbrucker Musikwissenschaftler Walter Senn in die Gruppe Volksmusik.92

Nach seiner Expedition nach Südtirol, auf die in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird, verfasste Quellmalz einen Abschlussbericht, in dem er die Aufgaben

92 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 104.

39 und Unterkategorien der Gruppe Volksmusik erläuterte. Laut diesem Bericht sah die Aufgabenteilung und Spezialisierung folgendermaßen aus:93

Volkslied und Instrumentalmusik: Quellmalz mit seiner Assistentin Simon sowie Bose (Schallaufnahmen). In Ergänzung dazu handschriftliche Aufzeichnungen durch Horak. Volkstanz (Bewegungsvorgänge): Wolfram und Horak. Kinderlied und Kinderspiel: Horak. Musikgeschichte: Senn. Aukenthaler stand den ersten drei Unterkategorien gemeinsam zur Verfügung.94

Beinahe zunichtegemacht wurden die Planungen der Gruppe durch das Einziehen Boses und Horaks in die Wehrmacht, jedoch konnte das Ahnenerbe beide als unabkömmlich deklarieren und vom Kriegsdienst befreien lassen. Diese u.k.-Stellung (Unabkömmlichkeitsstellung) wurde vielen Mitgliedern der Kulturkommission zuteil, was dafür sorgte, dass man jegliche Forschung so weit als möglich in die Länge zu ziehen versuchte. Dies war auch bei den Mitgliedern der Gruppe Volksmusik der Fall, obwohl Quellmalz durch seinen Versehrtheitsbescheid ohnehin nichts zu befürchten hatte. Zudem fanden die Feldforschungen in Südtirol statt, einem Ort weitab vom Kriegsgeschehen; dies hatte zur Folge, dass sämtliche Mitglieder der Gruppe Volksmusik beständig hervorhoben, wie kriegswichtig und unverzichtbar ihre Forschungen waren. In einem Brief an Seiffert schrieb Quellmalz, dass der Einsatz in Südtirol eigentlich dem Einzug in die Wehrmacht an Bedeutsamkeit gleichzusetzen und volkspolitisch relevant wäre. Mit dieser Begründung verhinderte er erfolgreich, dass man sich in seine Arbeit einmischte oder seine Mitarbeiter in den Krieg schickte.

Ohne die erhebliche finanzielle Unterstützung des Ahnenerbes hätten Alfred Quellmalz und seine Gruppe Volksmusik ihren Feldforschungen nicht durchführen können. Die Magnetophone mussten für eine längerfristige Expedition erst 'tauglich' gemacht werden, und das Ahnenerbe sorgte für ausreichend Ersatzteile und Tonbänder sowie für die Leicafilme, die man für die Fotografien benötigte. Nussbaumer schreibt von einer Art Wunschliste, die Quellmalz an Sievers übermittelte, „mit dreihundert Schmalfilmen für Filmaufnahmen, 450 Leicafilmen zur Ablichtung von Lieder- und Notenbüchern sowie sechshundert Schallbändern95. Auf Quellmalz' Geheiß beantragte Sievers beim 93 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 241. 94 Quellmalz, Bericht über den Abschluß der Arbeiten der Gruppe Volksmusik in der deutschen Kulturkommission Südtiol, 11.12.1942: 1 (IME Bozen, Nachlaß Quellmalz), zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 241. 95 Quellmalz an Sievers, 15.4.1940 (BABZ, NS 21/220), zit. nach Thomas Nußbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 104. 40 Ahnenerbe auch finanzielle Unterstützung für den Ankauf eines Kondensatormikrophones, verschiedener Batterien und Ersatzröhren, welche für die Mikrophone und die Verstärker gebraucht wurden, ein Spannungsmessgerät (in Südtirol gab es unterschiedliche Stromspannungen), einer Kabelkiste, eines Batteriegehäuses sowie eines allgemeinen Transportbehältnisses für sämtliche Gerätschaften und Werkzeuge.96

Ein weiterer zu klärender Aspekt war das Gehalt, welches Quellmalz und seine Assistentin Gertraud Simon während ihres Südtirol-Aufenthaltes beziehen würde. Das Reichserziehungsministerium, welchem beide unterstellt waren und von dem sie bisher ihre Gehälter bekommen hatten, weigerte sich, Quellmalz und Simon bei vollem Gehalt zu beurlauben und verlangte, dass nun das Ahnenerbe für diese Angelegenheit zuständig war. Das Ahnenerbe hingegen argumentierte, dass es Präzedenzfälle von bei vollem Gehalt beurlaubten Wissenschaftlern gab; zudem trüge das Ahnenerbe bereits die Kosten für die gesamte Ausrüstung und sähe sich kaum in der Lage, auch noch diese Gehälter zu übernehmen. Sievers erreichte schließlich nach einem Jahr, dass das Reichserziehungsministerium für die beiden Wissenschaftler aufkam, jedoch nur unter der Bedingung, dass „das in Südtirol erarbeitete phonographische Material als Dauerleihgabe dem Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung überlassen [werde]97. Ferner behielt sich das Institut vor, Quellmalz und Simon jederzeit aus ihrer Beurlaubung zurückberufen zu können; mit diesen Einwänden versuchte man, einen gewissen Einfluss und Kontrolle auf die Expedition auszuüben. Dies war unter anderem der Grund dafür, dass sich Quellmalz' Beziehung zur Institutsleitung sehr verschlechterte. Ein weiterer Faktor war die Tatsache, dass Quellmalz zwar jetzt im Auftrag des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung arbeitete, sämtliche Forschungsergebnisse jedoch – trotz ihrer Versicherung als Dauerleihgabe an das Institut – primär vom Ahnenerbe beansprucht werden konnten. Quellmalz saß somit zwischen zwei Stühlen und hatte neben dem offensichtlichen Misstrauen, die seine Mitarbeit beim Ahnenerbe bei Albrecht und Seiffert hervorrief, auch mit unnötigen Auflagen zu kämpfen, wie etwa der Forderung, dass er alle drei bis vier Wochen zu

96 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 102- 104. 97 Reichserziehungsministerium an das Ahnenerbe, 7.4.1941 (BABZ, NS 21/67), zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 105.

41 einer Berichterstattung nach Berlin reisen musste.98 Trotz dieser Schwierigkeiten hätte Quellmalz niemals auf die Durchführung dieser Feldforschungen verzichtet. Diese Expedition war für ihn – neben dem offensichtlichen wissenschaftlichen Reiz, eine derartige Untersuchung zu leiten – eine einzigartige Chance, sich wissenschaftlich zu profilieren. Erfreulicherweise sicherte Sievers Quellmalz das Recht, die originalen Forschungsergebnisse seiner Mitarbeiter als Erster auszuwerten, während das Institut für Lautforschung in Berlin ausschließlich Kopien der Tonbänder und Filmaufnahmen erhalten würde.99

Nachdem diese Faktoren und Bedingungen der Expedition geklärt waren, begab man sich auf die Suche nach ersten Gewährsleuten vor Ort, die für die Untersuchungen geeignet waren und die auch potenziell nützliche Kontakte vermitteln konnten. Am 5. April 1941 erhielt Sievers von Quellmalz einen provisorischen Fragebogen zur Überprüfung, den man an die Gewährsleute ausgeben wollte. Der Fragebogen wurde von Sievers und Wolfram überarbeitet und genehmigt und konnte anschließend an alle Gebiets-, Kreis- und Ortsbeauftragten des Volksbildungsdienstes zur Verteilung ausgeschickt werden. Auf diese Weise war es Quellmalz möglich, mit vergleichsweise geringem Aufwand Gewährsleute aus dem gesamten Land zu finden.

Ein größeres Problem stellte hingegen der Transport der Magnetophone und anderen Gerätschaften dar. Anfänglich wollte man die technische Ausrüstung mit einem Sondertransport der Eisenbahn nach Südtirol bringen, doch Quellmalz lehnte dies aus Angst vor einer möglichen Beschädigung vehement ab. Das Ahnenerbe stellte dann auf Anfrage Sievers ein Fahrzeug und einen Fahrer zur Verfügung, der alles nach Südtirol transportieren würde. Vor Ort war es ursprünglich so geplant gewesen, dass Quellmalz' Assistentin Simon den PKW hätte steuern sollen, doch da sie sich als Fahrerin auf Gebirgsstraßen nicht sicher genug fühlte, stellte Quellmalz beim Ahnenerbe einen Antrag auf Finanzierung eines Fahrkurses für sich selbst. Das Ahnenerbe lehnte ab, und letzten Endes wurde Quellmalz ein Fahrer zur Verfügung gestellt, der sie nach Südtirol begleiten würde, im Fahren auf steilen, engen Bergstraßen geschult war und kleinere Reparaturen am Fahrzeug durchführen konnte.

98 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 105. 99Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 105- 106.

42 Um auch für alle wetterbedingten Gegebenheiten adäquat ausgerüstet zu sein, wurden vor der Abreise wetterfeste, stabile Schuhe und Kleidung angekauft. Generell schien die Kleidungsfrage ein nicht unerhebliches Problem zu sein: Wolfram schrieb einen besorgten Brief an Sievers, in dem er danach fragte, ob es die faschistischen Behörden als Anmaßung verstünden, wenn er in einer Lederhose auftrat. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet.100

3.5 Alfred Quellmalz Mitarbeiter in Südtirol

Im folgenden Kapitel stehen Alfred Quellmalz' Mitarbeiter, ihre ideologischen und politischen Hintergründe sowie ihre Aufgaben und Leistungen in der Gruppe Volksmusik im Fokus.

Als erste, fixe Begleiterin und Mitarbeiterin bei den Feldforschungen stand Gertraud Simon fest. Die promovierte Musikwissenschaftlerin – sie studierte an den Universitäten Berlin und Gießen – arbeitete bereits seit mehreren Jahren für Alfred Quellmalz und die beiden pflegten ein freundschaftliches Verhältnis. Simon war von 1939 bis 1945 als wissenschaftliche Assistentin am Staatlichen Institut für Deutsche Musikforschung beschäftigt und war zuständig für Archivarbeiten und Schallaufnahmen. Sie war auch signifikant an der Auswertung des in Südtirol gesammelten Materials beteiligt. Quellmalz stellte ihr nach Kriegsende ein Zeugnis aus, in dem er ausschließlich lobende Worte für seine Mitarbeiterin fand:

Als meine persönliche Assistentin war sie mir auch bei den Schallaufnahmen behilflich, wobei sie sich schnell in das ihr zuvor fremde technische Gebiet einarbeitete. […] Frau Simon teilte [in Südtirol] mit mir alle Anstrengungen, die durch die Art der Tätigkeit, durch primitive Unterkunft und Klima (Winterkälte im Hochgebirge) besondere körperliche und geistige Anforderungen an uns stellten. […] An Frau Simon sind besonders ihr durch Jahre hindurch gleichbleibender Fleiß, ihre Zuverlässigkeit, Selbständigkeit und ihre angenehmen persönlichen Eigenschaften, die nicht wenig zu dem großen südtiroler Erfolg beitrugen, hervorzuheben.101

100 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 106- 107. 101 Nachlass Quellmalz, Zeugnis vom 14.6.1946, Referat Volksmusik Bozen.

43 Ein weiteres Mitglied des Forschungstrupps war Richard Wolfram. Das Interesse für das Volkskundliche begleitete ihn bereits seit seiner frühen Jugend, da seine Tante mütterlicherseits mit dem Südtiroler Naturwissenschaftler und Hobby-Volksliedforscher Franz Friedrich Kohl verheiratet war. Wolfram studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Skandinavistik in Wien und betrieb anschließend neben einem Lektorat für schwedische Sprache an der dortigen Universität auch umfassende volkskundliche Forschungen in Österreich, Deutschland, Skandinavien, England, Italien und Holland. Besonders lag ihm dabei der Volkstanz am Herzen, und ab 1931 publizierte er jährlich kleinere Abhandlungen über seine die Volkstanzforschung betreffenden Studien. Gemäß der damaligen Ideologie versuchte Wolfram, die Tänze auf kultische, germanische Urformen zurückzuführen. 1931 trat Wolfram der NSDAP bei, und nach dem Anschluss Österreichs begann er alsbald, beim Ahnenerbe mitzuarbeiten. Aufgrund seiner Ansichten und seiner regen wissenschaftlichen Tätigkeit konnte er sich in relativ kurzer Zeit nach oben arbeiten und belegte Posten wie etwa jenen als Leiter des Instituts für religiöse Volkskunde in Salzburg oder jenen als Leiter der Ahnenerbe-Lehr- und Forschungsstätte für gemanisch deutsche Volkskunde. Im Rahmen dieser Tätigkeiten verfasste er Forschungsberichte zu den Einflüssen von Rasse und Volks auf lokale Lieder, Tänze und Instrumentalstücke. Bei seinen Untersuchungen in der Ostmark holte Wolfram seinen ehemaligen Studienkollegen Karl Horak als Mitarbeiter ins Boot. Nussbaumer hebt hervor, dass Wolfram von Beginn der Südtirol-Forschungen an nicht nur eine wichtige Stellung im Ahnenerbe einnahm, sondern auch als Sievers' wichtigster Berater hinsichtlich der Einrichtung der Kulturkommission anzusehen ist. Es lässt sich vermuten, dass die Idee, Fragebögen zur Evaluierung potentieller Gewährsleute zu verwenden, ihm zuzuschreiben ist. Aufgrund seiner Fixierung auf das germanische Kontinuitätsdenken und einer mythischen Religiosität seinerseits fügte er in die Fragebögen auch Aspekte zu mythischem Südtiroler Glaubensgut ein. Dies fand sowohl vor er Kulturkommission als auch vor dem Ahnenerbe Zustimmung, vor allem, weil sich kein anderer Beteiligter an der Südtirol-Expedition dermaßen mit den Werten und Anschauungen des Ahnenerbes identifizierte. In einem Arbeitsbericht beschrieb Wolfram Südtirol wie folgt:102

102 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 234- 237.

44 Auch auf meinen Gebieten kann ich immer wieder feststellen, dass Südtirol nicht nur ein ausgezeichnetes volkskundliches Rückzugsgebiet ist, sondern trotz aller sich kreuzenden Kulturströme im Wesentlichen germanisch bestimmt ist. Das gilt selbst für Gebiete mit ladinischer Grundlage, in denen offenbar viele germanische Reste stecken.103

Der wissenschaftliche Gehalt seiner Aussagen ist jedoch zum Teil mehr als fragwürdig. Um seine Thesen zu untermauern, stellte er öfters auch Behauptungen auf, die sich in keinster Weise belegen ließen. Nussbaumer nennt hierfür folgendes Beispiel:

Wenn ich in Vintschgau, der erst vor einigen Jahrhunderten sprachlich eingedeutscht wurde, an den Häsuern, Geräten und im Brauch allenthalben die alten Heilszeichen (Malkreuz, Sechsstern, usf.) finde, könnte dies indogermanisches Erbe sein. Eindeutig wird die Sache jedoch, wenn wir auf den Hausgiebeln die gekreuzten Pferdeköpfe sehen, wie nur je in Niedersachsen: wenn wir beim Maskenlaufen zu Nikolaus, den Wilde-Mann-Spielen der Fasnacht, den Pflugumzügen und Feuerbräuchen der Vorfrühlingszeit immer wieder die Linien nach Norden, ins gesamtdeutsche Volkstum ziehen können. 104

Als besonders brisant anzusehen sind die Filmaufnahmen von Südtiroler Bräuchen, die Wolfram im Zuge der Südtirol-Expedition erstellte. Hierbei war es ihm ein Anliegen darzulegen, dass das Brauchtum in Südtirol von einer einzigartigen und ungebrochenen Kontinuität war, und dass sich bestimmte Bräuche über Jahrhunderte erhalten hätten und somit auf eindeutig germanischen Ursprung verwiesen. Beispiele für solche gefilmten Bräuche wäre etwa das 'Wilde-Mann-Spiel' In Kortsch (Vinschgau) oder das 'Nikolauspiel' in Prags (Pustertal). Bei diesen Filmaufnahmen handelte es sich jedoch keineswegs um gelebtes und miterlebtes Brauchtum, sondern um aufwändige Inszenierungen, die auf Wolframs und Horaks Geheiß einstudiert wurden. Das 'Wilde- Mann-Spiel' war zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechzig Jahren 'ausgestorben', das 'Nikolausspiel' seit zwanzig.

Quellmalz bestätigte später, dass Wolfram sich in Südtirol nur sehr wenig mit seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich der Volkstanzforschung, befasst hatte. Durch seinen Einfluss beim Ahnenerbe war es Wolfram möglich, überall dort mitzuarbeiten oder sich

103 Wolfram, Arbeitsbericht Südtirol. Abteilung: Volksbrauch, Volksglaube, Volkstanz, Volksschauspiel, undatiert [Februar 1941] (BAK, Kleine Erwerbungen 27/4, fol. 109) zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 237. 104 Ebd. Fol. 109, zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42)S. 238.

45 zu beteiligen, wo er Publikationsmöglichkeiten witterte. Dennoch war sein Einfluss auf das gesamte Projekt sehr umfassend und reichte von der Mitbestimmung bei der Auswahl der Mitreisenden bis hin zur Beteiligung an der Konzeption des Fragebogens. Während die Zusammenarbeit zwischen Wolfram und Quellmalz gut funktionierte – sie reisten gemeinsam vor Beginn der Expedition zu mehreren 'Erkundungsfahrten' nach Südtirol – gab es zwischen Wolfram und den anderen Gruppenmitgliedern einige Reibereien; vor allem aufgrund seiner privilegierten Stellung gegenüber den anderen Forscher hinsichtlich der Auswertung der Forschungsergebnisse. Man fürchtete, dass er aufgrund seiner Freundschaft mit Sievers die Gelegenheit bekäme, sämtliche Ergebnisse an sich zu reißen und unter seinem alleinigen Namen publizieren zu können.

Bezeichnend ist auch, dass Wolfram im Gegensatz zu Quellmalz seine Sammlung nach Kriegsende größtenteils behalten und daran weiterarbeiten konnte. 1987 konnte er dadurch sein Werk Tiroler Volksschauspiele publizieren, das bis heute zu den Grundlagenwerken der Tiroler Volkstheaterforschung gehört. Wolfram starb 1995.105

Wolframs ehemaliger Studienkollege Karl Horak wurde 1908 in Wien geboren. Bereits früh empfand er den Wunsch, Volksmusik davor zu bewahren, dem Vergessen anheim zu fallen. Während seines Studiums in Erdkunde und Naturgeschichte beschäftige er sich intensiv mit Volkskunde und Volksmusik; folglich war er im Gegensatz zu Wolfram und Quellmalz ein Autodidakt auf diesem Gebiet. Anfänglich betrieb er mit seiner Frau Grete volksmusikalische Feldforschung aus persönlicher Leidenschaft, später jedoch wurden seine Sammlungen systematischer. Diese ersten Untersuchungen machte er nicht nur in Österreich, sondern auch in den deutschen Sprachinseln Osteuropas, in Polen, Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien. Zusammen mit einem kleinen Kreis an Gleichgesinnten, zu denen auch Richard Wolfram zählte, setzten sie sich in den verschiedenen Ländern mit volkskundlichen Fragen und der schriftlichen Erfassung von Volksliedern und -tänzen auseinander. Das Anfertigen von Fotografien oder Filmaufnahmen war für die Gruppe damals nicht möglich. Karl Horak erreichte mit seinen Feldforschungen einen hohen Bekanntheitsgrad, veröffentlichte auch zahlreiche Beiträge in volkskundlichen Zeitschriften und leitete Volkstanzlehrgänge.

105 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 238- 240.

46 Horaks Forschungen sind als gezielt auf die damals immer stärker aufkommende deutschnationale Gesinnung abgestimmt zu betrachten und wurden auch so rezipiert. Wie auch Wolfram beschäftigte sich Horak mit der „Erforschung deutscher Kontinuitäten in Abgrenzung zum Fremden“106. Ein Auszug aus seinem Aufsatz Tanz bei den Volksdeutschen im Osten zeigt, inwiefern die politische Ideologie in seinen Werken eine Rolle spielte:107

Weit ausgestreut im Ostraum zwischen Adria und Ostsee liegen deutsche Siedlungen. Überall, wo deutsch gesprochen wird, erklingen auch deutsche Tanzweisen. In viel stärkerem Maße als der Binnendeutsche hat der Volksdeutsche Eigen- und Fremdartiges in Musik und Tanz unterscheiden gelernt. Er achtet immer darauf, daß bei seinen Feierabenden und Festen deutsche Musik ertönt und der deutsche Tanz zu seinem Rechte kommt. Nimmt er aus politischen oder Anstandsgründen Tänze des Staatsvolkes in seine Unterhaltung auf, so fühlt er, daß diese Tänze eigentlich seinem Wesen nicht entsprechen. Das völkische Erwachen, das nach 1933 alle deutschen Volksgruppen erfaßt hat, hat dieses innere Gefühl zu einem starken Bewusstsein umgewandelt.108

Durch seine Bekanntschaft mit Richard Wolfram stand Horak dem Ahnenerbe bereits nahe, als Quellmalz ihn als Mitarbeiter für die Kulturkommission und vor allem für die Südtirol-Expedition empfahl. Quellmalz und Horak kannten sich bereits seit 1937, da Horak die Aufzeichnungen über seine Forschungsreisen der Zentralstelle für Volkstanz am Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung für Untersuchungen überlassen hatte. Im Gegensatz zu Quellmalz, dessen politische Einstellung stets fragwürdig schien, galt Horak als ein Mann mit der richtigen ideologischen Gesinnung und wissenschaftlichen Kompetenz, da er sich bereits vor des Sieges der NSDAP dafür einsetzte. Beinahe hätte er die Gruppe Volksmusik nicht nach Südtirol begleiten können, da er 1940 zunächst an die Ostfront und wenig später an die Westfront eingezogen wurde; erst nach einigem Ringen konnte ihn das Ahnenerbe für die 'kriegswichtige' Forschungsarbeit aus der Wehrmacht abziehen. Quellmalz beauftragte ihn mit der Aufzeichnung von Volksliedern und Instrumenalwerken (Handschrift) sowie mit der Beratung Boses hinsichtlich Tanzbewegungen. Die meiste Zeit über dürfte sich Horak jedoch mit Wolfram seinen eigenen Forschungen gewidmet haben; die Gruppe Volksmusik hatte für ihn zweifellos nicht die oberste Priorität. Aus diesem Grund geriet 106 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 209. 107 Vgl. Ebd. 108 Horak 1942:88, zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 210.

47 auch seine Aufgabe, Bose bei den Filmaufnahmen der Volkstänze gewissermaßen zu assistieren, schnell in den Hintergrund. Als jedoch Bose am 4. Dezember 1940 abrupt aus der Expeditionsgruppe abberufen wurde, musste Horak seinen Platz einnehmen und seine eigenen Untersuchungen pausieren, um sich von Quellmalz die Arbeitsweise mit dem Magnetophon beibringen zu lassen. Da jedoch wenig später auch das Magnetophon nach Deutschland zurückgebracht wurde, verlegte sich Sievers darauf, Horaks Aufgabenbereich präziser zu umreißen. Während er sämtliche Unterlagen und Untersuchungen, die das Volksschauspiel betrafen, an Wolfram übergeben musste, würde ihm das Ressort der Kinderlieder, Reime und Spiele übergeben. Zudem wurde er damit beauftragt, Musiker und Sänger für Quellmalz' Tonaufnahmen zu rekrutieren. Letztere Aufgabe bereitete ihm sowie der gesamten Gruppe eigentlich keine Schwierigkeiten: Trotz des faschistischen Regimes gab es von Seiten der Bevölkerung viel Bereitschaft zur Mitarbeit. Man wollte die eigene Volksmusik, die durch Faschismus und Option gefährdet war, bewahrt wissen.

Horak konnte innerhalb eines Monats über 8000 relevante Stücke aufzeichnen, obwohl es auch Menschen gab, die sich aus Angst vor behördlichen Konsequenzen weigerten, mit ihm zu sprechen und sich für Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere der Vinschgau stellte für Horak eine fruchtbare Quelle an alter, von jeglicher Kunstmusik unberührter Volksmusik dar.

Problematisch wurde es für Horak, als sich sowohl das Reichserziehungsministerium als auch seine vorgesetzte Schulbehörde in Deutschland weigerten, ihn weiterhin für die Feldforschungen in Südtirol bleiben zu lassen oder sein Gehalt zu übernehmen. Da Horak seine Unabkömmlichkeitsstellung gefährdet sah, bat er Sievers, sich für ihn beim Ahnenerbe einzusetzen und ihm zu gestatten, seine Forschungen fortzuführen. Mitte September 1941 wurde Horak dann nach Schwaz zum Unterrichten abberufen, und obwohl man ihm anfänglich gestattete, einmal pro Monat nach Südtirol zu reisen, war ein kontinuierliches, qualitativ hochwertiges Fortführen seiner Feldforschungen dort nicht möglich. Auch bemühte sich Sievers nicht mehr darum, das Ahnenerbe zu einer Wiedereinstellung Horaks zu bewegen, da er die ihm gestellten Aufgaben nur halbherzig oder gar nicht erfüllt hatte. Ein Konflikt bahnte sich an, bei dem sich Quellmalz diplomatisch am Rande hielt und Horak nur um seine Notizen und 48 Aufzeichnungen bat; Wolfram sorgte sich jedoch, dass Horak ihm seine Materialien zum Volksschauspiel nicht zur Verfügung stellen würde. Als sich der Streit nicht sofort klären ließ und Horak jedes Versäumnis energisch von sich wies, drohte Sievers ihm angeblich sogar mit der Deportation in ein Konzentrationslager, was ein Einschreiten des Gauleiters von Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer, zur Folge hatte. Wo die Schuld lag, ließ und lässt sich nicht endgültig feststellen. Einerseits hatte Horak Recht, wenn er Quellmalz vorwarf, viele Gebiete doppelt untersucht zu haben (Vinschgau, Eisacktal), doch andererseits war Horaks Bereitschaft zur Eingliederung in eine Gruppe auch nicht sehr ausgeprägt. Er war ein Gegner der Option und suchte unentdeckt von Quellmalz und Sievers die Zusammenarbeit mit dem Gauausschuss Tirol-Vorarlberg.

Trotz dieses nicht unerheblichen Konfliktes und der Entlassung aus dem Ahnenerbe war es Horak Ende April 1942 möglich, seine Forschungen in Südtirol wieder aufzunehmen und auch seine u.k.-Stellung zu behalten. Er leitete inzwischen die Schule, an die ihn das Ahnenerbe zum Unterrichten geschickt hatte, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Franz Hofer seinen Einfluss geltend machte, um Horak seinen Posten in der Expeditionsgruppe wiederzubeschaffen.

Horaks Aufzeichnungen umfassen „1.736 Lieder, 1.390 Vierzeiler, 396 Instrumentalweisen, 190 Volkstänze und 24.036 Kinderlieder, Kinderspiele und Kinderreime […] und […] 420 Fotografien. Hinzu kamen noch 95 Volksschauspielaufzeichnungen.“109 Nachdem er aus Südtirol abgezogen worden war, schrieb er einen Teil seiner Unterlagen und Materialien ins Reine und übergab sie dem Ahnenerbe, der Großteil seiner Notizen ging jedoch an die Konkurrenz, das Breisgauer Volksliedarchiv. Dies führte unter anderem natürlich dazu, dass der schwelende Streit zwischen Horak und Quellmalz auch noch lange nach Kriegsende weiterging. Einen Höhepunkt erreichte der Konflikt 1987, als die Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Bozen ein Seminar über die Südtiroler Musik- und Volkskultur abhielt und Horak als Redner engagierte – sein Vortrag trug den brisanten Titel Was nicht bei Quellmalz steht.

109 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 219.

49 1986 veröffentlichte Horak zusammen mit seiner Frau Grete Tiroler Kinderleben in Reim und Spiel. Teil I – Reime, jenes Werk, auf das er sein Leben lang hin gearbeitet hatte. Der zweite Teil des Werks wurde drei Jahre vor Horaks Tod publiziert. Karl Horak starb 1992; sein Nachlass ist heute nach wie vor nicht zugänglich und deshalb auch nicht aufgearbeitet.110

Der – nach Quellmalz – höchstrangige Expeditionsteilnehmer war der 1906 in Stettin- Messenthin geborene Fritz Bose. Er studierte Musikwissenschaft in Berlin und promovierte 1934 mit einer Arbeit über die Musik indigener Völker Kolumbiens und Perus. Im selben Jahr wurde er an der Humboldt-Universität als Assistent am damals neu gegründeten Institut für Lautforschung aufgenommen. Zu Beginn hatte man die Erforschung ausschließlich auf Sprachaufnahmen beschränkt, 1934 wurde dem Institut jedoch eine Unterabteilung explizit für die Untersuchung für Musikaufnahmen beigefügt, und Bose übernahm die Leitung. Das Institut für Lautforschung verfügte über eine bestimmte Anzahl an Tonträgern, auf denen sich Musikaufnahmen aus Asien, Afrika, Amerika und natürlich Europa befanden, und dank Boses musikethnologischer Kenntnisse konnten diese jetzt angemessen aufgearbeitet werden. Das Hauptaugenmerk im Institut wurde nun auf die Erforschung europäischer Volksmusik gelegt. Bose stand ein Magnetophon zur Verfügung, welches zuerst nur ausgeliehen und schließlich vom Institut angekauft wurde. Die Unterweisung an diesem Gerät machte ihn zu einem sehr geeigneten Teilnehmer für die Reise nach Südtirol.

Seit 1936 versuchte Bose mit allen Mitteln, beim Ahnenerbe eine Anstellung zu bekommen. Um sich dort zu profilieren, beteiligte er sich an einer Forschungsreise nach Finnland, wo er mit Hilfe des Magnetophons 1934 Schallaufnahme sammelte, die die Erforschung der nordischen Volksmusik vorantreiben sollten. Für die Resultate der Reise, die in einem Aufsatz in Archiv für Musikwissenschaft erschienen, erhielt Bose viel Anerkennung vom Ahnenerbe. Da Bose momentan jedoch noch der richtige ideologische Hintergrund fehlte, um ins Ahnenerbe aufgenommen zu werden, schlug er Himmler nicht nur die Gründung einer universitätsunabhängigen Ahnenerbe- Musikforschungsstelle vor, sondern erbot sich auch als fachkundiger Unterstützer bei

110 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 209- 222.

50 der Restaurierung einiger Luren, Naturtrompeten aus der Bronzezeit. Diese Instrumente sollten für Himmler einen weiteren Beweis für einen 'germanischen Ursprung' aller deutschen Musik erbringen. Um ihm zu gefallen, bemühte Bose sich sehr, die Lurenforschung zu unterstützen und auch jene Ergebnisse zu liefern, die er sehen wollte.

Trotz all seiner Bemühungen dauerte es noch, bis Bose fest beim Ahnenerbe engagiert wurde. Es war bekannt, dass er sich schon als fester Teil dieser Institution verstand, und dieser Übereifer veranlasste Sievers, mit einer definitiven Einstellung des Musikwissenschaftlers noch zu warten. Bose sollte an der Universität bleiben, gleichzeitig jedoch für gelegentliche Projekte im Ahnenerbe hinzugezogen werde. Nebst seines bereits erwähnten Übereifers ergab sich ferner das Problem, dass Bose noch nicht habilitiert war; Himmler sicherte ihm jedoch zu, dass eine Habilitation eine Anstellung im Ahnenerbe möglich machen würde.

Schließlich wollte sich Bose 1939 mit der Schrift Klangstile als Rassenmerkmale habilitieren, doch seine Thesen, „daß besonders der Stimmklang 'rassegebunden' sei und daß man 'nationale Klangstile' hauptsächlich als Resultat biologischer und rassenspezifischer Voraussetzungen sehen müsse“111 sowie seine an in Berlin wohnhaften dunkelhäutigen Menschen durchgeführten Versuche stellten die Habilitationskommission nicht zufrieden, weshalb das Verfahren mit Ausbruch des Krieges schließlich ausgesetzt wurde.112

Der Grund dafür, dass Fritz Bose schließlich doch im Auftrag des Ahnenerbes mit Quellmalz – die beiden kannten sich vorher nicht – nach Südtirol reisen durfte, war schlichtweg der Mangel an qualifizierten Musikwissenschaftlern. Da er bei der Expedition nicht wie von ihm gewünscht eine leitende Position innehatte, kündigt Bose der Institut für Lautforschung seine Abwesenheit erst im letzten Moment an. Bereits kurz nach Beginn der Forschungen zeigte sich Bose in Briefen mehr als unglücklich darüber, dass er gleichzeitig als Aufnahmeleiter, Protokollführer und Tontechniker fungierte; dennoch sind seine Protokolle und Berichte äußerst detailliert und dienen als

111 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 195. 112 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 191- 195.

51 eine wichtige Quelle über die Abläufe und die Vorgehensweise bei den Erhebungen. Nussbaumer bringt ein Beispiel für einen solchen Bericht Boses über seine Arbeit mit Gewährsleuten:113

Besprechung mit dem Leiter der Sterzinger Chöre Hans Stifter. Fahrt nach Gossensaß, wo der Kulturbeauftragte des Gebietes Nord Leopold Groebner zusteigt. Ins Pflerschtal nach Innerpflersch. Besprechung mit dem Ortsbeauftragten Markart und danach mit dem Kulturbeauftragten und Leiter der Unterhaltungsgruppe Teißel, Pold. Keine Tänze, aber Lieder, Jodler, Juchzer, besonders von alten Bergführern und Sennen. Vielleicht auch Kinderlieder und Instrumentalisten. Geplant wird ein Dorfabend am 23.7., wo alle in Frage kommenden Leute anwesend sein werden und ihre Lieder usw. zu Gehör bringen. [Für Aufnahmen] selbst ist die Zeit vom 25. bis 28. Ju[l]i vorgesehen.114

Von Fritz Bose existieren 461 Tonbandaufnahmen mit jeweils umfangreichem Begleitmaterial und Berichten. Quellmalz schreibt in seinem Tagebuch davon, dass sich Fotos von etwa 150 Gewährsmännern und -frauen sowie deren Instrumenten und Trachten in Boses Besitz befanden, diese wurden jedoch nie gefunden.

Bei ihren Aufnahmen arbeiteten sowohl Quellmalz als auch Bose mit einem dynamischen Mikrophon, was zwar einwandfreie Sprachaufnahmen möglich machte, für die Aufnahme von Gesang oder Instrumentalmusik ungeeignet war. Boses Unterlagen zufolge verschmolzen die Stimmen durch das Mikrophon zu einem undefinierbaren Klangbrei, der an eine alte Schallplatte erinnerte, und der sich keinesfalls für die Forschung nutzen ließ. Ähnliche Probleme tauchten auch bei Quellmalz auf, und es war für beide eine Erleichterung, als sie sich von der Reichs- Rundfunk-Gesellschaft zwei Kondensatormikrophone ausborgen konnten. Auf weitere Feinheiten der Aufnahmetechnik, den akustischen Gegebenheiten sowie auf die Probleme mit den unterschiedlichen Stromstärken wird in Kapitel 4.1 näher eingegangen. Was sich zudem des Öfteren störend auf Boses Tonaufnahmen auswirkte, war die Anwesenheit von unerwünschten Zuschauern. In seinen Notizen finden sich Berichte darüber, dass „[t]rotz [s]eines am Vortage ausgesprochenen Protestes […] der Ortsbeauftragte wieder das ganze Dorf zum Zuschauen [einlud], sodaß 34 Personen sich

113Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 196. 114 Bose, Arbeitsbericht für die Monate Juli, August, September 1940, unter 13.7.1940 (HoeA UniR, Ordner 13/2), zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 197.

52 in der höchstens 25qm großen Bauernstube [befanden].“115 Wie es auch beim Gruppenleiter Quellmalz der Fall war, benötigte Bose für einige Aufnahmen – vor allem bezogen auf die Aufnahme von Gesprochenem – die Kooperation eines Dialektforschers.

Wie bereits vorher erwähnt, nahm Bose in Zusammenarbeit mit Richard Wolfram viele Tanzstücke und Theaterstücke auf und kümmerte sich auch um deren Transkription. Unrühmlicher Höhepunkt ist die Aufnahme des Nikolausspiels in Prags, welches Wolfram und Bose nach zwanzig Jahren wieder aufführen ließen. Die Tonaufnahmen sind verschollen, während die Filmaufnahmen noch existieren. Diese Vorgehensweise entspricht bis ins Detail Himmlers Anspruch an die Wissenschaft – die These musste mit allen Mitteln bewiesen werden, egal, welche Mittel man dafür anwenden mussten. Zwar nicht aus dem Grund des 'unwissenschaftlichen Vorgehens', sondern einfach aus jenem, dass Karl Horak im Gegensatz zu Bose ein Experte hinsichtlich Volkstänzen war, versuchte Quellmalz, Bose aus der Gruppe zu verdrängen. Anstatt sich den ihm zugeteilten Aufgaben zu widmen, konzentrierte sich Bose ganz auf seine eigenen Forschungsinteressen, nämlich auf religiöse Lieder und Brauchtumslieder, wie man an diesem Ausschnitt aus dem Arbeitsbericht vom November 1940 erkennen kann:

Aufgenommen wurden: aus Onach 30 Nummern Lieder und Tänze, aus Ellen, 6 Weihnachtslieder und ein Dreikönigslied sowie verschiedene geistliche Lieder mit weltlichen Melodien (darunter ein Karfreitagslied auf die Melodie „Freut euch des Lebens“!!), insgesamt 15 Stücke, aus Ehrenburg 28 weltliche und g[eis]tliche Volkslieder, darunter 3 Hochzeitslieder, Kleckellieder u.a. Brauchtumsgesänge; aus Kiens ein 3Königslied, einen Hochzeitsladerspruch, eine Hochzeitspredigtparodie und einige Volkslieder; aus Liensberg 10 Hackbrettstücke; aus Kematen in Taufers 8 Lieder; aus Lappach 14 Nummern, darunter Weihnachtslieder, Kleckellieder und Hochzeitslieder; 5 Lieder aus Mühlen in Taufers und 10 Tänze von der Böhmischen Tanzmusik aus Sand.116

Es lässt sich nicht genau nachvollziehen, warum Bose schließlich die Expeditionsgruppe verlassen musste. Sievers hielt schriftlich fest, dass es ihm am geeigneten Charakter sowie an den nötigen Kompetenzen für ein solches Unterfangen

115 Bose, Arbeitsbericht für die Monate Juli, August, September 1940, unter 13.7.1940 (HoeA UniR, Ordner 13/2), zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 200. 116 Bose, Tätigkeitsbericht November 1940 (BABZ, PU F. Bose), zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 203.

53 mangelte; Informationen, die er von Quellmalz übernahm. Dieser blieb ähnlich vage in seiner Begründung bezüglich Boses Entlassung. Erst 1948 äußerte Quellmalz in einem Brief an Bruno Stäblein, dass Bose sich schlichtweg nicht an die Anweisung gehalten hatte, nur mündlich tradierte Volksmusik aufzuzeichnen. Der größte Teil von Boses Aufnahmen besteht tatsächlich aus bereits publizierten Volksliedern, und nur ein kleiner Teil bezieht sich wirklich auf die 'unverfälschte' Musik, nach denen Quellmalz und das Ahnenerbe suchten. Warum Bose so handelte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.

Von Seiten Sievers gab es Bestrebungen, Boses u.k.-Stellung auszusetzen und ihn zur Wehrmacht zu schicken; sein Magnetophon wollte man in Südtirol behalten. Das Institut für Lautforschung bestand jedoch auf der Rückgabe des Geräts, und auch Bose begann die um ihn geschmiedete Intrige zu durchschauen. Nach seinem Weihnachtsurlaub reiste er im Januar 1941 noch einmal nach Südtirol, wo er Quellmalz seine Berichte und Aufnahmen übergab und die Rückführung des Magnetophons vorbereitete. Nachdem Sievers beim Ahnenerbe interveniert und Bose in einem sehr schlechten Licht hatte dastehen lassen, wurde Bose endgültig aus der Gruppe Volksmusik ausgeschlossen. Nach dem Krieg unternahm er alles, um nicht mit dem Ahnenerbe, der Südtirol-Expedition und Himmler in Verbindung gebracht zu werden. Nachdem er ein paar Jahre lang im Bereich der Pharmazie tätig war, ernannte man Bose 1955 zum Leiter der historischen Abteilung des Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung, Preußischer Kulturbesitz, und zehn Jahre später wurde er Leiter der Abteilung für Volkskunde – was ihn ironischerweise zum Nachfolger von Alfred Quellmalz machte. Bose publizierte zahlreiche musikwissenschaftliche Artikel sowie sein Buch Musikalische Völkerkunde. Er starb 1975.117

Das letzte Mitglied der Gruppe Volksmusik war der 1904 in Innsbruck geborene Walter Senn. Seine Familie war sehr musikalisch, und dadurch geprägt nahm Senn 1922 in Wien sein Studium der Musikwissenschaft und Physik auf. Zusätzlich nahm er auch Unterricht in Klavier und Komposition und begann 1928 eine Lehrtätigkeit an der Innsbrucker Lehrerbildungsanstalt und an einigen Gymnasien. Ebenfalls 1928 erhielt er die Zulassung zur Lehre der Musiktheorie und des Chorgesangs am Institut für

117Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 196- 207.

54 Musikwissenschaft in Innsbruck. Im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern der Gruppe Volksmusik stand Senn dem Nationalsozialismus von Beginn an sehr ablehnend gegenüber. Er war ein Anhänger des alten österreichischen Ständesystems (der sogenannte Austrofaschismus lehnte sich stark an Mussolinis Diktatur in Italien an) und zeigte seine Verachtung für das Deutsche Reich und alle Anhänger des Nationalsozialismus deutlich. Nachdem er dies auch mit seinen Schüler und Studierenden so hielt, wurde er 1939 frühzeitig in den Ruhestand entlassen, wobei ihn die Gestapo scharf im Auge behielt.

Da Senn eine Familie zu ernähren hatte, versuchte er gezwungenermaßen, im neuen Regime seinen Platz zu finden und trat noch im selben Jahr der NSDAP bei. Der Wiener Ordinarius für Musikwissenschaft, Erich Schenk, riet ihm zur Habilitation und bemühte sich, das Ahnenerbe auf Senns Qualitäten als Musikwissenschaftler aufmerksam zu machen. Schenk wusste von der geplanten Expedition nach Südtirol und versuchte, Sievers die Vorzüge einer musikhistorischen Untersuchung der dortigen Archive durch Walter Senn, der bereits zur Musikgeschichte Tirols geforscht hatte, näher zu bringen. Sievers zeigte sich der Idee nicht abgeneigt, vor allem, da Senn Schenk zufolge Belege dafür hatte, dass in den Archiven Beweise für den deutschen Ursprung der Südtiroler Volksmusik lagen. Auch Quellmalz war an Senn sehr interessiert, da er eine Untersuchung der Archive von jeher befürwortet hatte und zudem noch seine eigenen Pläne hatte:

1.) Dr. Senn arbeitet die Archive Südtirols systematisch auf musikhistorisch wichtige Nachrichten und Quellen durch. Er ergänzt damit die von ihm früher schon begonnenen Forschungen. 2.) Das Ergebnis dieser Arbeiten soll gleichzeitig dem Generalkatalog des Staatl. Instituts f. DT. Musikforschung, Abt. 1 zugute kommen, wobei dieselben Richtlinien Geltung haben, nach denen er schon in der Ostmark für den Zweck gearbeitet hat. Die Umschrift auf Karteikarten erfolgt erst nach seiner Rückkehr ins Reich. 3.) Gleichzeitig wird er die Quellen photokopieren, die für die Aufnahme in den von mir herauszugebenden Band „Erbe der deutschen Musik“ in Frage kommen. Es ist ihm bereits gelungen, durch persönliche Beziehungen in das Stadtarchiv Bozen Einlaß zu erhalten, wo die Bestände des Sterzinger Stadtarchivs liegen. […] 4.) Er wird auch alle in Ratsprotokollen usw. vorkommenden Nachrichten über Volksmusik (Wandermusikanten, Stadtpfeifer u. dgl.) und sie mir für meine geplante Habilitationsschrift über die

55 Volksmusik Südtirols zur Verfügung stellen. Ich sicherte ihm selbstverständlich zu, daß im „Erbe der deutschen Musik“ wie in der Habilitationsschrift seine Mitarbeit entsprechend genannt wird. [...]118

Sievers und Quellmalz zufolge musste Senn wiederholt darauf hingewiesen werden, dass er sich in die Gemeinschaft der Gruppe einzufügen habe und auch nur in Verbindung mit der Gruppe seine Resultate publizieren dürfe. Wolfram, der an Senns Forschungsresultaten sehr interessiert war, appellierte an Sievers mit der Bitte, Senn mit der Untersuchung des Stadtarchivs Bozen hinsichtlich volkskundlich relevanter Materialien zu beauftragen.

Wichtig für Senns Untersuchungen war Franz Huter (1899-1997), ein österreichicher Historiker, der von der AdO beauftragt worden war, die kommissarische Leitung sämtlicher Archive der Provinz Bozen zu übernehmen. Zudem unterstanden ihm die Staatsarchive in Bozen und Trient.119 Er half Senn dabei, jene Archivbestände, die auszuführen die faschistischen Behörden untersagt hatten, ausfindig zu machen und zu verfilmen. Die Arbeitsplanung und Vorgehensweise dabei musste sowohl feinfühlig als auch flexibel sein, da sich die Behörden oft quer stellten und die Arbeit behinderten – dies war auch bei den Forschungsarbeiten der anderen Gruppenmitglieder der Fall. Sämtliche Archive standen primär unter italienischer, also faschistischer Leitung, was Senns Forschung nicht förderlich war.

Anders als bei Quellmalz, Wolfram und den anderen Mitgliedern der Gruppe Volksmusik existieren von Walter Senn keine Arbeitsberichte. Erhalten sind einige Briefe zwischen Senn und Quellmalz sowie Senn und Sievers, doch sie geben nur unzureichend Aufschluss über seinen Tätigkeitsbereich. Dennoch ist laut Nussbaumer bekannt, dass Senn sich zu Beginn den Archiven der größeren Städte Bozen, Brixen und Bruneck zuwandte, wo er neben seinen Aufzeichnungen auch Originale sicherstellen und nach Innsbruck bringen konnte. Bei einigen dieser Überführungen von Liederhandschriften und Ähnlichem kann man davon ausgehen, dass er ohne die

118 Aktenvermerk Quellmalz betreffend das Ferngespräch Innsbruck-Berlin mit Dr. Senn über dessen Arbeitseinsatz in Südtirol am 15. Juli 1941, 16.7.1941 (BABZ, PU W. Senn), Auszug, zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 226. 119 Vgl. Michael Wedekind, Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1934 bis 1945. Die Operationszonen 'Alpenvorland' und 'Adriatisches Küstenland', München 2003, S. 250.

56 Genehmigung der faschistischen Behörden handelte, was, wenn es entdeckt worden wäre, vermutlich die gesamte Gruppe Volksmusik in Gefahr gebracht hätte.

Bereits kurze Zeit nach Beginn seiner Arbeit in Südtirol wurde klar, dass eine Beendigung derselben innerhalb der festgelegten sechs Monate nicht möglich war, und Ende des Jahres 1941 wurde seine u.k.-Stellung durch die Intervention von Sievers um vier weitere Monate verlängert. Zudem legte Sievers an der Universität Innsbruck ein gutes Wort für Senn ein, um eine Habilitation zu ermöglichen. Sievers wusste, warum man Senn damals an der Universität entlassen hatte, doch man kann annehmen, dass er sich nicht darum bemühte, ihm seine dortige Stellung wieder zu verschaffen. Viel eher könnte Sievers geplant haben, Senn längerfristig im Ahnenerbe zu beschäftigen.

Die Verzögerung der Fertigstellung seiner Arbeit war vor allem auch der Tatsache geschuldet, dass Senn vom Direktor des Bozner Archivs, Nicoló Rasmo, den Zugang zum Archiv nicht erhielt. Zudem war es ihm auch nicht erlaubt, die Ratsprotokolle einzusehen. Da diese Protokolle in großer Anzahl vorlagen und Senn erst ab etwa Mitte Oktober 1942 daran arbeiten konnte, blieb er am längsten von allen Mitarbeitern der Gruppe Volksmusik in Südtirol; Quellmalz und seine Assistentin befanden sich zu jenem Zeitpunkt bereits wieder in Deutschland.120 Von 1943 bis Kriegsende versteckte sich Senn in Pflersch, um einer Einberufung zur Wehrmacht zu entgehen. Der örtliche Pfarrer bezeugte nach dem Krieg, dass Senn sich durchaus auch öffentlich gegen das NS-Regime gestellt und auch Deserteuren bei der Flucht geholfen hatte.121

3.6 Ähnliche Forschungen im Faschismus

Während die Gruppe Volksmusik den endgültigen Beweis für die germanische Abstammung der Südtiroler zu erbringen versuchte, gab es ähnliche Bestrebungen von faschistischer Seite. Maßgeblich an diesen Arbeiten beteiligt war Agostino Podestá, Hoher Kommissar und Präfekt der Stadt Bozen. Er war ein entschiedener Gegner der

120 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 226- 228. 121 Vgl. Kurt Drexel, Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945, Dissertation, Innsbruck 1994, S. 163-166.

57 Umsiedlung und versuchte einerseits, die fest entschlossenen Optanten schnellstmöglichst über die Brennergrenze zu schaffen, andererseits jedoch die Unschlüssigen zum Bleiben zu bringen. Grund dafür war seine These, dass die Südtiroler romanischstämmig waren und deshalb das Land nicht freiwillig verlassen würden. Unter seinem Einwirken sorgten die Behörden dafür, dass die Dableiber nur in seltenen Fällen in den Krieg ziehen mussten, zudem wurden diese erstmals auch in der Partei zugelassen. Einige der Dableiber traten dem Partito Nazionale Fascista bei, vermutlich jedoch weniger aus Überzeugung, sondern viel eher um sich Schwierigkeiten zu ersparen und Ettore Tolomeis Maßnahmen zu untergraben.122

Agostino Podestás Werk Alto Adige. Alcuni documenti del passato erschien in drei Bänden und enthielt neben Fotografien auch faksimilierte Dokumente. Die Brennergrenze war für Podestá eine Art natürlicher Trennung des Lebensraums zwischen dem der Deutschen und dem der Italiener, und gemäß dem faschistischen Glauben wurde Südtirol durch Italien erst 'zivilisiert'. Ausdruck dieser Haltung ist bis heute die Aufschrift auf dem Siegesdenkmal in Bozen, die verkündet: Hic patriae fine siste sigma. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus. (Hier an den Grenzen des Vaterlandes setze die Zeichen. Von hier aus bildeten wir die Übrigen durch Sprache, Gesetze und Künste.). Der in Südtirol vorherrschende deutsche Dialekt wurde von Podestá als Folge der erzwungenen Germanisierung durch die Habsburger dargestellt. Obwohl die Haltungen von Grund auf unterschiedlich sind, ähnelt sich die Vorgehensweise – sowohl das Ahnenerbe als auch Podestá verließen sich rein auf ideologische Aspekte ohne jede fundierte wissenschaftliche Basis.

Wolfram Sievers empfand Podestás Arbeit in diesem Bereich als persönlichen Angriff auf die Südtiroler Kulturkommission, besonders deshalb, da es in Alcuni documenti del passato auch ein Kapitel zum Thema Canzoni e musiche gab, verfasst vom italienischen Musiker und Komponisten Guido Farina. In diesem Kapitel, das Nussbaumer zufolge fast zur Gänze aus den Klaviersätzen zu achtzehn Volksliedern besteht, bezog sich Farina allerdings ausschließlich auf Stücke aus dem ladinischsprachigen Raum. Er stellte die Behauptung auf, dass es sich bei deutschen Volksliedern, die in Ladinische

122 Vgl. Rudolf Lill, Italien und seine deutsche Minderheit in Südtirol, in: Deutschsprachige Minderheiten 1945. Ein europäischer Vergleich, hg. von u. a. Manfred Kittel und Horst Möller, München 2007, S. 390.

58 übersetzt worden waren, um unumstößliche Zeugnisse der italienischen Kultur handelte. Um diese Behauptung zu stützen, beleuchtete er in seinem Kapitel ausschließlich ladinische Lieder sowie ein italienisches, welches aus dem Trentino stammte; sämtliche Stilvergleiche oder genauere Beschreibungen wurden unterlassen.123 Hinzu kamen noch drei Seiten, in der Farina einen groben Überblick über das Thema zu geben versuchte, sowie eine kurze und unzureichende Bibliographie. Um die im Werk vorgebrachten vermeintlichen 'Beweise' für eine romanische Abstammung der Südtiroler verfassen zu können, ließ die Kulturkommission bereits vor der offiziellen Erscheinung (Juli 1943) eine Übersetzung erstellen. Der Nordtiroler Gauleiter Hofer unterstützte dieses Vorhaben. Nussbaumer beschreibt Farinas Kapitel folgendermaßen:

Anhand von literarischen Zitaten arbeitet Farina die sich in der Volksmusik angeblich manifestierenden unterschiedlichen 'caratteri ambientali' im Sinne einer 'Landschaftsstilistik' heraus, die ihre Gegenpole im 'canto dell'uomo del piano', also im Volkslied des Flachländers, und im 'canto dell'uomo della montagna', des Gebirgsmenschen, finde […]. In der Volksmusik des Gebirgsmenschen zeige sich – und hier wird Farina andeutungsweise rassenkundlich – 'un'allegria tutta latina', die in ihrer Mehrstimmigkeit verwandschaftliche Züge mit dem friulanischen Volksgesang aufweise.124

Quellmalz, Senn sowie Franz Huter, Karl M. Mayr und Josef Ringler publizierten 1943 eine Art kritischen Kommentar – um nicht zu sagen: eine vernichtende Kritikschrift – zu Podestás Schrift mit dem Titel Alto Adige. Eine offiziöse italienische Tendenzschrift über Südtirol. Kritische Anmerkungen zum italienischen Faksimilebericht 'Alto Adige. Alcuni documenti del passato. Ihre Kritik stützten sie mit Originalaufnahmen der Lieder, die darlegten, dass alle von Farina vorgebrachten Argumente im Grunde das Gegenteil von dem beweisen, was er beweisen hatte wollen. „In Wirklichkeit stammen Text und Melodien der ladinische Lieder aus dem deutschen Liedgut, oder es handelt sich um ladinische Texte mit deutschen Melodien.“125 Ebenfalls sind bei den Instrumentalstücken all jene Stilmerkmale zu finden, die Quellmalz bei seinen Untersuchungen der Volksmusik der deutschsprachigen Südtiroler festgestellt hatte.126

123 Vgl. Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus, S. 255. 124 Stellungnahme Walter Senns zu Alcuni documenti del passato im Nachlass Quellmalz', zit. nach Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 230. 125 Josef Fontana (Hg.), Südtirol und der italienische Nationalismus, S. 255. 126 Vgl. Fontana, Ebd.

59 4. Die Feldforschungen in Südtirol

Aber den meisten gebildeten und Halbgebildeten, oder soziologisch genommen, den mittleren und oberen städtischen Bevölkerungsschichten, ist dieser Quell versiegt. Wenn sie heute noch Volkslieder singen, werden diese ausgedruckten Liedersammlungen erlernt. Für das echte Volkslied aber ist seine mündliche Überlieferung unerlässliche Vorbedingung; denn nur sie ermöglicht sein eigentliches Leben: die stete Umwandlung durch den Volksmund. Wir werden also in Bevölkerungsschichten zu suchen haben, bei denen nicht das Buch fast ausschließliche Bildungsquelle ist. Dies sind heute nur noch die unteren Kreise der Städte und das Bauerntum auf dem Lande. Die Stadtbevölkerung hat freilich fast jeden Zusammenhang mit ihrem eigenen Überlieferungsgut verloren, ist in diesem Sinne wurzellos geworden und daher zumeist nur geöffnet dem kurzlebigen Schlager oder dem politischen Lied. Wir werden also heute echte Volkslieder im wesentlichen nur noch auf dem Lande oder in der industriell-ländlich gemischten Kleinstadt suchen dürfen. Wenn es auch einen zähen Kampf gegen Schallplatte und Radio kämpfen muss und immer wieder, übrigens schon seit 150 Jahren, totgesagt wird, so blüht es dort dennoch in unverwüstlichem Leben weiter.127

Die Feldforschungen der Gruppe Volksmusik rund um Alfred Quellmalz wurden von Juli 1940 bis Mai 1942 betrieben. Die Gruppe, über deren Mitglieder bereits in den vorangehenden Kapiteln berichtet wurde, führte die Feldforschungen mit Hilfe von zwei Tonaufzeichnungsgeräten128, Filmkameras und Fotoapparaten. Thomas Nußbaumer bemerkt richtig, dass die Bezeichnung 'Gruppe' in diesem Fall irreführend sein kann: Die einzelnen Mitarbeiter hielten sich unterschiedlich lange und zum Teil auch zu unterschiedlichen Zeiträumen in Südtirol auf und hielten sich auch, wie bereits in voranstehenden Kapiteln erwähnt, nicht immer an die abgestimmten Forschungsintentionen.129

Die verwendeten Geräte zur Tonaufzeichnung waren für die damalige Zeit zwar hochmodern, hatten aber ein beträchtliches Gewicht: mit Lautsprecher und Verstärker wog ein Magnetophon ungefähr 130 Kilogramm. Zusammen mit den oft schwierigen Straßenverhältnissen in Südtirol führte dies dazu, dass man das Gerät mit Lasttieren in abgelegene Seitentäler oder Bergdörfer transportieren musste. Dies war vermutlich unter anderem der Grund für die einige Male anfallenden Reparaturen, die Quellmalz

127 Nachlass Quellmalz, Vortrag vom 21. Februar 1934. K-02/ Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen. 128 Siehe Kapitel 4.1. 129 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42. Originalaufnahmen zwischen NS-Ideologie und Heimatkultur, Innsbruck 2008, S. 11.

60 dazu zwangen, das Gerät nach Berlin in das AEG-Elektronikwerk zu schicken.Nicht alle Stücke wurden mit den Aufnahmegeräten aufgezeichnet, viele Volks- und Kinderlieder, Reime und Tanzschritte wurden auch handschriftlich festgehalten, da nicht an jedem Ort eine Stromquelle für die elektronischen Geräte verfügbar war. Meistens wurden die Aufnahmen an zentralen Orten der Dörfer durchgeführt, beispielsweise in Gemeinde- oder Wirtshäusern.130

Um den Musikern und Sängern, die sich für die Aufnahmen zur Verfügung stellten, ein möglichst ungezwungenes Umfeld zu bieten und ihnen den Gedanken an die Aufnahme vergessen zu lassen, wurde zwar das Mikrofon in dem Raum aufgebaut, in dem sich die Personen befanden, das Magnetophon jedoch wurde im Nebenraum platziert und meistens von Quellmalz' Assistentin Simon bedient.131

Bereits 1934 hatte Quellmalz die Schwierigkeiten einer Feldforschung im Bereich Volkslied/Volksmusik erkannt:

Wenn verhältnismäßig so wenig Weisen vorliegen, so hat dies natürlich seinen Grund. Die meisten Sammler sind rein technisch gar nicht imstande, eine Melodie nach Gehör aus dem Munde des Sängers aufzuzeichnen. Dazu kommen selbst für den musikalisch Vorgebildeten noch zahlreiche weitere Schwierigkeiten; im Gegensatz zu den Textaufzeichnungen, die sich fast stets so festlegen lassen, wie sie vom betreffenden Sänger gesungen wurden. Zweifel gibt es da höchstens bei der Fixierung etwaiger dialektischer Färbungen. Anders bei den Weisen. Bei ihrer Niederschrift muss sich in viel stärkerem Masse als beim Text eine ausdeutende Redaktion durch den Aufzeichner einschalten. Das Hauptgewicht muss auf das Festhakten der melodischen Linie gelegt werden. Wenn schon sie mit ihren Gleitstufen und mit ihren Durchbrechungen der abendländischen Tonleiter – wie häufig überspitzt der Sängerdie Töne oder singt sie tiefer als normal – kaum nachgezeichnet werden kann, so ist es fast unmöglich das Rhythmische genau festzulegen. Meist wird der Aufzeichner die Melodie unter einer ihm geläufigen metrisch-rhythmischen Grundform auffassen und sie ihr unwillkürlich angleichen, ohne Rücksicht auf die feinen, unwägbaren agogischen Dehnungen. Dazu kommt, dass der Sänger meist die Unbefangenheit verliert, wenn er einem ihm oft nur wenig bekannten Aufzeichner ein Lied gleichsam in die Feder diktieren soll. So geht bei den Aufzeichnungen fast stets das Irrationale der Weise verloren und sie kann daher immer nur relative Bedeutung haben.132

130 Vgl. Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 12-13. 131 Vgl. Thomas Nussbaumer, Gertraud Wittmann beschreibt einen Aufnahmeraum, in: Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 25. 132 Nachlass Quellmalz, Vortrag vom 21. Februar 1934. K-02/ Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen.

61 Quellmalz hält fest, dass das Volkslied sowie Volksmusik allgemein anders beurteilt und erforscht werden muss als das Kunstlied oder Kunstmusik, da ein anderer Anspruch und eine andere Intention gegeben ist:

Das Volkslied an sich ist weder ein literarischer noch ein musikalischer Faktor; denn sein Sänger will nicht eine künstlerische Leistung vollbringen, und selbst wenn es ausnahmsweise einmal der Fall wäre, so würde er sich ihrer nicht bewusst sein. Für den Bauern gehört es zu seinem Brauchtum, gerade so wie er sein Haus im Rahmen langer Überlieferung so schön wie nur möglich baut, um später darin zu wohnen. Und doch steht das Volkslied über allem Brauchtum, denn seine Wiedergabe ist immer höchster subjektiver spontaner Ausdruck einer augenblicklichen Stimmung. Ob es in der Gemeinschaft gesungen wird, wie z.B. in der dörflichen Kameradschaft, […] oder in der Vorkriegszeit, von den zum Dorf hinausgehenden Rekruten, ob es als Einzellied ein Bauernmädchen beim Spaziergang singt […] stets wird es aus einem inneren Bedürfnis heraus geboren und neu gestaltet. Die Folge davon ist, dass das Volkslied nie sich selbst völlig gleichen kann, bei jeder Wiedergeburt erklingt es anders. […] Die Art der Variantenbildung der Liedweisen wird natürlich immer von der musikalischen und charakterlichen Veranlagung des jeweiligen Volksliedträgers abhängen.133

4.1 Aufnahmetechnik – Das Magnetophon

Bei dem von Alfred Quellmalz und seinen Forschungskollegen verwendeten Aufnahmegerät, dem Magnetophon, handelte es sich um das damals innovativste Medium zur Tonaufzeichnung. Entwickelt im Jahr 1935 vom damals weltgrößten Elektrokonzern AEG (Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft), wurde das Gerät bei der Funkausstellung desselben Jahres vom deutschen Ingenieur Eduard Schüller (1904- 1976) erstmals präsentiert. Das Band, mit dem das Magnetophon ausgestattet war, lief mit einer Geschwindigkeit von 1m/s und ermöglichte so Aufzeichnungen bis hin zu einer Frequenz von 6000 Hz. Das Magnetophon war auch aufgrund seines für damalige Verhältnisse 'kleinen' Formates als Innovation zu sehen: Es umfasste nur drei Koffer einen für den Verstärker, einen für den Lautsprecher und einen, der das Laufwerk enthielt. Auch die Spielzeit war mit 22 Minuten erheblich länger als die damals üblichen Wachsplatten, die alle drei bis vier Minuten ausgewechselt werden mussten. Zudem war es mit diesem relativ einfach zu handhabenden Gerät möglich, Aufnahmen zusammen

133 Nachlass Quellmalz, Vortrag vom 21. Februar 1934. K-02/ Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen.

62 zu fügen. Die Hochfrequenzmagnetisierung, die der Ingenieur Walter Weber (1907- 1944) entwickelte, verlieh dem Magnetophon schließlich im Jahr 1940 jenen Feinschliff hinsichtlich Klangqualität und Aufnahmedauer, der es für Quellmalz' Forschungen so bedeutsam werden ließ.134

Nach eigener Angabe verwendete Quellmalz für seine Aufnahmen Bänder mit einer Breite von sieben Millimetern und einer Länge von 1000 Metern, sogenannte C-Bänder. Diese Bänder waren aufgrund des auf die Trägerschicht aufgetragenen Eisenoxydstaubs, dessen Magnetisierung durch elektromagnetische Schwingungen hervorgerufen wurde, äußerst empfindlich, was die Entstehung von qualitativ hochwertigen und für die Forschung geeigneten Aufnahmen garantierte. In einem Bericht aus dem Jahr 1949 fügte Quellmalz jedoch hinzu, dass eine jahrelange Lagerung die Bänder brüchig werden ließ und auch die Tonqualität stark beeinträchtigt wurde. Da das Magnetophon mit Kriegsende von den Amerikanern beschlagnahmt worden war, suchte man nach einer Möglichkeit, die Aufnahmen zu erhalten. Quellmalz schlug diesbezüglich vor, sich an die UNESCO zu wenden, die sich sehr um „die Katalogisierung und Erhaltung […] wertvolle[r] Schallaufnahmen von Volksmusik“135 bemühte. Als die geeignetste Möglichkeit, die Bänder in adäquater Qualität zu erhalten, nannte Quellmalz die Umkopierung der Aufnahmen mit Hilfe eines Magnetophons, da auf diese Weise am wenigsten Risiko zur Beschädigung oder Beeinträchtigung der Bänder gegeben war.136

4.2 Beispiele

Die Kapelle spielte ausgesprochen schlecht. Sie konnte nur 4 Stücke auswendig. Bei Tanzfestlichkeiten haben sie diese 4 Stücke eben unentwegt wiederholt, den ganzen Abend. Selbst als die Klarinette eine Melodie spielte, war es den anderen Instr. nicht möglich, die Begleitung dazu zu finden. Sie konnetn [sic!] dann nur noch Stücke nach Noten, die sie aber nicht mitgebracht hatten. Es war ein unergiebiger und unerfreulicher Nachmittag.137

134 Vgl. Eva Susanne Breßler, Von der Experimentierbühne zum Propagandainstrument. Die Geschichte der Funkausstellung von 1924 bis 1939, Köln u.a. 2009, S. 191. 135 Nachlass Quellmalz, Bericht über eine wertvolle Sammlung von Schallaufnahmen europäischer Volksmusik; ihr derzeitiger gefährdeter Zustand und Vorschläge zu ihrer Rettung, K-02/Ordner 13, Vorarlberg 1949, Referat Volksmusik Bozen, S. 6-7. 136 Vgl. Nachlass Quellmalz K-02/Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen, S. 5-9. 137 Sammlung Quellmalz, Personalbogen Nr. 178 (Sachbogen Nr. 257-259) vom 25.10.1941, Referat Volksmusik Bozen. 63 Alfred Quellmalz war in der Dokumentation der von ihm untersuchten musikalischen Aufführungen sowie in der Arbeit mit den Tonaufnahmen von äußerster Genauigkeit. Er katalogisierte sämtliche Untersuchungen mit Hilfe von detaillierten Sachbögen, die unter anderem Bemerkungen wie das eingangs stehende Zitat enthalten. Ein solcher Personalbogen setzte sich aus folgenden Faktoren zusammen:

Tagebuch Nr. Arbeitsgruppe: Personalbogen Nr. Sachbogen Nr.

Ort: Datum: Gruppenführer: Vor- und Zunahme: Bildaufnahme:

Wohnort: Mittelsmann:

Alter: Schulbildung:

Beruf: Sprachkenntnisse:

Geburtsort: Gedächtnis:

Sesshaft: Musik. Fähigkeiten: Heimat: Kenntnis v. Liedern, Tänzen:

Alter der Eltern: Kenntnis fremder Volksmusik:

Beruf des Vaters: Kenntnis moderner Kunstmusik:

Bei Gruppen: Durchschnittsalter:

Durchschnittsberuf:

Art der Gruppe:

Sonstige Beobachtungen:

64 In diese Untersuchungen einbezogen wurden, wie aus den Sachbögen hervorgeht, sowohl Einzelpersonen (Sänger/Musiker) als auch Gruppen (Musikkapellen, Chöre, Volksmusik- und Volkstanzgruppen). Mit einem zusätzlichen, nicht ganz so umfangreichen Bogen wurde ferner im Speziellen auf die vorgetragenen Stücke eingegangen:

Tagebuch Nr.: Sachbogen Nr.: Personalbogen Nr.:

Ort: Datum: Gruppe oder Solo:

Liedanfang: Sangesort:

Ein- oder mehrstimmig: Von wem gelernt:

Begleitung: Herkunftsort:

Anzahl der Strophen: Dichter, Komponist?

Beliebtheit: Entstehungszeit

Verbreitung: Veränderungen:

Bemerkungen zur Aufnahme:

Mitarbeiter: Aufnahmeleiter:

65 Abbildung 1: Tagebuchbeitrag vom 19.2.1942, Sammlung Quellmalz, Referat Volksmusik Bozen

Quellmalz war bei seinen Aufnahmen nicht an bekanntem, weit verbreitetem Liedgut interessiert, sondern vor allem an bislang nur mündlich tradierten, 'unverfälschten' Stücken. Zu weit verbreitete Lieder sollten eigentlich keinen Eingang in die Sammlung finden, dennoch wurde manchmal eine Ausnahme gemacht:

Fast in jedem Ort wurde uns dieses Lied angeboten. Wir hatten bisher abgelehnt es aufzunehmen, da es allzu sehr in die Richtung des Süsslich-Sentimentalen weist, ohne wirklich echtes Volksempfinden zum Ausdruck zu bringen und außerdem kunstmässiger Herkunft ist. Um aber doch eine Fassung dieses sehr beliebten und verbreiteten Liedes zu haben, wurde es hier aufgenommen.138

138 Sammlung Quellmalz, Personalbogen Nr. 49 vom 10.12.1940, Referat Volksmusik Bozen.

66 Die Rede ist hier vom Lied Wohl hin zum Strand ja, ja, welches Quellmalz vom Männerchor Truden auf Band singen ließ. Der vierstimmige Satz hatte drei Strophen und der Chor wurde von einer Gitarre begleitet.139

Ein Tagebucheintrag – Quellmalz und seine Mitarbeiter bezeichneten die Bücher, in denen sie ihre Feldforschungsprotokolle festhielten, als Tagebücher – vom 14. November 1940 handelt von der Aufzeichnung des Liedes Aft hat mir a schians Diandl a Briafl zuagschriebm durch die Familie Willeit aus Ehrenburg bei Kiens. Aufnahmeleiter war in diesem Fall Fritz Bose. Bei der Familie Willeit (Maria Willeit – Sopran, Aloisia Willeit – Alt, Josef Willand – Tenor, Josef Falkensteiner – tiefer Sekund, Allois Willeit - Bass) handelte es sich um Kirchensänger, deren Repertoire aber über geistliche Stücke hinausging. Das vorgetragene Lied Aft hat mir a schians Diandl a Briafl zuagschriebm war eine Schwankballade, die bereits seit etwa 1850 in Salzburg und Bayern zu finden war. Erzählt wird in der Ballade vom einem jungen Mann (Fensterstock Hiasl), der beim Versuch, durch das Schlafzimmerfenster seiner Geliebten zu klettern von einem Bauer erwischt wird. Daraufhin will er fliehen, stürzt jedoch mit dem Fensterstock zu Boden und kann erst, nachdem er zu Hause angelangt ist, daraus befreit werden. Obschon es sich um ein relativ bekanntes und verbreitetes Lied handelte, wurde es aufgrund des originellen Vortrages durch die Familie Willeit in die Sammlung aufgenommen: Während die Hauptstimme den Text vortrug und somit den Vorfall erzählte, imitierten die begleitenden Stimmen auf musikalische Weise das spöttische Gelächter, mit dem sie den Gestürzten lächerlich machten.140

Abbildung 2: Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik aus Südtirol 1940-1942, S. 41.

139 Vgl. Sammlung Quellmalz, Personalbogen Nr. 49 vom 10.12.1940, Referat Volksmusik Bozen. 140 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 41-42.

67 Das nächste Beispiel behandelt ein aufgezeichnetes Lied mit dem Titel Schäfer, was ist das?, vorgetragen von Vigil Mersa und Peter Peskosta, zwei ehemaligen Kirchensingern aus Kolfuschg, einer Fraktion der ladinischen Gemeinde Corvara im Gadertal. Bereits seit 1925 gab es in Kolfuschg keine Kirchensinger mehr, die beiden Vortragenden gehörten somit zu den letzten, die diese Praxis noch kannten und das Repertoire noch beherrschten. Quellmalz zeigte sich äußerst interessiert an den Kirchensingern aufgrund „deren Praxis, dreistimmig in Quintparallelen zu singen“141. Dieses Interesse hing mit eng zusammen mit dem Versuch der Nationalsozialisten, „ungewöhnliche Funde mit historischen Parallelen zu belegen und auf eine spekulative Weise Verbindungen zur Frühgeschichte und Kultur der Germanen herzustellen“142. Die Aufzeichnung des Liedes in Kolfuschg erfolgte am 5.3.1941, und bereits im November 1940 war Quellmalz bei den Aufzeichnungen eines Klöckelliedes im Sarntal auf einen Vortrag in Quintparallelen gestoßen. Dies bewog ihn, eine Verbindung hin zur frühchristlichen Mehrstimmigkeit (Quintorgana, Musica enchiriadis) zu ziehen, was ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie lag. Thomas Nußbaumer betont an dieser Stelle, dass die Verwendung der scheinbar bedeutsamen Quintparallelen meist nur das Unvermögen der Sänger, in Terzen/Sexten zu singen, zugrunde lag. Bei den beiden ehemaligen Kolfuschger Kirchensängern scheinen die Quintparallelen jedoch mit voller Absicht gesungen zu werden, betreffen sie doch den größten Teil des Liedes. Terzen kommen erst im Refrain zum Tragen.143

/: Schäfer, was ist das? :/ Seht ihr nicht ein Glanz von ferne? Es ist schöner als die Sterne. Seht hinab nach Betlehem, o wie schön und angenehm /: glänzt nun diese Stadt. :/ Man hört da auch von fern es klingen. „Freut euch, Menschen!“, hört man's singen.

141 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 162. 142 Thomas Nussbaumer, Ebd. 143 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 162-163.

68 Brüder, gehen wir doch zu sehn was alldorten ist geschehn, /: verlassen wir die Schaf! :/ Refr.: /: Eilen wir nach Betlehem, da werden wir's gewiss verrnehm! :/144

Als durchaus besonders anzusehen ist Quellmalz' Tagebucheintrag vom 21.5.1941. Dieser Bericht handelt von der Aufzeichnung einer Polka, gespielt von der Lengsteiner Böhmischen (Oberbozen, Ritten). Die Bezeichnung 'Böhmische' ist fast ausschließlich in Südtirol verbreitet und dient als Begriff für Tanzmusikformationen bestehend fünf bis neun Bläsern. Zum Repertoire dieser Gruppen zählen vor allem Tänze, Ländler, Walzer und Polkas. Die Herkunft des Begriffes 'Böhmische' ist nicht gänzlich erforscht, man nimmt aber an, dass er sich auf die böhmischen Wandermusikanten bezieht, die im 18. und 19. Jahrhundert durch Tirol zogen. Als Instrumente waren in den Böhmischen zumeist Klarinette, Flügelhorn, Trompete, Tenorhorn, Posaune und Tuba, davon Klarinette und Flügelhorn oft in doppelter Besetzung, vertreten. Quellmalz' Aufnahme einer Polka ist außergewöhnlich, da seit 1935 alle Musikkapellen, die sich nicht der Opera Nazionale Dopolavoro angeschlossen hatten, aufgelöst worden waren und man ihnen auch die Instrumente genommen hatte. Als die Umsiedlung der Südtiroler Bevölkerung beschlossen worden war, wurde diese Verordnung zwar aufgehoben, dennoch blieben die meisten Trachten und Instrumente von den faschistischen Behörden konfisziert. Quellmalz konnte, unterstützt durch Wolfram Sievers, auf den Leiter der OND einwirken und die Rückgabe der für die Aufnahmen erforderlichen Instrumente erreichen. Die Tatsache, dass viele Musikanten bei der Aufnahme also schon seit Längerem ohne Übung waren, hört man aus dem Gesamtklang deutlich heraus. Die Lengsteiner Böhmische, die die Polka für Quellmalz auswendig einspielte, setzte sich aus Bauern zwischen 20 und 30 Jahren zusammen, und als Instrumente waren drei Klarinetten (2 mal Es und 1 mal B), eine Trompete, zwei Flügelhörner, eine Posaune, ein Helikon und ein Euphonium vertreten.145

144 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 162. 145 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 44-45.

69 Auch die Aufzeichnung eines sogenannten 'Klöckelliedes' ist als durchaus außergewöhnlich hervorzuheben. Thomas Nußbaumer beschreibt den auch heute noch bestehenden Brauch des 'Klöckelns' folgendermaßen:

An den Adventdonnerstagen ziehen […] Gruppen von Männern und Frauen, weiß gekleidet und die Gesichter mit Stoffmasken vermummt, von Haus zu Haus, singen zuerst das traditionelle Klöckellied und nach erhaltenen Gaben das Danklied. Des Brauch des Klöckelns an den Adventdonnerstagen mit sehr unterschiedlich regionalen Varianten, Verkleidungen und Liedern wird noch heute an zahlreichen Südtiroler Orten praktiziert, beispielsweise in dem Schalders nahe gelegenen Sarntal, im Grödental, in Lajen oder in Weitental. In Nordtirol ist der Brauch als Anklöpfeln und in Salzburg als Anglöckeln weit verbreitet. In Österreich besteht er meist darin, dass Gruppen in Hirtenverkleidung von Haus zu Haus ziehen und weihnachtliche Hirtenlieder vortragen.146

Für die Aufzeichnung dieses Liedes stellte sich eine sechsköpfige Gruppe aus Schalders zu Quellmalz' Verfügung, bestehend aus Alois Mitterer (tiefer Tenor), Luise Kinigadner (Sopran), Franziska Girtler (Sopran), Maria Zobernik (Alt), Notburga Larcher (hoher Tenor) und Josef Brugger (Bass). Das aufgezeichnete Schalderer Klöckellied besteht aus zwanzig Strophen. Obwohl die Herkunft des Liedes nicht überliefert ist, gibt es signifikante Parallelen zum Sarner Klöckellied.147

Abbildung 3: Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol, S. 151.

Ein weiteres interessantes und auch brisantes Beispiel ist das Lied Die unsichtbare Garde (Lied der Bewegung). Die Aufzeichnung erfolgte am 25.9.1940, und die Sänger, bei denen es sich um ehemalige Mitglieder des Völkischen Kampfringes Südtirols handelte, werden nicht namentlich genannt. Um die Gewährsleute nicht zu gefährden, wurde diese Aufnahme aus den Feldforschungsprotokollen ausgeschlossen. Dieses sehr

146 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 152. 147 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S.151-152.

70 politische und eindeutig italienfeindliche Lied nimmt einen besonderen Platz in Quellmalz' Sammlung ein, da er einerseits vom Ahnenerbe dazu angehalten als auch selbst bemüht war, vorrangig deutschsprachige und politisch unzweifelhafte Stücke aufzuzeichnen. Dieses Lied der Bewegung wurde zu Beginn von jeder der geheimen Versammlungen des VKS gesungen und hätte bei Bekanntwerdung polizeiliche Repressalien mit sich gezogen.148 Der untenstehende Text lässt die Kampfbereitschaft des VKS deutlich werden:

1. Die unsichtbare Garde marschiert durch unser Land. Ihr Kämpfen geht um Bozen, die Stadt am Talferstrand. /: Auf Tod und auf Verderben, wir kämpfen und wir sterben für Deutsch-Südtirol!:/

2. Die Mauern, sie erbeben, von unserm Feldgeschrei. Die Toten sich erheben und stehn im Kampf uns bei. /: Die Losung heißt: „Vernichte die feigen welschen Wichte in Deutsch-Südtirol!“ :/

3. Kameraden, auf zum Streite, der Tod die Sense schwingt! Die unsichtbare Garde um Bozens Freiheit ringt. /: Der Feind, noch kann er lachen, dich Bozen wird erwachen in Deutsch-Südtirol! :/149

Dass auch die Option in den Volksliedern ihre Spuren hinterließ, macht das nächste Liedbeispiel deutlich. Nussbaumer stellt fest, dass die meisten dieser zur Zeit der Option entstandenen Lieder Kontrafakturen bereits existenter Volkslieder waren. Von der

148 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 63-64. 149 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 63-64.

71 freudigen Aufbruchsstimmung, die vom NS-Regime versucht wurde zu verbreiten, ist in diesen Liedern nichts zu finden; viel mehr wird der Verlust der Heimat beklagt. Aufgezeichnet wurde das Lied Ach Land Tirol, mein Heimatland in Klausen, gesungen von Anna Meraner und Georg Rabensteiner, begleitet auf der Gitarre von Alois Rabensteiner.150

1. Ach Land Tirol, mein Heimatland, ich muss Abschied nehmen von dir! Nur weil man mich als deutsch empfand, kein Plätzchen für mich ist mehr hier. Was hab ich dir doch angetan, dass ich dir wurde fremd? Ich war dir treu von Anfang an und dachte nie ans End. Ach lieb und schönes Eisacktal, mit meinem Heimatsort, es ist vorbei der Aufenthalt, ich muss von dir jetzt fort. Das Los, des ischt gefallen nun, das schier entscheiden soll, und scheidend schau ich mich noch um, zum letzten Mal, Heimat Tirol!

2. Lebt wohl, ihr Berge still und groß, die ich so lange dort vermein! Schwer reißt von euch das Herz sich los, doch ach, es kann nicht anders sein. Wie denk ich an die ferne Zeit, an meiner Kindheit Glück, und sehn in stiller Wehmut leis den Strom der Zeit zurück.. Und ein Besuch noch gelten soll dem schönen Gotteshaus, und allen Lieben, die schon ruhn am Grab am Friedhof drauß'.

150 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 70-71.

72 Es wird mir hier in Gottesnäh das Herz so wehevoll. Will klagen hier all Abschiedsweh, zum letzten Mal: Heimat Tirol.151

5. Die Zusammenarbeit mit den faschistischen Behörden

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Gruppe Volksmusik bei ihren Arbeiten in Südtirol des Öfteren auf den Widerstand der faschistischen Behörden stießen. Da Quellmalz und seine Mitarbeiter jedoch nicht mit der 'Rückführung' von materiellen Gütern in das Deutsche Reich beauftragt waren, waren die Schwierigkeiten vergleichsweise gering. Man war auf beiden Seiten zumindest äußerlich sehr bemüht, die positive Beziehung zwischen Deutschland und Italien nicht zu gefährden, dennoch gestaltete sich die Beschaffung von Befugnissen bei den italienischen Behörden oft mühsam. Den Wissenschaftlern wurden zwar die Untersuchungen nicht untersagt, doch zog man sämtliche Behördengänge sehr in die Länge und erschwerte ihnen dadurch ihre Forschungsarbeit erheblich. Agostino Podestá, der Bozner Präfekt, der aus faschistischer Perspektive ähnliche Untersuchungen vornahm, genehmigte zwar die mit dem Magnetophon durchgeführten Tonaufnahmen, bestand jedoch darauf, dass ihm allwöchentlich ein detaillierter Arbeitsplan der Gruppe vorgelegt wurde. Diese strengen Maßnahmen betrafen vor allem Filmaufnahmen und Fotografien, für die es eine Sondererlaubnis benötigte. Durch diese Verfahrensweise sollte jeglicher Versuch zur Spionage von Beginn an unmöglich gemacht werden.152

Wie bereits erwähnt mussten sich Quellmalz und seine Mitarbeiter überall dort, wo sie forschen wollten, sowohl bei Amtlichen deutschen Ein- und Rückwanderungsstelle (ADERST) als auch bei den örtlichen italienischen Behörden anmelden. Wurde dies versäumt, erhielt Sievers umgehend Beschwerden seitens der Bozner Quästur. Trotz aller Bemühungen kam es zu Reibereien, da beispielsweise im Jahr 1940 Mitglieder der Kulturkommission dabei beobachtet wurden, wie sie die Landschaft fotografierten –

151 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 70-71. 152 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 116- 117.

73 was, wie die faschistischen Behörden betonten, nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehörte. Wie genau man in diesem Punkt vorging wird daran ersichtlich, dass die Sammlung Quellmalz zwar eine große Anzahl an Porträtfotos von Sängern und Musikern enthält, jedoch kaum reine Aufnahmen der Landschaft beziehungsweise Außenaufnahmen von Veranstaltungen oder Musikern.153

Bereits beschrieben wurde die Tatsache, dass 1935 sämtliche Musikkapellen und -gruppen, die sich nicht in die faschistische Opera Nazionale Dopolavoro eingegliedert hatten, ihre Instrumente und Trachtenkleidung hatten abgeben müssen. Wenn sich Musikvereine der OND angeschlossen hatten, wurden fast ausschließlich nur mehr italienische Stücke (z. B. Marcia Reale, Canzone del Piave, Giovinezza) gespielt. Der Südtiroler Bildungsforscher Hans Karl Peterlini stellte fest, dass Südtiroler Musikkapellen bei faschistischen Feierlichkeiten vor 1935 sehr beliebt waren, da man sie und das damit verbundene Brauchtum als exotisch betrachtete. Hierbei regte sich jedoch auch Widerstand: Manchmal wurden verbotene Stücke wie beispielsweise der Marsch Unter dem Doppeladler unter einem italienischen Werktitel – in diesem Falle Marcia Aquila – bei solchen Festen aufgeführt.154 Dennoch waren die übrigen Kapellen, die sich nicht der OND angegliedert hatten, nicht zwangsläufig aufgelöst worden, was für die Gruppe Volksmusik bedeutete, in diesem Bereich Forschungen durchführen zu können. Dazu mussten jedoch die italienischen Behörden veranlasst werden, die Instrumente zu retounieren. Hatten sich die Instrumente im Besitz von Optanten befunden, setzten sich die zuständigen nationalsozialistischen Behörden erfolgreich dafür ein, dass sie ihnen wieder überlassen wurden. Um auch Dableibern wieder zu ihren Instrumenten zu verhelfen, bat Quellmalz Wilhelm Luig um Hilfe. Luig hatte als Leiter der ADERST den nötigen Einfluss, auf die faschistischen Behörden einzuwirken, und tatsächlich war seine Intervention bei Agostino Podestá erfolgreich: Er verschaffte Quellmalz einen Gesprächstermin mit dem Leiter der OND. Bei diesem Treffen hob Quellmalz hervor, dass sich seine Untersuchungen nicht auf die großen Musikkapellen des Landes bezogen, sondern auf kleinere Gruppen, deren Repertoire noch am ehesten aus alten, oft mündlich tradierten Stücken bestand. Neben der Rückgabe der

153 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 117- 118. 154 Vgl. Hans Karl Peterlini, 100 Jahre Südtirol. Geschichte eines jungen Landes, Innsbruck u.a. 2012, S. 42-65.

74 Instrumente bat Quellmalz auch darum, die Musiker proben zu lassen, damit die Tonaufnahmen später eine möglichst hohe Qualität aufwiesen. Um den Genehmigungsvorgang zu beschleunigen, setzte sich auch Wolfram Sievers mit Podestá in Verbindung, mit dem Erfolg, dass die Gruppe Volksmusik die Erlaubnis erhielt, Tonaufnahmen anzufertigen. Die Anfrage betreffend die Abhaltung von Proben für die Musiker blieb unbeantwortet, was zur Folge hatte, dass die Proben trotzdem im Geheimen stattfanden. Fraglich ist bis heute, ob die Rückerstattung der Instrumente durch die OND jemals erfolgte, denn für die Tonaufnahmen spielten die Musiker entweder auf geliehenen Instrumenten oder auf solchen, die man vor den Faschisten verborgen hatte. Nussbaumer schreibt diesbezüglich, dass noch 1941 Musikkapellen bei der OND um die Rückgabe von Instrumenten ansuchten.155

Wie zuvor erwähnt, wurden die Tonaufnahmen gestattet, jedoch behielt man die Gruppe Quellmalz von faschistischer Seite aus genau im Auge, „da Volksmusik ein geeignetes Mittel war, deutsches 'Volkstum' demonstrativ und bekenntnishaft nach außen zu tragen.“156 Auch aus nationalsozialistischer Perspektive war es von Vorteil, die Einbindung von Volksmusik in Veranstaltungen mit deutschnationalem Charakter zu unterbinden, um die Achsenfreundschaft zwischen Hitler und Mussolini nicht in Gefahr zu bringen. Da man bei des AdO derartige Tendenzen beobachtet hatte, gab es großen Widerstand gegen die Bitte Quellmalz', die bei einer Tagung dieser Vereinigung auftretenden Volksmusik und -tanzgruppen in Magnetophonaufnahmen festzuhalten. Der Widerstand rührte auch daher, dass man für diese Tagung etwa 2000 Gäste erwartete und man dem deutschen Brauchtum diesbezüglich keine so große Bühne bieten wollte. Sehr zum Missfallen der Gruppe Volksmusik wurde dieses Problem dann folgendermaßen gelöst, dass man nicht mehr als insgesamt hundert Personen bei der Tagung erlaubte. Quellmalz zeigte sich verständlicherweise unzufrieden:157

Obwohl die Tagung in dieser Form sowohl für die Volksgruppe wie für den Berichterstatter jeden Sinn verlor, mußte sie aus Prestigegründen doch durchgeführt werden. Um nicht allzu viele Zuschauer anzulocken, wurde sie von Falseben auf eine einsam gelegene Hochalm verlegt. Von den vorgesehenen 5

155 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 118- 120. 156 Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 121. 157 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 121-122.

75 Gruppen waren nur 3 anwesend, deren Darbietungen natürlich unter einer gedrückten Stimmung litten. Trotz der Erklärung des Quästors, eine polizeiliche Beaufsichtigung für unnötig zu halten, waren außer dem Polizeivizepräsident von Meran drei geheime und drei uniformierte Polizisten anwesend.158 Man kann annehmen, dass sich Quellmalz vor allem deshalb enttäuscht zeigte, da er bei nur hundert anwesenden Zuhörern weniger Gelegenheit hatte, neue Gewährsleute für seine Arbeit zu gewinnen. Auch betraf diese personelle Begrenzung ausschließlich musikalische Veranstaltungen; Richard Wolfram wurden bei seinen Aufnahmen und Inszenierungen von tradiertem Brauchtum keine derartigen Gebote auferlegt.159

6. Die Bedeutung der 'Sammlung Quellmalz' für die Südtiroler Volksmusik nach 1945 – Rezeption und Verwendung

Insgesamt setzt sich die Sammlung Quellmalz – irreführenderweise bürgerte sich dieser Name ein, obwohl auch die Aufzeichnungen Fritz Boses sowie der anderen Wissenschaftler Teil davon sind – aus 415 Tonbändern mit insgesamt 2.951 Einzelaufnahmen zusammen. Das gesamte Audiomaterial beläuft sich auf eine Dauer von etwa 138 Stunden und setzt sich aus „rund 1.700 Volkslieder[n] (einschließlich der Varianten), rund 650 Instrumentalmusikaufnahmen, rund 90 Sprechaufnahmen – darunter auch einige ladinische, zimbrische und italienische – […] ferner [aus] zahlreiche[n] Vierzeiler- und Jodleraufnahmen“160 zusammen. Rund 4000 Stücke wurden zudem filmisch festgehalten. Die Sammlung enthält etwa 2000 Fotografien von Sängern und Musikern.161

In einem Bericht über die Sammlungen der Abteilung Volksmusik hielt Quellmalz neben in Schweden, Norwegen, England, Russland und Belgien gesammelten Stücken auch die Südtirol-Sammlung fest:

Südtirol: […] Erste systematische Erfassung der Volksmusik eines größeren geschlossenen Siedlungsgebietes durch moderne volkskundlich-musikalische Aufzeichnungsmethoden

158 Alfred Quellmalz an den Reichserziehungsminister, Schreiben vom 15.10.1940 (BABZ PU A. Quellmalz) 159 Vgl. Thomas Nussbaumer, Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940-42), S. 122. 160 Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 13. 161 Vgl. Johanna Blum, Die Sammlung „Südtiroler Volkslieder“ von Alfred Quellmalz, in: Beiträge zur musikalischen Volkskultur in Südtirol, hg. von Walter Deutsch und Gerlinde Haid, Wien u.a. 1997, S. 75.

76 (Schallaufnahmen, personelle und sachliche Fragebogen, Photokopie von alten hsl. Bauernlieder- und Notenbüchern, Photographie der Sänger und Spieler, Schmalfilmaufnahmen von Volkstänzen und alten Volksinstrumenten). Ergebnis: Alte Brauchtumslieder mit frühgeschichtlichen Volksweisen; alte Balladentypen, die im deutschen Sprachgebiet nahezu verschollen sind; improvisierte volksläufige Mehrstimmigkeit, die sich mit intonation [sic!], Tenor-cantus firmus, 2 freien Ueber-, 1 Unterstimme an die chorische Aufführungspraxis an das 15. und frühe 16. Jahrhundert anschließt; ein im Stil des Quintorganums (frühes Mittelalter) gesungenes altes Brauchtumslied, ausgeführt von hohen und tiefen Männerstimmen. - Ferner: kirchentonale Querpfeifenmärsche; Instrumentalmusik, ausgeführt von urtümlichen, geraden Naturhörnern aus Holz, von Bordunzithern, deren Form und Stimmung dem 17. Jh. angehören, von Bauernharfen und Geigen, deren Spielstücke nachweisbar dem 18. und frühen 19. Jh. entstammen; endlich noch zahlreiche neuere Volkslieder und -tänze mit verschiedener Besetzung.162

Erwähnenswert ist, dass die in Südtirol angelegte Sammlung viel umfangreicher ist als die der anderen Länder. Der zitierte Bericht stammt aus dem Jahr 1949 und lässt deutlich erkennen, wie sehr Quellmalz um die Erhaltung seiner Sammlung bemüht war. Es ist nicht verwunderlich, dass die Sammlung nach Kriegsende äußerst umstritten war. Wie bereits erläutert, war Quellmalz vom Ahnenerbe damit beauftragt worden, das explizit Germanische in der Südtiroler Volksmusik festzuhalten, Beweise dafür zu finden, dass Südtirol im Ursprung deutsch war sowie die musikalischen Zeugnisse der Volkskultur für den Nationalsozialismus aufzuzeichnen. Ein Blick in die Sammlung verrät ebenso wie das obenstehende Zitat, dass sich Quellmalz und die übrigen Forscher jedoch nicht streng diesem Auftrag unterordneten, ganz im Gegenteil: Obwohl man ihnen aufgetragen hatte, ausschließlich deutschsprachiges Volksliedgut zu sammeln, enthält die Sammlung italienische (darunter vereinzelt auch faschismuskritische), zimbrische und ladinische Stücke. Auch Nußbaumer bestätigt, dass Quellmalz seine Aufzeichnungen vorrangig nach wissenschaftlichem Interesse und nicht nach der vorgegebenen Parteiideologie durchführte.163 Dennoch vermieden Quellmalz und seine Mitarbeiter aus nachvollziehbaren Gründen größtenteils die Aufzeichnung von Stücken, die ihnen Probleme sowohl mit dem Ahnenerbe als auch mit den faschistischen Behörden hätten bereiten können. Die vereinzelten kritischeren Stücke sind als Ausnahmen anzusehen.164

162 Nachlass Quellmalz, Bericht über eine wertvolle Sammlung von Schallaufnahmen europäischer Volksmusik; ihr derzeitiger gefährdeter Zustand und Vorschläge zu ihrer Rettung, K-02/Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen, S. 3. 163 Vgl. Ebd., S. 13. 164 Vgl. Ebd., S. 14.

77 1943 wurde das Ahnenerbe nach Waischenfeld verlegt, um der Bombardierung durch die Alliierten zu entgehen.165 Auch Quellmalz begab sich auf Auftrag Himmlers dorthin. Obwohl die Amerikaner im Jahr 1945 Waischenfeld immer näher kamen und die Stadt schließlich besetzten, konnte die Sammlung durch Einwirken von Bruno Stäblein in Sicherheit gebracht werden. Nußbaumer betont, dass die Rettung der Audiomaterialien sowie der Fotografien und Schriftstücke hauptsächlich ihm zu verdanken ist.166 Gertraud Simon beschrieb die damalige Situation folgendermaßen:

Am 14.4.1945 besetzten die amerikanischen Truppen Waischenfeld. Die Bestände der Abt. Volksmsuik befanden und befinden sich noch in einem Raum einer Baracke, die Kriegslazarett wurde, und deren Betreten deutschen Zivilpersonen ab sofort verboten wurde. Damit war auch mir eine ständige Kontrolle über das Material nicht mehr möglich. […] [Der Raum] blieb zwar verschlossen […] aber jeder neuer Wechsel in der Besatzung brachte auch eine neue Durchsuchung des Raumes. […] Ende August kam ein amerikanischer Offizier des C. I. C., der sämtliche Schallplatten, Plattenspieler, Filmleinwand und das vollständige Magnetophon-Gerät, von dem er wusste, dass es hier sei, abholte. Auf meinen Einwand, dass er durch Wegnahme des Magnetophons die Abt. des Hauptarbeitsfaktors beraube, erklärte er, dass das Gerät zum Abhören der Reden deutscher Politiker gebraucht würde, und dass sämtliche Sachen an die Abt. zurückgingen, wenn diese wieder arbeite.167

Da die Aufnahmen den Krieg nahezu ohne jeden Schaden überstanden, konnte Quellmalz sie von 1968 bis 1976 in drei Bänden unter dem Titel Südtiroler Volkslieder publizieren.168 Johanna Blum hebt hervor, dass es sich bei diesen Büchern keineswegs um ein „Liederbuch für die Praxis“169 handelte, sondern um eine Dokumentation des damals gebräuchlichen und verbreiteten Liedgutes. Ein vierter, abschließender Band war geplant, konnte jedoch von Quellmalz aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes nicht mehr vollendet werden. Er hätte Kommentare hinsichtlich

165 Vgl. David Barrowclough, Digging for Hitler. The Nazi Archeologists search for an aryan past, Oxford 2016. 166 Vgl. Thomas Nußbaumer. Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 14. 167 Getraud Simon, Bericht über den derzeitigen Stand der Abt. Volksmusik im Staatl. Institut f. dt. Musikforschung, 4. Januar 1946, Nachlass Quellmalz, Referat Volksmusik Bozen. 168 Siehe dazu Alfred Quellmalz (Hg.), Südtiroler Volkslieder, Band 1: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte (1968); Band 2: Jager und Wildschützen, Almleben, Heimatlieder, allgemeine Scherzlieder, Ketten- und ähnliche Lieder, Trachtenlieder, Kartenspiellied, Trink- und Reiselieder, geistliche Parodien, volkläufige Lieder aus Latsch, besinnliche Lieder, Liebeslieder, der Fenstergang (Kiltlieder) (1972); Band 3: Brautsuche, die Einsichtigen, Bettelleut, Ehescherzlieder, Hochzeits- und Wiegenlieder, allgemeine geistliche Lieder, Lieder zur Messe, Klöckellieder, Weihnachtskreis, Neujahr, Dreikönigslieder, Osterkreis, Marienlieder, Totenlieder, Pitschelelieder, Legendenlieder, die Zwölf Heiligen Zahlen (1976), Kassel u.a. 1968-1976. 169 Johanna Blum, Die Sammlung „Südtiroler Volkslieder“ von Alfred Quellmalz, in: Beiträge zur musikalischen Volkskultur in Südtirol, hg. von Walter Deutsch und Gerlinde Haid, Wien u.a. 1997, S. 80.

78 des Repertoires, des Singstils und der Problematik bei der Aufzeichnung von Dialekttexten enthalten.170 Einiges über die Entstehung der drei Bände ist einem Brief Quellmalz' an Richard Baum vom Bärenreiter Verlag aus dem Jahr 1965 zu entnehmen: Im ersten Arbeitsplan, den ich Ende 1960 der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht haben, war, wie Sie richtig schreiben, die Publikation von nur 2 Bänden Volksliedern, dafür ein Band Instrumentalmusik und ein Abschlußband mit der wissenschaftlichen Auswertung vorgesehen. Im Verlaufe der Bearbeitung des umfangreichen wissenschaftlichen Materials (Tonbänder, Fotokopien hsl. Bauernliederbücher und hsl. Aufzeichnungen) stellte sich aber heraus, daß zuviele wertvolle Südtiroler Volkslieder vorhanden sind, um sie in nur zwei Bänden unterbringen zu können. Außerdem zeigte sich, daß es unmöglich ist, die Bände einzeln nacheinander zu veröffentlichen; denn die Tonbänder bringen die Lieder ja in der Reihenfolge, in der sie mir seinerzeit gesungen wurden, also nicht geordnet nach Liedgattungen, sondern alles bunt durcheinander. Es hätte zeitlich einen großen Leerlauf bedeutet, wenn wir jedesmal aus den Tonbändern nur die Lieder übertragen hätten, die z.B. für den ersten Band benötigt werden. Ich beantragte daher bei der DFG, alle drei Bände gleichzeitig bearbeiten und das Gesamtmanuskript dafür zu einem Termin, nämlich zum 1.10.1964, satzfertig vorlegen zu dürfen. Dies wurde mir freundlicherweise bewilligt. Leider aber konnte der Termin nicht eingehalten werden. Bis Herbst 64 sind nämlich durch Ausfall von ursprünglich vorgesehenen Mitarbeitern (Schreibhilfe und Südtiroler Studenten) rund 2500 Stunden verloren gegangen […] Dazu kam, daß ich auf unserer Herbstreise 1963 durch Belastungen infolge des Klimawechsels und des durch Besuch von Berghöfen entstandenen dauernden Höhenunterschiedes einen Kreislaufkollaps bekam und für die Arbeit etwa 5 Wochen ausfielen [...]171

Quellmalz schildert in diesem Brief auch das rege Interesse der Südtiroler an der Publikation der Südtiroler Volkslieder. Frau Professor Johanna Blum, Bozen, die in Südtirol auf diesem Gebiet eine Schlüsselposition einnimmt, hat mir erst jüngst geschrieben, wie sehr die Südtiroler auf das Erscheinen der Ausgabe warten. Da diese in erster Linie eine wissenschaftliche, wenn auch allgemein verständliche Quellendokumentation sein wird, planen Johanna Blum und ich tatsächlich, sie sobald wie möglich als Grundlage für Liederblätter zum praktischen Singgebrauch auszuwerten.172

Am Ende des Briefes bringt Quellmalz zum Ausdruck, warum die Südtiroler Volksmusik für ihn stets einen besonderen Stellenwert hatte und aus welchem Grund er seine Sammlung für bedeutsam hielt:

170 Vgl. Johanna Blum, Die Sammlung „Südtiroler Volkslieder“ von Alfred Quellmalz, S. 82. 171 Nachlass Quellmalz, Brief an Richard Baum vom7. April 1965 (Stuttgart), Referat Volksmusik Bozen, S. 1. 172 Ebd., S. 3.

79 Ich zweifle nicht daran, daß es ein gutes Werk wird; denn ich konnte die Lieder noch zu einer Zeit sammeln, wo der Einfluß der modernen Zeit (Fremdenverkehr, Rundfunk, Schallplatte usw.) praktisch noch gar keine Rolle in Südtirol spielte; die Sänger hatten ihre Lieder (wie auch die Spielstücke) ausschließlich aus generationenlanger mündlicher Überlieferung dargeboten.173

In einer Ausschreibung des Bärenreiter-Verlags findet sich folgende Beschreibung der Südtiroler Volkslieder:

Der Herausgeber, Alfred Quellmalz, fand in den damals von Rundfunk und Fremdenverkehr noch unberührten Bergtälern – kurz vor den Aussiedlungen – den bodenständigen Volksgesang so gut wie unverfälscht vor. Die Bauern und Bäuerinnen pflegten das Singen als eine selbstverständliche Betätigung ganz und gar zwanglos, nur zur eigenen Unterhaltung. Melodien und Texte lernten sie hörend im täglichen Umgang. Das Liedgut vererbte sich von Generation zu Generation durch mündliche Überlieferung. In jener Zeit traf man noch Menschen an, die fünfzig und mehr Lieder mit sämtlichen Strophen aus dem Gedächtnis vortragen konnten. Schon zehn Jahre später waren die alten Traditionen teilweise erheblich verfremdet oder sogar bereits zerronnen.174

Jahre nach seinem Tod veröffentlichten Franz Kofler und Walter Deutsch schließlich einige ausgewählte Instrumentalstücke aus der Sammlung Quellmalz.175

Die Aufarbeitung der Sammlung wurde 2007 im Rahmen eines EU-Interregprojektes ausgehend vom Tiroler Volksliedwerk (Innsbruck) und vom Referat für Volksmusik (Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache, Bozen) begonnen. Mit Unterstützung des Phonogrammarchivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurden die in Regensburg gelagerten Aufnahmen repariert und anschließend digitalisiert, um sie langfristig sicher zu erhalten.176

173 Nachlass Quellmalz, Brief an Richard Baum vom7. April 1965 (Stuttgart), Referat Volksmusik Bozen, S.4. 174 Nachlass Quellmalz, Bärenreiter Hinweise vom Januar 1969, K_05/ Ordner 3, Referat Volksmusik Bozen. 175 Siehe dazu Franz Kofler und Walter Deutsch (Hgg.), Volksmusik in Südtirol. Tänze und Spielstücke aus der Tonbandsammlung Dr. Alfred Quellmalz 1940-42, Wien 1999. 176 Vgl. Thomas Nussbaumer, Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42, S. 14.

80 7. Conclusio

Die Bedeutung der Sammlung Quellmalz und der Arbeit der Gruppe Volksmusik für den Fortbestand und die Aufzeichnung von Südtiroler Volksliedern, Volksmusik und Tänzen ist ohne jeden Zweifel groß. Viele der mündlich tradierten Stücke wären ohne ihre Aufzeichnung durch Quellmalz und seine Mitarbeiter heute vermutlich nicht mehr erhalten. Was die ideologischen Aspekte betrifft, kann man Quellmalz als weitestgehend politisch rehabilitiert betrachten. Um seinen Beruf ausüben und seine Forschungen betreiben zu können, war eine gewissen Anpassungsfähigkeit an herrschende politische Verhältnisse unabdingbar, und bei Weitem nicht als Einziger versuchte er, eben diese Anpassungsfähigkeit nach Kriegsende herunterzuspielen.

81 8. Bibliographie

Barrowclough, David: Digging for Hitler. The Nazi Archeologists search for an aryan past, Oxford 2016.

Blum, Johanna: Die Sammlung „Südtiroler Volkslieder“ von Alfred Quellmalz, in: Beiträge zur musikalischen Volkskultur in Südtirol, hg. von Walter Deutsch und Gerlinde Haid, Wien u.a. 1997.

Breßler, Eva Susanne: Von der Experimentierbühne zum Propagandainstrument. Die Geschichte der Funkausstellung von 1924 bis 1939, Köln u.a. 2009.

Drexel, Kurt: Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945, Innsbruck 1994.

Fontana, Josef (Hg.): Südtirol und der italienische Nationalismus. Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage. Teil 1. Darstellung, 2. verbesserte Auflage, Innsbruck 1994.

Fontana, Josef (Hg.): Südtirol und der italienische Nationalismus. Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage. Teil 2. Dokumente, Innsbruck 1990.

Hitler, Adolf: Mein Kampf, 851.-855. Auflage, München 1943.

Hoffmann, Meike und Kuhn, Nicola: Hitlers Kunsthändler, Hildebrand Gurlitt 1895- 1956. Die Biographie, München 2016.

Kater, Michael H.: Das Ahnenerbe der SS 1935 bis 1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 1997.

Lill, Rudolf: Italien und seine deutsche Minderheit in Südtirol, in: Deutschsprachige Minderheiten 1945. Ein europäischer Vergleich, hg. u.a. von Manfred Kittel und Horst Möller, München 2007.

Lill, Rudolf (Hg.): Die Option der Südtiroler. Beiträge eines Neustifter Symposions, Bozen 1991.

Merthens, Herbert: Die Naturwissenschaften im Nationalsozialismus, in: Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879- 1979, Bd. 1, hg. von Reinhard Rürup, Berlin u.a. 1979.

Nussbaumer, Thomas: Bäuerliche Volksmusik in Südtirol 1940-42. Originalaufnahmen zwischen NS-Ideologie und Heimatkultur, Innsbruck 2008.

Nussbaumer, Thomas: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940- 42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus (Biblioteca Musicologica Bd. 6), Innsbruck u.a. 2001.

82 Pallaver, Günther und Steurer, Leopold (Hgg.): Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Bozen 2011.

Peterlini, Hans Karl: 100 Jahre Südtirol. Geschichte eines jungen Landes, Innsbruck u.a. 2012.

Peterlini, Oskar: Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol. Überblick über Recht, Geschichte und Politik, Wien 1996.

Peterlini, Oskar (Tagungsleiter.): Akte der Tagung 50 Jahre Pariser Vertrag, 17. September 1996, Bozen 1996.

Siegen, Josef (Hg.): Re-konstruierte Vergangenheit. Das Lötschental und das Durnholzertal. Wirtschaftliche und sozio-kulturelle Entwicklung von zwei abgeschlossenen Alpentälern zwischen 1920 und 2000 aus der Sicht der Betroffenen (Freiburger sozialanthropologische Studien Bd. 3), Münster 2004.

Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1934 bis 1945. Die Operationszonen 'Alpenvorland' und 'Adriatisches Küstenland', München 2003.

Archivmatierialien

Nachlass Quellmalz, Bärenreiter Hinweise vom Januar 1969, K_05/ Ordner 3, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, Brief an Richard Baum vom7. April 1965 (Stuttgart), Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, Bericht über eine wertvolle Sammlung von Schallaufnahmen europäischer Volksmusik; ihr derzeitiger gefährdeter Zustand und Vorschläge zu ihrer Rettung, K-02/Ordner 13, Vorarlberg 1949, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, Vortrag vom 21. Februar 1934. K-02/ Ordner 13, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, Zeugnis vom 14.6.1946, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass, Brief von Quellmalz an Haensel, 1950, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass, Brief, Mitteilung des Reichsministers, K-04/Ordner 4, Referat Volksmusik Bozen.

Klaus-Dieter Quellmalz, Entwurf vom 18.10.1987, Nachlass, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, Bestätigung von Gertraud Simon, Referat Volksmusik Bozen.

Nachlass Quellmalz, K-04/Ordner 3, Referat Volksmusik Bozen. 83 Nachlass Quellmalz, Abschrift eines Briefes von Peskoller (Leiter der Abteilung III) an Alfred Quellmalz, Richard Wolfram und SS-Hauptsturmführer Dr. Bousset, unter Beifügung der Aufstellung über Almabtriebe, Märkte und Kirchtage, vom 17. September 1940.

Nachlass Quellmalz, Lebenslauf, Referat Volksmusik Bozen.

Sammlung Quellmalz, Personalbogen Nr. 49 vom 10.12.1940, Referat Volksmusik Bozen.

Sammlung Quellmalz, Personalbogen Nr. 178 (Sachbogen Nr. 257-259) vom 25.10.1941, Referat Volksmusik Bozen.

84