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SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Freitag, 04.05.2012 „Orpheus von Amsterdam“ und „Hamburgischer Organistenmacher“ Jan Pieterszoon Sweelinck und seine Schüler (4)

Er hat Amsterdam nur selten verlassen. In ist er nie gewesen! Und dennoch wird Jan Pieterszoon Sweelinck auch „Hamburgischer Organistenmacher“ genannt - wegen seiner Schüler, die aus Hamburg zu ihm gekommen sind. Um die geht’s heute, und auch um Schüler von weiter her – willkommen am Freitag-Vormittag. . *Musik 1: CD I/ Track 1 5:58 Heinrich Scheidemann Praeambulum in G William Porter, Orgel LOFT, 1050/51, LC

Ein „Praeambulum“ in G, ein Orgelvorspiel, komponiert von Heinrich Scheidemann und gespielt von William Porter.

Heinrich Scheidemann hat drei Jahre bei Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam studiert. Sein Vater war Organist an der Hamburger Katharinenkirche, und Sohn Heinrich sollte sein Nachfolger werden. St. Katharinen ist das zweitälteste Bauwerk Hamburgs und hatte schon im 16. Jahrhundert die bedeutendste Orgel der Stadt.

Die Gemeinde ließ sich schon deshalb die Ausbildung des jüngeren Scheidemann etwas kosten. Sie gab ihm ein Stipendium für einen Aufenthalt von drei Jahren in Amsterdam bei Sweelinck, beim „Orpheus von Amsterdam“. Die Investition hat sich gelohnt. Scheidemann wurde später der „Arion von Hamburg“ genannt – bekam also auch einen Ehrentitel eines sagenhaften Sängers aus der griechischen Antike.

Es gab zu Anfang des 17. Jahrhunderts geradezu einen Wettstreit unter den fünf Hauptkirchen Hamburgs um die besten Organisten. Kurz vor Scheidemann hatte bereits die Jakobi-Gemeinde dem älteren Sohn ihres Organisten die Lehre bei Sweelinck bezahlt – allerdings nur zwei Jahre. Jacob Praetorius hieß dieser junge Mann. Praetorius ist die lateinische Form des gebräuchlichen Namens Schulz. Und diese Hamburger 3

Organistendynastie Praetorius ist nicht verwandt mit dem berühmten Musik-Gelehrten und Komponisten am Hof in Wolfenbüttel, .

Jacob Praetorius hat offenbar einige Zeit gemeinsam mit Heinrich Scheidemann in Amsterdam bei Sweelinck gelernt. Und der Hamburger Musikgelehrte Johann Mattheson hat später darüber geschrieben, dass beide ehrgeizig waren: „Sie studierten demnach gleichsam um die Wette, welches den Meister sehr erfreute.“

** Musik 2: CD II/ Track 13 2:06 Jacob Praetorius Magnificat für Orgel (1. Vers) William Porter, Orgel LOFT, 1050/51, LC

Ein Vers aus dem Magnificat für Orgel, komponiert von Jacob Praetorius. William Porter spielte.

Jacob Praetorius war der erste von einigen Hamburger-Orgel-Azubis bei Sweelinck. Mattheson schreibt über ihn: „Praetorius zeigte sich immer sehr gravitätisch und etwas sonderbar; nahm seines Lehrherren hohes Wesen an; und liebte die äußerste Nettigkeit in allem seinen Thun, wie der Holländer Gewohnheit ist.“

** Musik 3: CD II/ Track 17 3:44 Jacob Praetorius Magnificat für Orgel (5. Vers) William Porter, Orgel LOFT, 1050/51, LC

Der Schlussvers aus dem Orgel-Magnificat von Jacob Praetorius.

Als Praetorius 1608 heiratete, nach dem Ende seiner Ausbildung, da komponierte sein Lehrer ein „Canticum nuptiale“, ein Hochzeitslied auf Jacob Praetorius und seine Braut. Dessen lateinischen Text hat Sweelinck möglicherweise sogar selbst verfasst. Auf Deutsch lauten die beiden Strophen so:

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„O Bräutigam, Sohn und Priester der Musen, wir sind von der Ufern der Amstel gekommen, um Dir in Deinem Glück das Hochzeitslied zu singen, denn Dir wird die schöne Margarita zuteil.

O Braut, Zierde der Elbenymphen, unser Chor gratuliert auch Dir: Lebe für Jacob als fromme Turteltaube Und erfreue Dich an Deinem Turteltäuberich.“

Musik 4: CD II / Track 26 4:10 Jan Pieterszoon Sweelinck Sponse Musarum genus Gesualdo Consort Amsterdam, Ltg. Harry van der Kamp GLOSSA, 922401, LC00690

„Sponse Musarum genus“ – dies Hochzeitslied hat Jan Pieterszoon Sweelinck für seinen Hamburger Schüler Jacob Praetorius geschrieben.

Auch der jüngere Bruder von Jacob, Johann Praetorius, ging später von Hamburg nach Amsterdam und studierte bei Sweelinck das Handwerk des Organisten. Für Sweelinck bedeuteten die Schüler auch ein Zubrot, denn der Unterricht und die Unterkunft mussten bezahlt werden.

Die Kosten trugen entweder die Heimat-Kirchen – wie bei den Brüdern Praetorius -, in anderen Fällen ist belegt, dass die Heimatstädte die Ausbildung bezahlten. So etwa beim Danziger Paul Seifert. Der studierte drei Jahre lang bei Sweelinck und hat sich zur selben Zeit wie Jacob Praetorius und Heinrich Scheidemann in Amsterdam aufgehalten.

Wir können uns also eine regelrechte Meisterklasse bei Sweelinck vorstellen. Die Schüler waren zu Hause schon ausgebildet worden, bekamen bei Sweelinck gewissermaßen den „Master-Studiengang“. Bei ihm lernten sie weniger die Grundlagen als vielmehr die Feinheiten des Orgelspiels, des freien Fantasierens und die Kunst der Variation.

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Paul Seifert ging nach dem Studium bei Sweelinck zurück nach Danzig, hatte dann eine Stelle in Königsberg, danach beim polnischen König und zuletzt war er Hauptorganist der Danziger Marienkirche.

Wie alle Schüler, nahm auch Seifert viele Notenhandschriften aus Amsterdam mit, die er in den drei Studienjahren angelegt hatte. Stücke seines Lehrers und Sachen, die er als Übungswerke geschrieben hatte, die Sweelinck korrigiert haben dürfte. Auf diese Weise wurden die Orgelwerke Sweelincks in ganz Norddeutschland und im Ostseeraum verbreitet. Und Schüler wie Seifert schrieben selbst in einem Stil, dessen Wurzeln in Sweelincks Musik liegen.

#Musik 5: Track 11 05:46 Paul Seifert Paduana Léon Berben, Orgel der Kirche St. Jacques zu Lüttich RAUMKLANG, 2205, LC05068

Eine Paduana vom Danziger Sweelinck-Schüler Paul Seifert. Léon Berben hat sie gespielt.

Der Leipziger Thomas-Kantor Andreas Düben schickte seinen Sohn Andreas junior auch nach Amsterdam zu Sweelinck in die Ausbildung. Düben blieb am längsten von allen Sweelinck-Schülern. Sechs Jahre verbrachte er in Amsterdam und ging danach nach Schweden. Er wurde erst Organist in Stockholm, danach dann Hofkapellmeister des Königs. Die Düben-Dynastie hielt dieses Amt dann bis ins 18. Jahrhundert.

Düben nahm eine große Zahl von Notenhandschriften aus Amsterdam mit. Stücke von Jan Pieterszoon Sweelinck, die er während der langen gemeinsamen Zeit mit seinem Lehrer gesammelt hatte. Dieses Düben- Klavierbuch ist heute ein wichtiger Teil der Quellen für die Tastenmusik von Sweelinck.

Obwohl Andreas Düben die längste Zeit bei Sweelinck verbracht hat, ist er in dieser SWR2 Musikstunde mit der kürzesten Musik vertreten: Bob van Asperen spielt eine Bourree von Andreas Düben.

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+Musik 6: Track 9 00:46 Andreas Düben Bouree Bob von Asperen, Cembalo VOX HUMANA, 1009, LC02674

Eine der berühmtesten Schüler von Sweelinck war der Hallenser Organist und Komponist Samuel Scheidt. Zur selben Zeit wie die Hamburger Praetorius und Scheidemann studierte er in Amsterdam. Er war schon vorher Organist gewesen, erweiterte also seine Fähigkeiten in den drei Jahren bei Sweelinck.

Sicher hat ihn sein Lehrer auch auf manche Inspektionsreise zu Orgeln mitgenommen. Denn Sweelinck war ein gesuchter Experte für Orgelbau. Scheidt war später in Deutschland ebenso gefragt dafür.

Scheidt hat auch den Druck von Orgelwerken weiter gebracht. Seine „Tabulatura nova“ ist der erste Notendruck in Deutschland, bei dem die Noten in Partiturform angeordnet wurden. Auch Werke seine Lehrers Sweelinck hat Scheidt verbreitet. Und er hat auch Stücke nach dem Vorbild seines Lehrers komponiert.

Hier zweimal Variationen über das Klagelied „Engelsche Fortuyn“, zuerst von Sweelinck, dann von Scheidt. Diese Melodie war in den nördlichen Niederlanden weit verbreitet. Mit diesem Lied gedachten die Niederländer Wilhelm vom Oranien-Nassau nach dessen Ermordung durch einen fanatischen Katholiken. Unter Wilhelms Führung hatten sich die sieben protestantischen Provinzen von der katholischen, spanischen Herrschaft losgesagt – im Laufe des 80jährigen Krieges. Wilhelm wurde der erste Statthalter der Provinzen und später als „Vater des Vaterlandes“ verehrt.

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+Musik 7: Track 5 3:17 Jan Pieterszoon Sweelinck Engelsche Fortuyn Bob von Asperen, Cembalo VOX HUMANA, 1009, LC02674

Musik 8: CD II / Track 2 5:55 Samuel Scheidt Cantilena Anglica Fortunae Franz Raml, Cembalo DG, 614 1497-2, LC06768

Zwei Variationen des Liedes „Anglica Fortuna“. Bob van Asperen spielte Sweelinck und danach spielte Franz Raml die Variationen dieses Liedes vom Schüler Samuel Scheidt.

Da ein Schüler die Ausbildung bei Sweelinck von Kurfürsten von Brandenburg bezahlt bekam, kennen wir aus dessen ordentlicher Buchführung den Preis, den Sweelinck pro Studienjahr verlangt hat: 50 Dukaten. Dazu kamen noch einmal knapp 200 Dukaten, die der Schüler für seinen Lebensunterhalt bekommen hat. Das Honorar von 50 Dukaten entsprach also den Lebenshaltungskosten eines Menschen für ein Vierteljahr.

Da Sweelincks Bezahlung als städtischer Organist allein nicht ausgereicht hätte, ihn zu einem wohlhabenden Bürger zu machen, dürften die vielen Schüler also nicht nur ein willkommenes Zubrot gewesen sein, sondern wohl das entscheidende Einkommen gebracht haben.

Die Sweelinck-Schüler hielten es später ebenso. Heinrich Scheidemann gilt als Begründer der „Norddeutschen Orgelschule“. Sein berühmtester Schüler war Johann Adam Reincken. Der stammte, wie Sweelinck aus der Stadt Deventer, und wurde später in Hamburg Organist in der Katharinenkirche. Um ihn zu hören, ist der junge zu Fuß nach Hamburg gegangen...

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Musik 9: Track 14 (12:13) Puffer! Auf Ende Johann Adam Reincken Was kann uns kommen an für Noth Jens Wollenschläger, Arp-Schnittger-Orgel der Jacobi-Kirche Hamburg ORGAN, 7236.2, LC10725

Absage

Johann Adam Reincken, der Enkelschüler von Sweelinck schlägt die Brücke zu Johann Sebastian Bach. Der kam nach Hamburg, um die große Orgeltradition in dieser Stadt zu erleben.

Und die ging in allen Hauptkirchen auf einen Lehrer zurück, auf Jan Pieterszoon Sweelink, der nie in Hamburg gewesen ist und doch der „Hamburgischen Organistenmacher“ war.

#Musik 10: Track 9 11:11 Jan Pieterszoon Sweelinck: Fantasia II Léon Berben, Orgel der Kirche St. Jacques zu Lüttich RAUMKLANG, 2205, LC05068