Erika Pluhar Das Bedürf- Nis Nach Abstand Zu Dingen Und Menschen Und Nach Konzentration Auf Das Ihr Wesentliche Geweckt
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Pluhar, Erika Udo Proksch, André Heller und Peter Vogel, der sich 1978 das Leben nahm, haben in Erika Pluhar das Bedürf- nis nach Abstand zu Dingen und Menschen und nach Konzentration auf das ihr Wesentliche geweckt. Das Able- ben von Peter Vogel brachte für den weiteren Lebensweg Erika Pluhars eine markante Zäsur mit sich: „Sein Tod hat mein Leben sehr, sehr verändert. Als er 1978 mit 42 starb, war ich 40. Ich habe dann nie mehr Tisch und Bett geteilt mit einem Mann. Es gab Beziehungen, aber keine eheähnlichen intimen Gemeinsamkeiten. Ich brauche Ab- stand. Die dauernde Nähe eines anderen Menschen wür- de mich krampfig machen und nach Luft schnappen las- sen.“ (Süddeutsche Zeitung, Magazin 41 [2011], S. 35). Als Chansonsängerin zählt Erika Pluhar neben Karl Hodi- na, André Heller, Roland Neuwirth u. a. zu jener Genera- tion österreichischer Künstler*innen, die in den 1970er Jahren erstmals versuchten, Elemente des traditionellen Wienerliedes mit modernen Einflüssen aus dem Jazz, Blues und später auch der World Music zu vereinen. Erika Pluhar, Porträtbild Orte und Länder Erika Pluhar Erika Pluhar ist in einem Wiener Arbeiterbezirk in Flo- Geburtsname: Erika Pluhar ridsdorf aufgewachsen. Sie studierte am Max-Reinhardt- Seminar an der damaligen Musikakademie in Wien * 28. Februar 1939 in Wien, Österreich Schauspiel und wurde unmittelbar nach Studienab- schluss (1959) an das Wiener Burgtheater engagiert, an Schriftstellerin, Chansonsängerin, Filmemacherin, dem sie bis zu ihrer Pensionierung (1999) vierzig Jahre Schauspielerin, Liedermacherin lang als ständiges Ensemblemitglied wirkte. Seit 1968 lebt sie in einem Haus in Grinzing, einem Stadtteil im „Small is beautiful.“ gutbürgerlichen Döbling, dem 19. Gemeindebezirk am nördlichen Stadtrand von Wien. (Erika Pluhar, in: Stöckl, Barbara [Moderatorin]: STÖCKL. Mit André Heller und Erika Pluhar, Zahlreiche Tourneen (zunächst als Schauspielerin, dann 20.08.2015, 23:05 bis 24:00, TV ORF 2.) aber vor allem als Sängerin und Schriftstellerin) führten Profil sie in den gesamten deutschsprachigen Raum und dar- über hinaus auch nach Holland und Portugal. Als eine Es fällt schwer, Erika Pluhars facettenreiches berufliches von wenigen österreichischen Künstler*innen durfte sie wie privates Leben und Wirken prägnant zu fassen. Be- einst die ehemalige DDR bereisen, wo sie begeistert auf- ruflich scheint der Künstlerin alles zu glücken. Sie war genommen wurde (Hildebrandt 1996, S. 259). Erika Plu- bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1999 höchst erfolg- har gastiert(e) sowohl in allen größeren deutschsprachi- reich als Schauspielerin tätig, und bis heute schreibt sie gen Städten (wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Stutt- Romane und Erzählungen, verfilmt eigene Sujets und gart, Düsseldorf, Dortmund, Bremen, Leipzig usw.) als singt ihre eigenen Texte, die von ihren musikalischen auch in unzähligen kleineren Städten und Gemeinden Weggefährten (seit 1991: der Pianist und Komponist An- (von Judenburg, Golling, Korneuburg, Abtenau und tonio d’Almeida und der Gitarrist Klaus Trabitsch) ver- Krems in Österreich über Rosenheim, Schwabach, Mei- tont werden. Der jahrzehntelang konstante berufliche Er- ningen und Köthen in Deutschland und Winterthur und folg der österreichischen Künstlerin ist jedoch von schwe- Solothurn der Schweiz). Trotz ihrer zahlreichen Gastspie- ren privaten Tiefschlägen flankiert. Ihre wechselnden Le- le blieb sie ihrer Heimatstadt Wien und ihrem Herkunfts- bensgemeinschaften bzw. Ehen mit Männern, u. a. mit land Österreich auf das Engste verbunden. – 1 – Pluhar, Erika Ehe mit dem österreichischen Designer Peter Proksch Biografie (Künstlername: Serge Kirchhofer) stammt ihre Tochter Erika Pluhar wurde am 28. Februar 1939 in Wien in eine Anna (1961-1999). Die beiden weiteren Ehen mit André Arbeiterfamilie geboren. Sie besuchte das Gymnasium Heller (*1947) und Peter Vogel (1937 ̶ 1978) blieben im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf und wurde unmit- kinderlos. Seit Ende der 1960er Jahre lebt die Künstlerin telbar nach ihrer Matura in das renommierte Max-Rein- in einem alten Landhaus in Grinzing, einem Stadtteil im hardt-Seminar an der Musikakademie Wien aufgenom- gutbürgerlichen Wiener Gemeindebezirk Döbling (Hilde- men. Nach ihrem Studienabschluss (1959, „mit Auszeich- brandt 2005, S. 405). nung“) erfolgte das Engagement als „Elevin“ am traditi- Mehr zu Biografie onsreichen Wiener Burgtheater, dem Erika Pluhar als fes- tes Ensemblemitglied bis zu ihrer Pensionierung im Jahr Erika Pluhar wurde mehrfach ausgezeichnet: 1979 er- 1999 vierzig Jahre lang verbunden blieb. In ihren frühen hielt sie die Josef Kainz-Medaille der Stadt Wien, 1984 Schauspieljahren verkörperte die Burgschauspielerin vor- die Robert Musil-Medaille der Stadt Klagenfurt und des wiegend Vamps und kühle Femme-fatale-Figuren. Mit Robert Musil-Archivs, 1986 wurde Erika Pluhar der Be- der Rolle der Madeleine Forestier in Helmut Käutners rufstitel „Kammerschauspielerin“ verliehen, 2000 die Eh- Maupassant-Verfilmung „Bel Ami“ feierte sie im Jahr renmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold und 1968 ihrem internationalen Durchbruch: seitdem wird 2007 der Billy Wilder Award. 2009 wurde ihr der Ehren- von ihr als „der Pluhar“ gesprochen (Hildebrandt 1996, preis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in S. 249 ̶ 264). Denken und Handeln zugesprochen. Würdigung Seit 1972 ist Erika Pluhar auch als Chansonsängerin höchst erfolgreich tätig, zunächst ausschließlich mit der „Die Pluhar“ zählt zweifelsohne zu den populärsten zeit- Interpretation von Liedern aus der Feder André Hellers genössischen Künstlerinnen Österreichs. Mit ihrer lei- und Wolf Biermanns sowie mit Neuarrangements von sen, dunkelgefärbten, tragfähigen Stimme, den sanften Schlagern der 1920er und 1930er Jahre. Für das Album und zugleich akkuraten Bewegungen und ihrem energie- „Narben“ (1981) verfasste sie erstmals selbst die Liedtex- geladenen und zugleich zurückhaltenden Charakter zieht te (darunter „Trotzdem“, „Lass mich fallen in Liebe“, sie die Menschen bis heute in ihren Bann. Mit ihrem „Tanzen wie“, „Frau, lauf weg“), die von Toni Stricker künstlerischen Schaffen ist sie in Österreich ein Solitär. und Klaus Hoffmann vertont wurden. Ab dem darauffol- Wenn wir den Begriff „Austropop“ in einem sehr weiten genden Album „Über Leben“ (1982) vertonen der portu- Sinne als Etikett für sämtliche Spielarten populärer Mu- giesische Pianist und Komponist Antonio D’Almeida und sik aus Österreich begreifen, die seit Marianne Mendts der Gitarrist Peter Marinoff Pluhars Textentwürfe, seit „Wia a Glockn“ (1970) veröffentlicht wurde, so nimmt dem plötzlichen Ableben von Marinoff im Jahr 1991 ar- Erika Pluhar als eine der wenigen weiblichen Austropop- beitet Erika Pluhar mit dem Gitarristen Klaus Trabitsch Repräsentantinnen, die über die engen lokalen Grenzen zusammen. Über ihre Anfänge als Songtexterin meint hinaus Bekanntheit erlangten, eine exponierte Stellung Erika Pluhar rückblickend: „Er [Anm.: André Heller] ein. Die starke Männerdominanz innerhalb der österrei- war doch Poet und dann hab‘ ich mir gedacht: Jetzt ver- chischen Popularmusikszene bedingte die Herausbil- suche ich das auch einmal.“ (Erika Pluhar, in: Stöckl, Bar- dung eines unverkennbaren Personalstils der wenigen na- bara (Moderatorin): STÖCKL. Mit André Heller und Eri- tional und auch über die Grenzen des eigenen Landes hi- ka Pluhar, 20.08.2015, 23:05 bis 24:00, TV ORF 2). Seit naus erfolgreichen weiblichen Musikerinnen wie Marian- ihrem Austritt aus dem Wiener Burgtheater 1999 widmet ne Mendt, Maria Bill, Stefanie Werger – und Erika Plu- sich die Künstlerin in erster Linie dem Schreiben von Ro- har. manen und Liedtexten, die sie insbesondere in allen Bun- Pluhars Lieder behandeln schöne und schwierige Aspek- desländern Österreichs in zahlreichen Lesungen und te des menschlichen Lebens: sie thematisieren Liebe, Ver- Konzerten darbietet. Darüber hinaus ist sie auch als nunft und Widerstand, Verlust, Trauer und Schmerz, Drehbuchautorin und Regisseurin (zuletzt etwa: „Lagu- aber auch Hoffnung und Zuversicht. Stilistisch zunächst na“, 2013) filmisch tätig. stark vom Berliner Chanson in der Tradition der Hilde- gard Knef beeinflusst (s. bspw. die Lieder auf ihrem Al- Erika Pluhar wurde dreimal geschieden. Aus ihrer ersten bum „Narben“), erweitert Erika Pluhar nach und nach ih- – 2 – Pluhar, Erika re musikalisch-stilistische Bandbreite und integriert zu- vergiss, wie sie mit fingern zeigen, nehmend auch Elemente der afrobrasilianischen und der gesichter schneiden, traditionellen portugiesischen Musik, was erstmals im Al- fallen stellen, bum „Bossa à la Marinoff“ (1989) deutlich zutage tritt. mit den anderen hunden bellen. Daneben rekurriert Erika Pluhar immer wieder auf das jeder zählt nur das, was er wiegt. traditionelle Liedgut ihrer Heimatstadt Wien und veröff- entlicht tradierte Wiener Lieder in eigenen Interpretatio- sie nennen mich den messerwerfer nen, etwa „Es steht ein aller Nußbaum“ auf dem Album den bösen wolf, der kreide schluckt. „Die Wiener Lieder der Erika Pluhar“ (1977), oder sch- für dich bin ich dein mann und will reibt – gemeinsam mit ihren musikalischen Partnern – es sein so gut ich’s kann. „neue“ Wiener Lieder, die das spezielle Lebensgefühl der Stadt und ihrer Bewohner einzufangen versuchen, bspw. (Heller 1974, S. 43) „Das Engellied“ auf dem Album „Wiener Lieder“ aus dem Jahr 1990. Erika Pluhars Bild in der Öffentlichkeit hat sich im Laufe ihrer Karriere stark gewandelt: zuerst bot sie als Femme Für die äußerst vielseitige Künstlerin standen je nach Le- fatale eine Projektionsfläche