JENS MEILER Die Struktur Von Proteinen Und Baut Am Computer Neue Antibiotika VON FREDERIK JÖTTEN
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Nr. 41 DIE ZEIT S. 42 SCHWARZ cyan magenta yellow 42 WISSEN 4. Oktober 2007 DIE ZEIT Nr. 41 Mit 29 Jahren war er bereits Professor – in Nashville, Tennessee. Dort erforscht der Bioinformatiker JENS MEILER die Struktur von Proteinen und baut am Computer neue Antibiotika VON FREDERIK JÖTTEN Ich, der Roboter (u.) Physiologie für molekulare Max-Planck-Institut für DIE Nadine Bracht ZEIT; Fotos: ie anderen, die nach Nashville kommen, Bedingungen geboten – da hatte Meiler allerdings weiß man noch wenig darüber, wie das Leben funkti- Programm. Mit den klassischen Verfahren der mir Basic beigebracht.« Das war 1987, und in der um ihr Glück zu machen, tragen Cow- schon in Nashville zugesagt. Als Assistant Professor oniert – denn das wird von Proteinen bestimmt. Meist Röntgenstrukturanalyse oder der Kernresonanz- DDR war es kaum möglich, einen Computer zu boyhut, Lederstiefel und unter dem Arm leitet er inzwischen eine Gruppe von 20 Wissenschaft- ist bekannt, wie diese aufgebaut sind, aus welchen spektroskopie dauert es Jahre, bis man die Struktur bekommen. Der Vater besorgte am Rand einer Ta- eine Gitarre. Sie singen in den Straßen lern. Das ist vergleichbar mit einem C4-Lehrstuhl, der Aminosäuren sie bestehen. Unbekannt ist aber fast eines Proteins ermittelt hat. Computerprogramme gung in Österreich einen portablen Sinclair ZX Dund Bars für den Durchbruch. Die Hauptstadt von am besten ausgestatteten Professur in Deutschland. immer die 3-D-Struktur der Eiweiße, also wie sich die schaffen das binnen Stunden. Sie sind jedoch umso Spectrum mit der Leistung eines heutigen Taschen- Tennessee ist die Metropole der Country-Musik. Jens Aminosäureketten falten, um in der Zelle ihre Funk- ungenauer, je mehr die Abfolge der Aminosäuren rechners, Datenträger Musikkassette, 3,5 Kilo- Meiler trägt Sandalen, dunkelblaue Socken, Igelhaar- Was mit klassischen Methoden Jahre tion zu erfüllen. Nur von 0,7 Prozent der bekannten von bekannten Proteinen abweicht. »Auch bei gramm schwer. Auf ihm schrieb Jens seine ersten schnitt – er ist nach Nashville gekommen, um zu dauert, schafft der Rechner in Stunden Proteine kennt man die Struktur. Noch drastischer ist einem völlig unbekannten Protein können wir vor- Programme, eine grafische Aufbereitung des ma- forschen. Den ersten Durchbruch hat er hinter sich. die Situation bei Membran proteinen, die in der Me- hersagen, wie sich die Kette im Raum anordnet«, thematischen Beweises für den Innenwinkelsatz. Mit 29 ist er hier zum Professor berufen worden. Mittwochnachmittag, 15 Uhr. Die Sonne brennt dizin große Bedeutung haben: 50 Prozent aller Arz- sagt Meiler, »aber um die Position der chemischen Seine Begabung fiel auf. Wie Nachwuchssport- Vor zweieinhalb Jahren trat er die Stelle an. Sechs auf den als Botanischen Garten angelegten Cam- neien binden an Membranproteine, doch nur von 0,04 Seitengruppen zu bestimmen, reicht die Genauig- ler wurden in der DDR auch mathematisch-natur- Angebote hatte er von deutschen Hochschulen: Ju nior- pus. 11 600 Studenten sind an der Vanderbilt Uni- Prozent dieser Eiweiße kennt man die Struktur. keit noch nicht.« Die Bioinformatik kann die Rönt- wissenschaftliche Talente in Eliteeinrichtungen pro fes sor hätte er werden können, Nachwuchsgrup- versity eingeschrieben, sie bezahlen 35 000 Dollar Früher lernten Biologen und Chemiker im Stu- genstrukturanalyse also nicht ersetzen, aber sie ist gefördert. Die Erfahrung, nicht mehr überall der penleiter, Young Investigator. Doch er entschied sich Gebüh ren im Jahr. Einige sitzen unter den Sonnen- dium: Aus der Aminosäuresequenz könne man nicht manchmal der einzige Weg, sich der Struktur eines Beste zu sein, »hat mich zusätzlich motiviert«, sagt für die USA. »In Deutschland hätte ich mir erst Geld schirmen von Starbucks, arbeiten an Laptops. Ge- ableiten, wie das funktionstüchtige Protein gefaltet sei, Proteins anzunähern. Alle zwei Jahre gibt es einen er. In der neunten Klasse studierte er parallel das besorgen müssen, um mit dem Forschen anfangen zu genüber in Jens Meilers klimagekühltem Büro klin- zu komplex seien die Moleküle mit bis zu 100 000 weltweiten Wettbewerb der Vorhersager – Meilers erste Semester Chemie – das Fach, das er auch nach können«, sagt er. »In Nashville konnte ich ab dem gelt das Telefon, er hebt den Hörer ab. Atomen, zu uneinheitlich ihre Struktur. Heute ist die Prognosen gehören immer zu den besten. seinem Einser-Abitur wählte. Er stand in den Labors ersten Tag Personal einstellen.« Wenn er bei den Eva- »Hi, how are you doin’?« Meilers Englisch klingt Wissenschaft weiter – dank Computermodellen. Aus Die Computerprogramme können aber mehr der Uni Leipzig, machte Analysen, aber seine Lei- luierungen gut abschneidet, gibt es an der Vanderbilt sehr amerikanisch. Am Draht ein Forscher, mit dem den bekannten Strukturen errechnen Programme, wie als Vorhersagen. Mit ihnen lassen sich Proteine für denschaft blieb das Programmieren. »Das Faszinie- University, der Elitehochschule im Westen der Stadt, er kooperiert. Meiler klickt am Computer ein Fenster das unbekannte Molekül aussehen könnte. medizinische Anwendungen designen: Meiler ver- rende daran ist, dass ich den Computer dazu brin- eine lebenslange Stelle für ihn. »In Deutschland läuft auf und diskutiert mit dem Anrufer das bunte Knäu- Jens Meiler und sein Team entwickeln solche Pro- sucht gerade ein Eiweiß zu entwickeln, das als An- gen kann, meine Idee auszuführen«, sagt er. »Und eine Nachwuchswissenschaftler-Stelle fünf Jahre – und el, das am Bildschirm erschienen ist – die schematische gramme. Die Kunst ist dabei, Regeln zu erkennen, tibiotikum gegen multiresistente Bakterien wirkt. wenn etwas nicht funktioniert, ist es immer mein wenn man dann nicht in kurzer Zeit eine Professur Abbildung eines Eiweiß. nach denen ein Protein aufgebaut ist. Wie groß ist der Einen neuen Wirkstoff hat er noch nicht gefunden, Fehler, den ich beheben kann. Bei experimentellen bekommt, ist die Forscherkarriere beendet.« Seine Gruppe arbeitet im zurzeit spannendsten Abstand zwischen zwei Aminosäuren, welcher Winkel »aber wir machen Fortschritte«. Arbeiten ist das nicht so.« In seiner Doktorarbeit Einzig das Max-Planck-Institut für biophysika- Gebiet der Lebenswissenschaften: Proteomics, Pro tein- besteht zwischen zwei chemischen Gruppen? Nach »Nuh«, sagt Meiler auf dem Rundgang, mit an der Universität in Frankfurt am Main stand das lische Chemie in Göttingen hatte ihm vergleichbare for schung. Viele Genome sind entschlüsselt. Trotzdem und nach integrieren die Forscher neues Wissen in ihr deutlich sächsischem Akzent, »dann göht das hier Programmieren im Vordergrund. Genauso bei sei- weida.« Seine Mitarbeiter forschen in einem La- ner Postdoc-Stelle in Seattle bei David Baker, dem bor und vier Computer-Räumen, die durch Glas- Pionier der Proteinstrukturvorhersage. scheiben voneinander getrennt sind. In einem Seit sechs Jahren wohnt Meiler in den USA, mit unterhalten sich zwei Wissenschaftler, wieder seiner ebenfalls aus Leipzig stammenden Frau und Deutsch mit sächsischem Einschlag. Sechs aus dem 15 Monate alten Sohn Jonas. Die Konsum- Meilers Gruppe kommen aus Leipzig. »Ich nehme kultur ist ihm fremd geblieben. Er geht zu Fuß zur gerne deutsche Studenten, weil ich die Kultur Arbeit oder fährt mit dem Bus. Einen Fernseher hat kenne – da arbeitet es sich dann gut zusammen«, er nicht, die Abende verbringt er mit Brettspielen sagt Meiler. »Und sie sind sehr gut ausgebildet.« oder der Lektüre von Büchern. Den idealistischen Forscher nimmt man ihm ab. Der reine Kapitalis- Als Schüler unterrichtete er Schüler. mus bleibt ihm suspekt. »Ich könnte mir nicht Sie sind ihm nach Nashville gefolgt vorstellen, mein Leben nur dem Anhäufen von Materiellem zu widmen.« Als er selbst noch Schüler An der Vanderbilt University hat sich seine Grup- war, unterrichtete er Fünftklässler in Chemie. Wäh- pe den Ruf erarbeitet, hochbegabt, wissenschafts- rend des Studiums stand er morgens um sechs Uhr fixiert und ungemein fleißig zu sein. »Jens’ Ro- auf, um sie weiter zu betreuen. Sie gewannen erste bots – Jens’ Roboter«, spotten Doktoranden aus Plätze bei der Chemie-Olympiade und bei Jugend anderen Gruppen. Meiler lebt den Fleiß vor, ar- forscht; zwei seiner Zöglinge von damals sind ihm beitet jeden Tag zwölf Stunden, am Wochenende bis nach Nashville gefolgt und arbeiten heute in sechs. »Die meisten Arbeitsgruppen hier sind dy- seiner Gruppe. »Ich selbst habe sehr davon profi- namischer als in Deutschland«, sagt er. »Da muss tiert, früh gefördert worden zu sein«, sagt Meiler. man sich schon anstrengen, um zu bestehen.« »Das versuche ich zurückzugeben.« Meiler besteht nicht nur, er ist erfolgreich. Ge- Es ist 18 Uhr geworden. Jens Meiler hat vier rade hat er ein Stipendium über eine Million Dol- Besprechungen hinter sich. Der 25-jährige Dokto- lar von den National Institutes of Health der USA rand Nils Wötzel, der Meiler seit seinem fünften bekommen. Sein Antrag gehörte, nach dem Ran- Schuljahr kennt, kommt herein. »Lust auf eine king der Behörde, zu den besten 150 von 14 500 Partie Schach?«, fragt er. Meiler schiebt das Spiel- eingereichten Anträgen. »Das ist außergewöhnlich«, brett vom Rand des Schreibtischs ins Zentrum. sagt sein Doktorvater Christian Griesinger, heute »Klar – drei Minuten?« fragt er. In wüstem Tempo MPI-Direktor in Göttingen. schieben die beiden ihre Figuren über das Spielbrett, Jens Meilers Weg in die Wissenschaft war, wie hauen auf die Schachuhr. 50 Züge in drei Minuten. er sagt, »vorprogrammiert«. Er wuchs in der DDR »Mist«, ruft Meiler. Verloren. Eine zweite Partie; sie auf, sein Vater