SWR2 Musikstunde

Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (3)

Von Katharina Eickhoff

Sendung: 16. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020

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…mit KE – guten Morgen und Willkommen zu „Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette“ – Folge drei heute beginnt im New

Robert Stolz erzählt in seinen Erinnerungen, wie er als Exilant in New York auf dem Weg in seine Wohnung fast täglich an einem irgendwie verloren wirkenden Mann vorbeikam, der auf einer der Bänke am Rand des Central Parks gesessen sei, zu Füßen die Einkaufstasche mit Kohl und Kartoffeln, völlig vertieft ins Wall Street Journal. Der Mann, der da so alleine auf der Parkbank saß und täglich nach dem Einkauf die Börsenkurse studiert hat, war Emmerich Kálmán – er hat ein Händchen für Aktien, und die Kálmáns leben dort in den USA vor allem von seinen Börsenspekulationen.

Von seiner Musik lebt er eher nicht. Als ihn fragt, warum er denn gar nichts mehr schreibt, bescheidet Kálmán ihn barsch: „Emmerich Kálmán komponiert nur auf Bestellung.“ Aber hier in den USA bestellt eben kaum jemand etwas bei ihm. Robert Stolz und Kálmán haben nach ihrer Emigration kurze Zeit zufällig im selben Haus in New York gewohnt, 50 Central Park West, damals noch die unschicke Seite des Central Park, und eigentlich hätten sie Freunde sein können: Der jüdische Erfolgskomponist Kálmán und der Grazer Robert Stolz. Stolz, der aus Abscheu vor den Nazis gegangen ist und vor seiner Emigration noch einige jüdische Kollegen in heimlichen Autotransporten aus der Gefahrenzone gebracht hat, und der dann in Frankreich selbst gerade noch rechtzeitig aus dem Gefangenenlager geholt wurde, von seiner neuen Lebensgefährtin, der mutigen Einzi, die vorher in Paris noch so manches andere Dissidentenleben gerettet hat. Aber die Nachbarschaft mit den zwei umtriebigen, frischverliebten Gutmenschen Robert und Einzi geht Kálmán bald so auf die Nerven, dass er mit der Familie ein paar Häuser weiterzieht.

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Er ist nicht politisch, war er nie. Er ist nur einfach im Innersten getroffen, dass er, der „Meister“, wie sie ihn alle nannten, Emmerich Kálmán, der mit seiner „Czardasfürstin“ und der „Gräfin Mariza“ Operettengeschichte geschrieben hat, jetzt hier in Amerika heimatlos auf der Parkbank sitzt, derweil daheim in Wien die Nazis seinen Besitz eingestrichen und seine Villa annektiert haben. Das Leben, eine melancholische Operette: Auf einmal erscheint jene berühmte Heimwehszene des enteigneten und heimatlosen Grafen Tassilo in „Gräfin Mariza“ wie eine Vorahnung seiner eigenen Biographie:

Emmerich Kálmán „Grüß mir mein Wien“ aus „Gräfin Mariza“ Piotr Beczala SWR

Tja – damit ist womöglich schon alles gesagt über Emmerich Kálmán: Das ist nicht einfach „nur“ Operette, diese Musik berührt mehr als so manche große Opernarie und ist viel mehr als das Klischee, das sie bedient…Piotr Beczala war das als Tassilo in „Graefin Mariza“.

„Masters of Viennese Music“ heißt die Konzertreihe, die Robert Stolz ab Anfang der 1940-er Jahre erfolgreich in der Carnegie Hall startet – hier versammelt der freiwillig ins Exil gegangene Operettenkönig die anderen aus Wien vor Hitler geflüchteten und in New York gestrandeten Komponisten des alten k.u.k. und dirigiert ihre publikumswirksamsten Stücke: Ralph Benatzky ist mit von der Partie, auch Jaromir Weinberger, der Prager Opernkomponist, - sie machen mit, um endlich mal wieder aufgeführt zu werden, ein Publikum zu haben, sich für einen Abend wieder in verlorenem Glanz zu sonnen…Nur einer ist bei diesen nostalgischen Wien- Konzerten niemals dabei, und das ist Emmerich Kálmán. Dort gespielt zu werden, wäre für ihn vielleicht das Eingeständnis der endgültigen Niederlage gewesen – und Niederlagen kamen bei Emmerich Kálmán eigentlich nicht vor. Von seinem Durchbruch, dem „Zigeunerprimas“ im Jahr 1912, bis zu „Die Herzogin von Chicago“ 1928 ist in Wien, Berlin und Budapest ausnahmslos jedes seiner Bühnenwerke bejubelt worden – in der Wiener Neuen Freien Presse schrieb

3 mal einer: „Verdi, Richard Wagner, Puccini hatten Misserfolge, bei Kálmán ist das ganz ausgeschlossen.“

Klar, an seinem großen Konkurrenten, dem noch einen Hauch erfolgreicheren Lehár, ist Kálmán nicht vorbeigekommen, entsprechend war das Verhältnis zu ihm schon immer angespannt, noch bevor Lehár zu Hitlers erklärtem Lieblingskomponisten befördert wurde. Aber neben Lehár war es eben Emmerich Kálmán, der die zweite Hochphase der Operette, die silbernen Jahre, bestimmt hat, spätestens ab 1915, als unter ungeheurem Publikumsjubel im Johann Strauß-Theater in Wien die „Czardasfürstin“ Premiere hatte – dieses ganz besondere Stück mit seiner völlig unwiderstehlichen Musik, dieser traurige, ausgelassene, nostalgische und wilde Abschiedskuss für Österreich-Ungarn…

Emmerich Kálmán Gräfin Mariza, Heia, in den Bergen… Anna Netrebko Prague Philharmonic Orchestra Emmanuel Villaume DGG 6125406

Dass eine Anna Netrebko dieses Auftrittslied der Varietésängerin Sylva alias „Die Czardasfürstin“ zu einem ihrer Signaturstücke gemacht hat, ist natürlich kein Zufall: Die Operette im Allgemeinen mag heute im Großen und Ganzen abgemeldet sein, Strauß und Lehár mögen schwächeln – aber die „Czardasfürstin“ läuft und läuft und läuft, an kleinen wie an großen Bühnen - 2017 zum Beispiel am Theater Magdeburg und bei der Sängervereinigung Nidderau-Windecken. 2018 an der Wiener Volksoper, am Staatstheater Cottbus, an der Staatsoperette Dresden, dem Theater Koblenz und dem Theater Winterthur, 2019 an der Züricher Oper und bei den Schlossfestspielen Langenlois, 2020 in Ulm und in Annaberg-Buchholz…Und das ist nur eine zufällige und kleine Auswahl. Was ist bloß dran an diesem Stück, dass es so zeitlos anziehend für Theatermenschen ist? Natürlich ist das zuallererst die Musik – genau wie Lehár und sonst eben keiner hatte Kálmán diesen Zug zum Opernkomponisten, er beherrscht die großen, dramatischen Auftritte und die intimen, gefühlvollen Duette, und er hat

4 sie wunderbar farbig instrumentiert. Aber er hat auch ein Haendchen für die eingängigen Couplets, die in der „Czardasfürstin“ der schon leicht bröckelnden Sphaere der adligen Lebemänner zugeordnet sind. Offiziell wird der Adel erst nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft, aber in der Czardasfürstin ist er schon nurmehr ein ziemlich verpeilter Haufen von Statusinhabern, die jeden zweiten Satz mit „Weißt du noch?“ anfangen. Die Welt, die mit der Czardasfürstin auf ihr Ende zusteuert, das ist die Welt, in der die „Grafen nicht vor drei Uhr morgens schlafen“ gehen, in der Varieté-Künstlerinnen „Mädis“ genannt werden – „die Mädis vom Chantant“ werden da besungen von schnurrbärtigen, abgehalfterten k.u.k.-Adligen im Frack, die die halbnackten Tänzerinnen backstage ganz selbstverständlich im Vorbeigehen befingern, es ist eine Welt, in der ständig irgendwer „Champagner!“ ruft, und unfehlbar die Antwort kommt: „Bittschön, Herr Baron!“ – und doch spürt man in diesem Stück, dass es schon die Welt von gestern ist. Weil man irgendwie ahnt, dass die, die da eben noch in Frack und Lackschuhen auf lässig machen, demnächst in Uniform im galizischen Matsch sitzen. Und auch und nicht zuletzt, weil dann eins dieser Mädis am Ende ganz offiziell den jungen Herrn Baron Lippert-Weylersheim heiraten darf, und zwar ohne dass kurz vor Schluss noch eine Urkunde auftauchen muss, die belegt, dass sie ja eigentlich auch eine Gräfin ist…

SWR Emmerich Kálmán Die Maedis vom Chantant Divers

….Es sind solche Couplets, die man, einmal gehört, trotz aller Anstrengung nicht mehr aus dem Kopf kriegt und tagelang vor sich hinpfeift, die Ralph Benatzky meinte, als er einen richtig guten Ohrwurm beschrieben hat, Sie erinnern sich vielleicht: „Was jede Köchin summt, was jeder Kutscher brummt, was jeder kleine Schusterbub pfeift, der Dümmste begreift, ans Idiotische streift…“ undsoweiter, ja, das hat Emmerich Kálmán wahrlich drauf gehabt.

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Aber dann gibt es da bei ihm eben auch noch diese ganz spezielle feurige Dringlichkeit, wie sie kein anderer Komponist aus seiner Sphäre entwickelt hat, nennen wir’s mal das „Czardas-Element“: Kálmán, geboren als Imre Koppstein in Siófok am Balaton, hat Ungarn nicht bloß im Kopf, sondern auch in den Knochen und im Gemüt gehabt, bei ihm ist die scharf, oft fast spröde akzentuierte ungarische Volksmusik und das, was man damals „Zigeunermusik“ nannte, stellenweise so original erhalten und so sinnlich, dass man vielleicht erst, wenn man Kálmán gehört hat, versteht, wie die vertrackten Rhythmen seines Landsmanns Béla Bartók eigentlich gemeint sind.

Aber es ist nicht NUR die Musik, es ist auch das Sujet, und es ist diese diskrete Endzeit-Melancholie, mit der die „Czardasfürstin“ überglänzt ist – tatsächlich handelt es sich ja um ein echtes Weltuntergangswerk: 1914 hat Kálmán mit dem Stück begonnen, aber erst 1915, als der Weltkrieg ausgebrochen war, hat er sich mit seinen zwei Librettisten zur Hauptarbeit zusammengesetzt, und zwar, genius loci sei bei uns, in Bad Ischl, Kaisers Sommerfrische im Salzkammergut. Dorthin war, dem Kaiser folgend, in den Vorkriegsjahrzehnten sommers immer die gesamte Hochadelsbagage und Künstlerschickeria gepilgert, - aber jetzt ist es auf unheimliche Weise ausgestorben dort. Und tatsaechlich schleicht sich dann in den zweiten und dritten Czardasfürstin-Akt, die dort nach Kriegsausbruch entstanden sind, so ein „Ist doch eh schon alles egal“- Unterton ein, der das Ganze erst so ungeheuer anziehend macht: „Lass die ganze Welt versinken“, singen sie im Liebeswalzer-Duett „Tausend kleine Engel singen“…

Emmerich Kálmán Die Czardasfürstin, Tausend kleine Engel singen Nicolai Gedda Symphonie-Orchester Graunke LTG Willy Mattes Warner 4918022

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…Regisseur Peter Konwitschny hat dazu vor zwanzig Jahren in seiner skandalisierten Dresdner Inszenierung Stahlhelme in ausgebombten Hotels schunkeln und eine kopflose Leiche über die Bühne tanzen lassen – großes Bohei damals, seitdem machen es eigentlich alle so… Aber es braucht für diese „Czardasfürstin“ gar nicht solche Inszenierungen mit dem Hervorhebstift – man muss eigentlich nur mal die große Fritzi Massary hören, wie sie den Weltuntergangs- Czardas aus dem dritten Akt singt, mit dem bei genauem Hinsehen wirklich fabelhaften Text von Leo Stein und Bela Jenbach : Jaj, mamam, Bruderherz, ich kauf mir die Welt – Jaj, mamam, was liegt mir am lumpigen Geld – weisst du, wie lange sich der Globus noch dreht, und ob’s morgen nicht schon zu spät…Man muss, sage ich, nur hören, wie Fritzi Massary das singt, um zu wissen, was es in dieser Czardasfürstin geschlagen hat. Das heftige Knistern müssen Sie sich bei der Aufnahme jetzt irgendwie wegdenken – sie stammt nun mal aus dem Jahr 1916, da war die Czardasfürstin in Berlin angekommen und hatte mit der Massary in der Hauptrolle ihre Idealbesetzung gefunden…

Fritzi Massary, Tochter aus gutbürgerlich jüdischem Wiener Hause, heißt, als sie 1916 in Berlin die Sylva in der „Czardasfürstin“ übernimmt, schon nur noch „Die Massary“ – sie ist die grandioseste, glamouröseste, und tatsächlich einfach die beste Operetten-Sängerin ihrer Zeit. Sie kriegt die höchsten Gagen, die Frauen in Berlin und Wien kopieren ihre Frisuren und ihre Art zu sprechen, in Berlin wird sie zur Königin des Metropol-Theaters, der damals führenden Operetten-Bühne. Und das alles vollkommen zu Recht – diese Frau war genial.

„Sie ist“, schrieb Kurt Tucholsky über sie, „die einzige Darstellerin der grande cocotte, die unser Theater zur Zeit besitzt. Das ist eine Schmeichelei in Deutschland, wo die Schauspielerinnen jedesmal eine Art Krampf bekommen, wenn sie bürgerliche Unzuverlässigkeit zu markieren haben...Sie kriechen mit schwerem Huch! Unter die rosa Bettdecke, halten sich unten die Röcke zu, sehen durch die gespreizten Finger und gleichen im ganzen der Kuhmagd Alwine, die sich vor dem Viehtreiber im dunklen Wald fürchtet, obgleich er mit seinem Bullen beschäftigt ist.“ – Ganz anders, so Tucholsky, hat es diese eine, Einzigartige gemacht: „Sie“, schwärmt er, „spielt nie heute Abend. Sie spielt heute Abend, aber ihr ganzes Vorleben zieht sie nach sich...

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Sie weiß, dass er weiß, dass sie weiß. Sie wissen beide – nur sie immer ein Lot mehr als er, und auch dies Mehrwissen weiß sie, also zwei. Und mit diesen zwei Lot operiert sie...und uns plagt die infame Neugier, sie einmal schrankenlos zu sehen. Aber sie wird sich hüten: sie weiß sehr gut, dass die Grenzen das schönste an der Heimat sind.“

Leo Fall Madame Pompadour, Joseph, ach Joseph Fritzi Massary, Max Pallenberg Duo-Phon 4020631

Das hier ist die Massary in Leo Falls „Madame Pompadour“ zusammen mit ihrer großen Liebe, ihrem Ehemann Max Pallenberg – 1917 haben die zwei geheiratet, da war sie die größte Operettendiva und er der gefragteste Charakterkomiker dieser Zeit, Pallenberg war ein Riesenstar bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin, später hat er dann in Brechts Dreigroschenoper gespielt, dazu den Mephisto in Goethes „Faust“ und den Teufel im Jedermann bei den Salzburger Festspielen. Als „entgleisten Gott und großen Künstler“ hat Kurt Tucholsky ihn mal beschrieben. Das Ehepaar Pallenberg, immer unzertrennlich, ist 1933 bei Hitlers Machtergreifung aus Berlin weg nach Österreich gegangen – und dann hat das Schicksal dreingehauen: 1934 ist Max Pallenberg auf einer Gastspielreise in die Tschechoslowakei mit dem Flugzeug abgestürzt. Und Fritzi Massary hat alleine in die USA fliehen müssen, als die Nazis auch nach Wien kamen – sie hat in Kalifornien bei ihrer Tochter in der Nachbarschaft von Thomas Mann, Werfels und Tutti quanti noch bis 1969 gelebt und ist bei Ankunft begeistert von Greta Garbo und Charlie Chaplin begrüßt worden, die ihre Aufnahmen kannten und bewunderten, aber sie ist nie wieder aufgetreten – ihr unglaublicher Instinkt für Tempo und Verzögerung funktionierte eben nur mit deutscher Sprache und Musik…Oder, mit anderen Worten, in der „guten alten jüdischen Operette“ – so hat es Alfred Grünwald ausgedrückt, der Librettist von Kálmán, Lehár, Oscar Straus, Robert Stolz, Leo Fall, , ach, eigentlich von allen, er hat damit das eigentliche Geheimnis preisgegeben: Fast alle die genialen Macher der Operette, Komponisten, Librettisten, Sängerinnen und Sänger, waren – Juden.

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Fritzi Massary war wahrscheinlich Emmerich Kálmáns herausragendste Darstellerin, sie hat seine, und übrigens auch Franz Lehárs Stücke in Berlin zu Sensationen gemacht, als Lustige Witwe, als Czardasfürstin, als Gräfin Mariza. Aber auch Max Pallenberg ist aus Kálmáns Geschichte nicht wegzudenken: Dank seiner grandiosen Komik ist nämlich 1909 im Kálmáns erste größere Produktion unter dem Titel „Ein Herbstmanöver“ ein Erfolg gewesen, danach war Kálmán groß im Geschäft – nicht zuletzt dank Max Pallenberg, der als trotteliger Leutnant der Reserve DEN Ohrwurm des Stücks zelebrierte, an dem er selber mitgeschrieben hat: „Mein Freund Löbl“.

Emmerich Kálmán Herbstmanöver, Mein Freund, der Löbl Max Pallenberg DuoPhon CD0538

Das „Herbstmanöver“ ist also, nicht zuletzt dank Max Pallenberg, ein erster großer Achtungserfolg für Kálmán in Wien gewesen – und Robert Stolz hat damals auch schon mitgemischt, er hat am Theater an der Wien korrepetiert und die Partien einstudiert, und in seinen Memoiren hat er Emmerich Kálmáns immer präsente Melancholie sehr schön beschrieben: „Sein Pessimismus und Weltschmerz“, so Stolz, „waren so groß, dass er den Erfolg der Operette einfach nicht wahrhaben wollte.

Er wurde vom Publikum enthusiastisch gefeiert, doch saß er bei der anschließenden Feier einsam und düster in seinem Eck“, so Robert Stolz. So wird das bleiben bei Kálmán – wenn dann Jahre später in den USA seine glamoursüchtige Frau Vera (wir kommen auf sie noch zurück…) die legendären Kálmán’schen „Gulaschparties“ schmeißt, um ihren Gatten in der Szene zu promoten, da wird Kálmán sich dann meistens den ganzen Abend bei der ungarischen Köchin in der Küche verstecken, derweil draußen auf der Fete halb Hollywood herumsteht… Emmerich Kálmán ist zwar selbstbewusst, was sein Genie angeht, aber er ist viel glücklicher, wenn er in kleinster Runde mit seinen Librettisten kaffeetrinkend und streitend bei der Arbeit ist, und ansonsten ist er nun mal alles andere als ein Feierbiest, weil er selbst im größten Triumph noch düstere Gedanken wälzt. Diese

9 grundsätzliche melancholische Eintrübung seines Wesens ist es ja vermutlich auch, die seine Musik um diese kleine Nuance anziehender macht als die von anderen berühmten Kollegen…

Emmerich Kálmán Gräfin Mariza, Du hast in deinen Augen… DuoPhon 9987401

Der Tango-Mann hier wiederum ist Hubert Marischka, der da eine Nummer aus Kálmáns zweitem Welterfolg, der „Gräfin Mariza“ zum Besten gibt.

Die Marischkas sind Wiener Theateradel in Reinkultur – das ganze 20. Jahrhundert durch hat diese Künstlerdynastie beim Theater und beim Film prägend mitgemischt, Huberts kleiner Bruder Ernst Marischka fängt als Stummfilm-Drehbuchschreiber an und wird dann in den 50-er Jahren mit Romy Schneider die berüchtigten Sissi -Filme drehen, Hubert selbst ist Schauspieler und Tenor und umtriebiger Theatermacher in Wien zwischen den Kriegen, ab 1923 ist er der Direktor vom Theater an der Wien, damals Wiens zentrales Operettenhaus, und seinetwegen wäre die „Gräfin Mariza“ dort beinahe NICHT rausgekommen. Marischka reagiert nämlich äußerst verschnupft, als Kálmán ihm den ersten Akt vorspielt und er darin die für ihn geschriebene Rolle des Grafen Tassilo, der sich inkognito und verarmt bei der Gräfin Mariza als Gutsverwalter verdingt, so gar nicht nach seinem Geschmack findet. Dass der von der Gräfin im ersten Akt so von oben herab behandelt wird und sich das auch noch gefallen lässt, findet Hubert Marischka irgendwie unmännlich und überhaupt hat ihm das ganze Stück zu wenig Biss,- großer Krach, Funkstille für fast ein Jahr. Dann erklärt Marischka sich doch nochmal ausführlicher zu der Rolle: Der Tassilo, beschwert er sich, habe „…so gar nichts Warmes, nichts Menschliches“, und ausserdem – da lag wohl der Hase im Pfeffer – hat er keine richtig dramatische Szene, mit der man ordentlich Effekt machen kann. Marischka fantasiert so vor sich hin von einer Nummer, die er mal vor Jahren improvisiert hat, als er einen depressiven ungarischen Grafen spielte, den es nach Amerika verschlagen hat – als er dort ein Zigeunerorchester spielen hört, schnappt er sich die Geige des Primas, geigt sich eins vom Heimweh und tanzt dann noch einen Czardas…

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SO, findet Marischka, muss eine gute Szene für ihn aussehen. Kálmán und seine Texter Brammer und Grünwald gehorchen, und jetzt erst entsteht die berühmte Szene, die den Tassilo so wunderbar charakterisiert: wie er draußen steht, während drin in der Gräfin Schloss gefeiert und getanzt wird, und wie er sich dann in einer Mischung aus Wut und Sehnsucht an sein altes Leben erinnert…Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt ist Emmerich Kálmáns Musik dazu, und setzt damit den Ton fürs ganze Stück. Hubert Marischkas damalige Frau Lilly – ihrer beider Sohn hieß übrigens dann Tassilo – Lilly also erzählt, dass Marischka es sich zur Aufgabe gemacht hat, in jeder Vorstellung während dieser Szene eine Flasche Sekt zu köpfen und auch in Echtzeit auszutrinken, um sie dann zum Czardas am Schluss leer hinter sich in die Kulisse zu werfen. Dieser Mann hat noch echte Opfer gebracht für die Kunst.

Emmerich Kálmán Gräfin Mariza, Auch ich war einst ein feiner Czardaskavalier – Komm, Zigan Fritz Wunderlich Kölner Rundfunkorchester, Franz Marszalek Warner 4147319

Die Gräfin Mariza von 1924 ist, wenn man auf die Genregeschichte der Operette schaut, ein Endpunkt, und ein bisschen ist sie eigentlich auch ein Rückschritt gewesen – sie beschwört noch ein allerletztes mal mit authentischem Gefühl und viel ungarisch-zigeunerischem Schmackes eine Welt, die eigentlich in der Czardasfürstin zehn Jahre vorher schon untergegangen war. Aber nach dem Weltkrieg waren die restaurativen Tendenzen nun mal gerade in Österreich, das von seiner Weltreich- Vergangenheit nur schwer Abschied genommen hat, extrem stark: Genau das wünschten sich alle: Dass es bitte wieder so sein sollte wie vorher, mit Kaiser und k.u.k. und Czardas und Walzer und Wien, Wien nur du allein und Grafen, die nicht vor drei Uhr schlafen gehen…und Kálmán und seine neuen Erfolgslibrettisten und Alfred Grünwald haben geliefert: Deshalb muss dann Tassilo, der Held in der „Mariza“ eben doch ein Adliger sein, der am Schluss auch durch einen doofen Dreh, in dem Fall eine reiche Tante, sein Vermögen wiederkriegt und zuletzt wieder drin sitzt im Schloss, statt davor, und mit seiner Gräfin Champagner trinken kann. Die Leute wollten das – dachten jedenfalls Kálmán und seine getreuen Librettisten

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Brammer und Grünwald und haben in der „Gräfin Mariza“ noch einmal die alte Czardas-Karte gespielt. Allerdings ist es dann in den Jahren danach auch ihnen nicht verborgen geblieben, dass sich die Welt weiterdrehte – vor allem an einem Thema kam man in den 1920-er Jahren einfach nicht vorbei, und das war Amerika.

ZITAT Kálmán, Die Herzogin von Chicago

Tatsächlich haben Kálmán und seine Librettisten dann als nächste Großtat ein Stück nachgeschoben, in dem sie sich, vordergründig zumindest, ganz zeitgemäß und hip geben, indem sie es im roaring-twenties-Jahr 1928 mit lauter Amerikanern bevölkern, die Charleston tanzen und überhaupt wahnsinnig modern sind –

ZITAT Kálmán, Die Herzogin von Chicago

…aber Amerika und seine Amerikaner werden dann im Verlauf von „Die Herzogin von Chicago“ als oberflächlich denunziert, diese ständig überlauten Yankees wollen ja nur die alte Welt aufkaufen, sogar, horribile dictu, einen k.u.k.-Prinzen! - und letztlich gewinnen bei diesem Clash of Cultures wieder die, mit denen Kálmán eben all die Jahrzehnte davor so ungeheure Erfolge gefeiert hat, seine treuen Gefährten Czardas, Walzer, Ungarn und Wien, sprich: das Stück ist vor allem ein Hoch auf die alte Welt, das zwar noch relativ gut ankam beim Wiener Publikum, das aber im Jahr 1928 dann eben doch endgültig am Geist der Zeit vorbeizielte. Und trotzdem, auch wenn die Message der „Herzogin von Chicago“ allzu altbacken war: Kálmáns Amerika-Musiken, die Jazzband-Einlagen, Charlestons, Cowboylieder und Märsche, sind richtig gut geworden – und auch bei der Besetzung der weiblichen Hauptrolle, Miss Mary Lloyd aus Amerika, hat er einen visionären Geschmack bewiesen: Rita Georg war ursprünglich eine Entdeckung von Franz Lehár, und sie war genau der neue Typ Frau, der jetzt in Mode kam: dünn und herb und frech, mit Bubikopf und dieser kleinen, schnippischen Stimme singt sie vom „Slowfox mit Mary“ – mit diesem Stück ist Emmerich Kálmán noch vor seiner Emigration in Amerika angekommen.

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Emmerich Kálmán Ein kleiner Slowfox mit Mary Rita Georg RV Musik 2704

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