Tiroler Heimatblätter 2/09 Zeitschrift Für Heimatpflege in Nord- Und Osttirol 84
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Tiroler Heimatblätter 2/09 Zeitschrift für Heimatpflege in Nord- und Osttirol 84. Jahrgang 150 Jahre Tiroler Kolonisten in Peru 150 Jahre Tiroler Kolonisten in Peru. Moderner Wandel in Pozuzo am Andenostabhang Von Ernst Steinicke und Martina Neuburger „Einzige österreichisch- und 50 Rheinländer. Als Gründungstag deutschen Sprachinsel im östlichen An- deutsche Kolonie der Welt“ der Kolonie Pozuzo, der so genannte Día denraum.4 Die folgenden Ausführungen del Colono, gilt der 25. Juli 1859. Zwar beschränken sich daher darauf, den Bei- Mit dem Gedanken, den ostandinen kamen im Jahr 1868 auf Betreiben der trag der Tiroler Siedler an der Erschließung Raum sowie die Waldgebiete am oberen Kolonisten weitere 180–200 Tiroler an die der peruanischen Andenostabdachung Amazonas zu erschließen, ermöglichte es Andenostabdachung, wieder aus dem sowie den modernen sozialen und wirt- Peru Mitte des 19. Jahrhunderts auch Oberinntal, aber dann geriet die Einwan- schaftlichen Wandel, der den Erhalt der nichtspanischen Immigranten, sich in derung ins Stocken; denn die geplanten Tiroler Siedlungen ernstlich bedroht, auf- diesem südamerikanischen Staat anzu- Verkehrsverbindungen wurden nicht ge- zuzeigen. siedeln. Östlich der Sierra, im Oriente, baut, und so hatte man in Peru auch die Bei Pozuzo handelt es sich nicht – wie entstanden dabei zahlreiche staatlich ge- großen Ansiedlungspläne aufgegeben. fälschlicherweise in Film und Schrifttum förderte Pionierzonen.1 Eine davon war Die neue Kolonie wurde sich selbst über- oft behauptet – um ein Dorf. Die ersten das ca. 180 km lange Längstal entlang lassen, mitten im Urwald und fünf Tages- weißen Siedler beanspruchten ein ganzes des Río Huancabamba, der nach dem reisen von der nächsten größeren Sied- Tal und drangen nach einigen Jahrzehn- Zusammenfluss mit dem Río Santa Cruz lung entfernt. ten auch in die umgebenden Höhenberei- den Namen wechselt und fortan als Río Über Details zu der abenteuerlichen An- che vor. Die „einzige österreichisch-deut- Pozuzo2 bezeichnet wird. Dieses Gebiet reise ist bereits mehrfach und eingehend sche Kolonie der Welt“ (span. única colo- bildete schon vor der spanischen Erobe- an anderer Stelle berichtet worden, auch nia austro-alemana en el mundo), wie sich rung den Begegnungsraum zwischen den über die historischen Etappen dieser Pozuzo in der Tourismuswerbung seit Hochland- und den Tiefland-Indígenas3. Nach einigen fehlgeschlagenen Projekten Abb. 1: Das Untersuchungsgebiet schloss Damian Freiherr von Schütz- Holzhausen, der vorher für Siedlungsun- ternehmungen in den USA gearbeitet hatte, mit der peruanischen Regierung ei- nen Vertrag ab, der eine Ansiedlung von 10.000 katholischen Deutschen am obe- ren Pozuzo vorsah. Peru verpflichtete sich zudem, noch vor der Ankunft der Ko- lonisten eine Straße von Lima über Cerro de Pasco nach Pozuzo zu bauen. Auch sollte die Kolonie mit Saatgut und Vieh versorgt werden. Schütz-Holzhausen suchte sich seine Leute in Tirol und im Rheinland – Gebiete, in denen damals tiefe Not herrschte. Die meisten Auswanderer kamen aus den Ti- roler Realteilungsgebieten im Oberinntal, eine größere Anzahl aus armen Winzerge- meinden des Moseltals. Dazu gesellten sich noch einige wenige Bayern. Insge- samt schifften sich im Jahr 1857 rund 300 Auswanderungswillige auf dem Segler Norton in Antwerpen ein. Erst nach zwei- jähriger Wartezeit und unter großen Ent- behrungen kamen die Auswanderer 1858/59 – zahlenmäßig stark dezimiert – in das für sie bestimmte Tal: 120 Tiroler 50 Tiroler Heimatblätter 2/09 Mitte der 1990er-Jahre positioniert, um- fasst das Dorf Tirol, heute Pozuzo-Centro (2007: 857 Ew.), das benachbarte Rhein- land, heute Prusia (2007: 323 Ew.) sowie weitere 45 Ortschaften und Höfegruppen (Caseríos). Alle diese bilden den Distrikt Pozuzo, der verwaltungsmäßig seit 1972 zur Provinz Oxapampa (Departamento Pasco) zählt, und für den die letzte Volks- zählung (2007) 7760 Einwohner aus- weist.5 Da die Rheinländer und die wenigen Bay- ern schon in der zweiten Generation in der Tiroler Bevölkerung aufgingen – nicht zuletzt auch durch den Einfluss der aus Tirol stammenden geistlichen Führer- schaft –, ist es nicht unberechtigt, etwa ab 1880 die Auswanderer samt ihren Nachkommen als eine Gruppe zu be- trachten. Wenn im Folgenden von den „Tiroler Kolonisten“ die Rede ist, so sei jedoch aufmerksam gemacht, dass hier- bei immer nur die Deutschtiroler gemeint sind. Italiener waren in der zweiten Hälfte Abb. 2: Landbesitz- verhältnisse in Pozuzo des 19. Jahrhunderts zahlenmäßig die im Jahr 1897.10 wichtigsten Immigranten im östlichen Deutlich ist noch die Südamerika, zum Teil aber auch in Peru. ursprüngliche Anlage Zu einem nicht unerheblichen Teil kamen als Waldhufenflur diese aus dem Trentino, also aus Welschti- erkennbar. rol, und sind daher ebenso als Tiroler zu sehen.6 So finden sich die „italienischen“ geben und von Wald überwuchert wor- derungswelle vorgesehen war. Somit Kolonisten der Pionierzone von Chancha- den.8 Erst nach der Niederlassung der wurde bereits im Jahr 1868 der Grund- mayo (mit den Siedlungen La Merced und europäischen Kolonisten drängten auch stein zur ersten Tochtersiedlung von Po- San Ramón) in unmittelbarer Nachbar- die Quechuagruppen aus dem Hochland zuzo gelegt. schaft mit den Tochtersiedlungen von Po- wieder in die Waldtäler im Raum von Po- Ein beträchtliches Problem dieser Agrar- zuzo.7 Die Geschichte der Welschtiroler zuzo vor. Im Gegensatz zu den Yanesha kolonisation bildete die Umstellung auf Auswanderer nach Peru ist jedoch noch suchten diese schon sehr früh den Kon- die tropischen Bedingungen. Dies betraf nicht geschrieben worden. Auch vorlie- takt mit den Deutschsprachigen. weniger die Temperaturverhältnisse. Zwar gender Beitrag kann diese Lücke im Die Verteilung des Grundbesitzes ge- ist es in Pozuzo (Seehöhe am Talgrund Schrifttum nicht schließen. schah ähnlich wie bei einer mittelalterli- um 820 m) noch amazonisch-feuchtheiß, chen Waldhufensiedlung. Die Größe der doch mildern die regelmäßigen, z. T. kräf- einzelnen Landlose wurde mit Schritten tigen Berg- und Talwinde die Schwüle Deutschtiroler besiedeln abgemessen. Manche Siedler kamen da- merklich. Die rasche Erschöpfung der den ostandinen Raum bei sehr schlecht weg. Schon aus diesem Bodenfruchtbarkeit und die hohe Relief- Grunde ist es verständlich, wenn sich vie- energie machten jedoch eine Landwech- Zu Beginn des 18. Jahrhunderts haben le auf dem zugeteilten Boden nicht halten selwirtschaft mit flächenintensiven Ro- Franziskaner das Pozuzotal aufgesucht, konnten und wegzogen. Dies gilt insbe- dungen notwendig. Diese Wald-Feld- um die dort lebenden Yanesha zu be- sondere für die Immigranten der zweiten Wirtschaft mit Stubben- und Brandro- kehren. In der Folgezeit scheinen in diese Welle (1868), von denen nur ein Teil im dung, Mischanbau, Fruchtwechsel und Täler indigene Gruppen aus dem Hoch- Gebiet von Pozuzo blieb. Die meisten langen Brachezeiten blieb im Wesentli- land (Sierra) eingedrungen zu sein; jeden- wanderten nach kurzer Zeit ab, einige chen bis in die 1980er-Jahre hinein erhal- falls lassen sich fast alle Ortsnamen aus hatten sich gleich nach der Ankunft bei ten. der Quechua-Sprache zurückführen. Im den Landsleuten weiter nach Osten in Die Fortzüge erlaubten aber den zurück- Jahr 1842 soll es am Pozuzofluss zehn das Andenvorland durchgeschlagen, wo bleibenden Pozuzinos, ihre Parzellenflä- bis zwölf Hütten mit Cocafeldern gege- – in rund 50 km Luftlinie von Pozuzo ent- che zu vergrößern: Die Kolonie zählte im ben haben. Noch vor Ankunft der weißen fernt – mit Puerto Mairo ohnehin ein mög- Jahre 1870 insgesamt 85 Besitzungen Siedler waren aber diese Kulturen aufge- liches Zielgebiet für diese zweite Einwan- und 1897 102, von denen mehr als die Tiroler Heimatblätter 2/09 51 Abb. 3a: Traditionelles Pozuziner Gehöft – heute. Typisch ist der aus Holz er- Abb. 3b: Pozuziner Gehöft im Jahr 1932. Das Foto stammt vom ehemaligen richtete hochgestellte Hof (mit selbständigem Küchenanbau) (Foto Ernst Stei- Ordinarius für Geographie Hans Kinzl, der in Pozuzo biodemographische Stu- nicke im Dezember 2008). dien verfolgte.12 Hälfte eine Fläche unter 20 ha umfasste. worben hatte und mit einer Pozuzina ver- des Amazonas herzustellen. Im Jahr 1889 Freiwerdendes Land ließ die Bauern ihre heiratet war, die Idee vor, die Kolonie Po- folgten elf Kolonistenfamilien aus Pozuzo Besitze weiter aufstocken: Führende Fa- zuzo rund 80 km talaufwärts im weiten dieser Idee, und 1890 zogen weitere neun milien konnten so ihre Parzellenfläche bis Becken von Oxapampa zu verlegen.13 Familien hierher. Böttgers verkehrsgeo- in die 1930er-Jahre auf rund 60, einige Mit der Umsiedlung in das gesündere, graphisches bzw. -politisches Vorhaben sogar auf über 100 ha vergrößern.9 verkehrsgeographisch und landwirt- scheiterte jedoch. Das ausgezeichnete, schaftlich auf einer Seehöhe von über malariafreie Klima hat dem Gebiet als 1800 m günstiger gelegene Oxapampa Wirtschafts- und Erholungsraum erst Vertikaler Siedlungsausbau und wollte er einen neuen Schritt zur Umset- später Vorteile gebracht, nachdem eine Gründung von Tochtersiedlungen zung des alten peruanischen verkehrspo- Straßenverbindung in die Sierra zum litischen Vorhabens setzen, nämlich eine Hauptort Cerro de Pasco geschaffen Im Zusammenhang mit den Güterzusam- brauchbare Verbindung zwischen der wurde.14 Mit 14.190 Einwohnern (2007) menlegungen vollzog sich ab 1910 eine Sie rra und einem schiffbaren Nebenfluss ist Oxapampa heute der zentrale Distrikt nachhaltige Änderung im Siedlungsbild der Kolonie. Ursprünglich waren die Häu- ser entlang