Starke Kinoheldinnen
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Starke Kinoheldinnen Weibliche Figuren im zeitgenössischen Mainstreamkino Dissertation zur Erlangung des Grades der Doktorin der Philosophie eingereicht an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg im Promotionsfach Medienwissenschaft von Marie Helena Weitbrecht, geb. Harder Hamburg, 2020 Tag der mündlichen Prüfung: 20.07.2016 Erstgutachterin: Prof. Dr. Kathrin Fahlenbrach, Universität Hamburg Zweitgutachter: Prof. Dr. Jens Eder, Universität Mannheim Inhalt Vorwort: Die Gretchenfrage um den Feminismus 3 Dank 11 Einleitung 12 1. Von starken Kinoheldinnen 12 2. Forschungsüberblick: Forschungsaspekte auf weibliche Filmfiguren 19 2.1 Forschungsrichtungen 20 2.1.1 Feministisch orientierte Filmtheorie und Filmwissenschaft 20 2.1.2 Empirische Medien- und Kommunikationswissenschaft 23 2.1.3 Kognitivistische Filmwissenschaft 25 2.2 Perspektiven bisheriger Forschung 27 2.2.1 Audiovisuelle Aspekte: Die Mise-en-Scène 28 2.2.2 Dramaturgische Aspekte: Der filmische Plot 38 2.2.3 Makrostrukturelle Aspekte: Inhalte und Themen 43 3. Integrativer Analyseansatz: Figurenmodelle und Plots frauenzentrierter Filme 53 4. Aufbau der Untersuchung 59 Teil I: Bausteine eines Modells frauenzentrierter Filme – Theorie und Methode 62 1. Begriffliche Vorüberlegungen 62 1.1 Patriarchat 62 1.2 ‚Feminin‘ und ‚maskulin‘, ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ 65 2. Mainstreamfilm-Plots mit weiblichen Figuren 69 2.1 Weibliche Filmfiguren 76 Frauenfiguren als Symbole: Verkörperungen von anderem 76 Frauenfiguren als Symptome und Syndrome: Das Weibliche in der Kultur 77 Frauenfiguren als Artefakte: Codierungen und Marker für „Femininität“ 78 Frauenfiguren als fiktive Wesen: Weibliches Geschlecht und ‚Frauenähnlichkeit‘ 79 2.2 Die ‚Heldin‘ als patriarchale Denkfigur 81 2.3 ‚Frauenzentrierte‘ Filme 84 3. Kulturhistorische Kontextualisierung: Plot-Typologie kanonischer Erzählungen über Frauen 89 3.1 Plot-Typus ‚Individuation‘ 94 3.2 Plot-Typus ‚Begegnung‘ 97 3.3 Plot-Typus ‚Strategieverfolgung‘ 98 3.4 Plot-Typus ‚Integration‘ 99 4. Filmische Inszenierung zentraler Frauenfiguren: Instrumentarium für die Analyse 102 4.1 Innerdiegetische Agency: Selbstbestimmtes Handeln und Überwinden von strukturellen Grenzen 103 4.2 Handlungsdispositionen und prozedurale Rhetorik: Motivationen, Ereignisse und Wertungen 105 4.3 Erzählerische Agency: Erzählperspektiven und Erzählinstanz 112 4.4 Körperlichkeit in Filmhandlungen 117 4.5 Blickstrukturen auf weibliche Körper 120 5. Zusammenführung: Multidimensionales Modell für frauenzentrierte Filme 124 Teil II: Frauenzentrierte Filme im zeitgenössischen Mainstreamkino: Quantitative Erschließung des Untersuchungskorpus 128 1. Die „Top30“ der deutschen Kinocharts 2000–2014 128 2. ‚Frauenzentrierte‘ Filme im zeitgenössischen Mainstreamkino 131 3. Produktionskontexte ‚frauenzentrierter‘ Mainstreamfilme 134 Teil III: Figurenmodelle und Plots zeitgenössischer frauenzentrierter Mainstreamfilme – Strukturell-qualitative Analyse des Untersuchungskorpus 139 1. Identitätskonflikte filmischer Frauenfiguren 141 1.1 Physisch stark und mädchenhaft: Prinzessinnen 148 1.2 Geistig stark und linientreu: Jungfrauen mit Auftrag 159 1.3 Erfolgreich und versehrt: Reine Jungfrauen 167 2. Beziehungen filmischer Frauenfiguren 179 2.1 Sehnsüchtig und vom Glück begünstigt: Errettete Fräuleins 185 2.2 Sexuell erregt und tugendhaft: Unterwürfige 190 2.3 Polarität als freie Wahl: Moderne Chicks 198 3. Handlungsstrategien filmischer Frauenfiguren 209 3.1 Eigenartig im Abseits: Hexen und Feen 214 3.2 Mit Einfühlsamkeit für die Sache: ‚Feminine‘ Unterstützerinnen 221 3.3 Rücksichtslos ‚maskulin‘: Potente Puppen 229 4. Bewältigungs- und Konfliktstrategien filmischer Frauenfiguren 244 4.1 Blutige Kreaturen: Opfer und Gefangene 249 4.2 Mit männlicher Hilfe zurück ins Leben: Passiv Bewältigende 258 4.3 Allein und heimatlos: Aktiv Reagierende 265 5. Resümee: Der Blick auf die tote Jungfrau 272 Ausblick 285 Anhang 291 1. Literaturverzeichnis 291 2. Ausgangskorpus 307 3. Filmverzeichnis 313 4. Abbildungen 320 5. Abstract: Kurzfassung der Ergebnisse der Dissertation 332 6. Abstract: Key Findings of this Thesis – English 333 2 Vorwort: Die Gretchenfrage um den Feminismus Wenn ich als Teenager und junge Erwachsene, in einer Zeit, in der es mich beschäftigte, was es bedeutete, eine Frau zu werden, in meine Lieblingskinos ging, liefen dort tiefgründige Filme mit und über Frauen. Meist waren die Geschichten kompliziert, zum Teil düster und gingen nicht gut aus. In Erinnerung blieben mir insbesondere die im Kontext um das Dogma 95-Manifest entstandenen Filme DAS FEST, DANCER IN THE DARK, DOGVILLE sowie EYES WIDE SHUT, GOSFORD PARK, 8 FRAUEN und SWIMMING POOL. Ich verließ das Kino mit dem Eindruck, dass Frausein nicht einfach war und eine Reihe von Widersprüchen mit sich brachte: Es ging viel um Sexualität und Macht und ich verstand dieses Spiel nicht – zumindest halfen mir die Filme dabei wenig weiter. Zudem fiel mir auf, dass diese Filme, wenngleich sie von Frauen handelten, in der Regel von Männern gemacht worden waren. Von Frauen produzierte und gedrehte Filme lernte ich erst bewusst in meinem Filmstudium in Frankreich kennen. Und gleichzeitig blieb der Eindruck, dass diese Filme kaum von der breiten Öffentlichkeit, wie ja auch mir zuvor, wahrgenommen wurden. Ging ich dagegen ins Multiplex-Kino, wo Filme liefen, mit denen ich mich mit Menschen, die sich nicht explizit mit Film beschäftigten, unterhalten konnte, gab es dort Filme über Superhelden, Geheimagenten, männliche Tiere oder sprechendes männliches Spielzeug. Wollte ich hier einen Film anschauen, in dem eine Frau im Mittelpunkt der Handlung stand, standen zumeist nur amerikanische Romantic Comedies zur Auswahl – oder eine seltene deutsche Komödie. Ab Anfang der 2000er Jahre gab es auf einmal auch Filme über Superheldinnen – die jedoch immer noch Ausnahmen waren. Hier verließ ich das Kino mit dem Eindruck, dass es eine Abweichung von der Norm war, eine Frau zu sein. Sowie mit einer Ahnung, dass hier wiederholt sehr ähnliche Geschichten übers Frausein erzählt wurden, die zudem einseitige Botschaften davon vermittelten, was es bedeutete, eine Frau zu sein – selbst, wenn die Filme als progressiv daherkamen. Diesen Phänomenen wollte ich auf den Grund gehen. In den Jahren 2013–2015 entstand diese Studie. Zunächst interessierten mich auch Frauenfiguren in Arthouse-Filmen, ich verstand jedoch bald, dass ich meinen Fokus eingrenzen musste, wenn ich es auf Ergebnisse abgesehen hatte, die etwas über öffentlich breit wahrgenommene Filme aussagten. Da ich vor allem die wiederkehrenden Geschichten erfassen und verstehen wollte, welche die Massenkultur übers Frausein erzählt, entschied ich mich dafür, Mainstream-Filme zu untersuchen, die in den Jahren 3 2000–2014 im deutschsprachigen Raum erfolgreich in den Kinos gelaufen waren. Im Verlauf der Sichtung eines Korpus von rund 200 Filmen mit zentralen Frauenfiguren zeigten sich mir auffällige Gemeinsamkeiten und Muster, die sich nach und nach zu Handlungs-Clustern formierten. Parallel dazu entwickelte ich im Dialog mit dem, was sich mir bei Untersuchung des Materials zeigte, meinen integrativen theoretischen Ansatz. Dieser Ansatz ermöglichte mir, breite Aussagen über ‚kulturelle Geschichten‘ über Frauen zu machen. Einige Ergebnisse hatte ich erwartet, andere überraschten mich: Was mich schockierte, war die Entdeckung, dass Frauenfiguren, die angesichts einer unbequemen Wahrheit ihre Stimme erheben, bestraft werden. Ebenso wenig hatte ich damit gerechnet, wiederholt auf eine ‚tote Jungfrau‘ als starkes Bildmotiv zu stoßen. Insbesondere diese beiden Ergebnisse zeigten mir, dass, heutzutage eine Frau zu sein – trotz vermeintlichem Fortschritt – immer noch mit alten Macht-Dynamiken verknüpft ist. Wenngleich hierzulande nicht mehr auf Gesetzesebene, so doch im Bereich des Symbolischen, und zwar in den kulturell weit verbreiteten Bildern von Mainstreamfilmen. Die Frage, die sich mir im Verlauf der Untersuchung am häufigsten stellte – im eigenen Denkprozess, im Dialog mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, sowie mit erfahrenen Wissenschaftlern lautete: „Wie hältst Du es mit dem Feminismus?“. Ich hatte keine eindeutige Antwort. Als umso wichtiger stellte sich diese Frage für die Entwicklung meiner Standpunkte heraus: Ein paar Jahre später habe ich nach reiflichen Überlegungen und vielen verworfenen Ansätzen eine – womöglich eher ungewöhnliche – Perspektive dazu. Da es naheliegt, diese Arbeit aufgrund ihres Gegenstandes als ‚feministisch‘ einzustufen und dieser Begriff derzeit sehr breit, sowie mit unterschiedlichen Hintergründen verwendet wird, definiere ich diesen nach meiner Einschätzung, bevor ich in die Studie einsteige. Zunächst zentral für die Verwendung des Begriffs ‚Feminismus‘ sind die drei ‚Wellen‘ der historischen Frauenbewegung, welche jeweils eng mit den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Situationen in Verbindung standen. Wenngleich das Modell der Wellen dafür kritisiert wird, dass es vermuten lasse, die Anliegen der vergangenen Wellen seien bereits erreicht, vollziehe ich es hier zugunsten von historischer wie wissenschaftsgeschichtlicher Orientierung nach. Als erste Welle des Feminismus gilt die Zeit um 1920, da Frauen der westlichen Welt ihre Rechte zu wählen und Eigentum zu besitzen, durchsetzten; hier ging es schwerpunktmäßig um legale Gleichberechtigung. 4 Die zweite Welle hatte ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren: In Zeiten von Friedensbewegung und ‚freier Liebe‘ stand vor allem das Überkommen konservativer Nachkriegs-Rollenbilder im Vordergrund. So berührte diese