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J. D e c k e r t , Berlin

Die RitterwanzeLygaeus equestris L in n a e u s , 1758 - das Insekt des Jahres 2007 in Deutschland und Österreich (, )

Zusammenfassung Die Ritterwanze equestris (L in n a e u s , 1758) ist das Insekt des Jahres 2007 in Deutschland und Österreich. Eine Zusammenstellung einiger Daten zu Taxonomie, Verbreitung, Wirtspflanzen, Habitatwahl, Ethologie und Ökologie wird gegeben.

Summary The seed bug Lygaeus equestris L i n n a e u s , 1758 - the of the year 2007 in and (Heteroptera, Lygaeidae).- The seed bug Lygaeus equestris (L in n a e u s , 1758) has been designated as the insect of the year 2007 in Germany and Austria. An overview on distribution, host plants, habitat selection, ethology, ecology, and systematics is given.

Einleitung Verbreitung Seit 1999 wird ein Insekt des Jahres von einem Kurato­ Die Ritterwanze ist transpaläarktisch verbreitet und im rium ausgewählt. Dieses wird vom Deutschen Entomo- gesamten Mittelmeergebiet, auch in Nordafrika sowie logischen Institut in Müncheberg geleitet und setzt sich in weiten Teilen Europas anzutreffen. Nach Norden ist aus Teilnehmern verschiedener Fachorganisationen und sie bis Südschweden und Südfinnland etwa bis zum 60. Gesellschaften zusammen, wie zum Beispiel der Deut­ Breitengrad zu finden, insbesondere auf Öland und schen Gesellschaft für allgemeine und angewandte En­ Gotland. In Südengland ist sie nur sporadisch vertreten. tomologie, der Entomofaunistischen Gesellschaft und Ihre östlichsten Fundorte liegen in Japan und auf den des NABU. Das Insekt des Jahres wird stellvertretend Kurilen. Das Areal reicht außerdem im Südosten über für die Vielzahl seiner Verwandten einer breiteren Öf­ die Paläarktis hinaus bis Nordwestindien und Pakistan fentlichkeit bekannt gemacht und jeweils am vorausge­ (G u s e v & T a t a r n ik o v 1991, P é r ic a r t 1998, P é r ic a r t henden Jahresende auf einer Pressekonferenz in Berlin in A u k e m a & R ie g e r 2001). In Deutschland ist sie weit vorgestellt. verbreitet, aber nur lokal häufig und vor allem in Süd­ deutschland in den Mittelgebirgen und den niedrigen Das Insekt des Jahres 2007, die Ritterwanze Lygaeus und mittleren Lagen der Alpen zu finden, aber auch an equestris, ist weitaus weniger verbreitet und bekannt pontischen Hängen der Oder und im Südosten der Insel als der Siebenpunkt-Marienkäfer Coccinella septem- Rügen. Lygaeus equestris ist bis auf das Saarland in al­ punctata, das Insekt des Jahres 2006. Die Wahl einer len Bundesländern nachgewiesen worden, aus Schles­ Wanze bietet die Gelegenheit, Verständnis und Wissen wig-Holstein gibt es aber keine aktuellen Fundnach­ nicht nur über diese Art, sondern auch über andere weise (H o f f m a n n & M e l b e r 2003). Wanzenarten zu fördern, die im allgemeinen keine Sympathieträger sind und weit mehr Ablehnung und Habitatwahl und Nahrungspflanzen Desinteresse hervorrufen als andere Insektengruppen. Das Vorkommen der Ritterwanze ist bei uns von der Diese Ablehnung ist, wie so oft, unbegründet und vor Verbreitung ihrer Wirtspflanzen Weißer Schwalben­ allem auf Unkenntnis der Arten und ihrer Lebensweise wurz (Vincetoxicum hirundinaria M e d ic u s ) (Asclep- zurückzuführen. Wanzen stehen in ihrer morpholo­ iadaceae) und Frühlings-Adonisröschen (Adonis ver- gischen Vielfalt, unterschiedlichen Lebensweise und nalis L.) (Ranunculaceae) abhängig. Da jedoch das oft auch besonderer Ästhetik anderen, weitaus be­ Areal von Lygaeus equestris größer ist als die Verbrei­ liebteren Insekten nicht nach. Letztendlich hat nur eine tung dieser Pflanzen, kommen auch andere Wirte in Art, die Bettwanze Cimex lectularius, alle anderen Ar­ Betracht, vor allem andere Vincetoxicum-Arten. ten in Verruf gebracht. In Mitteleuropa können nur ei­ nige Wanzenarten an Nutzpflanzen schädlich werden, Lygaeus equestris lebt nur auf extensiv genutzten Halb­ andere Arten sind einfach nur lästig, wenn sie in größe­ trockenrasen, Trockenrasen, in Trockengebüschen und rer Anzahl auftauchen, wie z. B. bei der Suche nach lichten Wäldern, oft auf kalkhaltigen Böden. Sie bevor­ Überwinterungsplätzen. Als Krankheitsüberträger beim zugt kontinentale Bedingungen und sonnige, geschützte Menschen sind nur tropische Raubwanzen in Südame­ Orte und benötigt geeignete Möglichkeiten zur Über­ rika bekannt. winterung (Felsspalten, Steinwälle, Totholz). Nahrungs­ 2 Entomologische Nachrichten© Entomologische und Berichte, Nachrichten 51, 2007/1 und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at

revier und Ort der Eiablage können einige Kilometer Zu der Gattung Lygaeus zählen gegenwärtig knapp 50 vom Überwinterungsort entfernt liegen (S olbreck Arten, außerdem einige, deren Zuordnung zu Lygaeus 1995). Die Ritterwanze kann nur existieren, wenn ne­ fraglich ist. 16 Lygaeus-Arten sind in der Paläarktis ben den essentiellen Wirtspflanzen eine ausreichende verbreitet, etwa ebenso viele in der Neuen Welt. In der Diversität von zusätzlichen Blütenpflanzen als Nah­ älteren Literatur wurde die Ritterwanze auch oft als rungsmöglichkeiten vorhanden ist. Sie ist deshalb nicht Spilostethus equestris geführt, weil die Gattung Spilo- an allen Standorten anzutreffen, an denen Schwalben­stethus StA l, 1868, einige Zeit lang als ein Synonym wurz zu finden ist. Andere Pflanzen werden in der Jah­ von Lygaeus angesehen wurde. Jedoch unterscheiden reszeit genutzt, wenn die Wirtspflanzen nicht mehr sich die vor allem in Afrika verbreiteten Spilostethus- ausreichend Nahrung bieten. So finden sich die Wan­ Arten von Lygaeus darin, dass sie keine ohrförmigen zen im Frühjahr z. B. an blühenden -Arten metathorakalen Duftdrüsenöffnungen sondern nur je­ ein und paaren sich auch auf diesen Pflanzen. Angaben weils eine einfache Rinne besitzen, auch tragen die zum genauen Eiablageort vonLygaeus equestris fand Männchen Dornen an den Hinterbeinen. Die noch heu­ ich bisher nicht in der Literatur, die Eiablage findet te zugrundeliegende Charakterisierung der Gattung Ly­ aber wahrscheinlich nicht dort, sondern in der Nähe gaeus ist wie die vieler anderer bereits im 19. Jahrhun­ von Schwalbenwurz oder Adonisröschen statt. Die ers­ dert beschriebenen nicht sehr detailliert und ten beiden Juvenilstadien leben nachS olbreck & K u ­ geht auf die Arbeiten von StA l (1868, 1872, 1874) zu­ gelberg (1972) ausschließlich an Adonis vernalis oder rück. Die Gattung Lygaeus ist wahrscheinlich paraphy- Vincetoxicum hirundinaria. Das dritte Juvenilstadium letisch, weil die für sie charakteristischen Merkmale fanden diese Autoren bereits an acht, das vierte an15 wenig aussagekräftige Plesiomorphien sind und wenig­ und das letzte Larvenstadium an30 Pflanzenarten.S ol­ stens einige Arten mit anderen Artengruppen oder Gat­ breck & K ugelberg (1972) listen insgesamt 62 ver­ tungen, wie z. B. Spilostethus, apomorphe Merkmale schiedene Pflanzenarten aus20 Taxa auf, die auf Got­ teilen. land von Ritterwanzen genutzt werden. AuchP opov In ihrem großen Verbreitungsgebiet unterscheiden sich (1973) gibt zahlreiche Nahrungspflanzen für Bulgarien die Populationen der Ritterwanze zum Teil deutlich. an, u. a. aus den Gattungen Artemisia, Digitalis, Lysi- Diese Unterschiede führten zur Beschreibung von zwei machia, Echinops, Centaurea usw. Die Wanzen saugen Unterarten L. equestris lactans H o r v A t h , 1898, aus sowohl an den sich entwickelnden und an den trocke­ Nordafrika und L. equestris siciliamts W a g n e r , 1954, nen heruntergefallenen Samen als auch an Blüten und aus Sizilien. Lygaeus equestris lactans ist im südlichen Stängeln der Pflanzen. K ugelberg (1973) hat Lygaeus Mittelmeerraum, zum Beispiel in Algerien, Marokko equestris Samen von Adonis vernalis, Cirsium arvense, und Tunesien, gefunden worden. Dort haben offenbar Vincetoxicum hirundinaria, Helianthus annuus angebo- alle Individuen eine helle Membran ohne oder mit ten und festgestellt, dass sich die Ritterwanze erfolg­ kaum erkennbarem weißem Zentralfleck, im Gegensatz reich vom ersten Juvenilstadium bis zur Imago an allen zu einer sonst vorhandenen schwarzen Membran, die diesen Pflanzenarten entwickelt, Vincetoxicum oder in der Mitte einen kreisrunden, weißen Makel besitzt. Adonis waren dazu nicht nötig, die Mortalität war je­ C a r a p e z z a (1997) hält L. equestris lactans für eine ein­ doch am geringsten, wenn eine Mischung der verschie­ fache Farbvariante, begründet seine Meinung aber denen Pflanzensamen angeboten wurde. In Ungarn nicht näher. NachT a m a n in i (1981) ist L. equestris sicili- können Schäden an Sonnenblumen verursacht werden anus ein Synonym von equestris. Die Variabilität von (H orvath et al. 2004). Sweet (2000) spricht der Ritter­ Lygaeus equestris ist außerdem in Asien größer als bei wanze in seinem Beitrag in „Heteroptera of Economic uns (W in k l e r & K e r z h n e r 1979). Importance“ jedoch nur eine untergeordnete Rolle als Schädling zu. Die Lygaeus-Arten sind allein an Hand ihrer farblichen Muster oftmals kaum zu unterscheiden. Eine Rot- Taxonomie und Systematik Schwarz-Färbung mit fast identischem Farbmuster gibt L in n a e u s beschrieb Cimex equestris in seinem Werk es zum Beispiel bei der Zwillingsart Lygaeus simulans „Systema naturae“ 1758. Das Typusexemplar, ein D e c k e r t , 1985. Corizus hyoscyami (L in n a e u s , 1758) Weibchen, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus (Rhopalidae) besitzt ein sehr ähnliches Farbmuster wie Schweden und befindet sich in der Sammlung der „Lin- Lygaeus equestris und L. simulans. In Europa haben nean Society of London“ Eine genaue Fundortbezeich­ auch die Lygaeinae Spilostethus pandurus (S c o p o l i , nung am Typus fehlt, L in n a e u s gibt Europa als Verbrei­ 1763) und Tropidothorax leucopterus (G o e z e , 1778) tungsgebiet an. F a b r ic iu s stellte 1794 die Gattung oder Pyrrhocoris apterus (L in n a e u s , 1758) (Pyrrhocor- Lygaeus auf, zu der Hunderte von Arten zählten. Diese idae) eine rot-schwarze Zeichnung. Zwar mit diesen gehören zum großen Teil heute zu anderen Lygaeidae nicht zu verwechseln, aber ebenfalls auffällig gefärbt oder zu anderen Wanzentaxa (S la t e r 1964). C u r t is ist die rote, schwarzgestreifte Streifenwanze ( Grapho- legte 1833 Cimex equestris als Typusart der Gattung soma lineatimi) und die wehrhafte Raubwanze Rhino- Lygaeus fest (S l a t e r 1964). coris iracundus. © Entomologische Nachrichten und Berichte; downloadEntomologische unter www.biologiezentrum.at Nachrichtenund Berichte, 51, 2007/1 3

Warnfärbung, Mimikry warmen Sommern kann eine zweite, nicht voll entwik- kelte Generation auftreten. Warmes, trockenes Wetter Lygaeus-Arten sind - ebenso wie viele andere Lygae­ im Sommer fördert die Populationsentwicklung der inae - mit Asclepiadaceae oder anderen giftigen Pflan­ sonnenliebenden Ritterwanze, ist aber für die Samen­ zen assoziiert und auffällig rot und schwarz gefärbt produktion ihrer Wirtspflanze Schwalbenwurz nicht (S l a t e r & S pe r r y 1973). Sie enthalten oftmals Glyco­ förderlich (S o l b r e c k 1995). Diese ist außerdem bei der side (S c u d d e r & D u f f e y 1971). Auch die rot-schwarze Schwalbenwurz von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich Färbung der Ritterwanze ist eine Warnfarbe (aposema- (S o l b r e c k & S il l é n -T u l l b e r g 1986), so dass vor allem tische Färbung). Sie nimmt von ihren Wirtspflanzen zum Akkumulieren der Fettreserven für die Überwinte­ toxische Substanzen auf, die im Körper gespeichert rung nicht immer genug Nahrung zur Verfügung steht. werden und die Wanze für potenzielle Wirbeltierpräda- Auch werden von den Wanzen die Samen der Wirts­ toren ungenießbar machen. S il l é n -T u l l b e r g et al. pflanzen, die an besonders schattigen kühlen Orten ste­ (1982) verfütterten im Versuch Ritterwanzen an Blau­ hen, nicht genutzt. meisen. Sie fanden heraus, dass eine Schutzwirkung zweifellos vorhanden, aber nicht hundertprozentig ist Die Ritterwanze ist immer voll geflügelt und kommt und auch nicht unbedingt auf einer Giftwirkung beru­ als guter Flieger in einem Landschaftsmosaik gut zu­ hen muss. Offensichtlich reicht schon der bittere Ge­ recht, das räumlich getrennte Nahrungs- und Überwin­ schmack aus, um die Wanzen vor Fressfeinden zu terungsplätze anbietet. Diese Plätze können mehrere schützen, denn in zwei Fällen konsumierten die Blau­ Hundert Meter bis mehrere Kilometer voneinander ent­ meisen die Wanzen, ohne dass sie wahrnehmbare Schä­ fernt liegen (S o l b r e c k 1995). Die Flugaktivität ist im den zeigten. Eine ähnliche Färbung wie Lygaeus eque­ Laufe des Jahres unterschiedlich. Im Herbst fliegen die stris und Lygaeus simulans gibt es auch bei Arten Wanzen zu sonnenexponierten Steinwällen, in deren anderer Wanzenfamilien. Vor allem ist die oft im glei­ Spalten sie überwintern. Die Überwinterung erfolgt chen Habitat vorkommende Zimtwanze Corizus hyos- nach eigenen Beobachtungen auch an Steilwänden in cyami der Ritterwanze sehr ähnlich. Sie lebt u. a. an den Löchern von solitären Hymenopteren oder in Hohl­ Bilsenkraut, das Alkaloide enthält, andere Wirtspflan­ räumen von umgestürzten Bäumen. Im Frühling ver­ zen dieser Art sind Ononis spp. und Erodium spp., die lassen sie ihr Winterquartier, sonnen sich an den ersten weitaus weniger stark wirksame Inhaltsstoffe haben. warmen Sonnentagen oftmals in größeren Gruppen und Die ebenfalls auffällig rot-schwarz gezeichnete Feuer­ fliegen dann zu den Eiablage- und Nahrungsplätzen. wanze Pyrrhcoris apterus wird von manchen, aber Im Spätsommer sind oft Flüge zu beobachten, die durch nicht von allen Prädatoren gemieden (E x n e r o v à et al. Nahrungsmangel verursacht werden. 2003). Man nimmt an, dass es sich um Müllersche Mi­ Die Eiablageperiode zieht sich über eine längere Zeit mikry handelt, also um Komplexe von ungenießbaren hin, liegt aber vor allem in der Blütezeit der Schwal­ Arten, die durch eine übereinstimmende Warnzeich- benwurz. Eizahl und -große, Entwicklungsdauer, In­ nung vor Fressfeinden geschützt sind. Diese Färbung dividuengröße und Lebensdauer sowie natürliche muss von den Fressfeinden nur einmal gelernt werden. Feinde sind regional sehr unterschiedlich (S o l b r e c k et Nicht immer sind gleich gefärbte Alten giftig, es gibt al. 1989, S h u k e r et al. 2005). Nach Z o b a r & K iv a n auch mimische Färbung bei völlig ungefährlichen Ar­ 2005 legten Ritterwanzenweibchen (n = 42) unter La­ ten (Batessche Mimikry). Sie müssen jedoch seltener borbedingungen (ca. 26°C, 16 Stunden Licht und 60% als ihr Vorbild sein, da die Schutzwirkung sonst nicht Luftfeuchtigkeit) im Durchschnitt 63 Eier (zwischen funktioniert, sie reduzieren durch ihre Anwesenheit den 22 und 133 Eier) innerhalb von fünf bis sechs Tagen Lernerfolg potenzieller Prädatoren. Die Unterschei­ ab, nach einer Woche Inkubationszeit schlüpften über dung zwischen diesen beiden Mimikryformen ist nicht 70 % der Eier. Die Juvenilentwicklung war nach 24 Ta­ immer einfach. Außerdem müssen nicht unbedingt alle gen beendet. Das erste Juvenilstadium lebte bis zur Exemplare einer Population gleich viele Giftstoffe im Häutung vier Tage, die beiden nächsten Stadien jeweils Körper enthalten, da auch die Pflanzen eine starke indi­ rund drei Tage, das dritte schon etwa fünf und das letz­ viduelle Variabilität der Menge der Giftstoffe haben te Larvenstadium 9-10 Tage. Die gesamte Entwicklung können. Mimikry, Warn- und Tarnfärbungen sind bei vom abgelegten Ei zum Adultus dauerte einen Monat. Insekten weit verbreitet, doch werden Mimikry und S h u k e r et al. 2005 fanden außerdem signifikante Un­ Schutzwirkung seit jeher kontrovers diskutiert, und viel­ terschiede zwischen Populationen in der Eiproduktion. fach fehlt es dazu an experimentellen Untersuchungen. Die Weibchen der einen legten rund 300, die einer an­ deren im Durchschnitt 142 Eier ab (jeweils 21 Weib­ Lebenszyklus chen wurden untersucht). Die Populationsentwicklung unterliegt von Jahr zu Jahr Pollination deutlichen Schwankungen, die auf ein Wechselverhält­ nis zwischen Nahrungsangebot und Witterung zurück­ Lygaeus equestris hält sich vor allem in der Zeit der zuführen sind (S o l b r e c k 1995). Normalerweise ent­ Paarung und Eiablage auf den Blüten ihrer Wirtspflan­ steht in Mitteleuropa eine Generation pro Jahr, in sehr zen auf und saugt daran. Die Tiere sind dabei oftmals 4 Entomologische Nachrichten© Entomologische und Berichte, Nachrichten 51, 2007/1 und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at

deutlich mit Blütenpollen überzogen. Besonders deut­ fällig; er erinnert an den ihrer Wirtspflanzen. Der lich ist das bei Besuchern von Adonis vernalis zu beob­ Schutz ist offenbar vor allem durch die glykosidhal­ achten. Andere Lygaeinae, wie z. B. Aspilocoryphus tigen Giftstoffe gegeben, die sie vorher von den Wirts­ fasciativentris, wurden als Pollinatoren von Asclep- pflanzen aufgenommen haben (S c u d d e r & D u f f e y iadaceae in Südafrika beobachtet (O l l e r t o n 2 0 0 3 ) . 1972). Die metathorakalen Duftdrüsen von adulten Ly­ Wanzen können mindestens ergänzend zu anderen Pol­ gaeus equestris enden in einer kleinen ohrförmigen linatoren eine Rolle spielen. Möglicherweise ist dieses Öffnung. Die Juvenilen besitzen dagegen nur dorsale Phänomen weiter verbreitet, denn Wanzen treten als Abdominaldrüsen, mit denen sie einen starken Geruch Blütenbesucher immer wieder in Erscheinung. Beson­ bei Störungen absondern, nach S il l é n -T u l l b e r g et al. ders bei Studien in den Tropen und Subtropen werden (2000) wahrscheinlich ein Schutz gegenüber Vögeln. gelegentlich auch Wanzen erwähnt, die eine gewisse Rolle als Bestäuber spielen. Gefährdung Lygaeus equestris hat ein sehr großes Verbreitungsge­ Verhalten biet und ist daher als Art nicht akut gefährdet. Viele re­ Promiskuität ist bei der Ritterwanze weit verbreitet; gionale Vorkommen sind jedoch bereits erloschen oder Männchen und Weibchen paaren sich mehrfach mit an­ haben einen deutlichen Rückgang ihrer Häufigkeit er­ deren Partnern. Verursacht durch hohen Energiever­ fahren, verursacht durch Landschaftsveränderung in­ brauch oder physische Schäden des komplizierten folge von Nutzungsintensivierung, Bebauung und Eu­ Genitalsystems senken häufige Paarungen die Lebens­ trophierung. Zum Beispiel kam im 19. Jahrhundert die erwartung der Weibchen signifikant. Die Weibchen, die Ritterwanze auch in Berlin-Köpenick vor, wie Belege sich nur einmal paarten, lebten deutlich länger und pro­ aus der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums duzierten auch mehr Eier (S h u k e r et al 2 0 0 5 ) . Die Le­ dokumentieren. Auch in der näheren Umgebung Ber­ bensdauer und Fertilität der Weibchen sind abhängig lins sind die Vorkommen in der 60er Jahren verschwun­ von der Verfassung der Männchen und von der Dauer den, verursacht durch für sie ungünstige Veränderun­ der Kopulation. Die Weibchen paaren sich möglicher­ gen ihres Habitats (D e c k er t 1997). Die gegenwärtige weise dann erneut, wenn die Männchen nicht in der Klimaentwicklung in Mitteleuropa ist für diese Art von Lage waren, genügend Sperma zu übertragen. Sie kön­ Vorteil, da sie trockene, kontinental geprägte Bedin­ nen durch Verschließen des Receptaculums die Insemi­ gungen bevorzugt. nation steuern und dadurch eine erfolgreiche Befruch­ tung bei der Kopulation verhindern. Dieses Verhalten Parasitoide wird als „cryptic female choice“ bezeichnet. Erfolglose Lygaeus equestris wird von der TachinidaeEctophasia Kopulationen werden nach Untersuchungen an Lyg­ oblonga (R o b in e a u -D e s v o id y , 1830) parasitiert. D iese aeus simulans normalerweise schon nach einer Stunde Raupenfliege ist auch ein Feind anderer W anzenarten, beendet (T a d l e r 1999). Die Körpergröße der Männ­ so vor allem von Pentatomidae w ie B.z. Eurydema or­ chen und Länge des Processus gonopori (etwa 6 0 % nata (L i n n a e u s , 1758), Eiirygaster integriceps P u t o n , der Körperlänge) korrelieren nach T a d l e r (1999) mit­ 1881, Eiirygaster maura (L in n a e u s , 1758) u n d Dolyco- einander und der Befruchtungserfolg ist daran gekop­ ris baccarum (L in n a e u s , 1758) (K a r a & T s c h o r s n ig , pelt. 2003). Die Paarung dauert unterschiedlich lange, es treten ge­ Danksagung häuft zwei Verhaltensmuster auf, die von verschiedenen Autoren beobachtet wurden. Entweder ist sie nach einer Frau Dr. U r s u l a G ö l l n e r -S c h e id in g (Berlin) und Herrn knappen Stunde (oder wenig mehr) beendet oder dauert C h r is t ia n F is c h e r (Göttingen) danke ich für ihre kriti­ sechs bis sieben Stunden, zum Teil auch länger. Sie sche Durchsicht des Manuskriptes und für förderliche kann weitaus mehr als 15 Stunden dauern(S huker et al. Diskussionen über dieses Thema. 2 0 0 5 , S illén -Tullberg 1981, eigene Beobachtungen), besonders dann, wenn die Konkurrenz groß ist. Literatur C a r a pe z z a , A. (1997): Heteroptera of Tunisia. - Il Naturalista Sici­ Eine längere Kopulationsdauer verhindert, dass andere liano 21: 1-312 (Suppl. A). D e c k e r t, J. (1997): Wanzen (Heteroptera) aus Berlin und Branden­ Männchen zum Zuge kommen, dient aber auch dazu, burg: Wiederfunde, Neufunde und selten festgestellte Arten. - In­ dass mehr Eier fertilisiert werden. Das meiste Sperma serta, Berlin 4 (1996): 123-146. wird in der ersten Stunde übertragen (S il l é n -T u l l b e r g E x n e r o v ä , A., Landovä, E., Stys, P., Fuchs, R., ProkopovA, M. & Cehlärikovä, P. (2003): Reactions of passerine birds to apose- 1981). matic and non-aposematic firebugs ( Pyrrhocoris aplerus; He­ teroptera). - Biological Journal of the Linnean Society 78 (4): Duftdrüsen 517-525. Fabricius, J. C. (1794): Entomologia systematica emendata & aucta Duftdrüsen dienen bei Wanzen vor allem der Verteidi­ IV. Hafniae: C. G . P r o f t : 1-472. gung und können bei manchen Arten sehr penetrant rie­ G u s e v , R. V. & Tatarnikov, D. P. (1991): On the distinguishing characters and distribution of the bugs Lygaeus simulans D e c k ­ chende Sekrete abgeben. Der Geruch von Lygaeus e r t and L. equestris (Linnaeus) (Heteroptera, Lygaeidae). - Ento- equestris ist für den Menschen hingegen nicht sehr auf­ mologicheskoe Obozrenie 70 (2): 404-406. © Entomologische Nachrichten und Berichte; downloadEntomologische unter www.biologiezentrum.at Nachrichtenund Berichte, 51, 2007/1 5

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T e t z l a f f , I. (2007): Froschlurche - Die Stimmen al­ Zum Artikel: Die Ritterwanze Lygaeus equestris L in ­ ler heimischen Arten. - Musikverlag Edition AMPLE, n a e u s , 1758 - das Insekt des Jahres 2007 in Deutsch­ Untere Bahnhofstraße 58, D-82110 Germering. E-Mail: land und Österreich (Heteroptera, Lygaeidae) (S. 1-5). [email protected]. ISBN 978-3-938147-02-3

Titelbild In den vergangenen Jahren sind mehrere Tonträger mit den Stimmen der heimischen Froschlurche erschienen, Ritterwanze ( Lygaeus equestris) auf Adonisröschen nun gibt es wieder eine neue. Die vorliegende CD wird (Adonis vernalis) (Foto: J. D e c k e r t ). durch ein sehr informatives Beiheft mit Texten zu den einzelnen Arten, Farbfotos, Oszillo- und Spektrogram- men ergänzt und zählt zu den besonders hervorra­ 4. Umschlagseite genden Editionen. Die Tonwiedergabe für die einzelnen Oben links: Arten ist sehr ausführlich und ermöglicht ein gutes Ein­ Ritterwanze ( Lygaeus equestris), Eier (Foto: U. W y s s ). prägen des Gehörten. Eine Besonderheit stellt das Froschlurchtraining dar - eine Zusammenstellung der unterschiedlichen Gesänge zum Lernen für den Benut­ Oben rechts: zer. Alle 15 Sekunden hört man eine neue Froschart, und man kann sich selbst überprüfen. Ritterwanze {Lygaeus equestris), schlüpfende Larve (Foto: U. W y s s ). Entomologen sind keine Herpetologen, aber sehr an der Natur interessiert. Die vorliegende CD ist hervorragend geeignet, vorhandene Kenntnisse über die Stimmen der Unten links: heimischen Froschlurche zu ergänzen, aber auch für ein grundsätzliches Kennenlernen, z. B. in der Schule Ritterwanze (Lygaeus equestris), Larven oder in Jugendgruppen. Der Erwerb dieser CD kann (Foto: J. D e c k e r t ). Lehrern, Eltern, Jugendökohäusern oder überhaupt an Naturstimmen Interessierten wärmstens empfohlen werden. Unten rechts: Ritterwanze ( Lygaeus equestris), Paarung auf Adonis­ B e r n h a r d K l a u s n it z e r röschen (Adonis vernalis) (Foto: J. D e c k e r t ). © Entomologische Nachrichten und Berichte; download unter www.biologiezentrum.at