Jahresbericht 2016
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JAHRESBERICHT 2016 Gedenkstätte Hadamar 02 JAHRESBERICHT 2016 Elisabeth und Rolf Duchscherer in Ihrem Garten. Im Hintergrund ist das Gebäude der Landesheilanstalt Hadamar mit dem Haupteingang zu erkennen. Aufnahme aus den 1940er Jahren. Foto: privat (Heinz Duchscherer). IMPRESSUM Gedenkstätte Hadamar Jahresbericht 2016 Gedenkstätte Hadamar Mönchberg 8 65589 Hadamar Tel. +49 (0) 6433 917172 [email protected] www.gedenkstaette-hadamar.de Redaktion Regina Gabriel, Claudia Schaaf, PD Dr. Jan Erik Schulte (verantwortlich) Fotos soweit nicht anders angegeben: Fotodokumentation Gedenkstätte Hadamar Gestaltung Sabine Dilling, Kassel Juni 2017 INHALTSVERZEICHNIS 03 IMPRESSUM 02 DIE GEDENKSTÄTTE HADAMAR – GESCHICHTE UND GEGENWART 04 RÜCKBLICK AUF DAS JAHR 2016 – VOLLSTÄNDIGE NAMENSNENNUNG VON „EUTHANASIE“-OPFERN 06 BESUCHER/INNEN UND BILDUNGSARBEIT – ERNEUTER BESUCHERHÖCHSTSTAND 08 PROGRAMM UND VERANSTALTUNGEN 10 AUSGEWÄHLTE VERANSTALTUNGEN 12 AUSKUNFTSERTEILUNG AN ANGEHÖRIGE UND FORSCHER/INNEN 14 ARCHIVNUTZUNG 15 PROJEKTE 16 VORTRÄGE UND VERÖFFENTLICHUNGEN 17 MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER 18 FÖRDERVEREIN DER GEDENKSTÄTTE HADAMAR 19 FREIE MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER 20 PRESSEBERICHTE – EINE AUSWAHL 21 REAKTIONEN ZUM GEOCACHING 32 AUS DEM BESUCHERBUCH 33 ANGEHÖRIGE SCHREIBEN DER GEDENKSTÄTTE 34 04 JAHRESBERICHT 2016 DIE GEDENKSTÄTTE HADAMAR GESCHICHTE UND GEGENWART Von 1941 bis 1945 wurden in der ehemaligen Landesheilan- wurden überfüllt, die Qualität der medizinischen Betreuung stalt Hadamar rund 15.000 Menschen ermordet. Sie fielen den sank und die Versorgung litt. Zugleich wurden als „erbkrank“ nationalsozialistischen Euthanasie-Mordprogrammen zum bezeichnete Menschen einer Zwangssterilisation unterwor- Opfer. Die Gedenkstätte Hadamar befindet sich am authenti- fen, die 1934 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken schen Ort der Verbrechen. Sie ist ein Erinnerungs- und Lern- Nachwuchses“ angeordnet worden war. Auch die Landesheil- ort, der das Gedenken an die Menschen, die ermordet wurden, anstalt Hadamar wurde in diese verbrecherische Praxis ein- wach hält. Den Besucherinnen und Besuchern bietet die Ge- bezogen. Bereits 1935 wurden 141 Frauen und 30 Männer aus denkstätte vielfältige Möglichkeiten der Auseinandersetzung der Anstalt unfruchtbar gemacht. Aus der Rückschau erwies mit der Geschichte der NS-Euthanasie, des Nationalsozialis- sich dieses Gesetz jedoch nur als eine Zwischenetappe auf mus und den sich hieraus ergebenden langfristigen Folgen dem Weg zur Vernichtung. und aktuellen Wirkungen. Der Träger der Einrichtung ist der Auf Anregungen aus seiner engsten Umgebung unterzeich- Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen, ein kommunaler Zu- nete Adolf Hitler im Oktober 1939 eine vage formulierte An- sammenschluss, dem soziale Aufgaben übertragen wurden. weisung für die Tötung von Psychiatriepatienten. Das Schrei- Als Nachfolgeorganisation des Bezirksverbandes Wiesbaden, ben wurde auf den 1. September 1939 zurückdatiert, dem Tag, des ehemaligen Trägers der Landesheilanstalt Hadamar wäh- an dem mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg be- rend der Zeit des Nationalsozialismus, begreift der LWV die na- gonnen hatte. Für die Mordaktionen entstand in der Berliner tionalsozialistische Vergangenheit als Herausforderung für Tiergartenstraße 4 eine Verwaltungszentrale, die der „Aktion T seine eigene Tätigkeit in Gegenwart und Zukunft. 4“ ihren Namen gab. Im ganzen Deutschen Reich mussten für Psychiatriepatienten Meldebögen ausgefüllt werden, die die Kategorisierungen von Menschen nach vermeintlichen „Ras- Anstaltsleitungen an die T 4-Zentrale nach Berlin sandten. sen“ und die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen Ausgewählte Psychiater entschieden dort anhand der Melde- sind keine nationalsozialistischen Erfindungen. Antisemiti- bögen darüber, wer umgebracht werden sollte. Die entspre- sches, rassistisches und eugenisches Gedankengut, das sich chenden Anweisungen gingen an die einzelnen Anstalten, die der Abschiebung und Ermordung von politisch, ideologisch, die Patientinnen und Patienten über so genannte Zwischen- gesellschaftlich und medizinisch „Unerwünschten“ verschrieb, anstalten in die Tötungszentren schickten. war bereits lange Zeit wirkungsmächtig, bevor die National- Zu den sechs Mordanstalten, die im Deutschen Reich ent- sozialisten im Januar 1933 an die Macht kamen. Unter den Be- standen, gehörte auch diejenige in Hadamar. Sie war die letz- dingungen der NS-Diktatur konnten sich allerdings die Ver- te, die eingerichtet wurde und ersetzte die Anstalt in Grafen- treter radikaler Gesellschaftsentwürfe durchsetzen, die eine eck bei Ulm. Wie in den anderen Tötungszentren, wurden in nach ideologischen und biologistischen Grundsätzen durchge- den Kellerräumen der bisherigen Heil- und Pflegeanstalt eine führte gesellschaftliche Neuordnung anstrebten. Diejenigen, Gaskammer eingerichtet und Krematoriumsöfen aufgestellt. die den menschenverachtenden Auswahlkriterien für „ge- Die Leitung der Anstalt oblag zwei Ärzten. Während des Jahres sunde Volksgenossen“ nicht entsprachen, wurden ausgeson- 1941 arbeiteten insgesamt etwa 100 Personen in der Tö- dert und vor allem während des Zweiten Weltkrieges in immer tungsanstalt, zum Beispiel Pflegekräfte, Küchenpersonal und größeren Mordaktionen umgebracht. An diesen Morden war di- die so genannten „Brenner“, die die Krematorien bedienten. rekt und indirekt eine Vielzahl von Täterinnen und Tätern auf Seit Januar 1941 trafen aus den Zwischenanstalten regelmä- allen gesellschaftlichen und staatlichen Ebenen beteiligt. ßig Patientinnen und Patienten ein, die mit den „Grauen Bus- Psychiatriepatienten waren schon während des Ersten Welt- sen“, die in Hadamar stationiert waren, in die Tötungsanstalt krieges einem erhöhten Vernichtungsdruck ausgesetzt gewe- gebracht wurden. Die Zwischenanstalten befanden sich in sen, als ihnen ausreichende Lebensmittelrationen vorenthal- Herborn, Weilmünster, Idstein, Eichberg (alle heute Hessen), ten wurden. Seit 1933 verschlechterten sich die Bedingungen Galkhausen (heute Nordrhein-Westfalen), Andernach, Scheu- in den Heil- und Pflegeanstalten abermals. Die Einrichtungen ern (heute Rheinland-Pfalz), Wiesloch und Weinsberg (heute 05 Ansicht der Tötungsanstalt Hadamar mit rauchendem Busgarage, in der die „Grauen Busse“ in Hadamar Schornstein, 1941. Foto: LWV-Archiv. ankamen, heutige Ansicht. Foto: Gedenkstätte Hadamar. Baden-Württemberg). Bis zum Stopp der T 4-Aktion im August Ermordeten erinnert. Hierbei handelte es sich vermutlich 1941 wurden in Hadamar über 10.000 Patientinnen und Pa- um das erste Mahnmal für die Opfer der NS-Euthanasie in tienten vergast und in den Krematoriumsöfen verbrannt. Deutschland. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später, 1964, Auch nachdem die Vergasungseinrichtungen und Verbren- wurde ein Teil des Anstaltsfriedhofes zu einer Gedenkland- nungsöfen abgebaut worden waren, diente die wieder als Lan- schaft umgestaltet und eine Stele aufgestellt, die die Inschrift desheilanstalt in den damals zuständigen Bezirksverband trägt: „Mensch, achte den Menschen“. Eine kontinuierlichere Wiesbaden eingegliederte Einrichtung als Mordstätte. Zum wissenschaftliche und öffentlichkeitswirksame Auseinander- Teil von der T 4-Zentrale in Berlin mitorganisiert, wurden seit setzung mit den Verbrechen der NS-Zeit begann in den acht- 1942 Patientinnen und Patienten, psychisch erkrankte Bom- ziger Jahren. 1983 wurden zunächst die historischen Keller- bengeschädigte und Soldaten, Zwangsarbeiterinnen und räume der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und eine erste, Zwangsarbeiter sowie Kinder und Jugendliche, die als „jüdi- provisorische Ausstellung gezeigt. Mittlerweile gehörte das sche Mischlingskinder“ bezeichnet wurden, nach Hadamar ge- Gebäude zu einem umfangreicheren Klinikkomplex des psych- schickt, wo die meisten mithilfe überdosierter Medikamente iatrischen Krankenhauses Hadamar, der vom Landeswohl- oder durch Nahrungsmittelentzug ermordet wurden. Etwa fahrtsverband Hessen getragen wurde. Dieser entschloss sich 4.500 Menschen starben auf diese Weise und wurden auf dem 1986, eine hauptamtlich besetzte Gedenkstätte als Erinne- anstaltseigenen Friedhof in Massengräbern beerdigt. rungs- und Bildungsort zu gründen. 1991 konnte die Dauer- ausstellung der Öffentlichkeit übergeben werden. Am 26. März 1945 marschierten amerikanische Truppen in die Seit dieser Zeit erfüllt die Gedenkstätte ihre Aufgabe, die Erin- Stadt Hadamar ein und befreiten die Patientinnen und Pa- nerung an die NS-Euthanasie wachzuhalten und in Führun- tienten der Landesheilanstalt. Auch nach diesem Datum star- gen und während Seminartagen die Besucherinnen und Be- ben vermutlich noch Menschen an der zuvor erfahrenen sucher über die Geschichte der nationalsozialistischen Medi- Vernachlässigung. Einige der Verantwortlichen der beiden zinverbrechen aufzuklären. Wie wichtig der Bezug zu gegen- Mordphasen 1941 sowie 1942-1945 mussten sich im Rahmen wärtigen Diskursen ist, zeigen die Debatten über Embryonal- von Gerichtsverfahren verantworten. Im Oktober 1945 fand diagnostik und Sterbehilfe, die ebenfalls die Fragen nach dem vor einem amerikanischen Militärgericht in Wiesbaden der Wert und dem besonderen Schutz des Lebens stellen. Die erste Prozess statt. Drei Todesurteile wurden vollstreckt. Vor Kenntnisse über den Ablauf der Mordaktionen vor Ort konnten dem Landgericht Frankfurt wurden 1947 25 Personen ange- in den vergangenen Jahren erheblich erweitert werden. 2006 klagt und im Januar 1948 nochmals vier Krankenschwestern. wurde die ehemalige Busgarage, in der die Patientinnen