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LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN

WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE

18. Juni 2021 FRANZ MARC OTTO GLEICHMANN OTTO MUELLER PAUL KLEE Auktionen Evening Sale / Klassische Moderne 18. Juni 2021 LIEBE FREUNDE DER KUNST!

Die Geschichte des Zahnarztes und Kunstsammlers Hermann Bode ist zugleich eine Ge- schichte der Moderne. Früh interessiert er sich für die bildenden Künste, widmet sich intensiv der Musik, studiert Philosophien. Bode ist Mitglied der „Kestner-Gesellschaft“ und der „Gesell- schaft für Freunde der jungen Kunst“, ist ein förderndes Mitglied der Künstlervereinigung „die abstrakten hannover“. Hermann Bode ist weltläufig, ist auf der Höhe seiner Zeit und ge- staltete diese mit einem offenen Haus für Gäste jeder Couleur. Sein Gästebuch gibt beredte Auskunft neben dem allzu Privaten zu Personen des kulturellen Lebens: es wird musiziert, diskutiert, Vorträgen gelauscht. In diesem engagierten Umfeld wächst die einzigartige Sammlung zeitgenössischer Kunst Hermann Bodes.

Und heute haben wir die Freude, Werke von Lyonel Feininger, Otto Gleichmann, Paul Klee, Franz Marc und Otto Mueller mit dieser bedeutenden Provenienz vorzustellen. Nahezu 100 Jahre werden sie nicht nur von Hermann Bode, sondern auch von seinen Erben geschätzt und gepflegt, sind kaum in der Öffentlichkeit zu sehen, in Werkverzeichnissen bisweilen nur schwarz/weiß abgebildet oder ihr Verbleib als nicht bekannt notiert. Somit sind die vier Arbeiten auf Papier und das Gemälde auch für uns eine große Überraschung. Wir freuen uns, wenn Sie diese großartige Entdeckung mit uns feiern.

Ihr Robert Ketterer

Hermann Bode, 1950

3 HERMANN BODE. EIN SAMMLER DER MODERNE.

Mario von Lüttichau

Dr. Hermann Bode (1882–1973) wird bei Hannover geboren, wo er Mit Alexander Dorner, 1925 bis 1931 Präsident der Kestner Gesell- Verfemung der Moderne zerstört wird. Die Begeisterung für die Ab- später auch als Zahnarzt praktiziert. Bereits in seiner Jugend be- schaft, engagiert sich Bode als dessen Stellvertreter im Vorstand. Im strakten teilt Bode und so finden nicht nur El Lissitzkys „Proun 30 T“ geistert er sich für die Kunst und Kultur. Mit der etwas jüngeren, Laufe seines Lebens erwirbt Bode über 100 Werke der Moderne und von 1920 (Abb. 1) und das großformatig Klebebild „Die Kugel“ Eingang ebenfalls in Hannover geborenen Tänzerin Mary Wigman (eigentl. der abstrakten Kunst, ist mit den meisten Künstlern, deren Werke in seine Sammlung, sondern auch Kandinskys „Diagonale“ von 1923 Marie Wiegmann) verbindet Bode seit Schülerzeiten eine tiefe er sammelt, bekannt und besucht sie in ihren Ateliers wie El Lissitzky (Abb. 2) und drei weitere Papierarbeiten des Bauhauslehrers. Freund schaft und er begleitet sie bei den Anfängen ihrer Tanzkarriere und Kurt Schwitters in Hannover, Lyonel Feininger, , Schwitters ist mit sechs Arbeiten vertreten, davon drei aus der Col- als Wegbereiterin des modernen Ausdruckstanzes. Er besucht sie in Paul Klee und László Moholy-Nagy in . Er empfängt Emil lage-Serie „MERZ“, etwa „Dame in Rot“ oder „Halberstadt“, beide 1921 Weimar und Dresden, auch tanzt sie immer wieder in Hannover, Nolde bei sich zu Hause, tauscht sich mit dem -Architekten entstanden. Von László Moholy-Nagy kann sich Bode das Gemälde etwa mit Harald Kreutzberg. Während des Ersten Weltkriegs wird persönlich aus. Von ihm inspiriert, baut er 1939 in „E-BILD“ aus dem Jahr 1921 sichern (Abb. 3). Lissitzkys „Proun 30 T“ Bode als Soldat eingezogen. Bereits in dieser Zeit beginnt er Kunst Stein hude bei Hannover direkt am ‚Meer‘ ein transparentes Haus mit und Moholy-Nagys „E-BILD“ hingen schon in Lissitzkys „Kabinett der zu kaufen, zum Beispiel von und . großen Glasflächen, das an erste Entwürfe von Gropius erinnert, Abstrakten“ im Provinzialmuseum in Hannover, heute im Besitz des aber auch Konstruktionen Frank Lloyd Wrights aus Glas und Eisen Sprengel Museums, Hannover. Die Gründung der Kestner Gesellschaft 1916 in Hannover, die heute berücksichtigt. Als Architekt gewinnt Bode den mit ihm befreunde- zu den erfolgreichsten deutschen Kunstvereinen zählt, wird für ten Künstler und Designer Hans Nitzschke, der schon für das Privat- Natürlich nimmt die Aufbruchsstimmung in Hannover auf den Hermann Bodes feinsinniges Gespür für Kunst und Kultur und die büro von Günther Wagner Möbel entwirft und für Fritz Beindorff Sammler Einfluss, so auch das Engagement des Galeristen und Ausrichtung seiner Sammlung von zentraler Bedeutung. Bode wen- jun. Umbauten im Pelikan-Werk plant. Hermann Bode behält die Sammlers Herbert von Garvens-Garvensburg. Ihm ist es zu verdanken, det sich der Moderne zu. Ein Großteil seiner Sammlung generiert bisher bewohnte Villa in der Waldseerstraße in Hannover, wählt aber dass Anfang der 1920er Jahre in Hannover Künstler wie , sich aus Bildern, die er in Ausstellungen der Kestner Gesellschaft ab 1943 das neue Haus in Steinhude zum Wohnsitz der Familie und James Ensor und in seiner Galerie gezeigt wer den, aber Wohnhaus Bode, Stühle von Hans Nitzschke; an der Wand das Klebebild erwirbt. Er fühlt sich angezogen vom experimentellen Stil der jungen entsprechend der modernen Bau weise erfährt die Sammlung neuen auch die jüngsten Kräfte wie Fernand Léger, , El „Die Kugel“ von El Lissitzky (Foto aus: Alexander Dorner, S. 35) Künstler, er glaubt an den großen Aufbruch einer neuen Zeit. Im Ausdruck und Stellenwert. Lissitzky, László Moholy-Nagy, Kurt Schwitters (Abb. 4), Otto Dix, Gründungskreis der Kestner Gesellschaft entwickelt sich Bode zu George Grosz und Paul Klee. Neben seinem Engagement in der Kestner einem renommierten Kunstkenner und Sammler. Für die Erweiterung seiner Sammlung ist Bodes tiefgehende Verbin- Gesellschaft ist Hermann Bode auch förderndes Mitglied und Samm- dung zu Alexander Dorner anregend. Dorner, ab 1919 Kustos, dann ler der Künstlervereinigung „die abstrakten hannover“, gegründet Hermann Bode ist zweimal verheiratet. 1906 heiratet er Julia Peipers, von 1925 bis 1937 Direktor der Gemäldegalerie des Provinzialmuseums im März 1927 von Carl Buchheister, Rudolf Jahns, Hans Nitzschke, sie haben vier Töchter: Maria (*1907), Erkhild (*1908), Forgard (*1910) (heute Landesmuseum Hannover), ordnet dessen Kunstsammlungen Kurt Schwitters, Friedrich Vordemberge-Gildewart. und Friedegard (*1917); die Ehe wird 1923 geschieden. Noch im selben neu und ergänzt sie vorwiegend mit abstrakter Kunst. 1926 beauf- Jahr ehelicht Bode Ilse Robert, geborene Beindorff, die Tochter von tragt Dorner El Lissitzky mit dem Entwurf und der Einrichtung eines 1936 besucht das Ehepaar Bode die Welt-Ausstellung in Paris, ein Fritz Beindorff sen. und dessen Frau Elisabeth „Elli“, Tochter des „Kabinetts der Abstrakten“, das 1937 im Zusammenhang mit der Jahr später die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Hermann Gründers der Pelikan-Werke Günther Wagner. Ilse Bode bringt die Bode ist verstört über die diffamierende Inszenierung; er entdeckt Kinder Ilse und Kurt mit in die Ehe; 1926 kommt der gemeinsame Werke vieler Künstler, die er persönlich kennt und sammelt. Mit dem Sohn Sindbert zur Welt. Aus Anlass der Hochzeit mit Hermann Bode Besuch der documenta 1955 in Kassel erlebt Bode wiederum die schenkt Fritz Beindorff sen. seiner Tochter Ilse die Walmdach-Villa Rehabilitierung der verfemten Künstler. Es ist das zentrale Thema in der Waldseerstraße in Hannover. der ersten umfassenden Kunst-Ausstellungen im westlichen Nach-

kriegsdeutschland. Abstraktes Kabinett, Rekonstruktion Sprengel Museum, Hannover; Hermann Bode gibt seine Zahnarztpraxis auf und widmet sich dem auf der Rückwand links: El Lissitzky, Proun 30 T, 1920, ehemals Sammlung Schreiben und dem Musizieren. Er komponiert, beschäftigt sich mit Anfang der 1960er Jahre beginnt Bode seine Sammlung von über Hermann Bode Philosophie, Anthropologie und Astronomie, liest Leibniz, Kant, 100 Bildern und Skulpturen unter dem Titel „Kunstsammlung Bode“ Nietzsche, Heidegger und erlernt chinesische Schriftzeichen, um den zu dokumentieren; 38 Werke davon sind Leihgaben in der Ausstellung Buddhismus zu ergründen. Gartenansicht Wohnhaus „Die Pelikan-Kunstsammlung“ im Kunstverein Hannover 1963.

4KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 5 EHEMALS SAMMLUNG BODE

DAS GÄSTEBUCH. SPIEGEL EINES INTENSIVEN KULTURLEBENS.

Abb. 1: El Lissitzky, Proun 30T, 1920; Öl auf Leinwand, 50 x 62 cm, Abb. 2: Wassily Kandinsky, Diagonale, 1923; Öl auf Leinwand, Sprengel Museum Hanover 70,5 x 58 cm, Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover Das Gästebuch von Hermann Bode beginnt mit dem ersten Eintrag Erneut zu Gast ist Mila Cirul, sie bedankt sich mit einem Bilderrätsel am 26. Dezember 1912 und endet vier Jahrzehnte später am 4. August bei Ilse (Bode) und Vati (Hermann Bode). (Gästeb., S.17) Am 7. Mai 1951. Das Gästebuch entspricht der typischen Tradition, eine Mischung 1928 sind Ada und erfreut über die Hängung ihrer „kleinen zu sein aus sehr dichten, persönlichen Eintragungen von Familien- Bilder“ im Haus Bode und geben dies zum Ausdruck. Am 19. September mitgliedern, etwa den Töchtern, die mit den Enkelkindern die Groß- 1928 unterbrechen El Lissitzky mit Sophie Lissitzky-Küppers, sie sind eltern besuchen, und illustren Gästen, zumeist Freunden aus dem seit 1927 verheiratet, ihre Reise von Paris nach Moskau in Hannover; Bereich Kunst, Musik und Tanz. „Segeln Musik gutes Essen Alles kann das Ehepaar Dorner ist ebenfalls zugegen. (Gästeb., S.19 und 20) Kurt man bei Bode’s haben! Herzlich Jochen Burchard 18. X. 25“. Burchard Schwitters trägt sich mehrfach in das Gästebuch ein, etwa als er am engagiert sich in der Kestner Gesellschaft und steht mit Walter 23. Oktober 1928 einer Lesung mit Midia Pines beiwohnt; sie ist Gropius in Briefkontakt. Und El Lissitzky trägt sich am 25. Juni 1926 Vortragskünstlerin und Schwitters mit ihr befreundet. zusammen mit Sophie Küppers ein und schreibt: „Es ist leichter mir zeichnen als schreiben“ (Gästeb., S.8), ebenso am 3. Oktober 1926. Naum Gabo besucht Bode am 15. November 1930 und trifft auf den ‚Abstrakten‘ Hans Nitzschke. Am 10. November 1931 trägt sich Amédée Im Hause Bode wird viel musiziert und über Musik und Tanz diskutiert; Ozenfant in das Gästebuch ein, im März 1933 Mary Wigman und zu entsprechend euphorisch sind die Einträge nach Musikabenden, etwa einem späteren Zeitpunkt, wohl 1941, ist es Harald Kreutzberg, ein am 2. März 1927 mit dem Choreografen und Tanztheoretiker Rudolf früher Schüler von Wigman und inzwischen Leiter der Staatlichen von Laban, dem Tänzer Julian Algo, Tanzpartner unter anderem der Akademie für Tanzkunst in Wien. Immer wieder erfährt man von Tänzerin Mila Cirul, sie zeichnet ihren Gruß ebenfalls am selben Abend: Musiknachmittagen und Musikabenden, etwa am 13. November „Im Löwenkäfig haust Mila Cirul“, und Kapellmeister Johannes Schüler, 1946 mit „Gesänge und Lieder von Hermann Bode“, vorgetragen seit 1924 in Hannover tätig. (Gästeb., S.12) Gut zwei Wochen später von Waltraut Prange (Sopran), Ilse Bode am Klavier und Hermann ist Theodor Däubler zu Gast bei Bodes: „Nach meinem Empfang, Bode, Flöte. (Gästeb., S.47 und 48) Bodes Gästebuch ist Spiegel

Abb. 3: László Moholy-Nagy, E-Bild, 1921; Öl auf Abb. 4: Kurt Schwitters, 7. Abstrakte Komposition, 1925, mag ich schaffend fasten 23. III. 1927“, schreibt er. Und für den Abend eines inten siven Kulturlebens. Es endet gut zwanzig Jahre vor dem Nessel, 66 x 51 cm, Sotheby’s November 2015, Lot 39 Öl auf Holz 69,8 x 56,7 cm; Sammlung Sonanini, Schweiz der Abstrakten am 4. Oktober 1927 bedankt sich Carl Buchheister. Tod des Sammlers.

6KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 7 Gästebuch S. 8, El Lissitzky mit Sophie Küppers, 25. Juni 1926: „Es ist leichter mir zeichnen als schreiben“ Gästebuch S.17, Mila Cirul bedankt sich mit einem Bilderrätsel bei Ilse (Bode) und Vati (Hermann Bode)

Gästebuch S. 12, 2. März 1927: Rudolf von Laban, Choreograf und Tanztheoretiker; Gästebuch S.19 und 20, 19. September 1928: El Lissitzky mit Sophie Lissitzky-Küppers, Julian Algo, Tänzer; Kapellmeister Johannes Schüler, seit 1924 in Hannover tätig. Alexander und Lydia Dorner

Gästebuch S.14, 2. März 1927: „Im Löwenkäfig haust Mila Cirul“, Mila Cirul, Tänzerin. Gästebuch S. 47 und 48, 13. November 1946: Liederabend mit Gästen, „Gesänge und Lieder von Hermann Bode“

8KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 9 DIE KESTNER GESELLSCHAFT

DIE PELIKAN- Die Kestner Gesellschaft, im September 1916 von Kunstliebhabern wie Leo Catzenstein, Fritz Beindorff sen., Hermann Bahlsen, Herbert KUNSTSAMMLUNG von Gravens-Gravensburg und anderen ins Leben gerufen, ernennt Paul Erich Küppers (1889–1922) zum ersten Direktor. Mit Max Lieber- mann wird noch im Oktober die erste Ausstellung eröffnet, es folgen „In der Pelikan-Kunstsammlung der Günther-Wagner-Werke, Hanno- der Firma arbeiten. In der Jury sitzen die Maler Hugo von Habermann, ganz unterschiedliche Positionen und Überblicksausstellungen, etwa ver, haben wir eine Sammlung vor uns, in der sich das aristokratische und Leopold von Kalckreuth, der Hamburger im Mai 1917 mit in Hannover ansässigen Künstlern, darunter Kurt Prinzip des privaten Kunstsammelns mit den sozialen Forderungen Museumsdirektor Alfred Lichtwark, der Bremer Museumsdirektor Schwitters und Otto Gleichmann. Im September 1917 zeigt die des modernen Lebens aufs glücklichste verbindet. Sie ist ein noch Gustav Pauli sowie Hugo von Tschudi, Direktor der Staatlichen Kestner Gesellschaft mit 133 Gemälden Paula Modersohn. Gleich zu seltener, aber zukunftsweisender Typ und kann den Anspruch für sich Galerien in München, und andere. Die Pelikan-Sammlung wächst Beginn 1918 folgt Emil Nolde mit 143 Arbeiten. César Klein und Lud- erheben – vielleicht überhaupt als die erste – diesen Typus geprägt nicht nur mit dem Erwerb von Werken der Ausgezeichneten des wig Meidner werden im Sommer 1918 vorgestellt, Anfang 1919 Erich zu haben“, schreibt der langjährige Direktor des Niedersächsischen Wettbewerbs. Mit diesen Ankäufen legt Beindorff den Grundstock Heckel mit 230 Arbeiten, im November Paul Klee mit Lyonel Feininger. Landesmuseums, Ferdinand Stuttmann, 1950 in der Einleitung zu für die Pelikan-Sammlung, die er in den Räumen der Firma aufhängen 1920 sind Arbeiten von und einem vierbändigen Katalog der „Kunstwerke der Pelikan-Sammlung lässt, „um den Arbeitern und Angestellten den lebendigen Zusam- zu sehen und turnusmäßig Kollektionen der Hannoverschen Sezes- aus sechs Jahrhunderten“. Einem Großteil der Sammlung können die menhang der hier zu leistenden Arbeit mit dem künstlerischen Schaf- sion. Das Jahr 1923 beginnt die Kestner Gesellschaft mit El Lissitzky, Mitarbeiter täglich im Unternehmen begegnen, ein anderer Teil ist den fen in aller Welt vor Augen zu halten.“ (Sinda Dimroth, S. 113) Im es folgen Ausstellungen mit Wassily Kandinsky, Karl Schmidt-Rottluff Besuchern etwa des Provinzialmuseums Hannover (Landesmuseum) Herbst 1918 übernimmt Beindorff sen. die in der Kestner-Gesellschaft und László Moholy-Nagy. 1924 sind im Januar „Moderne Bilder aus überlassen. Später schmücken Leihgaben der Pelikan-Sammlung das gezeigte Kollektion von Adolf Hölzel in Gänze und beauftragt den Hannoverschem Privatbesitz“ zu sehen, Kurt Schwitters kann sich 1969 auf den Weg gebrachte, erst Mitte der 1980er Jahre eröffnete Künstler zudem, ein farbiges Glasfenster für den Konferenzraum der mit neuesten Arbeiten präsentieren und 1926 im Februar sind Bilder Sprengel Museum Hannover. Anlass für das Museum ist eine Schen- Fabrik zu entwerfen. Hölzel erfährt somit eine zentrale Herausstel- und Grafik der Künstler vom Bauhaus Dessau zu Gast in Hannover: kung des Schokoladenfabrikanten , der mit seiner lung in der Sammlung Pelikan. Es folgen Werke in erlesener Qualität Feininger, Klee, Kandinsky, Schlemmer, Moholy-Nagy, Muche u. v. a. Frau im Jahr 1969 ihre umfangreiche Kunstsammlung der Moderne von , Max Slevogt, Franz Marc, und an- Mit der Kestner Gesellschaft avanciert Hannover in den 1920er Jahren der Stadt Hannover überlässt. deren. Die Pelikan-Sammlung spiegelt die Künstler, die in Ausstellun- zu einer Metropole der Moderne und inspiriert entsprechend ihre gen im Hannoverischen Kunstverein und in der Kestner Gesellschaft Mitglieder, zu sammeln, mit Ankäufen nicht nur die ausgestellten Das Unternehmen Pelikan geht zurück auf eine 1838 von dem Chemi- vorgestellt werden. El Lissitzky entwickelt eine Werbung für Pelikan, Künstler, sondern nachrangig auch die Aktivitäten der Kestner Gesell- ker Carl Hornemann (1811–1896) bei Hannover gegründete Farben- die in die Designgeschichte eingeht, die liegende Tintenflasche von schaft zu finanzieren; wie etwa die „Kestner-Bühne“: Schauspieler und Tintenfabrik. Nach Hornemanns Ausscheiden 1871 übernimmt Wilhelm Wagenfeld wird zum Designklassiker, Kurt Schwitters benutzt und Ensembles aus Hamburg und Berlin geben sich Anfang der 1920er der bisherige Werksleiter, der Chemiker Günther Wagner (1842–1930) Pelikanol-Fehldrucke aus der Firmenwerbung für seine Collagen. 1929 Jahre die Türklinke in die Hand. Die Kestner Gesellschaft fungiert das Unternehmen und setzt den Pelikan, das Wappentier seiner kommt der erste Füllfederhalter auf den Markt und wird eines der inzwischen auch als Verleger von Mappenwerken. El Lissitzkys „Proun“ Familie, 1878 als Markenzeichen ein. Ab den 1880er Jahren expandiert Markenzeichen. Wenig später folgt der Deckfarbenkasten für die aus dem Jahr 1923 ist die erste der sechs erscheinen den Mappen, die das Unternehmen, Fritz Beindorff (1860–1944) wird Prokurist, heiratet Schule, der den Aquarellkasten fast vollständig verdrängt; nahezu Reihe endet mit sechs „Konstruktionen“ von László Moholy-Nagy in 1888 Elisabeth „Elli“, die Tochter Wagners, und wird 1895 durch Erwerb jeder Schüler in Deutschland benutzt Produkte der Marke Pelikan. zum Teil farbigen Lithografien. Und es werden Jahres gaben für die Alleininhaber der Firma Pelikan. Beide, Wagner und Beindorff, sind Mitglieder aufgelegt, überwiegend druckgrafische Werke von Künst- den bildenden Künsten zugewandt, sie engagieren sich für den be- lern, deren Arbeiten gerade in Ausstellungen zu sehen sind. Aus reits 1832 gegründeten Hannoverschen Kunstverein ebenso wie für diesem Anlass erwirbt Hermann Bode 1925 eine Jahresgabe von Paul die 1916 aus der Taufe gehobene Kestner Gesellschaft. Deren erster Klee, den „sechsbeinigen Hundsteufel“. Und es werden Feste in der Direktor ist Paul Erich Küppers (1889–1922), zu den Gründern gehört Kestner Gesellschaft gefeiert wie zum Karneval 1927: Hermann Bode neben dem Fabrikanten Hermann Bahlsen auch der Inhaber der als Ballon-Händler mit der Tänzerin Mila Cirul. Pelikan-Werke Fritz Beindorff sen.

1931 erfolgt eine Erweiterung des Vereins-Zwecks durch die Gründung Nach der Jahrhundertwende beginnt das Interesse an der zeitgenös- des „Museums für das vorbildliche Serienprodukt“, das als „Günther- sischen Kunst. Max Klinger und Arnold Böcklin, Max Liebermann und Wagner-Stiftung der Pelikanwerke Hannover“ der Kestner Gesellschaft Fritz von Uhde, Franz von Lenbach, Lovis Corinth und anderen werden angegliedert wird. Die Verbindung der Pelikan-Werke zur Kestner Ausstellungen in Hannover gewidmet, ebenso werden die Worps- Gesellschaft ist damit nicht nur durch das immerwährende Engage- weder und Paula Modersohn-Becker gewürdigt. ment der Familie Beindorff sichtbar, sondern nunmehr Teil der Satzung des Vereins und dieser wird zukünftig im Auftrag Ausstellungen mit Tänzerin Mila Cirul mit Herrmann Bode Werbewirksam treten die Pelikan-Werke in Erscheinung, als sie erst- Wilhelm Wagenfeld, „Pelikan-Tintenfaß“ als Ballonhändler, Karneval 1927 angewandter Kunst durchführen. mals 1911 und 1913 Preise für Künstler ausschreiben, die mit Produkten © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021

10 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 11 El Lissitzky, Werbung für Pelikan-Produkte

1923 ernennt der Vater, Fritz Beindorff sen., seinen ältesten Sohn Ausstellung „ Essen zeigt in Villa Hügel Kunst- FRANZ MARC Günther zum Geschäftsführer der chemischen Betriebe, sein Sohn werke aus Kirchen-, Museums- und Privatbesitz“ die Gemälde von Fritz übernimmt neben dem Vater die kaufmännische Leitung des Rembrandt, van Dyck, Rubens und Maes aus der Pelikan-Sammlung/ gesamten Unternehmens. Der jüngste Sohn Kurt führt das Blechwerk, Beindorff zeigen. Eine Ausstellung, die am Ende sagenhafte 480.000 LYONEL FEININGER in dem Pinselkästen und Verpackungen hergestellt werden. „Am 2. Juni Besucher gesehen haben. 1944 ist der Senator Dr.-ing. e. h. Fritz Beindorff, vierundachtzigjährig gestorben, nachdem ihm sein Sohn Fritz bereits vorangegangen war. Die Exponate der Pelikan-Ausstellung für das 19. und 20. Jahrhundert OTTO GLEICHMANN Seine Söhne und Enkel, sein Schwiegersohn Dr. Hermann Bode und sind von unterschiedlichen Leihgebern beigesteuert, die aber mit seine Schwiegertochter Ariane Beindorff haben auch die künstleri- dem Unternehmen in direktem, beziehungsweise in verwandtschaft- sche Seite seiner Lebensarbeit übernommen und sein Werk weiter- lichem Bezug stehen. Als Leihgeber firmiert zunächst wieder die OTTO MUELLER geführt. Seine Söhne Fritz und Günther, sein Enkel Klaus sind in Firmensammlung Pelikan, sodann Mitglieder der Familie Beindorff: schwersten Zeiten im Vorstande der Kestner-Gesellschaft treu und Klaus Beindorff, Enkel von Fritz Beindorff sen. und bis zu seinem Tod energisch für die Sache der Kunst und der Freiheit eingetreten. So 1961 Vorstand der Günther Wagner / Pelikan-Werke, und seine Frau PAUL KLEE hat im Titel unserer Ausstellung die ‚Familie Beindorff‘ mit bestem lIse bringen sich mit dem Erwerb der zeitgenössischen Generation Recht ihren Platz“, soweit der Literatur- und Theaterkritiker Johann ein, erwerben Werke von Ernst Wilhelm Nay, Alexander Camaro, Frerking im Katalog zur Ausstellung der Pelikan-Kunstsammlung. Hans Volkert sowie den Hannoveranen Kurt Lehmann und Sigrid Kopfermann. Von Ende April bis Mitte Juni 1963 zeigt der Kunstverein Hannover „die Pelikan-Kunstsammlung aus dem Besitz des Hauses Günther Ariane Beindorff, geb. von Maltzahn (1901–1977), ist mit Fritz Bein- Wagner, Hannover, Pelikan-Werke, und der Familie Beindorff“. Die dorff jun. (1891–1938) verheiratet und sammelt in memoriam ihres Ausstellung ist nach Epochen geordnet: Auf die Alten Meister aus Mannes weiter. Weitere Leihgeber sind Helga (Tochter von Ariane Deutschland und den Niederlanden folgt das 19. und 20. Jahrhundert und Fritz Beindorff jun.) und ihr Mann Adolf Thieme sowie Dr. Her- sowie ein Kapitel, das Adolf Hölzel gewidmet ist. Die Pelikan-Samm- mann Bode; er ist seit 1923 in zweiter Ehe mit Ilse, Tochter von Elisa- lung „Alte Meister“ ist spektakulär besetzt mit Werken von Lucas beth „Elli“ und Fritz Beindorff sen. verheiratet. Cranach, Adriaen Brouwer, Jan Breughel d. Ä., Nicolaes Maes, Rem- brandt, Rubens, Jacob van Ruisdael, Jan Steen, David Teniers, Tilman Die Pelikan-Kunstsammlung wächst in einem Familienunternehmen Riemenschneider und geht zurück auf Ankäufe von Fritz Beindorff mit tiefgehender Tradition und spiegelt in ihrer historischen Breite sen.; er wird Anfang der 1930er Jahre von Alexander Dorner, Direktor eine über Jahrzehnte sich entwickelnde Sprache in der bildenden des Provinzialmuseums Hannover, beraten und die wertvollen Ge- Kunst. So entsteht im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mälde hängen nicht zuletzt auch in dessen Museum als Leihgaben. eine der umfangreichsten Kunstsammlungen auch im Umfeld eines In Museumskreisen spricht sich diese Qualität nach dem Zweiten Unternehmens, das nicht nur Tinte und Füllfederhalter herstellt, Weltkrieg schnell herum und so fragt Heinz Köhn, Direktor des sondern auch modernste Produkte wie Künstlerfarben, wie die legen- Museum Folkwang, in Hannover an und kann ab Mai 1953 mit der dären Pelikan-Deckfarben im rechteckigen Metallkasten.

12 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de

Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni FRANZ MARC 1880 München - 1916 Verdun

Zwei gelbe Tiere (Zwei gelbe Rehe). 1912/13. • Aquarelle in diesem Format gelten als die poetischsten Werke des Künstlers Aquarell und Bleistift. Hoberg/Jansen B III XXVI S. 233 (ohne Abb.), Lankheit 621 (ohne Abb.). • Aus dem Besitz der Familie des Künslers blieb es bis Auf gelblichem Maschinenpapier (am Falz perforiert). heute in der Sammlung Hermann Bode 17 x 10 cm (6.6 x 3.9 in), blattgroß. • Als Dauerleihgabe im Sprengel Museum Aus dem Skizzenbuch XXVI von 1912/13 • Das Aquarell entsteht während der wichtigen Zeit des € 200.000 – 300.000 „Blauen Reiter“ $ 230,000 – 345,000 • In diesem nahezu ursprünglichen Zustand aus der besten Zeit kaum noch auf dem Markt zu finden PROVENIENZ

· Maria Marc, Ried. · Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude (wohl seit 1936) · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG · Kunsthaus Zürich, 1934 (kein Kat.). · Galerie Klipstein, Bern, 1935 (kein Kat.). · , 1935 (kein Kat.). · Kunsthaus Zürich, 13.1.-10.2.1935, Nr. 134. · Franz Marc. Gedächtnisaustellung, 150. Jahre Ausstellung Kestner- Gesellschaft, Hannover, 4.3.-19.4.1936, Nr. 78. · Zeitgenössische Kunst aus hannoverschem Privatbesitz, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1954, wohl Nr. 93. · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 20 (mit Abb.). · Sprengel Museum, Hannover (Dauerleihgabe bis Anfang 2021).

„Gibt es für einen Künstler eine geheimnisvollere Idee als die, wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt?“

Franz Marc um 1911/12

16 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 17 Bei der Betrachtung dieses Aquarells - im Format etwas größer als eine Postkarte - gelingt es Franz Marc erneut, seine Ergriffenheit von der geheimnisvollen Schöpfungsmacht der Natur auf uns zu über- tragen. Wir sind ergriffen von der Anmut der Darstellung, angetan von der erhabenen Formung der Tierkörper in fantasievoller Land- schaft, angetan von der Wirkung der fein gesetzten Farben. Das Werk des Künstlers ist beseelt von tiefgreifenden Gefühlen für das Tier, welches sich instinktiv in der Natur bewegt, mit ihr verschmilzt, und bei all dem erscheint die Beobachtung des Künstlers nicht von dieser Welt: „Gibt es für einen Künstler eine geheimnisvollere Idee als die, wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt? Wie sieht ein Pferd die Welt oder ein Adler, ein Reh oder ein Hund? Wie arm- selig, seelenlos ist unsere Konvention, Tiere in eine Landschaft zu Franz Marc, Rehe im Schilf, 1909, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemälde- setzen, die unserm Auge zugehört, statt uns in die Seele des Tieres sammlung, , München. zu versenken, um dessen Bildkreis zu erraten. […] Was hat das Reh mit dem Weltbild zu tun, das wir sehen? Hat es irgendwelchen ver- nünftigen oder gar künstlerischen Sinn, das Reh zu malen, wie es unserer Netzhaut erscheint, oder in kubistischer Form, weil wir die Welt kubistisch fühlen? Wer sagt mir, daß das Reh die Welt kubistisch fühlt; es fühlt sie als ‚Reh‘, die Landschaft muß also ‚Reh‘ sein. Das ist ihr Prädikat“, formuliert Marc 1911/12, Gedanken, die Maria Marc 1920 veröffentlicht. (Zit. nach: Franz Marc. Briefe, Schriften und Aufzeichnungen, hrsg. von Günter Meißner, Leipzig 1989, S. 233) Franz Marc nimmt die Naturwissenschaft sehr ernst, vergräbt sich zudem in den Geist der Tier-Symbolik und kann sich so auf romantische Weise in ausgeprägter Poesie seinen mitunter träumerischen Vor- stellungen nach einer ursprünglichen Welt hingeben. So bindet Marc die gelben Rehe ein in kreisförmige, geometrische Linien, die er aus der Haltung der Tiere heraus ableitet. Die hügelige Landschaft im Vorder- und Hintergrund wird in diesen Rhythmus runder Formge- Franz Marc, Tierschicksale, 1913, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum, Basel bilde eingeschlossen und gerät in einen kreisenden Bewegungs- impuls, entwickelt sich aus der Körperform der Tiere. Tier und Umwelt vereint der Künstler zu einer alle Bildebenen durchdringenden Synthese mit einer weich fließenden, organischen, dem Kubismus entlehnten Formensprache. Franz Marc ist fasziniert von der kubisti- schen Gestaltungsform, um die inhaltliche Aussage zu steigern, zu konzentrieren und sie mit seinen sinnbildlich aufgeladenen Farben zu besetzen. Nicht zuletzt spielt die Farbpalette in seinen Komposi- tionswelten eine höchst symbolische Rolle, wie hier das Gelb: „Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich“, schreibt Marc in einer längeren Überlegung über Farbtheorien im 19. Jahrhundert am 12. Dezember 1910 an seinen kürzlich in München gewonnenen Freund August Macke nach Bonn (August Macke, Franz Marc, Brief- wechsel, Köln 1964, S. 28).

19 Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni LYONEL FEININGER 1871 - 1956 New York

An der steilen Küste. 1921. • Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten

Aquarell und Tuschfederzeichnung. • Aus Feiningers wichtigem ersten Jahr am Staatlichen Links unten signiert, rechts unten datiert „März 1921“ und unten mittig betitelt. Bauhaus in Weimar Auf chamoisfarbenem Velin. 24,8 x 32,2 cm (9.7 x 12.6 in), Blattgröße. [CH] • Besonders detailliert ausgearbeitetes Werk „, Direktor des Lyonel Feininger Project LLC, New York – Berlin, • „An der steilen Küste“ ist ein köstliches Bespiel für Feiningers hat die Echtheit dieses Werkes, das im Archiv des Lyonel Feininger Project feinen Humor unter der Nummer 1687-04-26-21 registriert ist, bestätigt. Weiterführende Informationen für diesen Eintrag wurden von Moeller Fine Art Projects | • Segelschiff - Dampfschiff - Luftschiff: Außergewöhnliches The Lyonel Feininger Project, New York – Berlin zur Verfügung gestellt. Zeugnis von Feiningers Faszination für die Technik seiner Zeit

€ 40.000 – 60.000 $ 46,000 – 69,000

PROVENIENZ · Nachlass Julia (Julie) Feininger, New York (1970). · Marlborough Fine Art, London (1971 - mindestens 1973) · Nachlass Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude. · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG · Lyonel Feininger 1871-1956, Haus der Kunst, München, 24.3.-13.5.1973, Kunsthaus Zürich, 25.5.-22.7.1973, Kat.-Nr. 191 (mit Abb., S. 176). · Lyonel Feininger. Originale auf Papier und Druckgraphik aus dem Besitz des Sprengel Museum Hannover, 28.5.-1.9.1996, S. 5 (mit Farbabb.). · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum, Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 21 (mit Farbabb.). · Sprengel Museum, Hannover (als Dauerleihgabe seit 1986 bis Anfang 2021, Inv.-Nr. D 198)

„Ich fühle so unzählige Bilder auftauchen in meiner Fantasie, habe solche Sehnsucht nach Verwirklichung dieser Visionen, es ist wie ein Sichklammern an diesem Leben mit allen Erinnerungen (...) Seit dem Kriege, seit 1914, ist nicht diese sprudelnde Quelle von Sehnsuchtsvisionen über mich gekommen wie jetzt.“

Lyonel Feininger an seine Frau Julia am 9.9.1922

20 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 21 Das vorliegende Aquarell mit dem Titel „An der steilen Küste“ ist ein köstliches Beispiel für Feiningers feinen Humor. In der naiv-skurrilen Darstellung der Schiffe und des Zeppelins zeigt dieses Blatt eine heiter gelöste, fantasievolle Episode. Durch schwere See stampft ein Dampfer mit hoher Takelage, schwarze Rußwolken werden vom Wind verweht und umhüllen ein Segelboot mit quadratisch geformtem, gelbem Stander, der einen stilisierten Reichsadler führt. Darüber schwebt ein der Form eines U-Boots verwandter Zeppelin. Lyonel Feininger, Ausfahrende Barke, 1921, Aquarell und Tuschfeder, Wie so oft geht es Lyonel Feininger in seinen Zeichnungen und Sprengel Museum, Hannover Aquarellen um eine eher distanzierte Reflexion über die Realität. Sie © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021 gestatten ihm, sich nicht in dieser zu verlieren, sondern in ihr kosmi- sche Zusammenhänge zu entdecken. So geht es hier um Schiffe: Segel- schiff, Dampfschiff und Luftschiff. Und es geht um das Meer, für Feininger ein Synonym für geheimnisvolle Weite und Unendlichkeit. Feiningers Faszination für das Meer lässt sich bis in seine früheste Jugend zurückverfolgen und ebenso seine Liebe zum Modellschiffs- Lyonel Feininger, Windstille, 1929, Aquarell und Tuschfeder, bau, wie die detaillierte Zeichnung des Segelschiffs mit Klüverbaum Brief von Lyonel Feininger an Dr. Hermann Bode vom 28.10.1954 ehemals Sammlung Isle und Hermann Bode, Hannover und entsprechenden Vorsegeln zeigt, respektive die im 19. Jahrhun- © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021 © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021 dert und auch Anfang des 20. Jahrhunderts noch übliche Bemastung mit Takelage größerer Dampfschiffe dokumentiert. Nicht zuletzt verbindet das Luftschiff Feiningers Vision von sich bewegender Technik zwischen Meer und Himmel. Feininger erzählt diesen Zusam- menklang besonders einfühlsam in diesem wunderbaren Aquarell über feinem Bleistift. Er erzeugt mit dem oft dünnen, lasierenden Farbauftrag hier eine spannungsvolle Verbindung, gewährleistet Leichtigkeit und Transparenz, welche er in einen nahezu immate- riellen Zustand fernab einer genauen Darstellung des Dinglichen steigert. Gerade mit seinen Aquarellen gelingt es Feininger, das Werke aus der Sammlung Bode im Treppenhaus der Villa Schwebende zwischen Realität und Vision, Nähe und Ferne, sowie in der Waldseerstrasse, Hannover eine Abstraktion der Wirklichkeit zu vermitteln. Das Treffen dieser © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021 drei Schiffe erscheint somit als konstruiert im Fiktiven, es entsteht im Zusammenspiel aus vielen Skizzen, die Feininger während seiner Aufenthalte an den Küsten der Ostsee zeichnet. Die Berufung Feiningers 1919 als Formmeister für Grafik ans Bauhaus in Weimar bringt für ihn die lang erhoffte Anerkennung als Künstler. Die Lehrtätigkeit öffnet dem Künstler jene räumliche Nähe zu seinen über Jahre gepflegten und immer wieder aufgesuchten Motiven in der Umgebung, wie die Kirchen von Gelmeroda, Vollersroda, Umpfer- stedt oder Mellingen. In den Sommermonaten fährt Feininger an die Ostsee, etwa nach Timmendorf, und 1921 auch nach Heiligenhafen auf der östlichen Spitze der Halbinsel Wagrien und besucht die Insel Fehmarn. Die Nähe zum Meer bedeutet für Feininger große Lebens- qualität, dort findet er die Schiffe, Schiffe aller Art: kleine Kutter,

Lyonel Feininger, Dessau, 1928 große Frachtdampfer oder elegante Segelyachten, bisweilen auch © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021 Luftschiffe.

22 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 23 Aus der Auktion Klassische Moderne | 18. Juni OTTO GLEICHMANN 1887 Mainz - 1963 Hannover

Frauenbildnis. 1926. • Aus einer renommierten Sammlung

Öl auf Leinwand. • Otto Gleichmann ist Hauptfigur der Hannoverschen Links unten signiert und datiert. Verso nochmals signiert und datiert. Sezession und stellt u.a. bei Flechtheim und Nierendorf 76 x 40 cm (29.9 x 15.7 in). aus, seit 1937 gelten seine Werke als entartet

Die vorliegende Arbeit wird von Frau Petra Wenzel in das in Vorbereitung • Romantisch zarte und dennoch expressive Züge lassen befindliche Werkverzeichnis aufgenommen. sich wahrnehmen, etwas Mädchenhaftes, das an Bildnisse von erinnert € 20.000 – 30.000 $ 24,000 – 36,000

PROVENIENZ · Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude. · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG · Otto Gleichmann. Gemälde, Gouachen, Zeichnungen 1907 - 1932, Kestner- Gesellschaft, Hannover, 121. Ausstellung, 2. Juni - 26. Juni 1932, Kat.-Nr. 13. · Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle und Handzeichnungen 1908-1955, Kunstverein Braunschweig, 21. August - 18. September 1955, Kat.-Nr. 15. · Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Kunstverein Hannover, 25. August - 22. September 1957, Kat.-Nr. 79. · Die Zwanziger Jahre in Hannover, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1962, Kat.-Nr. 14 mit Abb. · Die Pelikan Kunstsammlung, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1963, Kat.-Nr. 41 mit SW-Abb. S. 83. · Otto Gleichmann. Gemälde 1908-1963, Galerie im Rathaus Tempelhof, Berlin, 29. Januar - 26. März 1970), Berlin 1970, Kat.-Nr. 22. · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum Hannover, 23.9.2017 - 7.1.2018, Aust. Kat. S. 115 · Sprengel Museum, Hannover (Dauerleihgabe bis Anfang 2021).

LITER ATUR · Elger, Dietmar und Krempel, Ulrich (Hrsg.): Malerei und Plastik. Band 1: Text. Band 2: Bestandsverzeichnis (Sprengel Museum, Hannover), Hannover 2003.

„Als Künstler war er ein poetischer Träumer und wilder Phantast. Seine Phantasie war vielleicht nordisch, seine Farbe und sein Pinselstrich eher französisch, eine sehr persönliche, oft ganz raffinierte Handschrift.“

Kate Steinitz

Otto Gleichmann, Selbstbildnis, 1926, Sprengel Museum, Hannover

24 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 25 Musikzimmer in der Villa Bode in der Waldseerstraße, Hannover. Esszimmer im Neubau in Steinhude mit Ilse Bode, geb. Beindorff, Hinten links das Portrait von Gleichmann, geradeaus El Lissitzky, Proun 30T, 1921 über der Anrichte Gleichmanns Portrait.

Die Begegnung mit diesem Frauenbildnis von Otto Gleichmann er- seine Tiere aus Angstträumen; seine Frauen und Männer waren weckt Staunen. Ein Erstaunen über den besonderen Charakter der Geister aus einem erotischen, oft morbiden Zwischenland zwischen Malerei Mitte der 1920er Jahre, der sich nicht an der Neuen Sachlich- Himmel und Hölle“ (Kate Steinitz, in: 50 Jahre Kestner-Gesellschaft, keit orientiert, sondern bei aller Klarheit romantisch zarte und den- hrsg. von Wieland Schmied, Hannover 1966, S. 37f.). 1918 treten er noch expressive Züge wahrnehmen lässt, etwas Mädchenhaftes, das und seine Frau der Hannoverschen Sezession bei. Und so wird Gleich- an Bildnisse von Marie Laurencin erinnert, etwas Theatralisches, das mann auch Zeuge der Konstruktivisten, die sich 1921/22 um Kurt an frühe Düsseldorfer Malerei von Gerd Wollheim denken lässt. Schwitters, Hans Arp, Theo van Doesburg, Raoul Hausmann, El Lis- Gleichmann malt das Bildnis einer in sich gekehrten, schüchtern sitzky, László Moholy-Nagy, Hans Richter, Tristan Tzara und andere anmutenden Frau mit gesenktem Blick, gerahmt von offen getrage- bilden. Er wird Zeuge des wohl 1923 begonnenen „Merzbaus“, dem nem, weich auf das schulterbreite Dekolletee fallendem Haar. Es ist vielleicht skurrilsten Werk Schwitters, ein fantastisch, verwirrend ein besonderes Bildnis, das im bis dato in Ausstellungen veröffent- komponierter Raum mit vielfältig verbauten plastischen Formen, lichten Werk nicht zu sehen ist, etwa 1916 im Kestner-Museum, Fundstücken, Spolien und Reliquien aus anderen Zusammenhängen, Hannover, im darauffolgenden Jahr im Kunstverein Jena, im Museum ein Kunstraum, der eine geistige Entsprechung in den Proun-Räumen der Stadt Erfurt oder 1919 in Gleichmanns erster umfangreicher von El Lissitzky erfährt mit dessen streng experimentell gehaltenen Ausstellung in der Galerie von Alfred Flechtheim in Düsseldorf mit Konstrukten, eine Weiterführung des Suprematismus in die dritte Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen seit 1911. Die Besucher und Be- Dimension. Und Otto Gleichmann? Er nimmt teil an dem Aufbruch, sucherinnen entdecken einen an den Kunstakademien in Düsseldorf, ohne ihn selbst künstlerisch zu leben, lebt in einer Stadt, die mit der Breslau und Weimar unterrichteten Künstler, der sich unter dem Kestner Gesellschaft seit 1916 am Puls der Zeit die Avantgarde aus- Eindruck der Kriegserlebnisse zu einem ungezügelten, überexpressiv stellt und 1932 auch ihm eine umfangreiche Retrospektive ausrichtet. malenden Einzelgänger wandelt. 1915 heiratet er die Malerin Lotte Unter den Nationalsozialisten wird seine Kunst geächtet, sodass er Giese. Nach den Kriegsjahren, an der Front in Russland und Frankreich, sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht. 1936 erhält er schließlich lässt sich Gleichmann dauerhaft in Hannover nieder. „Er trägt den Ausstellungsverbot. Zudem sind einige seiner Bilder, die aus Museen Titel Studienrat und gibt Zeichenunterricht im Georgs-Gymnasium“, beschlagnahmt werden, 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete weiß die Künstlerin und Kunstkritikerin Kate Steinitz zu berichten. Kunst“ zu sehen. Während des Zweiten Weltkriegs wird sein Atelier „Jedoch als Künstler war er ein poetischer Träumer und wilder Phan- in Hannover ausgebombt. Trotz des Verlustes unzähliger Werke tast. Seine Phantasie war vielleicht nordisch, seine Farbe und sein beginnt er kurz nach dem Krieg wieder Ausstellungen im In- und Aus- Pinselstrich eher französisch, eine sehr persönliche, oft ganz raffi- land zu bedienen. 1987 würdigt ihn das Sprengel Museum in Hannover nierte Handschrift. Seine Blumen kamen aus einer Traumlandschaft, posthum mit einer großen Retrospektive.

27 Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni OTTO MUELLER 1874 Liebau/Riesengebirge - 1930 Obernigk bei Breslau

Sitzender weiblicher Akt. Um 1925. • Charakteristische Kreidezeichung in feiner Farbpalette

Farbige Kreidezeichnung . • Durch die klare Rahmenzeichnung einem Gemälde gleich Pirsig-Marshall / von Lüttichau 1925/39. Rechts unten signiert. • Seit fast 70 Jahren in Familienbesitz, seit 50 Jahren nicht Auf festem Velin. 64 x 46 cm (25.1 x 18.1 in), Blattgröße. mehr ausgestellt € 30.000 – 40.000 • Mueller ist stets damit beschäftigt, ausgewogene $ 34,500 – 46,000 Erzählungen von ebenschönen Körpern in Szene zu setzen und die Proportion als das Maß herauszustellen

PROVENIENZ • Mueller geht es also um das Sein und die Gestalt der Frau. · Sammlung Max Fischer, Stuttgart (bis 1954, Stuttgarter In ihr findet er Eros und Schönheit in idealisierter und Kunstkabinett, 20.5.1954). reduzierter Form · Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude.

· Privatsammlung (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG · Otto Mueller: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik, , 1956, Kat.-Nr. 66; Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen, 9.12.1956-13.1.1957, Kat.-Nr. 45 (Maße hier 46 x 41 cm); Städtisches Kunst- museum, Duisburg, 26.1.-24.2.1957, Kat.-Nr. 54 (hier 47,5 x 41 cm). · Die Pelikan-Kunstsammlung. Aus dem Besitz des Hauses Günther Wagner, Hannover, Pelikan-Werke und der Familie Beindorff, Kunstverein Hannover, 28.4.-16.6.1963, Kat.-Nr. 103, Abb. S. 82 (Maße hier 65,5 x 47 cm); Städtische Galerie im , München, 8.1.-7.2.1965 (hier 65 x 47 cm); Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 12.3.-2.5.1965, Kat.-Nr. 105, Abb. S. 62 (hier 65,5 x 47 cm). · Meister der Zeichnung in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts, Kunstverein Hamburg, 2.9.-15.10.1967; Frankfurter Kunstverein, Frank- furt a. M., 27.10.-10.12.1967, Kat.-Nr. 173 m. Abb (Maße hier 65,5 x 47 cm).

LITER ATUR · Wenzel Nachbaur, Otto Mueller Werklisten, Archiv Roman Norbert Ketterer, Kirchner Museum, Davos 1950er Jahre (m. Abb.).

28 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 29 Otto Mueller, Halbakt, um 1925, Farbige Kreide auf Velin, Privatbesitz

Der weibliche Akt, der Akt im Raum, der Akt in der Landschaft sind oder in ihren Ateliers erleben und charakteristisch und tief verankert im Werk Otto Muellers. Besonders damit den berühmten expressiven „Brücke“-Stil kreieren. Mueller ist das Thema „Akt in der Landschaft“ formuliert der Künstler auf viel- vielmehr damit beschäftigt, ausgewogene Erzählungen von eben- fältige Weise: So variiert er zwischen reiner Figurenstudie, umfangen schönen Körpern in Szene zu setzen und die Proportion als das Maß von angedeuteten Wiesen und Buschwerk, oder mit vereinzelten herauszustellen. Mueller geht es also immer und immer wieder von Figuren belebten weitläufigen Landschaften mit Dünen, an verwun- Neuem um das Sein und die Gestalt der Frau. In ihr findet er Eros schenen Teichen und unter Baumgruppen. und Schönheit in idealisierter und reduzierter Form, um seine per- Aktdarstellungen wie in dieser Zeichnung „Sitzender weiblicher Akt“ sönliche Vorstellung vom weiblichen Körper in vollendeter Bewegung sind dagegen eher selten, in der feinen Ausführung direkt und sehr oder wie hier in Anmut vor dem Künstler sitzend mit wenigen kon- viel intimer. Dargestellt sind Muellers jeweilige Lebenspartnerinnen zentrierten Strichen mit blauer Kreide zu zeichnen, den Raum mit wie seine erste Frau Maschka Meyerhofer, mit der der Künstler auch etwas lavierendem Gelb zu bestimmen. Die Beschäftigung mit dem nach der Scheidung 1921 engen Kontakt behält, oder Irene Altmann, weiblichen Körper ist für den Künstler belebend und er lässt uns, die die unerfüllte Liebe zu Beginn der Professur 1919 in Breslau, ab 1921 Betrachter:innen, an diesem Gefühl teilhaben. In der Suche nach dem Elisabeth Lübke, Muellers zweite Frau und Mutter des gemeinsamen Selbst, in der Suche nach dem Menschlichen entwickelt Mueller Sohnes Josef, und schließlich Elfriede Timm ab 1927. seine künstlerische Motivation. Und hier nährt sich der Gedanke, Eine persönliche Beziehung zu dem Modell - hier also Elsbeth - ist dem dass es Muellers Ziel sein könnte, wie in dieser Ausgewogenheit Künstler für solch Nahsicht ausgesprochen wichtig. Zuweilen greift „Urbilder“ zu schaffen. Auf diesem Weg begleiten ihn das Studium Mueller auch auf Fotos zurück, auch dient ihm bisweilen eine Glieder- künstlerischer Vorbilder, das Beobachten besonders weiblicher puppe, um Bewegung und Grazie seiner Modelle imaginär nachzu- Körper, die starke Einflussnahme der Frauen in seinem Leben sowie stellen. Es sind dies keine spontan festgehaltenen Szenen, wie sie seine ständige Selbstreflektion.

31 Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni PAUL KLEE 1879 Münchenbuchsee (Schweiz) - 1940 Muralto/Locarno

Grundverhexte Landschaft. 1924. • Seit Entstehung Teil der bedeutenden Sammlung Hermann Bode Federzeichnung und Aquarell. Klee 3521. Rechts unten signiert und betitelt sowie unten mittig unterhalb der • Motivisch singuläres Werk mit der für Klee so Darstellung datiert und mit der Werknummer „149“ bezeichnet. Auf Bütten von charakteristischen Bildsprache und klaren Formulierung. Ingres, original auf Karton montiert, auf Malpappe. 28,5 x 32,5 cm (11.2 x 12.7 in), • Surreale Komposition aus seiner wichtigen, Blattgröße. Unterlagekarton: 32,5 x 47,9 cm (12.8 x 18.9 in). [CH] erfindungsreichen Bauhaus-Zeit € 100.000 – 150.000 • Bereits 1931 erstmals ausgestellt (Kestner-Gesellschaft) $ 115,000 – 172,500 • Paul Klee überrascht mit erstaunlichen Bildideen, beseelt von wundervollen Phantasien. PROVENIENZ

· Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude (direkt vom Künstler erworben: In seinem Œuvrekatalog vermerkt Klee „Dr Bode Zahnarzt in Hannover 300 GM“). · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG · Paul Klee. Gemälde, Aquarelle, Graphik 1903-1930, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 7.3.-5.4.1931. · Paul Klee, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 20.5.-22.6.1952, Kat.-Nr. 84. · Zeitgenössische Kunst aus hannoverschem Privatbesitz, Kestner- Gesellschaft, Hannover, 1954, Kat.-Nr. 80 (auf der Malpappe verso mit dem Ausstellungsetikett). · Die Pelikan-Kunstsammlung, Kunstverein Hannover, 28.4.-16.6.1963, Kat.-Nr. 65 (ohne Abb.). · Die Pelikan-Kunstsammlung, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 8.1.-7.2.1965, Kat.-Nr. 69 (ohne Abb.). · Paul Klee. Das Werk der Jahre 1919-1933 (Gemälde, Handzeichnungen, Druckgraphik), Kunsthalle Köln, 11.4.-4.6.1979, Kat.-Nr. 137 (mit Abb.). · Paul Klee. Sonderklasse, unverkäuflich, Zentrum Paul Klee, Bern, 21.10.2014- 1.2.2015, Museum der bildenden Künste, Leipzig, 1.3.-25.5.2015, S. 594 · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 21 (mit Abb.). · Sprengel Museum, Hannover (als Leihgabe bis Frühjahr 2021, auf der Malpappe verso mit dem teils handschriftlich, teils typografisch bezeichneten Etikett).

LITER ATUR · Bernd Rau, Kunstmuseum Hannover und Sammlung Sprengel, Bestandskatalog Paul Klee. Gemälde, farbige Blätter, Zeichnungen, druckgraphische Werke, Hannover 1980, Kat.-Nr. A5 (mit Abb.).

32 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 33 „Was dann aus diesem Treiben erwächst, möge es heißen, wie es mag, Traum, Idee, Phantasie ist erst ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbindet.“

Paul Klee, Über die moderne Kunst, Bern 1945, S. 53 Paul Klee, Sechsbeiniger Hundsteufel, 1925, .Z ‚null‘, Federzeichnung, mit einer Widmung an Hermann Bode: „Für Herrn Dr. Bode als Jahresgabe 1925/26 mit besten Wünschen. Klee“ (ehemals Sammlung Ilse & Hermann Bode, Hannover)

Paul Klee, Luftkampf (Höhenkampf), 1917, 126, Feder und Aquarell, Privatsammlung (ehemals Sammlung Ilse & Hermann Bode, Hannover) Paul Klees Bildideen zu entschlüsseln ist ein zumeist spekulatives und führt dann aus: „Anmaßend wird der Künstler, der dabei bald und für sie auch immer wieder von neuem belebt. Und doch darf man Unterfangen. Vielmehr gilt es, sich seinen wundervollen Fantasien irgendwo stecken bleibt. Berufen aber sind die Künstler, die heute zur Dechiffrierung der „Grundverhexten Landschaft“ diese kurze Pas- hinzugeben und sie auf sich wirken zu lassen. „Grundverhexte Land- bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes dringen, wo das Urgesetz sage fast wörtlich zugrunde legen, um dieser „fantastischen“ Land- schaft“ ist so ein Blatt, das sich zwar beschreiben lässt, Zusammen- die Entwicklungen speist. Da, wo das Zentralorgan aller zeitlich- schaft die Sinnfälligkeit zu entlocken. Entschlüsselt ist sie damit nicht, hänge und Vermutungen sich jedoch nicht unbedingt schlüssig räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, auch wenn Assoziationen reichlich hervortreten, je intensiver wir das darlegen lassen. Oder vielleicht doch? alle Funktionen veranlaßt, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? im Raum schwebende Gebilde betrachten. Aus einer Ur-Blase irgend- 1924, das Jahr der Entstehung, dürfte einige Aufregung im Leben des Im Schoße der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime wo im gigantischen Kosmos schwimmend, gefüllt mit lebengebendem Bauhauslehrers parat gehabt haben: Am 7. Januar eröffnet Katherine Schlüssel zu allem verwahrt liegt? Aber nicht alle sollen dahin! Jeder Plasma, so könnte man beginnen, erwächst eine Entwicklungslinie, Dreier, Malerin und Kunstsammlerin, für Klee die erste Einzelausstel- soll sich da bewegen, wohin ihn der Schlag seines Herzens verweist. an der entlang Mikroben die Photosynthese entwickeln, um damit das lung in der New Yorker Kunstvereinigung „Société Anonyme“. Etwas So hatten zu ihrer Zeit unsere gestrigen Antipoden, die Impressio- Wachsen der Urahnen von Pflanzen und Tieren zu ermöglichen. Am zeitversetzt hält Klee am 26. Januar den erst 1945 publizierten Vortrag nisten völlig recht, bei den Wurzelschößlingen, beim Bodengestrüpp Ende überführt Klee die mit erotischen Bezügen an gereicherte Linie, „Über die moderne Kunst“ im Kunstverein in Jena anlässlich einer Aus- der täglichen Erscheinungen zu wohnen. Unser pochendes Herz aber versehen mit stabilisierenden Gebilden, in eine ziel genaue Richtung: stellung seiner jüngsten Arbeiten. Ende März gründen Klee, Lyonel treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund. Was dann aus diesem Das Ziel noch im Nichts wäre der Evolutionstheorie zufolge die Geburt Feininger, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky die Künstler- Treiben erwächst, möge es heißen, wie es mag, Traum, Idee, Phan- der Primaten. Zeichnet Klee also den Beginn einer verkürzten Evolu- gruppe „Die Blauen Vier“. Begleitet wird das vor allem für den ame- tasie ist erst ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden tionslinie für die Entwicklung der Erde? Vielleicht. rikanischen Markt gedachte Projekt von der Malerin Emmy (Galka) bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbindet. Dann werden „Es wird niemand einfallen, vom Baum zu verlangen, daß er die Scheyer, die seit 1919 für Jawlensky händlerisch tätig ist. Und im jene Kuriosa zu Realitäten, zu Realitäten der Kunst, welche das Leben Krone genauso bilde, wie die Wurzel“, so Klee noch einmal in seinem De zember geben Walter Gropius und die Meister am Bauhaus wegen etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint. Weil sie nicht Vortrag. „Jeder wird verstehen, daß kein exaktes Spiegelverhältnis massiven Budgetkürzungen die Auflösung des Staatlichen Bauhauses nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben, zwischen unten und oben sein kann. Es ist klar, daß die verschiedenen in Weimar bekannt. Für Klee wohl ein Jahr mit Höhen und Tiefen. sondern geheim Erschautes sichtbar machen.“ (Paul Klee, Über die Funktionen in verschiedenen Elementarbereichen lebhafte Ab- Betrachten wir die surreal wirkende „Grundverhexte Landschaft“ moderne Kunst, Bern 1945, S. 47). weichungen zeitigen müssen.“ Paul Klee, Blitzschlag, 1924, 125, Ölpause, Aquarell, Gouache auf Papier und Gipsgrundierung auf Gaze. eingehender, so ist für die Analyse ein Blick in den 1924 von Klee in Natürlich sind Klees Bemerkungen über die moderne Kunst auch von „Grundverhexte Landschaft“ ist ein erstaunliches Gebilde, das irgend- Privatbesitz (ehemals Sammlung Ilse und Hermann Jena gehaltenen Vortrag aufschlussreich. In diesem überschreibt der seiner schier endlosen Poesie getragen. Sie mag in gewisser Weise wo in den weiten Galaxien schwebt und uns mit Paul Klees neugierig Bode, Hannover) Künstler einen Abschnitt mit „Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen!“ seine Lehre am Bauhaus spiegeln, die er für seine Schüler entwickelt machender Findung eine traumhafte Begegnung beschert.

34 KETTERER KUNST Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de 35 ANSPRECHPARTNER

Robert Ketterer Gudrun Ketterer, M.A Auktionator Auktionatorin Tel. +49 89 55244 - 158 Tel. +49 89 55244 - 200 [email protected] [email protected]

Dr. Sebastian Neußer Dr. Mario von Lüttichau Director Wissenschaftlicher Berater Tel. +49 89 55244 - 170 Tel. +49 - (0)170 - 286 90 85 [email protected] [email protected]

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MÜNCHEN BERLIN Julia Haußmann, M.A. Dr. Simone Wiechers of Customer Relations Tel. +49 30 88675363 Tel. +49 89 55244 - 246 [email protected] [email protected]

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FRANKFURT Klassische Moderne Undine Schleifer, MLitt Tel. +49 69 95504812 MÜNCHEN [email protected] Sandra Dreher, M.A. Tel. +49 89 55244 -148 [email protected] NORDDEUSTCHLAND, SCHWEIZ, ITALIEN, FRANKREICH, BENELUX Barbara Guarnieri, M.A. MÜNCHEN Tel. +49 40 374961- 0 Larissa Rau, B.A. Mob. +49 171 6006663 Tel. +49 89 55244 -143 [email protected] [email protected] SACHSEN, SACHSEN-ANHALT, THÜRINGENN Stefan Maier Tel. +49 170 7324971 Kunst des 19. Jahrhunderts [email protected]

MÜNCHEN USA Sarah Mohr, M.A. Dr. Melanie Puff Tel. +49 89 55244 -147 Ansprechpartnerin USA [email protected] Tel. +49 89 55244 - 247 [email protected]

THE ART CONCEPT Wissenschaftliche Katalogisierung Andrea Roh-Zoller, M.A. Tel. +49 172 4674372 Silvie Mühln M.A., Dr. Julia Scheu, Dr. Eva Heisse, Christine [email protected] Hauser M.A., Dr. Agnes Thum, Sarah von der Lieth, M.A., Dr. Mario von Lüttichau, Katharina Thurmair M.A. – Katalog- beiträge: Dr. Mario von Lüttichau – Lektorat: Text & Kunst KONTOR Elke Thode

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