08 30.1. – 5.2.2016 Kopf der Woche

Christian Lindner » Wer derzeit den FDP-Chef trifft, „Merkel hat den Bezug erlebt einen Wahlkämpfer in Topform. Einen, der sich ­entschlossen gibt, die zur Realität verloren“ ­„Sozialdemokratisierung“ Deutschlands zu stoppen

VITA

Rasante Karriere Christian Lindner, geboren am 7. Januar 1979 in , trat 1995 der FDP bei. Bis 2006 studierte er Politik, Öffentliches Recht und Philosophie. Von 2000 bis 2009 war er Landtags- abgeordneter in Nordrhein-­ Westfalen. 2009 wechselte er in den und wurde im gleichen Jahr FDP-General- sekretär. Von diesem Amt trat er Ende 2011 zurück. Sein Bundestagsmandat­ gab er im Juli 2012 auf, um Chef der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag und des Landesver- bands NRW zu werden. Das ist er bis heute. Ende 2013 wurde der damals 34-Jährige jüngster FDP-Chef in der Parteige- schichte. Bild: Werner Schuering/FDP Werner Bild: AUSGABE 05/16 09

VON MARIO MÜLLER-DOFEL politik und wollen einen neuen Wer behauptet, Kapitalerträge wür- Transferunion geht. Die FDP hätte Schwerpunkt bei Infrastruktur set- den durch die Abgeltungsteuer ge- dem nicht zugestimmt. m 13. März beginnen die zen — bei Straßen und Datenauto- ringer besteuert als Erträge aus Ar- Vorläufe für die Bundes- bahnen. Und die Wahl der FDP ist beit, streut den Menschen Sand in Der Griechenland-Rettung oder tagswahl 2017 — mit den natürlich ein Signal, dass man die die Augen. Die Abgeltungsteuer einer­ Transferunion? A Landtagswahlen in Ba- zunehmende Sozialdemokratisie- sollte so bleiben, statt wieder die Bü- Das ist inzwischen ja dasselbe. Die den-Württemberg, Rheinland-Pfalz rung Deutschlands stoppen will. rokratie bei den Einkommensteu- FDP ist dagegen, dass finanzielle und Sachsen-Anhalt. FDP-Chef ern auszubauen. Entscheidungen nationalstaatlich Christian Lindner, der die Liberalen Was wollen Sie stoppen? getroffen, die Finanzrisiken aber seit dem Abschied aus dem Bundes- Vor allem die mittelstandsfeindliche Okay, Sie sind in Wahlkampfform. vergemeinschaftet werden. Diese tag im Jahr 2013 neu ausrichtet, sieht Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bei der Bundestagswahl 2013, als Praxis hat vor wenigen Tagen auch sich bestätigt: Seine Partei erhält in Großen Koalition, die sich etwa im die FDP aus dem Bundesparlament Bundesbankpräsident Jens Weid- Meinungsumfragen wieder fünf neuen Erbschaftsteuergesetz und geflogen ist, hat die AfD bei Ihnen mann einmal mehr kritisiert. Prozent und mehr Wählerstimmen. rückläufigen Investitionen und In- gewildert. Wollen Sie den Spieß Auch prominente FDP-Neuzu- novationen im Mittelstand wider- wieder umdrehen? Weidmann warnt auch vor den gänge wie Jürgen Hambrecht, spiegelt. Wir müssen den Strom­ Wir sind das genaue Gegenteil von ­Gefahren der Niedrigzinspolitik in Ex-Vorstandschef und heutiger Auf- preisanstieg in den Griff bekom- dieser Partei. Die stehen für völki- der EU. Sind Sie auch hier seiner sichtsratsvorsitzender des Chemie- men, indem wir Ökostromsubventi- sche Ideale, wir für die Entfaltung Meinung? konzerns BASF, Jürgen Behrend, onen abschaffen — weg mit dem des Einzelnen. Die schüren die Selbstverständlich. Die Minizinsen Chef des Autozulieferers Hella, und Erneuerbare Energien Gesetz, hin Ängste der Bürgerinnen und Bür- verleiten die Staaten dazu, via die ehemaligen Piratenpartei-Vor- zu mehr Marktwirtschaft. Wir müs- ger, wir wollen Ängste nehmen und Staatsanleihen immer neue Schul- sitzenden Bernd Schlömer und Se- sen die degressive Abschreibung auf den Einzelnen groß machen. Die den zu machen und sogar nötigste bastian Nerz sind für Lindner Indi- Anlageinvestitionen wieder einfüh- stehen für Hass und Abschottung, Reformen für eine erhöhte Wettbe- zien dafür, „dass die FDP wieder at- ren. Wir müssen Forschung steuer- wir für Freiheit und Weltoffenheit. werbsfähigkeit vor sich herzuschie- traktiv für Marktwirtschaftler und lich fördern und, und, und. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ben. Wenn das so bleibt, geht der Bürgerrechtler ist“. in dieser rückwärtsgewandten und Euro kaputt. Im Interview argumentiert der Sie sprühen ja vor Kampfgeist. verantwortungslosen Truppe je- 37-Jährige gegen wirtschaftsfeindli- Der vor wenigen Tagen veröffent- mand ist, der sich mit der FDP iden- Würde die Europäische Zentral- che Bürokratiemonster, die „Lirafi- lichte Jahreswirtschaftsbericht war tifiziert. bank (EZB) den Leitzins erhöhen, zierung“ des Euro und „naiven“ Op- ein Warnschuss. Die deutsche Wirt- könnten die Staatsfinanzen in timismus in der Flüchtlingsdebatte. schaft ist nicht unverwundbar. Ab Damals gab es den AfD-Chef Bernd ­Europa außer Kontrolle geraten. sofort muss alles unterlassen wer- Lucke, der seinen Wählern vor al- Ist der Reformstau nicht das klei- den, was Investitionen behindert — lem mit seiner Kritik an der Euro-­ nere Übel? €URO AM SONNTAG: Herr Lindner, denken wir nur an Bürokratiemons- rettungspolitik aus der Seele Nein. EZB-Präsident Mario Draghi kurz und knackig: Was können die ter wie die Mindestlohndokumenta- sprach. Gibt es die Eurokrise noch? muss die Lirafizierung des Euro Menschen von der FDP erwarten, tion, an die Arbeitsstättenverord- Nur weil die Flüchtlingskrise in der stoppen, damit die europäischen sollte sie am 13. März in einen oder nung, an steigende Sozialabgaben öffentlichen Wahrnehmung so do- Regierungen wieder unter Reform- mehrere Landtage gewählt werden? und eben an die Erbschaftsteuer. minant ist, ist die Eurokrise noch druck kommen. Die Bundesregie- CHRISTIAN LINDNER: Uns geht es lange nicht gelöst. Und das besorgt rung sollte die Risiken von Staats- um einen Politikwechsel in den drei Was ist mit der 25-prozentigen Ab- mich zutiefst, zumal die Stabilisie- anleihen offen artikulieren. Ländern. Wir wollen eine Bildungs- geltungsteuer für Kapitalerträge? rungspolitik in Europa seit dem drit- politik, die die berufliche Bildung Bundesfinanzminister Wolfgang ten Griechenland-Rettungspaket, Welche Risiken sehen Sie? und das Gymnasium stark macht. Schäuble würde Kapitalerträge das die Eurofinanzminister im Au- Es ist verantwortungslos, dass Wir stehen für wirtschaftliche Ver- ­lieber dem persönlichen Steuersatz gust des vergangenen Jahres gebil- Staatsanleihen in den Bank- und nunft und eine solide Haushalts­ unterwerfen. ligt haben, ganz klar in Richtung Versicherungsbilanzen ohne Eigen-

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kapitalhinterlegung und Risikogewich­ aber sein, dass Kriegsflüchtlinge später ­eines europäischen Bundesstaats mit tung gehalten werden dürfen. Diese Pra­ wieder in ihre Heimat zurückkehren, Steuerhoheit voran. xis zur Förderung des Staatsanleihe­ um sie neu aufzubauen. verkaufs an beispielsweise deutsche Unabhängig davon: Was halten Sie von Es hat den ­Lebensversicherungen und Versor­ Bayerns Ministerpräsident Horst einer Benzinsteuer? Anschein, als gungswerke ist eine bizarre Verzerrung Seehofer fordert eine Obergrenze von Ich halte sie für doppelt falsch. wollte Wolfgang zu Ungunsten anderer Anlageklassen. höchstens 200 000 Flüchtlingen pro Jahr in Deutschland. Warum? Schäuble am In diesem Zusammenhang plädiere ich Stuhl der daher für andere Anlagerichtlinien für Eine Obergrenze verstößt gegen EU- Erstens verbucht Schäuble seit Jahren die gerade genannten Kapitalsammel­ Recht und die Genfer Flüchtlingskon­ immer neue Steuereinnahme­rekorde Kanzlerin sägen.“ stellen. vention. Zudem ist sie kaum praktisch und profitiert zudem von Niedrigzin­ Christian Lindner, umsetzbar. Was machen wir, wenn nur sen, wodurch die Kosten der Flücht­ FDP-Parteichef Das umstrittenste Thema derzeit sind einer mehr als in der Obergrenze defi­ lingskrise in Deutschland leicht bezahl­ Flüchtlinge: 2015 kamen hierzulande niert, an der Grenze steht? Die Ober­ bar sein sollten. Zweitens sollten wir 1,1 Millionen Flüchtlinge an. Kann sich grenze ist eine Symboldebatte, die nur keine europäische Steuer bekommen.­ Deutschland 2016 das wieder leisten? die Rechtspopulisten stärkt. Nein. Es waren schon 2015 zu viele, um Warum nicht? sie schnell in den Arbeitsmarkt zu inte­ Was schlagen Sie stattdessen vor? Regierungen sollten nur dann Steuern grieren. Die Regierung muss das Chaos Die Beendigung des deutschen Sonder­ erheben dürfen, wenn sie demokratisch beenden und zu einem System von wegs ist die Voraussetzung für eine eu­ abwählbar sind. Die Europäische Kom­ Recht und Ordnung zurückfinden. Die ropäische Antwort auf diese Herausfor­ mission ist aber nicht unmittelbar ab­ Zahlen müssen sinken. derung. Auf dem nächsten europäi­ wählbar. schen Gipfel muss Frau Merkel eine ge­ Viele Politiker, Ökonomen und Kon- meinsame Strategie für den Schutz der Wer wäre eigentlich Ihr favorisierter zernvertreter sind eher optimistisch. Außengrenzen, Flüchtlingskontingente Koalitionspartner, wenn heute Bundes- Sie sagen, der Flüchtlingsstrom könne und deren faire Verteilung in Europa er­ tagswahlen wären? sogar unser Demografieproblem lösen. reichen. Wenn die EU-Mitgliedsstaaten Das wäre ganz schwer ... (überlegt). Das ist naiv! Es kommen doch kaum dort keinen konkreten Beschluss fas­ Fachkräfte, die den Standards des deut­ sen, muss Deutschland die Regeln der Grübeln Sie etwa auch über die Grünen schen Arbeitsmarkts entsprechen. Die Dublin-III-Vereinbarung sofort wieder und Linken nach? Regierung selbst rechnet doch damit, in Kraft setzen und an seinen Grenzen Das Problem ist, dass sich die größeren dass die Anzahl von Hartz-IV-Empfän­ Flüchtlinge in sichere Drittländer zu­ Parteien im Bundestag nur im Grad der gern steigen wird. Übrigens auch des­ rückweisen. Der Rechtsstaat muss wie­ Sozialdemokratisierung unterscheiden. halb, weil die Hürden zum deutschen der die Kontrolle darüber bekommen, Sicherlich hat die FDP mehr Berührungs­ Arbeitsmarkt immer höher geschraubt wer zu uns einreist. Und Europa braucht punkte mit der CDU. werden: mittels Mindestlohn, Ein­ geschützte Außengrenzen. schränkungen bei Zeitarbeits- und Im November sind in den USA Werksverträgen und so weiter. Die Flüchtlingsströme verursachen Präsident­schaftswahlen. Barack Milliardenkosten. Deshalb hat Bundes- Obama muss nach acht Jahren im Amt Was schlagen Sie speziell für die Flücht- finanzminister Wolfgang Schäuble abtreten. Bräuchten wir diese Praxis linge vor? kürzlich eine europäische Benzinsteuer auch hierzulande? Dass sie kürzere Ausbildungen absolvie­ vorgeschlagen, obwohl seine Chefin Bei der Flüchtlingskrise hat man den ren dürfen als normalerweise üblich in Steuererhöhungen Eindruck, dass Angela Merkel völlig den Deutschland, damit sie schnellstmög­ ­wegen der Flüchtlinge ausgeschlossen Bezug zur Realität verloren hat. Wenn lich strukturierte Tage mit sinnvollen hat. Was treibt den Minister um? man das sieht, sollte man in der Tat Tätigkeiten verleben und die hohen An­ Es hat den Anschein, als wollte Wolf­ darüber nachdenken, die Amtszeit zu forderungen unseres Arbeitsmarkts gang Schäuble am Stuhl der Kanzlerin begrenzen und für einen regelmäßigen kennenlernen. Das wichtigste Ziel muss sägen. Außerdem treibt er seine Idee Wechsel zu sorgen.

INDEX

FIRMEN Deutsche Bank...... 13 Netflix...... 49 Siemens...... 24 Berlien, Olaf...... 6 Kaeser, Joe...... 24 Schenck, Marcus...... 13 Alibaba...... 36 Deutsche Börse...... 14 Newmont Mining...... 38 Sunny Optical...... 23 Bielmeier, Stefan...... 16 Kengeter, Carsten...... 14 Schrempp,Jürgen...... 7 American Airlines...... 36 Deutsche Post...... 36 Novartis...... 36 Transocean...... 20 Bonnafet, J.-L...... 7 Kibsgaard Paal...... 20 Schwan, Severin...... 32 Apple...... 36 Deutsche Wohnen...... 14 Nvidia...... 23 ...... 11 Büchele, Wolfgang...... 11 Lance, Ryan...... 20 Senn, Martin...... 11 BASF...... 36 Dialog Semicond...... 15 Papa John’s...... 36 Virgin America...... 36 Cohen, Marshal...... 25 Lucks, Kai...... 76 Sheets, Jeff...... 20 Bayer...... 36 Energiekontor...... 36 Qiagen...... 38 Volkswagen...... 14 Cryan, John...... 13 Lutz, Frank...... 36 Solveen, Ralph...... 53 Bet-at-home...... 35 Exxon Mobil...... 20 Roche...... 35 Vonovia...... 14 Dorsey, Jack...... 11 Müller, Matthias...... 15 Stolberg, Niels...... 11 Comdirect...... 14,35 Facebook...... 35 Royal Caribbean...... 36 Zurich Vers...... 11 Dudenhöffer, Ferdin.....14 Preißler, Harald...... 16 Teyssen, Johannes...... 7 Conoco Phillips...... 20 Greiffenberger...... 36 Royal Dutch Shell...... 20 Engels, Frank...... 77 Rajoy, Mariano...... 52 Thomas, Ralf...... 24 Continental...... 14,23 Infineon...... 36 RWE...... 38 PERSONEN Felipe VI...... 77 Raymond, Roy...... 25 Vedral, Bobby...... 66 Covestro...... 36 Jenoptik...... 36 Schlumberger...... 20 Aldenton, Sam...... 25 Greco, Mario...... 11 Reitzle, Wolfgang...... 11 Walter, Arno...... 14 CTS Eventim...... 32 L Brands...... 25 Schwäbisch Hall...... 72 Bagherli, Jalal...... 15 Iglesias, Pablo...... 52 Rivera, Albert...... 52 Weinberg, Eugen...... 16 Daimler...... 36 Linde...... 12 Seadrill...... 20 Berland, Leslie...... 11 Jesch, Björn...... 54 Sánchez, Pedro...... 52 Wexner, Leslie...... 25