ISSN 0948–2407 | 67485 | 2,00 Euro DISPUT Mai 2012

5 Jahre DIE LINKE: Beiträge von , Sabine Lösing, , Erwartungen, Erfolge, Erfahrungen: Was ich der Partei zum »5.« wünsche … Halina Wawzyniak: DIE LINKE als Mitmachpartei – echt und auch digital : Zur Gründung der Wohnungsgenossenschaft »FAIRWOHNEN« Uferlos: der Sänger Dirk Zöllner im Interview

Der richtige Name, das richtige Engagement: Angelika Linke aus Ludwigsfelde. © Erich Wehnert ZITAT 19 FÜNF JAHRE 20 MITMACHPARTEI Die Potenziale der LINKEN liegen in Halina Wawzyniak: Echt und auch den Fähigkeiten ihrer Mitglieder, digital ihrer gesellschaftlichen Verankerung und Lebenserfahrung. Politische 21 KOMMENTIERT Beteiligung und Interesse entstehen durch selbstbestimmtes und gleich- 22 MITGLIED berechtigtes Handeln und demokrati- Meinen Namen fi nde ich richtig sche Mitbestimmung bei der Gestal- DIE LINKE wird fünf – Rückblicke und schön – Angelika Linke tung und Entwicklung gesellschaftli- Ausblicke. Seiten 5, 11, 19, 25, 35, 37 24 KUNST cher Prozesse. Diese Vision wollen wir Burkhart Seidemann: Vorwärts auch in der eigenen Partei leben. bitte und gegen den Wind! DIE LINKE entwickelt ihre Politik im engen Zusammenwirken von gewähl- 25 FÜNF JAHRE ten Führungsgremien und Mitgliedern 26 DAS ALBUM in basisdemokratischer Verankerung. 4 PARTEI Pluralismus und Transparenz sind Nach den Wahlen 28 WOHNUNGSPOLITIK tragende Säulen unserer Partei. Heidrun Bluhm: Zur Gründung von 5 FÜNF JAHRE Programm der Partei DIE LINKE »FAIRWOHNEN« Was ich der LINKEN wünsche, was ich mir von der LINKEN wünsche 29 DEMNÄCHST 6 WIDERSTAND 30 EHRENAMT : ESM und Am Ball: Rolf Kutzmutz © Erich Wehnert Fiskalpakt verhindern! 34 PRESSEDIENST 7 FEUILLETON 35 FÜNF JAHRE 8 DAS ALBUM 36 INTERNATIONAL 10 PARTEI Interview mit Hans van Heijningen, Dagmar Enkelmann: Liebe auf den SP (Niederlande) ersten Blick? 37 FÜNF JAHRE 11 FÜNF JAHRE 38 INTERNATIONAL 12 PARTEI Vor großen Veränderungen: Sabine Lösing: Es war einfach Myanmar notwendig Uferlos – der Sänger Dirk Zöllner im 40 ZEITGESCHICHTE DISPUT-Interview. Seite 44 13 PARTEI Das »Napalm-Foto« aus Trang Axel Troost: Den neuen Bang Herausforderungen stellen! 42 MITGLIEDER 14 PARTEI »Rote Socken« am sächsischen ZAHL DES MONATS Bodo Ramelow: Fünf Kerzen auf Mt. Everest der Geburtstagstorte 570 43 PRESSEDIENST 14 PARTEI 44 KULTUR Signal für eine neue Politik Auf dem Bundesparteitag am 2. und 3. Ju- Uferlos. Interview mit Dirk Zöllner ni in Göttingen werden 570 Delegierte be- 16 DAS ALBUM raten, beschließen und wählen – 500 De- 46 BÜCHER legierte aus den Landesverbänden, 50 18 DEBATTE 47 MAIKOLUMNE von Zusammenschlüssen und 20 vom Ju- Stefan Bollinger: »Bitte enttäuscht gendverband [‘solid]. uns nicht« 48 SEITE ACHTUNDVIERZIG

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14 – 16, 10178 Berlin REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: (030) 24 00 95 10, Fax: (030) 24 00 93 99, E-Mail: [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 5 14. Mai 2012 DER NÄCHSTE DISPUT – alles über den Parteitag, wie immer mit den Reden, Beschlüssen, Wahlen – erscheint am 14. Juni.

INHALT DISPUT Mai 2012 2 LARS HILBIG

Lars ist 21 Jahre jung, lebt in Pforzheim (Baden-Württemberg) und arbeitet als Werkzeugmechaniker. Er ist Landessprecher der Linksjugend ['solid] und mag Seifenblasen. Thematisch beschäftigt er sich mit Arbeitskritik, Antisemitismus und queer Theory.

Was hat dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Dass die grün-»rote« Landesregierung in Baden-Württemberg weiterhin auf die Kooperation von Universitäten mit Rüstungskonzernen setzt und somit offen- sichtlich gegen Wahlkampfversprechungen verstößt.

Was ist für dich links? Da, wo sich Menschen solidarisieren, um gegen soziale Ungerechtigkeit, Lohn- arbeit, Konkurrenz und Leistungsterror zu kämpfen. Kurz gesagt: sich für das schöne Leben einsetzen.

Worin siehst du deine größte Schwäche, worin deine größte Stärke? © privat Meine größte Stärke sehe ich darin, dass ich Optimist bin, obwohl die derzeiti- gen Verhältnisse in der Gesellschaft und in Europa alles andere als rosig sind. Meine größte Schwäche würde ich in meiner Ungeduld sehen. Ich fange oft vie- le Dinge gleichzeitig an und komme dann gegen Ende ins Schwitzen.

Was war dein erster Berufswunsch? Traurig aber wahr: Polizist.

Wie sieht Arbeit aus, die dich zufrieden macht? Wenn ich am Ende einer politischen Veranstaltung, also Pfi ngstcamps oder der- gleichen, positiv zurückblicken kann, und allen TeilnehmerInnen hat es gefal- len.

Wenn du Parteivorsitzender wärst ...... würde ich mir Gedanken machen, wie die Partei basisdemokratischer gestal- tet werden könnte und wie wir die Gesellschaft mit in wichtige Themen einbin- den können, zum Beispiel indem wir wieder Gastmitgliederrechte stärken und als Partei transparenter werden.

Was regt dich auf? Wenn es drei Wochen vor dem Bundesparteitag anscheinend noch immer kaum offi zielle Kandidaturen für den Parteivorstand gibt. Wie soll da ein Austausch aussehen? Viel schlimmer ist für mich, dass ich das Gefühl habe, in Hinterzim- mern werden die nächsten Parteivorsitzenden ausgemacht und die Basis wird nicht daran beteiligt. Sieht so Partizipation aus?

Wofür gibst du gerne Geld aus? Natürlich für Schranz (eine Richtung der elektronischen Tanzmusik)! Hello Kitty darf nicht fehlen!

Wann fühlst du dich gut? Wenn ich mit FreundInnen und GenossInnen einfach entspannen oder auch bis in die frühen Morgenstunden fett Party machen kann.

Wo möchtest du am liebsten leben? Nicht im Kapitalismus.

Wovor hast du Angst? Dass sich die Situation der Menschen in prekären Lagen weiter verschlechtert und sich die deutschnationale Europapolitik der Regierung fortsetzt.

Welche Eigenschaften schätzt du an Menschen besonders? Offenheit, die Fähigkeit zur solidarischen Diskussion und zuhören können. Find ich alles bei meinem besten Freund.

Wie lautet dein Lebensmotto? Pure Vernunft darf niemals siegen! (Tocotronic)

3 DISPUT Mai 2012 FRAGEZEICHEN Künftig kooperativ? Nach den Landtagswahlen, vor den »Bundesparteitags-Wahlen«

DIE LINKE hat bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (am 6. Mai) und Nordrhein-Westfalen (13. Mai) deutli- © Stefan Richter © Stefan che Niederlagen erlitten. Sie kam ledig- lich auf 2,2 bzw. 2,5 Prozent der Stim- men und verfehlte damit die Wahlziele – den Wiedereinzug in die Landtage – klar. Warum? Wieso? Wie weiter? Eine erste Analyse über die Ursa- chen und Konsequenzen versuchte der Parteivorstand auf seiner turnus- mäßigen Sitzung am 14. Mai. Eingangs mahnte Parteivorsitzender ein Nachdenken über den Umgang un- tereinander an. Er appellierte an die Verantwortung jedes Vorstandsmit- gliedes, an Achtung im Umgang mit- einander und in der Öffentlichkeit. Die Gesamtperformance der Partei in den vergangenen zwei Jahren sei aus- schlaggebend für die schlechten Wahl- Klaus Ernst und die Spitze des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen mit Katharina resultate gewesen. Mit ihren eigentli- Schwabedissen (2. v. r.) auf der Pressekonferenz am 14. Mai in Berlin chen Themen sei DIE LINKE immer we- niger in der Bevölkerung wahrgenom- werden, ob die Partei – auch außer- len, bedankte sich ausdrücklich für men worden; überproportional ging halb der Wahlkämpfe – mit den richti- die »überwältigende Unterstützung« das Vertrauen bei abhängig Beschäf- gen Themen auftrete. im Wahlkampf durch alle Landesver- tigten und Gewerkschaftsmitgliedern Katharina Schwabedissen, die Spit- bände. Sie kritisierte die Öffentlich- verloren. Selbstkritisch müsse gefragt zenkandidatin in Nordrhein-Westfa- keitsarbeit der Partei in NRW, was die © Stefan Richter © Stefan

Hervorragend gekämpft und trotzdem verloren.

DISPUT Mai 2012 4 Was ich der LINKEN wünsche – was ich mir von der LINKEN wünsche

Darstellung der Erfolge in den vergan- Ich wünsche unserer LINKEN mehr Mitglieder und eine gelungenere genen zwei Jahren anbelangt, und be- Öffentlichkeitsarbeit. Ich wünsche ihr, dass sie sich mehr präsentiert – zweifelte, dass eine Personaldebatte sie hat’s nämlich verdient. Für mich ist links auch, gerecht und solidarisch der Gesamtpartei im Wahlkampf ge- zu sein. Und das müssen wir mehr präsentieren. Was die Genossen schadet habe. Vielfach fehle (noch) die immer wieder ansprechen: nicht so viele Personalfragen, sondern mehr Verankerung der LINKEN in ihrem Bun- Sachfragen – für jede Ebene. Ich bin gespannt, was der Bundesparteitag desland vor Ort, das Wahlergebnis lie- bringt. Und ich wünsche mir einfach mehr Optimismus, noch mehr ge unter dem der Landtagswahl 2005: Begeisterung! von WASG und PDS zusammen. Eine Angelika Linke | Ludwigsfelde (Brandenburg; siehe Seite 22) denkbare Spaltung der Partei jedoch  bezeichnete Katharina Schwabedissen als das Unpolitischste überhaupt: Eine Die Bildung der Partei DIE LINKE war eine gewaltige Leistung von junge Partei braucht Anlaufzeit. Not- Mitgliedern der PDS und der WASG. Der Vereinigungsparteitag war auch wendig sei ein linkes Projekt, das den in seiner Gestaltung herausragend. Viele Menschen in Deutschland Menschen eine Vision vermittele. schöpften Hoffnung, weil es endlich ein starkes gesellschaftliches Die Sorge um die Zukunft der Partei Korrektiv für Frieden, mehr soziale Gerechtigkeit und wirkliche Demokratie wurde und wird von vielen geteilt. DIE gibt. Dabei darf die Partei nie vergessen, dass sie für die Gleichstellung LINKE sei dringend notwendig – auch der Ostdeutschen zu streiten hat. Ein linkes Projekt in Deutschland angesichts der Entwicklungen in Euro- zu starten ist schwer. Der Staatssozialismus war zu Recht gescheitert pa. und die Bundesrepublik war militant antikommunistisch. Trotzdem Klaus Ernst sprach sich für eine ko- entsprach die Bildung der LINKEN einem gesellschaftlichen Bedürfnis. Ein operative Parteiführung mit Oskar La- Wahlergebnis von fast 12 Prozent 2009 wirkt in Anbetracht der Geschichte fontaine an der Spitze aus: »Wir kön- der Bundesrepublik Deutschland wie ein Wunder. Aber seitdem gibt es in nen uns alle zehn Finger abschlecken, unserer Partei sehr viel Selbstbeschäftigung und Auseinandersetzungen. wenn sich noch ein- Wir werden auch von Abneigungen gekennzeichnet. Linke haben zwar die mal bereiterklärt, den Parteivorsitz zu Möglichkeit, aber nicht das Recht, DIE LINKE kaputt zu machen. übernehmen.« | Vorsitzender der Bundestagsfraktion Was Klaus Ernst unter kooperativer  Führung versteht, drückte er in der an- schließenden Pressekonferenz so aus: Zum »5.« der Partei möchte ich Bert Brecht mit »Wir müssen zusammenhalten und im dem Solidaritätslied zitieren: »Vorwärts und nicht Ergebnis über eine Führung nachden- vergessen, worin unsere Stärke besteht! Beim ken, die diesen Zusammenhalt auch Hungern und beim Essen, vorwärts und nie vergessen: nach außen repräsentiert. Eine Füh- die Solidarität!«. rung, die sehr kooperativ ist. Das be- Hans Hahn | Kreisverband Oberland (Bayern) deutet: eine Führung, die miteinan-  der arbeiten kann und in der deutlich wird, dass DIE LINKE geschlossen auf- Mit dem EU-Spardiktat kommen schwere Angriffe auf Demokratie und tritt und geschlossen handeln kann.« Sozialstaat, auf die Menschen in Europa zu. Es droht ein Angriff auf den Eine Rückkehr Oskar Lafontaines an Iran und damit eine neue Phase der Eskalation. Ohne eine starke LINKE die Spitze – so der Parteivorsitzende profi tieren rechte Kräfte. gegenüber der Presse – böte die Chan- Ich wünsche der LINKEN, dass sie mehr Zeit und Energie in den ce, mit den Inhalten wieder so wahr- Parteiaufbau und in die Aktivierung der Mitglieder und Sympathisanten genommen zu werden, wie das für die steckt. Dass sie attraktiver wird für junge, radikale Aktivistinnen und Partei notwendig ist. Aktivisten und zugleich ihre Verankerung in der Arbeiterbewegung vertieft. Dies wird (auch) im Parteivorstand Ich wünsche mir eine LINKE, die überall hörbar und erlebbar ist – in den durchaus unterschiedlich gesehen. Sie Stadtteilen, an den Universitäten, auf der Straße und in den Betrieben. glaube nicht mehr an Heilsbringer äu- Christine Buchholz | Mitglied des Parteivorstandes ßerte beispielsweise ,  die im Vorstand die Diskussion eröffnet hatte: Die Partei hat ein Personalprob- Ich wünsche unserer Partei, dass sie wenigstens annähernd wieder auf lem, weil sie ein Problem mit der Aus- ihre »alten« Umfragewerte kommt, dass sie in den Parlamenten bleibt wahl der Themen habe. Protest sei kei- und dass diejenigen, die in der Partei Verantwortung tragen, ihre Meinung ne stabile Wahlbasis. zuerst im Karl-Liebknecht-Haus äußern und nicht in bürgerlichen Medien. Unsere Themen würden nicht mehr Ich wünsche und erwarte, dass DIE LINKE vor allem die Demokratisierung mit der LINKEN verbunden werden, aller gesellschaftlichen und politischen Bereiche ganz groß auf unsere konstatierte Heinz Bierbaum. Die un- Fahne schreibt.

zureichende, stark personalisieren- Ulla Plener | Historikerin, Berlin Richter © Stefan

5 DISPUT Mai 2012 Regionalkonferenzen zur Vorbereitung des Bundesparteitages © T. Zopf © T. 18. Mai 2012 Saarland und Rheinland-Pfalz 18.30 Uhr, Saarbrücken (Saarbrücker Schloss, VHS-Zentrum, Schlossplatz) 20. Mai 2012 Baden-Württemberg 10.30 Uhr, Stuttgart (Sängerhalle Stuttgart-Untertürkheim, Lindenschulstraße 29) 21. Mai 2012 Thüringen 17.00 Uhr, Erfurt (Hotel Radisson, Juri-Gagarin-Ring 127) 22. Mai 2012 Berlin und Brandenburg 18.30 Uhr, Berlin (ND-Gebäude) 23. Mai2012 Sachsen und Sachsen-Anhalt 18.00 Uhr, Schkeuditz (Airport-Hotel) 24. Mai 2012 Hessen 18.00 Uhr, Frankfurt (Gewerkschaftshaus) 25. Mai 2012 Nordrhein-Westfalen

de Diskussionskultur berge die Gefahr sen von vor 2005. Der Parteiaufbau Zitiert sei nochmals Katharina des Auseinanderdivergierens, warnte West sei nicht in erforderlichem Maße Schwabedissen: »Ich wünsche mir, er. Katina Schubert zollte, wie etliche gelungen: »Zurück zu vor 2005 ist kei- dass wir uns nicht zerlegen, nachdem weitere Rednerinnen und Redner, dem ne Lösung« … wir in NRW so solidarisch Wahlkampf NRW-Landesverband Lob für seinen Die Aussprache im Vorstand dau- gemacht haben.« Wahlkampf: »Respekt – das war gro- erte mehrere Stunden, Beratungen Einziger Kandidat für den Partei- ßer Kampf!«. Sie verwies auf die sat- der Landesvorsitzenden und von ih- vorsitz ist bisher offi ziell – Stand: 14. zungsmäßig festgelegte Doppelspitze nen mit dem Geschäftsführenden Par- Mai, 17 Uhr – Fraktions-Vize Dietmar und forderte dazu auf, in der Partei die teivorstand sind für den 15. Mai ange- Bartsch. Klaus Ernst hat sich noch Gemeinsamkeiten zu erkennen und zu kündigt. DISPUT vermag nicht hellzuse- nicht entschieden, ob er erneut für den entwickeln. hen. Erkennbar ist: Die Partei DIE LINKE Vorsitz kandidieren wird und forderte Die Partei nähert sich nach den Wor- steckt in sehr bewegten Wochen. Ver- mehrfach eine »kooperative Führung«, ten von Werner Dreibus mit »rasanter antwortungsbewusstsein und Vernunft siehe oben. Geschwindigkeit« den Wahlergebnis- sind wichtig wie selten. Florian Müller

sierungen in ganz Europa durchsetzen. und Frankreich im Rücken können wir ESM und Die Aufl agen des ESM und der Fiskal- in Deutschland den Widerstand gegen pakt zwingen alle unterzeichnenden das Spardiktat ausweiten. Die Aktions- Fiskalpakt Länder zu einer knallharten Sparpolitik. tage »Blockupy Frankfurt« werden or- Sie senken die Verschuldungsgrenze ganisiert von einem Bündnis von Attac, verhindern! der »Maastricht-Kriterien« von bisher occupy-Aktivisten, Erwerbslosenforum, drei auf 0,3 Prozent des Bruttoinlands- Gewerkschaft Erziehung und Wissen- Blockupy Frankfurt, 16.–19. produkts. Wenn Länder den Sparkurs schaft Hessen, ver.di-Jugend Hessen, Mai: Europaweite Aktionstage nicht umsetzen, bekommen sie kei- DGB-Jugend Hessen-Thüringen, DIE ne ESM-Gelder, drohen ihnen Strafen LINKE und vielen linken Gruppen. Der gegen das Spardiktat und dürfen sie nicht mehr selbst über hat bereits seine Entschei- ihre Finanzen entscheiden. Der Fiskal- dung über ESM und Fiskalpakt auf den pakt ist ein undemokratischer, unsozi- Juni verschoben. Dies ist ein erster Er- aler Vertrag, der parlamentarische Ent- folg. Bisher wollen SPD und Grüne un- In Frankreich und Griechenland wurde scheidungen aushebelt. ter der Maßgabe zustimmen, dass mit das EU-Spardiktat abgewählt. Sarkozy, Dies hat zur Folge, dass nun ganz dem Fiskalpakt ein Wachstums pakt der Partner von Merkel in der EU-Poli- Europa einen extremen Sparkurs fahren für Arbeitsplätze verabschiedet wird. tik, ist Geschichte. Die Parteien der Kür- muss. Wenn aber alle den Gürtel enger Denn Merkel braucht eine Zwei-Drit- zungskoalition in Griechenland stehen schnallen, droht europaweit eine Re- tel-Mehrheit. Die Schuldenbremse vor einem Scherbenhaufen. Die linken zession – mit entsprechender Wirkung des Fiskalpaktes wird aber mehr Ar- Parteien, die sich gegen den verordne- auf Arbeitslosigkeit und öffentliche Fi- beitsplätze vernichten, als je durch ein ten Sozialkahlschlag der EU gestellt ha- nanzen. Wie in Griechenland drohen Wachstums programm aufgebaut wer- ben, erzielen nach unzähligen General- überall Lohn- und Rentenkürzungen, den können. Wäre der Fiskalpakt be- streiks Rekordergebnisse. öffentliches Eigentum soll privatisiert reits in Kraft, müssten in Deutschland Die europäischen Regierungschefs, und im Öffentlichen Dienst sollen in 30 Milliarden Euro gespart werden, allen voran Merkel, wollen mit dem Fis- großem Maß Beschäftigte entlassen beispielsweise jeder dritte Euro in der kalpakt und dem 500 Milliarden schwe- werden. In Griechenland und Spanien Bildung. Wir müssen den Druck auf SPD ren Europäischen Stabilitätsmechanis- sind bereits jeder zweite Jugendliche und Grüne verstärken, dem Spardiktat mus (ESM) Banken und Konzerne ret- und jeder fünfte Erwachsene arbeitslos. nicht zuzustimmen. ten und Sozialkürzungen und Privati- Mit den Signalen aus Griechenland Christine Buchholz

WIDERSTAND DISPUT Mai 2012 6 as Schönste am Wahltag in Kiel Merkel verlor erneut einen Kronprin- war die »Elefantenrunde« im zen. DIE LINKE und ihre Wähler frag- D Fernsehen. Da erklärten alle Ver- ten laut: »Wann kommt Oskar?« Aber lierer, warum sie eigentlich gewonnen der zerstrittene Vorstand sagte: »Ab- haben. Bis auf Die Linke, die öfter zu warten!« Obwohl sich im Politbarome- ehrlich ist. ter die Chancen der LINKEN von sechs In Schleswig-Holstein hatten ja nur auf drei Prozent halbiert hatten. Am En- die Piraten einen echten Gewinn. Doch de blieben 2,5 Prozent. Das schlägt auf die CDU feierte sich als »stärkste Par- den Magen und ins Kontor! tei«. SPD und Grüne bejubelten die Ab- Rot-Grün ist gestärkt im Düsseldor- wahl der Schwarz-Gelben. Der Südsch- fer Landtag. Frau Kraft hatte in Bran- leswigsche Wählerverband, der wegen denburg gelernt, wie Linke zu Einfl uss der dänischen Minderheit unter »Ar- kommen. Die Grünen waren durch Frau tenschutz« steht, ließ sich als »Züng- Merkels Energiewende abgestützt. Die lein an der Waage« feiern. Die FDP war, FDP ließ den reaktivierten Lindner mit trotz halbierter Anhängerzahl, stolz, dem klugen Kopf und den treuen Au- im Landtag zu bleiben. Was Kubicki ge- gen die Karre aus den Dreck ziehen. lang, indem er Abstand zu Rösler hielt. Man wählt eben immer wieder Perso- Hätten auch die LINKEN jede Verbin- nen und nicht Programme, die sich oh- dung mit ihrer zerstrittenen Führung in nehin gleichen. Berlin leugnen sollen? Das hätte mehr Das Tragische an diesen Vorgängen Sendezeit gebracht! ist, dass alle Konkurrenten der LINKEN Sind sie zu beschei- vom »geistigen Diebstahl« bei den Lin- RAUS heißt nicht den oder Blutspen- ken leben. Und da man hierzulande der für die Piraten? auch ohne Quellenangabe zu Ruhm »AUS!« Die Deutung über- kommen kann, gilt: »Sobald mir eine nehmen die Vorstän- Bewegung über den Kopf wächst, stel- de und die Medien. le ich mich an die Spitze und leite sie Aber die Summe der um!« Drum schnürt die CDU zur Siche- Von Jens Jansen Nichtwähler lag hö- rung des Fiskalpaktes schnell noch ein her als die Stimmen Wachstumspaket als Beigabe. Nicht für CDU und SPD zu- weil DIE LINKE und der DGB seit Jah- sammen! Das hieß: »Euer Kurs gefällt ren die Stärkung des Binnenmarktes uns nicht! Auch nicht die Mauschelei und des Mittelstandes fordern, son- der Kapitäne! Euer Sparkurs steuert auf dern weil Frankreich und Griechenland die Riffe, obwohl wir kaum Wasser un- darauf bestehen. Die SPD warnt vor ter dem Kiel haben!« dem »Totsparen« und vor Lohndum- Zur gleichen Zeit bogen die Euro- ping. Aber nicht, weil DIE LINKE das Frachter unter französischer und grie- schon dem SPD-Kanzler Schröder ent- chischer Flagge nach Backbord ab, weil gegenhielt, sondern weil die Mästung die linken Ufer mehr Sicherheit bieten. des Großkapitals durch ihn inzwischen Das machte die LINKEN in Deutschland zum Himmel stinkt. noch trauriger, denn ihre Seekarte sagt DIE LINKE, die nicht ins Ziel kam, ja dasselbe. Aber wer hat sie allen an erwies sich dennoch als eine Schub- Bord erklärt? Nicht mal Piraten wissen, kraft für den Kurswechsel der Sieger. dass der legendäre Pirat Störtebecker Denn wahr bleibt, dass Deutschland seine Mannschaft »Likedeeler« nann- und Europa wegen der Zuspitzung des te, weil sie ihre Beute von den reichen Konfl iktes zwischen Kapital und Ar- Pfeffersäcken stets in gleiche Teile »lie- beit nach links driftet. Das lässt immer ke Deels« an die Armen an der Küste mehr Regierungen wackeln. Die Völker verteilten. Solche Vorkämpfer für sozi- weigern sich, die Zeche der Banker zu ale Gerechtigkeit sind die Digitalisten bezahlen. noch lange nicht. Aber ihr Rückenwind Die Verhältnisse sind ins Tanzen ge- sind jene Wähler, die allen Parteien ab- kommen. Die neuen Mehrheiten wer- handen kamen. den unberechenbarer. Das macht die Dann kam die Wahl an Rhein und Konservativen und ihre Börsianer im- Ruhr. Und weil in NRW genauso vie- mer nervöser. Jetzt werden Strategie le Menschen leben wie in den fünf und Taktik großgeschrieben! Doch am neuen Bundesländern, sind die dorti- Ende zählt nur, was dem Wähler unter gen Landtagswahlen immer Startglo- die Haut geht. Das gelingt besser mit cke und Vorzeichen für die Bundes- Taten als mit Plakaten – und ohne Ge- tagswahlen. Die CDU schickte Minis- schlossenheit überhaupt nicht! ter Röttgen als Hoffnungsträger in die Raus heißt nicht »Aus!« Also: die Schlacht. Der kam aber nur mit Zahn- Mannschaft zusammenhalten, den bürste, weil er den Umzugswagen erst Kurs präzisieren, die richtigen Steuer- als Landesfürst bestellen wollte. Die leute auf die Brücke stellen und Segel Zahnbürste wurde zum Sargnagel. Frau setzen!

7 DISPUT Mai 2012 FEUILLETON Gestärkt im Bundestag: Mit 76 Abgeordneten (für 11,9 Prozent der Wählerstimmen) zog die Fraktion 2009 erneut in den Bundestag ein – Ergebnis des Wirkens der gesamten Partei. In 16 Wahlkreisen waren die KandidatInnen der LINKEN die Nummer 1.

DISPUT Mai 2012 8 16. Juni 2007, 16.37 Uhr, Berlin: Die Partei DIE LINKE ist da! Jubel, Freude, Erleichterung … Am Vortag hatten Linkspartei.PDS und WASG ihre letzten Kongresse abgehalten.

© Aris (3), Stefan Richter, Frank Schwarz, Mark Seibert, Tanju Tügel

9 DISPUT Mai 2012 Liebe auf den ersten Blick? Von Dagmar Enkelmann

War es »Liebe auf schien es, ihren Platz im politischen dings inzwischen ein wenig in Verges- den ersten Blick«, System der Bundesrepublik gefunden. senheit geraten. DIE LINKE befi ndet die die PDS und Die Krönung dieses im wahrsten Sinne sich in einer schwierigen Situation. Die DIE LINKE. Erwartungen die WASG im Juni des Wortes Arbeitsprozesses war dann Umfragewerte sind wenig erfreulich. Erfolge 2007 zusammenge- der Zusammenschluss zur Partei DIE Wahlverluste bei den letzten Wahlen Erfahrungen bracht hat? Ganz si- LINKE im Juni 2007. bestätigen einen bundesweiten Trend. cher nicht. Der Ver- Der Blick zurück zeigt, dass die Ent- Die Partei hat an Profi l verloren, wird in einigung beider Parteien ging ein län- scheidung, aus PDS und WASG DIE LIN- der öffentlichen Debatte immer weni- gerer Prozess voraus. KE zu schaffen, richtig und alternativlos ger wahrgenommen. Hatte sich die PDS insbesonde- war. Die alte Schwäche der deutschen Die Krise, mit der sich DIE LINKE zur re durch Zunahme kommunalpoliti- Linken – die Zersplitterung – wurde Zeit herumschlägt, erinnert mich an scher Verantwortung, vergleiche dazu endlich überwunden. Und es war – die Zeit um 2002. In dem Jahr war die Wahlergebnisse der Kommunalwah- auch das ein geschichtliches Novum – PDS am Wiedereinzug in den Bundes- len in Brandenburg 2003, aus der Kri- eine Ost-West-Vereinigung auf Augen- tag gescheitert, in dem sie zuvor erst- se 2002/2003 herausgearbeitet – von mals eine ganze Legislatur lang in Frak- bundespolitischem Gewicht war sie tionsstärke vertreten gewesen war. Al- weit entfernt. Als nicht nur die PDS, lein und Gesine Lötzsch ver- sondern auch die erst wenige Mona- Bundesparteitag traten als direkt gewählte Abgeordnete te alte WASG 2005 bei der Landtags- mit großem Engagement unsere Partei. wahl in Nordrhein-Westfalen deutlich in Göttingen Einige Ursachen für die Probleme den Einzug ins Landesparlament ver- liegen offenbar tiefer. Nach der Wahl fehlten und Neuwahlen zum Bundes- 2. und 3. Juni 2009 zum Bundestag, bei der DIE LINKE tag entschieden waren, mussten die mit fast 12 Prozent Stimmenanteil ein Gespräche, die seit März zwischen bei- Im Mittelpunkt des Göttinger Traumergebnis einfuhr, es aber zu ei- den Parteien liefen, in eine neue Rich- Parteitages – Beginn am 2. Juni: nem Regierungswechsel von Schwarz- tung gelenkt werden. Damit wurde die 11 Uhr – stehen Aussprache und Rot zu Schwarz-Gelb kam, gehörte ich Zeit mehr als eng. Beschlussfassung des Leitantra- zu den Warnern: Mit dem Ende der Gro- Das einigende Band zwischen uns ges sowie die Wahlen für den neu- ßen Koalition würde sich die SPD nun war unstrittig der Widerstand gegen die en Parteivorstand und für weitere auf den harten Oppositionsbänken Hartz-IV-Reformen. Konnte das aber auf Gremien. wiederfi nden. Das würde auch die stra- Dauer ausreichen? tegische Lage für DIE LINKE verändern. Ich erinnere mich noch gut an die Das Frauenplenum fi ndet am Und so kam es: Stück für Stück mach- Unkenrufe, nachdem wir im Herbst 1. Juni, 17 bis 20 Uhr, am Ort des te sich die SPD wesentliche Forderun- 2005 in Fraktionsstärke in den Bun- Parteitages statt. gen der LINKEN zu eigen: Mindestlohn, destag einzogen. Hier ostdeutsche Re- Abzug aus Afghanistan, Ende von De- alos, dort streikerprobte Gewerkschaf- Der traditionelle Parteitags- regulierung und Privatisierung, Ein- ter oder gesellschaftlich marginalisier- DISPUT mit den Reden, Berichten, führung der Finanztransaktionssteu- te Vertreter linker Gruppen. Hält das? Beschlüssen und Wahlen erscheint er, mehr Demokratie. Wie ernst es die Eines haben wir in dieser ersten ge- am 14. Juni. Zusätzliche Bestellun- SPD damit wirklich meint, steht auf ei- meinsamen Wahlperiode als Fraktion gen sind möglich unter: nem ganz anderen Blatt. Den Praxistest geschafft: Wir haben durch unsere Ar- [email protected] muss die SPD hier erst noch bestehen. beit bewiesen, dass wir miteinander DISPUT, Kleine Alexanderstraße 28, Dennoch: Auf Bundesebene hat die arbeiten können, dass wir Themen in 10178 Berlin SPD ihre Oppositionsrolle, wenn auch die Öffentlichkeit bringen können, die widersprüchlich, eingenommen. Sie deutlich über die Auseinandersetzung Wer nicht so lange warten will: verbündet sich, im Zugriff auf künftige mit Hartz IV hinausgingen, und wir wa- DIE LINKE bietet per Internet Regierungsoptionen, mit den Grünen. ren weitgehend in der Lage, Strittiges wieder einen Livestream vom DIE LINKE wird von dieser »Koalition in zurückzustellen. Es gelang uns, die Ar- Parteitag an. der Opposition« ausgegrenzt. beit auf Schwerpunkte zu konzentrie- In dieser Situation wäre es erforder- ren, deutlich zu machen, wofür die- lich, mit aller Kraft an eigenen Konzep- se neue Linke steht. Mit ihren Forde- ten zu arbeiten, das eigene Profi l zu rungen, unter anderem für ein soli- höhe. Nur so konnte eine bundespoli- stärken, um die anderen vor sich her darisches Rentensystem, nach einem tisch bedeutsame sozialistische Partei zu treiben. Mindestlohn, dem Abzug der Bundes- links von der SPD entstehen. Auf diese Das heißt auch, in der parlamentari- wehr aus Afghanistan erhielt die Frak- historische Leistung können und soll- schen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, tion schnell Profi l und Bekanntheit. Die ten wir uns besinnen. DIE LINKE kann die den Markenkern der LINKEN stär- Linksfraktion wurde führende Opposi- wirken, wenn sie es denn will. ken. Außerparlamentarisch muss ge- tion im Bundestag. Und sie hatte, so Diese Erfahrungen scheinen aller- meinsam mit Partnern von Organisati-

PARTEI DISPUT Mai 2012 10 onen und Initiativen Druck auf die Re- gierenden organisiert werden. Und in einer durch Medien vermit- telten Politik kommt es auf Glaubwür- digkeit an. Was ich der LINKEN wünsche – Sehr richtig heißt es dazu in unse- was ich mir von der LINKEN wünsche rem Parteiprogramm: »Voraussetzung für die Ausstrahlung, den Rückhalt und den Erfolg der LINKEN ist unsere Glaub- würdigkeit vor und nach den Wahlen. Was wünsche ich der LINKEN zum 5. Geburtstag? Kamp- DIE LINKE muss mit ihrem programma- feslust und Entschlossenheit, um den herrschenden tischen Profi l und ihren inhaltlichen Zuständen in Parlamenten und außerhalb der Parla- Grundpositionen in allen politischen mente Paroli zu bieten. Unbeirrbarkeit und Aufge- Konstellationen erkennbar sein.« schlossenheit, um die Herausforderung einer Neu- Und da ist nüchtern zu konstatieren: gründung sozialistischer Politik im 21. Jahrhundert DIE LINKE hat viel an Glaubwürdigkeit anzunehmen. Solidarität, aber auch etwas mehr Ge- verloren. Das betrifft im Übrigen nicht lassenheit, um Unterschiede aushalten und in einem nur Regierungshandeln. Wie oft lassen Lernprozess Gemeinsamkeiten entwickeln zu können. wir uns durch populistische Forderun- Und natürlich einen scharfen Blick, um die Verhältnis- gen leiten, die bei genauem Hinsehen se zu interpretieren, sowie einen klaren Kompass, um ge- weder umsetzbar sind noch zu unseren meinsam mit anderen ein alternatives Projekt zu entwerfen und die Welt sonstigen Konzepten passfähig sind. zu verändern. Mit dem in Erfurt beschlossenen Jan Schalauske | Kreisvorsitzender Marburg-Biedenkopf (Hessen) Parteiprogramm verband sich nicht nur  bei mir die Hoffnung, dass DIE LINKE nun in einer inhaltlichen Debatte und Wir haben es geschafft! darüber auch wieder politisch in die Es gibt eine bundesweite, sozialistische Partei links von der SPD: Eine Offensive kommt. Diese Chance wurde Partei, die die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen im Bundestag zum leider nicht genutzt. Thema macht. Eine Partei, die die Schuldenbremse als Dabei bietet das Programm mit der das bezeichnet, was sie ist: eine Investitions- und klaren Forderung nach einem »System- Demokratiebremse. Eine Partei in Ost und West, die wechsel« und der Grundidee, die ka- beständig Nein zum Krieg sagt. pitalistische Ordnung in einem Trans- Was noch aussteht: eine dialektisch geschulte formationsprozess zu überwinden, ge- Partei, die die Kämpfe um Zeit und die Vier-in- nügend Ansätze für heute notwendige einem-Perspektive zum Thema macht. Eine links- Antworten auf Fragen zum Beispiel der emanzipatorische Partei, die sich in ihrer Breite Finanzkrise. fürs Bedingungslose Grundeinkommen einsetzt. Und Und es bietet auch ausreichend eine Partei, die die Verhältnisse tatsächlich zum Tanzen Stoff für den inhaltlichen Disput unter bringt. Doch nun heißt es erst einmal Geburtstag feiern. Let‘s dance! uns und mit Partnern. Personaldebat- | stellvertretende Parteivorsitzende ten befördern aber nur selten den poli-  tischen Stellenwert einer Partei. Eine weitere Ursache für die Prob- Zum fünften Geburtstag fünf Wünsche an DIE LINKE – sie möge: leme der LINKEN sehe ich darin, dass 1. die Vernunft zum alleinigen Regisseur ihres Redens und Handelns wir als Partei nicht immer mit der Zeit machen, Schritt halten. Während wir für die Ge- 2. an der sozialen Frage ihren Gebrauchswert beweisen, sellschaft mehr direkte Demokratie, 3. die Idee am Leben halten, dass es etwas Besseres als den Kapitalismus mehr Bürgerbeteiligung und Mitspra- geben kann, che einfordern, leben wir das genau in 4. lernen, mit rebellischer Gelassenheit zu streiten, unserer Partei nicht vor. 5. auf jedes selbstherrliche »nur wir« und »nur mit uns« verzichten. Ich kann mich manchmal des Ein- Jürgen Reents | Chefredakteur des »Neuen Deutschland« drucks nicht erwehren, dass Linke mit  Erfolgen nicht umgehen können. Sie steigen ihnen zu Kopf und es wird ver- Ich wünsche der LINKEN viele, viele Mitglieder, gessen, dass unsere Partei mehr ist als fruchtbare Debatten, kluge Köpfe, aber auch die ein Zusammenschluss von Strömun- Chance, dass ihre Vorstellungen und Ziele fair gen und Netzwerken. Sie ist eine Grup- und sachlich in die Gesellschaft kommuniziert pe von Gleichgesinnten mit gemeinsa- werden und sich ihre Mitglieder offen und frei zu men politischen Zielen. ihr bekennen dürfen, ohne persönliche Nachteile Und an diesen Zielen zu arbeiten, erwarten zu müssen. muss ihre vordringlichste Aufgabe sein. Von der LINKEN wünsche ich mir Vernunft, einen Sonst wird sie eines Tages wirklich klaren Blick, die Fähigkeit, konstruktive Kritik zu nicht mehr gebraucht. geben und zu empfangen. Und Mitglieder, die sich die Fähigkeit bewahren, in einer Gesellschaft der Kälte und Konkurrenz Wärme Dr. Dagmar Enkelmann ist und Liebe zu vermitteln und zu leben und den Traum von einer gerechten 1. Parlamentarische Geschäftsführerin Gesellschaft niemals aufzugeben.

der Bundestagsfraktion. Rolf Pannicke | Kreisvorsitzender Deggendorf/Dingolfi ng (Bayern) © DIE LINKE.im Bundestag, privat (2)

11 DISPUT Mai 2012 Es war einfach notwendig Von Sabine Lösing

So ganz genau weiß sundheitsreform, sind Rentenkürzun- die vielen Wahlkämpfe und die parla- ich nicht mehr, gen, ist der neoliberale Durchmarsch. mentarische Arbeit stellen sehr große wann die Idee ent- Wenn ich die Nachrichten über die Herausforderungen an die Menschen in DIE LINKE. Erwartungen stand, eine neue Sparpolitik in Europa anschaue, dann den Strukturen vor Ort. Erfolge Partei zu gründen. ist es wie »… und täglich grüßt das Mur- Aber bis heute können wir mit be- Erfahrungen Es war einfach meltier« – es sind die gleichen Sozial- rechtigtem Stolz sagen: »Links wirkt«. notwendig, und so kürzungen. Vieles hat sich seit 2004 geändert, legte diese Notwendigkeit eine Saat in nicht jedoch die politische Herausfor- Böden vielerorts und sie wurde von vie- Agenda 2010 wird zum derung, eine Alternative zur schwarz- len Menschen aus unterschiedlichen Exportschlager rotgelbgrünen Einheitskoalition dar- Zusammenhängen gegossen. zustellen. In zahlreichen europäischen Ende 2003 begannen die soge- Die sogenannten Deutschen Sozialre- Ländern wird die Sozialdemokratie nannten Hartz-Reformen im Rahmen formen werden zum Exportschlager. ganz eng mit der Politik verbunden, der Agenda 2010 unterstützt von der Damals wurde – wie heute – der von durch welche Menschen massenhaft rot-grünen Bundesregierung, und so Frau Thatcher geprägte Slogan »There ins Elend gezwungen werden und die langsam merkten sehr viele, die noch is no Alternative« T.I.N.A. zur Rechtfer- Ökonomien keine Perspektiven mehr an eine soziale und demokratische So- tigung einer Politik, deren Konsequen- bieten können. zialdemokratie glaubten oder an ein zen maßgeblich für den deutschen Die Wahlergebnisse zum Beispiel »grünes« Korrektiv zum kriegstreiben- Wettbewerbsvorteil sind: Niedrige in Portugal und in Spanien zeigen sehr den Neoliberalismus, dass wir es mit Löhne, niedrige Sozialleistungen, ein deutlich, dass eine konsequente linke einer schwarz-gelb-rot-grünen neolibe- immenser Druck auf die arbeitenden Politik von den Wählerinnen und Wäh- ralen Einheitskoalition zu tun hatten. Menschen, das ist die Zutat für »Ma- lern als eine Alternative erkannt wird. de in Germany«, für Waren, welche die Es gibt keinen Grund, dass wir uns Eine politische Alternative war Handelsbilanzen anderer europäischer als LINKE an diese untergehende Sozi- nötig Länder nach unten drücken und so ei- aldemokratie ketten und unsere Positi- ne Ursache für Staatsschulden sind, onen auf Kosten einer Anschlussfähig- Parteipolitik war für mich und viele Schulden, die dann durch die Banken- keit weichspülen. Menschen in den Außerparlamenta- rettungen weiter in die Höhe getrieben Bei der Konzeption der WASG spiel- rischen Bewegungen lange keine Per- werden. ten langfristige politische Ziele und ei- spektive, aber es drängte sich mehr Zur Durchsetzung der Agenda 2010 ne Diskussion über das Wesen des Ka- und mehr die Ansicht auf, dass es nicht hieß es in Deutschland, dass die Men- pitalismus und die Konsequenzen, die ausreicht, Demonstrationen zu organi- schen den Gürtel enger schnallen müs- daraus entstehen, zeitweilig eine Ne- sieren oder auf anderem Wege zu ver- sen. Es wurde gesagt, dass die Sozi- benrolle. suchen, die Entscheidungen in den alleistungen, die Renten, die Gesund- Parlamenten zu beeinflussen, wenn heitsversorgung weniger Geld kosten Über Ziele verständigen die Inhalte und Forderungen nicht auch dürften, damit auch künftige Generati- in den Parlamenten vertreten werden, onen die Luft zum Atmen hätten. Heute als Partei DIE LINKE müssen wir und mehr Zugang zu den Medien zu be- Es gab angeblich keine Alternati- uns über mittel- und langfristige Ziele kommen. ve. Das Gleiche wird auch heute für verständigen und eine sozialistische Die PDS war damals mit zu wenigen die Schuldenbremse gesagt, wobei die Perspektive aufzeigen. Zu der kon- Abgeordneten vertreten, und im Wes- Konsequenzen weiterhin sind: Die Rei- sequenten Verteidigung unserer frie- ten deutete kaum etwas darauf hin, chen werden immer reicher, die Armen denspolitischen Positionen gehört die dass es kurz- oder mittelfristig eine Än- immer ärmer. Die Schulden werden im- Analyse der Zusammenhänge zwischen derung geben würde. mer umfangreicher, und die Vermögen Kriegen und der globalen neoliberalen In Attac, in unserem Göttinger Sozi- in der Hand von wenigen werden im- Ausrichtung der Politik oder des Kapi- alforum, in vielen anderen Zusammen- mer riesiger. talismus, je nachdem welche Formulie- hängen diskutierten wir darüber, eine Damals hieß es »Schröder muss rung man bevorzugt. neue Partei zu gründen, und eines Ta- weg«, und damals wussten wir, dass Die WASG war in ihrer Zielsetzung ges erreichte mich dann das mittlerwei- die Grünen die Friedenspositionen ver- überwiegend auf die Politik und die Le- le berühmte Papier von Ralf Krämer. In raten hatten. bensverhältnisse in Deutschland bezo- diesem Papier wurde sehr vieles von Die Gründung und der Aufbau der gen, die Partei DIE LINKE arbeitet stär- dem, was wir diskutierten, zusammen- WASG hat über die Fusion mit der PDS ker in internationalen Zusammenhän- gefasst, und so nahm das Geschehen zur Gründung der Partei DIE LINKE ge- gen. Eine Verpfl ichtung gegenüber dem seinen Lauf. führt. Antifaschismus und Antirassismus ist Die Agenda 2010 ist viel mehr als die Mittlerweile ist die Partei fast fl ä- und war für uns alle immer ureigener weitgehende Zerschlagung der Arbeits- chendeckend auf allen parlamentari- Bestandteil unserer politischen Arbeit. losenversicherung, die Agenda 2010 ist schen Ebenen vertreten. Vieles hat sich Privatisierung, ist die sogenannte Ge- seitdem verändert, der Parteiaufbau, Sabine Lösing ist Europaabgeordnete.

PARTEI DISPUT Mai 2012 12 Den neuen Herausforderungen stellen! Von Axel Troost

Am 16. Juni 2012 Das »German Miracle«, die arbeits- griff der »Rekommunalisierung«. Wie darf DIE LINKE das marktpolitische Bewältigung der Gro- es dem Staat fi nanziell geht, kann man fünfte Jahr ihrer ßen Krise, zeigt seine Kehrseite: weite- zuerst in den Städten und Gemeinden DIE LINKE. Erwartungen Gründung feiern. re Ausweitung der prekären Arbeitsver- sehen. Der Zustand von Kindergärten, Erfolge Mit der Bildung der hältnisse und nochmals verdichtete, in- Schulen, Bibliotheken, Spielplätzen, Erfahrungen neuen Partei DIE tensivierte Arbeitsprozesse bei wieder Parkanlagen, Straßen oder Schwimmbä- LINKE haben sich verlängerten Arbeitszeiten. Die gesell- dern hinterlässt einen bleibenden Ein- die politischen Kräfteverhältnisse in schaftlichen Kräfteverhältnisse haben druck von den Finanzproblemen unse- der »Berliner Republik« weiter nach- sich so verschoben, dass die ökonomi- rer Kommunen. haltig verändert. Die Verständigung von schen und politischen Eliten alle Ele- Die Logik, solide öffentliche Finan- Linkspartei.PDS und WASG, bei den vor- mente des Status' der Lohnarbeit (Ein- zen durch Ausgabenkürzungen errei- gezogenen Bundestagswahlen 2005 auf kommen, Arbeitszeit, tarifvertragliche chen zu wollen, basiert vor allem auf der einer Liste anzutreten und eine gemein- Regelungen, soziale Sicherheit) in Fra- stillschweigenden Akzeptanz der ge- same Partei zu bilden, war ein wichti- ge stellen. Verstärkt wird diese Entwick- schwächten Einnahmebasis des Staa- ger Schritt, die Spaltung der Linken in lung auch durch die Begünstigung von tes. Denn durch die rigorosen Steuersen- Deutschland durch trennende politi- gewaltigen Finanzkrisen, die nationa- kungen zugunsten der Spitzenverdiener, sche Lager wie auch die Ost-West-Spal- le Ökonomien in kürzester Zeit vor im- Unternehmen und Vermögensbesitzer in tung zu überwinden. mense Herausforderungen stellen. Die den letzten 12 Jahren wurde diese Ein- Zweieinhalb Jahre nach dem fulmi- gegenwärtige Stimmung in der Bevöl- nahmebasis systematisch ausgehöhlt. nanten Bundestagswahlkampf und fünf kerung gegen »die Griechen«, die – auf Die Krise der Staatsfi nanzen ist des- Jahre nach dem Zusammenschluss zeigt unsere Kosten – über ihre Verhältnisse halb nicht in erster Linie ein Ausgaben-, sich aber auch, wie brüchig die »verei- gelebt haben, lässt ahnen, was für ei- sondern ein Einnahmeproblem. Nur mit nigte Partei« noch ist. Mittlerweile dürf- ne Herausforderung DIE LINKE bewäl- deutlicher Verbesserung der Einnah- te die Diagnose eines nachhaltigen Nie- tigen muss. Auch hier müssen wir Al- men lässt sich ein qualitativ hochwerti- derganges seit den Bundestagswahlen ternativen präsentieren, breite Schich- ger öffentlicher Dienst und eine den An- 2009 weithin unstrittig sein. Wir haben ten von WählerInnen gewinnen wir dort forderungen der Zukunft entsprechende seither ca. 8.000 Mitglieder verloren. kurzfristig nicht. Es wird aber darauf an- staatliche Infrastruktur sicherstellen. Unser politischer Einfl uss ist geringer kommen, die Vorstellung eines sozia- Der fi nanzmarktgetriebene Kapita- geworden. Die Akzeptanz im Westen len Europa mittelfristig zu popularisie- lismus hat die Arbeitswelt verändert: Es ist erheblich gesunken: Bei den Land- ren. Dabei werden auch die politischen entstanden moderne Kommunikations- tagswahlen in Schleswig-Holstein und Entwicklungen (Zunahme rechtspopu- technologien, aber auch massiv verän- Nordrhein-Westfalen haben wir massiv listischer und nationalistischer Stim- derte Arbeitsbedingungen raus aus den Wahlstimmen verloren und den Wieder- mungen) in den Ländern der Euro-Zone festgefügten fordistischen Arbeitspro- einzug in beide Parlamente deutlich ver- nicht ohne Auswirkung bleiben. zessen mit ihren übersichtlichen, auf fehlt. Ein »Weiter so« ist also nicht hilf- Die Antwort auf Marktradikalismus lange Dauer angelegten Arbeitsverhält- reich und keine Perspektive. und soziale Desintegration liegt des- nissen hin zu ständiger Unsicherheit Die notwendige Erneuerung bedeu- halb in der Stärkung des öffentlichen (immer weniger unbefristete Arbeits- tet weder, nun im Alltagsgeschäft zu Sektors und der Demokratisierung der verträge, zunehmende projektbezoge- »verkümmern«, noch, auf die untaugli- Wirtschaft. Demokratisierung in den Be- ne Jobs in halb- oder ganz selbständiger chen Lösungsansätze des 20. Jahrhun- reichen der öffentlichen Betriebe, der Tätigkeit mit immer niedriger werdender derts zurückzugreifen. DIE LINKE hat es Gemeinden und Kommunen kann zu- Entlohnung vor allem in jenen Feldern immer noch in der Hand, trotz kurzfris- sammengefasst werden unter dem Be- mit hohem Anteil digitaler Technik). tiger ökonomischer Erholung sensibel Die Auseinandersetzung um die Le- für die tieferliegenden sozialen Unge- bens- und Arbeitsbedingungen der rechtigkeiten zu bleiben, sich von dem ANZEIGE Menschen und die Gegenentwürfe der Protestpotenzial für die eigene politi- Linken gegen die Austeritätspolitik der sche Arbeit inspirieren zu lassen und so politischen Eliten sind nötiger denn je. die politische Repräsentanz von Lohn- Die Forderung nach einem Politikwech- arbeit, Prekarisierung und Ausgrenzung sel erhielte so eine eigenständige Kon- zugleich befördern zu können. Die Alter- tur, und sie könnte den Bürgerinnen und native zum fi nanzmarktgetriebenen Ka- Bürgern zugleich plausibel machen, wa- pitalismus läuft nicht einfach nur auf die rum DIE LINKE ein unverzichtbares Kor- gesellschaftliche Kontrolle des Banken- rektiv für die Durchsetzung gesellschaft- und Finanzsystems hinaus, sondern un- Weydingerstraße 14–16 licher Reformen darstellt. terstellt weitreichende Veränderungen – 10178 Berlin von Reformen der sozialen Sicherheit, Telefon (030) 24 72 46 83 Dr. Axel Troost ist fi nanzpolitischer der Arbeitswelt bis hin zur Steuer- und Sprecher der Bundestagsfraktion und Mit- Vermögenspolitik. glied des Parteivorstandes.

13 DISPUT Mai 2012 PARTEI Fünf Kerzen auf der Geburtstagstorte Von Bodo Ramelow

Fünf Jahre Partei An vielen Hoffnungen ist die Rea- all besichtigen, und das, obwohl die DIE LINKE sind auch lität vorbeigegangen. Denn allein ein Not in den europäischen Nachbarlän- fünf Jahre Debatten Kreuz bei Wahlen bewegt in diesem dern extrem angewachsen ist. DIE LINKE. Erwartungen über den Abgesang Land noch lange nichts. Das ist nur ei- Die Notwendigkeit, auf die Verhee- Erfolge derselben. ne kurzfristige Protesterfahrung, die rungen einer neoliberalen Geldmarkt- Erfahrungen Alle diejenigen, immer dann funktionierte, wenn der politik linke, sozialistische Antworten die etwas zu fürch- etablierte Politikbetrieb in Berlin nach zu geben, lässt sich täglich besichti- ten haben, seien es die Einfl uss-Rei- der Wahl wegen uns laut aufschrie. Je gen. Trotzdem hat sich zum Beispiel chen, seien es die Mächtigen, alle die- mehr wir ausgegrenzt wurden, desto in Italien oder Spanien die einst star- jenigen, die glauben, dass sie mindes- mehr fanden uns auch als Protestwäh- ke linke Alternative durch Spaltungs- tens die Dunstglocke über dem Stamm- ler attraktiv und interessant. Diese Er- mechanismen marginalisiert. Lediglich tisch beherrschen, erregen sich seit fahrung machen nun gerade die Piraten in Frankreich wächst gerade wieder ein fünf Jahren über die LINKE. und wir gelten für die gleichen Wähler wenig Hoffnung. Ist es das Erhoffte oder das Erreich- mittlerweile auch als »etabliert«. Hier Vor fünf Jahren gab es eine große te, das uns verzweifeln lässt, fragt Peer müssen wir lernen, unser Bild als ge- Angst bei WASG-Funktionären, dass Gynt in der gleichnamigen Oper, und samtdeutsche, moderne sozialistische am Schluss der Parteibildung nur die genau diese Frage darf, nein muss man Partei zu schärfen. PDS als »PDS plus« herauskäme. Hier auch nach fünf Jahren Parteientwick- Dabei sind leider die Strömungs- wurde gerne das Bild bemüht, dass lung der LINKEN stellen. Erhofft hatten debatten eher hinderlich, da sie sel- dann das Karl-Liebknecht-Haus und sich Wählerinnen und Wähler, die ihr ten zum Hinterfragen der Argumente eine handvoll Ostakteure die gesam- »Kreuzchen« bei der LINKEN machten, der anderen führen, meist wird so ge- te Partei dominieren. Umgekehrt gab eine deutliche Änderung der Politik in tan, als sei man im Besitz der einzigen es im Osten die große Sorge vor trotz- Deutschland. Erhofft hatten sich viele Wahrheit. Manchmal hatte ich auch kistischen Zirkeln aus dem Westen und Akteure in der Partei, dass ihr jeweils das quälende Gefühl, dass einzelne ehemaligen aktiven Sozialdemokraten spezifi sches Thema zum Thema der Ge- Strömungsakteure behaupten, ohne bzw. Gewerkschaftern, die sich wort- samtpartei werden würde. Erhofft hat- die jeweils andere Strömung den ganz reich und in scharfen Tönen wechsel- ten sich die einzelnen Strömungen, großen Sieg in der Gesellschaft einfah- seitig überbieten. Diese Verletzungen die bei der Parteibildung entstanden, ren zu können. Die nackte und bitte- waren unnötig und überfl üssig wie ein dass sie jeweils das alleinige Zentrum re Realität einer solchen linken Spal- Kropf, an zu wenigen Stellen haben wir der Partei seien. tungspolitik lässt sich in Europa über- Widersprüche produktiv genutzt. Hier

Ich hatte mir bei meinem Eintritt erhofft, Signal für eine neue Politik dass sich DIE LINKE langfristig als lin- ke Alternative in der Parteienlandschaft Ihr Parteidokument erhielten auf dem Gründungsparteitag etabliert, dass DIE LINKE vor allem der der LINKEN 16 Mitglieder. DISPUT fragte jetzt einige von ihnen, jüngeren Generation ein modernes, of- inwieweit sich ihre damaligen Erwartungen erfüllt haben. fenes fortschrittsorientiertes Angebot macht. Besonders in den westlichen Bundesländern hat sie jedoch das enor- me Vorschussvertrauen verspielt durch

© Aris eine Betonung auf linke Potenziale, die über Jahrzehnte im Westen zu Recht marginalisiert waren. Dies wirkt insbe- sondere für linksbürgerliche Schichten altbacken und kulturell abstoßend. Wir müssen in der Zukunft linke Po- litik nah am Menschen gestalten lernen und nicht versuchen, alles Dogmatische der Vergangenheit nachzuexerzieren. Mit spannenden Projekten, wie der Genossenschaft »FAIRWOHNEN«, kön- nen wir wiederum zeigen, wie linke Po- litik alltagstauglich und zukunftsorien- tiert gemacht werden kann. So etwas wünsche ich mir. Robert Menger, Laatzen (Niedersachsen)

PARTEI DISPUT Mai 2012 14 bedaure ich, dass der innere und teil- unserer Mitglieder basieren. Eine linke uns zu motivieren, werden die Quer- weise sehr laute Diskussionsprozess Partei, die sich als moderne sozialisti- summen von SPD, Grüne oder links- der Partei nicht intensiver als gesamt- sche Partei versteht, muss hier gesamt- liberale Projekte nie mehr so gesell- deutsche Debatte produktiv verwan- gesellschaftliche Antworten jenseits schaftlich zurückgebunden, dass Fort- delt und genutzt wurde. Kostproben der kapitalistischen Verwertungslogik schritte für die Menschen spürbar sind. gefällig? Gemeindeschwester Agnes und jenseits der neoliberalen Verhee- Dann bricht sich die Verwertungslogik oder »kurze Beine - kurze Wege«, län- rung geben, neue, aber auch prakti- der Geldmarkthasardeure brutal Bahn. geres gemeinsames Lernen, einheitli- sche Antworten. Hier müssen wir uns DIE LINKE braucht anlässlich des ches Dienst- und Arbeitsrecht sind so mehr Mühe geben, miteinander in der fünften Geburtstages eigene Impulse, Beispiele von Ost-West-Debatten, die Partei zu kommunizieren, wechselsei- auch, um sich wieder selbst stärker zu wir hätten zu LINKE-Erfolgsmodellen tig Argumente auszutauschen und dem motivieren. Wir sollten das Erreichte nutzen können. Anderen zuzuhören. ausbauen und deutlich machen, dass Eine Glanzleistung allerdings wie- DIE LINKE muss eine große Denk- für einen gesellschaftlichen Verände- derum war das Programmprojekt mit werkstatt sein, die lernt, mit dem digi- rungsprozess ein kraftvoller Anstoß dem Erfurter Parteitag als krönendem talen Handwerkszeug umzugehen. Im von links nötig ist. Unsere Wirkungs- Abschluss. Die Alternativen, die wir arabischen Frühling spielten Facebook, mächtigkeit entsteht aus unserem Vor- aufzeigen, das programmatische An- Twitter und andere soziale Netzwerke rat an Ideen und aus der Ausstrahlung gebot, das wir haben, machen uns eine wichtige Rolle. Die analogen Au- unserer Mitglieder auf die Wähler. klar erkennbar als moderne sozialisti- tokratien wurden durch eine digitale Grund zum Feiern haben wir allemal. sche Partei. Aber wir selbst strahlen es junge Bevölkerung ins Abseits verwie- Grund zum Nachdenken auch. Besinn- manchmal nur halbherzig aus und dis- sen. Das muss man zwar realistisch se- lich inne zu halten hilft immer, um wie- kutieren eher über die personalpoliti- hen – am Schluss könnten die Träger der zu sehen, es ist Licht am Ende des schen Stöckchen, die wir uns wechsel- der militärischen, fi nanziellen und reli- Tunnels. Es gibt Alternativen zum be- seitig hinhalten. giösen Macht die Freiräume wieder so stehenden System. Manche Fragen sind offen, nutzen einschränken, dass sich diktatorische Die Kernfrage heißt: ausreichender wir dies doch endlich als lernende Par- Herrschaft neu etabliert –, doch es gesetzlicher Mindestlohn oder Aufsto- tei! Bedeutet eine höhere Pendlerpau- sollte Ansporn für uns sein, das digita- cken, Schutzschirme für die Banken schale mehr Einkommen, oder schafft le Handwerkszeug so zu erlernen, dass oder Schutzschirme für die Schlecker- man eher einen ökologischen Fehlan- wir das Schwarmwissen unserer Mit- Frauen, gute Arbeit für alle oder Hartz reiz? Hier wurde von der Bundestags- glieder nutzen. Dieses Neue mit dem IV usw. usf.? fraktion sehr schnell etwas vorgege- analogen Politikbetrieb zu verbinden Hier müssen wir diejenigen sein, die ben, ohne dass sich die Gesamtpartei und dabei auf dem Fundament unserer immer wieder die praktischen Antwor- intensiv damit befassen konnte. Ähnli- sozialistischen Perspektive aufzubau- ten klar formulieren. ches vollzieht sich beim Thema bedin- en, sind notwendige Ansätze, um ei- Es reicht nicht, diese Welt nur zu gungsloses Grundeinkommen. nen schönen fünften Geburtstag zu fei- erklären, sie muss verändert werden! Für eine Gesellschaft, die sich in ern. Dabei sollten wir uns nicht durch Leisten wir unseren Beitrag! solch großen Brüchen befi ndet, müs- teils irreale Hoffnungen, die wir hatten, sen wir Lösungen und neue Wege an- entmutigen lassen. Wenn wir es nicht Bodo Ramelow ist Fraktionsvorsitzender bieten, welche auf dem Wissen aller mehr schaffen, Wähler ausreichend für im Thüringer Landtag.

Am 16. Juni 2007 erhielt ich stolz auf teibuch einzusetzen. Die Worte auf der Politik gewesen. Diese Hoffnung ha- dem Gründungsparteitag mein neues Rückseite des Parteidokumentes sind be ich noch nicht aufgegeben und will Parteidokument der Partei DIE LINKE. mir dazu Richtschnur und Anleitung zum weiterhin meinen Beitrag dafür leisten, Ein Dokument mit historischem Hinter- Handeln. dass wir in den sozialen Bewegungen grund, war dem doch ein Weg des Zu- Margot Bärwinkel, Kreisverband Sömmer- aktiv vertreten sind, aber auch eine par- sammengehens von zwei linken Partei- da (Thüringen) lamentarische Kraft werden, die durch en vorausgegangen. ihre konstruktive Politik in den Parla- Nach knapp fünf Jahren haben sich Ich bin auf dem Gründungsparteitag in menten unsere Gesellschaft so verän- einige meiner Hoffnungen erfüllt. So DIE LINKE eingetreten, weil ich die Hoff- dert und lebenswert macht, dass die fol- sind zum Beispiel in Parlamenten und nung und den Wunsch hatte, dass ei- genden Generationen gerne hier leben anderen Gremien wieder mehr gewähl- ne gut organisierte, offene neue plura- wollen und können. te und berufene Genossinnen und Ge- listische linke Partei gesellschaftlich ei- Wilfried Telkämper, Freiburg im Breisgau nossen anzutreffen, die Hilfesuchenden niges bewegen könnte, um den weite- (Baden-Württemberg) gern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zur ren sozialen Kahlschlag zu stoppen. In Selbstverständlichkeit gehört, an Ge- meiner Rede dort habe ich darauf hin- denkveranstaltungen für die Opfer des gewiesen, dass soziale Sicherungspoli- Faschismus oder an Demonstrationen tik und der Einsatz für eine nachhaltige gegen »Rechts« teilzunehmen, sich ein- Umwelt- sowie Klimaschutzpolitik mit Er- zureihen und andere dazu aufzufordern. neuerbaren Energien zwei Seiten dersel- Für mich, als Mitglied unserer Partei ben Medaille sind, weil sie wechselseitig und der Landesschiedskommission, se- verwoben und für eine lebenswerte Zu- he ich eine Reserve darin, mich noch en- kunft nur gemeinsam gedacht und vor- gagierter für die Zusammenführung von angetrieben werden können. DIE LINKE Kommunisten, Sozialisten und anderen ist durch den Schritt zur Vereinigung ein engagierten Linken mit und ohne Par- Signal für eine zukunftsweisende neue

15 DISPUT Mai 2012 Das Zusammenkommen unter- schiedlicher Biografi en, Geschichten, Erfolge und Niederlagen lässt sich nicht einfach beschließen; manche Ost-West-Kreisverbände machen gute Erfahrungen – im Alltag.

DISPUT Mai 2012 16 Kultur gehört zur Partei: das Fest der Linken, alljährlich im Juni in Berlin, ist ein großartiger Treff- punkt für Politik, Kunst und Kultur.

© Aris, Stefan Richter (3), Frank Schwarz (4)

17 DISPUT Mai 2012 »Bitte enttäuscht uns nicht« DIE LINKE nach fünf Jahren: Lust am Untergang? Von Stefan Bollinger

Der Schlusssatz des FKP-Europapoliti- glaubhafte Friedenspolitik, zumal SPD gen neoliberale und Kriegs-Neuaus- kers Francis Wurtz rührte manche Ge- und Grüne seit Serbien und Afghanis- richtung der SPD offen auszutragen. nossen auf dem Fusionsparteitag zu tan Kriegsparteien waren. Das brachte nun Zuspruch und Autori- Tränen: »Bitte enttäuscht uns nicht.«. Allein hätte dies nicht gereicht. Aus tät, die er für die rasche Entscheidung Europas Linke setzte auf die Deut- Abtrünnigen der SPD und anderen Lin- zum Zusammengehen von WASG und schen. Der 16. Juni 2007 war ein Mei- ken formierte sich seit 2004 eine Wahl- PDS einbrachte. Am 17. Juli 2005 be- lenstein auf dem Weg zu einer gesamt- alternative Arbeit und soziale Gerech- schloss die PDS ihre Umbenennung zu deutschen linken Partei, die sich aus tigkeit, bald die Partei Arbeit & sozia- Die Linkspartei. Wichtiger waren die ostdominierter PDS mit SED-Last und le Gerechtigkeit – Die Wahlalternative vorhergehenden Verhandlungen, die oft vehementer Distanzierung von ihr (WASG). Schnell zeigte sich, dass die die Aufstellung von WASG-Kandidaten einerseits und der WASG, dem Auffang- getrennt, skeptisch zueinander ste- auf Linkspartei-Listen ermöglichten. Im becken unzufriedener SPDler, Gewerk- henden beiden Formationen es allein September gewann die neue Formation schafter, Parteienttäuschter aus brei- kaum könnten. Wieder »half« der Kanz- 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl. tem Linksspektrum, zusammentat. ler, indem er angesichts des Widerstan- 2009 konnte sie dieses Wahlergeb- Aber das Datum ist willkürlich. Eher des die Flucht nach vorne in vorgezoge- nis noch toppen. Die SPD war inzwi- gebührt Gerhard Schröder der Titel Ge- ne Bundestagswahlen suchte. schen als Juniorpartner einer Großen burtshelfer. 1998 hatte eine Mehrheit Koalition gescheitert. Weitere drei Jah- die Nase voll von 16 Jahren konserva- Linke und ihre Gegensätze re später steckt der Kapitalismus zwar tiver Politik und Neoliberalismus. Sie in einer tiefen Krise seiner Finanzmärk- wollte einen radikalen Politikwechsel. Damit mussten sich Linke festlegen. te. Der Neoliberalismus muss sich an- SPD und Grüne sollten es richten. Die Eine neue Formation lag seit der deut- passen, der Staat wird als Banken-Ret- PDS blieb Schmuddelkind, obwohl lin- schen Einheit in der Luft. Ihre stärks- ter zurückgerufen, damit der Bürger ke Politiker aller drei Parteien, auch ten Kräfte, SPD und Grüne, scheuten die Zeche zahlt. Die Schwarzen brö- die heutige SPD-Generalsekretärin, mehrheitlich ein Bündnis mit der PDS. ckeln, die SPD, nun wieder Oppositi- mit Elan gegen Kohl einen Crossover- Nun bröckelte die SPD an ihren Rän- on, blinkt mäßig links und erholt sich Prozess pfl egten und versprachen, ihn dern und PDS wie diverse West-Lin- mühselig, die Grünen behaupten sich, gemeinsam hinwegzufegen. ke hatten einen Wimpernschlag für ei- und die FDP grübelt noch, ob sie tot Es fi ng durchaus sozial mit Rosa- nen Neustart. Könnte gar die politische oder lebendig ist. Dafür entern die Pi- Grün an. Aber just in dem Moment, da Landschaft links der CDU neu geordnet raten fröhlich konzeptionslos Protest- Schröder erfolgreich seine Wiederwahl werden? Sollten nur, wie schon in den wähler und Parlamente. Ein Coup, der bestritt, entdeckte er neoliberalen Re- 1990er Jahren, Sandkastenspiele ge- erfolgreich ist und eine neue bürgerli- formbedarf. Deutschland sollte mit plant werden, in denen die PDS den Os- che Partei herbeizaubert, die die Abfäl- der Agenda 2010 gerettet werden, und ten und eine Westformation (einst die le des Neoliberalismus frischen Mutes die SPD war bereit, die Schmutzarbeit Grünen) nun in Gestalt der WASG den verkaufen könnte – Individualismus, zu leisten. Umbau des Sozialstaates, Westen bearbeiten? Das wäre günstig, Technikgläubigkeit, Beliebigkeit und Wirtschaftsfreundlichkeit, Eigenver- denn dann würde für WASGler die Sor- den Schein demokratischer Teilhabe. antwortung, Fordern und Fördern wa- ge entfallen, mit DDR- und MfS-Vergan- Die einzigen, die wirklich leiden und ren Schlagworte. Gebastelt aus dem genheit der PDS konfrontiert zu wer- alle Welt daran teilhaben lassen, sind neoliberalen Gruselkabinett wurden den. Der bliebe nach ihrer kläglichen die Partei DIE LINKE und viele Linke Hartz IV, Ich-AG, Rente ab 67. Die Re- Westausdehnung das latente Debakel mit ihr. Im Kern ist sie am Erwartungs- gierungserklärung vom 14. März 2003 mit fundamentalistischen Westlinken druck und ihrer Angst vor dem klaren machte es möglich. erspart. In harschen Debatten unter Bekenntnis zum Sozialismus geschei- Wütende Reaktionen ließen nicht freundlicher Oberfl äche wurde die je- tert. Die SPD-Krise, der rasche Vollzug auf sich warten. Zwar zerfaserte die weilige Skepsis zurückgestellt. Die Ge- der neoliberalen Zurichtung der Gesell- Massenbewegung gegen diese sozia- legenheit war zu günstig. schaft suggerierte, dass sie linke Al- len Härten, aber Linke und Betroffene So beliebt Gregor Gysi als heimli- ternative sein könnte. Ihre Stärke war wandten sich von der SPD ab. Gestan- cher PDS-Chef dank seiner eloquenten aber nur geborgt von der Schwäche der dene Gewerkschafter und SPD-Genos- Auftritte in den Medien auch für West- SPD. An ihr wird sich als Hauptgegner sen sahen sich ihrer politischen Hei- ler war, ohne eine wenigstens gleich- abgearbeitet, weniger an den Bürgerli- mat beraubt. 2004/05 brachten unge- wertige West-Autorität mochte ein chen oder am Kapitalismus insgesamt. ahnte PDS-Wahlerfolge, obwohl diese solch kühner Schritt nicht gelingen. Es ist bis jetzt nicht gelungen, ein zwei Jahre zuvor selbst – fast wie jetzt Hier bot Oskar Lafontaine als Sozial- Amalgam unterschiedlicher Geschich- – in einer Krise gesteckt und ein Jam- demokrat mit Überzeugungskraft An- ten und Geschichte – Ost-West, SED- merbild geboten hatte. Mit ihrer Agen- reiz und Halt. Er warf 1999 das Hand- SPD-K-Gruppen, Grüne, Libertäre – zu da Sozial für Mindestlohn und gegen tuch, weil er mit Schröder über Kreuz brauen. Zwar wurde über Jahre an ei- Hartz IV empfahl sich die Partei der stand. Als SPD-Chef mochte er des- nem durchaus ordentlichen Parteipro- Kümmerer als sozialer Anwalt nicht sen Politik nicht mittragen, auch wenn gramm gearbeitet, aber nicht als Streit, nur den Ostdeutschen. Dazu kam eine er Jahre brauchte, um den Streit ge- bei dem einem reinigenden Gewitter

DEBATTE DISPUT Mai 2012 18 klare Positionen folgen. Das Programm ist antikapitalistisch orientiert, bleibt jedoch oft unentschieden und vor al- lem für die Politiker folgenlos. Die Dis- kussion sollte vereinen, hat aber oft Was ich der LINKEN wünsche – nur übertüncht. Gregor Gysi 2007 wie was ich mir von der LINKEN wünsche immer überzeugend: »Was ist denn so schlimm an den Forderungen, die wir stellen? Wir fordern ... ein Höchstmaß an Bürgerinnen- und Bürgerrechten, Zum 5ten wünsche ich meiner Partei ewige Jugend – vor allem in damit an Freiheit, weil wir die Einheit ihren Gremien, vor Ort und in den Parlamenten. Ich wünsche uns allen von Freiheit und sozialer Sicherheit, die Solidarität als Maßstab unserer Politik und im täglichen Umgang Einheit von Freiheit und sozialer Ge- miteinander. Ich wünsche der Partei viele, viele linke Mitglieder mit den rechtigkeit fordern. Das ist auch etwas, verschiedensten Herkünften und Beweggründen mitzumachen. Und was wir aus der Geschichte gelernt ha- ich wünsche mir UND der Partei einen Parteitag im schönen, sonnigen ben ... Freiheit und Sozialismus – das Freiburg. ist die Antwort!« In der politischen Pra- Gregor Mohlberg | Freiburg (Baden-Württemberg) xis ist es weit komplizierter. Die Fronten  verlaufen keineswegs nur zwischen Ost und West, die Etikettierungen von »Re- Hinter der »5« erwarte ich von der LINKEN perspektivisch eine »0«. In formern« und »Fundamentalisten« hel- den nächsten Jahren wünsche ich sie mir frecher, attraktiver, humorvoller fen auch nicht. und klüger als alle diese Besserwisser auf der Welt. Verschwiegen, wo es sich gehört, und geschwätzig gegenüber den Medien. Vielleicht Antworten fi nden auch etwas origineller? Und bitte die Fäuste aus den Gesichtern in die Hosentaschen! Solange die Partei nicht drei Fragen Lothar Bisky | Europaabgeordneter und ehemaliger Vorsitzender der LINKEN überzeugend beantwortet, solange  wird sie am Abgrund stehen. Manche beschwören gar die Lust am Untergang. In diesem Sommer kann ich gleich zwei Jubiläen feiern: Im Sommer Die Partei, ihr politisches Personal und 1962 – ich war 22 – habe ich mich tief im Westen der politischen Linken die Mitglieder werden sich entscheiden angeschlossen. Die SPD wollte mich nicht mehr – vor allem wegen meines müssen: Akzeptieren sie die Abstra- Engagements für die Friedens-/Ostermarschbewegung. Also ging ich zur fung durch die Wähler, und geben sie Max-Reimann-KPD, die damals natürlich illegal war. Ich hab’ dann viele dem jeweils anderen Flügel die Schuld? Links-Formationen durchlaufen und mitgestaltet, habe Höhen und Tiefen Oder versuchen sie, sich zusammenzu- der kommunistisch-sozialistischen Bewegung raufen und Farbe, Rot, zu bekennen!? erlebt. Und ich habe alle »Wellenschläge« Auch wenn die Diktatur des Proletari- der Linken, auch alle Schwierigkeiten ats erledigt ist nach 70 Jahren Realsozi- im System des Kapitals erlebt, aber alismus – als Ordnung des Proletariats, viel wichtiger: überlebt. Und das dem die Partei die Linie vorschreibt, vor allem, weil die Genossen und und als Diktatur. Ohne Willen und Rin- Genossinnen in ihrem Kampf um gen, den Kapitalismus zu überwinden eine gerechtere Welt und eine und den Sozialismus nicht als ziello- Welt ohne Krieg eigentlich immer sen Weg anzustreben, wird die Linke zusammenhielten. in der derzeitigen Form scheitern. Die Und nun zum zweiten Jubiläum: Überlebensfragen an sie und die Par- DIE LINKE wird fünf. Für mich war tei sind einfach: Will sie eine etablierte die Parteigründung vor fünf Jahren Partei sein, sich der Wohltaten des Par- ein Höhepunkt und ein Traum meines lamentarismus erfreuen und nicht wis- Lebens. Eine einheitliche, geschlossene sen, wann Regierungskoalitionen zum LINKE für ganz Deutschland – das hatte ich Verrat an den eigenen Zielen werden? mir immer gewünscht. Das war genau das, was unser Land brauchte. Und Will sie dies aus ihrer Geschichte her- Millionen Menschen dachten ebenso ... Die Hoffnung war groß. Doch dann aus leisten – mit den Erfahrungen des kam das »Aber«: Persönliche Eitelkeiten statt an einem Strang ziehen, Erfolges wie des Scheiterns aller drei jede Menge rechthaberische »Unterparteien«, die immer wieder die emanzipatorischen Strömungen der Diskussion bestimmenden Auseinandersetzungen um Pöstchen, Mandate Linken – Kommunisten, Sozialdemo- und Macht. Unser Haupt-Ziel, die Welt für viele erträglicher zu machen, kraten, Anarchisten ... – in ihren viel- geriet immer mehr aus unserem Blickfeld. Und immer mehr Menschen fältigen politischen Formen? Will sie verlieren die Hoffnung ... den Kapitalismus überwinden, sicher Aber, wie heißt es so schön: »Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Und meine schrittweise, sicher aber im Wissen, Hoffnung ist noch da: Auf dem nächsten Parteitag kriegen wir die Kurve: dass jede soziale Bewegung Unterstüt- Wir wählen eine ausstrahlende Parteispitze (Wir haben doch so tolle und zung braucht, aber auch den eigenen gradlinige Genossinnen und Genossen!!!), und dann ziehen wir alle an politischen Kampf? einem Strang – für eine gerechtere Welt, für eine Welt des Friedens kann’s doch keine »reformerischen« oder »radikalsozialistischen« Vorbehalte Der Politikwissenschaftler Dr. Stefan Bol- geben. Denken wir immer dran: Die Menschen brauchen uns! Die linger ist Mitglied der Historischen Kom- Menschen warten auf uns!

mission beim Parteivorstand. Klaus H. Jann | Wülfrath (Nordrhein-Westfalen) © privat

19 DISPUT Mai 2012 Echt und auch digital DIE LINKE als Mitmachpartei Von Halina Wawzyniak

Politische Prozesse verändern sich, re Partei und für deren politische Wirk- Internets für alle Menschen – unabhän- und damit verändert sich die politi- samkeit vor allem zwei Aspekte von be- gig von Einkommen, Bildungsgrad oder sche Kommunikation. SPD und Grüne sonderer Bedeutung sind: Alter – zu ermöglichen. denken über Mitgliederentscheide zur Erstens müssen wir die freiheitli- Als Linksfraktion haben wir kürzlich Benennung von Spitzenkandidaturen chen Potenziale des Internets schüt- einen Antrag in den Deutschen Bun- nach, Abgeordnete twittern durch die zen. Wir müssen uns dagegen weh- destag eingebracht, der internetfähi- Gegend und kommunizieren an Pres- ren, wenn Inhalte gesperrt werden ge Computer für Transferleistungsbe- sestäben vorbei. Die Übertragung poli- sollen, wie zuletzt bei dem vermeint- ziehende erstattungsfähig macht. Wir tischer Veranstaltungen per Livestream lichen Kampf gegen Kinderpornogra- wollen nicht, dass jemand vom Internet zählt mittlerweile zum guten Ton. fi e. Wir müssen uns gegen die Überwa- abgehängt wird, weil schon zum men- Die Schlagworte in den Debatten chung der Kommunikation und gegen schenwürdigen Leben kaum genug um die Veränderungen des politischen die Möglichkeit einsetzen, Persönlich- Geld da ist, und er oder sie sich keinen Systems heißen Transparenz und Be- keitsprofi le zu erstellen, die mal un- eigenen PC leisten kann. Wir wollen au- teiligung. Der Siegeszug des Internets ter dem Schlagwort Vorratsdatenspei- ßerdem, dass ein schnelles Internet in geht mit diesen Prozessen einher. Das cherung, mal unter dem Schlagwort allen Regionen verfügbar ist. Ein Inter- Internet macht Beteiligung und Trans- Quick Freeze oder nichtindividualisier- netzugang sollte heute zur Daseinsvor- parenz einfacher und schneller. Als te Funkzellenabfrage daherkommen. sorge für alle gehören – unabhängig Kommunikationsmedium, bei dem alle Wir müssen dafür eintreten, Herr und davon, wo man lebt und über wie we- Teilnehmer/innen gleichzeitig senden Frau über unsere Daten zu werden. Und nig Geld man verfügt. Als LINKE wollen und empfangen können, werden Hie- schließlich müssen wir die Eigentums- wir gleiche Chancen und ein selbstbe- rarchien und Autoritäten hinterfragt. frage neu stellen. Die Marktbeherr- stimmtes Leben für jeden. Wir fordern Politik wird nicht mehr ausschließlich schung der von vielen täglich genutz- daher umfassende Medienbildungs- über Zeitungen und Fernsehen vermit- ten Online-Angebote durch wenige Oli- angebote für alle Bildungs- und Alters- telt. Jede und jeder kann sich mit ei- gopole ist ein Problem. Die können von gruppen. Wer das Internet für sich nut- ner Webseite oder einem Blog Gehör heute auf morgen einfach entscheiden, zen will, muss Bildungsangebote vom verschaffen. Menschen fi nden sich in ihre Regeln zu ändern oder ihr Ange- Kindergarten bis zur Volkshochschule Echtzeit zusammen und artikulieren bot einzustellen. Die Politik hinkt mit und vom Jugendclub bis zur Senioren- gemeinsam ihre Interessen. Das Netz der Einschränkung dieser Machtposi- freizeiteinrichtung nutzen können. Nur selbst schafft keine gesellschaftlichen tionen immer hinterher. Die Alternati- durch ein freies Internet für alle beste- Veränderungen, aber es ändert die Art ve zu den Oligopolen kann aber auch hen für alle die gleichen Möglichkeiten, und Weise, wie eine Gesellschaft kom- nicht ein staatliches Online-Angebot sich an politischen Entscheidungspro- muniziert, und kann Katalysator für die sein. DIE LINKE muss sich an der Debat- zessen zu beteiligen. politische Beteiligung jedes Menschen te beteiligen, auf welchen Wegen und DIE LINKE hat auch fernab des Inter- sein. Vermittelt über die Möglichkei- mit welchen Mitteln das Gemeingut nets schon umfassende Vorschläge für ten der Kommunikation im Internet hat (Commons) »Zugang zum Internet und mehr direkte Demokratie gemacht. Auf sich ein neues Selbstverständnis po- seinen Angeboten« von denjenigen ge- Bundesebene wurde allerdings die Ein- litischer AkteurInnen herausgebildet: staltet werden kann, die es nutzen. führung von Volksbegehren und Volks- Bottom-up (von unten) statt Top-down entscheiden von der schwarz-gelben (von oben). Internet für alle Koalition verhindert. Wir müssen und Dass diese Veränderungen zuneh- werden uns weiter für mehr Demokra- mend gewünscht werden, zeigt der Hö- Zweitens dürfen wir nicht zulassen, tie einsetzen. Wir wollen die Parlamen- henfl ug der Piratenpartei. Wenn die Pi- dass Menschen vom Zugang zum In- te und parlamentarischen Entschei- ratenpartei als Alternative zu den etab- ternet und von der Nutzung des Inter- dungsfindungen nicht abschaffen, lierten Parteien wahrgenommen wird, nets ausgeschlossen werden. Konkret aber wir wollen sie ergänzen. Dies gilt ist dafür nach Einschätzung der meis- heißt das: Das Internet muss für alle in der analogen, aber auch in der digi- ten Wahlforscher/innen nicht so sehr Menschen in der gleichen Qualität und talen Welt. Das Internet kann für unsere ihr inhaltliches Angebot ausschlag- Verfügbarkeit nutzbar sein. Das Leben Demokratie ein wichtiges zusätzliches gebend – es ist das Versprechen von ist heute für immer mehr Menschen Werkzeug werden. mehr Transparenz und mehr Mitbestim- ohne das Internet kaum noch vorstell- Wir können und müssen das Netz mung. Aus dieser Erkenntnis die richti- bar. Einkaufen, Suche nach Stellenan- auch für die Darstellung unserer Poli- gen Schlüsse für die eigene Politik zu geboten, Behördengänge, Austausch tik nutzen, politische Prozesse trans- ziehen, ist eine Herausforderung für mit Freunden und vieles mehr gehören parent machen und Mitarbeit ermög- alle Parteien – auch für DIE LINKE. Wir für Millionen zum Alltag. Für DIE LINKE lichen. Die Zeiten, in denen wenige müssen die Potenziale des Internets sind soziale Gerechtigkeit und Freiheit Menschen in Regierungen und Parla- für die politische und gesellschaftliche unabdingbare Voraussetzungen einer menten hinter verschlossenen Türen Entwicklung erkennen, uns damit aus- solidarischen Gesellschaft. Deshalb ist das Leben von vielen bestimmt haben, einandersetzen und sie für uns nutz- es gerade unsere Aufgabe, die Teilhabe sind vorbei. Mit dem Internet wird ei- bar machen. Ich glaube, dass für unse- am Internet und die Möglichkeiten des ne weitere Möglichkeit für einen Dialog

PARTEI DISPUT Mai 2012 20 von Regierenden und Regierten herge- Positive Ausstrahlung gewännen KOMMENTIERT stellt. Herrschaftswissen kann hinter- wir, wenn Delegierte bei der Wahl tat- fragt und alternative Ansichten können sächlich eine Auswahl haben. Wenn es gleichberechtigt diskutiert werden. Die zur Normalität gehörte, dass mehr Per- Meinung von Bürgerinnen und Bürgern sonen kandidieren als Plätze zur Verfü- artikuliert sich öffentlich nicht mehr gung stehen. Wenn wir intellektuell an- nur alle vier Jahre bei Parlamentswah- regende Diskurse über Inhalte führen, len oder auf Demonstrationen. die in die Gesellschaft hineinwirken. Bei all dem Lob des Internets müs- Mehr Demokratie wagen innerhalb sen wir uns aber auch immer wieder der eigenen Partei würde bedeuten, Ein Anfang klar machen, dass die Kommunikati- neben Basiskonferenzen und Parteita- on und die Debatten in diesem Medi- gen ein zusätzliches Angebot für die in- um nur eine Ergänzung für die Debat- nerparteiliche Meinungsbildung anzu- »Frankreich hat den Wandel ge- ten von Mensch zu Mensch sind. Das bieten – zum Beispiel ein Online-Por- wählt«, verkündete Wahlsieger Internet kann diese Debatten nicht er- tal zur Diskussion und zum Werten von François Hollande am Abend des setzen. Online-Abstimmungen zum Vorschlägen. Auch mit einem solchen 6. Mai. In verschiedenem Sinne. Beispiel dürfen aus meiner Sicht ob der Online-Portal erreichten wir nicht al- Eine nicht geringe Motivation dürf- Manipulationsanfälligkeit nie verbind- le Mitglieder, schon deshalb kann es te für viele gewesen sein, den bis- liche Abstimmungen sein, sie können nicht zu verbindlichen Entscheidungen herigen Amtsinhaber, Nicolas Sar- maximal ein Meinungsbild darstellen. führen. Aber wir würden vielleicht ein kozy, aus dem Elysée-Palast zu ver- Ich persönlich schlösse deshalb aus, paar mehr Mitglieder in Debatten ein- abschieden. Zu ernüchternd seine dass eine Stimmenübertragung auf beziehen. Was spricht dagegen, dass Bilanz. Die Mehrheit der Franzosen Dritte zulässig ist. der neue Parteivorstand als einen ers- hatte diesen Präsidenten satt. Aber ten Beschluss die GenossenInnen auf- sie wollten auch einen Wechsel der Sind unsere politischen Prozesse fordert, in einem Online-Beteiligungs- Politik: Schluss mit Krisenbekämp- transparent? tool, per Mail oder per Brief Vorschläge fung durch Sparprogramme und zu unterbreiten, wie die Wahlstrategie Schuldenbremse à la Merkozy. In Wenn wir über Transparenz und Beteili- für die Bundestagswahl 2013 ausse- wohl noch keinem französischen gung in der Politik sprechen und mehr hen soll? Die Beiträge können transpa- Wahlkampf haben Deutschland Demokratie fordern, müssen wir uns rent auf einem Pad dargestellt werden, und Europa einen so breiten Raum auch an die eigene Nase fassen. Wir ebenso der Umgang des Parteivorstan- eingenommen. sollten uns selbst fragen: Sind unse- des mit den Beiträgen. Jede Genossin, Diese Wahl ist ein Erfolg der ge- re politischen Prozesse transparent? jeder Genosse erhält zusätzlich eine samten Linken. Beachtliche 11,1 Können wir unsere Mitglieder besser in direkte Antwort und kann so nachvoll- Prozent erzielte Linksfront-Kandi- politische Diskussionen einbeziehen? ziehen, wie mit ihrem/seinem Beitrag dat Jean-Luc Mélenchon im ersten Können wirklich alle an den Entschei- umgegangen wird. Das hätte tatsäch- Wahlgang. Hollande verdankt sei- dungen teilhaben? lich etwas von Mitmachpartei. nen Sieg auch dem Front de Gau- Das Positive vorweg: Bei der LINKEN Was spricht dagegen, dass die Vor- che. Die Linke wird ihn daran erin- kann jede/r kandidieren, ohne vor- standssitzungen per Livestream ver- nern. her eine bestimmte Anzahl von Unter- folgt werden können? Schon jetzt sind Der neue Präsident hat in der stützungsunterschriften beibringen zu die Sitzungen der Vorstände öffentlich, Tat einen Politikwechsel verspro- müssen. Bei uns werden alle Kandidie- aber bevorzugt sind immer die Genos- chen: Besserverdienende und Un- renden befragt, und es wird nicht vorab sInnen, die am Ort der Tagungen woh- ternehmen sollen stärker belas- per Mehrheitsbeschluss entschieden, nen oder sich die Fahrt zu den Sitzun- tet und 60.000 neue Jobs im Bil- wer befragt wird und wer nicht. Unser gen leisten können. Natürlich wird es dungsbereich geschaffen werden. Delegiertensystem auf Bundes- und Punkte geben (und gab es), bei denen Er will den europäischen Fiskalpakt Landesparteitagen sichert, dass es kei- die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. neu verhandeln und bis Ende 2012 nen sozialen Ausschluss bei der Teil- Was spricht dagegen, Möglichkei- die französischen Truppen aus Af- nahme an Parteitagen gibt. Wir haben ten für Mitglieder zu eröffnen, vor den ghanistan abziehen. Noch nicht im in der Satzung verankert, dass »zu al- Vorstandssitzungen Anmerkungen und Amt, formiert sich der Widerstand. len politischen Fragen« ein Mitglieder- Vorschläge zu den Vorlagen zu un- Viel wird darauf ankommen, entscheid durchgeführt werden kann. terbreiten? Auch hier könnte per Pad dass die Parlamentswahlen im Juni Also alles paletti? nachvollzogen werden, was an Vor- auch in der Nationalversammlung Nein. Der geschäftsführende Par- schlägen unterbreitet und was von den eine linke Mehrheit bringen. Dazu teivorstand hat mehrheitlich entschie- Vorständen aufgenommen wird. ist es nötig, dass die Linke im en- den, dass unter »zu allen politischen All diese Vorschläge sind zeitauf- geren Sinne – der Front de Gauche Fragen« nicht die Befragung fällt, wer wendig. Aber wir sollten den Mut ha- – ihre neugefundene Einheit wahrt den Parteivorsitz übernehmen soll. ben, neue Wege zu gehen und die Mit- und ausbaut und dass die Linke im Mit entscheiden hieße aber eben auch, glieder intensiver einzubeziehen. Die weiteren Sinne sich auf gemeinsa- in solchen Fragen ein Votum abgeben Mitglieder sind diejenigen, die eine mes Vorgehen verständigt. Dann zu können, selbst wenn es nur emp- Partei am Leben halten. Das sollte sich kann dem Druck zur Mitte auf den fehlenden Charakter hat. Ansonsten auch in einem größeren Mitsprache- Sozialdemokraten Hollande be- strahlen wir aus, dass bei uns die »Top- recht widerspiegeln. gegnet und ein wirklicher Wan- down«-Prozesse dominieren. Wir strah- del der Politik erreicht werden. In len aus, dass irgendwo, irgendwann Halina Wawzyniak ist stellvertreten- Frankreich, mit Folgen für ganz Eu- mit irgendwem ausgehandelt wird, wer de Parteivorsitzende und netzpolitische ropa. wofür kandidieren soll. Sprecherin der Bundestagsfraktion. Andreas Günther

21 DISPUT Mai 2012 Meinen Namen fi nde ich richtig schön Angelika Linke (DIE LINKE) aus Ludwigsfelde

Langt zu! Brötchen, Gebäck, Kaffee … che Arbeit – und das war mein Ding! ater und die Musikschule zu Hause. Oder ein Wasser? Ihr sollt euch hier Diese Arbeit habe ich geliebt. Die Leu- Das Amateurtheater wird nun ehren- wohlfühlen. Dienstags und donners- te waren so kameradschaftlich, hatten amtlich geleitet. Unser Nachbar, ein tags öffne ich das Büro in der Albert- ein so tolles Verhältnis untereinander: Polizist und für die Internetpräsentati- Tanneur-Straße, es ist Linker Treff und die Helfer bei der Blutspende, die Ers- on zuständig, erzählte mir, dass nach Wahlkreisbüro einer Landtagsabgeord- te-Hilfe-Ausbilder, die Katastrophen- einem Wasserschaden ein Drittel der neten. schützer, die Rettungs- und Motorrad- Theaterrequisiten abgesoffen sind und In Ludwigsfelde lebe ich seit 1971. staffel ... Einige wenige Hauptamtliche sie deswegen dringend Sponsoren su- Mir gefällt’s hier, es ist viel passiert. in einem sehr großen Landkreis sind ih- chen. Sponsoren?! Da klappern meine Mich beeindruckt vor allem der Stolz re Ansprechpartner, wenn’s um Ausrüs- Ohren. Also habe ich zwei Finanzhelfer der Autowerker. Wenn sich ein paar tung, Ausbildung usw. geht. Ehrenamt- besorgt. Das Theater soll doch wieder Leute treffen, ganz gleich zu welchem lich tätig zu sein, das ist ja nicht selbst- spielen können. Anlass, heißt es nach spätestens ei- verständlich. Ich hatte immer angekündigt: Wenn ner Stunde: Autowerk, Halle 17, Hal- In DDR-Zeiten war ich 15 Jahre Schöf- ich mit der Arbeit beim Roten Kreuz le 13, die Schmiede … Weißt du noch? fi n an einem Kreisgericht, ich war in der aufhöre – das war im Juli 2011 –, wer- Und wenn ich irgendwo unterwegs bin Zivilverteidigung, im Elternaktiv und de ich mehr für meine Partei machen. und erzähle, wo ich wohne, ist im Os- Erste-Hilfe-Ausbilderin beim DRK. Ei- Ich will nicht meinen Kopf mit Kreuz- ten sofort ein Draht da: Ludwigsfelde? ne Parteifunktion hatte ich nie, und ich worträtseln freihalten, sondern indem Ah, W 50, L 60! Das LKW-Werk hatte mal habe auch keine Parteischule besucht, ich soziale Kontakte pfl ege. Ich ha- 10.000 Beschäftigte. was ich im Nachhinein fast bedaue- be viele soziale Kontakte – es macht Ich bin keine »richtige« Ludwigsfel- re, weil ich mitunter den Eindruck ha- mir einen Spaß, etwas für andere zu derin; wie mein Mann stamme ich aus be, an meine Grenzen zu stoßen, was tun! Mein Mann ist da manchmal fast Stendal (Sachsen-Anhalt), wir waren mein Wissen über bestimmte Struktu- ein bisschen unglücklich … Neidisch Nachbarskinder. Er wurde Fähnrich, ren betrifft. Da sag ich mir: Oh, wenn nicht, dazu liebt er mich zu sehr. Er ich Ingenieurin in einem Institut für Ge- ich 20 Jahre jünger wäre, da würde ich denkt, er steht da immer nur rum, ob- müseproduktion. So kamen wir in die- nochmal aufdrehen … wohl ich ihn, glaube ich, gut mit ein- se Gegend. Jetzt sitze ich in der Stadtverord- beziehe. In meinem Institut testeten wir un- netenversammlung (SVV) und bin de- Einmal monatlich laden wir in den ter anderem Gemüseerntemaschinen. ren stellvertretende Vorsitzende. In der LinksTreff alle Genossen ein, aber 22 Jahre, eine interessante Sache. SVV sind elf Verordnete für die SPD, auch Nachbarn und Sympathisanten. Aber: Nur Gemüse, nur Maschinen? Ich sieben für DIE LINKE und eine (meine Letztens war von der Feuerwehr unser wollte immer gern was mit Menschen Freundin) für die Frauenliste FiLu, zwei Stadtwehrführer dabei; das war toll, es zu tun haben. Hinzu kam: Ich erlebte für die CDU, je drei für eine Bürgerin- gab jede Menge Informationen und Fra- nach der Wende als Personalratsvorsit- itiative und für eine Vereinte Fraktion, gen; nach eineinhalb Stunden musste zende, wie die Evaluierungskommissi- je einer für die FDP und, leider, für die ich ihm sanft das Wort entziehen. on auftauchte, 12 Wessis und ein Ossi: NPD. Seit drei Jahren mache ich das Bü- Mal sehen, ob das Institut es wert ist, Ich war auch zehn Jahre im Kreis- ro, zweimal in der Woche, jeweils drei weiter zu bestehen ... Schlimm. tag – das hat sich oft mit der Stadt- Stunden. Ich war kaum hier, da wur- Ich habe nach der Wende Charak- verordnetenversammlung überschnit- den die Scheiben das erste Mal einge- terzüge, Verhaltensweisen, ja auch Ge- ten und war ziemlich anstrengend. Auf schmissen; die Scherben fl ogen durch meinheiten erlebt, die kannte ich vor- zwei unterschiedlichen Ebenen tätig zu die halbe Wohnung. Ein Jahr später her nicht. Man kann mich für naiv hal- sein, ist mitunter auch irgendwie schi- wurden erneut Fenster eingeworfen, ten, aber ich kannte sie wirklich nicht. zophren: Du willst ja beide Ebenen gut und beim dritten Mal haben sie das Das fand ich schlimm. Wie sich manche vertreten. Doch wenn ich an die Finan- Klingelschild rausgerissen und von den entwickelt haben …! Und es ist nicht zen denke, an die Kreisumlage und so Rechten steckte ein Flyer im Briefkas- immer so, dass die Wessis die Bösen … Das verträgt sich manchmal schwer ten – welch ein Zufall! und die Ossis immer die Guten sind. Da miteinander. Die Basisvorsitzenden aus dem Alt- muss man den Optimismus behalten. Wie gesagt: Ich lebe gern in Lud- kreis Zossen kommen hier monatlich Mein ehemaliger Abteilungs-Par- wigsfelde, es tut sich eine Menge bei zusammen. Mal berichtet der Frakti- teisekretär war übrigens einer der ers- uns. Im Sommer öffnet der Erweite- onsvorsitzende aus dem Kreistag, mal ten, der im Westen war. Ein Genos- rungsbau des Museums am Bahnhof wird ein Landesparteitag ausgewertet, se ist nicht per se ein charakterfester (mit dem allerersten W 50!), und zur- neulich ging’s um Energiepolitik – das Mensch; das ist nun mal so. Diese Er- zeit wird das Kulturhaus aus Mitteln hat auch Parteilose interessiert. fahrung haben wir sicher alle schon ge- des Konjunkturpakets II gründlich sa- Wir sind in der Stadt 47 Genossin- macht. niert. Das Kulturhaus ist das Herz von nen und Genossen, nach der Wende Mit 42 habe ich dann mein Leben to- Ludwigsfelde. Dort wurden Kinder ein- waren wir mal 400. Der Jüngste ist En- tal verändert: Ich ging zum Roten Kreuz, geschult, Jugendweihen gefeiert, wur- de 30, das älteste Mitglied 98. Die drei leitete eine Abteilung für ehrenamtli- de geheiratet, waren das Amateurthe- Basisgruppen haben wir mittlerweile

MITGLIED DISPUT Mai 2012 22 zusammengelegt. Als Themen haben daktion. Und mit zwei 82-jährigen Ge- Ob ich selbst Wertschätzung spüre? wir immer wieder: Öffentlichkeitsarbeit nossinnen maile ich mich. Das muss Ja, ja. Letztens erst, zum Frauentag, da und neue Mitglieder, wo wollen wir sie man sich mal vorstellen: Die schreiben hat mich eine Genossin gelobt – vor al- denn herkriegen? noch E-Mails! len anderen! Das ist mir dann zwar un- Mein Mann, der immer zu mir hält, Der Austausch untereinander ist angenehm, aber ich fand’s trotzdem der mich immer unterstützt, sagt sehr wichtig. Nicht alle Gespräche sind nett. manchmal: Mädchen, du machst schon eitel Sonnenschein. Manche sind auch Konrad Wolf hat mal gesagt: Für wieder zu viel. Mein Mann ist ein Linker belastend. Morgen fahren zwei Genos- mich ist Glück, wenn ich etwas zum und macht mehr als manches Mitglied, sen und ich nach Blankensee zu einem Glück anderer beigetragen habe. Das aber selbst Mitglied sein – ich hab ihn Genossen, neben dem ich im Kreistag handhabe ich auch so. manchmal behutsam angesprochen: saß und der BO-Vorsitzender war – jetzt Ich überlege oft, was wir noch tun Ne. besuchen wir ihn im Pfl egeheim. So ist könnten. In Luckenwalde war vor Kur- Einmal im Jahr trifft sich bei uns in das; wir kennen doch unsere Alters- zem ein Infostand, und die Leute ha- Ludwigsfelde der Kreisvorstand (da bin struktur. ben gesagt, gut, dass das nicht nur vor ich Mitglied), das nächste Mal am 25. Neulich hatte ich mich geärgert, al- Wahlen so ist. Bei uns in Ludwigsfelde Juni. Und dann gibt’s unseren Politfrüh- les ging durcheinander, und ich rief: gibt’s das nicht. Es ist schlimm, das sa- schoppen am 1. Mai. Bei den Treffs ist »Verdammt noch mal!« Da steht ein Ge- gen zu müssen: Ich wüsste gar nicht, hier alles nett. Die Leute kommen so nosse, über 80, vor mir und meint: »An- wer es tun sollte. Das ist so. Die in Lu- richtig gern. Manchmal sind’s die Klei- gelika, du machst das schon.« – Was ckenwalde und in Jüterbog haben mei- nigkeiten … soll ich denn dazu sagen?! Natürlich nen riesigen Respekt. Möchtet ihr noch Kaffee? mache ich das ... Und da habe ich ihn Mein Geburtsname war Busse. Mein Ich kümmere mich und pfl ege die gedrückt, und dann war’s wieder gut. jetziger Familienname klingt doch Kontakte. Heute, mit dir, schwatze Für das Rote Kreuz bin ich natürlich gleich ganz anders, mit dem könn- ich viel. Aber ganz, ganz oft bin ich weiterhin aktiv, ehrenamtlich: Bei Blut- te ich auch gar nicht in der CDU sein. die Zuhörerin, und das ist ja notwen- spendenaktionen sichere ich den Im- Manchmal stellt mich der Bürgermeis- dig. Da werden die Genossen was los. biss, so dass sich alle gut fühlen. Und ter bei Terminen so vor: Das ist Frau Lin- Bei der Gelegenheit habe ich anderen ich mache mit als Unterstützerin bei ke von der Fraktion DIE LINKE. Da kön- schon oft geraten: Du hast so ein in- der Behindertenolympiade und beim nen Sie mal sehen, wie frauenfreund- teressantes Leben, Mensch, schreib Erste-Hilfe-Kreiswettbewerb. Da sind lich die sind, die nennen sogar ihre das mal auf! Da sagen sie, ach, wen so viele Engagierte. Nach wie vor bin Fraktion nach Frau Linke. – Das ist sehr interessiert’s denn?! ich der Meinung, und das ist in unse- angenehm. Meine Freundin verfasst für unser rer Partei auch der Fall: Wenn jemand Meinen Namen finde ich richtig LINKE-Blatt einen Buchtipp, den schrei- ehrenamtlich was tut, ist das ja nicht schön. be ich, weil sie’s nicht kann, in den selbstverständlich. Das kann man nicht Computer und schicke ihn an die Re- genug wertschätzen. Aufgeschrieben von Stefan Richter © Erich Wehnert

23 DISPUT Mai 2012 Vorwärts bitte und gegen den Wind! Von Burkhart Seidemann, Schauspieler, Akteur auf dem Gründungsparteitag der LINKEN © Aris

Das Bild war klar und eindrucksvoll. Tücken der Auslegung der Schrift. Auch nunft – und sollten das mit Lust ver- Aus allen Richtungen und von vielen um die Fallstricke der Erfolge. Das Risi- teidigen –, unterschiedliche Lesarten Händen bewegt, wurden die Buchsta- ko, es bleibt, und im glücklichen Fall ei- neben- und gegeneinander zu führen. ben zu einem Begriff gefügt. DIE LIN- ne Herausforderung. Wir zitieren dann Auch im Theater ist das der Auftrag an KE stand – gut lesbar – auf der politi- die Mühen der Ebenen. Auch wissen die Leute vom Fach. Auch auf der Pro- schen Bühne. Weiß und unzerkratzt. wir alle: Gescheit reden ist leicht, rich- be geht es nicht um die Vermeidung Das I-Tüpfelchen als roter Wimpel. Ge- tig zu handeln bleibt schwer – und von Auseinandersetzungen. Im Gegen- gen den Wind. Vorwärts! Ein gelunge- auch Politiker sind Menschen. Mögen teil! Wie viel weniger also in der Politik, ner Auftritt. sie bitte auch solche bleiben. diesem Spiel um unsere reale Zukunft. Als Theatermensch und auch als Auch wissen wir, es gehört zum We- Streit kann Wunder wirken, wenn alle – Theologe weiß ich allerdings um die sen der Demokratie und dem der Ver- bei der Probe – an die Aufführung den-

KUNST DISPUT Mai 2012 24 Was ich der LINKEN wünsche – was ich mir von der LINKEN wünsche

Groß war die Euphorie vor fünf Jahren, auch bei mir. Uns gibt es immer noch und hoffentlich noch recht lange. Das wünsche ich der LINKEN und mir. Mit einer neuen Partei ist es wie mit kleinen Kindern: Alle Kinderkrankheiten müssen durchgemacht werden, und wer das überlebt, lebt auch lange. Dann sind wir entweder eine Partei unter den etablierten oder eine wirkliche linke Alternative. Letzteres wünsche ich mir und der LINKEN. Tun wir gemeinsam viel dafür und vergessen wir mal alle Egoismen! Luise Krüger | Basisorganisation Amt Gadebusch (Mecklenburg-Vorpommern)

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Noch mehr Engagement gegen die Nazis wünsche ich mir, expliziert hier im Saarland. Auch wenn ich mir den Mund verbrennen sollte: Ich denke, das kommt ein bisschen zu kurz. Michael Mamiani | Völklingen (Saarland)

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Ich wünsche mir Geschlossenheit, gemeinsames Auftreten gegen unsere Mitbewerber und nicht gegen die eigenen Leute in den eigenen Reihen. Auch bei uns kann und muss es verschiedene Positionen geben können, ohne dass man sich dann untereinander bekriegt und um die Meinungshoheit für die ganze Partei streiten muss. Und wenn etwas gesagt wird, was mir nicht passt oder gegen eine meiner Positionen geht, muss ich das aushalten können und sachlich reagieren, nicht zurückkeifen (auch wenn die Vorlage so gewesen sein sollte) – etwas mehr Ruhe und Souveränität täte uns viel öfter gut! Endlich Ruhe und keine weiteren Debatten unter uns über uns, sondern Signale nach außen zu den Leuten. Aktiveres Auftreten auf die Menschen zu, Inhalte bieten, auch zu den kommenden Wahlen. Konsequentes Heranziehen und Staffelstabübergeben an neue, junge Leute und nicht weiter nur auf die alten Hasen setzen. Der Generationenwechsel muss langsam sanft erfolgen. Felix Thier | Forststudent Eberswalde (Brandenburg)

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Ich wünsche zum 5ten: Zurück zum Gründungskonsens von WASG und PDS, damit DIE LINKE ein Erfolgsprojekt wird: »Wir werden unterschiedliche Traditionen, Erfahrungen und Kompetenzen jener Kräfte bewahren und erschließen, die gemeinsam unsere neue Partei bilden.« – »Es ist die strategische Kernaufgabe der Linken, zur Veränderung der Kräfteverhältnisse als Voraussetzung für einen Richtungswechsel ken, das gemeinsame Ziel des Ensem- beizutragen.« (»Eckpunkte«, 24. und 25. März 2007) bles. Wird aber Zank um die Besetzung Ich wünsche meiner Partei, im Hier und Jetzt anzukommen, ohne sich von Rollen wichtiger als das Stück, gar anzupassen. Wer ernsthaft diese Gesellschaft verändern will, muss eine zur öffentlichen Vorstellung – und hier Politik betreiben, die sich an die Mehrheit dieser Gesellschaft richtet. DIE reicht dem Publikum schon der Ver- LINKE muss sich auch Ziele setzen, die zumindest erreichbar sind. Nur dacht auf persönliche Eitelkeiten –, mit für viele erlebbaren Erfolgen werden wir die Herzen und Köpfe der vergrault man es nachhaltig. Dies Spiel Bevölkerung gewinnen. kennt es leider bis zum Überdruss. Also Für eine europäische und internationalistische LINKE: Lasst uns von den bitte: Welches Programm soll in Szene Erfolgen der Parti de Gauche und der niederländischen PS lernen, was die gesetzt werden? Vorwärts bitte und ge- Voraussetzungen einer erfolgreichen linken Politik sind!

gen den Wind! Jan Rübke | Hamburg © privat

25 DISPUT Mai 2012 Mitmachen an der Basis und in den Kommunen. Mehr als 300 ehren- und haupt- amtliche Bürger- meister, Dezer- nenten und Land- räte sind Mitglied der LINKEN.

KOLUMNE DISPUT Mai 2012 26 Die Proteste gegen den G8-Gipfel 2007 (wenige Tage vor der Parteigründung) Schwarz, (4), Frank Repro © DIE LINKE.Düsseldorf, Richter Stefan Partei, die dazu beitragen wi demonstrierten: DIE LINKE ist eine widerständige ll, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird.

27 DISPUT Mai 2012 Wo einzahlen sich auszahlt! Zur Gründung der Genossenschaft FAIRWOHNEN Von Heidrun Blum

Am 13. April 2012 haben 30 Bundestags- PR-Gag oder Witz zu verstehen, wie ternehmens allein für die TLG WOHNEN abgeordnete offi ziell die »Treuhandlie- uns die politische Konkurrenz aus der GmbH mit mindestens 569 Millionen genschaftsGenossenschaft FAIRWOH- SPD unterstellt. Wir meinen es ernst. Euro geschätzt. Ob dieser Betrag rea- NEN iG« gegründet, um sich am Bieter- Schließlich greift die Privatisierung der listisch angegeben ist, wissen wir erst verfahren des Bundesfi nanzministeri- TLG WOHNEN in die Lebenswirklichkeit im Rahmen der zweiten Stufe – das ei- ums für 11.500 überwiegend ehemals von 11.500 Haushalten in Ostdeutsch- gentliche Bieterverfahren –, wenn die volkseigene Wohnungen zu beteiligen. land ein, mit absehbaren negativen Genossenschaft Einsicht in sämtliche Der Verkauf der Treuhandliegenschafts- Folgen, sollte am Ende eine »Heuschre- Unterlagen der TLG WOHNEN GmbH gesellschaft (TLG) – seit Anfang des Jah- cke« den Zuschlag erhalten. Mit dieser nehmen konnte. res in eine TLG WOHNEN und eine TLG Intention musste ich in den letzten Wo- Auch uns wäre es lieber gewesen, Immobilien mit Gewerbeimmobilien chen oft auf Nachfragen von Journalis- wenn Kommunen und örtliche Genos- aufgespalten – ist europaweit ausge- ten antworten bzw. die Vorhaltungen senschaften einzelne Wohnungsbe- schrieben und soll bis Ende 2012 abge- der politischen Konkurrenz kontern. stände hätten erwerben können. Einen schlossen werden. Ein erster Anlauf zur Die betroffenen Wohnungen sind entsprechenden Antrag – mit dem Ti- Privatisierung wurde im Herbst 2008 auf 42 Städte in allen fünf ostdeut- tel »Ausverkauf staatlichen Eigentums aufgrund der Finanzkrise abgebrochen. schen Bundesländern verteilt. Schwer- stoppen – Keine Privatisierung der Doch mittlerweile sind die Investoren punkte gibt es in Rostock (1.200 Woh- TLG-Wohnungen« (Drucksachennum- wieder fi nanzstark aufgestellt. nungen), Merseburg (1.400), Dresden mer 17/9150) – haben wir in den Bun- Nein, unser Angebot und die Ge- (2.300) und Strausberg (970). In der destag eingebracht. Die Mehrheit aus nossenschaftsgründung ist nicht als Presse wird der Gesamtwert des Un- CDU/CSU/FDP hat diesen aber erwar- tungsgemäß abgelehnt. Erst danach haben wir die Idee geboren, uns selbst aktiv am Bieterverfahren zu beteiligen.

© Stefan Richter © Stefan Der Name FAIRWOHNEN, den sich die frisch gegründete Wohnungsge- nossenschaft linker Politikerinnen und Politiker gegeben hat, ist dabei Pro- gramm. Wir wollen verhindern, dass die Bundesregierung auf dem Rü- cken der Mieterinnen und Mieter Kas- se macht und die Immobilien meist- bietend verhökert. Der Staat würde da- mit einmal mehr die Verantwortung für eine soziale Wohnungspolitik aus der Hand geben und Tausende von Miete- 22. Mai 2012 Neubrandenburg (Pasewalk) rinnen und Mietern der Willkür des Fi- 23. Mai 2012 Stralsund (Greifswald, Sundhagen, Klausdorf) nanzmarktes überlassen. Gerade an- 24. Mai 2012 Barth (Prerow, Graal-Müritz) gesichts rasant steigender Mieten, sin- kender Realeinkommen und einer neu- 29. Mai 2012 Senftenberg (Großräschen, Brieske) en Wohnungsnot betrachten wir das als 30. Mai 2012 Dresden (Radebeul, Riesa) unverantwortlich. Ganz im Gegensatz 31. Mai 2012 Bautzen (Lauta, Görlitz) zur Bundesregierung halten wir Woh- 1. Juni 2012 Halle (Eisleben) nen für ein fundamentales Grundbe- dürfnis der Menschen. Es ist eben kein 5. Juni 2012 Strausberg normales Wirtschaftsgut, mit dem spe- 6. Juni 2012 Eisenach kuliert werden kann, um möglichst ho- 7. Juni 2012 Berlin (Stahnsdorf, Ludwigsfelde, Königs Wusterhausen) he Rendite rauszuholen. Die Wohnung ist der persönlichste Rückzugsraum, ist 8. Juni 2012 Gotha Privatsphäre, der Ort individueller Frei- 12. Juni 2012 Magdeburg heit schlechthin. Internationale Finanz- 13. Juni 2012 Gera, Zeitz unternehmen, die fl eißig im Bieterver- 19. Juni 2012 Arnstadt fahren mitmischen, gehorchen einzig der Logik des Marktes. Wie bereits in 20. Juni 2012 Jena der Vergangenheit bei ähnlichen Priva- 21. Juni 2012 Erfurt tisierungen, sind die Instrumente der 26. Juni 2012 Leipzig (Klitzscher) Profi tmaximierung absehbar: Es dro- hen Einzelverkäufe von hochwertigen 28. Juni 2012 Chemnitz (Zwickau) Infotour Wohnungsbeständen an zahlungskräf-

WOHNUNGSPOLITIK DISPUT Mai 2012 28 tige Erwerber, maximale Ausschöpfung DEMNÄCHST der Mieterhöhungsspielräume, Einspa- rungen bei Bewirtschaftung und Ver- waltung der Wohnungsbestände und Stellenabbau in der Wohnungsverwal- tung. Gerade Letzteres hat zur Folge, dass auch eine gut klingende Mieter- schutzklausel oder Sozialcharta wir- kungslos bleibt und keinen Schutz bie- tet. Wir – die Gründer der Genossen- schaft und unsere zahlreichen Unter- Jubiläen und Jahrestage 16. Juni 2007 stützer – wollen beweisen, dass es Linkspartei.PDS und WASG schließen auch anders geht. Wir werden bewei- 23. bis 24. Mai 1997 sich in Berlin zur Partei DIE LINKE zu- sen, dass Renditejagd und Privatisie- Kongress des Ostdeutschen Kurato- sammen. rungswahn nicht alternativlos sind und riums von Verbanden »Für eine gesi- dass auch in einer Marktwirtschaft so- cherte Zukunft Deutschlands« ziale Zwecke durchaus effektiv und de- 26. Mai 1972 Termine mokratisch zu erreichen sind. Wir wol- Unterzeichnung des ersten Abkom- 18. Mai len den Ausverkauf öffentlichen Eigen- mens über strategische Rüstungsbe- Regionalkonferenz Saarland und tums mit unserer Initiative stoppen. schränkungen (SALT I) Rheinland-Pfalz, Saarbrücken Genossenschaftler sind also selbstbe- 27. bis 30. Mai 1832 16. bis 19. Mai stimmte Eigentümer und gleichzeitig Hambacher Fest: Teilnehmer beken- BLOCKUPY! Internationale Aktionsta- Mieter ihrer Wohnung. Das garantiert nen sich zur Einheit Deutschlands ge in Frankfurt am Main maximale Sicherheit bei einer relativ und zu bürgerlichen Freiheiten 20. Mai geringen Investition entsprechend un- 27. Mai 1952 Regionalkonferenz Baden-Württem- serer Satzung. Unterzeichnung des EVG-Vertrages berg Bisher sind über 40 Bundestagsab- in Paris 21. Mai geordnete der Fraktion DIE LINKE der 30. Mai 1932 Regionalkonferenz Thüringen, Erfurt Genossenschaft beigetreten. Insge- Spielfi lm »Kuhle Wampe« wird urauf- samt wächst die Mitgliederzahl täglich. 21. Mai geführt (Buch: Bertolt Brecht, Regie: Sitzung Geschäftsführender Partei- Unser Ziel ist es, bis Ende Juni die Zahl Slatan Dudow). von 1.000 Genossenschaftmitgliedern vorstand 31. Mai 2002 zu erreichen. Dazu brauchen wir aber 21. bis 25. Mai Die EU ratifi ziert das Kyoto-Protokoll Sitzungswoche im Bundestag vor allem das Vertrauen der heutigen endgültig. TLG-Mieterinnen und -Mieter. Nicht zu- 22. Mai letzt, um glaubhaft und seriös gegen- 1. Juni Regionalkonferenz Berlin und über dem Bundesfinanzministerium Internationaler Kindertag Brandenburg, Berlin im weiteren Bieterverfahren auftreten 1. Juni 1962 23. Mai zu können. Nazi-Verbrecher Eichmann wird in Tel Regionalkonferenz Sachsen und Um das zu erreichen, müssen wir Aviv hingerichtet. Sachsen-Anhalt, Leipzig vor Ort Überzeugungsarbeit leisten. 3. Juni 1972 24. Mai Deshalb haben wir eine Tour durch die Die Ostverträge zwischen der BRD, Regionalkonferenz Hessen, Frankfurt Städte und Gemeinden organisiert, in der UdSSR, der VR Polen und der DDR am Main denen es Wohnungen der TLG gibt. Es treten in Kraft. 25. Mai ist sicher eine logistische Herausforde- 5. Juni 1947 rung, möglichst viele der 11.500 Haus- Regionalkonferenz Nordrhein-West- Verkündung des »Europäischen Wie- falen halte direkt anzusprechen, zu überzeu- deraufbauprogramms« durch US-Au- gen, alle Fragen zu beantworten und ßenminister Marshall (Marshall-Plan) 25. bis 28. Mai Unsicherheiten auszuräumen. Hier er- Pfi ngsten mit der LINKEN, Werbellin- 5. Juni 1972 see (Brandenburg) wartet uns viel Arbeit, die aber das Ziel Erste UN-Umweltkonferenz in Stock- allemal wert ist. Den Tourplan der In- holm/seit 1978 Weltumwelttag 1. Juni fo-Veranstaltungen, die Beitrittserklä- Beratung des Parteivorstandes 6. bis 8. Juni 2007 rung, die gültige Satzung und viele Der G-8-Gipfel in Heiligendamm 1. Juni Hintergrundinformationen sind auf der (Mecklenburg-Vorpommern) wird von Sitzung des Bundesfi nanzrates, offi ziellen Homepage der Genossen- massiven Protesten begleitet. Göttingen schaft www-tlg-fairwohnen.de abge- 2. und 3. Juni legt. Unsere Idee trifft auf immer mehr 10. Juni 1942 SS-Einheiten zerstören Lidice 1. Tagung des 3. Parteitages der Begeisterung und Anhänger. Alle Be- LINKEN, Göttingen teiligten spüren: GEMEINSAM schaffen (Tschechien). 10. Juni wir das Ungeplante! 12. Juni Internationaler Tag gegen Kinderar- Landesparteitag Berlin Heidrun Bluhm ist Bau- und wohnungs- beit 15. bis 17. Juni politische Sprecherin der Bundestags- 13. Juni 1987 Fest der Linken, Berlin, Kulturbrau- fraktion und Aufsichtsratsvorsitzende der In Bonn demonstrieren 100.000 Men- erei Genossenschaft. schen für eine Null-Lösung bei Mittel- www.tlg-fairwohnen.de streckenraketen. Zusammenstellung: Daniel Bartsch

29 DISPUT Mai 2012 Im Gespräch mit Rolf Kutzmutz, © Stefan Richter © Stefan hauptamtlich: Politiker, ehrenamtlich: Vize- präsident eines Fußball- vereins – des deutschen Frauenfußball-Meisters 1. FFC Turbine Potsdam

r ist ein vielseitig engagierter Poli- eine Etage darüber und weinten auch. tiker, war Bundestagsabgeordne- Schließlich holte Viola Odebrecht den E ter und Bundesgeschäftsführer der Trainer zur Mannschaft, und die sag- PDS (2003/2005) und wirkt seit Jahren te: Wir haben großen Mist gespielt, als Geschäftsführer der Landtagsfrak- das wird nicht wieder vorkommen, jetzt tion der LINKEN in Brandenburg. Was gibt’s nur eins: Die nächste Saison wird nicht allzu viele wissen, Rolf Kutzmutz ist viel besser! Und Bernd bat mich, dabei – nebenbei? – Vizepräsident eines der mitzuhelfen: Gespräche führen, Spon- erfolgreichsten deutschen Fußballverei- soring aufbauen, Geld reinholen – das ne: des 1. FFC Turbine Potsdam. steckte in den Kinderschuhen. So bin Potsdam – erfolgreicher Fußballver- ich 2002 Vizepräsident geworden. ein? Ja! Die Frauen von Turbine Potsdam wurden mehrmals deutscher Meister Hast du früher selbst Sport getrieben? und Pokalsieger, und 2010 gewannen Ja, Fußball und Boxen. Ich wohnte sie sogar die Champions League. in Markranstädt bei Leipzig, und Georg Glöckner, der Vater des später berühm- Zum Anlass für unser Gespräch werden ten Schiedsrichters Rudi Glöckner, war wir erst ganz zum Schluss kommen – mein erster Fußballtrainer. dies als Tipp für jene, die es nicht ab- warten möchten –, denn hauptsächlich Wie hieß euer Verein? wollen wir uns über deine ehrenamtli- Turbine. che Arbeit unterhalten, für die du vom Deutschen Fußball-Bund ausgezeichnet Einmal Turbine, immer Turbine? worden bist. So ungefähr. In Markranstädt und in Warum bist du ausgerechnet bei ei- Potsdam gab es eben für die Betriebs- nem Frauenfußballverein mit einem un- sportgemeinschaft einen ähnlichen Trä- gewöhnlichen Namen gelandet? gerbetrieb. Für jede ehrenamtliche Arbeit ist wichtig, ob du eine bestimmte Bezie- Warst du Verteidiger oder Stürmer? hung zu der Sache hast oder zu Per- Anfangs Torwart. Ich wollte werden sonen. Das können Kinder sein, de- wie »Spicke«, Karl-Heinz Spickenagel nen Übungsleiter fehlen. Bei mir war es vom ASK Vorwärts, der erste Torwart, der der Trainer: Bernd Schröder kenne ich nicht mehr die unsägliche Wattehose schon, gefühlt, hundert Jahre. Berufl ich und den Pullover trug. Also stellte mich bin ich ihm erstmals als Abteilungslei- ins Tor, bis später die Leidenschaft, To- ter im damaligen Energie kombinat Pots- re zu schießen, größer geworden war als dam begegnet. Dort wurde 1971 die Frau- die Leidenschaft, Tore zu verhindern. Da enfußballmannschaft ins Leben gerufen, war Mittelstürmer Peter Ducke mein Vor- deswegen auch der Name Turbine. bild. So sehr, dass ich selbst zu Chemie Leipzig, die ich absolut nicht ausstehen Gab es einen Anlass für dein Engage- konnte, gefahren bin, um Peter mit sei- hart gearbeitet, malocht, gekämpft, und ment? ner Jenaer Mannschaft zu sehen. Dafür in der Hinsicht war ich nicht gut genug. Und was für einen! Ausgangspunkt habe ich mir sogar Prügel eingefangen. Deswegen landete ich – mein Vater hat- war ein miserables Pokalspiel: Als Fa- te geboxt – beim Boxen: Leichtgewicht, vorit verloren wir trotz Führung in Ham- Woran scheiterte deine ganz große 60 Kilo. Ich wurde Bezirksschülermeis- burg. Die Stimmung war entsprechend. Stürmerlaufbahn? ter, ich habe das mit Leidenschaft ge- Bernd wollte alles hinschmeißen, die Technisch war ich nicht schlecht und macht, und Seilspringen kann ich heu- Spielerinnen saßen in einer Gaststät- ich war auch einigermaßen schnell, aber te noch so wie damals. te im Keller und weinten, und wir saßen im Fußball einer so kleinen Stadt wird Später spielte ich wieder Fußball: bei © Erich Wehnert

EHRENAMT DISPUT Mai 2012 30 Am Ball Vorwärts Waldstadt, Empor Potsdam die U 9 (Jahrgänge ab 2003 und jünger) Publikum, weswegen wir auch dem SV und in einer Freizeitmannschaft. Fuß- hat echte Wettkämpfe. Babelsberg, dem das Stadion gehört, ball hat mein Leben begleitet. nicht die Zuschauer wegnehmen. Un- Gibt es so etwas wie eine Philosophie sere Zuschauer, das sind mehr Familien Wie jetzt bei den Potsdamerinnen. des Vereins? mit Kindern und auch viele ältere Men- Turbine ist ein reiner Mädchen- und Sie beginnt bei der 1. Mannschaft schen. Frauenfußballverein. und strahlt auf alle anderen Mannschaf- Aber der Leistungsanspruch ist bei ten aus: Frauenfußball ist anders, es ist Männern wie bei Frauen gleich groß, Ohne Jungs und Männer? eine andere Atmosphäre als bei den Frauen sind vielleicht sogar ehrgeiziger. Ohne Jungs und Männer – außer ein Männern. Ariane Hingst, die lange bei paar Chefs und Übungsleitern. uns gespielt hat, drückte das mal sinn- Habt ihr Nachwuchssorgen? Der Verein ist in allen Leistungsklas- gemäß so aus: Wir spucken nicht wie Bei Schiedsrichtern und Übungslei- sen aktiv: in der 1. und 2. Bundesliga, die Männer bei jeder Gelegenheit auf tern. in der Brandenburgliga, die U 17 tritt im den Boden, wir wälzen uns nicht bei je- Spielbetrieb in der C-Junioren-Branden- dem Foul auf dem Rasen, wir diskutie- Sind die Fußballerinnen der Bundesli- burgliga gegen ausschließlich männli- ren nicht ständig mit dem Schiedsrich- gamannschaft Berufsspielerinnen? che Teams an. Mit sechs kann ein Mäd- ter … Nein, es ist eine Kombination. Wir chen »Turbinchen« werden, und schon Dazu kommt: Wir haben ein anderes haben Schülerinnen, Studentinnen,

31 DISPUT Mai 2012 Lehrlinge, wir haben welche mit Berufs- tätigkeit vorweisen. Immer beim selben Fans schwärmen noch Jahre später von abschluss. Verein! Wo gibt es das auf dieser Ebene Sternstunden ihrer Mannschaft. Von Die 2. Mannschaft zum Beispiel be- noch? Auf den lassen ich und die meis- welchen schwärmst du? steht zu 90 Prozent aus ehemaligen und ten Spielerinnen nichts kommen. Solche Sternstunden sind ja immer aktuellen Schülerinnen der Eliteschule Zu Beginn der Saison 2011/12 hat- irgendwie mit großen Siegen verbun- des Sports in Potsdam. Bei den U 15 und te uns niemand eine Chance auf den Ti- den. Zum Beispiel: das erste Mal im Ber- U 17 handelt es sich durchweg um Schü- tel eingeräumt. Doch es ist dem Trainer liner Olympiastadion – zu erleben, wie lerinnen dieser Schule. Dort gibt es ei- wieder gelungen, die Mannschaft so zu- sich Tausende Leute und die Spielerin- ne Spezialklasse für Fußballerinnen, sie sammenzustellen und zu motivieren, nen über den Pokalsieg 2004 freuen. Ich machen Abitur und spielen Fußball. In- dass wir die erste Halbserie hervorra- hatte mir, als ich früher beim Training zwischen kommen die Bewerbungen für gend gespielt haben. Danach gab’s ein immer wieder die langen Treppen im al- die Schule aus ganz Deutschland. paar Probleme, trotzdem stehen wir in ten Leipziger Zentralstadion hochlaufen der Tabelle wieder mit oben und kämp- musste, gewünscht, einmal da unten zu Was verdienen denn Spielerinnen so? fen um den Meistertitel. stehen und Gänsehaut zu kriegen. Das … haben mir die Spielerinnen mit ihrem Er- Was machst du als Vizepräsident? folg ermöglicht. Das willst du jetzt nicht beantworten? Verantwortlich bin ich fürs Sponso- Ja, und im selben Jahr: Wir gewannen Nein, das kann ich nicht im Einzelnen ring, da bin ich oft unterwegs, um die am letzten Spieltag in Frankfurt 7:2, wur- sagen. Ich sage mal so: etwa so viel wie materielle und fi nanzielle Absicherung den Meister – aber ich konnte dort nicht eine gut bezahlte Verkäuferin – das ist des Vereins voranzutreiben. Für jeden mit dabei sein. Am selben Tag war Eu- ungefähr der Schnitt; eine Nationalspie- Tipp diesbezüglich bin ich dankbar. ropawahl. Als Bundesgeschäftsführer lerin bekommt mehr. Mit Fußballern in Ich fühle mich auch für »niedere« hatte ich da natürlich andere Aufgaben. der 3. Männer-Liga können wir uns je- Arbeiten zuständig: ich gucke, wie die Aber als bei unserer Wahlparty in Berlin denfalls nicht vergleichen. Kassen besetzt sind, frage den Platzwart alle auf politische Erklärungen und so Ein Beispiel: Für das Erreichen des nach eventuellen Problemen … Es ge- warteten, sagte ich als erstes: Wir sind Pokalfi nales erhalten die beiden Frau- hört für mich dazu, dass ich zwei Stun- Meister! enmannschaften je 100.000 Euro, die den vor Spielanpfi ff im Stadion bin. Ich fühle sehr während eines Spiels Männermannschaften 1,4 Millionen. Und ich pfl ege dort, wo es gewünscht mit. Das muss dann raus. Nach einem Trotzdem: Der DFB und sein dama- wird, die Kontakte zu den Mädchen und solchen Spiel muss ich zur Mannschaft. liger Präsident Theo Zwanziger haben helfe ihnen berufl ich, bei der Suche Nicht etwa, weil da Fotografen sind, son- sich in den vergangenen Jahren sehr für nach einer Lehrstelle, privat. Wie da- dern weil mir das ein Bedürfnis ist. Übri- die Förderung des Mädchen- und Frau- mals bei Cristiane. Die brasilianische gens auch nach einer bitteren Niederla- enfußballs engagiert, auch was die fi - Nationalspielerin kam mit 19 zu uns, ge. Wenn du dabei sein willst, musst du nanzielle Seite betrifft. Es wird vielleicht war das erste Mal im Ausland, konnte richtig dabei sein. noch zehn Jahre dauern, bis eine gute weder Englisch noch Deutsch und hatte Spielerin eine Weile von ihrem Sport le- viel Heimweh. Wenn sie in unserem völ- An welche Spielerinnen denkst du ben kann. lig anderen Kulturkreis besonders gro- menschlich bzw. sportlich besonders ße Sorgen hatte, habe ich mich geküm- gern? Weil wir beim Geld sind, wie hoch ist eu- mert. Sie nennt mich »Vatter«; so hat sie An Ariane Hingst aus unserer ers- er Jahresetat? auf ein Foto geschrieben. Es entstand ei- ten Meister- und Pokalsiegermann- Für alle Gliederungen des Vereins: ne enge Freundschaft. schaft, an Anja Mittag, an Nadine An- zwischen 800.000 und 900.000 Euro. gerer. Nicht zu vergessen: Jenny Zietz, Das meiste wird von der 1. Mannschaft Wie viele Stunden bist du wöchentlich die langjährige Kapitänin, und Aferdi- verbraucht, sie spielt aber auch das für Turbine auf den Beinen? ta Podvorica, die von der Spielerin zur meiste Geld ein. Zehn, vielleicht, das ist jedoch unter- Mannschaftsbetreuerin geworden ist. schiedlich und hängt auch von der kon- Sie waren auch schon bei uns zu Hause Was kostet eine Eintrittskarte? kreten berufl ichen Belastung ab. zum Grillen. Das mache ich nur mit we- Für den Sitzplatz bei einem Bundes- Wenn ich im Oktober mit Arbeiten nigen, ich will Sympathie und Achtung liga-Punktspiel sieben Euro (ermäßigt aufhöre, habe ich noch ein paar Stun- für jede Spielerin und jeden Übungslei- fünf) und für den Stehplatz vier Euro. den mehr Zeit für das Ehrenamt, Zeit, ter haben. Bei sportlichen Dingen versu- die gebraucht wird. che ich, fair und sachlich zu sein. Dein »alter Bekannter« Bernd Schrö- der wird oft verglichen mit dem Trai- Was sagt deine Frau dazu? Wissen die »Turbinen«, dass du im po- nerkollegen Felix Magath: harter Hund Den Zeitumfang hat sie anfangs nicht litischen Leben auf der linken Position und so ... geahnt. Andererseits hat auch sie eine stehst? Das würde ich nicht unterschreiben. Beziehung zum Verein aufgebaut: Mei- Ich habe den Spielerinnen gegen- Bernd Schröder ist ein gewissenhafter, ne Frau ist Mode-Verkäuferin, und die über nie ein Hehl aus meiner politischen engagierter Trainer. Er lebt nicht Fußball Spielerinnen wenden sich wegen Tipps Einstellung gemacht, die kennen sie al- allgemein, er lebt Mädchen- und Frau- gern an meine Frau. Daraus hat sich, wie le – ich bin ja auch Stadtverordneter. enfußball. gesagt, eine gute Verbindung ergeben. Aber ich habe nie versucht, in irgendei- Natürlich, mit 69 Jahren ist der Al- Wenn meine Frau nicht arbeiten muss, ner Weise auf die Spielerinnen parteipo- tersabstand zu den Spielerinnen recht geht sie zu jedem Heimspiel – auch litisch Einfl uss zu nehmen. groß. Es fällt auch mal ein hartes Wort, wenn sie nicht Mitglied des Vereins ist. Was anderes ist, wenn Anja Mittag, das fällt überall im Leistungssport. Aber Im Gegensatz übrigens zu meiner jüngs- auf meine Vermittlung hin, vor zwei Jah- im Leistungssport geht es in erster Linie ten Enkeltochter. Für sie habe ich an ih- ren beim »Lesen gegen das Vergessen« um die Qualität. Wäre es anders, könn- rem ersten Geburtstag einen Aufnahme- in Berlin mitmachte. Turbine-Spielerin- te Bernd Schröder nicht 40 Jahre Trainer- antrag ausgefüllt. nen waren beim Torwandschießen auf

EHRENAMT DISPUT Mai 2012 32 dem Sommerfest der LINKEN in Pots- dam aktiv – solche Sachen ja, mehr nicht. © Erich Wehnert (3) Der Präsident von Turbine ist Minister und von der SPD (Günter Baaske), da gab’s nie Zoff zwischen euch? Uns ist es gelungen, die politischen Kleinkriege – unsere Partei war im Land- tag ja lange Zeit in der Opposition, die SPD ist seit 1990 ununterbrochen in der Regierung – rauszuhalten und uns auf den Sport zu konzentrieren. Es hat funk- tioniert.

Eure 1. Mannschaft spielt in einem Sta- dion, das nach Karl Liebknecht benannt ist. Wissen die Spielerinnen etwas über den Namenspatron? Die meisten. Sicherlich werden sie nicht seinen Lebenslauf kennen, aber sie haben allgemein Interesse an der Stadt und am Stadion. Sie beschäftigen sich mit mehr als dem Fußball.

Siehst du Gemeinsamkeiten zwischen Politik und Sport? Beides ist zeitaufwendig, und bei beidem gehören ein Stück Talent und Menschenkenntnis dazu. Im Ergebnis gleich ist, auch wenn du es in der Poli- tik erst später merkst: Es werden nur die geliebt, die erfolgreich sind. Dazu gehört unbedingt: Wenn du ei- ne Sache, und das betrifft jede, wirk- lich ernsthaft und erfolgreich betreiben willst, musst du es mit mehr als mit dem Verstand machen, du musst mit dem Herzen dran hängen, du musst emotio- nal mit der Sache sehr verbunden sein.

Treibst du heute Sport? Ich fahre Heimtrainer. Aber: Während ich mir früher, wenn’s weh tat, gesagt habe: Jetzt muss du die Zähne zusam- menbeißen, sag ich mir heute, wenn’s weh tut: Ich höre auf.

Jetzt wechseln wir – terminlicher Anlass für unser Gespräch – zu den Männern. Die Fußball-Europameisterschaftsend- runde in Polen und der Ukraine steht bevor, sie beginnt am 8. Juni mit der Be- gegnung zwischen Polen und Griechen- land. Wer wird am 1. Juli der neue Cham- pion des Kontinents? Es gibt drei, vier favorisierte Mann- schaften. Unter ihnen Deutschland, Spanien, die Russen, wenn sie einen guten Tag haben, allerdings sind sie keine Turniermannschaft. Und die Nie- derländer; sie spielen so ähnlich wie die deutsche Mannschaft, mit noch mehr Begeisterung. Ich bin gespannt, wie es ausgeht.

Gespräch: Stefan Richter

33 DISPUT Mai 2012 PRESSEDIENST

Parteivorstand: Im Mittelpunkt Stellungnahmen der Landesverbände ten um tausend überboten. Die Initiati- der Vorstandssitzung am 6. und 7. Mai und des Gesamtbetriebsrates zum Ab- ve der LINKEN, der Landesarmutskon- in Berlin standen die Landtagswahlen schlussbericht der Projektgruppe LINKE ferenz und des Arbeitslosenverbandes in Schleswig-Holstein, die Stichwahlen 2020 zur Kenntnis. Einstimmig wurden wird bis Ende Mai fortgesetzt. Landes- in Thüringen, die Präsidentschaftswah- Ziele und Schritte der Parteientwick- vorsitzender Steffen Bockhahn erklär- len in Frankreich und die Parlaments- lung sowie umfangreiche Maßnahmen te dazu am 10. Mai: »Wir nehmen Lan- wahlen in Griechenland. Die Enttäu- der Bundesgeschäftsstelle dazu be- desregierung und die Landtagsfrakti- schung über das Wahlergebnis in schlossen. Die Diskussion mit den Lan- onen von SPD und CDU in die Pfl icht, Schleswig-Holstein ist groß, zum ersten desvorständen zum Thema LINKE 2020 tatsächlich ein Vergabegesetz zu ver- Mal hat DIE LINKE den Wiedereinzug in soll fortgesetzt werden. abschieden, welches den Namen ver- einen Landtag nicht geschafft. Schwer- dient.« punktthema der Vorstandssitzung war Mecklenburg-Vorpommern: Die die Mieten- und Wohnungspolitik. Der Volksinitiative für einen Mindestlohn Thüringen: In der zweiten Run- Parteivorstand wirbt dafür, der Genos- von zehn Euro pro Stunde in Mecklen- de der Kommunalwahlen in Thürin- senschaft FAIRWOHNEN beizutreten. burg-Vorpommern hat das erforderli- gen haben sich am 6. Mai alle sieben Der Parteivorstand nahm zahlreiche che Quorum von 15.000 Unterschrif- KandidatInnen der LINKEN durchge-

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DISPUT Mai 2012 34 Was ich der LINKEN wünsche – was ich mir von der LINKEN wünsche

setzt: als neue Landrätinnen Petra En- Als entscheidender Schwerpunkt in unserer Politik steht für mich der ders (Ilm-Kreis), Birgit Keller (Nordhau- Kampf für Frieden in der Welt! Wir müssen hier als Meinungsbilder nach sen) und Michaele Sojka (Altenburger innen wie nach außen noch stärker werden. Land), Katja Wolf als Oberbürgermeis- Wir müssen uns weitaus intensiver der Aufgabe stellen, unsere Partei terin von Eisenach und Claudia Nissen durch Mitgliedergewinnung zu stärken. Das ist zwingend notwendig: Von als Bürgermeisterin von Kahla. Wieder- meinen 100 Mitgliedern kommen noch ca. 35 zum innerparteilichen Leben. gewählt als Bürgermeister/in wurden Wenn man die Genossen aufsucht, sind sie mit dem Herzen dabei. Sie Frank Fiebig (Gräfenroda), Karl Koch können leider aus gesundheitlichen Gründen nicht aktiv teilnehmen. (Brotterode/Trusetal) sowie bereits im Die Ausstrahlungskraft unserer Partei muss weiter erhöht werden. ersten Wahlgang am 22. April Ralf Hau- Programmatisch und personell!!! boldt (Sömmerda), Marianne Reichelt Wir müssen als Partei weitaus stärker in unserer Gesellschaft wirken, um (Neuhaus/Rennweg) und Frank Persike Menschen innerhalb und außerhalb unserer Partei zu motivieren. (Bad Blankenburg). Herzlichen Glück- Peter Barthelt | Vorsitzender einer Basisorganisation in Neubrandenburg wunsch! (Mecklenburg-Vorpommern)

 Bundesausschuss: Auf seiner Be- ratung am 28. April in Lübeck wählte Der Bundesparteitag in Göttingen muss ein wichtiges Signal zur der Bundesausschuss als Mitglieder inhaltlichen Auseinandersetzung mit der aktuellen Politik der seines Präsidiums: Barbara Borchardt Bundesregierung und unseren Standpunkten (BAG Betrieb & Gewerkschaft), Angeli- sein. Wir sollten schärfer und konkreter ka Mai (Landesverband Berlin), Birgit unsere Positionen zur sozialen Klaubert (Thüringen), Anita Friedetz- Gerechtigkeit – Schaffung guter ky (Hamburg), Falk Neubert (Sachsen) Arbeits- und Lebensbedingungen, und Michael Bruns (Nordrhein-Westfa- damit die Menschen von ihrer len). In einem Beschluss nach mehr- Arbeit auch gut leben können; stündiger Diskussion wird die Heraus- auch im Alter (Rentenniveau gabe eines Mitgliedermagazins grund- verbessern) – bestimmen. sätzlich befürwortet. »Der Parteivor- Wir müssen uns gegen den stand wird beauftragt, möglichst bis Finanzkurs in der europäischen zum Parteitag eine erste Ausgabe zu Krise aussprechen und offensiver produzieren, die dann an alle Mitglie- den Menschen erklären, dass das der der Partei verschickt wird.« Paral- Sparprogramm für die betreffenden lel dazu wird der Parteivorstand beauf- Staaten ohne wirtschaftliche Entwicklung tragt, bis 30. September Möglichkei- ein Fass ohne Boden ist und nur die Banken ten für Einnahmen zur Finanzierung zu von den Milliarden profi tieren. erarbeiten. Das regelmäßige Erschei- Ich erwarte eine konstruktive Personaldebatte und einen Vorstand, der sich nen des Magazins könne ab dem 4. nicht nur mit sich und seinen Befi ndlichkeiten auseinandersetzt, sondern Quartal 2012 erfolgen. die Probleme in den Basisorganisationen kennt und diese unterstützt. Die Partei lebt von ihren Mitgliedern, und die Bürger nehmen uns wahr, wie Senioren-AG: Auf dem 10. Deut- wir arbeiten und agitieren. Das gilt für jede Basisorganisation und erst recht schen Seniorentag vom 2. bis 5. Mai in für die Landes- und Bundespolitik unserer Partei. Hamburg und auf der Seniorenmesse Edeltraut Liese | Kneipierin, Gölsdorf SenNova vertrat die Seniorenarbeitsge-  meinschaft der LINKEN die Positionen linker Seniorenpolitik. Unterstützt wur- DIE LINKE soll bitte damit aufhören, der SPD hinterherzurennen und de sie vom Parteivorsitzenden Klaus »Schaut, wir sind doch koalitionsfähig« zu rufen. Sie soll kompromissloser Ernst, von Bundestagsabgeordneten auftreten, auch auf die Gefahr hin, dass eine Koalition (zum Beispiel in und Hamburger GenossInnen. Brandenburg) mal platzt. Klar würden ihre Gegner dies freudig aufgreifen, andererseits wäre das aber auch eine gute Gelegenheit, das Profi l zu Baden-Württemberg: Auf dem schärfen. Eine Ersatz-SPD braucht kein Mensch. Landesparteitag Baden-Württemberg DIE LINKE soll damit aufhören, auf ihren Wahlplakaten den politischen am 28. und 29. April in Stuttgart kriti- Gegner anzugreifen (zum Beispiel die Piraten mit »Keine Stimme den sierte Landessprecher Bernd Riexin- Nazis, egal unter welcher Flagge sie segeln«). Wir haben selbst genug ger die Landesregierung dafür, mehre- eigene Parolen und Argumente. re Wahlversprechen gebrochen zu ha- Da unsere Partei, gerade im Osten, doch sehr überaltert ist, sollte die ben. Der Parteitag verabschiedete eine Jugendorganisation [‘solid] verstärkt gefördert werden. Die zeigen in ihren Resolution zur Euro-Krise und Änderun- Parolen und Aktionen das Profi l, das ich meine.

gen zur Landessatzung. Michael Maurer | Hartz-IV-Empfänger, Jüterbog (Brandenburg) Haase © Petra

35 DISPUT Mai 2012 Ein Kampf zwischen sozial und liberal Interview mit Hans van Heijningen, Generalsekretär der niederländischen Sozialistischen Partei (SP)

Die SP hat zurzeit einen unglaublich guten Stand. Die Umfragen sehen euch bei über 20 Prozent. Werdet ihr diese © Diederik Olders Popularität aufrechterhalten können, oder werden die Niederländer den Mut verlieren, der SP eine wirklich starke Stellung im Parlament zu verschaffen? Wir haben eine echte Chance, die größte Partei der Niederlande zu wer- den, und das hat mit der Qualität unse- res Spitzenkandidaten (Emil Roemer ) zu tun. Er spricht über die aktuelle Lage auf eine Weise, mit der sich ein Groß- teil der Menschen identifi zieren kann. Meinungsumfragen zeigen, dass auch die Mehrheit der Menschen, die nicht für die SP stimmen, neun von zehn un- serer Forderungen unterstützen. Bei- spiele hierfür sind die Verringerung In den Niederlanden herrscht eine Was sagt ihr zu Wilders’ Verhalten? des Gegensatzes zwischen Reich und merkwürdige Situation. Am 12. Sep- Wir fi nden es sehr positiv, dass er Arm, unser Kurs, Erziehung und Ge- tember wird es vorgezogene Wahlen das neue Sparmaßnahmenpaket nicht sundheitsfürsorge in öffentlicher Hand geben, aber letzten Endes wurde der unterschrieben hat, obwohl es seltsam zu behalten, Rückzug der Truppen aus Haushalt, wegen dem es zum Regie- ist, da er das erste Paket ja unterstützt Afghanistan etc. Nur unsere Oppositi- rungsbruch kam, angenommen. Wie hatte, das auch nicht die Interessen on zur Erhöhung des Rentenalters wird ist die Haltung der SP dazu? der einfachen Leute in den Niederlan- nicht von den WählerInnen anderer Der Hauptgrund für das Scheitern den beachtet hat. Aber es ist gut, dass Parteien unterstützt. Generell verstärkt der Regierung war die Weigerung der er nun, nachdem er diese Regierung für die SP die Notwendigkeit, andere Ent- Wilders-Partei PVV (Partei für die Frei- anderthalb Jahre unterstützt hat, sich scheidungen zu treffen und zu verhin- heit), das neue Sparpaket zu unter- weigert, damit fortzufahren. Auf der dern, dass die einfachen Leute weiter stützen. Es gab wochenlange Verhand- anderen Seite ist es für uns komplett den Preis für die Krise zahlen, für die lungen mit der liberalen Partei, der inakzeptabel, dass er dabei ungefähr sie in keinster Weise verantwortlich christlich-demokratischen Partei und anderthalb Millionen Menschen wegen sind. der Partei von Wilders über ein neues ihrer Religion ausschließt. Andererseits haben unsere Kon- Sparmaßnahmenpaket über 14,2 Mil- liarden Euro, und bevor sie eine Eini- gung erzielen konnten, lehnte die PVV das gesamte Paket ab. Sie verkünde- te der niederländischen Öffentlichkeit, dass es Brüssel gestattet hätte, Maß- Traktoren für Kuba nahmen zu ergreifen, die insbesonde- re die älteren Menschen in den Nieder- Seit mehr als 20 Jahren hilft die AG Cu- tatkräftig zu unterstützen. Bitte spen- landen getroffen hätten, und wir über- ba Sí bei der Entwicklung einer nach- den Sie für die Traktoren! mittelten die private Nachricht: Brüs- haltigen landwirtschaftlichen Produk- sel, sei still! Wir lassen unsere älteren tion in Kuba. Derzeit werden vier land- Sonderspendenkonto beim Menschen nicht hängen wegen deiner wirtschaftliche Projekte in den Provin- Parteivorstand DIE LINKE/Cuba Sí 3-Prozent-Haushaltsdefi zit-Klausel. zen Pinar del Río, Mayabeque, Sancti Berliner Sparkasse, BLZ: 10050000 Das war der Grund für den Zusam- Spíritus und Guantánamo betreut. Für Konto-Nr: 13222210 menbruch der Regierung. Nun herrscht sie wird Cuba Sí je einen neuen Trak- VWZ (Bitte immer angeben!): Milch für eine neue Situation, und hauptsäch- tor im Gesamt wert von 85.000 Euro Kubas Kinder (auch mit Dauerauftrag, lich wegen unserer guten Stellung in kaufen. Die Erweiterung des Fuhrparks Spendenbescheinigung auf Wunsch). den Wahlumfragen werden wir der gro- ist notwendig für die Rückgewinnung ße Herausforderer des liberalen Premi- landwirtschaftlicher Nutzfl ächen und erministers Rutte sein. Es wird, zumin- deren Wiederbewirtschaftung. dest ist das unsere Absicht und auch Die AG Cuba Sí fi nanziert ihre So- die niederländischen Medien sind die- lidaritätsarbeit ausschließlich durch AG Cuba Sí, Kleine Alexanderstraße 28 ser Meinung, ein Kampf zwischen sozi- Spenden. Und so bitten wir alle Freun- 10178 Berlin, Telefon: (030) 24009455 al und liberal werden. de Kubas, auch dieses neue Vorhaben [email protected], www.cuba-si.org

INTERNATIONAL DISPUT Mai 2012 36 kurrenten im politischen Prozess ein großes Chaos angerichtet. Eines der Hauptprobleme der Nachkrisensituati- on ist, dass die Parteien der Mitte die- se Art von Zugeständnissen an andere Was ich der LINKEN wünsche – Parteien eingegangen sind und solche was ich mir von der LINKEN wünsche Lösungen für die Sparpolitik erarbeitet haben, mit denen sie vollkommen ihre Position als Verteidiger/Beschützer der Mehrheit der Menschen aufgegeben … mehr Schlagkraft und größere Einbeziehung der haben. Die sozialdemokratische Partei Basis – ebenso wie eine aktivere Basis. Dafür brau- mit ihrem vor anderthalb Monaten neu chen wir alle gute Kondition und reichlich Stehver- gewählten Vorsitzenden konkurriert mit mögen. Nicht aufgeben, wenn’s mal nicht so rollt! Al- unserem Programm und unseren Posi- so, Leute, ran, wieder kräftiger in die Pedalen treten tionen. Die Mehrheit der Niederländer – wir haben als LINKE doch noch so viel vor! ist aber der Meinung, dass das Original »Täve« Schur | Biederitz (Radsport-Legende) die bessere Wahl sein könnte. 

Das klingt ermutigend. Siehst du eine Vom Bundesparteitag in Göttingen sollte erstens ein klares Zeichen in Chance, dass die SP ein Teil der Regie- Richtung Einigkeit gehen, da man uns immer noch – und wohl zu Recht – rung wird? vorwirft, zu zerstritten zu sein. Dass eine funktionierende linke Partei als Das ist eine Option und das ist un- »Sammelbecken« aller Linken gar nicht anders funktionieren kann, scheint ser Ziel. Unser Wahlkampfslogan wird dabei vergessen zu werden. sein, dass die beste Garantie für eine Zweitens fi nde ich es wichtig, dass wir zwei Vorsitzende bekommen, die soziale Regierung ist, wenn die SP am sich gut ergänzen, öffentlichkeitswirksam agieren und repräsentieren Wahltag stärkste Partei wird. Es hat drei können. Nicht zuletzt geht es gerade nach dem erfolgreichen Parteitag der Vorteile, die SP zu wählen. Erstens wird Piraten und dem entsprechenden Medienecho darum, sich Wählerstimmen damit verhindert, dass die Liberalen zu sichern – und das vielleicht auch mal nur mit Polemik, ohne erneut die Chance bekommen, dieses überzeugende Inhalte. Dazu dürfte es unausweichlich sein, auch moderne Land zu regieren. Zweitens bekommt Themen zu besetzen. Die hohe Kunst dürfte allerdings darin bestehen, der sozialdemokratische Vorsitzende dass das Ganze trotzdem identisch wirkt und uns weiterhin eindeutig die die Möglichkeit, eine progressive Re- Rolle als Vertreter der prekären Massen zugetraut wird (da versucht sich gierung auf die Beine zu stellen. Wir ja auch gerade die SPD wieder hin zu entwickeln, von der man sich dann helfen ihm also, seine Versprechungen vielleicht auch mal abgrenzen muss). wahr zu machen. Der dritte Vorteil ist, Eberhard Podzuweit | Freier Bildungsreferent, Doktorand an der FU Berlin dass wir mit der SP in der Regierung die  beste Aussicht haben, unsere wichtigs- ten Ziele durchzusetzen und dabei das Ich wünsche mir für DIE LINKE, dass sie sich weniger mit sich selbst und Risiko auszuschließen, zu viele Kom- mehr mit dem Kapitalismus streitet. promisse zu machen. Viviana Uriona | Politologin und Medienaktivistin

 Wenn ihr Erfolg habt, werden die Pro- bleme für Kanzlerin Merkel größer. In Ich erhoffe mir, dass DIE LINKE nach dem Göttinger Parteitag einen Frankreich wurde Holland zum Präsi- Parteivorstand und Parteivorsitzende hat, die auf der Grundlage des denten gewählt, möglicherweise wird Erfurter Programms das Profi l der LINKEN als Partei für den Frieden und sich einer der engsten Verbündeten für soziale Gerechtigkeit schärfen. Außerdem wünsche ich mir, dass bis Merkels, die niederländische Regie- zur Abstimmung gerungen, gekämpft und debattiert und dann gemeinsam rung, verändern – es kann also zu ei- gehandelt wird. nem Wandel in der europäischen von Klaus Pollmann | Altes Lager (Brandenburg) Merkel beeinfl ussten Sparpolitik kom-  men. Siehst du diese Möglichkeit? Das ist eine Möglichkeit, und dies Die ersten fünf Jahre liegen hinter der LINKEN. Es würde auch unsere Position in der waren Jahre des Neubeginns. Ich wünsche mir, Wahl stärken, weil, wie du weißt, un- dass DIE LINKE immer ein gutes Händchen bei ser Finanzminister einer der schlimms- allen Entscheidungen hat und es uns gelingt, ten ist. Er ist einer von den »3 Prozent noch mehr Mitstreiter/innen zu gewinnen. So – 50 Prozent«-Fundamentalisten in kann es uns gelingen, unser Umfeld gerechter Brüssel. Mit Holland als neuer franzö- und sozialer zu gestalten. sischer Präsident wird das die europä- Wichtig ist der Kontakt zu den Menschen, zu den ischen Autoritäten unter Druck setzen, Bürgerinnen und Bürgern, gerade das Gespräch eine bessere Politik zur Überwindung auf der Straße. Nur so können wir erfahren, wo der Eurokrise zu erarbeiten. Das würde der Schuh drückt. Lasst uns den Weg zu mehr direkter unsere Möglichkeiten in den Niederlan- Demokratie weiter gehen und alle Bürgerinnen und Bürger mehr in den vergrößern, und es würde auch die politische Prozesse integrieren! Position Merkels schwächen. Katja Wolf | am 6. Mai 2012 neu gewählte Oberbürgermeisterin in Eisenach

Interview: Oliver Schröder Umfrage: Maritta Böttcher, Gert Gampe, Lars Kleba, Stefan Richter © privat

37 DISPUT Mai 2012 Ein Land vor großen Veränderungen Eindrücke in Myanmar Von Judith Kainer

Der Einzug der Friedensnobelpreisträge- Myanmar ist ein Vielvölkerstaat verziert. Gläubige kleben Blattgold an rin Aung San Suu Kyi ins Parlament von mit rund 54 Millionen Einwohnern, Buddhafi guren und spenden selbstver- Myanmar war ein historischer Moment geschätzt 70 Prozent von ihnen sind ständlich für die Erhaltung der Tempel. für das von Militärdiktatur und Wirt- Birmanen. Sogar die längste Holzbrücke der Welt, schaftsembargo gebeutelte südostasia- die 1.000 Meter lange U-Bein-Bridge in tische Land. Der Antritt der 66-Jährigen, der Nähe von Mandalay, war ursprüng- die ein Vierteljahrhundert unbeirrbar lich komplett goldüberzogen. So wun- für eine Demokratisierung ihrer Heimat vieler politischer Gefangener boomt der dert es nicht, dass Myanmar, dessen kämpfte und dabei die meiste Zeit un- Tourismus. Flüsse reich an dem Edelmetall sind, ter Hausarrest stand, symbolisiert den Und es ist eine wundersame Welt, das nach alter Tradition mit flachen tief greifenden Wandel, der dem Land die sich den aufmerksamen Besuchern Schüsseln herausgewaschen wird, auch bevorsteht. öffnet, ohne die Insignien des globali- das Goldene Land genannt wird. War Myanmar nahezu fünfzig Jah- sierten Dorfes – ohne Mobiltelefone, in- Durch die jahrzehntelange Isolation re politisch isoliert und vom Tourismus ternationale Werbung, Geldautomaten. konnte sich in Myanmar eine reine Form weitgehend unberührt, öffnet sich das Mit Verkehrsmitteln, die aus dem vor- des Theravada-Buddhismus erhalten. Land seit kurzer Zeit in einem Tempo, vergangenen Jahrhundert zu stammen Kaum ein anderes Volk in Südostasien das allen Beteiligten nahezu unheim- scheinen. Mit einer Internetverbindung, identifi ziert sich so mit dem Buddhis- lich erscheint: den Birmanen, die bis die nur sehr langsam die Besucher mit mus wie die Birmanen. Jeder Mann ver- vor Kurzem bei bloßer Erwähnung der dem Rest der Welt verbindet. Mit einer bringt mindestens zweimal in seinem »Lady« mit Gefängnisstrafen rechnen tief ausgeprägten Religiosität und ei- Leben eine Zeit als Mönch im Kloster. mussten, den Touristen in diesem selt- nem großen Faible für Gold: Goldverklei- Auch immer mehr Frauen und Mädchen samen, der Zeit entrückten Land, selbst det ist nicht nur die größte und bekann- sieht man, gekleidet in den traditionel- den Polizisten und Militärs, die auf ein- teste Pagode des Landes (die Shweda- len rosa Gewändern der Nonnen, auf mal höchstens ein Mindestmaß an Prä- gon Pagode in Rangun, der ehemali- dem täglichen Bettelgang in den Stra- senz zeigen. Seit der Zulassung Su Kyis gen Hauptstadt Myanmars) – unzählige ßen der Städte und Dörfer. Der Buddhis- zur Parlamentswahl und der Freilassung Tempel des Landes sind mit Blattgold mus prägt den Alltag der Birmanen, die © Judith Kainer (4)

INTERNATIONAL DISPUT Mai 2012 38 ihre Herkunft von einem Zweig der Sip- Das Land hat die pe Buddhas ableiten, und die überwäl- Tür geöffnet – in tigende Anzahl an Tempeln und Klöstern einem Tempo, das zeugt von der tiefen Verbundenheit zur allen Beteiligten Religion. Das Verhalten der Birmanen ist nahezu unheimlich dementsprechend von Zurückhaltung erscheint. und Mäßigung bestimmt – Gespräche werden leise geführt, und ein schroffes Nein gilt es unter allen Umständen zu umgehen. Lauter Streit, negative Aus- sagen – all dies führt zu Gesichtsver- lust, den es in der asiatischen Welt un- bedingt zu vermeiden gilt. Absehbar wird die Moderne Einzug halten. Sichtbar wird dies schon auf der sogenannten Burma Road, die die ehemalige Königsstadt Mandalay mit Lashio unweit der chinesischen Grenze verbindet. Straßen, Häuser, Autos, die Internetverbindung – alles in einem si- bung der westlichen Sanktionen errei- gnifi kant besseren Zustand. Der chine- chen wollte. Wer die Wochen vor der sische Einfl uss ist unübersehbar; böse Wahl erlebt hat, in denen die Bevölke- Zungen behaupten, der Reichtum der rung nach Jahren der politischen Unter- Gegend beruht auf der roten, grünen drückung euphorisch ihre Nationalhel- und weißen Linie: Rubine, Jade und He- din und eine ungeahnte politische Frei- roin. heit gefeiert hat, kann nicht anders, als Vielleicht ist es die Angst vor einer mit ihr um die Zukunft zu bangen. wirtschaftlichen Abhängigkeit Myan- Fakt ist: Das Land hat die Tür geöff- mars, derentwegen vor Kurzem ein ge- net. Wirtschaftsunternehmen, die Tou- plantes Staudammprojekt mit den Chi- rismusindustrie und Nichtregierungsor- nesen kurzfristig abgesagt wurde. Be- ganisationen scharren mit den Füßen, obachter befürchten, dass der Eintritt eines der ärmsten Länder der Welt zu er- Suu Kyis und ihrer Partei, der National obern. Solch eine Goldgräberstimmung League for Democracy (NLD), ins Parla- gab es schon einmal, in den frühen ment nur ein symbolischer Akt war und Neunzigern. Aber dieses Mal scheint der die Militärregierung damit eine Aufhe- Prozess unumkehrbar zu sein.

39 DISPUT Mai 2012 Trang Bang Vor vierzig Jahren entstand eines der berühmtesten Fotos der Pressegeschichte – es half, den Vietnamkrieg zu beenden Von Ronald Friedmann

ie Landschaft im Hintergrund ist schickt, um über den Krieg zu berich- kaum zu erkennen, überall ist ten. Und dieser Krieg war überall: Be- D schwarzer Rauch. Doch man weiß reits seit sieben Jahren versuchten US- sofort: Vietnam. Fünf Kinder fl üchten amerikanische Truppen, mit Flächen- auf einer Straße, hinter ihnen Unifor- bombardements, dem Einsatz von mierte, geschützt durch ihre Stahlhel- Ravassard © Unesco/Michel Napalm und chemischen Kampfstoffen me. In der Mitte des Bildes ein kleines den Widerstand der vietnamesischen Mädchen, gerade neun Jahre alt. Voll- Befreiungsbewegung zu brechen, die kommen nackt. Voller Panik. Das Ge- seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sicht verzerrt vor Angst und Schmerz. für die Unabhängigkeit ganz Vietnams Napalm. Bomben. Krieg. kämpfte. Sie wollten so das Saigoner Schon in dem Augenblick, als er Marionettenregime stabilisieren, das auf den Auslöser seiner Kamera drück- von der US-Regierung zur Wahrung te, wusste der gerade erst 21 Jahre al- »globaler Interessen« in Südvietnam te Huynh Cong »Nick« Ut, dass er an eingesetzt worden war. diesem 8. Juni 1972 nahe der kleinen Doch Opfer des militärischen Terrors südvietnamesischen Ortschaft Trang aus der Luft und am Boden war fast im- Bang das wohl wichtigste Foto seines mer die Zivilbevölkerung. Mindestens Lebens geschossen hatte. drei Millionen Vietnamesen starben an Die US-amerikanische Nachrichten- den Folgen des Krieges, weitere zwei agentur AP, für die er arbeitete, hatte Millionen wurden zu Krüppeln, und ihn in den Süden von Südvietnam ge- mindestens ebenso viele trugen durch

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ZEITGESCHICHTE DISPUT Mai 2012 40 den massiven Einsatz von dioxinhalti- onal viele Schwarze und Latinos, wa- gen »Entlaubungsmitteln« bleibende ren in einen Krieg fernab ihrer Heimat Ich abonniere Schäden davon, an denen noch heu- gejagt worden, den sie nicht verstan- tige Generationen leiden. den und den sie nicht verstehen konn- Mit seinem Wagen brachte Ut das ten. 58.000 von ihnen waren gefallen, schwerverletzte, vor Schmerzen un- Hunderttausende waren verwundet DISPUT aufhörlich schreiende Mädchen in ein und verkrüppelt worden. Und ein Ende nahegelegenes Krankenhaus. Aber die des sinnlosen Sterbens in Vietnam war Ärzte dort gaben ihr keine Überlebens- nicht abzusehen. chance, mehr als ein Drittel ihrer Kör- Und nun verdeutlichte das Foto ei- peroberfl äche war verbrannt. Sie ver- nes einem Napalm-Angriff hilfl os aus- Name, Vorname legten das Mädchen in ein Zimmer für gelieferten Kindes, welches Elend der sterbende Kinder, weil sie ihre Kraft Krieg über die einfachen Menschen und Zeit für Verwundete brauchten, brachte. Was machte es da für einen Straße, Hausnummer die überleben konnten. Doch drei Ta- Unterschied, dass der Bombenangriff, ge später lebte das Mädchen immer dessen Opfer Phan Thi Kim Phúc ge- noch. Inzwischen hatten seine Eltern worden war, von südvietnamesischen PLZ, Ort es gefunden und fl ehten um Hilfe für Piloten gefl ogen worden war: Die Flug- ihre Tochter, deren Namen man nun zeuge und die Bomben waren in den auch im Krankenhaus kannte: Phan USA produziert worden, und auch der Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) Thi Kim Phúc. Einsatzbefehl war aus den USA gekom- der Zeitschrift DISPUT im men. Grausame Schmerzen Der breite Widerstand gegen den Halbjahresabonnement zum Preis von Vietnamkrieg, der sich bereits seit dem 12,00 Euro inkl. Versandkosten Zunächst wurden die großflächigen Ende der sechziger Jahre in den USA Wunden gesäubert, dann folgten dut- formiert hatte, bekam neuen Auftrieb. Jahresabonnement zum Preis von zende schmerzhafte Operationen: Ge- Die US-Regierung musste sich auf die 21,60 Euro inkl. Versandkosten sunde Haut wurde aus dem Körper ge- Suche nach einem Weg aus dem Krieg schnitten und an besonders stark ver- begeben: Am 27. Januar 1973 unter- und nutze den vorteilhaften Bankeinzug brannte Stellen transplantiert. Wo- zeichneten in Paris Vertreter der US-Re- chenlang lag das Mädchen in einem gierung und der Regierung Hanoi ein Gipsverband, um der Haut die Mög- Friedensabkommen, Ende April 1975 lichkeit zur Heilung zu geben. Dann wurde das Marionettenregime in Sai- Geldinstitut viele Monate Physiotherapie, bei de- gon gestürzt, am 1. Mai 1975 war der nen jede Bewegung wieder grausame Vietnamkrieg nach dreißig Jahren zu Schmerzen bereitete, denn die neue Ende. und die alte, inzwischen vernarbte Bankleitzahl Haut sollten wieder geschmeidig wer- Einsatz für Kinder als Opfer von den. Nach vierzehn Monaten konn- Kriegen te Phan Thi Kim Phúc endlich wieder Kontonummer nach Hause zu ihren Eltern und Ge- Nach dem Abschluss der Schule be- schwistern. gann Phan Thi Kim Phúc ein Studium, oder Der Leiter des Büros von AP in Sai- zunächst in der Hauptstadt Hanoi, gon entschied noch am selben Tag, dann auf Kuba. Dort lernte sie ihren bitte um Rechnungslegung (gegen das von Nick Ut geschossene Foto für späteren Ehemann kennen, einen viet- Gebühr) an meine Adresse. die Veröffentlichung freizugeben – er namesischen Kommilitonen. Die Hoch- hatte zunächst Bedenken gehabt, ob zeitsreise führte beide nach Moskau. man das Bild eines nackten Kindes Auf dem Rückfl ug setzte sich das den puritanischen Zeitungslesern in junge Paar bei einer Zwischenlandung Das Abonnement verlängert sich automatisch um den den USA zumuten konnte. in Neufundland ab und beantragte po- angegebenen Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf litisches Asyl in Kanada. Phan Thi Kim schriftlich kündige. Neuer Auftrieb für Widerstand Phúc wollte wohl ein Leben führen, in dem ihre ganz persönlichen Leiden Bereits in den folgenden Tagen er- nicht Gegenstand regelmäßiger öffent- schien das Foto auf den Titelseiten na- licher Erörterung waren. Doch schließ- Datum, 1. Unterschrift hezu aller großen US-amerikanischen lich begriff sie ihr Schicksal auch als und internationalen Tageszeitungen. eine Verpfl ichtung: Aussöhnung und Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung Es wurde zum »Pressefoto des Jahres« Frieden, vor allem aber der Einsatz für innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. 1972, und im selben Jahr erhielt Nick Ut Kinder als Opfer von Kriegen, sieht sie Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des auch den renommierten Pulitzerpreis. heute als ihre Lebensaufgabe. Widerrufs. Doch wichtiger war, dass das Foto Vierzig Jahre nach dem schicksal- dazu beitrug, den Zweifel an der Recht- haften 8. Juni 1972 lebt Phan Thi Kim mäßigkeit und am Sinn des Vietnam- Phúc mit ihrem Mann und den zwei Datum, 2. Unterschrift krieges in der US-amerikanischen Öf- Kindern in Toronto. Und Huynh Cong Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE, fentlichkeit weiter wachsen zu lassen. »Nick« Ut ist noch immer Fotograf für Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin. Mehr als eine halbe Million junge US- AP, er lebt und arbeitet jetzt in Los An- Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de Amerikaner, unter ihnen überproporti- geles.

41 DISPUT Mai 2012 Rote Socken an Sachsens Mt. Everest Als LINKE-Trio beim Treppenmarathon in Radebeul Von Alexander Reetz

Was verbinden Sie mit Radebeul – Karl und Fans gewonnen und sich dabei sich dem immer lautstarken Fanblock May, Villen, Wein und eine Schmalspur- hauptsächlich auf Laufsport und Fuß- anzuschließen. bahn? Drei Läufer des SV Rote Socken ball konzentriert. Dem Spaßprinzip ist Demgegenüber haben die laufen- assoziieren mit der sächsischen Klein- man jedoch bis heute treu geblieben – den Roten Socken keine festen Trai- stadt seit Mitte April wohl eher unend- es zählen keine Pokale, sondern die Er- ningszeiten – zu unterschiedlich sind lich viele Treppen, Schweiß, den Mt. lebnisse und die Chance, das sportlich- die zeitlichen Möglichkeiten und die Everest sowie ein unvergessliches Er- dynamische Bild der LINKEN zu zeigen. Trainingsgewohnheiten. Die Sportler/ lebnis. Als Dreierseilschaft absolvier- Denn natürlich wird sowohl auf den innen nehmen an diversen kleinen und ten Christoph, Josef und Alex aus Ber- Fußballtrikots als auch auf den Lauf- größeren Laufveranstaltungen bundes- lin gemeinsam 79.400 Stufen, 8.848 shirts des SV Rote Socken kräftig für weit teil. Nichtsdestotrotz treten die Höhenmeter und 88,4 Kilometer beim DIE LINKE. bzw. ihre Bundestagsfrakti- Läufer/innen bei einigen Laufveran- achten Sächsischen Mt. Everest-Trep- on »geworben«. staltungen auch als Team auf. Die Hö- penmarathon. Die Fußballer/innen treffen sich wö- hepunkte eines jeden Laufjahres sind An solche zugegebenermaßen extre- chentlich zu einem meist lockeren Trai- für die Roten Socken der Bundestags- me sportliche Herausforderungen war ningsspiel auf einem Berliner Sport- lauf im Mai und die Berliner Marathon- im Gründungsjahr der Roten Socken platz. Die Highlights für die Kicker/in- staffel im November auf dem Flugfeld 2006 noch nicht zu denken. Vielmehr nen bilden die jährlichen Freizeittur- Tempelhof. Beim Bundestagslauf 2011 ging es darum, einer Gruppe sportbe- niere sowie die Spiele gegen andere gelang es der Linksfraktion als einzi- geisterter Mitarbeiter/innen der Bun- (Hobby-)Mannschaften. So gab es Du- ger Fraktion, drei Abgeordnete für ei- destagsfraktion der LINKEN sowie de- elle gegen die Grünen Tulpen, das Team ne gemeinsame Staffel zu stellen. Und ren Abgeordneten eine Plattform für der grünen Bundestagsfraktion, aber bei der Marathonstaffel im Novem- gemeinsame sportliche Aktivitäten zu auch gegen »richtige« Mannschaften ber konnten die Roten Socken bisher bieten. Einzig gültiges Leistungsprinzip wie den Roten Stern Lübeck. Bei den stets zwei Staffeln stellen – auch hier sollte der Spaß an der Sache sein. Im Spielen lassen es sich dann auch eini- schlüpfen Abgeordnete regelmäßig in Laufe der Zeit hat der Verein über die ge Abgeordnete nicht nehmen, selbst ihre Laufsachen. Bundestagsfraktion hinaus Mitglieder die Fußballschuhe zu schnüren oder Die Sportler/innen können sich, © Tina Aubrecht

MITGLIEDER DISPUT Mai 2012 42 egal um welche Veranstaltung es sich PRESSEDIENST handelt, auf ihren unüberhör- und un- übersehbaren Fanclub verlassen, der nicht nur gute Stimmung und Motiva- tion verbreitet, sondern seine hungri- gen und durstigen Sportler/innen mit Verpfl egung versorgt. Auf den Fanclub war auch bis tief in die sächsische Nacht beim Radebeuler Treppenlauf Verlass. Die drei Roten So- Hamburg: Der Hamburger Lan- Europaparlament: Cornelia Ernst cken konnten sich in jeder Runde auf desvorstand ist auf dem Parteitag am wurde am 18. April zur Vorsitzenden ein eigens auf sie zugeschnittenes Lied 28. und 29. April neu gewählt worden. der Delegation DIE LINKE im Europa- beim Erklimmen der je 397 Stufen freu- Dem Vorstand gehören 18 Mitglieder parlament gewählt. Damit steht sie en. So war der Fanclub vom Start um 22 an. Im Geschäftsführenden Vorstand nun gemeinsam mit Thomas Händel Uhr bis weit in die Nacht hinein mit Ab- sind dies die zwei Landesprecher/in- der achtköpfi gen Parlamentariergrup- stand der lauteste am Weinberg, wobei nen – Olga Fritzsche und Bela Rogalla pe der LINKEN vor. nicht allein die eigenen Sportler ange- – und der Landesschatzmeister Klaus feuert wurden. Nachdem der Fanblock Roocks. Sachsen-Anhalt: Mit mehre- zur verdienten Nachtruhe übergegan- ren Regionalkonferenzen – die letzte gen war, war nur noch das teilweise Niedersachsen: Der Landes- fand am 4. Mai in Halle-Neustadt statt schwere Atmen der Aktiven zu verneh- vorstand hat sich bei seiner Sitzung – stimmten sich Mitglieder des Lan- men. Aber trotz einsetzender Müdig- am 28. April darauf verständigt, dass desverbandes Sachsen-Anhalt auf keit und Erschöpfung war Aufhören na- Manfred Sohn und Ursula Weisser- den Bundesparteitag der Partei An- türlich keine Option. Das Ziel war klar: Roelle als LINKE-Spitzenkandidaten fang Juni ein. Zu dritt wollte man die 100 Runden be- bei der Landtagswahl 2013 antreten wältigen, um dann in der Addition ei- sollen. Die Empfehlung wird der Lan- nen doppelten Marathon (84,4 km) be- desvertreter/innenversammlung ge-

wältigt, 79.400 Stufen erklommen und geben. Richter © Stefan somit den sächsischen Mt. Everest zu Radebeul mit 8.848 Höhenmetern (ge- Hartz IV: DIE LINKE im Bundes- nau wie das große Vorbild im Himalaya) tag hat am 26. April geschlossen bezwungen zu haben. Dass es Läufer/ gegen die Hartz-IV-Sanktionen ge- innen gab, welche die Distanz einzeln stimmt. Die Mehrheit von CDU, CSU, bewältigten, nötigte gehörigen Respekt SPD und FDP will an den Sanktionen ab. Nachdem sich die Nacht mit einem festhalten, die Grünen haben sich Regenschauer verabschiedete und der enthalten. Tag über das Elbtal hereinbrach, wuch- sen auch die Kräfte wieder. Die Läufer Saarland: Oskar Lafontaine wur- der LINKEN wechselten sich runden- de auf der konstituierenden Sitzung weise ab, sodass es genügend Gele- der Landtagsfraktion im Saarland genheiten gab, sich gegenseitig anzu- am 23. April erneut zum Fraktions- spornen. Als die Sonne stieg, pilgerten vorsitzenden gewählt. Als Stellver- die Fans langsam wieder an die Stre- treterin wurde Barbara Spaniol und cke und unterstützten Josef, Christoph als parlamentarischer Geschäftsfüh- und Alex bei ihren letzten Runden. Um rer Heinz Bierbaum bestätigt, Beisit- 12.46 Uhr, nach 14 Stunden und 46 Mi- zerin im Fraktionsvorstand ist Astrid nuten, war auch die letzte der 100 Run- Schramm. Antifaschismus: Der Bücher- den absolviert. Die Roten Socken wa- verbrennungen durch die Nazis am ren überglücklich auf dem sächsischen Bayern: Eva Bulling-Schröter und 10. Mai 1933 wurde in verschiede- Mt. Everest angekommen und küssten Xaver Merk wurden auf dem Landes- nen Städten gedacht. An der tradi- das Gipfelkreuz. parteitag Bayern am 21. und 22. Ap- tionell von der LINKEN veranstalte- Am Tag nach dem Lauf waren die ril in Weilheim als Landesvorsitzen- ten »Lesung gegen den Vergessen« drei Läufer fest entschlossen, nächs- de gewählt. Merk erklärte zu den Er- auf dem Berliner Bebelplatz betei- tes Jahr wieder die Stufen in Radebeul gebnissen des Parteitages: »Es muss ligten sich Schüler/innen der Jüdi- zu bewältigen und dann unter 14 Stun- und wird uns gelingen, 2013 in Frakti- schen Oberschule und der Puschkin- den zu bleiben. Denn auch wenn der onsstärke ins Maximilianeum einzu- Schule, Künstler und Politiker. Bea- Spaß an erster Stelle steht, Ehrgeiz ziehen.« te Klarsfeld hatte Stefan Zweigs Buch haben die Läufer/innen der Roten So- »Amok« mitgebracht, das am 10. Mai cken, selbst wenn sie das nicht immer Berlin: Auf ihrer Basiskonferenz 1933 in Göttingen angekohlt aus den zugeben. am 21. April diskutierte die Berliner Flammen gerettet worden war und Mit derartigen Aktionen zeigt DIE LINKE Herausforderungen an ihre Tä- nun in einem Pariser Museum ausge- LINKE, dass sie es versteht, auf und tigkeit. Intensiv wurde über Inhalte stellt ist. Auch die 101jährige Schrift- neben der Strecke zu begeistern, in- und Erfahrungen gestritten, unter an- stellerin Elfriede Brüning, Mitglied der dem Fans wie Aktive ihre Hobbys Sport derem zu den Themen »Zauberwort LINKEN, gehörte wieder mit zu den Le- und Politik miteinander verbinden – es Kommunikation«, »Respektieren, ein- senden. muss ja nicht immer gleich ein Ultrama- beziehen, motivieren!«, »Organisati- rathon sein. on ist Politik« und über Mietenpolitik. Zusammenstellung: Florian Müller

43 DISPUT Mai 2012 Uferlos Zwischen den fernen Ufern des Glücks. Interview mit Dirk Zöllner

Wir sitzen in der Küche, wo sonst. Dirk Das Buch zeigt eine wunderschöne Jubiläumskonzert am 15. Juni in Zöllner – Musiker, Texter, Buchautor – Auswahl an Bildern. Es hätten noch Berlin, Postbahnhof, 20.00 Uhr: kurz vor seinem 50. Geburtstag, rührt in mehr sein können, fi nde ich jedenfalls. 25 Jahre »Die Zöllner« und 50 Jahre seinem Kaffee und schaut munter aus. Es ist auch ein Exkurs durch Modewel- Dirk Zöllner ten und Frisuren. Der Blick in den Spie- Lesung und Gespräch beim Fest Aus dem Buch »Die fernen Inseln des gel, ist der wichtig? der Linken am 16. Juni in der Berliner Glücks« – klingt nicht gerade wie eine Eitelkeit ist meine größte Sünde, ne- Kulturbrauerei, 17.00 Uhr Musikerbiografi e – erfahren wir, Kinder ben der Maßlosigkeit. sind gezeugt, Bücher sind geschrieben, ein Baum wurde 2009 gepfl anzt. Und Das Leben in der DDR war sexuell frei. jetzt geht das Jammern mit 50 los? Du bist der Beweis. Dein Buch liefert das Land nicht grundsätzlich ablehn- Ich versuche, das Jammern zu ver- die Ereignisse. Ich hätte mir den Satz te. Jedenfalls war man als Musiker frei. meiden. Ein großes Vorbild ist für mich gewünscht – vielleicht kannst du den Für mich spiegelt die Groteske »Son- Fritz Puppel von City, der seiner Band wenigstens bestätigen, wenn ich ihn nenallee« am ehesten mein Lebens- verbietet, über Krankheiten zu spre- dir vorgebe: Die DDR war keine prüde gefühl wider. Diese seltsamen Doku- chen. Trotzdem möchte ich nebenbei Gesellschaft. mentationen, die das Bild von stän- erwähnen, dass ich weitsichtig bin und Die DDR war ein bisschen kleinbür- diger militärischer Kontrolle malen, ir- schon einen Bandscheibenvorfall hatte. gerlich. Es ging aber für sehr viele da- ritieren mich. In einem solchen Land Ansonsten gibt es nichts zum Jammern. rum, die Zustände zu überwinden. Ich hätte ich nicht groß werden können. Ich bin froh darüber, dieses Leben als habe die DDR als Hippieland empfun- Der Begriff Freiheit lässt sich übrigens Musiker zu leben und damit optimale den. Es gab genügend Nischen für al- sehr unterschiedlich defi nieren. Wenn Freiheit genießen zu können. ternative Lebensentwürfe, wenn man ich über mein erstes Leben nachdenke, © Erich Wehnert

KULTUR DISPUT Mai 2012 44 empfi nde ich die Unabhängigkeit vom schreien vor Glück. Die Gegensätze aus- lich kein Politiker. Also Realpolitik, so- Geld als große Freiheit. Heute kann ich zuleben. zusagen Vernunft, hat mit Kunst nichts zwar durch die Welt reisen, aber eben zu tun, weil Kunst Neuland betritt, nur, weil ich über den dafür notwendi- Die fernen Inseln des Glücks, so dein Kunst macht sich darüber Gedanken, gen fi nanziellen Background verfüge. Buch, sind erreichbar und wollen von was nicht gesagt wurde, wenn man po- Das geht nicht jedem so. Ich will das dir auch immer erobert werden. Du litisch ist, also Realist. Das ist ein Wi- nicht weiter ausführen, denn ich hatte hast einen starken Drang nach Glück, derspruch zur Kunst. sowohl in der einen als auch in der an- bist aber auch ein unruhiger Geist, ein deren Welt das Glück, eine Sonderbio- Unzufriedener. Deine Aussagen zur Politik tragen exo- grafi e zu genießen. Danke!!! Nein, überhaupt nicht. Ich empfi n- tische Formen. Du schreibst, man stel- de einfach im Glück einen Aufbruch. le sich vor, Honecker und Genossen, Deine Bilanz von 50 Jahren Musikerlei- Mir fällt es wesentlich schwerer auf- also Kampfgruppen der Arbeiterklas- denschaft beginnt mit dem Tod eines zuhören, als beispielsweise anzufan- se, hätten ‘89 die DDR verteidigt. Dann Freundes. Im Prolog beschrieben: Der gen. Den Anfang oder den Versuch, wäre »die Weltpolizei« gekommen und Tod von Freunden macht dich unsicher Niemandsland zu betreten, Neuland zu man hätte aus sicherer Entfernung Ber- und klein, wie du schreibst. begegnen, empfi nde ich als Abenteu- lin bombardiert … Hast du dir eine an- Die Trauer ist vielleicht die Gegen- er. Ich glaube, das kann jeder Mensch dere Wende gewünscht? form der Euphorie. Und wenn man ganz nachvollziehen, der in den Urlaub fährt, Auf jeden Fall. Wie alle Romantiker. unten landet, sozusagen mit dem Kinn vor allem als Kind. Der Tag des Auf- Ich hatte nicht gedacht, dass man sich auf dem Asphalt schrammt, macht man bruchs ist meistens der Schönste, weil in eine neue, fertige Gesellschaft ein- sich über die wirklich sinnvollen Dinge man sich im Gehirn irgendwelche Träu- gliedern muss und sofort in neue Ver- des Lebens Gedanken. Nur wenn man me zurechtlegt, wie es aussehen, wie kästelungen und Korsette gedrängt die Trauer auslebt, kann man auch die es sein könnte. Die ganzen Hoffnun- wird. Ich denke, dass die Wende, als Freude genießen. Ich glaube an Ying gen sind in den Gedanken drin. Deswe- sich eine Gesellschaft so rasant ver- und Yang, an Tag und Nacht, an Som- gen ist diese Ungewissheit immer das änderte, wie wir es 1989 erlebt haben, mer und Winter, an Trauer und Eupho- Schönste. einfach eine Zeit der Herzen war. Da rie. Ich glaube, dass Glück bedeutet, wollte man nicht allzu schnell wieder in wenn man die Amplituden, die das Le- Fasziniert hat mich deine Offenheit. Du klare Strukturen kommen, sondern hät- ben bietet, voll ausnutzt – nach oben beschreibst Liebesgeschichten, den te gern noch ein bisschen ausprobiert, und nach unten. Also, ich habe mich Arbeitsalltag eines Musikers, Befi nd- was es noch so an Formen der Gesell- dafür entschieden, zu heulen und zu lichkeiten hinter der Bühne, Künstler- schaft gibt. Mir kam es zum Anfang re- macken, darf ich doch sagen, das wird aktionär vor und rückschrittlich, in die- doch nicht alle Beteiligten gefreut ha- se Art der Wirtschaftsdiktatur zu ge- ben. Gibt es Klagen? langen. Das war für mich wie eine Voll- Es gibt ein paar Unzufriedenhei- bremsung nach der Euphorie. Ein Weg. Ein Ziel. ten. Bis jetzt nur ganz vereinzelt. IC Fal- Ein Tag. Ein Spiel. kenberg – habe ich mitgekriegt – war Du lebst mit Kind und Freundin Denise Ein Blick. Ein Zug. ein bisschen erbost. Ich habe aber so in Berlin, am Boxhagener Platz. Eher Ab geht’s – Blindfl ug! was wie Häme ausgelassen. Aber na- bescheiden, bist fl eißig und teilst ger- türlich nutze ich so ein Buch als Brief, ne Wein und Brot. Dein Streben ist of- Kein Schritt zurück. auch als Liebesbrief. Das Buch ist of- fensichtlich Glück, für dich, für deine Das Bild. Das Glück. fen, aber trotzdem nicht entblößend. Familie, für einfache Menschen. »Gol- Der Traum. Die Flucht. Ich habe viele Dinge ausgelassen. Auch dene Zeiten« war der Titel einer CD. Der Film Sehnsucht. den absoluten Wahnsinn, den Musiker Gott hat einen Plan, und du? in ihrer Euphorie nach ihren Konzerten Ich habe irgendwie immer den Plan Die Nacht. Das All. manchmal erleben. Soweit bin ich nicht loszurennen. Ich glaube aber immer Ein Weib. Der Fall. gegangen, mich so zu zeigen. Ich ha- mehr an die »Idylle im Krieg«. Das ist Kein Grund. Kein Halt. be schon sehr wohl ausgewählt, wor- auch der Titel eines neuen Songs. Ich ge- Schach matt – bis bald! über ich spreche. Andere Dinge sind be mich damit zufrieden, mit Gleichge- nicht beschreibbar, weil sie einfach in sinnten eine Blase in der Gesellschaft zu einer absolut idiotischen Euphorie pas- bilden. Früher bildete ich mir ein, dass sieren. man sich mit allen Menschen umarmen kann. Das ist die einzige Sache, die mich Kann es sein, dass du wie dein Vater vielleicht ein bisschen traurig macht. Ich bist, ich meine weltanschaulich? Du habe in der DDR gar nicht bemerkt, dass schreibst im Buch, die Religion deines ich mir die Leute nur durch meinen Be- Vaters sei ein kunterbunter Mix, biss- ruf aussuchen konnte. Ich war ja nie in chen Marx und bisschen Lenin, ein we- eine Gemeinschaft gesperrt. Deswe- nig Jesus und ein paar Volksweishei- gen dachte ich, die Welt ist so wie mei- ten. Dann würde ich hinzufügen: noch ne Freunde. Mittlerweile weiß ich, dass etwas Romantiker. Gibt es dazu Wider- die Menschen nicht so sind. Wir merken spruch? ja, was die Masse will, schlägt sich nie- Nein, überhaupt nicht. Ich habe der auf die Kunst und Kultur und in der … So sind die früher Idealismus oder Humanismus BILD-Zeitung, RTL usw. So sind die Men- Menschen. gleichgesetzt mit Kommunismus. Ich schen. Ich versuche mich anders. Ich versuche merke, dass ich zwar ein politisch den- mich anders. kender Mensch bin, aber ich bin natür- Interview: Gert Gampe

45 DISPUT Mai 2012 BÜCHER

Ein Nischendasein kam für ihn aber So zeichnet ein Beitrag die Auseinan- Wanderer zwischen nicht infrage. Er gehörte nicht nur zu den dersetzung Schlesingers mit Geschichte den Welten DDR-Schriftstellern, die gegen die Bier- und Gesellschaft anhand seiner literari- mann-Ausbürgerung protestierten, er schen Orte nach. In anderen Beiträgen Erinnerungen an den unangepassten organisierte mit seiner damaligen Frau sind die Einfl üsse der Beschäftigung mit Schriftsteller Klaus Schlesinger. Gele- Bettina Wegner Veranstaltungen, bei de- Kleist und Kafka vorgestellt oder Schle- sen von Ingrid Feix nen auch öffentlich über Probleme des singers romantisch-unheimliche Note, realen Sozialismus nachgedacht wurde. die er in die zeitgenössische Berlinlite- m Mai vor zehn Jahren starb ein Eine Ausreise in den Westen, der für vie- ratur einbrachte. Schriftsteller, den man als einen Wan- le seiner Kollegen und Freunde die ein- Letztlich ist er kein »Regionalautor«. I derer zwischen den Welten bezeich- zige Alternative zu sein schien, wollte Es handelt sich vielmehr um eine Bre- nen kann, einer, der sich nie an den all- er zunächst nicht akzeptieren. Es war chung der großen gesellschaftlichen Er- gemeinen Trend anpasste, den immer nicht die sozialistische Idee, von der er eignisse und Umbrüche im Kleinen und die Geschichten der Leute um ihn he- ablassen wollte, sondern das System, somit sind auch seine Arbeiten durch- rum interessierten und den das Leben das sich unter ihrer Fahne etabliert hat- aus exemplarisch für das große Gan- zum Schriftsteller gemacht hat. Die Ge- te. Mit Verboten belegt, siedelte Schle- ze. Das Buch ist auch für Nicht-Wissen- schichten, die er der Nachwelt hinterlas- singer schließlich doch in den Wes- schaftler eine aufschlussreiche Lektüre. sen hat, füllen meist schmale Bücher, ten über, um sich allerdings auch dort und doch ist darin gewissermaßen das der Bürgerlichkeit zu verweigern und in er letzte Beitrag des Sammelban- ganze Universum »kleiner Leute« von der Hausbesetzerszene zu engagieren. des beschäftigt sich mit dem hin- den 1930er Jahren bis zur Jahrtausend- »Von der Utopie rede ich nur noch im D terlassenen Romanfragment »Die wende aufgehoben. Perfekt«, formulierte er in seinem »Flie- Seele der Männer«, in dem der Autor er- In ihrer nicht nur sehr detailreichen, genden Wechsel«, in dem er das Leben zählerisch auf seine Anfänge im »sozia- sondern auch nachfühlenden Biogra- in diesen beiden Welten beschreibt. listischen Alltag« zurückgreift. fi e von Klaus Schlesinger beschreibt die Die zehn Jahre, die ihm im wiederver- Das Autobiografi sche im Werk von Germanistin Astrid Köhler seinen Wer- einigten Deutschland blieben, das »Le- Klaus Schlesinger bezieht sich weniger degang. Schlesinger, 1937 in Berlin ge- ben nach ›Pest‹ und ›Cholera‹ Oder: Jen- auf die konkreten Vorgänge, sondern boren, bezeichnete seine frühe Erzie- seits der Alternativen« – wie Astrid Köh- auf das, was an Haltung und Motiven hung als die zu einem strammen klei- ler schreibt – waren keine Siegerjahre herauszulesen ist. Darüber hinaus – nen Nazi. Seine Jugendjahre, die Leh- … Eine Biografi e, die die autobiografi - also, seine Geschichten auf ihren au- re als Chemielaborant, der Start ins schen Notizen in seinen Geschichten tobiografi schen Gehalt hin zu lesen – Berufsleben werden als »Suche, Spiel und Schriften um viele private Angaben ist es durchaus spannend, wie genau und Selbsterprobung« wahrgenom- ergänzt und ein schlüssiges Bild über die Stimmungen der Zeit in ihnen ein- men. Erste Schreibversuche, Erprobun- den Autor und seine Zeit vermittelt. gefangen sind. Dass mancher Feuille- gen als Reporter und eine wache Neu- tonist dem Wanderer zwischen den gier bestimmten bald seinen Weg. Vor- reh- und Angelpunkt im Leben Welten gerade für seinen letzten Ro- gesetzte Antworten wie zum 17. Juni Klaus Schlesingers war immer Ber- man den Vorwurf machte, er romanti- 1953 und 1961 zum Mauerbau ließen je- D lin. Das war der Ausgangspunkt siere den Sozialismus in der DDR, weil doch Fragen offen, die Klaus Schlesin- für eine Tagung, die sich mit Leben und er ihm ein menschliches Antlitz ver- ger zunächst zaghaft und zunehmend Werk des Schriftstellers zehn Jahre nach passe, zeigt einmal mehr die Geradli- drängender stellte. Sein erster Roman, seinem Tod beschäftigte. Der vorliegen- nigkeit eines Unangepassten, der das »Michael«, brachte ihm Ende 1970 »so- de Band enthält acht Beiträge, die un- Träumen nicht verlernt hat. Der Buch- fort den ersehnten Durchbruch als Au- terschiedliche Aspekte der literarischen ausgabe, die erstmals 2003 erschien, tor«, wie die Biografi n schreibt. Er stieg Arbeiten von Schlesinger untersuchen, sind ältere Geschichten beigefügt. Ih- nicht nur in der DDR damit in die Riege immer aber auch zu dem Ergebnis kom- re Lektüre vervollständigt das Bild von der anerkannten Gegenwartsschriftstel- men, wie sehr diese mit der wechsel- dem Schriftsteller, der sich immer in ler auf, sondern wurde auch im Westen vollen Geschichte der Stadt verbunden der Pfl icht sah, ein gutes Stück Litera- wahrgenommen. sind. tur abzuliefern.

Astrid Köhler Daniel Argels Klaus Schlesinger Klaus Schlesinger Astrid Köhler Die Seele Die Biographie Jan Kostka (Hrsg.) der Männer (3) © Repro Aufbau Verlag Leben in Berlin – Roman und 400 Seiten Leben in vielen Welten Erzählungen 26,99 Euro be.bra Aufbau Taschen- wissenschaftverlag buch 180 Seiten 368 Seiten 19,95 Euro 11,99 Euro

DISPUT Mai 2012 46 rankreich hat gewählt und hat ei- im Trachtenjanker groß im Bild, wirbt mit nen neuen Präsidenten – einen dem Spruch »Heimische Landwirtschaft F links von Sarkozy. Noch aber weiß statt EU-Agrarknechtschaft«. Auffällig niemand, wie es weitergeht. Was ich steht im Bild: »reinrassig, echt«. Die weiß, ist aber, dass im ersten Wahlgang kleine braune Kuh, weit im Hintergrund, knapp 18 Prozent Marine Le Pen, also die im Ernstfall der Verharmlosung des ziemlich extrem rechts gewählt haben. Spruches dienen soll, sieht man kaum. Und ich weiß, dass Nicolas Sarkozy ver- So fesch, wie er ist, kann eigentlich nur sucht hat, diese Wähler/innen für den er gemeint sein. zweiten Wahlgang auf seine Seite zu zie- Aber warum erzähle ich das alles? Es hen – oder besser gesagt, ihnen entge- gibt wahrlich Schlimmeres. In Oslo läuft genzukommen. Weit hatte er es nicht, der Prozess gegen Anders Behring Brei- wenn er schon vor dem ersten Wahl- vik, der 77, in der Mehrzahl junge Men- gang meinte, in Frankreich lebten zu schen ermordet hat. Er fühlte sich er- viele Ausländer, die Grenzen Europas – wählt, Norwegen und Europa vor der Is- oder was er dafür hält – wären zu durch- lamisierung zu bewahren. Also musste lässig und deshalb müssten illegal Ein- was passieren. Die Tat eines Verrück- gereiste auch innerhalb der Schengen- ten? Seine Zurechnungsfähigkeit steht Freiheit gejagt werden, diese Freiheit vor dem Gericht auf dem Prüfstand. unter Umständen und zeitweilig auch Die Tat eines einzelnen? Die Schuld ei- eingeschränkt werden. Besonderen Ruf nes einzelnen ist jedenfalls festzustel- erwarb sich Nicolas len. Sarkozy, die FPÖ, Marine Le Pen, Sarkozy bei der Aus- die anderen sogenannten rechtspopu- © privat Von Rätern und Tätern weisung rumänischer listischen Parteien in Europa, die ha- Sinti und Roma. Da ben damit nichts zu schaffen. Europa pfi ff er ganz und gar retten, das geht anders: Also lobt man auf europäisches Bulgarien für seine Grenzbefestigungen Recht und erfreute zur Türkei. Da gibt es »mit Wärmebild- so rechte Gesinnung. und Infrarotkameras ausgestattete Hub- Dafür hat er durch- schrauber, mobile Röntgen-Busse oder Von Peter Porsch aus Rückhalt gefun- hochtechnische Radar-Überwachungs- den. Die französische türme, die jeden Zentimeter des Grenz- Rechte ist ihm jedoch ausgewichen. Sie raumes rund um die Uhr überwachen.« hält sich für das zukunftsträchtige Ori- (Krone, Graz 22.3.2012) Tote gab es an ginal dessen, was ihr Sarkozy angebo- dieser Grenze wohl noch nicht. Zumin- ten hat. Frankreich hat also einen neu- dest ist nichts bekannt. Im Mittelmeer en Präsidenten, die Mehrheit in der Ge- sieht das schon anders aus. Schuldige? sellschaft steht freilich rechts von ihm. »Wer die Quelle nicht kennt, kennt den Im österreichischen Innsbruck, der Fluss nicht«, sagen die Franzosen. Las- Hauptstadt Tirols, wurde unlängst eben- sen wir es sein, zu fragen, wovon sich falls gewählt – ein Oberbürgermeister. der Täter Breivik raten und leiten ließ. In die Stichwahl waren zwei Konserva- »Räter und Täter haben gleiche Pein«, tive gekommen, die derselben Partei meint allerdings ein deutsches Sprich- angehören. In der ersten Runde gab es wort. Wenden wir uns nur einmal noch einen Kandidaten, der warb zeitweilig Nicolas Sarkozy zu. Der ist 1955 in Pa- mit der Losung »Heimatliebe statt Ma- ris geboren als Sohn eines ungarischen rokkanerdiebe«. Drohende diplomati- Emigranten namens Pal Nagy-Bocsay sche Verwicklungen ließen die Losung Sarközy. Gefl üchtet aus Budapest vor schneller verschwinden, als dass es zur der Roten Armee im Jahre 1944, such- Wahl kam. Vergessen war sie bis zur te dieser Sarközy zunächst »Zufl ucht« Wahl natürlich nicht. Und der tirolische bei der Fremdenlegion, bevor er seinen Dem Stamm- Landesobmann jener Partei, die Frei- Sohn als Bürger Frankreichs zeugte. Der Kolumnisten heitliche Partei Österreichs, die dieses dankte es ihm mit einer Karriere, die bei André Brie Plakat eingesetzt hat, meinte nach dem Migranten ihresgleichen sucht. So weit, wünscht Rückzug süffi sant, wenn es die Marok- so gut: Aber es gibt noch einen Mann »DISPUT« kaner störte, könnten sie ja ihre Diebe namens Sarközy, mit Vornamen Rudolf. gründliche gerne in Österreich abholen. Das sagt Der wurde 1944 geboren, allerdings im Genesung – der Landeschef einer Partei, die sich an- KZ Lackenbach. Heute ist er Obmann alles Gute, schickt, mindestens den zweiten Platz des Kulturvereins österreichischer Roma lieber André! im österreichischen Parteienspektrum und Vorsitzender der Volksgruppen der einzunehmen. Sie ist auf dem besten Roma in Österreich. Für sein Wirken wur- Weg dahin mit deutlich über 20 Prozent de ihm der Professorentitel verliehen. Vorhersage und Losungen wie »Daham Zwei Männer gleichen Namens, aus Un- statt Islam«, »Deutsch statt nix verste- garn stammend. Die nicht ganz zufälli- hen«, »Heimatland in Heimathand«. Ein ge Namensgleichheit lehrt: Es existie- Kandidat der dazugehörigen »Freiheitli- ren noch Alternativen ganz anderer Art chen Bauernschaft«, ein fescher Bursch als bei Wahlen!

47 DISPUT Mai 2012 MAIKOLUMNE Auslese

Stefan Heym

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© btb Verlag 2011 944 Seiten 14,99 Euro ISBN 978–3–442– 74320–9

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