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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Sie nannten ihn Drella und John Cale erinnern sich an

Autor: Wolf Eismann Redaktion: Ellinor Krogmann Regie: Tobias Krebs

Sendung: Montag, 08.12.14 um 19.20 Uhr in SWR2

Wiederholung: Dienstag, 09.12.14 um 10.05 Uhr in SWR2

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Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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MANUSKRIPT

Musik: : All Tomorrows Parties

Lou: Nun ist er plötzlich tot.

John: Andy war immer für eine Überraschung gut.

Lou: Allerdings.

John: Bist du dabei gewesen, als mal so eine Gruppe von Jungs in die Factory kam? Alle so um die Zwanzig, denke ich. Andy hat sie dann gefragt – natürlich ganz schüchtern, wie es so seine Art war, ob sie vielleicht mal kurz ihre Hosen runterlassen könnten.

Lou: Was?

John: Er wollte ihre Genitalien fotografieren.

Beide lachen.

Lou: Ohne ihn wäre Velvet Underground jedenfalls nicht das, was es ist.

John: Was es war.

Lou: Oder was es war.

John: Velvet Underground. Produziert von Andy Warhol. Klingt, als wären wir Suppendosen.

Lou: Okay, ein wenig schon. Als hätte Andy uns erfunden.

Andy: Ich sehe es vor mir. Ihr Jungs ganz in schwarz gekleidet, singt eure Songs über Heroin und Sadomasochismus und so. – Und die kühle blonde Nico ganz in weiß. Ja, ich denke, Nico sollte bei euch singen. Wisst ihr, dass sie in Fellinis „La Dolce Vita“ mitgespielt hat? Sie ist ein ganz neuer Typ von Superstar. Bizarr und schweigsam.

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Ich werde euch managen. Ich werde euch einen Proberaum beschaffen und die gesamte technische Anlage finanzieren. Ich werde euch unterstützen. Und ich werde euch berühmt machen.

John: Womöglich hielten ihn manche für den Leadgitarristen.

Lou: Velvet Underground hat mich die ganzen Jahre verfolgt. Meine ganze verdammte Karriere lang. Wie oft hab ich drüber nachgedacht, die Band wieder zusammenzubringen. Aber gleichzeitig war mir irgendwie immer klar, dass das niemals passieren wird.

John: Ach, ja?

Lou: Ich glaube einfach nicht an zweite Aufgüsse.

John: Deine Solo-Karriere war dir damals schon wichtiger als unsere Band.

Lou: Blödsinn! Ich wollte einfach nicht mehr diese chaotische Musik spielen.

John: Du hattest dich auf die netten Songs eingeschworen, ja.

Lou: Wer hat schon Lust, laufend kommerzielle Flops zu produzieren. Natürlich wollte ich endlich mal Erfolg mit meiner Musik haben.

John: Deine Musik. Klar. Es war ja auch deine Band!

Lou: Habe ich nie behauptet!

John: Es ging uns doch darum, etwas Neues, Großes, Aufregendes zu schaffen.

Lou: Musik oder Chaos?

John: Avantgarde.

Musik: The Velvet Underground: The Black Angel’s Death Song

John Wir waren unserer Zeit eben voraus. Aber Velvet Underground sind jetzt im Kommen. Wir werden gerade wiederentdeckt. Zwanzig Jahre später!

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Lou: So what?

John: Okay. Ist alles lange her…

Stille.

Lou: Was macht Nico eigentlich?

John: Sie ist inzwischen clean. Wenn du das meinst.

Lou: Hast du noch Kontakt zu ihr?

John: Ich hab ihr letztes Album produziert. Ist jetzt auch schon wieder drei Jahre her…

Lou: Ohne Velvet Underground war Nico ein Niemand.

John: Ohne Nico waren wir ein Niemand.

Lou: Ach, ja?

John: Erinnere dich an die erste Story über Velvet Underground in der New York Times! Es ging nur um Nico. Und du warst da ganz schön angepisst.

Lou: Die Leute waren von uns schockiert. Wir waren die Blumen des Bösen. Nico präsentierte die schöne, anmutige Seite. Andy wusste, was er tat, als er uns Nico aufgedrängt hat.

John: Auch, wenn du anfangs…

Lou: Ja, auch wenn ich anfangs hätte kotzen können bei der Vorstellung, dass sie unsere Lieder singt.

Andy: Nico hat etwas Besonderes, denke ich. Baby Jane und Edie sind extrovertiert, amerikanisch, gesellig, lebhaft, redselig und all das. Nico ist bizarr. Ja. Sie ist bizarr und schweigsam. Du fragst sie irgendwas, und sie antwortet dir vielleicht fünf Minuten später. Sie ist geheimnisvoll und europäisch. Ein richtiger… ein Mondgöttin-Typ, ja.

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John: Es waren schon ausgeflippte Zeiten. Alles war so entsetzlich aufgesetzt und schamlos. Meistens stand ich bloß da, hab alles beobachtet – und hatte meinen Spaß.

Lou: Du hattest deinen Spaß? Du hast dich an den Rand gedrängt gefühlt.

John: Ich hab mich nicht an den Rand gedrängt gefühlt. DU warst es, der sich an den Rand gedrängt gefühlt hat. Aber du hattest selbst schuld. Du hast immer schon geglaubt, allein kämpfen zu müssen. Und dann hast du dich plötzlich ungerecht behandelt gefühlt. Aber du warst Andys Liebling.

Lou: Er hat mich inspiriert.

John: Er war eine verdammte Filzlaus.

Lou: Ja, er hat mich angetrieben. Aber er lieferte mir Ideen für Songs. Einmal sagte er zu mir: Schreib doch mal einen Song über Edie Sedgwick. Ich fragte ihn: Wie soll das denn aussehen? Und er sagte: Oh, glaubst du nicht, dass sie eine Femme fatale ist? Also schrieb ich „Femme Fatale“ und gab es Nico.

Musik: The Velvet Underground & Nico: Femme Fatale

John: Andy hat die Leute ausgetrickst. Jedem hat er gesagt: Du wirst ein Superstar. Er brachte sie soweit, dass sie wirklich alles gegeben haben. Bis sie nichts mehr hatten. So dass sie total von ihm abhängig waren. Und so konnte er sie alle bescheißen. Er machte sie kaputt. Es war Ausbeutung, sonst nichts. Edie Sedgwick nannte ihn eine sadistische Schwuchtel.

Lou: Drella.

John: Was?

Lou: Sie nannte ihn Drella. Alle nannten ihn Drella.

John: Ja, genau. Drella. Halb Cinderella. Und halb Dracula.

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Stille.

Lou: Erinnerst du dich noch an die Shows im St. Mark’s Place, 1966?

John: Klar, aber die Leute sind nicht wegen uns gekommen. Und auch nicht wegen Nico. Die kamen wegen Andy.

Andy: Come blow your mind. The Silver Dream Factory presents: The Exploding Plastic Inevitable with Andy Warhol, Velvet Underground and Nico.

Musik: The Velvet Underground: Heroin

John: Er saß oben auf der Balustrade und bediente den Projektor.

Lou: Salvador Dalí war da.

John: Zwischen all den sensationslüsternen Reichen, den Drogensüchtigen, all den so wahnsinnig Verzweifelten…

Lou: Zwischen all den wunderschönen Mädchen und hübschen Knaben…

John: Und Andy saß da oben am Projektor und zeigte diesen echt abgedrehten Film. Seine Version von „Clockwork Orange“, wie er gesagt hat. In der sie einen Typen an einen Stuhl gefesselt haben und Zigaretten auf ihm ausdrücken und… - Was weiß ich…! Jedenfalls echt perverses Zeug.

Lou: Andy wollte damals nur noch Filme drehen. Er hatte vorher sogar öffentlich erklärt, dass er keine Kunst mehr machen will. Nur noch Filme drehen.

John: Er wollte Hollywood erobern. Hat aber nicht funktioniert.

Lou: Ich denke, er hatte einfach gerade keine Idee für eine neue Ausstellung.

John: Hat er zu der Zeit nicht seine Kuhköpfe bei Leo Castelli präsentiert…?!

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Lou: Ja, aber weißt du, wie das zustande kam? Andy hatte den Assistenten von Castelli gefragt, was er denn mal so malen könnte. Und der hat zu ihm gesagt, er soll doch mal was Ländliches malen. Keiner malt mehr was Ländliches. Mit Kühen oder so. Und da hat Andy diese Kuhtapete gemacht. Da sehen Sie mal, wie praktisch Pop-Kunst sein kann, hat er dann zum verdutzten Publikum gesagt.

John: Und nebenan schwebten diese mit Helium gefüllten Silberkissen im Raum…

Lou: Genau. Silver Clouds nannte er sie.

Stille.

Lou: Überall waren seine Kühe nachher zu sehen. Auf Mousepads, Kaffeetassen, Einwegfeuerzeuge…

John: Ich habe überlegt, ein Requiem für ihn zu schreiben.

Lou: Nicht dein Ernst!

John: Julian Schnabel hat mich auf die Idee gebracht.

Stille.

Lou: Die Factory war ein seltsamer Ort.

John: Kann man wohl sagen…! Aber du hast dich dort offensichtlich ziemlich wohl gefühlt.

Lou: Eine Zeitlang schon. Aber dann… - Irgendwann gefiel mir das alles nicht mehr. Also bin ich nicht mehr hin. Andy hat mich angefleht zurückzukommen. Ich wollte aber nicht. – Er hat Tagebuch geführt, weißt du. Ich wollte nicht, dass die Leute später alle Dinge, über die wir miteinander gesprochen hatten, in diesem Tagebuch wiederfinden würden. Er hat ja alles auf Band aufgenommen. Jede Unterhaltung. Überhaupt: Immer musste alles nach seiner Pfeife tanzen.

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John: Alle Menschen sollten dasselbe Gesicht und denselben Namen haben. Hat er mal gesagt.

Andy: Ich verliebe mich immer in Menschen, die so aussehen, wie ich gern aussehen würde. Aber… Ich meine, wenn wir alle gleich aussehen würden, dann gäbe es doch viel weniger Ärger. Wir wären nicht mehr so aufeinander eifersüchtig, oder?

Lou: Faces and names, I wish they were the same…

Musik: Lou Reed & John Cale: Faces And Names

Faces and names, I wish they were the same / Faces and names only cause trouble for me / Faces and names / If we all looked the same and we all had the same name / I wouldn't be jealous of you or you jealous of me / Faces and names / I always fall in love with someone who looks / The way I wish that I could be

Lou: Lass uns das Requiem zusammen schreiben. Als Erinnerung an alte Zeiten.

Musik aufblenden, dann aus.

John: Weißt du eigentlich etwas über seine Kindheit?

Lou: Wieso?

John: Wir sollten einen Song über seine Kindheit dabei haben. Findest du nicht?

Lou: Soweit ich weiß, kam er aus Pittsburgh.

John: Pittsburgh…? Komisch. Für mich gehört er einfach zu New York. Ich hätte schwören können…

Lou: Das ist es vielleicht. Wenn du in einer Kleinstadt aufwächst, denkst du doch: Ich kann nichts Besonderes sein. Wer kommt schon aus Pittsburgh? Da kommen keine wirklich großen Leute her. Kein Picasso, kein Michelangelo, kein Dalí…

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John: Richtig: So etwas kommt nicht aus einem Kaff wie Pittsburgh.

Lou: Und er hatte Pickel, war kurzsichtig… Außerdem war er schwul und übergewichtig. - Keine Chance!

John: Keine Chance.

Musik: Lou Reed & John Cale: Smalltown

When you're growing up in a small town / when you're growing up in a small town / when you're growing up in a small town / you say, no one famous ever came from here / Where did Picasso come from /there's no Michelangelo coming from Pittsburgh / if art is the tip of the iceberg / I'm the part sinking below

John: Ja, klar, Mann. Er war ein Außenseiter. Klar musste er raus aus Pittsburgh. Wenn du schwul bist, musst du nach New York.

Lou: Das waren die 50er Jahre. Da hatte man es als Schwuler auch in New York nicht leicht. Homosexualität war verboten, und auf der Straße hat man immer mit der Angst gelebt, verprügelt oder von der Polizei aufgegriffen zu werden.

John: Okay, das macht wahrscheinlich ziemlich einsam. Selbst in New York.

Lou: Andy hat mal gesagt: Ich habe eine Liebesbeziehung mit meinem Fernseher.

Andy: Weißt du, ich habe eine Liebesbeziehung mit meinem Fernseher.

Lou: Oh, er hat wohl echt wahnsinnig viel vor der Glotze gehockt. Vor allem Werbung hat er geliebt…!

Andy: Hier: meine erste Art-Director’s-Club-Goldmedaille. Hab ich 1953 bekommen. Ist so eine Art Oscar der Werbebranche. Für einen jungen Matrosen, den ich gezeichnet hatte. Er liegt auf den Knien und spritzt sich Heroin in den Arm. Die Zeichnung war für eine Werbung in der New York Times. Eine volle Seite. Für eine Radiosendung über Verbrechen und so. Hat damals viel Aufsehen erregt, denke ich. 9

Lou: All seine Probleme mit anderen Menschen hat er über seine Arbeit kompensiert. Das Wichtigste ist Arbeit, hat er immer gesagt. Das Wichtigste auf der Welt ist Arbeit. Er hat ständig gearbeitet. Sein ganzes Leben war Arbeit. Und dasselbe erwartete er eben auch von allen anderen. Wenn wir uns getroffen haben, hat er mich gefragt: Wie viele neue Songs hast du geschrieben. Ich hab ihm dann vielleicht gesagt: zehn. In Wirklichkeit hatte ich nicht einen einzigen geschrieben. Aber ich sagte: zehn. Und er hat geantwortet: Du solltest längst 15 neue Songs geschrieben haben. – Er hat mich angetrieben. Er hat alle angetrieben. Am meisten sich selbst.

Musik: Lou Reed & John Cale: Work

The most important thing is work /No matter what I did it never seemed enough / He said I was lazy, I said I was young / He said, "how many songs did you write?" / I'd written zero, I'd lied and said, "ten." / "You won't be young forever / You should have written fifteen." / It's work, the most important thing is work / It's work, the most important thing is work

John: War er nicht eigentlich ein total unglücklicher Mensch? Ich meine, warum war ihm denn die Arbeit so wichtig? Weil er sonst nichts hatte in seinem Leben.

Lou: Aber er war ein Genie.

John: All die Leute, die sich in seiner Factory um ihn geschart haben: Waren das seine Freunde? Haben die ihn um seiner selbst willen geliebt? Oder wollten sie nur reich und berühmt werden?

Andy: Sieh dir das Bild hier an. Elvis, in seiner Hollywood-Zeit. Als Westernheld. Ein Siebdruck von mir. Schon ein paar Jahre alt. Aber. Was ich dir damit sagen will: Ich werde aus dir einen neuen Elvis machen. Ich werde auch Filme mit dir drehen. Elvis-Presley-Filme. Aber Lou-Reed-Filme natürlich. Lou in Hawaii. Lou in der Armee, Lou als Halbblut. Du wirst ein Star, glaube mir! 10

Lou: Andy hatte Durchhaltevermögen und Ehrgeiz. Er hatte es weiß Gott nie leicht. Anfangs wurde er von vielen verlacht und verhöhnt. Aber er hat trotzdem weitergemacht. Er war stark. Aber er war auch verletzlich. Er hat sich mit all diesen Menschen umgeben, weil er schüchtern war. Sie waren sein Schutzwall. Klar wollten sie alle reich und berühmt werden. Auf gewisse Art wurde Andy von ihnen benutzt, und andererseits benutzte er sie natürlich auch. Eigentlich eine faire Sache.

John: Viele sind auf der Strecke geblieben. Edie Sedgwick, … - Ich weiß nicht, wer noch alles.

Lou: Valerie Solanas- die Bittere!

John: „Mit Andy zu reden ist so, als ob man mit einem Stuhl redet", hat sie mir einmal gesagt.

Lou: Ich denke, sie wollte Anteilnahme. Sie wollte weitaus mehr, als Andy ihr zu geben imstande war. Und in letzter Verzweiflung hat sie dann auf ihn geschossen.

John: Sie hat gespürt, dass man ihm niemals wirklich näherkommen konnte. Sie wollte mehr als diese unverbindliche Aufmerksamkeit.

Lou: Sie wollte zu viel von ihm. Sie wollte einfach zu viel.

Andy: Die Leute sagen, dass ich selbst Schuld habe. Weil die Factory immer für alle offensteht. Jeder kann hier reinkommen. Soll ich denn die Türen verschließen? Wenn ich hier in Angst leben muss, woher soll ich dann meine Ideen bekommen? Wenn die ganzen verrückten Leute nicht mehr um mich herum sind, was wird dann aus mir? Und aus der Factory? Ich brauche das alles. Sonst kann ich nicht arbeiten.

Musik: Lou Reed & John Cale: Open House

Please come over to 81st street, I'm in the apartment, above the bar / You know you can't miss it, it's across from the subway / And the tacky store with the Mylar scarves / My skin's as pale as the outdoor's moon /

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My hair's silver like a tiffany watch / I like lots of people around me but don't kiss hello / And please don't touch / It's a Czechoslovakian custom my mother passed on to me / The way to make friends, Andy, is invite them up for tea / Open house, open house

John: Womit hat es eigentlich angefangen? Ich meine, sein Erfolg als Künstler. Mit welchem Bild? Was war zuerst da? Die Suppendose oder Marilyn? Die Brillo Box oder Elvis?

Lou: Ich weiß es nicht genau. Ich hab mal gehört, dass er ziemlich zu Anfang zwei Coca-Cola-Flaschen gemalt hatte. Beide ungefähr eins achtzig hoch. Die eine nur in schwarzweiß, die andere ziemlich expressionistisch. Eigentlich wollte er solche Konsumartikel einfach möglichst naturgetreu nachmalen, aber er hatte wohl Angst, dass man ihn wieder nur als Gebrauchsgraphiker abstempeln würde.

Andy: Es heißt immer, die Zeit verändert alles. Dabei musst du selbst alles verändern. Ich fange mit Pop Art an. Den abstrakten Expressionismus hasse ich. Ich hasse ihn! Nur auf Reklame kommt es an. Reklame für Perücken. Für Nasenoperationen. TV-Geräte. Konservendosen. Das Simpelste, das Dümmste, das Billigste ist gerade gut genug. Ich hab im Kunstunterricht gelernt, eine Obstschale auf dem Esstisch zu zeichnen. Aber viel lieber hätte ich die Dose mit der Campbell’s Tomatensuppe aus der Speisekammer meiner Mom gemalt. Oft hat sie zum Mittagessen eine Campbell’s-Dose für mich aufgemacht, weil wir uns nichts anderes leisten konnten. Aber ich habe das geliebt. Ich mag sie eigentlich noch immer. Bis zum heutigen Tag.

Lou: Ich denke, das Besondere war die Wiederholung. Das wurde sein Markenzeichen.

John: Du meinst den Siebdruck?

Lou: Ja, auch. Aber auch vor Andy haben schon viele Künstler ein und denselben Gegenstand öfter gemalt. Dann aber immer aus einem anderen Blickwinkel. Weil sie geglaubt haben, ein Kunstwerk verliert an Wert, wenn man es auf immer dieselbe Art und Weise malt. 12

Ich meine, wie eine Reproduktion. Aber genau das hat Andy gemacht. Er hat die Kunst… auf gewisse Weise industrialisiert.

Andy: Gerade einfache Leute mögen meine Bilder. Intelligente Leute brauchten Jahre dazu, sich mit der abstrakt-expressionistischen Malerei anzufreunden, und ich schätze, es fällt Intellektuellen schwer, meine Arbeit als Kunst anzusehen. Mich hat noch nie ein Gemälde berührt. Ich möchte nicht nachdenken. Wir könnten in der Welt besser leben, wenn wir alle Maschinen wären. Am Ende ist es ja doch nichts. Es spielt keine Rolle, was jemand tut. Meine Arbeiten halten sowieso nicht lange. Ich habe billige Farbe benutzt.

John: Hast du “Chelsea Girls” mal gesehen?

Lou: Den Film? Ist lange her.

John: Ich habe ihn nicht gesehen. Mir war das Ding einfach zu lang! Sechs Stunden, oder?

Lou: Andy hat den Film nachher um die Hälfte gekürzt. Ohne auch nur einen Meter Material rauszuschneiden.

John: Aha. Und wie?

Lou: Er hat ihn halbiert und beide Teile nebeneinander gleichzeitig gezeigt. Der Ton wechselte dann immer wieder hin und her. Genial, oder?

John: Wie soll man denn dann der Handlung noch folgen?

Lou: Es gab sowieso keine richtige Handlung. Der Film bestand einfach aus verschiedenen kurzen Episoden, die Andy aneinandergereiht hatte. Da sind zum Beispiel zwei Typen, die sich mit ein paar Prostituierten amüsieren wollen. Der eine von den beiden steht auf SM, aber er kriegt keinen mehr hoch. Er kriegt ihn einfach nicht mehr hoch. Alkohol und Drogen haben ihn impotent gemacht, verstehst du? Und dann essen sie eben einfach eine Nektarine.

John: Eine Nektarine?

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Lou: Eine Nektarine. – Dann gibt es da einen Typen, der immer wieder behauptet, dass er ein Priester sei. Er will einer Frau unbedingt die Beichte abnehmen, was im totalen Chaos endet. Sie bekommt einen Tobsuchtsanfall, und am Schluss setzt sich dieser Priester einen Schuss Heroin und quatscht was von Coca-Cola.

John: Abgedreht. - Ich hab die späteren Filme gesehen. Die allein gemacht hat. Nicht alle. Aber einige. „Flesh“, „Trash“…

Lou: Die mit .

John: Ja, genau. Underground-Filme. Damit kann man in Hollywood keinen Blumentopf gewinnen.

Lou: Aber sie hatten in gewisser Weise ihre Stars. , Baby Jane Holzer, Viva, Ultra Violet… - und Joe Dallesandro natürlich. Es sind Filme aus den Straßen von New York. Ich meine, Filme mit echten Menschen. Klar, total improvisiert. Dilettantisch. Aber: bewusst dilettantisch. Du bekommst, was du siehst.

Musik: Lou Reed & John Cale: Starlight

Starlight open wide, starlight open up you door / This is new york calling with movies on the street / Movies with real people, what you get is what you see / Starlight open wide, andy's cecil b. demille / Come on l.a. give us a call / We've got superstars who talk, they'll do anything at all / Ingrid, viva, little joe, baby jane, and eddie s. / But you better call us soon before we talk ourselves to death.

John: Sag, was du willst, aber: Andy war kein Filmemacher. Genauso wenig wie er ein Musikproduzent war. Er war damit doch völlig überfordert. – Und wir haben gerade noch rechtzeitig den Absprung geschafft.

Lou: Ach, komm…! Er hatte immer gute Ideen. Er war inspirierend. Wir haben nie wirklich versucht, ihn zu verstehen. Wir haben immer nur an uns gedacht. An uns und unsere Karriere.

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John: Ja, klar! Er hat ja auch immer nur an sich gedacht. Und an seine Karriere. Irgendwie war er doch so eine Art Walt Disney des Underground. Und du warst auf dem besten Weg, seine Mickey Mouse zu werden.

Lou: Ich hab ihn kurz vor seinem Tod noch im Fernsehen gesehen. Er war nach Mailand gereist, wo seine Version von Leonardos Abendmahl zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde. In irgendeinem italienischen Palazzo. Ein Wahnsinn! Tausende von Menschen drängelten sich um ihn herum. Fernsehteams und Fotografen, all die Schönen und die Reichen. Und wahrscheinlich auch ein paar Kunstliebhaber. Und dazwischen Andy. Schweigsam, schmächtig, schmal, brüchig, fast wie aus Porzellan... – Und ausgerechnet das Abendmahl. Ich hab gedacht: Irgendwie ist Andy ja so eine Art Jesus der Kunstwelt. Ständig von seinen Aposteln umgeben, all diesen „Superstars“, die er in seiner Factory um sich geschart hatte. Und dann dieser überraschende, dieser eigentlich vollkommen lächerliche Tod.

John: Lächerlich?

Lou: Kein Mensch stirbt an einer läppischen Gallenblasen-Operation. Oder? Immerhin hatte er vorher drei Schüsse aus der Pistole von Valerie Solanas überlebt!

John: Er war längst nicht mehr der Künstler, der er einmal gewesen ist. Er war mehr so etwas wie der Hofmaler der New Yorker Society.

Lou: Mag sein. Aber er war trotzdem ein Genie.

Stille.

John: Wieviel Songs haben wir?

Lou: Ein gutes Dutzend, denke ich. Warte… - Vierzehn insgesamt.

John: Genug für ein Requiem, oder?

Lou: Ich denke schon.

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John: Okay, dann war’s das erst mal?

Lou: Ja. Wir treffen uns im Studio.

John: Alles klar. Ich will dann mal los… - Bis dann also.

Lou: Bis dann.

Eine Tür schlägt zu.

Lou: Hey, Andy! Ich bin’s. Gut siehst du aus! Ja, okay, ist ein älteres Foto…! Hab dich eben lange nicht gesehen. Ich wünschte, ich hätte mehr mit dir geredet, als du noch am Leben warst. Ich vermisse dich.

Musik: Lou Reed & John Cale: Hello It’s Me

Andy, it's me, haven't seen you in a while /I wished I talked to you more when you were alive / I thougt you were self-assured when you acted shy/ Hello it's me / I really miss you, I really miss your mind / I havn't heard ideas like that in such a long, long time / I loved to watch you draw and watch you paint / But when I say you last I turned away…

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