2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Sie nannten ihn Drella Lou Reed und John Cale erinnern sich an Andy Warhol Autor: Wolf Eismann Redaktion: Ellinor Krogmann Regie: Tobias Krebs Sendung: Montag, 08.12.14 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 09.12.14 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ 1 MANUSKRIPT Musik: The Velvet Underground: All Tomorrows Parties Lou: Nun ist er plötzlich tot. John: Andy war immer für eine Überraschung gut. Lou: Allerdings. John: Bist du dabei gewesen, als mal so eine Gruppe von Jungs in die Factory kam? Alle so um die Zwanzig, denke ich. Andy hat sie dann gefragt – natürlich ganz schüchtern, wie es so seine Art war, ob sie vielleicht mal kurz ihre Hosen runterlassen könnten. Lou: Was? John: Er wollte ihre Genitalien fotografieren. Beide lachen. Lou: Ohne ihn wäre Velvet Underground jedenfalls nicht das, was es ist. John: Was es war. Lou: Oder was es war. John: Velvet Underground. Produziert von Andy Warhol. Klingt, als wären wir Suppendosen. Lou: Okay, ein wenig schon. Als hätte Andy uns erfunden. Andy: Ich sehe es vor mir. Ihr Jungs ganz in schwarz gekleidet, singt eure Songs über Heroin und Sadomasochismus und so. – Und die kühle blonde Nico ganz in weiß. Ja, ich denke, Nico sollte bei euch singen. Wisst ihr, dass sie in Fellinis „La Dolce Vita“ mitgespielt hat? Sie ist ein ganz neuer Typ von Superstar. Bizarr und schweigsam. 2 Ich werde euch managen. Ich werde euch einen Proberaum beschaffen und die gesamte technische Anlage finanzieren. Ich werde euch unterstützen. Und ich werde euch berühmt machen. John: Womöglich hielten ihn manche für den Leadgitarristen. Lou: Velvet Underground hat mich die ganzen Jahre verfolgt. Meine ganze verdammte Karriere lang. Wie oft hab ich drüber nachgedacht, die Band wieder zusammenzubringen. Aber gleichzeitig war mir irgendwie immer klar, dass das niemals passieren wird. John: Ach, ja? Lou: Ich glaube einfach nicht an zweite Aufgüsse. John: Deine Solo-Karriere war dir damals schon wichtiger als unsere Band. Lou: Blödsinn! Ich wollte einfach nicht mehr diese chaotische Musik spielen. John: Du hattest dich auf die netten Songs eingeschworen, ja. Lou: Wer hat schon Lust, laufend kommerzielle Flops zu produzieren. Natürlich wollte ich endlich mal Erfolg mit meiner Musik haben. John: Deine Musik. Klar. Es war ja auch deine Band! Lou: Habe ich nie behauptet! John: Es ging uns doch darum, etwas Neues, Großes, Aufregendes zu schaffen. Lou: Musik oder Chaos? John: Avantgarde. Musik: The Velvet Underground: The Black Angel’s Death Song John Wir waren unserer Zeit eben voraus. Aber Velvet Underground sind jetzt im Kommen. Wir werden gerade wiederentdeckt. Zwanzig Jahre später! 3 Lou: So what? John: Okay. Ist alles lange her… Stille. Lou: Was macht Nico eigentlich? John: Sie ist inzwischen clean. Wenn du das meinst. Lou: Hast du noch Kontakt zu ihr? John: Ich hab ihr letztes Album produziert. Ist jetzt auch schon wieder drei Jahre her… Lou: Ohne Velvet Underground war Nico ein Niemand. John: Ohne Nico waren wir ein Niemand. Lou: Ach, ja? John: Erinnere dich an die erste Story über Velvet Underground in der New York Times! Es ging nur um Nico. Und du warst da ganz schön angepisst. Lou: Die Leute waren von uns schockiert. Wir waren die Blumen des Bösen. Nico präsentierte die schöne, anmutige Seite. Andy wusste, was er tat, als er uns Nico aufgedrängt hat. John: Auch, wenn du anfangs… Lou: Ja, auch wenn ich anfangs hätte kotzen können bei der Vorstellung, dass sie unsere Lieder singt. Andy: Nico hat etwas Besonderes, denke ich. Baby Jane und Edie sind extrovertiert, amerikanisch, gesellig, lebhaft, redselig und all das. Nico ist bizarr. Ja. Sie ist bizarr und schweigsam. Du fragst sie irgendwas, und sie antwortet dir vielleicht fünf Minuten später. Sie ist geheimnisvoll und europäisch. Ein richtiger… ein Mondgöttin-Typ, ja. 4 John: Es waren schon ausgeflippte Zeiten. Alles war so entsetzlich aufgesetzt und schamlos. Meistens stand ich bloß da, hab alles beobachtet – und hatte meinen Spaß. Lou: Du hattest deinen Spaß? Du hast dich an den Rand gedrängt gefühlt. John: Ich hab mich nicht an den Rand gedrängt gefühlt. DU warst es, der sich an den Rand gedrängt gefühlt hat. Aber du hattest selbst schuld. Du hast immer schon geglaubt, allein kämpfen zu müssen. Und dann hast du dich plötzlich ungerecht behandelt gefühlt. Aber du warst Andys Liebling. Lou: Er hat mich inspiriert. John: Er war eine verdammte Filzlaus. Lou: Ja, er hat mich angetrieben. Aber er lieferte mir Ideen für Songs. Einmal sagte er zu mir: Schreib doch mal einen Song über Edie Sedgwick. Ich fragte ihn: Wie soll das denn aussehen? Und er sagte: Oh, glaubst du nicht, dass sie eine Femme fatale ist? Also schrieb ich „Femme Fatale“ und gab es Nico. Musik: The Velvet Underground & Nico: Femme Fatale John: Andy hat die Leute ausgetrickst. Jedem hat er gesagt: Du wirst ein Superstar. Er brachte sie soweit, dass sie wirklich alles gegeben haben. Bis sie nichts mehr hatten. So dass sie total von ihm abhängig waren. Und so konnte er sie alle bescheißen. Er machte sie kaputt. Es war Ausbeutung, sonst nichts. Edie Sedgwick nannte ihn eine sadistische Schwuchtel. Lou: Drella. John: Was? Lou: Sie nannte ihn Drella. Alle nannten ihn Drella. John: Ja, genau. Drella. Halb Cinderella. Und halb Dracula. 5 Stille. Lou: Erinnerst du dich noch an die Shows im St. Mark’s Place, 1966? John: Klar, aber die Leute sind nicht wegen uns gekommen. Und auch nicht wegen Nico. Die kamen wegen Andy. Andy: Come blow your mind. The Silver Dream Factory presents: The Exploding Plastic Inevitable with Andy Warhol, Velvet Underground and Nico. Musik: The Velvet Underground: Heroin John: Er saß oben auf der Balustrade und bediente den Projektor. Lou: Salvador Dalí war da. John: Zwischen all den sensationslüsternen Reichen, den Drogensüchtigen, all den so wahnsinnig Verzweifelten… Lou: Zwischen all den wunderschönen Mädchen und hübschen Knaben… John: Und Andy saß da oben am Projektor und zeigte diesen echt abgedrehten Film. Seine Version von „Clockwork Orange“, wie er gesagt hat. In der sie einen Typen an einen Stuhl gefesselt haben und Zigaretten auf ihm ausdrücken und… - Was weiß ich…! Jedenfalls echt perverses Zeug. Lou: Andy wollte damals nur noch Filme drehen. Er hatte vorher sogar öffentlich erklärt, dass er keine Kunst mehr machen will. Nur noch Filme drehen. John: Er wollte Hollywood erobern. Hat aber nicht funktioniert. Lou: Ich denke, er hatte einfach gerade keine Idee für eine neue Ausstellung. John: Hat er zu der Zeit nicht seine Kuhköpfe bei Leo Castelli präsentiert…?! 6 Lou: Ja, aber weißt du, wie das zustande kam? Andy hatte den Assistenten von Castelli gefragt, was er denn mal so malen könnte. Und der hat zu ihm gesagt, er soll doch mal was Ländliches malen. Keiner malt mehr was Ländliches. Mit Kühen oder so. Und da hat Andy diese Kuhtapete gemacht. Da sehen Sie mal, wie praktisch Pop-Kunst sein kann, hat er dann zum verdutzten Publikum gesagt. John: Und nebenan schwebten diese mit Helium gefüllten Silberkissen im Raum… Lou: Genau. Silver Clouds nannte er sie. Stille. Lou: Überall waren seine Kühe nachher zu sehen. Auf Mousepads, Kaffeetassen, Einwegfeuerzeuge… John: Ich habe überlegt, ein Requiem für ihn zu schreiben. Lou: Nicht dein Ernst! John: Julian Schnabel hat mich auf die Idee gebracht. Stille. Lou: Die Factory war ein seltsamer Ort. John: Kann man wohl sagen…! Aber du hast dich dort offensichtlich ziemlich wohl gefühlt. Lou: Eine Zeitlang schon. Aber dann… - Irgendwann gefiel mir das alles nicht mehr. Also bin ich nicht mehr hin. Andy hat mich angefleht zurückzukommen. Ich wollte aber nicht. – Er hat Tagebuch geführt, weißt du. Ich wollte nicht, dass die Leute später alle Dinge, über die wir miteinander gesprochen hatten, in diesem Tagebuch wiederfinden würden. Er hat ja alles auf Band aufgenommen. Jede Unterhaltung. Überhaupt: Immer musste alles nach seiner Pfeife tanzen. 7 John: Alle Menschen sollten dasselbe Gesicht und denselben Namen haben. Hat er mal gesagt. Andy: Ich verliebe mich immer in Menschen, die so aussehen, wie ich gern aussehen würde. Aber… Ich meine, wenn wir alle gleich aussehen würden, dann gäbe es doch viel weniger Ärger. Wir wären nicht mehr so aufeinander eifersüchtig, oder? Lou: Faces and names, I wish they were the same… Musik: Lou Reed & John Cale: Faces And Names Faces and names, I wish they were the same / Faces and names only cause trouble for me / Faces and names / If we all looked the same and we all had the same name / I wouldn't be jealous of you or you jealous of me / Faces and names / I always fall in love with someone who looks / The way I wish that I could be Lou: Lass uns das Requiem zusammen schreiben.
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