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Deichrückverlegung Lenzen-Wustrow – Geschichte und Umsetzung im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes History and Implementation of the Lenzen-Wustrow Dike Relocation Dr. rer. nat. Christian Damm, KIT-WWF Auen-Institut, Rastatt

Die Deichrückverlegung Lenzen-Wustrow hat eine a few individual regional actors, and was continuously längere Vorgeschichte, die zum einen auf die hydrau- extended, receiving support from various funding and lischen Probleme an der -Engstelle und der be- research projects. Over the years it met with increasing nachbarten engen Flussbiegung zurückgeht, später auf approval and finally brought about the implementation die regionalen Bestrebungen von Landwirtschaft und of the federally funded large-scale conservation pro- Naturschutz, nach der politischen Wende die Potenzi- ject in the Elbe valley floodplains near Lenzen. The dike ale der Auenlandschaft im Biosphärenreservat Fluss- relocation became the central measure of the project. landschaft Elbe- einvernehmlich zu ent- It was by this measure only that the desired restora- wickeln. Dieser von einigen wenigen begonnene und tion of the floodplain to its original state and function kontinuierlich ausgebaute Prozess verlief über diverse could be achieved.Special attention was given to the Förder- und Forschungsvorhaben, gewann über die re-establishment of alluvial forest. This project was ex- Jahre immer mehr Zustimmung und führte letztlich auch emplary in that it was a joint effort to realize the aims zur Realisierung des bundesgeförderten Naturschutz- of nature conservation, flood protection and agriculture großprojektes Lenzener Elbtalaue, welches die Deich- as well as other objectives. This paper gives a detailed rückverlegung bei Lenzen als zentrale Maßnahme be- description of the project history and its implementation inhaltete. Nur durch diese Rückverlegung des Deiches as part of the large-scale conservation project. konnte die angestrebte flächenhafte Wiederherstellung von Ausgangsbedingungen für eine naturnahe, funktio- nal weitgehend intakte Auenlandschaft gelingen, in der 1 Projektgeschichte dem Auwald besonderes Augenmerk geschenkt wur- Project history de. Damit konnten in diesem Projekt Ziele von Natur- schutz, Hochwasserschutz, Landwirtschaft und weitere Die Geschichte der Deichrückverlegung bei Lenzen be- in beispielhafter Weise gemeinsam verwirklicht werden. ginnt im weitesten Sinne schon im Jahr 1898 mit der Der vorliegende Artikel beschreibt die Geschichte des mahnenden Feststellung der königlichen Elbstromver- Projektes und seine Umsetzung im Rahmen und aus waltung, dass eine Deichengstelle zwischen der ehe- der Perspektive des Naturschutzgroßprojektes. maligen Lenzener Fähre (El-km 479,5) und dem Garto- wer Elbholz (El-km 483,5) besteht (Elbstromwerk, 1898). The relocation of the Lenzen-Wustrow dike has a long Die problematische flussnahe linksseitige Deichfüh- history. Originally, the hydraulic problems occurring rung wurde in den 1950er-Jahren durch das Land Nie- at the Elbe bottleneck and the adjacent narrow river dersachsen im Rahmen der Deichsanierung beseitigt. bend were the reasons for first considerations on the Zu weiteren Überlegungen einer Deichrückverlegung case. Subsequently, the political turnaround triggered kam es erst viel später im Rahmen von Betrachtungen regional activities in the field of agriculture and nature zur Kompensation von Wasserspiegelerhöhungen in- conservation with the aim to utilize and promote the folge des geplanten Abschlusses von Nebenflussmün- development potential of the floodplains in the Bio- dungen. So wurden in den 1960er-Jahren in der For- sphere Reserve “River Landscape Elbe-Brandenburg”. schungsanstalt für Schifffahrt, Wasser- und Grundbau The process of the relocation project was initiated by (FAS) in Potsdam-Marquardt Überlegungen zu Deich-

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rückverlegungen an der Elbe angestellt, in denen u. a. damals noch zu Mecklenburg gehörende Naturpark für den „Bösen Ort“ bei Lenzen eine ca. 70 Hektar Mecklenburgische Elbtalaue (heute: Biosphärenreser- große Rückverlegung des Deiches um ca. 200 m bis vat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg). In enger Zu- 250 m enthalten war (siehe Bild 1). Eine Realisierung ist sammenarbeit entwickelten dessen damaliger Leiter Dr. aber vor allem aus finanziellen Gesichtspunkten nicht Frank Neuschulz (†) und der Landwirt und Vorsitzende weiter verfolgt worden. des landwirtschaftlichen Großbetriebes, Horst Möhring, die genannten Ideen weiter. Auch der Präsident des Erst knapp 30 Jahre später wurde das Thema, dies- brandenburgischen Landesumweltamtes (heute: LUGV mal allerdings von anderer Seite, wieder aufgegriffen. – Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbrau- In den turbulenten Zeiten nach dem Fall der Mauer cherschutz), Prof. Matthias Freude, konnte ebenfalls konnten und mussten in vielen Regionen neue Wege schnell für das Vorhaben gewonnen werden. beschritten werden. In Lenzen trafen frühzeitig Ver- Dabei wurde von vornherein die Entwicklung einer treter aus Naturschutz und Landwirtschaft zusammen. naturnahen Auenlandschaft als Integration von Kultur- Der örtliche landwirtschaftliche Großbetrieb (bewirt- landschaft und Naturlandschaft verstanden, was mit schaftete Fläche heute knapp 3.600 Hektar) ergriff die der Ausweisung von Naturpark und Biosphärenreser- Chance, mit einer ökologischen Ausrichtung lokales vat konsequent fortgesetzt wurde. Der überregional wirtschaftliches Handeln und die naturschutzorien- weitgehend verloren gegangene Auenwald gehörte tierten Bestrebungen der Regionalentwicklung in der an zentraler Stelle zu den Überlegungen. Vor dem Hin- Elbtalaue zu verbinden und dieses mit fachkompe- tergrund der sehr begrenzten Flächen an rezenter Aue tenten Experten aus Wissenschaft, Verwaltung sowie war damit von Beginn an die Idee einer Deichrückverle- Landes- und Bundesbehörden zu diskutieren. Auch gung verbunden. erste Ideen zur Entwicklung der Flusslandschaft wur- den erörtert, wobei die Möglichkeiten zur Auwaldwie- Das so ungewöhnliche wie für das Projekt bedeutsame derherstellung und Deichverlegung unter anderem Er- Engagement der Landwirtschaft für die Sache ging auch wähnung fanden. Es entstand in dieser Zeit auch der auf die lokale Erfahrung von 14.000 Hektar umfassender

Bild 1: Varianten der rückverlegten Deichlinien im Verlauf der Projektgeschichte Figure 1: Dike route variants considered in the project's history

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und bei Weitem nicht nur erfolgreicher Meliorations- wertet, während einer Deichrückverlegung anfangs maßnahmen in den frühen 1970er Jahren v. a. in der fast die Hälfte der Befragten eher skeptisch oder ab- benachbarten Lenzener Wische zurück. Diese staatlich lehnend gegenüberstand (Stelzig, 1999). Die geleiste- angeordnete Maßnahme brachte eine strukturarme, te Überzeugungsarbeit einiger weniger kann deshalb von Grünlandnutzung geprägte Agrarlandschaft hervor, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie wurde ab blieb aber trotz erheblichen Aufwandes weit hinter den 2003 in der ersten Phase des Naturschutzgroßpro- angestrebten Zielen einer weitgehenden ackerbau- jektes mit einem Moderationsverfahren und Öffentlich- lichen Erschließung der Auenflächen zurück. Der Lenze- keitsarbeit fortgeführt. Dass sich die Akzeptanzsituation ner Großbetrieb erkannte nach der politischen Wende, im Projektverlauf grundlegend verändert hat, wurde in dass mit der landwirtschaftlichen Nutzung allein unter der Evaluation des Projektes eindeutig nachgewiesen den Bedingungen der Marktwirtschaft in dieser struk- (Luley und Peters, 2010). Die Entwicklung vom Zünden turarmen Region die bisherige Beschäftigungsintensität einer damals ungewöhnlichen Idee in einer ablehnen- langfristig nicht aufrechtzuerhalten war. Die folgende den Umgebung über viele Jahre zu einem erfolgreich Diversifizierung des Betriebskonzeptes beinhaltete des- vollendeten Projekt, dem inzwischen selbst viele ehe- halb auch landschaftspflegerische und regionaltouris- malige Gegner Respekt zollen, ist eine der großen Leis- tische Zweige, welche mit der Idee einer Deichrückver- tungen des Gesamtprojektes. legung und der Entwicklung einer naturschutzgeprägten Auenlandschaft gut zu ergänzen waren. Hieraus ging Die inhaltliche Ausgestaltung der Projektidee und ihre das langjährige und letztlich erfolgreiche Engagement kontinuierliche Weiterentwicklung in den 1990er-Jah- des Betriebes für das Deichrückverlegungsprojekt her- ren wurden vor allem durch die Verwaltung des Natur- vor, welches für die Durchsetzung des Projektes in der parkes und späteren Biosphärenreservates betrieben. Region unverzichtbar war. Erste Projektideen wurden in einer Antragsskizze für ein vom Flächen- und Finanzvolumen sehr umfangreiches Die Realisierung des Projektes ist vor allem dem kon- EU-LIFE-Projekt bereits Ende 1992 niedergeschrie- tinuierlichen Engagement der genannten Akteure ben. Auf Anraten der EU-Gutachter wurde daraus ein über fast ein Jahrzehnt – von ersten Projektskizzen kleinerer, auf den Raum Lenzen (und ein Teilgebiet im bis zum Beginn des Naturschutzgroßprojektes im Ok- Rühstädter Vorland/Gnevsdorfer Werder) beschränkter tober 2002 – zu verdanken. Auch die als strategisch überarbeiteter Antrag erstellt, der 1994 zur Bewilligung zu bewertende Initiierung der im Folgenden genann- des LIFE-Projektes „Renaturierung der Brandenbur- ten Förder- und Forschungsprojekte geht auf Frank gischen Elbtalaue“ (LIFE94 NAT/D/000029, 1994-1998) Neuschulz zurück. Viel Beharrungsvermögen und führte (Lilje und Neuschulz, 1998). In diesem wurden Überzeugungsarbeit im politischen, administrativen vorbereitende Arbeiten zu einer Deichrückverlegung und öffentlichen Raum war erforderlich, zumal der Na- wie z. B. umfangreicher Flächenerwerb sowie die An- turschutz in den Umbruchjahren besonders in dieser zucht und Auspflanzung autochthoner Auengehölze im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzregion einen Gebiet des späteren Naturschutzgroßprojektes geför- schweren Stand hatte. Gegenwind kam auf breiter dert (Lilje und Neuschulz, 1996). Front von der kommunalen Seite bis zu manchen Be- reichen der höheren Landesverwaltung. Wie in ande- Bereits 1993 bestätigte ein vom Naturpark in Auftrag ren Regionen auch war auch in den Wasserbehörden gegebenes Gutachten die grundsätzliche wasserbau- eine lang andauernde Skepsis insbesondere gegen- liche Machbarkeit einer Deichrückverlegung und lie- über der Deichrückverlegungsidee­ verbreitet. Auch ferte erste Skizzen sowie technische Überlegungen zu Privatleute versuchten, u. a. über eine Bürgerinitiative, Kosten und Massenbedarf einer Deichrückverlegung die Entwicklung des Projektes zusammen mit anderen (UTAG, 1993). Auch eine Umweltverträglichkeitsstudie behördlichen Naturschutzbemühungen (u. a. Schutz- von 1995 zur Elbdeichsanierung von bis gebietsregelungen) zu Fall zu bringen. Wie eine wis- Wootz im Auftrag des Landesumweltamtes beinhaltete senschaftliche Befragung zur Akzeptanz regionaler neben fünf weiteren Deichrückverlegungsstandorten Naturschutzmaßnahmen 1997 belegte, wurde dabei den Lenzener Vorschlag, damals allerdings noch mit die landschaftsverändernde Auwaldwiederherstellung einer größeren Variante (IBS, 1995), siehe im nachfol- in der lokalen Bevölkerung überwiegend positiv be- genden Text.

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Von 1993 bis 1996 wurde ein von der Landesanstalt für hier umfassende wissenschaftliche Grundlagen in den Großschutzgebiete beauftragter Pflege- und Entwick- Bereichen Grundwasser, Qualmwasser, Bodenkunde, lungsplan durch die so genannte „PEP-Arbeitsgruppe Vegetation, Zoologie, Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Elbtalaue“ erarbeitet, welcher Bestandsaufnahmen Sozioökonomie und Akzeptanz durch diverse v. a. uni- durchführte und Potenziale für die zukünftige Entwick- versitäre Forschungseinrichtungen gelegt. Diese in den lung des gesamten Naturparkes und späteren Bio- Jahren 1996 bis 2000 durchgeführten Arbeiten mach- sphärenreservates Flusslandschaft Elbe-Brandenburg ten die Deichrückverlegung zu einer der am besten un- identifizierte. Der Plan beinhaltete auch eine erste Ziel- tersuchten Maßnahmen dieser Art. Die große Datenfül- konzeption für die Flächen der Deichrückverlegung im le ist damit eine unschätzbare Grundlage für laufende Raum Lenzen-Wustrow inklusive der Entwicklung von und zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen im Auenlebensräumen (Arbeitsgruppe PEP-Elbtalaue, 1996). Gebiet. Das Forschungsprojekt hat im Ergebnis auch die Umsetzung der Deichrückverlegung wesentlich er- Seit 1995 wurden vom Land Brandenburg auch im leichtert, da sie als solide wissenschaftliche Grundlage Projektgebiet Vertragsnaturschutzmittel für Grünland­ die fachliche Diskussion vor Ort sehr befördert und un- extensivierung und Auwaldinitiierungen eingesetzt. terstützt hat. Später wurden diese in zunehmendem Maße durch Mittel des Kulturlandschaftsprogrammes für Wiesen- Bereits ab 1995 hat die Bundesanstalt für Wasser- brüterschutz, kleinflächige Mahd, naturschutzfachliche bau zuerst im Auftrag des Landesumweltamtes (LUA) Zusatzmaßnahmen zur Grünlandextensivierung und Brandenburg und dann im Teilbereich „Ökologie der für die Förderung von Sukzessionsflächen eingesetzt Fließgewässer“ des BMBF-Forschungsprojektes Elbe- (Planland, 2005) Ökologie Auswirkungen verschiedener Deichrückver- legungsvarianten für den Projektraum untersucht, wel- Auch die Förderung des „Zentrums für Auenökologie, che an anderer Stelle in dieser Publikation ausführlich Umweltschutz und Besucherinformation“, welches der vorgestellt werden. Diese Arbeiten führten auch zur Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) letztlich umgesetzten Rückverlegungsvariante. Aus den e. V. in Kooperation mit der Stadt Lenzen und dem Land- diversen untersuchten Varianten waren v. a. drei, die im wirtschaftsbetrieb in einem Verein Trägerverbund Burg Rahmen der Projektdiskussion eine Rolle spielten. Ne- Lenzen e. V. seit 1995 vorantrieb, gehört zu den wich- ben der Nullvariante waren es eine 420 Hektar große, tigen Faktoren der Projektgeschichte. Der aufwändige sogenannte „mittlere Variante“ und eine mit 670 Hek- Aus- und Umbau dieses wichtigen Denkmals und Wahr- tar als „große Variante“ bezeichnete Ausführung. Eine zeichens der Stadt Lenzen verschaffte dem Naturschutz noch größere, 745 Hektar große Variante (IBS, 1995), in der Region Respekt. Wesentliche Förderung erfuhr welche die Verlegung einer Kreisstraße erforderlich ge- das Umweltbildungszentrum vor allem durch die Deut- macht hätte, wurde nicht weiter verfolgt (siehe Bild 1). sche Bundesstiftung Umwelt (DBU), diverse weitere In Abstimmung zwischen der Landwirtschaft und dem Stiftungen sowie verschiedene Ressorts des Landes Land Brandenburg wurde die mittlere Variante gewählt, Brandenburg. Der Trägerverbund übernahm später die da die große Variante aufgrund von Befürchtungen Trägerschaft und damit die Durchführung des bundes- größerer Qualmwasserprobleme und des größeren geförderten Naturschutzgroßprojektes. Nutzflächenentzuges absehbar nicht mit breiter Ak- zeptanz rechnen konnte. Auch in dieser Größenordung Von großer Bedeutung für die genehmigungstech- hatte das Projekt Pilotcharakter und das Betreten von nische Bewilligung der Deichrückverlegung, die inhalt- Neuland hat die lokale Zustimmung sicher nicht beflü- liche Ausgestaltung des Naturschutzgroßprojektes und gelt. Bis heute übertrifft diese Größenordnung alle in besonders den dazu gehörenden Pflege- und Entwick- Deutschland und weit darüber hinaus bisher umgesetz- lungsplan war die Durchführung des BMBF-Forschungs- ten Projekte. projektes „Möglichkeiten und Grenzen der Auenrege- neration und Auenwaldentwicklung am Beispiel von Um die benötigten Flächen, vor allem die Flächen der Naturschutzprojekten an der Unteren Mittelelbe (Bran- Deichrückverlegung in öffentlicher Hand arrondiert und denburg)“. Im Rahmen des Verbundvorhabens „Elbe- rechtzeitig bereitzustellen, wurde bereits im Jahr 2000 Ökologie“ des Bundesforschungsministeriums wurden ein sehr erfolgreiches Bodenordnungsverfahren durch

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Bild 2: Eigentumsstrukturen im Deichrückverlegungsraum nach Durchführung des umfangreichen Bodenordnungsverfahrens Figure 2: Final property structure in the dike relocation area after implementation of a successful land consolidation scheme das Amt für Flurneuordnung in Neuruppin begonnen. Damit waren die Abstimmungen mit dem Flächennut- Dieses wurde vom Biosphärenreservat gemeinsam zer auf einen Betrieb beschränkt, was den Prozess in mit der Landwirtschaft beantragt, um eine Zusammen- erheblichem Maße vereinfachte. Hinsichtlich der was- legung von Flächen in Landeseigentum in der Rück- serwirtschaftlichen und hochwasserschutztechnischen verlegungsfläche zu erwirken (siehe Bild 2). Dies galt Belange sind die gebündelten Verwaltungsstrukturen in insbesondere für die im LIFE-Projekt in einem größe- Brandenburg ein großer verfahrenstechnischer Vorteil ren Raum erworbenen Flächen. Auch sollten damit die gewesen, zumal mit dem Landesumweltamt eine ein- an den rückverlegten Deich angrenzenden, zukünftig zige Landesbehörde Verfahren und inhaltliche Abstim- qualmwasserbeeinflussten Flächen in das Eigentum mungen konzentrierte. des Projektträgers kommen, um Nachteile durch Be- wirtschaftungserschwernisse für andere Eigentümer zu Die Realisierung des Projektes war trotz deutlicher Un- minimieren. Gleichzeitig konnten in diesem vereinfach- terstützung durch die brandenburgische Landesregie- ten Flurbereinigungsverfahren Beeinträchtigungen der rung in der Vorbereitungsphase auch wegen der unge- landwirtschaftlichen Strukturen, die auch aufgrund der klärten Finanzierung lange unsicher. Eine Übernahme ehemaligen Grenzbewirtschaftung bestanden, besei­ der Mehrkosten einer umfangreichen Deichrückverle- tigt werden. gung gegenüber der ohnehin geplanten Deichsanie- rung auf alter Trasse allein durch Hochwasserschutz- Neben den auf diese Weise erfolgreich durchgeführten oder Naturschutzmittel des Landes war nicht absehbar. Eigentumsregelungen war auch die Lage in den neu- Aus Mitteln des Hochwasserschutzes wäre für die Be- en Bundesländern sicher ein wesentlicher Faktor für seitigung der hydraulischen Engstelle am „Bösen Ort“ die Projektrealisierung. So befanden sich die Flächen bestenfalls eine kleine Rückverlegungsvariante ohne in der Nutzung eines einzigen landwirtschaftlichen vergleichbare naturschutzfachliche Vorteile in Frage ge- Großbetriebes, dessen Leiter, wie oben beschrieben, kommen. Nachdem die Suche nach weiteren externen dem Projekt in außergewöhnlicher Weise zugetan war. Finanzierungsquellen für die Mehrkosten der Rückver-

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legung erfolglos verlaufen waren, eröffneten Konsulta- Die Wiederherstellung von Auwald ist auf das Vorhan- tionen des Landes mit dem Bundesamt für Naturschutz densein von überflutbaren Vorlandbereichen, der so- die Möglichkeit, das Deichbauvorhaben zumindest teil- genannten rezenten Aue, angewiesen, wenn die na- weise in ein größeres, bundesgefördertes Projekt im türlichen Bedingungen, in erster Linie die periodische Rahmen des „Förderprogrammes zur Errichtung und Überflutbarkeit, umfassend reaktiviert werden sollen. Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Land- An der Elbe wurden, wie an den meisten großen euro- schaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeu­tung päischen Flüssen, die natürlichen Überschwemmungs- – Naturschutzgroß- / Gewässerrandstreifenprojekte“ bereiche durch Eindeichungen stark reduziert. So gin- (BMU, 1993) aufzunehmen. Für die Aktivierung dieser gen allein an der Mittelelbe zwischen Schwarzer Elster Fördermittel war ein privater Projektträger erforder- und Aland lt. Simon (Simon, 1994) bis 1990 86,4 % der lich, welcher mit dem Trägerverbund Burg Lenzen e. V. Retentionsflächen verloren. Deshalb war von Beginn lokal gewonnen werden konnte. Dieser stellte im Juli an die Möglichkeit einer Rückdeichung zur Vergröße- 2001 den in enger Zusammenarbeit mit der Biosphä- rung der Vorlandbereiche im Projektgebiet als zentraler renreservatsverwaltung entwickelten Antrag auf Bewil- Baustein integriert worden. Mit 420 Hektar Größe ist ligung des Projektes beim Bundesamt für Naturschutz. diese Maßnahme die erste Deichrückverlegung die- Im August 2002 wurde der Bewilligungsbescheid vom ser Größenordnung in Deutschland. Sie hat damit die damaligen Umweltminister Jürgen Trittin anlässlich des Voraussetzungen für die Etablierung eines hydraulisch Jahrhunderthochwassers am „Bösen Ort“ bei Lenzen angeschlossenen und damit ökologisch funktionsfä- übergeben. Wie die oben dargelegte Geschichte zeigt, higen Auwaldes geschaffen. Die Zielsetzung des Pro- war das Elbehochwasser 2002 damit zwar Anlass, aber jektes geht über die Waldanteile hinaus und umfasst die bei Weitem nicht Ursache für den Beginn dieses Pro- Gesamtheit aller standörtlich typischen Lebensräume jektes, das wirkungsvoll Hochwasserschutz und Natur- einer intakten Flusslandschaft. Ausgehend von einer schutz miteinander verbindet. landwirtschaftlich geprägten Grünlandkulisse hatte das Projekt damit einen weitgehenden Landschaftswandel – von der Agrarlandschaft zur Naturlandschaft – zum 2 Projektziele Ziel (Bild 3). Dabei war und ist der Prozessschutz we- Project aims sentliche Strategie des Projektes: abgesehen von den Initialisierungspflanzungen sowie den erforderlichen Die Ziele des Naturschutzgroßprojektes wurden im Deichbauten und -umgestaltungen soll die Entwicklung Pflege- und Entwicklungsplan (PEPL) nach Zusammen- der naturnahen Auenlandschaft den weitgehend un- führung der u. a. aus dem vorhergehenden BMBF- gesteuerten Wirkungen der Natur überlassen bleiben Forschungsprojekt vorhandenen Daten, wenigen er- (Planland, 2005). Hierfür sind im Projektgebiet u. a. 160 gänzenden eigenen Erhebungen, den Vorgaben des Hektar Sukzessionsfläche über die Pflanzflächen hi- Projektantrages und den Diskussionen des Moderati- naus vorhanden. onsverfahrens definiert. Im Zentrum des Projektes stand dabei die Wiederherstellung des historisch für diesen Ein weiteres Ziel des Naturschutzgroßprojektes liegt in Bereich der Elbtalaue belegten Auwaldes. Dies ist auch der umfassenden Öffentlichkeitsarbeit. Der Projektträ- ein wesentliches Anliegen der für das Projekt genutzten ger Trägerverbund Burg Lenzen e. V. ist Betreiber des Förderung des Bundesumweltministeriums, welche mit Umweltbildungszentrums Burg Lenzen sowie des darin diesem Projekt die Wiederherstellung der nach der angesiedelten Besucherzentrums des Biosphärenre- Flora-Fauna-Habitat Richtlinie (EU FFH-Richtlinie 1992) servates Flusslandschaft Elbe-Brandenburg. In dieser geschützten Lebensraumtypen des Hartholzauwaldes Konstellation ist das Projekt die ideale Ergänzung als (91F0) und Weichholzauenwälder (91E0) befördern will. Vor-Ort-Beispiel für eine naturnahe Flussauenland- Diese ehemals weit verbreiteten Lebensraumtypen schaft, welche sich ausgehend von einer historischen der mitteleuropäischen Flussauen sind heute an der Kulturlandschaft auf einem rasanten Entwicklungsweg unteren Mittelelbe wie auch an der gesamten Elbe bis befindet. Damit bietet sich die Möglichkeit, mitten in der auf wenige Restbestände durch anthropogene Eingriffe wachsenden Tourismusregion Elbe Umweltbildungsin- verschwunden (Elbstromwerk, 1898; Neuschulz et al., halte mit dem direkten Naturerlebnis der Aue zu ver- 1997; Neuschulz und Lilje, 1997). knüpfen.

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3 Umsetzung des Projektes Übernahme der gesamten Deichneubaukosten in Lan- Project implementation desverantwortung geändert (s. u.).

Mit der Bewilligung des Naturschutzgroßprojektes Das Naturschutzgroßprojekt wurde als eines der ersten „Lenzener Elbtalaue“ im August 2002 durch das Bun- des BMU-Förderprogrammes als zweiphasiges Projekt desamt für Naturschutz war eine der größten Hürden bewilligt und begann zum 1. September 2002. Danach für die Umsetzung der Deichrückverlegung genommen. sollte in einer so genannten Orientierungsphase bis Als glücklicher Umstand erwies sich, dass die laufende Ende 2004 zunächst die technische Deichbauplanung, Sanierung der Deiche an der brandenburgischen Elbe die naturschutzfachliche Maßnahmenplanung (PEPL) auch für den betreffenden Deichabschnitt zwischen sowie ein Moderationsverfahren in der Region durch- Wustrow und Lenzen anstand. Damit ergab sich die geführt werden. Letzteres hatte zum Ziel, die Akzeptanz Möglichkeit, Ziele und einzusetzende Mittel des Hoch- für die Projektumsetzung in Bevölkerung, Behörden wasserschutzes und des Naturschutzes in beispiel- und anderen betroffenen Institutionen zu erhöhen und hafter Weise zu kombinieren. über Einbeziehung der Öffentlichkeit schon in den frü- hen Planungsprozess bestehende Skepsis abzubauen So wurde in der ersten Projektbewilligung die Finan- (Knierim, 2004). In enger Zusammenarbeit mit dem Mo- zierung des neuen, rückverlegten Deiches etwa zur derationsverfahren wurden die naturschutzfachlichen Hälfte durch die ohnehin einzusetzenden Mittel der Ziele des Projektes im PEPL definiert sowie Zustands- erforderlichen Deichsanierung festgeschrieben. Die an- beschreibungen und Maßnahmen erarbeitet. Für die dere Hälfte sollte durch das zu 75 % bundesgeförderte Begleitung des Planfeststellungsverfahrens wurde das Naturschutzgroßprojekt beigesteuert werden, womit Moderationsverfahren ebenso wie die Bearbeitung des eine konsensfähige Konstruktion für die Umsetzung PEPL um ein Jahr verlängert, sodass letzterer noch um des Projektes hergestellt war. Erst zu einem späteren eine Detail- und Ausführungsplanung erweitert werden Zeitpunkt wurde diese Finanzierungsaufteilung durch konnte.

Bild 3: Das Gebiet der Deichrückverlegung (2009) – das ehemalige Grünland lässt wieder eine Vielfalt von Auen­ strukturen erkennen (Foto: K. Nabel) Figure 3: The area of the dike relocation (2009) – former pasture land recovers its natural floodplain structures (photo: K. Nabel)

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Ebenfalls Bestandteil der ersten Projektphase war die aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs- Erarbeitung der Genehmigungsplanung für die Deich- tenschutzes“ (GAK)) finanziert. Erst das dritte Baulos, baumaßnahmen, welche das Landesumweltamt (heute: die Öffnung des Altdeiches, wurde wieder aus dem Na- Landesamt für Umweltschutz, Verbraucherschutz und turschutzgroßprojekt finanziert. Gesundheit) im Werkvertrag für den Projektträger an das Ingenieurbüro PROWA-Eppler Wittenberge vergab. Da- Alle weiteren Maßnahmen des Naturschutzgroßpro- mit konnte der Antrag auf Planfeststellung plangemäß jektes wurden durch den Projektträger und durch von Anfang 2004 gestellt werden und in einem sehr kurzen diesem beauftragte Unternehmen ausgeführt. Zum Verfahren von nur 13 Monaten Dauer wurde bis zum Fe- Erreichen der Projektziele wurden verschiedenste bruar 2005 der Planfeststellungsbeschluss erarbeitet. Maßnahmen in den Bereichen Grunderwerb und Aus- gleichszahlungen, Biotopeinrichtende Maßnahmen, Öf- Die Projektarbeit wurde mit der Eröffnung eines Pro- fentlichkeitsarbeit und Projektevaluation durchgeführt. jektbüros im November 2002, zunächst in der Biosphä- renreservatsverwaltung in Rühstädt, wenige Monate Grunderwerb und Ausgleichszahlungen: später dann auf der Burg Lenzen, aufgenommen. Im Wesentliche Voraussetzung für ein so flächenintensives Zentrum standen zunächst die Vergabe und Bearbei- Projekt war die Verfügbarkeit der Flächen zu Beginn tung von Moderationsverfahren und Pflege- und Ent- der Umsetzungsphase. Dafür wurde seitens der Bio- wicklungsplan sowie die Betreuung der Projektbelange sphärenreservatsverwaltung in Zusammenarbeit mit im laufenden Bodenordnungsverfahren, die Begleitung der Landwirtschaft ein vereinfachtes Flurneuordnungs- der technischen Deichplanung (in Verantwortung des verfahren initiiert, in dessen Verlauf die gesamte Rück- Landesumweltamtes) und die Durchführung der Öffent- deichungsfläche inklusive der Deichflächen und eines lichkeitsarbeit. Eine Verlängerung der ursprünglich auf landseitigen Streifens entlang des Neudeiches in Besitz 15 Monate angelegten ersten Projektphase ergab sich des Landes bzw. zum kleinen Teil des Projektträgers durch die umfangreichen Abstimmungen. kamen. Vorausgegangen war ein Flächenerwerb mit

4 Projektmaßnahmen Project measures

Die zweite Phase des Projektes begann nach Vorliegen des Planfeststellungsbeschlusses, der Ausschreibung der Deichbauarbeiten und weiteren Abstimmungen im Oktober 2005 und endete erst nach mehreren Projekt- verlängerungen Ende September 2011. Zentrale und endlich sichtbare Maßnahme war der im September 2005 begonnene Bau des zurückverlegten Deiches (sie­he Bild 4 und Ausführungen von R. Schmidt in die- Bild 4: Mit dem ersten Spatenstich am 12. September sem Heft). Der Deichbau als hoheitliche Aufgabe wur- 2005 wurden die Bauarbeiten am neuen Deich de in Verantwortung des Landesumweltamtes Bran- offiziell begonnen (v. l. n. r.: Landrat Lange, denburg ausgeführt, wofür ein Vertragsverhältnis des Landesumweltminister­ Woidke, Ministerpräsident Platzeck, Bundesumweltminister Trittin, BfN-Präsi- Landes mit dem Projektträger und Empfänger der Na- dent Vogtmann) (Quelle: Archiv Biosphärenreser- turschutzgroßprojektsmittel, dem Trägerverbund Burg vat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg) Figure 4: The official groundbreaking ceremony on Sep- Lenzen e. V., erforderlich war. tember 12, 2005 marked the commencement of the construction works on the relocated dike Erst während der Projektlaufzeit wurde die Finan- (from left to right: Landrat Lange, State Environ- ment Minister Woidke, Minister President Platzeck, zierung der zwei Baulose des Neudeichbaus aus dem Federal Environment Minister Trittin, and Prof. Naturschutzgroßprojekt herausgenommen und durch Vogtmann, Chairman of the Federal Agency for Nature Conservation (BfN)) (Source: Archive of das Land Brandenburg aus Hochwasserschutzmitteln the Biosphere Reserve Elbe River Landscape in mit Bundesförderung (Förderung aus Gemeinschafts- Brandenburg)

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EU-Fördermitteln im vorhergehenden EU-LIFE-Projekt, angezogen. Zwischen 2004 und 2008 wurden ins- welches zum Zweck der Deichrückverlegung 540 Hek- gesamt knapp 77 Hektar Auwald auf Grünlandflächen tar für das Land Brandenburg erworben hatte, die im gepflanzt (Bild 5). Den standörtlichen Gegebenheiten oben beschriebenen Bodenordnungsverfahren in der entsprechend wurden vor allem Hartholzauengehölze Rücklegungsfläche arrondiert wurden. Ausgleichszah- gepflanzt, aber auch Weiden und Schwarzpappeln ka- lungen wurden für die umfangreiche Flächenaufgabe men in niedrigeren Lagen zum Einsatz. durch den Landwirtschaftsbetrieb, dadurch bedingte be- triebliche Anpassungen, die Ablösung laufender Pacht- Die inzwischen abgeschlossene Erstevaluation kommt verhältnisse und Erschwernisse der Bewirtschaftung auf zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Vor allem in weiter genutzten Flächen gezahlt. Abhängigkeit von den klimatischen Bedingungen, wel- che auf das jeweilige Pflanzjahr folgten, wurden gute Auwaldinitialisierung: oder auch schlechtere Anwuchserfolge erzielt. Andere Bereits in der ersten Phase des Projektes wurde 2004 Faktoren spielten nur eine untergeordnete Rolle (Purps, mit ersten Auwaldpflanzungen im Projektgebiet begon- 2010). V. a. im Rahmen des vorher laufenden EU-LIFE- nen, um für die jungen Pflanzungen noch möglichst lan- Projektes wurden im Projektgebiet bereits weitere 80 ge in den Genuss des Deichschutzes zu kommen, der Hektar Auwald gepflanzt. Diese Pflanzungen ergänzen erst mit der Öffnung des alten Deiches im Jahr 2009 die Sukzessionsflächen gleicher Größenordnung und endete. Seit 2003 wurde in einem für Vorläuferpro- schaffen damit einen Auwaldbestand von weit über jekte eigens gegründeten Pflanzgarten autochthones 300 Hektar. Sie dienen damit auch der Vernetzung der Gehölzmaterial für die umfangreichen Pflanzungen letzten regional vorhandenen Auwaldreste an der Elbe.

Bild 5: Maßnahmenkarte aus dem Pflege- und Entwicklungsplan (Ausschnitt, Legende vereinfacht) Figure 5: Map with project measures in the dike relocation area (map detail from project management plan, legend modified)

BAWMitteilungen Nr. 97 2013 31 Damm: Deichrückverlegung Lenzen-Wustrow – Geschichte und Umsetzung im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes

Einrichtung einer halboffenen Weidelandschaft: genannten Stromtalwiesen, die Heimat vieler geschütz- Um die Vielfalt der entstehenden Auenlandschaft und ter Gefäßpflanzen wie Brenndolde (Cnidium dubium), der dort siedelnden Tiere und Pflanzen zu erweitern Blauweiderich (Pseudolysimachion longifolium) oder und einen Übergang von der benachbarten Kultur- Gottesgnadenkraut (Gratiola officinalis) sind, wurde auf landschaft in die neu entstehende Auenlandschaft zu zwei Flächen eine Mahdgutübertragung durchgeführt. gestalten, wurde auf einem Teil des Rückdeichungs- Dabei wurde frisch gemähtes Material von artenreichen gebietes eine sogenannte halboffene Weidelandschaft Spenderflächen auf die verarmten Grünlandflächen eingerichtet (Damm, 2009). Während der Auwald lang- aufgetragen, um den lokal verschwundenen Arten die fristig auf Pflanz- und Sukzessionsflächen des Gebietes Möglichkeit der Wiederansiedlung durch die Übertra- den ursprünglichen Waldcharakter der Aue wieder her- gung von Samen und Sprossteilen zu geben. stellen wird, soll auf einem kleineren Teil der Flächen offenes Grünland durch extensive Beweidung erhalten Staubauwerke zur Qualmwasserregulierung: werden. Viele Tier- und Pflanzen­arten der Auen sind Die landseits von Flussdeichen liegende Vernässungs- auf offene, unbewaldete Standorte angewiesen, die zone, in der bei Hochwasser unter Druck stehendes hier, zudem mit umfangreichen Übergangstrukturen Grundwasser austritt und die deichgeschützten Flä- zu Auengewässern und Feldgehölzen, langfristig ent- chen vernässt, ist ein seltener und ökologisch interes- wickelt werden. Seit 1996 wird vom ansässigen Land- santer Lebensraum. In diesem Bereich extrem wech- wirtschaftsbetrieb eine Extensiv-Pferderasse, die rück- selhafter Umweltbedingungen leben in episodischen gezüchteten Liebenthaler Wildlinge, erfolgreich in der Gewässern an der Mittelelbe viele geschützte Amphi- Landschaftspflege eingesetzt. Diese gutmütigen und bien in überregional bedeutsamen Beständen. Hierzu anspruchslosen, d. h. leicht zu haltenden Pferde haben gehören Arten wie der Moorfrosch (Rana arvalis) oder sich in der Auenlandschaft sehr bewährt und sind zu- die Rotbauchunke­ (Bombina bombina). Die hohen dem zu einer nicht zu unterschätzenden Bereicherung Abundanzen von Amphibien in diesem Bereich sind des Landschaftsbildes in der Region geworden (Bild 6). auch ein Grund für die noch vergleichsweise großen Weißstorchbestände an der Elbe. Auch die speziell an- gepassten, z. T. nur hier vorkommenden urzeitlichen Kiemenfußkrebse (Branchiopoda) sind auf diese Le- bensräume angewiesen. Durch die Rückverlegung des Deiches wurden die ehemaligen Qualmwasserbe- reiche am Altdeich der Überflutung preisgegeben, wo- durch erhebliche Lebensraumflächen stark verändert wurden.

Als Ersatz wurde landseits des neuen Deiches ein schma­ler Bereich für die Entwicklung von wechselnas- sem Grünland vorgesehen. Dieser 50 m breite Nass- grünlandstreifen wird durch einen deichpa­rallelen „Qualmwasserentlastungsgraben“ vom weiter land- Bild 6: Die extensive Beweidung der Offenlandschaft mit seits gelegenen Wirtschaftsgrünland getrennt. Der Liebenthaler Wildlingen sichert einen weiteren Graben soll die oberflächliche Auenlehmdecke durch- Baustein im Mosaik der Auenlebensräume Figure 6: Extensive grazing of horses preserves open flood- stoßen, damit den Grundwasserdruck entlasten und plain grasslands as another important habitat die weitere Vernässung der landseitigen Nutzflächen element in the river landscape verhindern. Da im Rahmen der Deichbauplanung auf eine Regulierbarkeit dieses Grabens verzichtet wurde, Förderung von Stromtalwiesen: wurde diese als naturschutzfachlich motivierte Maß- Artenreiche Grünlandbestände der wechselfeuchten, nahme mit dem Bau von vier Staubauwerken (Jalousie- regelmäßig überschwemmten Auen waren ehemals staue) in das Naturschutzgroßprojekt aufgenommen. an der Elbe weit verbreitet und sind heute selten ge- Diese werden in Abstimmung mit den Interessen der worden (Hölzel et al., 2006). Zur Förderung dieser so Landwirtschaft und des Hochwasserschutzes reguliert.

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Besucherlenkung und Öffentlichkeitsarbeit: Die weitere Öffentlichkeitsarbeit hat das Pro- Das Naturschutzgroßprojekt ist aufgrund seiner Pilot- jekt von Beginn an intensiv begleitet. In der ers- funktion, des Umfanges insbesondere der Deichrück- ten Phase war der regionale Planungsprozess mit verlegungsmaßnahme, seiner Lage am zurzeit meist- dem Moderationsverfahren Schwerpunkt der Öf- genutzten deutschen Radfernweg (ADFC, 2011) und in fentlichkeitsarbeit. Mit der Umsetzung des Pro- unmittelbarer Nähe des Besucherzentrums und Auen- jekts rückte die Darstellung der Projektziele und ökologischen Bildungszentrums der Burg Lenzen von -maßnahmen in den Mittelpunkt. Neben der direkten großer Bedeutung für die regionale und überregionale Präsentation durch viele Exkursionen mit verschie- Öffentlichkeit. Damit sind die Öffentlichkeitsarbeit und densten Zielgruppen, Projektpräsentationen auf Work- vor Ort die Besucherlenkung wichtige Projektbausteine. shops, Tagungen und Messen wurden Medien wie Die prognostizierte und inzwischen belegte Attraktivität Flyer, Imagebroschüren, Projektfilme, Webseite und für Besucher (Fachhochschule Eberswalde, 2010) macht nicht zuletzt wissenschaftliche Publikationen erstellt zunehmend den Einsatz verschiedener Medien zur Be- (Damm, 2009; Purps et al., 2004; Purps et al., 2005). sucherinformation und Besucherlenkung erforderlich. Zu diesem Zweck wurde im Projektgebiet ein System von Wegweisern sowie eine Vielzahl modern gestalteter 5 Erfolgskontrollen Informationstafeln installiert, die dem Besucher den In- Project performance controls halt des Naturschutzgroßprojektes unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen Standortes erläutern. Die Evaluation der durchgeführten Projektmaßnahmen Zudem wurde ein Rundwanderweg hergestellt, der den ist ein fester Bestandteil im Förderprogramm der Na- Besucher durch nahezu alle Lebensräume des Projekt- turschutzgroßprojekte. Dazu hat der Projektträger mit gebietes führt. Am berühmten „Bösen Ort“, der vor der dem Fördermittelgeber des jeweiligen Bundeslandes Deichrückverlegung eine der am meisten gefährdeten und in Abstimmung mit dem Bundesamt für Natur- Stellen der brandenburgischen Elbdeiche darstellte, schutz eine Evaluationskonzeption zu entwickeln, wel- wurde eine erhöhte Besucherinformationsplattform­ che exemplarisch und repräsentativ die Wirksamkeit namens „Auenblick“ errichtet, die einen spektakulären der durchgeführten Maßnahmen beurteilen soll. Die Rundumblick über die Elbe, den Einlaufbereich des Untersuchungen sind bis zum Abschluss des Projektes Rückdeichungsgebietes, die größte Flutmulde und die durchzuführen und mit Folgeuntersuchungen über halboffene Weidelandschaft bietet (Bild 7). einen Berichtszeitraum zu komplettieren. Im vorlie- genden Projekt wurden Evalutionsuntersuchungen zu den Bereichen Sozioökonomie (v. a. auf Grundlage von Befragungen), Auwaldpflanzungen, Monitoring der Avi- fauna, Bodenkunde, Erstbesiedlung der neuen Auen- gewässer durch die Fischfauna, Hydraulik (Bau von vier Böschungspegeln) und Vegetationskunde (Entwicklung der Weide- und Stromtalwiesenflächen) durchgeführt. Weitere Untersuchungen werden auf den damit vor- handenen Daten aufbauen. Hierzu dienen neben der Fortführung der Evaluation durch den Projektträger und das Land auch die schon in der Projektlaufzeit begon- nenen Einzelforschungsprojekte. Diese sollen in en- ger Zusammenarbeit zwischen dem Projektträger und dem Biosphärenreservat, der Bundesanstalt für Was- serbau, der Bundesanstalt für Gewässerkunde und an- Bild 7: Die Aussichtsplattform „Auenblick“ bietet einen deren weitergeführt und ausgebaut werden. Nachdem spektakulären Rundumblick auf die Elbe, den Einstrombereich am „Bösen Ort“ und die Weide- ein dem vor dem Naturschutzgroßprojekt gelaufenen landschaft im Rückdeichungsgebiet BMBF-Verbundforschungsvorhaben vergleichbares Ge- Figure 7: An exposed observation deck offers a spectacu- lar view of the Elbe River, the main inlet structure samtforschungsprojekt leider bisher nicht initiiert wer- and the pastures in the dike relocation area den konnte, kommt diesen Initiativen eine umso größe-

BAWMitteilungen Nr. 97 2013 33 Damm: Deichrückverlegung Lenzen-Wustrow – Geschichte und Umsetzung im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes

re Bedeutung zu, um aus diesem einzigartigen „Labor Elbstromwerk (1898): Der Elbstrom. Band III, 1. Abtei- in der Wirklichkeit“ den größtmöglichen Erkenntnisge- lung, Königliche Elbstromverwaltung, Dietrich Reimer winn zu erzielen. Verlag, Magdeburg.

EU FFH-Richtlinie (1992): Richtlinie 92/43/EWG vom 21. 6 Danksagung Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume Acknowledgements sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

Für viele wertvolle Hinweise und historische In- Fachhochschule Eberswalde (2010): Landwirtschaft- formationen danke ich Herrn H. Möhring, Herrn liche und touristische Nutzungsänderungen im Natur- G. Kalfak, Herrn R. Fritze, Frau U. Hastedt, Herrn schutzgroßprojekt „Lenzener Elbtalaue“ (2005-2009). D. Steyer sowie Herrn S. Lilje. Unveröffentlichter Evaluationsbericht. Für ihre Anmerkungen zum Manuskript danke ich Frau Prof. E. Schneider und Herrn J. Purps. Hölzel, N., Bissels, S., Donath, T., Handke, K., Harnisch, M., Otte, A. (2006): Renaturierung von Stromtalwiesen am hessischen Oberrhein. Naturschutz und Biologische 7 Literatur Vielfalt 31, 263 S. + CD-ROM. References IBS (1995): Umweltverträglichkeitsstudie Rekonstruktion Arbeitsgruppe PEP-Elbtalaue (1996): Pflege und Ent- rechter Elbedeich Fährstraße Wootz – Hafen Witten- wicklungsplan für den Naturpark Brandenburgische berge. Gutachten des Ingenieurbüros Schwerin für Lan- Elbtalaue – Endbericht. Unveröffentlichtes Gutachten deskultur, Umweltschutz und Wasserwirtschaft im Auf- im Auftrag der Landesanstalt für Großschutzgebiete trag des Landesumweltamtes Brandenburg Referat W 6. Eberswalde (LAGS). Knierim (2004): Bericht zum Moderationsverfahren im ADFC (2011): ADFC-Radreiseanalyse 2011: 12. bundes- Naturschutzgroßprojekt „Lenzener Elbtalaue“ über den weite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt. In- Zeitraum Februar bis Dezember 2003. Unveröffent- ternationale Tourismus-Börse Berlin, http://www.adfc. lichtes Gutachten im Auftrag des Projektträgers. de/radreiseanalyse/ADFC-Radreiseanalyse-2011.pdf (06.12.2011). Lilje, S., Neuschulz, F. (1996): EU-LIFE-Projekt zur Auen- renaturierung an der Unteren Mittelelbe (Brandenburg). BMU (1993): Richtlinien zur Errichtung und Sicherung Tagungsband Ökosystem Elbe – Zustand, Entwicklung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit und Nutzung. 7. Magdeburger Gewässerschutzseminar, gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung – ein- Int. Fachtagung in Budweis, S. 454 – 455. schließlich der Förderung von Gewässerrandstreifen (Förderrichtlinien für Naturschutzgroßprojekte). Bun- Lilje, S., Neuschulz, F. (1998): EU-LIFE-Projekt „Rena- desministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- turierung der. Brandenburgischen Elbtalaue – eine Bi- cherheit, URL: http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/docu- lanz“. Auenreport 4/4, S. 39 – 47. ments/frili_ngp.pdf (Zugriff 10.11.2011). Luley, H., Peters, J. (2010): Bericht zu Evaluation der sozio­ Damm, C. (2009): Flussdynamik und natürliche Bewei- ökonomischen Auswirkungen des Naturschutzgroßpro- dung in der Lenzener Elbtalaue. In: Offenlandmanage- jekts „Lenzener Elbtalaue“ auf die Bereiche Landnutzung, ment außerhalb landwirtschaftlicher Nutzflächen: Re- Tourismus, Naherholung, Freizeit, sowie Kommunen und ferate und Ergebnisse der gleichnamigen Fachtagung Organisationen. Fachhochschule Eberswalde, Fachbe- an der Internationalen Naturschutzakademie Insel Vilm reich Landschaftsnutzung und Naturschutz. vom 23. bis 26. Juni 2008 / Peter Finck [Bearb.]; Uwe Riecken [Bearb.]; Eckhard Schröder [Bearb.], Münster, Neuschulz, F., Purps, J., Hape, M. (1997): Möglichkeiten S. 67 – 74. und Grenzen der Auenregeneration und Auenwaldent- wicklung am Beispiel von Naturschutzprojekten an der

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Unteren Mittelelbe (Brandenburg) – ein Forschungspro- jekt des Bundesministeriums für Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie (BMBF) im brandenbur- gischen Naturpark Elbtalaue. Auenreport / Beiträge aus dem Naturpark Brandenburgische Elbtalaue” 3, S. 52 – 57, Rühstädt.

Neuschulz, F., Lilje, S. (1997): Auenschutz und Rückent- wicklung von Auwald in der brandenburgischen Elb- talaue. Laufener Seminarbeitr. 1/97, S. 125 – 136, Laufen/ Salzach.

Planland (2005): Pflege und Entwicklungsplan für das Naturschutzgroßprojekt Lenzener Elbtalaue. Bieterge- meinschaft Planland – Luftbild Brandenburg, Berlin – Königs Wusterhausen.

Purps, J. (2010): Evaluation der Auwaldinitialisierungen im Deichrückverlegungsgebiet Lenzen im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes Lenzener Elbtalaue. Un- veröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Trägerver- bundes Burg Lenzen e. V.

Purps, J., Damm, C., Neuschulz, F. (2004): Naturschutz- großprojekt Lenzener Elbtalaue, Brandenburg – Auen- regeneration durch Deichrückverlegung an der Elbe. Natur und Landschaft 79 (9/10), S. 408 – 415.

Purps, J., Damm, C., Neuschulz, F. (2005): Re-establish- ing floodplain forests and dike relocation: a model pro­ ject carried out at the Elbe River, . Archiv für Hy- drobiologie, Supplement, Large Rivers 155, S. 561 – 568.

Simon, M. (1994): Hochwasserschutz im Einzugsgebiet der Elbe. Wasserwirtschaft Wassertechnik 7, S. 25 – 31.

Stelzig, I. (1999): Befragung der Bevölkerung der Dörfer Gandow und Wustrow im Naturpark Elbtalaue / Bran- denburg zur Auenwaldanpflanzung und Deichrückver- legung. Auenreport Sonderband 1, 5. Jahrg., S. 115 – 118, Rühstädt.

UTAG (1993). Deichtrassenstudie zur Deichrückverle- gung zwischen Lenzen und Wustrow. 4. Ausführung 19.11.93. UTAG Consulting GmbH, Ingenieurbüro Wasser und Umwelt, unveröffentlicht.

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