Sendung vom 31.10.2011, 20.15 Uhr

Dr. Ulrike Hessler Intendantin im Gespräch mit Dr. Wolf-Dieter Peter

Peter: Willkommen bei alpha-Forum, heute mit der unsichtbaren Überschrift "Frau in Führungsposition". Und ich freue mich, eine Frau in Führungsposition hier im Studio begrüßen zu dürfen. Willkommen im alpha-Forum, Dr. Ulrike Hessler. Sie sind Intendantin der Semperoper Dresden. Hessler: Ich freue mich, hier zu sein in meiner alten Heimat. Der Bayerische Rundfunk ist so etwas wie eine alte Heimat, nachdem ich 26 Jahre an der Bayerischen Staatsoper war. Peter: Frau Hessler, lassen Sie uns gleich Ihre Lieblingsfrage erledigen, die Ihnen in fast jedem Interview gestellt wird. Frau Hessler, wie fühlen Sie sich als Frau in einer Führungsposition? Hessler: Darauf antworte ich erst seit der ersten Pressekonferenz. Davor habe ich mich das nicht getraut. Meine Standardantwort lautet: "Ich habe leider kein anderes Gefühl, denn ich bin seit etwas mehr als 50 Jahren eine Frau und weiß nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich ein Mann wäre." Peter: Das haben wir also erledigt. Sie sind seit dem Beginn der Saison 2010/2011 Intendantin der Semperoper Dresden. Vielleicht sollten wir als Erstes etwas klären: Viele Leute haben das Bild der Oper schon oft gesehen und sehr präsent, weil es von einer regionalen Brauerei in ihrer Werbung benutzt wird. Warum darf sie mit der Oper werben? Darf sie nur mit der Semperoper werben oder steckt da mehr dahinter? Hessler: Ich sage immer: "Das ist Fluch und Segen." Durch diese Fernsehwerbung, die es seit Anfang der 1990er Jahre gibt, ist die Semperoper zu einem der bekanntesten Opernhäuser in Deutschland, aber auch in der Welt geworden. Ich meine jetzt hier nur das Gebäude. Fluch und Segen ist es deswegen, weil sich sehr viele Leute nur die Architektur anschauen wollen und manchmal gar nicht auf die Idee kommen, sie könnten dort auch eine richtige Aufführung erleben. Was die Brauerei betrifft: Wir haben im letzten Jahr sehr gut verhandelt … Peter: Bisher durfte sie einfach mit diesen Bildern werben? Hessler: Bisher durfte sie einfach Ihr Premiummarkenbier mithilfe der Semperoper verfeinern. Jetzt haben wir aber eine Partnerschaft beschlossen und die Brauerei unterstützt ab nun unsere jungen Ensembles. Ich denke, das ist eine sehr gute Partnerschaft, denn auch die Braukunst ist eine deutsche Tradition. Also passt man auf diese Art und Weise ganz gut zusammen. Peter: Man schafft sozusagen gemeinsam aus Rohstoffen Kunstvolles. Wir müssen jetzt unseren Zuschauern, die noch nicht in Dresden waren, erklären, was an diesem Dresdner Opernhaus doch so ganz anders ist als bei den übrigen großen Schlachtschiffen wie beispielsweise , Stuttgart oder München. Hessler: Man muss sich einfach mal fragen, woher diese Berühmtheit kommt. Nun, Dresden ist ein Mythos. Das kommt wahrscheinlich durch die Zerstörung, die wir alle nicht mehr erlebt haben. Sie wird nun langsam wieder eine der schönsten Städte Deutschlands. Peter: Elbflorenz! Hessler: Wenn man dieses Ensemble an der Elbe an schönen Tagen sieht, dann ist das auch wirklich nicht übertrieben. Das Opernhaus von Gottfried Semper – und da gibt es eine Parallele zu München – wurde schon einmal vor dem Zweiten Weltkrieg zerstört. Es gab einen ersten Bau von Gottfried Semper, der sehr revolutionär war. Er wurde in den Jahren von 1838 bis 1841 gebaut. Dieser Bau ist 1869 abgebrannt und wurde ab 1871 unter der Leitung seines Sohnes Manfred Semper wieder errichtet. Für den Plan dieses zweiten Hauses hat Gottfried Semper wieder die Architektur aufgegriffen, in der er das Wagnerfestspielhaus in München entworfen hat, das nie gebaut wurde. Peter: Sie hatten eine Ausstellung, in der dieses Modell endlich einmal zu sehen war. Es würde das Isarhochufer heute wesentlich mehr schmücken als der Gasteigbunker. Hessler: Absolut! Und es hätte so ausgesehen wie die Dresdner Semperoper, ohne die beiden Seitenflügel. Richard hat dieses Aussehen auch für sein Festspielhaus in übernommen. Selbst als Christoph Schlingensief sein Opernhaus für Afrika erdacht hat, hatte er diese Silhouette vor Augen; dieses Bild kam bei ihm natürlich von Bayreuth, aber sie erinnert dadurch eben auch an die Semperoper in Dresden. Das Gebäude ist also merkwürdigerweise so etwas wie ein Prototyp. Peter: Gottfried Semper, muss man sagen, war ein genialer Architekt, den man sicher in einer Reihe mit Walter Gropius oder mit Frank Gehry und Richard Meier aus der heutigen Zeit nennen muss. Hessler: Absolut, aber man muss hier auch die Münchner anführen. Auch Carl von Fischer war ein genialer Architekt. Nur ist er sehr jung gestorben und hat nicht viel bauen können. Peter: Das ist also die Geschichte des Gebäudes, das so ganz anders ist. Nun liegt Dresden geografisch etwas in einer Ecke der Bundesrepublik. Das Haus in diesem ganzen Ensemble am Elbufer mit der Brühlschen Terrasse und dem Stadtkern war immer eine Touristenattraktion. Das hat wohl vor Ihrer Zeit auch immer schon auf die Oper durchgeschlagen? Hessler: Na ja, auch da ist die Geschichte noch nicht zu Ende. In der Zeit nach der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, in den 40 Jahren der DDR, gab es gar kein Opernhaus. Die Oper und die berühmte Staatskapelle haben sich am Leben erhalten, indem sie im Schauspielhaus gespielt haben, das bereits 1948 wieder eröffnet wurde. Dieses so genannte kleine Haus haben sich Schauspiel und Oper geteilt. Die sächsische Staatsoper hatte somit 40 Jahre lang kein eigenes Opernhaus. Die Staatskapelle war trotzdem ein berühmtes Orchester, das auf Tournee gegangen ist und große Schallplattenproduktionen in dieser Zeit gemacht hat. Peter: Richard Strauss und Fritz Busch – die Wunderharfe! Hessler: Absolut! Schon rühmte die Dresdner Hofkapelle als "Wunderharfe". Für die DDR war es lange Zeit keine Selbstverständlichkeit, ein historisches Gebäude originalgetreu wieder aufzubauen. Nur auf Druck der Bevölkerung ist das gelungen. Erich Honecker war dagegen, Hans Modrow war dafür. Es ist auf bewundernswerte Art und Weise gelungen, das Haus wieder originalgetreu herzustellen und das auch noch mit einer ganz wunderbaren Akustik. Nach der Wiedereröffnung 1985, das war schon gegen Ende der DDR, waren die Eintrittskarten nicht im freien Verkauf zu haben. Entweder wurden sie gegen Westgeld an schon damals nach Dresden kommende Touristen verkauft, man bekam sie über die politische Schiene oder sie waren sogenannte Bückware und man musste sich anstellen, um ein Abonnement zu bekommen. Selbst nach 1989 gab es keine andere Attraktion für den Abend in Dresden. Man muss sich das vorstellen, es war alles noch zerstört. Man konnte abends nichts anderes tun, als in die Oper zu gehen. Es gab auch keine guten Restaurants. Das hat sich mittlerweile alles geändert. Peter: Das kann ich von meinem Besuch nur bestätigen. Hessler: Mittlerweile kann man abends sehr viel unternehmen. Auch in der Frauenkirche mit ihren vielen Plätzen gibt es ein großes musikalisches Angebot. Aber aus dieser Zeit kommt es, dass ein Großteil des Publikums von auswärts kommt. Es hieß einmal, dass es 60 Prozent seien. Nur 40 Prozent kamen aus Dresden. Im Augenblick ist das Verhältnis etwa fifty- fifty. Aber für ein Opernhaus ist das noch immer zu wenig. Ein Opernhaus muss in der Region seine Wurzeln haben, sonst weiß man nicht, für wen man Theater macht. Peter: Und der Tourist, der den Tag über diese herrliche Umgebung erkundet hat, will am Abend eine schöne, sprich unanstrengende Operninszenierung sehen, also ein nettes "Zauberflötchen" oder ein nettes "Traviaterl". Wo er sich zurücklehnen und sagen kann: "Mei, die singen aber schön!" Das ist nicht das Ziel der Intendantin? Hessler: Ja, die schwierigste Situation für Theaterleiter ist es, wenn sie ihr Publikum nicht kennen. Sie kennen 50 Prozent des Publikums nicht. Sie wissen nicht, ob das Leute sind, die sehr verwöhnt sind, die die Staatskapelle hören wollen, die vorher schon in Wien, Zürich oder München waren. Oder sind es die von ihnen erwähnten Leute, die sagen: "Jetzt runde ich meinen Abend noch ab. Vorher bin ich schon einmal durch die Gemäldegalerien gegangen und habe das und das und das gemacht. Und jetzt mache ich mir einen schönen Abend in diesem schönen Opernhaus." Dann bekommen sie eine fantastisch gespielte "Zauberflöte" in der Inszenierung von Achim Freyer, und als Reaktion kommen Briefe, in denen steht, dass sich der Eintrittspreis in der Ausstattung und in den Kostümen nicht niedergeschlagen habe. Das ist dann natürlich schwierig für den Theaterleiter. Peter: Sie haben also das Problem, dass letztlich der umfangreiche Tourismus eine Art gesichertes Publikum bildet. Und das wollen Sie umkehren. Das ist Ihnen schon in Ansätzen gelungen. Mit welchen Mitteln versuchen Sie, das noch zu verbessern, sodass es eine regionale, eine Dresdner Oper wird? Hessler: Man braucht natürlich in einer Stadt mit nur 500000 Einwohnern und derartig viel Angebot, wie es die Semperoper liefert, auch viel Publikum von außen. Man darf nicht vergessen, dass die Semperoper in Bezug auf die Besucherzahlen an zweiter Stelle in Deutschland steht, hinter München, aber vor Hamburg und vor den Berliner Häusern. Die Stadt ist aber nicht größer als Nürnberg und irgendwo müssen die Besucher ja herkommen. Also braucht man die externen Besucher, um ein volles Haus zu haben und auch das Budget zu erspielen. Wir spielen immerhin 40 Prozent des Budgets ein. Peter: Diesbezüglich liegen Sie in der Spitzengruppe. Sie spielen wesentlich mehr ein als alle anderen deutschen Opernhäuser. Weil Sie den Tourismusunternehmen die Vorstellungen teuer verkaufen können? Hessler: Ja, das war in der Vergangenheit so. Das lässt aber nach, weil die Zahl der Individualtouristen zunimmt. Die bestellen sich ihre Karten im Internet selbst und buchen sie nicht schon ein Jahr zuvor pauschal bei einem Reiseunternehmen. Das ist auch gut so. Aber zurück zu den Dresdner Besuchern: Dresden hat eine große Tradition, was Musik, Theater und Oper betrifft. Die Frage ist immer, wie ich den Dresdner anspreche, der vielleicht schon resigniert hat, weil er der Meinung ist, dass die Oper nicht für ihn sei oder er sowieso keine Karten bekäme. Peter: Dazu kommt noch, dass zuerst mit dem Westgeld und dann mit dem Euro auch die Preise gestiegen sind und nun schon in einem Hochpreissegment liegen. Hessler: Die Preise sind in der Spitzengruppe nicht besonders günstig. Peter: Für den Ostbesucher, muss man dazusagen. Hessler: Genau, gemessen an dem Einkommensniveau, das im Osten noch immer niedriger ist. Natürlich gibt es günstige Karten in den Rängen. Aber wir haben uns entschieden, offensiv an die Dresdner und die Einwohner des Umlands heranzutreten. Wir haben spezielle Dresdentage eingerichtet, für die wir eine günstige Preiskategorie angesetzt und diese noch reduziert haben. So kann der Preis kein Hindernis mehr für einen Besuch sein. Peter: Werden Sie doch einmal ein bisschen konkret. Ich denke, das ist schon ein soziales Modell und ein Modell, bei dem die Steuergelder einmal zurückfließen zu den Steuerzahlern, die dadurch auch in die Oper gehen können. Hessler: Das heißt konkret, dass es diese Dresdentage neun bis zehn Mal pro Saison gibt. Auch jeweils die zweite Vorstellung einer Neuinszenierung gehört dazu. Peter: Das ist also nicht irgendwann bei "abgespielten" Inszenierungen aus dem Urrepertoire. Hessler: Nein, das ist eine gute Mischung. Da ist nicht nur schwer Verkäufliches dabei, nicht nur die Uraufführungen sind in diesem Programm, sondern da ist alles drin, was es in der Saison gibt. Da kann man dann für 30 Euro in der ersten Reihe sitzen. Ich denke, das ist wirklich ein Angebot. Es wird auch sehr gut angenommen. Ein zweiter Punkt ist, dass wir langfristige Vorverkaufszeiten haben, um den externen Besuchern die Möglichkeit zu geben, ihre Reise richtig zu planen. Aber als Dresdner will ich mir natürlich nicht schon ein Jahr im Voraus überlegen, ob ich in die Oper gehe. Wir halten daher jetzt Kontingente zurück, sodass an jedem ersten Samstag im Monat die Dresdner daraus direkt an der Opernkasse eine Karte erhalten können. Peter: So soll also allmählich eine Veränderung der Zusammensetzung des Publikums erreicht werden. Dresden ist ein Traditionshaus. Stellvertretend für etliche andere Bildbände halte ich hier "Die Semperoper" von Wolfgang Hänsch in die Kamera. Es gibt jede Menge großer Bücher über dieses traditionsreiche Haus. Ich kann mir vorstellen, dass das für Sie auch eine Herausforderung ist. Dresden liegt im Dreieck zwischen Polen und der Tschechischen Republik, es liegt an der Elbe, die auch vieles verbindet. Was für Ideen haben Sie diesbezüglich im Kopf? Hessler: Zur Tradition muss man sagen, dass es schon eine Herausforderung ist, an einem Opernhaus zu sein, wo Richard Wagner Hofkapellmeister war. Man kann auch in die Barockzeit zurückgehen. Zu Zeiten von Johann Adolph Hasse war Dresden die Metropole der Barockoper. Peter: Zu der Zeit haben dort die Superstars gesungen. Hessler: Da kamen die Italiener aus Venedig, die Komponisten und Künstler. Georg Friedrich Händel hat versucht, Hasse die Besetzung abspenstig zu machen. Johann Sebastian Bach hat sich als Hofkapellmeister beworben und ist es nicht geworden. Es gibt also große Zeiten der Dresdner Oper. Aber man darf nicht bloß in der Vergangenheit leben. Peter: Doch die Wiederentdeckung dieser Zeit wäre ein mögliches Spielplansegment. Hessler: Selbstverständlich! Zuerst muss man jedoch das pflegen, was ein Haus kann, und das sind Richard Wagner, und Richard Strauss. Die müssen präsent sein. Die Barockzeit ist seltsamerweise völlig hinten hinuntergerutscht. Dresden ist im Vergleich mit den anderen großen Häusern hintendran. An denen werden Barockopern heute ganz selbstverständlich gespielt. Doch man muss das Publikum erst einmal dafür gewinnen, überhaupt Gefallen an der Barockoper zu finden. Das gilt jetzt nicht unbedingt für unsere Touristen, aber bei den Dresdnern ist das ein ganz wichtiges Feld, das es für sie zu entdecken gilt. Mit der Oper "L'incoronazione di Poppea" von Claudio Monteverdi, die am Anfang dieser Periode steht, haben wir in dieser Spielzeit auch schon eine sehr gute Erfahrung gemacht. Aber unsere Lage ist auch eine Besondere: Die nächste Hauptstadt ist nicht Berlin, sondern Prag. Wir müssen uns auch das Repertoire unserer Nachbarn anschauen und wir werden in den nächsten Jahren in jeder Spielzeit ein Werk aus dem tschechischen Repertoire aufführen. Dieses Jahr war das die "Rusalka" von Antonín Dvořák, in der nächsten Spielzeit haben wir von Jaromír Weinberger, der nicht sehr bekannt ist, "Švanda dudák", "Schwanda, der Dudelsackpfeifer", auf dem Programm stehen. So werden wir das die nächsten Jahre weitermachen. Peter: Diese Opern werden in der Originalsprache inszeniert? Hessler: In der Originalsprache! Peter: Es wird also nicht nur Italienisch und Französisch gesungen? Hessler: Nein! Wir haben sehr viele tschechische Besucher. Unsere Website gibt es inzwischen auf Tschechisch und auch auf Russisch, weil nach Dresden auch sehr viele russische Besucher kommen. Wir sind von unseren tschechischen Kollegen für die Aussprache sehr gelobt worden. Das ist doch ganz schön! Peter: Gibt es schon Ideen, die in Richtung Polen gehen? Dort gibt es eine Opernkultur, die bei uns in der Bundesrepublik völlig unterbelichtet ist. Hessler: Man schafft in einer Spielzeit leider nicht alles, was man sich so vornimmt. Daher sind wir dort noch im Gespräch und in der Recherche. Aber das wird kommen. Peter: Sie haben auch noch eine weitere Volksgruppe, die meines Wissens musikalisch zumindest eine kleine Rolle spielt und vielleicht förderwürdig ist: die Sorben. Gibt es eine sorbische Musikkultur? Hessler: Ich habe mich neulich mit der Intendantin des sorbischen Nationaltheaters in Bautzen getroffen. Ich werde demnächst hinfahren, um mir selbst ein Bild zu machen. Dort wird natürlich sehr viel Volkskunst gepflegt, ob es dort etwas gibt, das für uns von Interesse sein kann, wird sich herausstellen. Aber ich werde auf alle Fälle demnächst hinfahren und mir das sorbische Nationaltheater anschauen. Peter: Es gibt also auch da noch etwas zu entdecken. Lassen Sie uns noch ein paar Fakten und Zahlen nennen, um die Größe einordnen zu können. Sie haben 1350 Plätze jeden Abend zu besetzen. Mit welchem Etat? Mit welcher Equipe in Verwaltung, Orchester oder Chor? Hessler: Man kann das sehr gut mit dem Münchner Haus vergleichen. Dresden hat wie München 800 Mitarbeiter. Wir spielen 400 Vorstellungen im Jahr. Das ist mehr als in München. Da sind auch die Tourneen der Staatskapelle mitgezählt, die zusätzlich zu dem normalen Programm in Dresden stattfinden. Der Etat hat nicht ganz die Höhe von München, es sind etwa 75 Millionen Euro. Davon spielen wir fast 40 Prozent ein. Das heißt, wir müssen sehr viel arbeiten. Peter: Es gibt auch noch einen problematischen Aspekt, den ansonsten vermutlich nur die Wiener Szene kennt. Die schon mehrfach erwähnte Dresdner Staatskapelle, Ihr Orchester, die Wunderharfe, ist gleichzeitig ein international anerkanntes Spitzenorchester für Konzerttourneen. Es soll aber auch Opernorchester sein. Wie ist das geregelt? Hessler: Unser Problem geht sogar über die Wiener Verhältnisse hinaus. Denn die Semperoper, also das Gebäude, ist nicht nur die Bühne von Oper und Ballett, sondern auch ein Konzertsaal. Es gibt sonst keinen in Dresden. Die Staatskapelle spielt zwölf Abonnementskonzerte, also zwölf Mal drei Konzerte, gleich 36 Konzerte, in der Oper. Dazu kommen sogenannte Aufführungsabende der Staatskapelle, dann kommen Kammerabende dazu. Wir spielen somit neben dem Opern- und Ballettprogramm ein fast volles Konzertprogramm im Haus. Das ist für die Disposition nicht einfach. Dazu kommen noch die Abwesenheitszeiten während der Konzertreisen. Das Orchester ist, Gott sei Dank, groß genug, aber man kann nicht mit Richard Strauss auf Tournee gehen und ihn gleichzeitig im Haus spielen. Wir müssen uns hier sehr genau abstimmen. Es ist auch nicht ganz einfach, Premieren zu disponieren in der Zeit, in der das Orchester abwesend ist. Peter: Gibt es da so eine Art zweiten Intendanten, mit dem Sie rangeln müssen? Wer hat da das letzte Wort? Hessler: Das letzte Wort hat natürlich die Intendantin, die für alle drei Sparten zuständig ist. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich alle drei Sparten gleichmäßig gut entwickeln. Es gibt hier kein Lieblingskind unter den Dreien. Es gibt sogar noch ein viertes Kind, die junge Szene. Keines der drei erwachsenen Kinder ist mir lieber als das andere. Man muss schon auf den Ausgleich schauen. Die schwierigste Aufgabe ist die des Chefplaners, der diese ganzen Proben, diese ganzen Reisen, diese ganzen verschiedenen Bedingungen unter einen Hut bringen muss. Das macht die Arbeit nicht ganz einfach, die Planungen sind wirklich sehr trickreich. Peter: Das denke ich mir, denn hier kommen Instrumentalstarsolisten sowie Sängerstars, die sagen: "Ich hätte gerne, dass der Dirigent mit dem tollen Orchester die Aufführung oder die Produktion begleitet." Das stelle ich mir als großes Puzzle vor. Wird das leichter? Wird das schwieriger? Denn wir müssen hier in München natürlich erwähnen, dass nicht nur Sie aus München kommen, sondern dass Sie in Zukunft auch einen heiß geliebten, manchmal vielleicht auch zu wenig geliebten Münchner Dirigenten in Dresden haben, nämlich Christian Thielemann. Hessler: Dadurch wird es sicher nicht schwieriger, denn die Anzahl der Konzerte vermehrt sich nicht. Peter: Aber es ist eine Persönlichkeit! Hessler: Christian Thielemann ist eine Persönlichkeit, aber wir kennen uns schon sehr lange. Er kennt auch die Schwierigkeiten der Planung. Er erlebt sie auch am eigenen Leib, denn er wird in Dresden nicht nur Konzerte dirigieren, sondern auch Opern. Peter: Sie werden ihn also auch in die Oper einbinden, was hier in München nicht gelungen ist. Wird er Lieblingsstücke dirigieren oder welchen Ausblick können Sie uns in die Zukunft geben? Hessler: Christian Thielemann kommt deswegen nach Dresden, weil hier die Oper und die Sinfonik den gleichen Stellenwert haben. Dazu kommen noch die Tourneen. Das gibt es sonst nirgends. Das ist eine Konstellation, die für ihn ideal ist. Ich kann schon ein bisschen etwas ausplaudern. Wir haben natürlich Interesse daran, dass er nicht nur Wagner und Strauss dirigiert, wenngleich das zur Tradition des Hauses gehört. Aber sowohl er wie wir wollten von Anfang an, dass man in Dresden auch etwas anderes von ihm erlebt. Als wir uns das erste Mal über das Programm unterhalten haben, hat er lustigerweise zwei Wünsche geäußert: "Ich möchte gerne 'Manon Lescaut' von Giacomo Puccini und 'Simon Boccanegra' von Giuseppe Verdi machen." Und das waren just die beiden Stücke, die wir uns sowieso vorgenommen hatten. Das hat wunderbar gepasst. Das sind die beiden italienischen Opern, die wir gemeinsam in Dresden realisieren werden. So viel kann ich jetzt schon verraten. Peter: Jetzt ist schon mehrfach der Name von Richard Wagner gefallen, auch der Name Richard Strauss. Das Dresdner Opernhaus hat eine große Tradition. Wagner war dort in den Jahren 1848/49 Kapellmeister, in der Zeit der Revolution. Gottfried Semper baut – als königlicher Baumeister – in den Straßen die Barrikaden und Wagner ist mit dabei. Beide werden daraufhin als Radikale im öffentlichen Dienst polizeilich gesucht und müssen in das Exil gehen. Wagner ging in die Schweiz und Semper nach Paris und London. Aber das hat nicht verhindert, dass Wagner und Strauss eine große Tradition in Dresden haben. Es gab eine ganze Reihe von Uraufführungen. Lassen Sie uns für die Musikfreunde einige aufzählen: 1901 "Feuersnot", 1905 "Salome", 1909 "Elektra", 1911 "Der Rosenkavalier", 1924 "Intermezzo", 1928 "Die ägyptische Helena", 1933 "Arabella", 1935 "Die schweigsame Frau" und 1938 "Daphne" von Richard Strauss. Bei Richard Wagner müssen wir anführen: ", der letzte der Tribunen" 1842, den "Fliegenden Holländer" 1843 und "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" 1845 … Hessler: … und "" ist in Dresden geschrieben worden und wäre dort uraufgeführt worden, wenn nicht die Revolution gekommen wäre. So ist sie in Weimar von uraufgeführt worden. Peter: Es gibt also eine große Tradition und Sie stehen unter dem großen Druck, 2013 den 200sten Geburtstag von Richard Wagner zu würdigen. Was hat die Intendantin vor? Hessler: Wir werden uns nicht um den kompletten Wagner bemühen. Das können andere tun. Wir werden uns um den Dresdner Wagner kümmern. Peter: Weltweit wird wohl jedes Haus den "Ring" oder das ganze Werk Wagners aufführen wollen. Hessler: Nein, wir werden uns um den Dresdner Wagner kümmern, und zwar nicht nur um Wagner als Komponisten, sondern auch um Wagner als Hofkapellmeister, als Chef der Oper sozusagen. Wir werden ein paar Werke zur Aufführung bringen, die Wagner damals verantwortet hat. Das wird eine große Überraschung geben. Ich habe mich neulich mit über "Wagner 2013" unterhalten und unsere Idee ist, einen "Wagnerpfad" von Thüringen bis nach Sachsen zu schaffen, von Eisenach über Weimar und den Geburtsort Leipzig nach Dresden und dann nach Graupa in der Nähe von Dresden. Dort hat er den "Lohengrin" geschrieben. Wir haben das große Glück, dass wir uns um den frühen, den roten Wagner kümmern können. Die Mythen überlassen wir anderen. Peter: Auch 2013 wird Dresden also wieder ein Reiseziel sein. Sie sind nicht nur zusätzlich noch mit Strauss befasst, Sie haben auch die Problemphase der Oper in den Jahren der Nationalsozialisten schon in Ihrem ersten Jahr aktiv aufgegriffen. Es gab eine Veranstaltungsreihe mit dem Namen "Verstummte Stimmen". Hessler: Ja, Dresden hat eine große Tradition, mit Wagner und Strauss und davor noch Carl Maria von Weber. Aber auch die 1920er Jahre unter der Leitung von Fritz Busch, der zugleich Generalmusikdirektor und Operndirektor war, waren eine äußerst fruchtbare Periode. Es gab sehr viele Uraufführungen. Peter: "Penthesilea" 1929 von Othmar Schöck … Hessler: … "Doktor Faust" 1925 von Ferruccio Bussoni, "Cardillac" 1926 von Paul Hindemith. 1926 wurde auch Kurt Weills erste Oper "Der Protagonist" in Dresden uraufgeführt. Fritz Busch musste 1933 am 7. März die Oper sofort verlassen … Peter: … also zwei Tage nach der grauenhaften Wahl vom 5. März. Hessler: Man hat in Dresden sofort Tabula rasa gemacht. Neben Fritz Busch mussten auch noch sehr viele andere gehen. Peter: Die Juden, … Hessler: … dann die Gewerkschafter, … Peter: … sperrige Intellektuelle, SPDler und ein Kommunist war dabei, glaube ich. Hessler: Alle Leute, die den Nazis nicht genehm waren. Durch dieses Forschungs- und Ausstellungsprojekt haben wir gelernt, dass das keine NSDAP-Leute von irgendwo außerhalb beschlossen haben. Schon in den 1920er Jahren hat sich innerhalb der beiden Theater, Staatsoper und Staatsschauspiel, eine Kampfgruppe der NSDAP gegründet, die damals immerhin schon 275 Mitglieder hatte. Diese Gruppe war es. Ein Chargenschauspieler aus dem Schauspielhaus und ein Maskenbildner haben am Nachmittag des 7. März einfach den Generalintendanten, den Schauspieldirektor und den Operndirektor abgesetzt und sich an deren Stelle gesetzt. Fritz Busch hat dann am Abend noch in rührender Weise versucht, "Rigoletto" von Giuseppe Verdi zu dirigieren. Er ist aber von seinem Podium heruntergebuht worden. Er hat den Graben und daraufhin auch Dresden verlassen und ist einige Zeit später in das Exil gegangen. Peter: Zuerst ist er nach Südamerika ins Exil gegangen. Aber wir verdanken ihm erfreulicherweise so ein Juwel wie die Festspiele in Glyndebourne in England. Es gibt also musikalische Schätze in der Geschichte der Dresdner Oper, die ausgegraben werden sollen. Die Stimmen sind also nicht alle verstummt. Es gibt erfreulicherweise eine ganz neue CD-Edition, die sich mit diesen Schätzen der Semperoper befasst. Musikfreunde können in der Reihe "Profil" der "Edition Günter Hänssler" die großen Aufführungen, die großen Sänger der Dresdner Staatsoper wieder hören. Ich würde behaupten, dass das ein großes Ruhmesblatt ist, dass sich die Semperoper dieser dunklen Jahre erinnert. Ich weiß nur von Frankfurt, das so etwas bisher gemacht wurde. Ich würde mir das hier, in der "Hauptstadt der Bewegung", in München, sehr dringend wünschen. Hessler: Das ist ein Projekt, das in Hamburg begonnen hat, dann in Berlin, Frankfurt, Darmstadt und Stuttgart war und nächstes Jahr in Bayreuth ist. In diesem Projekt werden nicht nur die Biografien der vertriebenen Künstler erforscht, sondern auch die der Bühnenarbeiter. Auch von diesen mussten viele gehen. Wir haben dadurch auch erfahren, dass es später an den Theatern Zwangsarbeiter gegeben hat. Diese menschlichen Schicksale werden auf diese Weise in die Theater zurückgebracht und man kann sich damit beschäftigen. Dazu haben wir noch ein sehr spätes Werk von Kurt Weill zur Aufführung gebracht, seine amerikanische Oper "Street Scene". Kurt Weill ist ein sehr interessantes Beispiel. Als Jude musste er sofort gehen. In den USA war er danach sehr erfolgreich, im Gegensatz zum Beispiel zu Jaromír Weinberger, der elend gestorben ist. Peter: Viele sind auch in Vergessenheit geraten. Hessler: Weill war dagegen sehr erfolgreich, hat dann aber im Nachkriegsdeutschland, Ost wie West, aufgrund von Theodor W. Adorno und seiner Schule keine Chance mehr bekommen. Peter: Für die war das amerikanische Unterhaltungsmusik. Hessler: Es hieß: "Das war in den Vereinigten Staaten erfolgreich, somit ist es kommerziell und keine Kunst mehr." Es war sehr spannend, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Es ist eine interessante Mixtur aus verschiedenen Stilen, aber hochvirtuos gemacht. Peter: In Dresden ist also etwas los, wenn wir das Ganze so betrachten. Nun müssen wir aber doch fragen, wer denn diese Frau ist, die da so im Zentrum steht. "München" fiel immer wieder, aber Sie sind nicht ganz Münchnerin. Sie stammen aus Kassel. Das ist Hessen? Hessler: Das ist Hessen! Peter: A Hesse! Aha! – Aber Sie betrachten, denke ich, München schon als Ihre zweite Heimat. Aus was für einem Elternhaus kommen Sie, Frau Hessler? Hessler: Ich bin aufgrund der Nachkriegssituation mehr oder weniger zufällig in Kassel geboren. Meine Eltern sind nicht von dort. Mein Vater ist Sachse, meine Mutter kommt aus einem westfälischen Hintergrund. Auf dieser mütterlichen Seite gibt es eine sehr interessante Mischung. Eine Urgroßmutter war Geschäftsfrau und hatte einen Kirchenmusikdirektor als Mann. Ich finde, das ist eine ganz gute Vorbereitung, denn als Intendant muss man beide Seiten haben, die Kunst und das Geschäft. Musik und Oper waren immer sehr präsent. Meine Großmutter war eine ausgebildete Sängerin und ihre Schwester auch. Sie haben das aber beide nicht als Beruf ausgeübt. Meine Großmutter sang nur im Chor der Kassler Oper. Meine Mutter musste sich schon als Fünfjährige immer die "Meistersinger" anhören, weil ihre Mutter im Schlusschor auftrat. Meine Eltern hatten auch immer ein Abonnement. Oft konnten sie nicht gehen und dann sind mein Bruder und ich gegangen. Peter: Sind Sie da irgendwann einmal von der Oper überwältigt worden? Gibt es ein Initiationserlebnis? Hessler: Ich war mit 17, 18 Jahren ein richtiger Fan. Wir waren eine Clique, die drei oder vier Mal in der Woche auf einem Stehplatz in der Galerie gewesen ist. Als wir ein Auto hatten, sind wir überall hingefahren, zu allen europäischen Opernhäusern. Alles, was gut und teuer war, haben wir besucht. Peter: Aber was hat da gezündet, wann hat es Sie gepackt? Wann hat die Liebe zur Oper so richtig begonnen? War es ein fließender Übergang? Hessler: Ja, das war ein fließender Übergang. Ich kann mich noch an die erste Vorstellung erinnern, in der ich als Kind war. Das Vanilleeis mit heißen Himbeeren hat mich da mehr beeindruckt als die Oper "Hänsel und Gretel", auch wenn damals Brigitte Fassbaender den Hänsel sang. Das Programmheft habe ich noch. Dann kann ich mich noch an eine Aufführung von "Fidelio" erinnern, die ich als 14-Jährige erlebt habe. Die hat mich kolossal beeindruckt. Danach hat mich dann eigentlich alles beeindruckt, ab da war ich richtig gefangen, eben ein richtiger Opernfan. Ich habe mich nächtelang an der Kasse angestellt. Das war auch der Weg, der mich auf die professionelle Opernschiene gebracht hat, die ich nie geplant hatte. Peter: Sie kommen demzufolge aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus. Frau Hessler, haben Ihre Eltern nicht gesagt: "Das ist schön und gut, Mädel, aber lerne doch erst einmal einen ordentlichen Beruf." Hessler: Nein, das war gar nicht nötig. Von selbst wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, mich beruflich in Richtung Oper zu orientieren. Das war mein Hobby, ich war ein richtiger Fan. Daher hatte ich dort natürlich Studentenjobs. Es kam mehr oder weniger durch Zufall. Es gab einen Münchener Opernklub, der mich fragte, ob ich mit Künstlern Interviews oder Podiumsdiskussionen machen würde. Das erste Gespräch war mit Martha Mödl in der Villa Stuck. Peter: Leider können wir diese Größe nicht mehr einladen. Hessler: Das war schon mal fantastisch! Da kamen all die Großen wie die Fassbaender, Astrid Varnay und irgendwann auch Wolfgang Sawallisch. Ich habe außerdem noch eine Zeitschrift für diesen Klub gemacht und im Universitätschor gesungen. Das hat mich sehr viel mehr beschäftigt als mein Literaturstudium. Ich hatte dann auch noch ein Vorstandsamt. Peter: Mussten Sie dazu vorher auch Klavierspielen lernen? Hessler: Nein, ich habe da die erste Altstimme gesungen. Ich habe aber zum Beispiel dort auch die ersten Konzerte organisiert. Im Sommer waren wir in einer bayerischen Barockkirche, im Winter in der Aula der Universität. Wir haben dort sogar Opernaufführungen auf die Bühne gebracht. Das alles hat mich, ohne dass ich es wollte oder wusste, im Grunde auf die professionelle Schiene gebracht. Peter: In beiden Bereichen, sowohl im künstlerischen als auch im organisatorischen, im Planen! Hessler: Genau! Peter: Studiert haben Sie in dieser Zeit aber doch auch ein bisschen? Hessler: Ja, ich habe ganz normal und brav deutsche und französische Literatur studiert. Ich habe die Magisterprüfung gemacht und dann Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium. Ich habe mich aber sofort vom Referendardienst beurlauben lassen und eine Assistentenstelle an der Universität Eichstätt angetreten … Peter: … und ordentlich promoviert … Hessler: … bei Wolfgang Frühwald über ein Thema der deutschen Exilliteratur. Da war mir aber schon klar, dass die Wissenschaft nichts für mich ist. Ich wollte mehr an die Öffentlichkeit. Ich hatte noch meinen Job an der Universität und habe gerade überlegt, was ich denn nun tun sollte, als ich plötzlich gefragt wurde, ob ich mich nicht für die Stelle als Assistentin des Pressesprechers an der Bayerischen Staatsoper bewerben wollte. Die Auswahl treffen unter Dreien, die man ihm vorstellte, musste just Wolfgang Sawallisch. Und der kannte mich nun schon und meinte: "Sie können den Job haben, aber Sie müssen morgen um 9 Uhr anfangen." Dann habe ich am nächsten Tag um 9 Uhr an der Oper angefangen und nie mehr aufgehört. Peter: An der Münchner Oper vollzieht sich nun ein sehr gesunder – von außen betrachtet – und kontinuierlicher Weg. Das hat von der Assistentin des Pressesprechers wohin geführt? Hessler: Aus der heutigen Sicht ist es schon fast anachronistisch, dass man 26 Jahre am gleichen Haus bleibt und sich langsam, aber sicher entwickelt. Zuerst war ich Assistentin, dann wurde ich Pressesprecherin. Dann kam Peter Jonas als Intendant. Peter: Das war dann schon ein großer Sprung. Zu der Zeit haben wir schon viel miteinander zu tun gehabt. Hessler: Ja, aber bei Peter Jonas wurde der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein ganz anderer Stellenwert eingeräumt. Dann kam der Aufbau der Marketingabteilung dazu und ich wurde Mitglied im Direktorium. Peter: Da sollten wir vielleicht einmal einhaken, weil das heute sehr viel normaler ist, als es das damals war. Mit Sir Peter kam die Auffassung, dass man die Oper ganz anders darstellen muss. Was haben Sie da für neue Akzente gelernt und umgesetzt? Hessler: Als Peter Jonas kam, war er ganz brutal. Er sage zu mir: "Bitte machen Sie mir ein Konzept, wie Sie sich die Kommunikations- und Marketingaktivitäten der Bayerischen Staatsoper in den nächsten Jahren vorstellen. 100 Seiten wären in etwa angemessen!" Das habe ich dann gemacht. Hinterher wusste ich, dass er wahrscheinlich nur 20 erwartet hat, aber ich habe natürlich 100 abgeliefert. Alles, was in diesen 100 Seiten stand, haben wir dann auch realisiert. Darin war das Grafikdesign für die Außendarstellung genauso enthalten wie die Pressearbeit und die Öffnungszeiten des Hauses. Man muss sich vorstellen, die Kasse war immer dann geschlossen, wenn die Leute normalerweise Zeit hatten, Karten zu kaufen. Peter: Ab 18 Uhr war Schluss. Hessler: Die Mittagspause dauerte zwei Stunden, in der Zeit war die Kasse geschlossen. Wir haben solche Sachen erfunden wie "Oper für alle" oder "Festspiel plus". Wir haben auch inhaltlich sehr viele Nebenbereiche geöffnet. Wie haben wir vorhin gesagt? Die Bayerische Staatsoper war wie eine Burg, bei der die Zugbrücken immer hochgezogen sind. Diese Zugbrücken haben wir heruntergelassen. Das hat die Wahrnehmung der Bayerischen Staatsoper in der Öffentlichkeit doch sehr gesteigert. Peter: Es gab eine deutliche Belebung nach der sehr gediegenen, sehr edlen Ära Sawallisch, gerade aus meiner Sicht des Kritikers. Plötzlich wehte ein britischer Wind, mit Understatement und gelegentlich schwarzem oder auch bissigem Humor, mit Jeans und offenem Hemd in der obersten Führungsetage. Hessler: Aber auch mit einem fantastischen Team. Wir haben wirklich ein wunderbares Team gehabt. Neulich hatte ich die Gelegenheit, mich wieder mit den meisten der damals Beteiligten zu treffen. Wir haben wirklich sehr gut zusammengearbeitet und hatten auch immer Spaß dabei. Peter: Das merkte man auch von außen. Das hat dann dazu geführt, dass Sie 2006, als Sir Peter aufgehört hat, zuerst zu dritt und dann ab 2008 zu zweit die Interimsdirektion der Bayerischen Staatsoper bildeten. Hessler: Ja, zwischen dem Ausscheiden von Sir Peter und dem Amtsantritt von Nikolaus Bachler gab es eine Lücke. Das war keine sehr glückliche Situation für die Bayerische Staatsoper, aber es gelang, diese zwei Jahre mit Kent Nagano als künstlerischem Leiter zu überbrücken. Zuerst waren wir ein Team aus zwei Personen und mir. Zum Schluss blieb ich dann mehr oder weniger alleine übrig. Aber ich glaube, es gelang uns nicht nur, diesen Zeitraum ganz gut zu überbrücken, sondern das Haus auf dem Niveau, wie es unter Sir Peter und Zubin Mehta funktioniert hat, Herrn Bachler zu übergeben. Das war eine sehr interessante und lehrreiche Zeit für mich. Peter: Was haben Sie in dieser Zeit gelernt? Hessler: Ich habe gelernt, wie es ist, wenn man plötzlich als der Verantwortliche angesehen wird. Es ist jedoch noch einmal etwas anderes, wenn man es wirklich ist und wenn man von außen in ein Opernhaus hineinkommt. Hier schwamm ich auf der Woge der Sympathie von Kollegen, die mich seit 25 Jahren kannten und die wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Peter: Die Kollegen wussten auch, wie breit Ihr Horizont ist. Denn in dieser Zeit lag auch Ihre Bewerbung als … Hessler: Ach ja, ich habe mich in den späten 1990er Jahren überreden lassen, mich als Kulturreferentin bei der Stadt München zu bewerben. Das geschah vor dem Hintergrund, dass ich dachte: "Jetzt bin ich schon so lange bei der Oper! Da kann ich doch nicht den Rest meines Lebens bleiben. Vielleicht sollte ich doch einmal etwas anderes tun!" Ich bin eine sehr neugierige Person und mische mich gerne in alle Gespräche in der Stadt ein. Das war wiederum hochinteressant, plötzlich auf einer politischen Ebene zu agieren, obwohl man keiner politischen Partei angehört. Das war übrigens auch der Grund, warum ich mir dann am Ende dieses Wahlkampfes gesagt habe: "Das ist nichts für dich!" Peter: Sie sind aber nur mit einer Stimme unterlegen. Hessler: Genau, ich bin damals Julian Nida-Rümelin nur mit einer Stimme unterlegen. Aber mir war vollkommen klar, dass man, ohne einer politischen Partei anzugehören, ständig zwischen allen Stühlen sitzt. Das wollte ich nicht. Aber ich habe dabei viel gelernt und gute Kontakte geknüpft. Vielleicht wäre heute manches nicht so, wie es ist, wenn diese Periode nicht dabei gewesen wäre. Peter: Sie haben auch das Etikett einer Netzwerkerin. Würden Sie dem zustimmen? Hessler: Ja, sicher! Das kommt aber nicht aus einem bewussten Interesse dafür, sondern ich interessiere mich einfach für sehr viele Dinge. Ich interessiere mich für sehr viele Aspekte des Lebens einer Stadt. Wenn ich vorhin "einmischen" gesagt habe, dann bedeutet das, dass ich mich auch immer gerne in anderen Bereich umgesehen und mich dort mit vielen Leuten unterhalten habe. Ich habe es immer genossen – und tue das nach wie vor –, sehr viele Leute zu kennen und auf diese Art und Weise auch mehr von dem zu verstehen, was in der Welt passiert. Peter: In dieser Zeit haben Sie auch das Management eines solchen international vernetzten Großbetriebs kennengelernt. Dadurch war auch Ihre Bewerbung in Dresden möglich, ohne dass Sie zuvor ein anderes Haus geleitet haben. Das war doch irgendwie ein Knackpunkt? Sagte man nicht: "Jetzt will Sie gleich ein Schlachtschiff, ohne dass Sie vorher …" Hessler: Da muss ich gleich Einspruch erheben. Ich habe mich nicht in Dresden beworben. Ich hätte mich nie getraut, mich dort zu bewerben. Ich wollte auch nie Intendantin werden. Aber eines Tages rief ein Staatssekretär aus dem Sächsischen Kulturministerium an und wollte mich kennenlernen. Wie gesagt, beworben habe ich mich dort nicht! Peter: Erst daran anschließend? Hessler: Nein! Er hat mich gefragt, ob ich mich für diese Position interessieren würde. Und da habe ich natürlich ja gesagt. Wer würde bei so einer Frage nein sagen? Peter: Denn, das müssen wir auch erwähnen, hinter einer starken Frau steht auch immer ein starker oder zumindest ein gestandener Mann, der in Ihrem Fall mit Dresden zu tun hat. Hessler: Mein Mann ist Mediziner, Dermatologe, und seit 1997 Chef der Universitätshautklinik in Dresden. Wir sind lange Zeit gependelt, was auf die Dauer ziemlich mühsam war. Dadurch habe ich aber Dresden gut kennengelernt und bin oft privat, aus Interesse, dort in die Oper gegangen. Zudem habe ich einen relativ großen Bekanntenkreis durch meinen Mann gewonnen, der auch ein Netzwerker ist, wenn man das so nennen möchte. Er liebt Menschen und liebt es auch, Menschen kennenzulernen. Dadurch kannte ich die Stadt ganz gut. So haben zwei Faktoren dazu geführt, dass man in Dresden auf mich aufmerksam geworden ist: Die zwei Jahre in München waren offenbar nicht ganz unerfolgreich und das wurde auch von außen so gesehen, denn in anderen Häusern gibt es in solchen Zeiten Querelen. Dazu kommen noch gewisse Kontakte, die ich in Dresden bis dahin schon hatte. Peter: So kam das zustande. Sie haben nun Ihre erste erfolgreiche Saison hinter sich. Da bleibt uns nur noch zu sagen, dass wir Dresden nun wieder bei unseren Reiseplanungen berücksichtigen müssen, denn einmal im Jahr wird dort ein Stefan Herheim inszenieren und Christian Thielemann wird dort dirigieren. Es wird eine interessante Erweiterung des Repertoires geben. Dennoch habe ich eine letzte kleine Schlussfrage: Könnte sich Ulrike Hessler vorstellen, auch etwas ganz anderes zu machen? Oder ist das das Zentrum des Lebens? Hessler: Im Augenblick ist es das schon. Das beschäftigt einen natürlich und es ist interessant. Es gibt immer wieder neue Aspekte. Man sollte noch erwähnen, dass wir auch zu den Salzburger Osterfestspielen gehen werden, nicht nur die Staatskapelle und Christian Thielemann als künstlerischer Leiter, sondern wir werden auch eine Produktion pro Jahr in Dresden machen, die wir in Salzburg zeigen und in das Dresdner Repertoire aufnehmen. Wir haben damit sozusagen noch eine zweite Bühne, ganz in der Nähe von München. Das erfüllt einen natürlich und es gibt so viele Ideen, die man jetzt noch realisieren möchte. Man ist ja noch ganz am Anfang, sodass ich im Augenblick nicht über irgendeine Alternative nachdenken will. Peter: Dann bleibt nur zu sagen: "Glück auf dem Weg! Viel Erfolg! Toi, toi, toi!" Herzlichen Dank, dass Sie am Anfang dieser Laufbahn zu Gast in BR alpha waren. Ihnen, meinen Damen und Herren, wünsche ich weiterhin interessante Sendungen in BR alpha.

© Bayerischer Rundfunk