Bauboom Im Vorfeld Der WM
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226 BAUBOOM Duisburg: die einzigartige alte Haupttribüne muss dem Neubau weichen Bauboom im Vorfeld der WM aum zu glauben, aber im Frühjahr 2000 – so urteil- ser im Sommer 2005 ein. Was war in der Zwischenzeit te damals zumindest „Das große Buch der deut- passiert? Wie war es möglich, dass die Arena, anstatt wie Kschen Fußballstadien“ von Werner Skrentny – stand geplant 2006 international Maßstäbe zu setzen, bereits das modernste Stadion des Landes in Leverkusen. Und 2005 sogar national den Anschluss zu verlieren drohte? damit vertrat der Stadion-Almanach keineswegs eine Der Führungsanspruch der BayArena fiel einer radikalen umstrittene Meinung. Das neue Hamburger Volkspark- Neuorientierung zum Opfer, die nach der WM-Vergabe stadion erhielt gerade sein Dach, die Arena AufSchalke an Deutschland im Sturm durch die hiesige Stadionland- nahm allmählich Konturen an. An der Vormachtstellung schaft fegte. Ein mehrere Jahre anhaltender Orkan, der vie- der BayArena konnten sie in diesem Zustand freilich les fortriss, was unzeitgemäß oder baufällig war. Ob große noch nicht rütteln. Selbst eine Nominierung Leverku- oder kleine Stadien – überall folgte man konsequent dem sens als Spielort der WM 2006 schien in jener Zeit nicht neuesten Trend: Laufbahn raus, Logen rein, Dach drüber! ausgeschlossen. Zwar verfügte das „Schmuckkästchen“, Waren noch in der Saison 2000/2001 etwa 30 % der Zu- wie der damalige Manager Reiner Calmund das Stadion schauerplätze der Bundesliga unüberdacht, so liegt dieser oft liebevoll nannte, bei weitem nicht über die von der Wert 2005/06 nach Beendigung der Dacharbeiten in Kai- FIFA geforderten 40.000 Sitzplätze, doch dieses Manko serslautern bei unter 1 %. Lediglich Bremen und Mainz las- glaubte man mit einem Plus an Komfort und Modernität sen noch einige Fans im Regen stehen oder sitzen. Noch wettmachen zu können. eindrucksvoller ist der Trend weg von der Laufbahn: Allein In den folgenden fünf Jahren jedoch wurde aus dem in der ersten Liga spielen 2005/06 neun Vereine, die sich Vorsprung ein deutlicher Rückstand. „Wir müssen drin- erst kürzlich von ihrer 400-Meter-Bahn getrennt haben. gend unsere Haupttribüne modernisieren, sonst sind wir Nur drei Erstligisten hingegen haben sie erhalten. in Sachen Komfort nicht mehr konkurrenzfähig“, räumte Nur kurze Zeit also waren die Nähe zum Spielfeld und das Bayer Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäu- Plus an Komfort in Leverkusen das Maß aller Dinge. Heute BAUBOOM 227 ist die BayArena die ‚veraltetste‘ Sportstätte der Liga. Ihr letzter Umbau fand 1997 statt, in den übrigen Stadien der Liga ging es hingegen erst anschließend richtig los. So bot sich der Konkurrenz natürlich auch eine wunder- bare Gelegenheit, das Leverkusener Schmuckkästchen eingehend zu studieren, Gutes nachzuahmen und aus Schwächen zu lernen. Es stellte sich etwa schnell heraus, dass auch Logengäste das Spiel gerne aus dem Innen- raum heraus verfolgen – moderne VIP-Logen verfügen seitdem in der Regel über einen eigenen Balkon oder einen Zugang zur Tribüne. Eine mehrgeschossige Logen- front wie oberhalb der Leverkusener Südtribüne würde so heute wohl nicht mehr gebaut. Die Vorbildfunktion für die neueste Stadiongenera- Die neue Volkswagen-Arena tion übernahm daher ab 2000 ein anderer Neubau: Der Hamburger SV nämlich hatte die Courage besessen, sein gen DM-Bereich kalkuliert – nicht optimistisch genug, wie Neubauprojekt bereits lange vor der WM-Vergabe zu sich zeigte. Die Erwartungen wurden deutlich übertroffen. beginnen. Schon im Mai 1998 hatten der Abriss des alten Erstmals zeigte sich, wie viel Geld sich auch in Deutsch- Volksparkstadions und die Errichtung einer reinen Fuß- land mit modernen und komfortablen Stadien verdienen ballarena an gleicher Stelle begonnen. Zum ersten Mal ließ. Kein Wunder, dass sich die VIP-Loge in der Folgezeit seit 1975, als das leider zu spät fertig gestellte Kölner ‚WM- zum besten Freund der Stadionbauer entwickelte. Stadion‘ seine Eröffnung gefeiert hatte, erblickte also ein Auch der FC Schalke 04 nahm bereits 1998 einen Neubau spektakulärer Neubau das Licht der Fußballwelt – ein in Angriff – und was für einen. Mit dem verschließbaren gutes Dutzend sollte in den kommenden fünf Jahren fol- Dach und der Rasenschublade galt die Arena AufSchalke gen. Zukunftsweisend war hierbei zum einen der Verzicht als eines der modernsten Stadien der Welt – national auf die Laufbahn, zum anderen der Einsatz von VIP-Logen spielte sie ohnehin in einer eigenen Liga. Als Vorbild für und Business-Seats zur Refinanzierung des Baus. Optimis- andere Stadien diente sie wegen der vielen teuren Extras tisch hatte der Verein mit Mehreinnahmen im achtstelli- jedoch nur eingeschränkt. Das Logenkonzept der Leverkusener BayArena verbannt die VIPs hinter Glas 228 BAUBOOM Es war das Hamburger Konzept – der komplette Neubau infolge des WM-bedingten Wettrüstens im Ligaalltag den eines Fußballstadions auf den Trümmern des Leichtathle- Anschluss zu verlieren. Daher hielten Mönchengladbach tikvorgängers, das in der Folgezeit die meisten Nachahmer und Düsseldorf trotz der Pleite bei der WM-Vergabe fand. Der erste war mit dem FC Hansa Rostock ausgerech- unbeirrbar an ihren Neubauplänen fest. Schließlich war net einer der kleinsten und finanzschwächsten Bundesli- klar, dass die zwölf WM-Städte ansonsten nicht nur für gavereine. Ab April 2000 folgten die Mecklenburger den vier Wochen im Sommer 2006, sondern möglicherweise Hamburger Fußstapfen – wenn auch nur im Maßstab 1:2. auf Jahrzehnte die Nase vorn haben würden. Der größte Ansturm der Bautrupps auf die deutschen Und auch kleinere Vereine wie der VfL Wolfsburg oder Stadien stand zu diesem Zeitpunkt allerdings noch aus: der MSV Duisburg spürten den Konkurrenzdruck. Die Erst als die FIFA im Juli 2000 den DFB mit der Austragung Vergabe der WM nach Deutschland sorgte also indirekt der Weltmeisterschaft 2006 betraute, nahm die Verände- auch für Bauaktivitäten in Städten, die am Turnier selbst rung der deutschen Stadionlandschaft Tempo auf. Denn überhaupt kein Interesse gezeigt hatten. So fürchtete jede der 16 Bewerberstädte hegte Hoffnungen, zu den etwa der VfL Wolfsburg, mit dem Stadion am Elsterweg maximal zwölf WM-Gastgebern zählen zu dürfen. So auf Dauer den Ansprüchen der ersten Bundesliga nicht überarbeiteten viele Städte noch einmal die Pläne und gewachsen zu sein. Vor dem Hintergrund, dass der besserten Schwachpunkte aus, die Konkurrenz dabei Hauptsponsor als sportliches Ziel mittelfristig einen Platz nie aus den Augen lassend. Köln gegen Düsseldorf und in der Champions League im Visier hatte, war der Neubau Mönchengladbach, Bremen versus Hannover – die Fron- erst recht folgerichtig. Denn wenn das alte Rund schon ten waren klar, denn oft genügte schon ein kurzer Blick national an die Grenzen stieß, dann vermochte es inter- auf die Landkarte, um festzustellen, wer sich mit wem nationale Anforderungen noch viel weniger zu erfüllen. um einen Platz im Turnierplan balgen musste. Mit einem finanzstarken Partner wie dem VW-Konzern Doch nicht nur die Konkurrenz um die WM-Plätze trieb im Rücken baute der Verein zwischen Sommer 2001 und die Kommunen und Vereine an, sondern auch die Sorge, Dezember 2002 ein neues Stadion, das nicht nur die tech- Einer der ersten Neubauten der Jahrtausendwende wurde in Rostock errichtet BAUBOOM 229 baus des Bruchwegstadions durch. Mit einer ähnlichen Politik hatte sich Jahre zuvor der SC Freiburg im deut- schen Profifußball etabliert – ohne sich für den Ausbau jemals verschuldet zu haben. Heute steht in Freiburg ein Stadion, das zwar technisch nicht auf dem aktuellsten Stand ist, für die Freiburger Ansprüche jedoch völlig aus- reicht und ohne jedes Risiko errichtet werden konnte. Das Gegenmodell zur konservativen Freiburger Lösung steht in Duisburg. Denn der MSV gönnte sich anstelle des alten Wedaustadions eine neue Heimat mit Platz für 31.500 Fans. Dabei war es einerseits sicherlich hilfreich, dass mit Walter Hellmich ein Bauunternehmer als Ver- einspräsident fungierte. Andererseits jedoch führte der Die fertig gestellte MSV-Arena in Duisburg MSV den teuren Umbau noch als Zweitligist aus. Der Aufstieg in die erste Bundesliga erleichterte natürlich die nischen Anforderungen erfüllte, sondern darüber hinaus Rückzahlung – andererseits betont der MSV, für die Refi- auch optisch zu gefallen vermag. Durch die Verteilung nanzierung nur mit einem Zuschauerschnitt von 12.000 der 30.000 Zuschauerplätze auf zwei Ränge wirkt die in der zweiten Liga kalkuliert zu haben. Volkswagen-Arena außerdem deutlich größer, als sie in Noch mutiger – oder riskanter? – ging man die Sta- Wirklichkeit ist. Und spätestens mit Abschluss der Bauar- dionfrage in Magdeburg an. Obwohl der 1. FC Magde- beiten in Wolfsburg hatte die BayArena auch im Segment burg lediglich in der Oberliga spielte, begann die Stadt der kleineren Stadien ihre Führungsposition eingebüßt. gemeinsam mit zwei Investoren im Juni 2005 mit dem Seinen Höhepunkt erreichte der Bauboom im Frühjahr Bau des neuen Stadions für 25.000 Zuschauer, auch in 2004: Gleich sechs Bundesligisten mussten damals ihren der Hoffnung, bei der WM Hauptquartier eines Teilneh- Spielbetrieb auf einer Baustelle aufrechterhalten. Hinzu mers zu werden. Die Bundesligisten indes dürften von kamen drei Vereine, die gleichzeitig an anderer Stelle ein diesem Projekt kaum Notiz genommen haben. Die freu- neues Stadion schufen – die halbe Bundesliga als Bau- ten sich stattdessen auf den Januar 2006. Mit Beginn der meister. Rückrunde würde nämlich keine einzige Baustelle mehr In der zweiten Liga hingegen bestimmten in den letz- den Spielbetrieb