€ 2,40 14. Oktober 2017 · 182. Jahrgang · Heft 16 A 4342 LÜ B E C K I S C H E B L Ä T T E R

 Bürgerschaft: Bürgerbüro bleibt Dauerbrenner 265

 Was aus der Völkerkunde werden soll – ein Kommentar 267

 Meldungen 268

 Aus der Gemeinnützigen 269

 Fotomeisterschaft 270

 Geld für die Theaterpädagogik 271

 100 Jahre Finnland 272

 Kritiken: Ausstellungen • Theater • Musik 275

 Zum Untergang der Pamir vor 60 Jahren 282

 10 Jahre „Neue Musik im Ostseeraum“ – ein Gespräch mit Matthias Lassen 284

ZEITSCHRIFT DER GESELLSCHAFT ZUR BEFÖRDERUNG GEMEINNÜTZIGER TÄTIGKEIT

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14. Oktober 2017 · Heft 16 · 182. Jahrgang · Zeitschrift der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit

Die Bürgerschaft im September Bürgerbüro und Zulassungsstelle bleiben Dauerbrenner Angebliche Intervention durch die Stadt in Höhe von 800.000 Euro für die Hafengesellschaft Von Burkhard Zarnack

Das Thema „Bürgerbüro und Zulas- schaft entsprochen; die Linke hatte sich terer Überweisungen an die Ausschüsse sungsstelle“ bleibt ein Dauerbrenner. Abge- enthalten. Die Chance, das Konzept von nebst Vertagungen umfänglich. Hervor- ordneten und Besuchern wurde dies bereits Senator Hinsen auf seine Praxistauglich- zuheben bleibt allerdings in diesem Zu- beim Betreten des Rathauses durch eine keit abzuklopfen, wurde vertan. sammenhang eine Prozedur, bestimmte vom Bürgermeisterkandidaten Detlev Stol- Tagungsordnungspunkte mit dem Ver- zenberg angeführte Demonstration gezeigt: Die Insolvenz der Hafen- merk N (= nichtöffentlich) zu versehen, Ein Wald von Roten Karten für den zustän- betriebsgesellschaft und ein so z. B. den TOP „Vergleichsvertrag mit digen Senator und für die Verwaltung. dem Insolvenzverwalter des Lübecker Eine unmittelbare Fortsetzung erfuhr LN-Papier Hafenbetriebsvereins e. V.“. Dahinter dieses Thema dann in der Bürgerschaft, Die Tagesordnung, die dann schließ- verbarg sich – wie sich herausstellte − als über den Ablauf der Tagesordnung lich angenommen wurde, blieb trotz wei- eine finanzielle Intervention der Stadt in diskutiert wurde. Fraktionssprecher Chri- Höhe von 800.000 Euro − so die Mel- stopher Lötsch (CDU) monierte, dass dung der LN am anderen Tag. Die an- Stellenbesetzung und Personalfreigabe wesende Presse war vor Eintritt in den für die Büros durch den Bürgermeister nichtöffentlichen Teil nicht über diese nur sehr schleppend verlaufe. So seien im beabsichtigte Intervention der Stadt in- Moment von acht Stellen nur vier besetzt. formiert worden. Dagegen verfügte die Es sei auch absolut nicht nachvollziehbar, LN offensichtlich bereits über diese dass in den Augen der Verwaltung „der interne Information einschließlich der Bedarf noch nicht nachgewiesen“ sei, die Kenntnis der Summe, um die es ging. Verwaltung sich also immer noch mit der (Zitat im LN-Artikel: „… nach einem Bedarfsermittlung beschäftige. den LN vorliegenden Blatt“). Wieso ist Anstatt aber weiteren Druck auf die dann noch eine nichtöffentliche Sitzung Verwaltung auszuüben, tat die CDU das der Bürgerschaft erforderlich oder sinn- Gegenteil: Sie forderte, die vorbereitete voll, wenn die Tageszeitung den Inhalt umfangreiche Debattenvorlage der Sep- ohnehin schon weiß? tembersitzung bis November (im Oktober gibt es keine Sitzung) zu vertagen. Die- Lübeck zum HVV? sem Antrag trat der Fraktionssprecher der Der Antrag der Freien Wähler/Linken SPD Jan Lindenau entgegen. Zwar räum- (Ragnar Lüttke), sich dem HVV anzu- te er ein, dass es in Bezug auf die Über- schließen und die bestehende (Nahver- tragung von Abbuchungsdaten mit EC- kehrstarif-) Lücke zwischen Reinfeld und Karten Probleme geben könnte (jedoch der Hansestadt zu schließen, hat die Bür- nicht im innerstädtischen Bereich), aber gerschaft schon einige Male beschäftigt. man könnte (und sollte) endlich beginnen, empfahl er. Dem Antrag auf Vertagung bis Ali Alam, der fröhliche Bürgermeister- zur Haushaltssitzung im November wurde Kandidat, als Pizza-Bote für die Bürger- von einer knappen Mehrheit der Bürger- schaftsmitglieder (Foto: TML)

Foto auf der Titelseite: Der Strukbach im Bereich der ehemaligen Kleingartenkolonie „Am Spargelhof“: vom Mittelalter bis um 1900 wurde seine Fließkraft für mehrere große Mühlenbetriebe bis hinab zur Trave bei der heutigen Gollan-Werft genutzt. (Siehe auch Seite 266) (Foto: ME)

Lübeckische Blätter 2017/16 265 Bürgerschaft im September

Zwar liegt dieser Antrag schon seit 2012 der BfL). Nachdem in den Fraktionen hätten sich die Besucherzahlen deutlich vor – die SPD (Ulrich Pluschkell) erhob unterschiedliche Einschätzungen sicht- gesteigert. Ansprüche („uralte SPD-Forderung“) –, bar wurden, versuchte Senator Hinsen Leider weist das Schild nach Ansicht aber inzwischen haben sich die Bedingun- die Rechtslage aus der Sicht der Stadt des Landesstraßenbauamtes mehrere gen für Lübeck weiter verändert, so Lütt- darzustellen. Danach sei die Stadt nicht Fehler auf: 1. Es steht angeblich auf dem ke. Er verwies auf den Kreis Steinburg, verpflichtet, zu viel gezahlte Beiträge zu Grund und Boden einer Landesstraße und der inzwischen in den Hamburger Nah- erstatten. Im Augenblick sei aber auch 2. es entspricht als Schild in seiner Grö- verkehrsverbund eingetreten sei (2016), die (neue) finanzielle Belastung für die ße und Farbgestaltung nicht der Landes- nachdem Kiel bis dahin abgelehnt hatte. Stadt noch nicht klar. Daher empfahl er schilder-Vorschrift, ist also sozusagen ein Sollte Lübeck in Kiel nicht auch Chancen weitere Beratungen. Dem wurde ent- Schilderstreich der Hansestadt Lübeck. haben, zumal es dort eine neue Regierung sprochen. Es erging deshalb die Aufforderung an die gibt? Die Bürgerschaft unterstützte den hanseatische Stadtverwaltung, das Schild Antrag Lüttkes mehrheitlich und forder- Nach wie vor Interessengegen- bis zum 5. Oktober zu entfernen. te vom Bürgermeister einen Bericht, in sätze für die Grünfläche Die Replik von Senatorin Glogau lau- dem die rechtlichen Bedingungen und die tete: 1. Das Schild steht auf städtischem finanziellen Auswirkungen eines Tarif- „Am Spargelhof“ Grund. 2. Es sei zwar beabsichtigt, die- wechsels dargestellt werden. In der Bürgerschaftssitzung Juni war se Fläche mit dem Land zu tauschen, mehrheitlich beschlossen worden, die aber dieser Tausch steht noch aus. 3. Das Wer trägt die Umlagekosten Grünfläche „Am Spargelhof“ nicht zu Schild bleibt da, wo es steht. bei Straßenerschließungs- bebauen. In der Septembersitzung leg- te die SPD-Fraktion einen Antrag vor Weitere Punkte und Beschlüsse maßnahmen der Stadt? (Harald Quirder), Verhandlungen mit der Bürgerschaft: Zurzeit diskutieren viele Bürger die beiden Interessenvertretern aufzuneh- Problemfelder Anschlussbeiträge und men, der Broling-Platz-Initiative und • Vorstellung des Schulentwicklungs- Straßenreinigungsgebühren. Die BfL der Firma Pfohe, mit dem Ziel, einen plans (Anette Roettger, CDU, Jörn stellte den Antrag, bei der Landesregie- Interessenausgleich anzustreben. Dieser Puhle, SPD, André Kleyer, Grüne). rung Kompensationsmöglichkeiten für Antrag ging sowohl der GAL als auch Die Bürgerschaft einigte sich auf die in der Kommune wegfallende Anschluss- den Grünen zu weit, während z. B. die Bezeichnung „Vorlage“, nicht „Zwi- beiträge zu prüfen. Saxe führte aus, dass CDU (Andreas Zander) die Eignung der schenbericht“. Der Bericht über die die Landesregierung nichts anderes getan Fläche als Naherholungsgebiet wegen finanzielle Ausstattung der allgemein- hätte, als es den Kommunen freizustellen der Autobahnnähe grundsätzlich be- bildenden Schulen wird nachgeliefert. (!), ob sie die Erschließungsbeiträge auf zweifelte. Bruno Böhm (Freie Wähler) • Katja Menz (GAL) mahnte an, dass die Anlieger umlegen oder aus eigenen kritisierte den SPD-Antrag als: „… zu- die Kostenangaben der Stadt für die Mitteln bezahlen wolle. Diese Entschei- erst die Hand abhacken und dann wie- Bürgerinitiative „Lindenbaumerhal- dungsmöglichkeit habe aber zur Folge, der hinhalten.“ Schließlich kam es zur tung“ lückenhaft seien, da MuK- und dass die Kommunen bei jedem Straßen- Sitzungsunterbrechung, als Bürgermei- Gutachterkosten fehlen. ausbau erneut mit dieser Frage unter ster Saxe einen Kompromiss vorschlug • Der Stand der E-Mobilität in der Stadt Druck geraten. In den letzten Haushalts- (Erkundungsgespräche mit beiden Sei- wurde erörtert. Man einigte sich mehr- jahren hätten die Umlagebeiträge etwa ten), jedoch in der Abstimmung nur ein heitlich auf die Federführung des Bau- zwei Millionen pro Haushaltsjahr ausge- Patt erreichte, so dass dieser Vorschlag ausschusses, der Förderrichtlinien und macht. Die Aussicht auf Kompensation durchfiel. Damit ist die Situation un- Empfehlungen erarbeiten soll. durch das Land sei nach seiner Erfahrung verändert wie nach der Abstimmung im • Wegen der massiven Bauverzögerun- gering; bisher habe Kiel nur bei „kleinen Juni: Keine Versiegelung der Grünflä- gen des Neubaus der Possehlbrücke Gesetzen“ fehlende Beiträge ausgegli- che, aber auch kein Fortschritt in deren soll das Rechnungsprüfungsamt ein- chen. Die Abstimmung ergab schließlich, Weiterentwicklung. (siehe Titelfoto) geschaltet werden (Sonderprüfung). dass dem Antrag der BfL mehrheitlich • Die Erneuerung des Feuerlöschbootes stattgegeben wurde (Erkundung in Kiel; Und zum Schluss: Schild(a) „Senator Emil Peters“ (Baujahr 1972) im Falle einer Kompensation Verzicht der lässt grüßen! ist innerhalb der nächsten drei Jah- Stadt auf die Umlage). re geplant. Nach Meinung der SPD- Schildbürger führen etwas im Schil- Fraktion steht noch der Bericht für die Straßenreinigungssatzung nach de, was den gewöhnlichen Gepflogen- Ersatzbeschaffung durch die Fachbe- Ablehnung durch das heiten oder einem vernünftig geordne- reichsleitung der Feuerwehr aus. ten Gang der Dinge widerläuft. Im Er- • Verschiedene Anträge beschäftigten Verwaltungsgericht gebnis führen ihre Aktionen meist dazu, sich mit der Verkehrssituation in der Nach der Ablehnung der Straßenrei- dass sich ihr ursprünglich beabsichtigter Innenstadt (Energiebericht, versenk- nigungssatzung ging es der Bürgerschaft Wille mit dem tatsächlich erzielten Er- bare Poller und emissionsfreie Innen- um die Frage nach der Gleichbehand- gebnis nicht so ganz in Einklang brin- stadt). lung bei der Rückzahlung zu viel ge- gen lässt. So ist es auch hier im Falle • Im Zusammenhang mit der Einrich- zahlter Beiträge, und zwar nicht nur an eines Schildes, das an der Straße nach tung von Stadtteilbüros (usw.) wurde diejenigen, deren Klage erfolgreich war, Selmsdorf auf das Grenzmuseum Schlu- angeregt, eine Mobilitätsumfrage bei sondern aller Betroffenen, einschließlich tup hinweist. Seit der Aufstellung, so die den Mitarbeitern der Stadtverwaltung der indirekt betroffenen Mieter (Antrag Leiterin des Museums, Ingrid Schatz, durchzuführen.

266 Lübeckische Blätter 2017/16 Kommentar/Buch des Monats

Der Kommentar: Was aus der Völkerkunde werden soll

In der Sitzung des Kulturausschus- ses am 9. Oktober hat die Kulturstiftung Reich ornamentiertes Trinkgefäß Lübecker Museen im Auftrag von Kultur- aus Island, 16. Jh., senatorin Weiher einen Bericht zur kon- (Foto: © Völkerkunde-Sammlung) zeptionellen Entwicklung der Völkerkun- de-Sammlung vorgelegt. Die Sammlung selbst soll im „Zeug- haus“ an der Parade verbleiben und Wech- selausstellungen sollen, wie in den letzten Jahren, im St.-Annen-Museum gezeigt werden. Im Holstentor, dessen inhaltliche Neuausrichtung in groben Zügen in das Konzept eingearbeitet ist, sollen zukünftig drei Räume mit Objekten der Sammlung bestückt werden. Vorgesehen ist auch, im Hansemuseum Exponate zu präsentieren und eventuell auch in der Synagoge. Ein Schwerpunkt der didaktischen Ar- beit wird künftig die Arbeit mit Schulen sein. Dazu läuft derzeit das Testmodel ei- nes Völkerkunde-Koffers an. Personell sieht der Plan die rasche Wiederbesetzung der Leitungsstelle für für die Völkerkunde einen dauerhaften gen Schließung 2007 den Museumsbe- die im Frühjahr scheidende Wissenschaft- Platz als Museum und als Ort für interkul- trieb aufrechterhalten hatte, sieht sich in lerin Frau Dr. Templin vor; dabei ist an turellen Austausch einzurichten, findet in seinem Hauptanliegen, der Wiedereröff- eine Aufstockung von Halbtags- auf Voll- dem konzeptionellen Bericht der Kultur- nung der Sammlung als Museum, keinen zeitbeschäftigung gedacht, angesiedelt stiftung keine Berücksichtigung. Schritt näher gekommen. Ein Mitglied des beim Museumsquartier. Der Vorstand der Gesellschaft für Vorstands-Beirates machte seinem Frust Die Zukunft der Völkerkunde-Samm- Geographie und Völkerkunde zeigte sich Luft: „In diesem Plan werden viele Worte lung als Museum wird in dem Plan nicht in ersten Reaktionen enttäuscht. Dieser gemacht, in meinen Augen aber wird vor angesprochen. Die aktuelle programmati- Unterstützerverein, der aus eigener Kraft allem um den heißen Brei herumgere- sche Leitlinie der Kulturpolitik der SPD, ehrenamtlich von 2001 bis zur endgülti- det.“ Manfred Eickhölter

Die Bücherei der Gemeinnützigen stellt vor: Unser Buch des Monats Oktober Richard Ford: Zwischen ihnen

„Ein Erinnerungsbuch zu schreiben aber sie brauchten mich nicht. Zusammen ders viel.“ Nach dem Tod des Vaters ist für und die Bedeutung eines anderen Men- − vielleicht nur zusammen – blühten sie die Mutter „nichts mehr richtig gut“. Den schen zu ermessen, ist auch ein Versuch, erst richtig auf.“ Über die Zukunft schei- entscheidenden Grund dafür erkennt der dem gerecht zu werden, was sonst unbe- nen die Eltern nicht groß nachgedacht zu Sohn klar: „Er hatte ein Talent dafür, sich merkt bliebe.“ Richard Ford (geb. 1944) haben; sie würde sich halt ereignen. Das lieben zu lassen – eine durchaus bemer- schreibt ein Erinnerungsbuch an seine lange Leben der Eltern vor der Geburt des kenswerte Tugend, von der man weitaus Eltern. Das Porträt seiner Mutter entstand einzigen Kindes regt Richard Ford dazu mehr hat als von vielen anderen.“ bereits kurz nach deren Tod 1981; die Er- an, „allein und ungestört über die Zeit des Ford macht aus seinen Eltern „keine innerungen an seinen Vater verfasste Ford ganzen Vorgeschehens zu spekulieren, − literarischen Instrumente im Einsatz für 2015, 55 Jahre nach dessen frühem Tod im das lange Leben der Eltern, an dem man etwas Größeres“, wie er selbst sagt. Darin Jahre 1960. „Weg“ heißt dieses Kapitel, es keinen Anteil hatte. „Vielleicht“ – dieses besteht sein großes literarisches Verdienst kann auch „weg“ bedeuten. Es geht um die Wort taucht häufig auf. Auch: „Das weiß in diesem schmalen Buch, denn: „Fast das gemeinsam zurückgelegten Wege der El- ich nicht.“ Aus Bruchstücken der Erinne- Einzige, was nicht weggeht, ist die Lie- tern – der Vater war Handlungsreisender rung setzt sich das Buch zusammen. Gera- be.“ Und gerade dies berührt den Leser. – und es geht um den Verlust des Vaters. de dieses Nicht-Wissen macht das Anrüh- Jutta Kähler Von Montag bis Freitag ist der Vater unter- rende dieses Erinnerungsbuches aus. Was wegs. Daran ändert sich auch nach der Ge- erfahren wir: Gelesen wird im Elternhaus Öffnungszeiten der Bücherei: Di. und Mi.: 9:30 burt Richards nicht. Er ist ein spätes Kind, sicher nicht. „Regelrecht beigebracht hat Uhr bis 13:30 Uhr; Mi. und Do.: 13:30 Uhr bis ein Einzelkind. Die Eltern „wollten mich; mir mein Vater über die Jahre nicht beson- 17:30 Uhr.

Lübeckische Blätter 2017/16 267 Meldungen

Geschichtsverein lebhaften Verwaltungs-, Wirtschafts- und Zugvogelbeobachtung im Naturschutz- Forschungszentrum entwickelt. Bei einer gebiet Schellbruch Do, 2. November, 18 Uhr, Musterbahn Stadtführung lernen wir diese Entwick- Bei einem Rundgang können wir mit ho- 8, Vortragsraum Museum für lung an den alten und neuen Sehenswür- her Wahrscheinlichkeit Wildgänse und an- Natur und Umwelt (Eingang digkeiten zwischen dem „Kleinen Kiel“ dere Arten wie den Seeadler beobachten. Mühlendamm) und der Förde mit ihren großen Fähren Kontakt: Hermann Daum, Tel. 794108, Die vergessene Schlacht von nach Skandinavien kennen. Am Nachmit- Silke u. Marco Wiegand Mölln 1225 tag erfahren wir im Forschungszentrum Prof. Dr. Oliver Auge, Universität Kiel GEOMAR, wie von Kiel aus die Ozeane, Mo, 16. Oktober, Treffen: 14.04 Uhr, Hal- Weichenstellung für Lübecks Reichs- ihre Böden und Lebewesen oder der An- testelle „Moltkeplatz“ (ZOB, freiheit und die politische Neuordnung stieg des Meeresspiegels untersucht wer- 13.54 Uhr), Linie 5 Nordalbingiens: Die im Januar 1225 aus- den. Kostenbeitrag: 27 Euro, für Mitglie- Botanische Wanderung gefochtene Schlacht von Mölln steht ganz der 22 Euro Herbst im Dräger- und Stadt- im Schatten ihrer „großen Schwester“, der Rückkehr: ca. 19.00 Uhr park, Dauer ca. 2 Std. Schlacht von Bornhöved vom Juli 1227. Anmeldung erforderlich bis 17. Oktober, Kontakt: Sigrid Schumacher, Tel. 596514 Tatsächlich waren aber gerade die drama- tel. unter 0170 184 67 34 oder per E-Mail tischen Ereignisse bei Mölln, wo Albrecht unter [email protected] Sa, 21. Oktober, Treffen: 09.05 Uhr ZOB, von Orlamünde, der dänische Statthalter Bus 8720 um 09.19 Uhr Nordalbingiens, geschlagen und gefan- Sa, 4. November, Treffpunkt: 14 Uhr, Grönwohld − Sandesneben gen genommen wurde, entscheidend für Klingenberg, Platzmitte Tageswanderung, ca. 13 km, das weitere politische Schicksal sowohl Unsere Stadt: Stadtteilrundgang durch Rucksackverpflegung, Grup- Lübecks als auch des gesamten Raumes die Altstadt penfahrschein zwischen Elbe und Eider und entlang der Mit Jörg Sellerbeck Kontakt: Hilde Veltman, Tel. 604700 südlichen Ostseeküste bis . Seit 1987 gehört die Lübecker Altstadt zum Weltkulturerbe. Wie geht Lübeck da- Mi, 25. Oktober, Treffen: 09.30 Uhr, ZOB Grüner Kreis mit um? Welche Funktionen hat die Alt- Bad Schwartau, mehrere Li- Di, 24. Oktober, 19.30 Uhr, Königstraße stadt früher erfüllt, welche erfüllt sie heu- nien 5, Großer Saal, Eintritt frei te? Wer wohnt, arbeitet in der Altstadt? Bad Schwartau − Parin − Wie bestimmt man interna- Wie kann sie es schaffen, ein attraktives Küsterholz tional gehandelte Hölzer? Stadtdenkmal zu sein und gleichzeitig Halbtagswanderung, ca. 9 PD Dr. habil. Gerald Koch, das lebhafte, vielfältige Zentrum eines km, evtl. Einkehr am Schluss im „Restau- -Bergedorf weiten Umlands zu bleiben? Stadt-, Ver- rant Süd/West“ (siehe auch Hinweis nächste Seite) kehrs- und Wirtschaftsplaner stehen vor Kontakt: Heidi Schlichting, Tel. 497849 einer großen Aufgabe, wie der Rundgang Europäische Hansemuseum an einigen Beispielen verdeutlicht. Fischerkirche Schlutup Kostenbeitrag: 5 Euro, für Mitglieder Mi, 18. Oktober, 19 Uhr, Saal Visby, Ein- 3 Euro So, 5. November, 17 Uhr, Fischerkirche tritt frei Dauer: ca. 2 Stunden Schlutup Von Berserkern, Piraten und der Ver- Anmeldung erforderlich bis 02.11.2017 Der Glaube sieht mit dem Gehör – Lu- ewigung eines Lebenswerks. Zur Ge- tel. unter 0170 184 67 34 oder per E-Mail thers Briefe an Katharina von Bora schichte Königin Margaretas von Dä- unter [email protected] Über allen Biografien und neuen Sichtwei- nemark und des Oldenburger Horns sen auf Martin Lu- Prof. Dr. em. Jörgen Bracker, Hamburg Naturwissenschaftlicher Verein ther und sein Wirken Anmeldung möglich unter 0451 80 90 99 0 wurden zwei As- oder [email protected] Di, 7. November, 19:30 Uhr, Königstraße pekte häufig nur am 5, Großer Saal, Eintritt frei Rande gestreift: der Fr, 20. Oktober, 19 Uhr, Saal La Rochelle Personalisierte Medizin − Blick auf Katharina „Flutgrab“ unsere Gesundheit im Um- von Bora, seine Ehe- Lesung mit Derek Meister bruch frau – und auf sein Kosten: 7,00 Euro, ermäßigt 5,00 Prof. Dr. Hauke Busch und prägendes Verhältnis Euro, Kartenreservierung möglich un- Prof. Dr. Cornelius Borck, beide Univer- zur Musik. ter 0451 80 90 99 0 oder invitation@ sität zu Lübeck Diese beiden Aspekte einmal gemeinsam hansemuseum.eu (siehe weitere Hinweise nächste Seite) zu betrachten, haben sich der renommierte Schauspieler und TV-/Rundfunksprecher Vol- Gesellschaft für Geographie Natur und Heimat ker Hanisch und die Kulturwissenschaftlerin und Völkerkunde Dr. Mechtild Hobl-Friedrich vorgenommen. So, 15. Oktober, Treffen: 08.45 Uhr, Über- Das Lübecker Orgelduo Marion Krall und Do, 19. Oktober, Treffpunkt: 08.40 Uhr, gang der Straßen „An der Lars Schwarze spielen Werke von Luthers Hbf. Lübeck, Eingangshalle Hülshorst“ in „Am Schell- Zeitgenossen, Bach sowie von Mendelssohn Tagesexkursion nach Kiel bruch“ (Haltestelle der Linie bis hin zu modernen Improvisationen. Aus den Trümmern des Zweiten Welt- 12 „An der Hülshorst Mitte“) Eintritt: 20 Euro; Karten an allen Vorver- kriegs hat Kiel sich wieder zu einem kaufskassen

268 Lübeckische Blätter 2017/16 Aus der Gemeinnützigen Aus der Gemeinnützigen Aus der Gemeinnützigen Aus der Gemeinnützigen

Dienstagsvorträge kussion mit Schülerinnen des Katharineums an. Constantin Schiff- Di, 17. Oktober, 19.30 Uhr, Königstraße 5, Großer Saal, Eintritt ner und Jonas Klein (Katharineum) spielen J. S. Bach (Partita Nr. frei 2 c-Moll) sowie Choräle von Luther und Bonnus. St. Gertrud: Ein Stadtteil auf der Suche nach einer gemein- samen Identität mittwochsBILDUNG Dr. Jan Zimmermann, Anne-Katrin Lorenzen, Stadtplanung, Rainer Steffens und Prof. Tobias Mißfeldt, Architekten, Stefan Mi, 25.Oktober, 19.30 Uhr, Königstraße 5, Großer Saal, Eintritt Probst, Lüb. Bauverein, Wolfgang Nagel, Erholungsplanung, u. frei a. im Gespräch mit Antje Peters-Hirt und Ingo Siegmund Was ist eine sinnvolle Schulentwicklung mit Blick auf Eva- luation und ihre Effekte? Di, 24. Oktober, 19.30 Uhr, Königstraße 5, Großer Saal, Eintritt Prof. Dr. Wolfgang Böttcher, Erziehungswissenschaftler, Institut frei für Erziehungswissenschaft Münster Wie bestimmt man international gehandelte Hölzer? Privatdozent Dr. habil. Gerald Koch, Hamburg Theaterring Der Kurator einer der weltweit größten wissenschaftlichen Holz- sammlungen mit 37.000 Mustern und 50.000 mikroskopischen Fr, 27. Oktober, Oper, Großes Haus, 19.30 Uhr Präparaten vom Thünen-Kompetenzzentrum Holzherkünfte in Der fliegende Holländer, Richard Wagner Hamburg-Bergedorf wird in die Welt der Hölzer einführen und über spannende Fälle am Kompetenzzentrum Holzherkunft be- Beratungsversammlung richten. (Mitgliederversammlung) am 15. November 2017 um 19:00 Uhr Gemeinsam mit dem Grünen Kreis Lübeck e. V. im Großen Saal Kolosseum TAGESORDNUNG TOP 1 Fr, 20. Oktober, 19 Uhr, Kronsforder Allee 25 Genehmigung der Jahresrechnung 2016 und Entlastung der Vor- Elke Heidenreich steherschaft „Die Urgroßmutter sah streng über ihre Brille und sagte: Friss, Vogel, oder stirb.“ Elke Heidenreichs TOP 2 Liebe gilt den eigensinnigen Vögeln, die weder Genehmigung des Haushaltsvoranschlages 2018 fressen wollen noch sterben. So wie sie selbst ei- TOP 3 ner ist – und viele andere, von denen sie erzählt. Wahlen Vorsteherschaft Eintritt 20 Euro, 18 Euro mit Weilandcard. Vorverkauf bei Hugen- Zum 31. Dezember 2017 läuft die Amtszeit der Vorsteher Antje dubel, Tel. 0451/1600650 Peters-Hirt, Olaf Fahrenkrog, Dr. Boto Kusserow, Renate Men- ken, Angelika Richter und Helmut Wischmeyer aus. So, 22. Oktober, 19 Uhr, Kronsforder Allee 25 Die Vorsteherschaft schlägt die Wiederwahl von Frau Richter Singen für das Leben und Frau Peters-Hirt in die Vorsteherschaft vor. Ferner schlägt die An diesem Tag endet die diesjährige Lübecker Hospiz- und Pal- Vorsteherschaft die Neuwahl von Pastor Heiko von Kiedrowski liativwoche, und sie soll mit einem fröhlichen, öffentlichen und in die Vorsteherschaft vor. stimmgewaltigen Event ausklingen – mit „Singen für das Le- ben“. Es werden die bekannten Songs gespielt und gesungen, das TOP 4 Kolosseum ist für jeden und jede geöffnet, die Spaß am Singen Wahlen Direktor hat. Denn Freude wollen wir alle haben, die wir leben. Leben Turnusmäßig läuft die Amtszeit des Direktors, Titus Jochen bis zuletzt. Heldt, zum 31. Dezember 2017 ab. Die Vorsteherschaft schlägt Eine Veranstaltung vom Palliativnetz Travebogen die Wahl von Angelika Richter zur Direktorin vor. TOP 5 Litterärisches Gespräch (extra) Berichte der Einrichtungen/Berichte der Vorsteher TOP 6 Mo, 30. Oktober, 19.30 Uhr, Aula des Katharineums Verschiedenes 500 Jahre Reformation: Christ sein heute Am Vorabend des Reformationstages werden wir versuchen, Kurzfassungen des Jahresabschlusses 2016 sowie des Haushalts- Glauben auf den Punkt zu bringen. Im Dialog der Konfessionen voranschlages 2018 werden den Lübeckischen Blättern beigelegt. hören Sie Beiträge zu folgenden Themen: „Wie treffe ich eine gute In ungekürzter Form liegen der Jahresabschluss 2016 und der Entscheidung? Die Unterscheidung der Geister bei Ignatius von Haushaltsvoranschlag 2018 ab 30.09.2017 in den Räumen der Loyola“ (Prof. Matthias Beck, Universität Wien); „Singular oder Buchhaltung zur Einsicht aus. (siehe auch Hinweis S. 284) Plural? Über die Vorzüge des Monotheismus“ (Prof. em. Eckhard Es wird ein kleiner Imbiss gereicht. Nordhofen, Universität Gießen) und „Angemessen von Gott reden Wir freuen uns über die Teilnahme zahlreicher Mitglieder. – Martin Luthers ‚Vom freien Willen‘“ (Pastor Martin Klatt, Dom zu Lübeck). An die Kurzvorträge schließt sich eine Podiumsdis- Titus Jochen Heldt, Direktor

Lübeckische Blätter 2017/16 269 110. Geburtstag der Photographischen Gesellschaft Lübeck Fotomeisterschaft in Lübeck Zwei Fotoschauen im Schuppen 6

Bekannt waren die Ergebnisse bereits stellung um 60 Mitte August, die Preisverleihung und Bilder von PGL- Vernissage zur Eröffnung der Fotoausstel- Mitgliedern, mit lung fanden am 16. September statt. denen anlässlich Hierzu eingeladen hatte die Photogra- des Jubiläums ein phische Gesellschaft Lübeck e. V. (PGL) Einblick in de- in den Schuppen 6 des Lübecker Hafens. ren fotografische Die Vorsitzende Dr. Iris Bähren konnte in Arbeit gegeben der bis fast auf den letzten Platz gefüllten werden soll. Da- historischen Lagerhalle 117 Fotofreun- nach würdigte dinnen, Fotofreunde und Gäste begrüßen. Lübecks Bürger- Darunter Bürgermeister Bernd Saxe sowie meister Bernd den NORDMARK-Vorsitzenden Ulrich Saxe die Qualität Reiß. Frau Dr. Bähren erinnerte in ihrer der ausgestell- Begrüßung an den Anlass für die Ausrich- ten Werke. Da- tung dieser Fotomeisterschaft, nämlich bei bekannte er das 110-jährige Bestehen der Photogra- seine Vorliebe phischen Gesellschaft. für die Schwarz- Jetzt wurde die Fotomeisterschaft zu Weiß-Fotografie, einem würdigen Abschluss gebracht. Das wegen der damit Team-LAFO hatte alles bestens geplant und zu erzielenden organisiert. Das Team wurde von vielen besonderen Aus- Helfern tatkräftig unterstützt. Hans-Jürgen drucksform. Der Jolitz hatte für einen reibungslosen techni- NORDMARK- schen Ablauf gesorgt. Was wäre aber diese Vorsitzende Ul- Fotomeisterschaft ohne Bilder. Gedankt sei rich Reiß betonte

den 120 Autoren, die insgesamt 631 Werke in seinem Gruß- für Fotografie Foto: © Deutscher Verband zu den vorgegebenen Sparten eingereicht wort die Wichtig- haben, auch, wenn die Teilnahme die Er- keit der ehrenamtlich Tätigen sowie die ten Dr. Iris Bähren und Ulrich Reiß den wartungen nicht ganz erreicht hat. Unterstützung durch Sponsoren. Erfolgreichen Urkunden, Medaillen und Gezeigt wurden die 198 besten Bilder Anschließend wurden den Anwesen- Sachpreise. Leider waren nicht alle zu Eh- im Rahmen einer Fotoausstellung noch den alle erfolgreichen Fotos im Rahmen renden gekommen, sie befanden sich zum bis zum 24. September, rustikal gehängt einer von Jürgen Reif erstellten AV-Schau Teil schon wieder auf Reisen, um Fotos an Baugerüsten, positioniert mit Angel- präsentiert. In der abschließenden Sieger- für ihre nächsten Wettbewerbsteilnahmen sehne und -haken. Ergänzt ist die Aus- ehrung und Preisverleihung überreich- zu schießen. Manfred Hauke

Links, die anwesenden Preisträger/innen, daneben Bürgermeister Bernd Saxe, Frau Dr. Iris Bähren und ganz außen rechts Ulrich Reiß, Landesverbandsvorsitzender des DVF-Landesverbandes Nordmark (Foto: Ekkehard Retelsdorf)

270 Lübeckische Blätter 2017/16 Gemeinnützige Sparkassenstiftung/Musikkritik Stiftung hilft der Theaterpädagogik

Auch in diesem Jahr unterstützt die Ge- „Wir sind meinnützige Sparkassenstiftung zu Lübeck gern Partner des die Arbeit der Theaterpädagogik. Der Vor- Theaters“, betonte sitzende des Stiftungsvorstandes, Titus Titus Heldt, und Heldt, und weitere Herren des Vorstands Vorstandskollege überbrachten die Zusage einer Förderung Frank Schumacher in Höhe 50.000 Euro. Aus der Zuwendung wies darauf hin, wird die Teilfinanzierung einer halben dass die Arbeit die Stelle für Theaterpädagogik bestritten. Der Persönlichkeitsent- größte Teil des Betrages aber bildet die wicklung der Kin- Grundlage für eine vorbildliche Arbeit mit der fördere. Man Kindern und Jugendlichen, betonte Knut könne zwar nicht Winkmann, Leiter der Theaterpädagogik. in die Zukunft Zur Zeit gibt es am Theater sieben soge- schauen; der Wil-

nannte Spielclubs. Sie erarbeiten eigene le, auch künftig zu Foto: k.d. Stück-Ideen oder erproben Buchadaptio- helfen, sei jedoch nen. Mit zur theaterpädagogischen Arbeit vorhanden, sagte Wolfgang Pötschke. Der habe Rostock in der vergangenen Saison gehören ferner die Bürgerbühnen, für die geschäftsführende Direktor des Theaters, 88.000 Besucher gehabt, Lübeck 178.000. sich in jüngster Vergangenheit rund 200 Christian Schwandt, hatte einige Zahlen Fast 50.000 der Lübecker Besucher seien Erwachsene gemeldet hätten. Sie gehen parat. Er verglich die Bühnen Lübeck mit junge Leute bis 26 Jahre gewesen. Schwel- auch „nach draußen“. In diesem Jahr zum dem Theater in Rostock; einer Stadt mit lenangst sei auch dank der Zusammenarbeit Beispiel mit dem Projekt „Mut. Macht. ebenfalls gut 200.000 Einwohnern und ei- mit Schulen kaum vorhanden. Mensch“ zum Reformationsjubiläum. nem vergleichbaren Theateretat. Insgesamt Konrad Dittrich

„Sacred Treasures“ in St. Jakobi so. Immer wieder überzeugend sind die traf viele der Menschen, die das Konzert hö- Werke von Franz Tunder, dessen Todestag ren wollten, unvorbereitet. Man fühlte sich Die Kantoren der Lübecker St. Marien- sich in diesem Jahr zum 350. Male jährt. benutzt und war verstimmt. Arndt Schnoor kirche verfügten einstmals über eine große Arvid Gast zeigte Chorbibliothek mit Musikalien aus meh- an der Stellwagen- reren europäischen Ländern. Kultur hört orgel einmal mehr eben nicht an Landesgrenzen auf, sondern sein technisches war auch früher schon grenzenlos. Diese Können in einem Bibliothek befindet sich heute in Wien und Praeludium von wurde seit vielen Jahren von der amerika- Tunder und zwei nischen Musikwissenschaftlerin Kerala Werken Buxtehu- Snyder erforscht. Im Rahmen eines Kon- des. Er kennt seine zertprojektes waren am 21. September in Orgel und präsen- St. Jakobi nun Werke aus dieser Bibliothek tierte interessante in der Bearbeitung von Snyder zu hören. Registrierungen. Außerdem erklangen Werke von Buxtehu- Ein dankbares Pu- de und Tunder aus der in Uppsala verwahr- blikum spendete ten Düben-Sammlung. Es musizierten der langen Beifall für Akademische Kammerchor Uppsala und ein Konzert in dem Solisten des WDR-Rundfunkchores Köln „Alte Musik“ auf und das Uppsala Consort unter Leitung des sehr schöne Weise renommierten Chorleiters Stefan Parkman. lebendig gemacht Der groß besetzte Kammerchor machte es wurde. Parkman möglich, die recht unbekannten Bevor das Kon- Werke kraftvoll und dynamisch sehr unter- zert begann, fand schiedlich zu gestalten. So hörte man etwa eine Ehrung der die wunderbare „Missa brevis“ von Bux- beim Untergang der tehude in dieser erfrischenden Interpreta- Pamir auf See Ge- tion ganz neu. Eine Perle reihte sich an die bliebenen statt. Die- andere. Auch Kompositionen von kaum se durchaus würdige mehr bekannten Meistern wie Quagliati Feier war weder in oder Vesi konnten überzeugen. Sehr schön Vorankündigungen gelang eine nur von den Solisten aus dem noch im Programm Seitenschiff gesungene Motette von Las- selbst vermerkt und

Lübeckische Blätter 2017/16 271 Geschichtskultur Aus der Geschichte Finnlands: von den Erfolgsfaktoren einer Nation Vortrag in der Gemeinnützigen anlässlich der Feier des Honorarkonsulats von Finnland in Lübeck im 100. Jubiläumsjahr der Unabhängigkeit Finnlands Von Dr. Robert Schweitzer

Dass Finnland eine Erfolgsgeschich- Jahrhunderte seit 1417 die Alternativen, über alle Feierlichkeiten zum Unabhän- te hat, ist in aller Munde – spätestens die genauso gut in der historischen Si- gigkeitsjubiläum gestellt hat. Es greift seit sein Erziehungswesen immer wie- tuation möglich waren. die neuen Herausforderungen der Ge- der auf Platz eins der PISA-Vergleiche Solche dekonstruierende und kontra- genwart auf, anstatt bestimmte große lag. Jüngst stand selbst in den Lübecker faktische Untersuchungen sind zur Zeit Momente zu re-inszenieren. Nachrichten einer launige Aufzählung modern, aber ich will in dieser kurzen Und in der Tat: dem 6. Dezem- weiterer Spitzenwerte: „Finnland hat Viertelstunde doch einige Schlaglichter ber 1917 fehlt die Begleitmusik in der die freieste Presse, die zufriedensten auf Ereignisse werfen, die Wendepunkte Staatssymbolik Finnlands. Wer auch Mütter, die geringste Korruptionsrate, zum waren, statt zu überlegen, was ge- Helsinki nur einen Kurzbesuch abge- und den höchsten Kaffee-pro-Kopf- wesen wäre, wenn … stattet hat, konnte sehen: die Helden der Verbrauch der Welt, 187.000 Seen, Und es ist ja doch bemerkenswert, Hauptstadt sind nicht die Helden des genügend Umlaute für den gesamten dass ein Land ohne jahrhundertealte Unabhängigkeitstages. An der nach ihm Kontinent und eine endlose Liste bizar- Staatstradition im Rücken, ohne einen benannten Straße steht die Reiterstatue rer Weltmeisterschaften von Frauen- fruchtbaren Süden, mit wenigen Men- des Generals Mannerheim, aber er ist tragen bis Luftgitarre.“1 Wahrlich eine schen und Bodenschätzen, in ungünsti- der Held des Bürgerkrieges, des April Menge Blumen zu einem hundertsten ger geographischer Randlage und einer 1918; an unserem Stichtag war er noch Geburtstag! prekären Situation zwischen den Blöc- russischer Offizier. Vor der Domkir- Aber das war nicht immer so: zum 50. ken den Weg zu Rechtsstaatlichkeit, che wird ein beherrschendes Denkmal Geburtstag, also 1967 und in den Jahren Wohlstand, Souveränität und Zusam- 1000fach fotografiert, aber an seinem danach war das Lob nicht so üppig: im menarbeit hat gehen können. Und wir Sockel ist nicht 1917, sondern 1863 ein- Gegenteil – „Finnlandisierung“ war ein wünschen uns doch einfach auch, dass gemeißelt und obenauf prangt die Statue Kampfbegriff, der das Land in seinem es so ein Land geben möge und es ihm des russischen Zaren Alexander II. – er zähen Neutralitätsstreben blamierte, nur gut gehe. hat mit dem Unabhängigkeitstag nichts um in Deutschland eine Keule gegen die Bisweilen mag man dem neuen zu tun. Die längste Straßenachse der neue Ostpolitik zu schwingen. − Sie se- Buch trotzdem Recht geben: man- Stadt, „Unioninkatu“, hat von der 1809 hen also, dass mir nicht hundertprozen- ches wäre vielleicht­ besser anders ge- begründeten Verbindung − der Union! tig wohl bei dem Titel meines Beitrags laufen. Gerade die Ereignisse um die − mit dem russischen Zarenreich ih- ist, obwohl ich die Formulierung selbst Unabhängigkeits­erklärung bilden eine ren Namen − einen „Unabhängigkeits- gewählt habe. der bittersten Perioden der Geschichte platz“, eine „Straße des 6. Dezember“ Ein neues Buch aus Finnland hätte Finnlands und mündeten in einen bluti- sucht man vergebens. mich fast von meinem Thema abge- gen Bürgerkrieg zwischen „Roten“ und Eine Erklärung gibt der Vorgang bracht. Es ist auf Schwedisch geschrie- „Weißen“. Deutschland wurde von den selbst: am 6. Dezember trat niemand ben und heißt „Öppet fall“ – „Ein un- Weißen zu Hilfe gerufen, aber ein neues auf einem Balkon vor die Menge und abgeschlossener Fall“. Im Vorwort liest Buch3 beschreibt, wie Finnland erst von rief ein unabhängiges Finnland aus. man: „Finnlands Geschichte ist oft Deutschland „gerettet“ wurde und wie Vielmehr beschloss der finnische Land- durch das Guckloch [des Unabhängig- es dann vor Deutschland gerettet wer- tag formal nichts weiter, als dass nach keitstags, Rob. Schw.] am 6. Dezem- den musste. Weil die Weißen ihre eige- § 38 des schwedischen Grundgesetzes ber 1917 betrachtet geschrieben wor- nen Verluste im Verhältnis 10:1 rächten, von 1772 eine Regentschaft gebildet den, [als Bericht] über eine nationale blieb das Land tief gespalten. Es grenzt werden müsse, weil mit der Roten Re- Selbständigkeitsidee,­ die unaufhaltsam an ein Wunder, dass ein faschistischer volution in Russland der Staat keinen ihren Weg durch die Jahrhunderte ver- Putsch 1932 abgewendet und der tiefe legitimen Herrscher mehr habe. Dieser folgt. Alles was auf dieses Ziel voraus- Riss im Volk gekittet werden konnte, Rechtsakt setzte aber voraus, dass es weist, ist wichtig, alles andere ist rück- sodass sich das Land 1939/40 im „Win- 1917 schon einen Staat Finnland gab, wärtsgewandt oder unwesentlich.“ 2 terkrieg“ einmütig dem sowjetischen dessen Verfassung aus schwedischer Und so verfolgt das Buchs für die sieben Angriff entgegenstemmen konnte. Zeit noch gültig war. Darin liegt wohl der Grund dafür, Wir können also mit gutem Recht 1 Imre Grimm: Es geht wieder bergauf (Speaker‘ dass Finnland das geradezu beschwö- unseren Ausflug in die Geschichte Finn- corner), LN 21.2.17, S. 2. rende Motto „yhdessa“ − „gemeinsam“ lands mit der Zeit seiner Zugehörigkeit 2 Nils Erik Villstrand & Petri Karonen (Hrsgg.): zu Schweden beginnen, und das heißt Öppet fall: historia som möjligheter och um 1200! Die Legende spricht von ei- alternativ [Ein unabgeschlossener Fall: Möglich- 3 Marjaliisa und Seppo Hentilä: Saksalainen Suomi keiten und Alternativen in Finnlands Geschichte] [Das deutsche Finnland] 1918, Helsinki 2016, er- nem Kreuzzug von 1156, der dem Land 1417-2017, Helsingfors 2017, S. 7. scheint 2018 in deutscher Übersetzung. schwedische Königsherrschaft und la-

272 Lübeckische Blätter 2017/16 Anzeige_Trauerfall_187x55_dasAmtliche_Firmen + Leistungen_final_0314 21.03.14 14:48 Seite 1 Vortrag: Aus der Geschichte Finnlands Abschiednehmen mit Liebe, Würde und Respekt ● Erd-, Feuer- und Seebestattungen, Friedwald ● Kostenlose Beratung zur Bestattungsvorsorge und anonyme Beisetzungen ● Abwicklung aller Formalitäten und Behördengänge ● Individuelle Trauerfeiern und Trauerbegleitung ● Gezeiten.Haus als eigenes Trauerhaus

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Da- dern auch und manchmal zugleich ge- doch der Bischofssitz in Turku ein geisti- mit entwickelte sich unter den Finnen gen Russland, und das tat es oftmals ges Zentrum des finnischen Reichsteils, ein hoher Alphabetisierungsgrad, der schlecht vorbereitet, auf finnischem Bo- aus dem man mehr Leute als aus Schwe- proportional zum Analphabetentum in den und mit finnischem Blut. Kann man den zum Studium nach Paris schickte. Russland, aber auch etwa im katholi- das zum Erfolgsfaktor umdeuten? – Ein Dieser Drang der Finnen zu den Zentren schen Litauen war. Trost lautete: Die Finnen erwarben da- des Wissens hat immer angehalten; seit Für den König war die Reformation bei Kriegstüchtigkeit und einen Ruf von 1640 gab es eine Universität in Turku, aber auch eine Verwaltungsmaßnahme, Kampfkraft – das sagte man sich auch sodass man erworbene Kenntnisse dem wieder, als das Kaiserliche Deutschland Land zurückgeben konnte. a) um das Vermögen der Kirche für den im Ersten Weltkrieg zwar emigrierte Auch die Hanse fasste in Finnland Staat zu sichern und finnische Unabhängigkeitskämpfer aus- Fuß, der schwedischen König lud die b) um den Pfarrern, deren Oberhirte er bildete, aber dann zunächst an der eige- Kaufleute sogar ein, aber wer blieb, ja nun war, die Gemeindeverwaltung nen Ostfront „verbrauchte“. konnte sein Recht nicht mehr in Lübeck anzuvertrauen. Nach Erfolgen unter Gustav Adolf suchen, sondern stand unter schwedi- ging dann 1710/21, 1743 und 1809 schem Recht. So wurde auch nie eine Das war schon nicht nichts: ein stu- Finnland stückweise in den Besitz des finnische Stadt Hansestadt, aber selbst dierter Mann an der Spitze des Kirch- Russischen Reichs über. Aber diese die Lübecker nutzten die Schmuggel- spiels, der gar von seinen Amtsbrüdern endgültige Abtrennung war zugleich routen über Wiborg, um während fei- in den Reichstag in Stockholm gewählt der Anfang eines eigenen finnischen erlich gemeinsam beschlossener Em- werden konnte. Aber auch die Bauern Gemeinwesens. Denn Finnlands zivile bargos doch an die begehrten Ostwaren wählten ihre Standesvertreter – denn Führungsschicht blieb nach dem russi- aus Nowgorod zu kommen. Es stimmt, im Schwedischen Reich waren die Bau- schen Einmarsch 1809 auf ihrem Posten, dass am Hansehandel die Hansestädte ern nie leibeigen. Auch hatte der König sorgte für einen reibungslosen Treueeid reich wurden, aber das Land an der Pe- die Mitbestimmung durch die Landtage und half, Zusammenstöße zwischen Be- ripherie gelangte so auf die Handelskar- nicht abschaffen können. Nur wenn 3 satzern und Bevölkerung zu vermeiden. te Europas. − Das war nicht das letzte Stände zustimmten, konnte der König Sie rechnete auf die Proklamationen Mal, dass Finnland als eine bevorzugte Gesetze ändern; eine Verfassungsände- Zar Alexanders I., dass dem Land beim Schaltstelle für den Osthandel seinen rung brauchte sogar die Zustimmung Übergang zum Russischen Reich seine Anteil am Handelsaufkommen Europas aller 4 Stände. Die daraus resultierende angestammte Ordnung erhalten bleiben sichern konnte. Rechtsordnung war dementsprechend: sollte. Allerdings umschloss die neue Die Einführung der Reformation im fast alles, was in der Zeit der französi- Westgrenze des Russischen Reiches (die gesamten Schwedischen Reich wurde schen Revolution an Bürgerrechten er- heutige Westgrenze Finnlands am Nor- gerade wieder4 als der entscheidende kämpft wurde, hatte sich in Schweden dende des Bottnischen Meerbusens), die Wendepunkt der finnischen Geschich- und damit in Finnland seit dem Mittel- einzig nach außen verteidigungsfähig te bezeichnet. Aufgrund der schon er- alter ungeschmälert erhalten. schien, ein Finnland, dessen Kontrolle wähnten Bildungstradition konnten Natürlich hatte das menschenarme nach innen gegen eine in Feindseligkeit Geistliche wie der an der Universität Finnland in keinem der vier Stände verharrende Bevölkerung unverhältnis- Wittenberg bei Luther ausgebildete Mi- genug Gewicht, um finnische Politik mäßig aufwendig gewesen wäre. Da kael Agricola praktisch aus dem Stand zu machen, aber es hatte eine Stimme entschloss sich Alexander I., der mit Finnisch zu einer Schriftsprache ma- und es sammelte politische Erfahrung. dem großen Endkampf mit Napoleon chen, in der das Neue Testament, der Es war ein Einwohner Finnlands, An- rechnete, Finnland mitten im Krieg zu ders Chydenius, der erstmals Presse- pazifizieren. 4 Henrik Meinander: Finnlands Geschichte, Bad und Gewerbefreiheit in Schweden Weil die finnischen Verhandlungs- Vilbel 2016, S. 39ff. forderte. delegationen darauf bestanden, dass

Lübeckische Blätter 2017/16 273 Aus der Geschichte Finnlands nur ein nach der schwedischen Verfas- die Zaren das letzte Wort, aber ihnen Wende − und bei dem rückhaltlosen sung gewählter finnischer Rumpfland- war selbstverständlich, dass Finnen Po- Eintritt in die EU. tag dem neuen Herrscher rechtsgültig litik für Finnland machten und beurteil- Das könnte man nun im Einzelnen huldigen könne, berief der Zar einen ten ihre Vorschläge unter dem Gesichts- ausführen – aber auf uns wartet die Musik. solchen 1809 nach Porvoo ein, ließ ihn punkt „warum eigentlich nicht?“, statt Kommen Sie doch demnächst in zu wichtigen Fragen Empfehlungen be- zu fragen „warum eigentlich?“. Waren die Volkshochschule. Dort war bis zum schließen und wiederholte seine Rechts- also die bis jetzt genannten Erfolgs- 13. Oktober eine vom hiesigen Ho- zusicherungen noch einmal feierlich. faktoren Christianisierung, Hanse, Re- norarkonsulat in Zusammenarbeit mit Der Zar konnte sich darauf ein- formation und Verfassung eher mit der der Deutsch-Finnischen Gesellschaft lassen, weil in Schweden nach einem Zugehörigkeit zu Schweden erworbene Lübeck beschaffte Wanderausstel- Staatsstreich dem König das Recht Voraussetzungen, so kann man ab 1809 lung des finnischen Nationalarchivs zugestanden war, auf unbegrenzte Zeit aktive Haltungen aufzeigen, die Finn- über „Finnlands Unabhängigkeit und ohne den Landtag zu regieren, sofern er lands Erfolg schufen. Deutschland“ zu sehen. Zu deren Ab- keine alten Gesetze änderte. Das wurde schluss am 26. Oktober wird Emeri- Alexander I. von den Finnen als seinen 1) Tapferkeit ist gut, aber nichts ohne ei- tusprofessor Bernd Wegner von der unumschränkten Herrscherrechten in nen Plan B. Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Russland gleichwertig dargestellt. Fast 2) In aussichtsloser Lage muss man Ge- sich für Finnlands Geschichte und all 100 Jahre haben die Zaren nach ihm, sprächspartner suchen, und seien es das eben Angesprochene eine gute Stun- der niemals einen Eid auf diese schwe- die Feinde von gestern. de Zeit nehmen. dischen Verfassungs­gesetze abgelegt 3) Über das Unvermeidbare muss man Ich beschränke mich auf eine Ara- hatte, diese in der Praxis eingehalten. wenigstens die Deutungshoheit zu be- beske zum Schluss: In Finnland selbst Die unvermeidliche Gleichstellung von haupten versuchen. ändert man gern ironisch zwei Buch- Orthodoxen akzeptierten die Finnen 4) Eine Chance für Finnland muss man staben in dem Wort für Unabhängig- gegen die Bestätigung, dass diese ei- ergreifen, selbst auf Kosten herge- keitstag, und dann wird aus „itsenä- gentlich ein Landtag hätte beschließen brachter Bindungen. isyyspäivä“ „itsepääsyyspäivä“ – Tag müssen. 5) Wer keinen Bewegungsspielraum hat, der Dickköpfigkeit. Und da fällt mir ein Den Empfehlungen des Landtags muss kaltblütig stillhalten. Wort von Hermann Hesse ein, das man von Porvoo folgte der Zar weitgehend: ebenfalls über die gesamte finnische Finnland sollte 50 Jahre keine Kriegs- Diese Haltungen haben an verschie- Geschichte schreiben könnte (ich zitie- lasten tragen, einen eigenen Staatshaus- denen Stationen von Finnlands Ge- re die Eigenschaften wegen des zuvor halt haben und keine Steuereinkünfte schichte bis heute als Erfolgsfaktoren Gesagten in umgestellter Reihenfolge): nach Russland abführen müssen. Eine – gewirkt: Beim kaltblütigen Stillhalten, „Gegen die Infamitäten des Lebens sind später Senat genannte – Regierung aus als Studenten im europäischen Revolu- die besten Waffen: Tapferkeit, Geduld Einheimischen legte ihre Vorschläge an tionsjahr 1848 sich von einem aussichts- und Eigensinn. Die Tapferkeit stärkt, den russischen Ministerien vorbei direkt losen Aufruhr zurückhielten und in einer die Geduld gibt Ruhe, und der Eigen- dem Zaren zur Billigung vor. Es war der singenden Revolution die Zukunftshoff- sinn macht Spaß.“5 − Danke für Ihre Kern eines autonomen Staatswesens im nungen ihres Landes demonstrierten. In Aufmerksamkeit. Russischen Reich entstanden. der Sorgfalt, im ganzen 19. Jahrhundert Dieser finnlandfreundliche Kurs war alle Regierungsakte in die Formen ei- 5 Z.B. in Udo Lindenberg (Hrsg.): Hermann Hesse wohlberechnet: das Land sollte nicht ner Verfassung zu kleiden, die juristisch – ein Lesebuch, Frankfurt 2008, S. 28. zurück in den schwedischen Staat stre- eigentlich nicht anerkannt war. In der ben. Aber der Zar hatte auch Respekt Entschlossenheit, die seit 1863 wieder vor der effizienten, tief gestaffelten und einberufenen Landtage zum Abwerfen Theater Lübeck nahezu korruptionsfreien schwedischen aller mittelalterlichen Relikte zu nutzen So, 29. Oktober, 11 Uhr und Mo, 30. Ok- Verwaltungstradition. und während der russischen Revolution tober, 19.30 Das Finnland in diesen Grenzen von 1905 freies Wahlrecht für Männer Uhr, MuK, war ein Produkt strategischer und ad- und Frauen zu erringen. 1918 durch die Konzertsaal ministrativer Überlegungen des Za- Rückbesinnung Mannerheims auf seine 2. Sinfonie- ren. Aber die finnische Nation in ihrer Westkontakte, um Finnland glimpflich konzert: Klugheit akzeptierte diese Grenzen wie aus dem deutschen Königsabenteuer „Lasst mich gottgewollt. Obwohl auch zwischen Pe- zu führen. Beim hochriskanten Aus- allein!“ tersburg und Estland Finnen wohnten, stieg aus dem Zweiten Weltkrieg ohne Werke von obwohl das Nationalepos Kalevala un- Rücksicht auf die unsinnigen Kampf- Dvorák und ter finnischsprachigen Orthodoxen in parolen Nazi-Deutschlands. Beim trot- Tschaikowsky Russland gesammelt worden war – die zigen Bekenntnis zu dem ungeliebten Michail Ju- offizielle finnische Politik hat sich un- Freundschaftspakt mit der Sowjetuni- rowski, Di- ter normalen Umständen niemals dem on, der Finnland nach 1945 ja doch das rigent (Foto Druck gebeugt, man müsse das Land Schicksal Osteuropas ersparte. Beim links) und auf seine „natürlichen“ Sprachgrenzen Festhalten an der in Zweifel gezogenen Alexander Ramm¸ Cello ausdehnen und „Brüder befreien“. Neutralitätspolitik bis zum Erfolg bei Theaterkasse 0451/399 600 Von nun an konnte Finnland sein Ge- der KSZE, beim Vermeiden jeglichen Kartenkauf online schick in die Hand nehmen; zwar hatten Triumphgeheuls nach der europäischen www.theaterluebeck.de

274 Lübeckische Blätter 2017/16 Ausstellungskritik

Ausstellung im Günter Grass-Haus Der unbekannte Maler Joachim Ringelnatz Von Karin Lubowski

Hafenkneipe

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘ Sitzt der Bruder mit der Schwester Hand in Hand.

Zwar der Bruder ist kein Bruder, Doch die Schwester ist ein Luder Und das braune Mädchen stammt aus Feuerland.

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘ Ballt sich manchmal eine Hand, Knallt ein Möbel an die Wand.

Doch in jener selben Schenke Schäumt um einfache Getränke Schwer erkämpftes Seemannsglück.

Die Matrosen kommen, gehen. Alles lebt vom Wiedersehen. Ein gegangener Gast sehnt sich zurück.

Durch die Fensterscheibe aber träumt ein Schatten Derer, die dort einmal Oder keinmal Joachim Ringelnatz: ,Hafenkneipe‘, Öl auf Leinwand, 1933 Abenteuerliche Freude hatten. (Foto: Kunsthalle Hamburg)

Ringelnatz? Das ist der mit den Ge- stenfalls aus den Zeichnungen für Kinder, durch, die anderen, aus der Not geborenen dichten vom Bumerang und den Ameisen die als Gäste im Grass-Haus willkommen Arbeits-Erfahrungen (als Hausmeister, und der betörenden „Ich hab dich so lieb“- sind und aufgefordert, in einem Boot Platz Bibliothekar, Fremdenführer) sind zu er- Erklärung, das ist der Schöpfer der Kunst- zu nehmen, sich Auszüge aus Ringelnatz’ ahnen. Dass Ringelnatz mit 25 Jahren im figur Kuttel Daddeldu und der Entdecker „Geheimem Kinder-Spiel-Buch“ und dem Schwabinger Künstlerlokal „Simplicissi- der haarigen Berge auf dem Näschen sei- „Kinderverwirrbuch“ anzuhören oder im mus“ erste eigene Verse vortrug, springt ner Liebsten. Auch, dass der 1883 im säch- Schatten einer gewaltigen Steiff-Giraffe aus den Bildern nicht hervor. sischen Wurzen als Hans Bötticher gebo- zu malen oder zu basteln. Nicht, dass Tatjana Dübbel den Schöp- rene Ringelnatz Kabarettist und Roman- Noch heute unerhört Freches (und fer der legendären Kunstfigur Kuttel Dad- cier und Kinderbuchautor war, ist noch Tröstliches), wie dieses ist dort zu entdec- deldu verstecken möchte, Lyrik ist an hinlänglich bekannt. Beinahe vergessen ken: Hörstationen auch zu naschen. Doch das ist dagegen der Maler. Auf dem liegt jetzt bildkünstlerische Werk liegt eher auf der der Fokus im Günter Grass-Haus. Dort Kinder ihr müsst euch mehr zutrauen! Wellenlänge des Großstadtromans „… hat Tatjana Dübbel die Sonderausstellung Ihr lasst euch von Erwachsenen belügen liner Roma…“, in dem Ringelnatz 1924 „Ringelnatz. Kunst und Komik“ kuratiert, Und schlagen. – Denkt mal: fünf Kinder dem Leben in einer modernen Metropole die bis zum 1. April 2018 zu sehen ist. genügen, nachspürt und das als Vorläufer für Alfred Kleine Menschen in gewaltiger, oft Um eine Großmama zu verhauen. Döblins „Berlin, Alexanderplatz“ gilt. Ein bedrohlicher Natur. Eine Hafenkneipe, mittelloser Dichter ist hier Protagonist, vor der mutmaßlich Ringelnatz selbst als Auf den Bildern rundherum zeigt sich man ahnt das Vorbild: Ringelnatz litt bis schiefer Schatten steht und durch Glas den Großen die Welt, wie Ringelnatz sie zu seinem Tod 1934 unter Geldnot. und Vorhang das Treiben beobachtet, ein in den 1920er-Jahren wahrnahm: in Unru- Wieder einen anderen Blickwinkel einsames „Untier“ vor Himmelsrot – rund he, im Aufbruch, im Wandel. vermitteln private Korrespondenzen. Vol- 30 Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen Es ist ein ernster Maler, der da präsen- ler Abenteuerlust zieht der 1883 gebore- hat Tatjana Dübbel für die Schau zusam- tiert wird. Nicht der „Schulrüpel ersten ne Ringelnatz in den Ersten Weltkrieg (in mengetragen. Aber komisch, sagt sie, ist Ranges“, als der er 1897 vom königlichen „Als Mariner im Krieg“ hält er autobio- kein einziges der Bilder, jedenfalls nicht Staatsgymnasium Leipzig verwiesen wur- grafisch seine Erinnerungen fest). Sein die für Erwachsene. Humor spricht be- de. Der Schiffsjunge, der Matrose scheint Freund Erich Mühsam schildert: „Einen

Lübeckische Blätter 2017/16 275 Ringelnatz als Maler/Theaterkritik

Feind hat er noch nicht zu sehen bekom- macht habe. „Ich finde es jüdisch“, urteilt romantikert, expressionistet, surrealistet, men … Aber mit giftigem Groll ist er er ganz im Zeichen der von Ressentiments dadaistet. Er ist produktiv. Nachhaltig überfüttert. Ein finsterer Hass gegen alles, geschwängerten Zeit. füllt das seine Kasse nicht. was dort geschieht, über die Roheit der Ringelnatz wird sich wandeln. 1930 1933 verhängen die Nationalsoziali- Menschen, die Eigennützigkeit und Un- verlässt er „die dümmste Stadt der Welt“ sten das Auftrittsverbot über Ringelnatz, gerechtigkeit und all den Jammer ist über (München) und zieht mit seiner Frau und etliche seiner Bücher werden verbrannt, ihn gekommen …“ unentbehrlichen Assistentin Leonharda, seine Bilder als „entartet“ aus den Mu- Giftiger Groll? Bei Ringelnatz? Tatja- die er „Muschelkalk“ nennt, ins noch pro- seen entfernt, etliche zerstört. Wie viele, na verweist auf dessen Entwicklung und gressive Berlin. Hier werden seine Bilder weiß keiner. Bekannt sind 138 Ölgemälde, macht sie nachprüfbar. Kaum ist dem spä- zusammen mit Werken von George Grosz unbekannt die Zahl der Aquarelle, von de- teren Freigeist und Sprach-Anarcho ein und Otto Dix ausgestellt, auch von Mu- nen ein gut Teil verschollen ist. 1934 stirbt Brief wie der von 1918 zuzutrauen, in dem seen und der Akademie der Künste auf- Joachim Ringelnatz verarmt und elend an er, überzeugter Christ und Noch-Patriot, gekauft. Wie er malt? Nicht expressioni- Tuberkulose. Beerdigt wird er auf dem sich über das Bruno-Frank-Stück „Die stisch, nicht im Sinne Neuer Sachlichkeit Berliner Waldfriedhof an der Heerstraße, Schwestern und der Fremde“ auslässt, das – Ringelnatz eben, einer, der sich an der man spielt sein Lieblingslied: „La Palo- „keinen besonderen Eindruck“ auf ihn ge- Kunstgeschichte abarbeitet, bei dem es ma“. Die Grabplatte ist aus Muschelkalk.

Hendrik Ibsens „Volksfeind“ in den Kammerspielen Die Inszenierung glüht vor Aufklärungslust und neigt zum Predigen Von Karin Lubowski

Was für eine Sauerei. Schlammbespritzt beim Blick auf die Bühne (ebenfalls Mir- Beschreibung. Die Inszenierung glüht vor sitzt nach zweieinhalb Stunden „Ein Volks- ja Biel) ist klar: Hier wird die bevorzugte Aufklärungslust, hier und da neigt sie zum feind“ auf der Bühne, geschlagen von gie- Kommunikationsform des amtierenden US- Predigen. Unterhaltsam und im besten Sin- rigen Zeitgenossen, unternehmerischen Präsidenten zitiert. Kurz, simpel und allzu ne interessant aber ist sie allemal. Winkelzügen und alternativen Fakten. Aber häufig zu knapp, um komplexen Sachver- Dass es um mehr als eine Wiedergabe auch seine Bezwinger sind nicht sauber aus halten gerecht zu werden – wir haben die des Ur-Werkes geht, zeigt schon die Bühne: der Sache mit der einträglichen Therme Informationsformen, die wir verdienen. Ein großer Rahmen umschließt den Kern der herausgekommen. Mirja Biel inszeniert das Auch bei Ibsen wird die Wahrheit mit Geschichte, daraus treten die Darsteller her- mehr als 130 Jahre alte gesellschaftskriti- Interessen verquirlt. Ein norwegisches Kü- vor, wenn es um Gegenwärtiges geht, Wah- sche Drama des Norwegers Henrik Ibsen in stenstädtchen lebt gut von einer Therme, len im Allgemeinen, die Bundestagswahl im den Kammerspielen als Lehrstück der poli- die Wellness-Touristen in den Ort spült. Besonderen, den Zustand unseres Trinkwas- tischen Gegenwart. Der Ärger bricht aus, als Kurarzt Tomas sers, den Desinformationsgehalt von Dis- In 140 Zeichen um die Welt. Es twittert, Stockmann (Jan Byl) entdeckt, dass das kussionsrunden, journalistische Anbiederei, wer denkt da nicht sofort an Donald Trump? vermeintlich Heil bringende Bad krank einschläfernde Political Correctness. Jan Kein einziges Mal fällt der Name, doch macht. Umliegende Betriebe, allen voran Byl stattet die Figur des Kurarztes Stock- der seines Schwiegervaters (Sven Simon), mann, der die Wahrheit über die verseuchte haben das Wasser verseucht, Pfusch am Therme publik machen will, mit einer erfri- Thermenbau hat ein Übriges getan. Tomas schenden Portion Selbstgerechtigkeit aus will die Wahrheit via Presse ans Licht brin- und bewahrt sie so vor Eindimensionalität. gen – und stößt auf Widerstand. Hauptgeg- Matthias Hermann gibt seinen aalglatten ner ist ausgerechnet der Bruder, Stadtprä- Gegenspieler und Bruder, der als Stadtprä- sident und Chef der Kurverwaltung Peter sident und Vorsitzender der Kurverwaltung Stockmann (Matthias Hermann), der um um Ansehen, Geldfluss und Macht fürchtet. Macht und Ansehen fürchtet. Die Therme Die Strippen der Gift-Maschinerie zieht ein hat den Ort reich gemacht, Sanierung kostet von Sven Simon verkörperter Unternehmer, Zeit und Geld. der, zunächst skurril als Krankheitserreger Mirja Biel hat Ibsens Text kräftig ein- kostümiert, durch Saal und Kulissen tänzelt. gedampft, das Personal reduziert, teils die Dass auch der Zuschauerraum zur Schau- Geschlechter umgewandelt und das Übrig- spielwiese wird, ist mittlerweile ein alter gebliebene angereichert. Zum Beispiel mit Hut, der diesem Stück aber gut zu Gesicht aktuellen Informationen über das Trinkwas- steht: Die Manipulation der öffentlichen ser, mit einigen der „20 Lektionen für den Meinung findet im Volke statt. Widerstand“ aus Timothy Snyders gerade Zwischen den Brüdern schleimen erschienenem „Über Tyrannei“. Es ist jener Pressevertreter und Lobbyisten. Das Arzt- Snyder, der die US-amerikanische Demo- töchterlein (Rachel Behringer) versucht kratie in akuter Gefahr sieht. Das Drama um sich in Systemkritik, dies auch singend Wahrheit, Freiheit, Mehrheit und Recht sei mit kraftlos kritischen Liedern. Eine starke Doktor Tomas Stockmann, Kurarzt (Jan „von Henrik Ibsen“ behauptet die Ankün- Leistung zeigt Will Workman, der als Ka- Byl) (Foto: Kerstin Schomburg) digung. „Nach Ibsen“ wäre die passende pitän Bo Horster zwar nicht die von Ibsen

276 Lübeckische Blätter 2017/16 Musikkultur erdachte Freiheitsliebe ausleben darf, aber ziert wird. Mit Ent- das Stück sehr gut am Klavier begleitet. erbung droht der Wie gesagt: Unbeschadet kommt aus Schwiegervater am dieser Nummer keiner raus. Im Kampf um Ende. Das Licht er- den geringsten Schaden wird die Bühne lischt über einer zeit- demoliert, in ihren Tiefen findet sich der losen Sauerei. Schlamm, mit dem der Volksfeind denun- „Ich blick’ in mein Herz und ich blick’ in die Welt“ – neue Geibel-CD präsentiert In der Reihe „Zu Gast bei Brahms“ der das Lebensge- stellte der Sänger und Musikwissenschaft- fühl des erstarken- ler Ulf Bästlein seine neueste CD vor. den Bürgertums im Bästlein hat in den letzten Jahren meh- 19. Jahrhundert wie rere Einspielungen mit Liedvertonungen kaum ein anderer in verschiedener Komponisten zu Gedichten Worte kleiden konn- eines Dichters vorgelegt. Der gebürtige te, gehörte zu den und bekennende Schleswig-Holsteiner am meistgelesenen Bästlein hat sich nun mit Emanuel Gei- und beliebtesten bel beschäftigt und einen bedeutenden Dichtern. Geibels Teil der immerhin 3.600 Vertonungen zu nationale Haltung, Dichtungen Geibels gesichtet. Daraus eine er hatte schon lange Auswahl zu treffen war nicht leicht, wie vor der Reichsgründung die Vision eines nach der Reichsgründung ein national ge- er in dem Gespräch mit Moderator Wolf- Deutschen Reiches unter der Führung sinntes Triumphlied komponierte. Geibels gang Sandberger und dem Geibel-Exper- Preußens, wirkt für den heutigen Betrach- Haltung darf auch nicht mit den Ideen der ten Hans Wißkirchen berichtete. In zwei ter eher befremdlich, ist aber durchaus aus Nationalsozialisten verwechselt werden. Gesprächsrunden wurden verschiedene der Zeit heraus zu sehen. So erläuterte z. Wißkirchen erläuterte, dass es gerade die Aspekte zu Geibel beleuchtet. Geibel, B. Sandberger. dass Johannes Brahms Nazis waren, die das Geibeldenkmal vom heutigen „Koberg“ aus fadenscheinigen Gründen entfernten. Und heute? Sandberger fragte, ob Lübeck reif ist für ein Geibelhaus? Wißkir- chen machte hier keine Hoffnung, verwies aber darauf, dass in der neu gestalteten Aus- stellung im erweiterten Buddenbrookhaus auf Geibel als einem Dichter hingewiesen würde, der die Gebrüder Heinrich und Tho- mas Mann beeinflusst habe. Und die Musik? Ulf Bästlein sang, be- gleitet am Flügel von Sascha El Mouissi, neun Lieder und zeigte seine stimmlichen und deklamatorischen Möglichkeiten. Mal zupackend, mal pathetisch, dann wieder zart bis traurig waren die Lieder. Neben den „Großen“ des 19. Jahrhunderts wie Brahms, Mendelssohn und Schumann oder Wolf waren auch Werke von Kompo- nisten zu hören, die heute entweder ver- gessen oder auf anderen Gebieten bekannt sind. So gab es eindrucksvolle Tonsätze z. B. von Grieg oder auch von Anton Bruck- ner, von dem wohl kaum jemand schon einmal ein Lied gehört hat. Auch der lang- jährige Lübecker Musikdirektor Gottfried Herrmann war mit einem Lied vertreten. Diese und weitere Perlen sind auf der nun in Wien (Label Gramola) erschienenen CD zu hören. Als Zugabe gab es ein Lied von Konrad Geibel, Emanuels Bruder, das die- ser gerne gesungen hat. Begeisterung im „EG“, Medaillon von Franz Kugler, 1849 (Foto: © Fotoarchiv Hansestadt Lübeck) Publikum. Arndt Schnoor

Lübeckische Blätter 2017/16 277 Ausstellungskritik Literatur als Ereignis − Auf dem Wege ins neue Buddenbrookhaus Von Michael Eggerstedt

Kurz nach Ende des II. Weltkriegs Treffen mit ihrem Bruder, Heinz Prings- Mit dieser Betitelung wird eine falsche reiste Klaus Mann als Sonderkorrespon- heim, sowie dem jüngeren Bruder seines Erwartungshaltung geweckt, was beim dent der US-Army durch das zerstörte Vaters, Viktor Mann, wohlweislich ver- Besucher ein gewisses Störgefühl einste- Europa und führte Interviews, u.a. mit zichtet und zwar deshalb, „weil die bei- hen lässt. Nazi-Verbrechern und Mitläufern, wie den Langweiler sind“... In diesem Zu- Doch wie verhält es sich nun mit der Hermann Göring und Richard Strauß. sammenhang findet sich nun das Zitat, „Laborausstellung“ selbst? Wie auch Er traf aber auch Mitglieder seiner in- das der aktuellen Sonderausstellung im schon die letzten Sonderausstellungen zwischen weitverzweigten Familie. Von Buddenbrookhaus ihren Namen gegeben im ehrwürdigen „Grauem Giebel“ dient einer solchen Begegnung, nämlich mit hat: What a family“. „What a family“ der Erprobung neuer Maria Mann (die erste Ehefrau Heinrich Diese von Tilmann Lahme sehr Ausstellungsideen. Das neue Budden- Manns) und ihre gemeinsamen Tochter, kenntnis- und detailreich kuratierte Aus- brookhaus wird, gemäß jetzigem Pla- Leonie, berichtet er am 24. Mai 1945 in stellung trägt noch den Zusatz Die Manns nungsstand, nach Umbau und Erweite- einem Brief an seine in Kalifornien le- von 1945 bis heute“. Dieses ist allerdings rung unter dem Motto „Vom Elternhaus bende Mutter und bittet gleichzeitig, den – gelinde gesagt – irreführend. Tatsäch- zur Menschheit“ stehen und sich deutlich beiden Notleidenden Kleidung und Geld lich dreht sich die Ausstellung nämlich intensiver als bisher mit der gesamten nach Prag zu schicken. Dabei vergisst er ausschließlich um das Leben der sechs Familie Mann und ihrem Wirken in der auch nicht zu erwähnen, dass seine Lieb- Kinder von Katia und Thomas Mann Welt beschäftigen. lings-Schwester, Erika, dort wegen ihres sowie um Leonie – und eben nicht auch Das Grundkonzept des neuen Hau- Vorkriegs-Kabarett „Die Pfeffermühle“ um das ihrer Eltern und deren (langwei- ses besteht dann im Wesentlichen aus immer noch in hohem Ansehen steht. ligen) Geschwister oder gar deren Enkel. drei Teilen, die zukünftig im Mittelpunkt Allerdings ist sein Familiensinn eher se- Keine Frage: Das Leben der Thomas stehen sollen: 1. die Literatur selbst, 2. lektiver Natur, denn auf alle in Europa Mann-Kinder im Schatten ihres berühm- das Leben ihrer Protagonisten und 3. die lebenden Anverwandten möchte er dann ten Vaters ist wahrlich interessant genug! Zeitgeschichte, in der sie lebten – und die auch nicht treffen: So fügt er im besagten Und dieses spiegelt die Ausstellung auch sie ein Stück weit auch formte(n). Diese Brief an seine Mutter an, dass er auf ein wider. Aber warum dann dieser Zusatz? unterschiedlichen Aspekte unterhaltsam Foto: ME

278 Lübeckische Blätter 2017/16 Auf dem Weg ins neue Bddenbrookhaus und gleichzeitig informativ darzustellen worten geistig am nächsten verbun- über die Manns wussten, laufen Gefahr, und miteinander zu verknüpfen, stellt an den ist. Auch diese Idee wurde von sich von der aktuellen Laborausstellung sich schon eine anspruchsvolle Heraus- den jugendlichen Co-Kuratoren ent- aufgrund der Fülle des Materials über- forderung an die Ausstellungsmacher dar. wickelt. fordert zu fühlen, während es sich bei Doch diesen geht es nicht nur um die Nun mag man beklagen, dass die Menschen, die schon gut und fest über bloße Vermittlung von Bildungsinhalten, Ausstellung – bis auf die im Wesentli- die Hauptlinien des universellen Familie sondern um das Bemühen, den Besu- chen von Britta Dittmann beigesteuerten Mann-Kosmos informiert sind, genau chern beim Besuch der Ausstellung das Erkenntnisse und Wirkzusammenhänge andersherum verhalten mag. Gefühl der Relevanz für ihr eigenes Le- zur Person von Leonie Mann − nichts Die Lösung kann darin bestehen, das ben zu vermitteln. Wie es also gelingt, im Neues bietet oder dass wesentliche Ak- man den höchst heterogen zusammenge- Idealfall das Leben und Werk der Fami- tivitäten und Lebensstationen der Prota- setzten Besucherscharen die Möglichkeit lie Mann mit dem eigenen Lebensgefühl gonisten fehlen. bietet, sich in Breite und Tiefe genauso zu der Besucher in Beziehung zu setzen ist Aber ein solcher Anspruch hieße, die informieren, wie sie es selbst wünschen. und damit die Auseinandersetzung mit Ausstellung mit ihren begrenzten, weil Ziel sollte es also sein, die Besucher in den Manns zugleich zu einer Ausein- nichtdigitalen Darstellungsmöglichkei- der Ausstellung – und zwar unabhängig andersetzung mit sich selbst werden zu ten, inhaltlich hoffnungslos zu über- von ihren Vorkenntnissen – immer neu- lassen, stellt das Ziel moderner Muse- frachten. Schon jetzt ist die Gefahr der gierig auf „mehr“ Literatur und Familie umspädagogik dar und hieran will sich Überforderung durch sehr viele textlasti- Mann (und damit vielleicht auch dem auch das Buddenbrookhaus in Zukunft ge Informationen und die für Nicht-Ex- eigenen Lebenshorizont) zu machen. Di- orientieren. perten nicht immer klar zu erkennenden gitale Techniken bieten solche Möglich- Die Ausstellung versucht diesem Beziehungskonstellationen zwischen keiten, das Buddenbrookhaus sollte und Zielbild mit unterschiedlichen Ideen ge- den Mann-Geschwistern einerseits sowie will sie auch für das neue Haus nutzen recht zu werden: deren wechselseitiges Verhältnis zu den − wohlwissend, dass es am Ende „un- • So wird den Besuchern gleich am Eltern andererseits gegeben. möglich ist, allen zu gefallen“, aber der Anfang der Ausstellung die Möglich- Doch Laborausstellungen haben ge- größtmögliche Nutzen für alle Besucher keit gegeben, selbst Teil derselben zu rade die Aufgabe, Stärken und Chancen sollte bei der neuen Ausstellungskonzep- werden, indem sie auf Zetteln doku- zu erkennen und daraus für das spätere tionierung immer im Mittelpunkt stehen. mentieren können, wie sie sich selbst Ausstellungskonzept zu lernen – und Dieses gilt umso mehr für die Frage, in der eigenen Familie sehen – und deshalb an dieser Stelle kein Verriss von wie man zukünftig auch und gerade jun- wie Sie glauben, selbst von der Fami- What a Family, sondern im Gegenteil: ge Menschen für so etwas wie ein Lite- lie wahrgenommen zu werden. Lob zum Mut, neue Wege zu beschreiten raturmuseum im Allgemeinen und das • Um ihnen neben Erkenntnis und In- und gleichzeitig die Hoffnung, dass man Buddenbrookhaus im Besonderen be- spiration auch noch etwas Reales auf weiter konsequent diesen Weg geht und geistern und gewinnen will. Auch dieses ihren Heimweg mitzugeben, können dabei auch vor modernen Angebotsfor- wird nur funktionieren, wenn man die sich die Besucher an jeder einzel- men − im Interesse eines stärkeren inter- Kommunikationsmittel der Zeit einsetzt nen Ausstellungs-Station über kleine aktiven Handelns der Besucher − nicht und Raum und Gelegenheit für interakti- Drucker in Bon-Größe kurze Sequen- zurückschreckt! ves Handeln einräumt. zen über die einzelnen Mann-Kinder Denn auch dieses macht What a Fa- Es bleibt zu wünschen, dass What a selbst ausdrucken – ein „Mitnahme- mily deutlich, dass nämlich der neue Family zu einem attraktiven, modernen Prinzip“, dass sich in ähnlicher Wei- und komplexere Ausstellungshorizont und frischen neuen Auftritt des Hauses se schon in der Laborausstellung dringend neuer und bisher kaum einge- beitragen wird − die noch bis zum 19. „Fremde Heimat“ bewährt hatte. setzter Vermittlungsformen bedarf. Die November laufende Sonderausstellung • Auch die bewährte Zusammenar- moderne Technik bietet hier interessan- gibt hier hierzu durchaus Anlass zur beit mit der Gemeinschaftsschule te Möglichkeiten: So werden digitale Hoffnung! St. Jürgen wurde aufgrund der gute Darstellungskanäle, wie z.B. E-Guides, Erfahrungen bei Entwicklung des Museums-Apps, Touch-Screens oder Ausstellungskonzepts der „Fremden VR-Brillen, bislang so gut wie gar nicht Heimat“ neu aufgenommen: Im Rah- eingesetzt. Solche multimedialen Infor- men dieses neuen Projekts mit dieser mations- und Führungssysteme bieten Schule erarbeiteten die Jugendlichen einen entscheidenden Vorteil, der mit z. B. eigene charakteristische Hör- konventioneller Ausstellungstechnik stücke für jedes einzelne Mann-Kind, kaum erreichbar ist, nämlich den, den die man an den Hörstationen nach- Besucher, je nach Vorkenntnissen und verfolgen kann. Interesse selbst bestimmen zu lassen, in • Bei der letzten Station der Ausstel- welcher Breite und mit welcher Tiefe er Testament lung werden die Besucher auch noch sich mit bestimmten Aspekten einer Aus- Pflichtteil einmal zum Mitmachen aufgefordert: stellung beschäftigen will. KANZLEI FÜR Schenkung Durch die Beantwortung verschiede- What a familiy ist ein Beispiel dafür, ERBRECHT Testaments- ner Fragen weist ein speziell für die- welche Gefahren lauern können, wenn vollstreckung sen Zweck entwickeltes Programm die Vorteile elektronischer Informati- Eschenburgstraße 7 · 23568 Lübeck dem Besucher dasjenige Mann-Kind onstechniken nicht eingesetzt werden: Tel. 04 51/7 50 56 Fax 04 51/7 10 31 [email protected] · www.ra-winter.de zu, welchem man anhand der Ant- Menschen, die bislang so gut wie nichts

Lübeckische Blätter 2017/16 279 Musikkritiken

„Teurer Luther! Schlafe Den Schluss machte die Reformati- habe im Übrigen seinen Willen sehr ge- wohl!“ – Telemann- onskantate über „Ein feste Burg ist unser nau kundgetan. Gott“ von J. S. Bach. In einem großen Beethovens Siebte war Teil des ersten Entdeckung in St. Marien motettischen Chorsatz wird die Melodie Sinfoniekonzerts vom Oktober 1897 un- Im Rahmen der „buxtehudetage“ zunächst verarbeitet und erklingt sehr ter seinem ersten Leiter, dem Italiener brachte der Vorsitzende der Buxtehude- eindrucksvoll in tiefster Basslage der In- Ugo Afferni, genau wie die Ouvertüre Gesellschaft Ton Koopman mit seinem strumente. Der Chor sang klangschön und „Die Weihe des Hauses“. Beim jetzigen renommierten Ensemble „Amsterdam mit Emphase und gab der Textaussage das Konzert war ein dritter Beethoven hin- Barockorchester & Chor ein neu entdeck- nötige Gewicht. Die Sopranistin Martha zugenommen, das Violinkonzert op. 61. tes Reformationsoratorium des Jubilars Bosch konnte im Duett mit Mertens und Beethoven pur also zum Saisonstart. Im Georg Philipp Telemanns zu Gehör. In in ihrer Arie mit ihrer schlanken Stimme Programmheft wird daran erinnert, dass Zusammenarbeit mit dem Telemann-Zen- überzeugen. Auch der Tenor Tilman Lich- der Anstellungsträger seinerzeit nicht trum Magdeburg, das eine Edition dieser di setzte seine helle Stimme im Duett mit die Stadt war, sondern der privat orga- zum Reformationstag 1731 entstandenen dem Altisten gekonnt ein. Stark daher kam nisierte Verein der Musikfreunde, der Komposition vorbereitet, wurde das Werk die von den Instrumenten umspielte Cho- das musikalische Leben jahrzehntelang nun erstmals seit seiner Entstehungszeit ralstrophe „Und wenn die Welt voll Teu- bestimmte. wieder aufgeführt. Telemann, zu Unrecht fel wär“. Zunächst nur von den Männern Eine weitere Besonderheit dieser häufig als Vielschreiber abgetan, zeigt gesungen, ließ Koopman diesen genialen Saison: Einige frühere Orchesterlei- sich auch in diesem Oratorium als inspi- Satz Bachs als Zugabe vom ganzen Chor ter kehren für ein Doppelkonzert nach rierter Musiker, der durch seine musika- singen. Viel Beifall eines dankbaren Pu- Lübeck zurück. Den Anfang machte lische Ausdeutung der Texte überzeugt. blikums für ein großartiges Konzert mit Erich Wächter, Lübecker Musikdirek- Thema des Oratoriums ist die Reformati- einem Spitzenensemble für „Alte“, aber tor von 1989 bis 2001. Natürlich kennt on. Der katholischen Glaubenslehre wird sehr lebendige, Musik. Arndt Schnoor Wächter die Siebte auswendig. Er diri- die evangelische Lehre mit ihren positi- gierte sie als musikalisches Brillantfeu- ven Aspekten entgegengestellt. An die Ein Geschenk zum 120. erwerk. Frisch, lebendig, feurig erklang barocke Dichtkunst und Gedankenwelt Geburtstag schon der erste Satz, straff, in eindring- musste man sich zunächst gewöhnen. licher Steigerung der zweite. Das Presto Wirkungsvolle Arien mit zum Teil virtu- Ungewöhnlich gestaltete sich der kam wie ein Sturmwind daher. Kraftvoll osen Passagen gespickt, andächtige Cho- Saison-Auftakt der Lübecker Philharmo- blieb hier auch der bedächtigere Mit- räle und auch eine fast opernhafte Szene niker in der MuK. Nicht nur, dass sich telteil. Dabei wurden die dynamischen für Chor und Solisten machen das Werk das Programm am ersten Sinfoniekon- Angaben durchaus beachtet, also nicht aber zu einem spannenden Erlebnis, zu- zert des Orchesters vor 120 Jahren orien- alles derb oder gar dick serviert. Aber mal wenn ein Musiker wie Ton Koopman tierte. Es gab auch ein Geschenk, unge- schwungvoller, vor allem schneller als der Musik Leben einhaucht. Er ist bekannt wöhnlicher als Blumen oder Torte. Prof. den Schlusssatz kann man das Allegro für seine eher schnellen Tempi. Aber er Oliver Korte von der Musikhochschule con brio kaum spielen. Das Orchester kann auch ruhigere Sätze, wie zum Bei- überreichte Andreas Wolf, dem kom- ging bravourös mit. spiel den Schlusschor „Ruht, ihr seligen missarischen Musikdirektor, das erste Vor der Pause lernte das Publikum ei- Gebeine, teurer Luther! Schlafe wohl!“, Exemplar des von ihm herausgegebenen nen jungen deutsch-französischen Gei- musikalisch eindrucksvoll gestalten. Der Faksimiles von Beethovens Sinfonie Nr. ger kennen. Laurent Albrecht Breunin- Chor gefiel durch klare Aussprache, Into- 7. Ein „naturgetreuer Abdruck der Hand- ger spielte den Solopart in Beethovens nationssicherheit und homogenen Klang schrift Beethovens“, wie Korte sagte. Violinkonzert. Das Zusammenspiel mit auf hohem Niveau. In launiger Weise erzählte er, warum dem Orchester klappte ausgezeichnet. Mit dem Bassisten Klaus Mertens es 205 Jahre bis zu diesem Faksimile Wächter gab jeden Einsatz oder Ein- hat Koopman seit vielen Jahren einen gedauert hat. Nach Beethovens Tod hät- wurf, achtete auf den Solisten. Breu- Sänger an seiner Seite, der Texte ein- ten mehrere private Sammler die Hand- ninger ließ seine Geige auch in höchster drucksvoll zu gestalten weiß. Auch die schrift besessen. Zuletzt waren das Mit- Lage noch ohne Druck singen. Atemlose weiteren Solisten hatten dankbare Auf- glieder der Berliner Familie Mendels- Stille herrschte im Saal, wenn ein Ton gaben und fügten sich in die meisterliche sohn, die es schließlich der Königlichen im Pianissimo verklang, ohne an Sub- Leistung des Ensembles gut ein. Den Bibliothek überließen. Im Krieg wurden stanz zu verlieren. „Was wäre ein Sonn- Choral „Nun danket alle Gott“ innerhalb die Schätze der Bibliothek, an die 500 tag ohne Johann Sebastian Bach?“, frag- des Oratoriums durfte das Publikum, vor Kisten, nach Schlesien ausgelagert, bei te Breuninger und spielte im ersten der dem Konzert von Koopman instruiert, Kriegsende gelangten sie nach Kra- beiden Auftritte eine Zugabe aus dessen mitsingen, was klanglich einen großar- kau. Dank guter Zusammenarbeit mit h-Moll-Partita. Konrad Dittrich tigen Effekt machte. den polnischen Stellen konnte nun der Im zweiten Teil des Konzertes er- Band erstellt werden, in dem Forscher klang zunächst das immer wieder be- und Musiker sehen können, welche der Literaturnobelpreis rührende Klaglied von Buxtehude auf unterschiedlichen Lesarten der sieb- In der Bücherei der Gemeinnützigen fin- den Tod seines Vaters. Der Countertenor ten Sinfonie stimme. Von Beethovens den Sie folgende Romane des Literatur- Maarten Engeltjes deklamierte die vier „Sauklaue“ wurde gesprochen. Wenn nobelpreisträgers Kazuo Ishiguro: Als wir von Buxtehude selbst gedichteten Stro- man sich eingelesen habe, sei es jedoch Waisen waren (2000), Alles, was wir ge- phen deutlich, gestützt von einem sam- möglich, zu sehen, was Beethoven ge- ben mussten (2005), Der begrabene Riese tigen Streicherklang. meint habe, sagte Korte. Der Meister (2015).

280 Lübeckische Blätter 2017/16 Theaterkritik

Bert Brechts Mutter Courage in den Kammerspielen „Wer Waffen exportiert, muss Flüchtlinge importieren“ Von Karin Lubowski

Andreas Nathusius hat am hiesigen Theater deutliche Marken gesetzt. Hein- rich Manns „Professor Unrat“ hat er als „Blauer Engel“ inszeniert, Falladas „Klei- ner Mann – was nun“, Horváths „Ge- schichten aus dem Wienerwald“, vergan- genes Jahr „Die Blechtrommel“. Disku- tiert wurden seine Arbeiten immer, gefei- ert auch. Neu ist, dass mit „Labor – Mutter Courage“ eine Nathusius-Premiere vor unübersehbar schlecht verkauftem Haus gespielt wird. Verdient hat das die Regie- arbeit ebenso wenig wie die Leistungen der Darsteller. Susanne Höhne, die dienstälteste Frau im Schauspiel-Ensemble, kommt als Mutter Courage mit trotziger Kraft und der nötigen Bereitschaft, Moral gegen Gewinn abzuwägen und beizeiten über Bord zu werfen, daher. „Ich lass mir den Susanne Höhne (Mutter Courage), Lars Wellings (Der Koch), Robert Brandt (Der Krieg von euch nicht madig machen!“ Feldprediger) (Foto: Thorsten Wulff) raunzt sie Bedenkenträger in schwäbisch gefärbtem Bayerisch an. Wie Brecht 30-jährigen Krieg. Religionskonflikte, den Bogen jedoch noch weiter: In seinem stammt Höhne aus Augsburg, Dialekt ist Macht- und Besitzansprüche haben Euro- „Labor“ laufen Versuchsreihen, in denen ihr in die Wiege gelegt. pa in Brand gesetzt. Zwischen Gemetzel der statistische Wert eines Menschen Brecht schrieb „Mutter Courage und und Elend richtet sich eine Geschäftsfrau (in Deutschland 1,65 Millionen Euro) ihre Kinder“ 1938/1939 im schwedischen ein: Mutter Courage zieht den Soldaten aufgeschlüsselt wird, in denen das glo- Exil, den drohenden realen Weltkrieg und hinterher, bereichert sich, macht ihren bale Wohlstandsgefälle seziert wird und die aktuelle Unternehmer-Gier vor Au- „Schnitt“, will dabei ihre Kinder beschüt- in denen schließlich auch Brechts Idee gen, sich daran dumm und dämlich zu zen und verliert doch alle drei. des epischen Theaters zum Thema wird: verdienen. Er verlegt sein Drama in den Bei Nathusius kommt Mutter Courage auseinandersetzen statt hineinversetzen, daher, wie man sie seit Theater- und Film- Argument statt Suggestion. Kräftiger generationen kennt: im Planwagen, der Gesang statt Belcanto. Musik von Paul von den Söhnen Eilif und Schweizerkas Dessau, eingerichtet und angereichert gezogen wird, zunächst jedenfalls, denn von Wolfgang Siuda, kommt mit Axel die Jungs werden der taffen Marketende- Riemann am Piano von der Bühne. rin im Kriegsverlauf ebenso weggeschos- „Wer Waffen exportiert, muss Flücht- sen wie die stumme Tochter Kattrin. Am linge importieren“ ist auf weißen Tüchern Ende zieht sie, verlassen auch von Gefähr- zu lesen, die erst vorne zu sehen sind und ten, die je nach Lebensabschnitt ihrerseits dann vom Balkon des 1. Ranges aus dem ihre Mäntelchen im Fahrtwind des Plan- Publikum im Parkett im Genick sitzen. wagens flattern lassen, den Karren allein Vorne wird derweil ein vermeintliches durch den Dreck. Leichentuchgebirge zu einem kolossalen Nathusius lässt in Schwarzweiß spie- Erdball aufgeblasen, auf dem modern ge- len (Ausstattung Annette Breuer) – und metzelt wird. wie so oft bei seinen Regiearbeiten auf Drei Stunden (eine Pause) dauert das vielen Ebenen. Szenen aus dem DEFA- Lehrstück. Am Ende drehen sich die Dar- Film von 1961 sind zu sehen, die Dar- steller mit dem Rücken zum Publikum, steller geben ihre Stimmen dazu. Und weiße Buchstaben auf schwarzen Kostü- während zeitgenössische Bilder von men: „Kapital“. Plakativ, simpel, Brecht. Kriegen eingespielt werden, zieht Mutter Langweilig ist der Abend an keiner Stelle Courage mit ihren Kindern dazu um ein und wird, wie die Darsteller, schließlich Bühnenrund und macht den historischen mit herzlichem Applaus belohnt. Potenti- Robert Brandt (Der Feldprediger), Susan- Strudel sichtbar: Irgendwo wird immer elle Buhrufer waren der Premiere offenbar ne Höhne (Mutter Courage) gemetzelt und überall gibt es Leute, die lieber gleich ferngeblieben. Dafür war das (Foto: Thorsten Wulff) sich daran bereichern. Nathusius spannt Publikum auffallend jung.

Lübeckische Blätter 2017/16 281 Seefahrtsgeschichte Zum Untergang der „Pamir“ vor 60 Jahren Von Hagen Scheffler

21. September 1957 überlebt, ein Glück im Unglück, was ihm Ohlhoff über die „Pamir“, bei Blohm Seit 10.36 Uhr Bordzeit hat der Hurri- wohl das Leben gerettet hat. & Voss 1905 für die Reederei F. Laeisz kan „Carrie“ mit Windstärke 13 die „Pa- gebaut. Es ist ein sehr eingehender, aus- mir“ im tödlichen Griff. Haushohe, 12 21. September 2017: Gedenk- führlicher und gründlich recherchierter bis 14 Meter hohe Brecher überrollen die feier auf der „“ Bericht über ein Schiffsleben als fracht- Viermastbark, die bereits alle Segel ver- fahrender und letzter Großsegler, der loren hat und vor Topp und Takel treibt. An Bord der „Passat“ fand anlässlich 1949 ohne Maschinenantrieb um Kap Doch erst um 11 Uhr sendet Funkoffizier des tragischen Schiffsunglücks der „Pa- Hoorn gesegelt ist und einst zu der le- Wilhelm Siemers den ersten SOS-Ruf. mir“ vor 60 Jahren eine eindrucksvolle gendären Flotte der „Flying P-Liner“ Das Schiff hat bereits 35 Grad Schlagsei- Gedenkveranstaltung statt, ausgerich- gehört hat. Da aber ein solcher Schiffs- te. 11.57 Uhr folgt der letzte SOS-Funk- tet vom Verein „Rettet die Passat“ e. V., betrieb mit Großseglern nicht mehr lohn- spruch: „Jetzt eilt – Schiff macht Wasser vom Passat-Chor und von der Hansestadt te, wurden „Pamir“ und das Schwester- – Gefahr des Sinkens.“ Die Welt hält den Lübeck, vertreten durch Bürgermeister schiff „Passat“ 1950 an eine belgische Atem an. Im Atlantik rund 600 Seemeilen Bernd Saxe, der die Gedenkfeier eröffne- Abwrackwerft verkauft. südwestlich der Azoren läuft mit Schiffen te. Für den Verein „Rettet die Passat“ er- Vom Schrottplatz in Antwerpen weg und Flugzeugen die größte Rettungsak- greift Hartmut Haase das Wort, erinnerte wurden die beiden stählernen Viermast- tion in der Geschichte der christlichen an die toten Seeleute und daran, dass 45 barken durch Kapitän Helmut Grubbe, Seefahrt an. Bange Stunde des Wartens. der Kadetten noch nicht einmal 18 Jahre selbst ausgebildet auf der „Pamir“, und Werden es die Schwerwetter erfahrene alt waren. Er verlas sodann eine Grußbot- durch den von ihm überzeugten Lübecker Viermastbark (36-mal rund Kap Hoorn!) schaft vom Verband der Deutsch-Argen- Reeder Heinz Schliewen sowie letztlich und ihre 86-köpfige Besatzung wieder tinischen Vereinigungen. Präsident Ru- durch ein aus vierzig deutschen Reedern schaffen? Drei Tage später werden fünf dolf Hepe hat darin voller Anerkennung bestehendes Konsortiums gerettet, das Überlebende aus dem zertrümmerten Ret- über die jungen Seeleute geschrieben, 1954 beide Großsegler erwarb und mit tungsboot Nummer 5 gerettet. Einen Tag „die Deutschland und Argentinien in der einer eigens gegründeten „Stiftung Pamir später wird der letzte Überlebende aus Nachkriegszeit verbunden“ und „bei ihren und Passat“ die Ausbildung der angehen- dem ebenfalls zerstörten Rettungsboot Besuchen in Argentinien den besten Ein- den Schiffsoffiziere auch auf Segelschul- Nr. 2 geborgen. druck hinterlassen“ hätten: „Sie, die 80 schiffen ermöglichen wollte. Die „Pamir“ ist am 21. September auf See gebliebenen Seeleute der ‚Pamir’, Ohlhoff hat am Beispiel der Vier- 1957 kurz nach 13 Uhr Bordzeit geken- werden uns unvergessen bleiben.“ Für sie mastbark auch gut ein halbes Jahrhundert tert und hat 80 Seeleute mit in die Tiefe fand zwei Tage später im Museo Naval im Seefahrtgeschichte durch Weltkriegs-, gerissen, darunter zwei aus Lübeck, wäh- Beisein des deutschen Botschafters eine Wirtschafts- und Politikzeitläufte mit be- rend ein dritter und gebürtiger Lübecker, Gedenkveranstaltung statt. eindruckender Detailkenntnis und neuem Eckard R., der in Folge eines schweren Im Mittelpunkt des Abends an Bord Bildmaterial präsentiert. Sturzes in den Laderaum der „Pamir“ das der „Passat“ stand ein von Lichtbildern Die Travemünder Seemannspastorin Schiff in verlassen musste, begleiteter Vortrag von Wolf Rüdiger der St.-Lorenz-Gemeinde, Anja Möller, gedachte der ums Leben gekommenen Seeleute und ehrte sie mit einem gemein- sam gesprochenen Gebet. Der Passat- Chor gab mit einigen Shantys zu Beginn und am Schluss der Veranstaltung einen stimmungsvollen, würdigen Rahmen. 21./22. September 2017: Gedenkveranstaltungen in St. Jakobi In der nördlichen Turmkapelle der Seefahrerkirche liegt das Wrack des Ret- tungsbootes Nr. 2 der „Pamir“. Anläss- lich des 50. Jahrestags der „Pamir“-Ka- tastrophe ist dieser Raum zur „Nationa- len Gedenkstätte der zivilen Schifffahrt“ erhoben geworden, wo jedes Jahr am „Pamir“-Tag eine Delegation der „Pa- mir-Passat-Vereinigung“ einen Kranz Der Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof von Buenos Aires erinnert an die Besatzung des für die 80 auf See gebliebenen Seeleu- Segelschulschiffs „Pamir“ aus Lübeck, untergegangen am 21. Sept. 1957 (Fotos: privat) te niederlegt. Dieses Mal geschah dies

282 Lübeckische Blätter 2017/16 Zum Untergang der Pamir im Rahmen eines Gedenkkonzerts während der Bux- tehude-Tage. Zwei Filme am nächsten Tag beschäftigten sich in unterschied- licher Weise mit der „Pamir“. In dem von Erich R. Andersen et- was weitschwei- fig zusammen- gestellten Film über Schiffe der Zerssen-Reede- rei in der Nach- kriegszeit hielt auch Günter Ha- selbach, einer der sechs Überleben- den, eine Rück- schau auf den Untergang der „Pamir“. Erst sehr spät am Abend folgte dann der „Pamir“-Stummfilm von Heinrich Hau- spondentreeder der Viermastbark schwer Der tragische Untergang der Viermast- ser, der 1930 auf der „Pamir“ von Ham- belastet worden, wenn auch kein Schuld- bark „Pamir“, die letztmalig am 20 Juni burg nach Talcahuano in mitgefah- spruch erfolgt ist. Das Unglück sei nicht 1951 in Travemünde gelegen hat, hat vie- ren ist. Die musikalische Untermalung die Folge „höherer Gewalt“, sondern ein le Ursachen und wird auch weiterhin viele besorgten im Wechsel Prof. Johannes vermeidbarer „Stabilitätsunfall“ gewesen. Fragen nach dem „Warum“ aufwerfen. Gebhardt aus Greifswald an der Orgel Eine ganz andere Meinung vertritt da- Helmut Grubbe, Kapitän auf der und der Lübecker Shantychor „Möwen- gegen 1991 in seinem Buch „PAMIR: ihr „Passat“, konnte durch seine Um- und schiet“ mit themenorientierten Liedern. Untergang und die Irrtümer des Seeamtes“ Weitsicht Anfang Nov. 1957 die Vier- Schiffsalltag, Manöver, seemännische Horst Willner, Anwalt für Seerecht mit mastbark vor dem Schicksal der „Pa- Tätigkeiten, Windarme wie auch von Rahseglererfahrung und im seeamtlichen mir“ bewahren und nach glücklich Sturm gepeitschte Szenen konnten so Verfahren Rechtsanwalt der „Stiftung Pa- überstandenem Sturm mit schwerer auf unterschiedliche Art eindrucksvoll mir und Passat“ (Eigner der „Pamir“) und Schlagseite den rettenden Hafen von zur Geltung gebracht werden. der Reederei Zerssen & Co (Korrespon- Lissabon erreichen. Der Elsflether Ka- dentreeder) sowie ab dem Berufungsver- pitän Burkhard Leibrock hat als Leicht- War der Untergang ein fahren der Witwe des Kapitäns Diebitsch. matrose „Die letzte Fahrt der Viermast- vermeidbares Unglück? Willner kommt zu dem Ergebnis, „daß bark PASSAT“ miterlebt und auf CD die Pamir mit an Sicherheit grenzender erzählt, herausgegeben mit Unterstüt- Das Seeamt Lübeck hat unter Leitung Wahrscheinlichkeit ‚höherer Gewalt’ zum zung der Nautischen Verbindung „Ro- des Vorsitzenden, des Amtsgerichtsrats Opfer gefallen ist und nicht eigenem Ver- ter Sand e. V.“ Eckart Luhmann, in seinem Spruch zum sagen“ (S. 116). Mit der glücklichen Rückkehr der Hergang, zu Umständen und Ursachen Chefredakteur Harald Focke beklagt „Passat“ nach Deutschland wurde sie des Untergangs im Jan. 1958 festgehalten: anlässlich der „Pamir“-Katastrophe vor außer Dienst gestellt. Das war das Ursächlich für die Schiffskatastrophe sei- 60 Jahren in Band 2 des maritimen Ma- Ende der frachttragenden Segelschiffe en mehrere schwerwiegende Tatbestände gazins „Ozeanum“ als weitere und aus der und das Ende der Ausbildung des see- verantwortlich: eine nur eingeschränkte Diskussion um den Untergang bekannte männischen Führungspersonals für die Erfahrung der Schiffsführung mit einem Ursache: den schlechten Erhaltungszu- deutsche Handelsschifffahrt auf Segel- Großsegler, eine falsche Segelführung, stand des Schiffes: „Die Stiftung PAMIR schulschiffen. Interessanterweise wurde eine unterlassene Flutung der mit Ger- und PASSAT kannte ... die Schäden auf gleichzeitig an einem Kontrastkonzept ste gefüllten Tieftanks, kein wirksamer der PAMIR genau ... Über Monate setzte festgehalten: Die „Gorch Fock“ wur- Schiffsverschlusszustand und das Verrut- sie ihr Schiff nicht instand. Das war mehr de als Dreimastbark bei Blohm & Voss schen der insgesamt als Schüttgut nicht als fahrlässig und machte die PAMIR zum für die junge Bundesmarine gebaut und sicher verstauten Gerste-Ladung. Damit gefährlichen Seelenverkäufer. Längst hät- für die Ausbildung ihres Offiziersnach- sind Schiffsführung, Eigner und Korre- te sie nicht mehr auslaufen dürfen ...“ wuchses 1958 in Dienst gestellt.

Lübeckische Blätter 2017/16 283 Musikkultur

10 Jahre „Neue Musik im Ostseeraum e.V. Lübeck“ Aufmerksamkeit für die Zukunft Matthias Lassen im Gespräch mit den Lübeckischen Blättern

Wie fast überall, ist auch in der Han- Matthias Lassen: Unsere Grundidee ist von der Serialität geprägt war und mehr sestadt die Musikrezeption von konserva- aus einer Gruppe von Studierenden der Brüche hatte. Im Norden ist dagegen die tiven Hörgewohnheiten dominiert, denn Musikhochschule hervorgegangen und Folklore noch unbefleckt geblieben, inso- „dem Publikum erscheint bei zeitgenössi- war, dass wir Neue Musik in Seminaren fern auch die Affinität zur Natur. schem Repertoire die Anstrengung höher einem geneigten Publikum näherbringen LB: Wer konzipiert die Konzertabende? als der Genuss“. Mit dieser Diagnose un- und vermitteln wollten. Dabei waren wir Matthias Lassen: Unmittelbar nach der zufrieden und weil „sich um dieses Meer uns einig und mir persönlich war es ein Gründung waren noch Musiker wie der kulturell eine enorme Vielfalt bietet“, wid- Anliegen, uns geographisch auf den Ost- Cellist Anton Deutz und der Musiklehrer met sich seit 2007 der Verein „Neue Mu- seeraum, also Skandinavien und das Balti- Klaus Menzel, die mittlerweile anderswo sik im Ostseeraum“ als gemeinnützige In- kum, zu konzentrieren, wobei die anderen arbeiten, dabei, und wir haben gemein- itiative, dieses Gebiet durch ambitionierte Anrainer wie Deutschland und Russland sam geplant. Jetzt habe ich freie Hand für Veranstaltungen vorzustellen. Am besten nicht ausgeschlossen werden. Auch wenn Konzeptionen. Das macht mir durchaus geeignet zur Verbreitung dieser Idee ist es, international gesehen, eine Begren- Freude. Aber ich gehe von den Musikern offenbar die Kammermusik. Denn einer- zung ist, haben wir genug Arbeit und im- aus, gerade, wenn sie zu Gast sind und ei- seits wirken ungewohnte Klangstrukturen mer volle Programme. gene Programmideen mitbringen. So ganz in Duo-/ Trio- oder Quartett-Formationen LB: Warum gerade Neue Musik? präzise ist unser Konzept allerdings nicht. transparenter, andererseits sind in klei- Matthias Lassen: Wesentlich und ent- Wenn man die Programme über die Jah- nen Auditorien direkte Begegnungen scheidend ist für mich, durch Neue Musik re anschaut, dann sind sie durchaus kun- mit Interpreten eher möglich. „Hierbei Aufmerksamkeit für die Gegenwart und terbunt. Verbindend sind eher die großen versuchen wir, musikalische Phänomene Zukunft zu wagen und zu erreichen. Aber Komponistennamen der letzten Jahrzehn- der Neuen Musik schrittweise in engem nicht mit einem Fokus auf Experimente te, von denen wir öfter Werke anbieten Austausch mit Komponisten, Interpreten − wir sind ja eigentlich traditionell ein- und die nun auch beim Publikum bekannt und Publikum erfahrbar und zugänglich gestellt −, sondern um das Besondere am sind. Wir wollen ja die Herzen für Neue zu machen. Die Freude, Neues zu verste- Norden zu erkennen. Damit sind eigene Musik öffnen. Dennoch sind wir kein hen, bisher unbekannte Sphären zu betre- Entdeckungen verbunden. Als ich durch Festivalbetrieb, der sich durch berühm- ten und sich darin orientieren zu lernen, verschiedene Länder der Region gereist te Interpreten oder Ensembles profiliert, bereichern das Leben“, sagt Matthias Las- war und dabei deren Kulturen kennenge- sondern eine Konzertreihe mit einer be- sen, in Personalunion: Pianist, Arrangeur, lernt hatte, staunte ich, dass sie kaum bei stimmten Perspektive, die Hörbarkeit der Organisator und Programmgestalter. uns wahrgenommen werden. Diese Beob- Musik, ein Begriff von Per Nørgård, hat Die Musik wird stets auf Expertenni- achtung hat das Bedürfnis verstärkt, mit Priorität. Musik aus Skandinavien und veau aufgeführt. Aus westlicher Perspek- unserer Initiative einen dauerhaften Kul- dem Baltikum ist zwar eigensinnig, aber tive ergänzt der Verein „Neue Musik im turaustausch zu fördern. nicht unzugänglich. Ostseeraum“ mit diesen Aktivitäten die LB: Lübeck war zumindest einmal ein LB: Deswegen wäre interessant zu wis- Aufwertung kultureller Ressourcen einer Zentrum im Ostseeraum. Insofern war sen, wie das Publikum reagiert. für Europa einst und jetzt wieder bedeu- und ist dieses Konzept einleuchtend. Aber Matthias Lassen: Das ist schwierig zu tenden Region, deren Menschen über nicht das Thema Neue Musik. beantworten. Einige Besucher sind durch nationale Grenzen hinweg Interesse am Matthias Lassen: Ja. Rückblickend habe den Verein erst dazu gekommen, sich da- Gefühl der Zusammengehörigkeit haben. ich gedacht, romantische Musik gibt es für zu interessieren, einige schon vorher LB: Wie ist dieser Verein entstanden? ja auch in Skandinavien. Weil jedoch die bei den Seminaren, also Menschen, die meisten Komponi- gern über Musik reflektieren. Trotzdem ist sten dieser Epoche in die skandinavische Musik nicht strikt ra- Leipzig studiert ha- tional. Manchmal bin ich im Zweifel, wie ben, zeigen sie eine modern oder aktuell man sein soll. Es geht typisch mitteleuro- um neue Perspektiven, und auch darum, päische Stilistik, also nicht das Besondere Redaktionsschluss des Nordens, wie es für das am 28. Oktober erscheinende in der Naturthema- Heft 17 der Lübeckischen Blätter ist am tik etwa ab Sibelius Donnerstag, 19. Oktober 2017. stärker präsent ist. In Deutschland hat man Dieser Ausgabe liegt eine 4-seitige zu solchen Sujets Beilage der Gemeinnützigen bei: vielleicht ein schwie- Haushaltsvorschlag 2018 für das Matthias Lassen im Gespräch mit dem Komponisten Matthias riges Verhältnis, weil freie Gesellschaftsvermögen und die Kaul (Foto: Reinhard Winkler) hier die Neue Musik unselbständigen Stiftungen.

284 Lübeckische Blätter 2017/16 10 Jahre „Musik im Ostseeraum“

überraschende Eindrücke zu sammeln, und manchmal habe ich gedacht, ich bin zu konservativ. Aber man kann das Publi- kum durchaus mehr fordern. Man braucht ja Wachheit für Neue Musik, sodass be- wusste Konfrontationen auch positive Ef- fekte haben können. LB: Kommen die Besucher aus Lübeck oder auch von anderswo? Matthias Lassen: Die meisten sind schon aus Lübeck, einige aus Hamburg. Unsere Initiative hat noch keine überre- gionale Wirkung. Dieser Traum ist noch nicht in Erfüllung gegangen, obwohl wir schon Konzerte in Schweden, in Greifs- wald und anderen Orten hatten. Das ist Pianist Erik Kaltoft aus Dänemark während eines Konzertes am 20.4.2012 (Foto: Privat) schön, wenn solche Kontakte entstehen, und eigentlich könnte man eine größere werden oder Gastmusiker sich melden, um staltungsorte sind nicht so teuer und die Resonanz erwarten, weil unsere Organi- diese Ostseeidee zu pflegen. Honorare für die Musiker sind eher mode- sation und unser Konzept wohl einzigar- LB: Was hat sich bewährt? rat. Außerdem bekommen wir manchmal tig im Ostseeraum sind, der nirgendwo Matthias Lassen: Es erstaunt mich, dass Fahrtkostenzuschüsse aus Skandinavien, sonst musikalisch als Ganzes präsentiert wir mit unserem Projekt so lange Zeit wenn die Musiker von da anreisen. Es wird. Wir könnten größer sein und haben durchgehalten haben. Dieselben Kompo- könnten in einer Stadt wie Lübeck oder Wachstumskapazitäten, doch Lübeck ist nisten, deren Musik wir damals vorgestellt in Schleswig-Holstein oder gar im Ost- nach wie vor das Zentrum unserer Akti- haben, sind vom Publikum angenommen seeraum allerdings mehr Mitglieder dazu vitäten. worden und auch diese Mischung aus kommen. Zu erwähnen ist noch, dass es in LB: Wäre es denn personell machbar, den Seminaren, Hörstudien, punktuellen Vor- Lübeck ein historisch gewachsenes Um- Radius zu erweitern? trägen, Moderationen in Verbindung und feld gibt, in dem wir uns bewegen kön- Matthias Lassen: Das ist eben die Frage. im Wechsel mit Konzerten haben eine nen, weil sich die Akteure der Musikkul- Wir sind ein sehr kleiner Verein. Das mei- gute Resonanz und sind für uns produktiv. tur hier gegenseitig wahrnehmen und an ste mache ich mit Unterstützung des Vor- Die Möglichkeiten dazu sind in Lübeck einem fortdauernden Diskurs beteiligen. stands, der sich um Werbung und anderes hervorragend, und es kann die nächsten Das ist eine große Chance für Neue Musik kümmert. Mit den zwei, drei Konzerten 10 Jahre auch so weitergehen. Doch na- in dieser Stadt als Kommunikationsraum, pro Jahr bin ich jedoch ausgelastet, was die türlich sollte man darüber nachdenken, denn wir sind keine Konkurrenz der Mu- Vorbereitung und Durchführung betrifft. ob wir auch Werke anderer Komponisten sikhochschule, des Schleswig-Holstein- Mitfeiern ist einfach: Eine Schwierigkeit ist jedenfalls, dass wir berücksichtigen werden und wie sich das Musikfestivals, der Kirchenmusik und zwar Musik professionell einstudieren und Projekt unter dem Aspekt der Klangästhe- der konventionellen Kammermusik. Des- aufführen, aber alle Vereinsaufgaben eh- tik weiterentwickeln würde. halb ist neue Musik aus dem Ostseeraum Am 30. Oktober ist renamtlich erledigen. Wir sind nicht ein so LB: Wie finanziert sich der Verein? durchaus eine besondere Sphäre in diesem straffer Verband, sodass wir uns nicht ohne Matthias Lassen: Die Possehl-Stiftung Kontext und füllt eine Lücke im Angebot. Weltspartag! Anstrengung über zehn Jahre in der Öf- unterstützt uns seit Beginn kontinuierlich. LB: Vielen Dank für das Gespräch. fentlichkeit gehalten haben. Deshalb freue Wir haben ca. 50 Mitglieder, sodass wir Sparschwein mitbringen, eine ich mich, wenn Interessenten von außer- ein Konzert pro Jahr aus Mitgliederbeiträ- Das Gespräch mit Matthias Lassen halb zu uns kommen und sogar Mitglied gen finanzieren könnten. Unsere Veran- führte Hans-Dieter Grünefeld Überraschung mitnehmen und unser exklusives Sparangebot für Groß und Klein entdecken! Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit Direktor: Titus Jochen Heldt Stellvertretende Direktorin: Antje Peters-Hirt Königstraße 5, 23552 Lübeck, Tel.: 7 54 54, Telefax 79 63 54, Büro montags bis freitags ab 9 Uhr geöffnet E-Mail: [email protected] Liebe Kinder, Bankkonto: Sparkasse zu Lübeck IBAN DE85 2305 0101 0001 0000 17 Internetadresse: www.die-gemeinnuetzige.de feiert mit uns von 9.00 bis 18.00 Uhr Impressum: LÜBECKISCHE BLÄTTER www.luebeckische-blaetter.info Herausgeberin: Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit, Königstraße 5, 23552 Lübeck, Telefon: 7 54 54, Telefax: 79 63 54. Verantwortlich: Doris Mührenberg. den Weltspartag in der Hauptstelle, Verantwortlicher Redakteur (V.i.S.d.P): Dr. Manfred Eickhölter, Telefon: (04 51) 5 80 83 24, E-Mail: [email protected] Breite Str. 18-28, Lübeck. Ein buntes Die Zeitschrift erscheint 14-täglich außer in den Monaten Juli/August. 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