Flügel Und Trümmer
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Violeta Dinescu Flügel und Trümmer Sorin Petrescu Klavier »… die unendliche Weite des Raumes …« Violeta Dinescus Klavierzyklus »Flügel und Trümmer« »Flügel« symbolisieren metaphorisch – auch im mer« im musikgeschichtlichen Kontext auch auf spirituellen Sinne – das Erheben aus irdischer »Zertrümmerung« traditioneller Formen und Schwere und Bedrängnis. »Trümmer« gemah- Auflösung starrer Konventionen in der »Moderne« nen dagegen an natürliche Ver- und Zerfallspro- hindeuten. Zum anderen sind »Flügel und Trüm- zesse ebenso wie an zerstörerisches Einwirken, mer« im Denken von Violeta Dinescu mit litera- etwa durch kriegerische Handlungen. Wenn die rischen und kunsthistorischen Konnotationen rumänische Komponistin Violeta Dinescu dieses verknüpft. Walter Benjamins Thesen »Über den markante Gegensatzpaar zum Titel ihrer CD mit Begriff der Geschichte«, verfasst am Beginn des Klaviermusik bestimmt, dann beruht diese Ent- Zweiten Weltkriegs, sind ein Beispiel dafür. scheidung auf eingehenden (Selbst-) Reflexio- Darin nahm Benjamin auch Bezug auf ein nen, da das bloße Streben nach oberflächlicher Gemälde von Paul Klee, das er 1921 erworben Bildhaftigkeit ihr fremd ist. hatte: »Es gibt ein Bild von Paul Klee, das ›Angelus Zum einen fasst sie »Flügel und Trümmer« als Novus‹ heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der musikalische Bezeichnungen auf: Melodien und aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu Akkorde schweben wie auf Flügeln, schwerelos, entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind auf- im Klangraum, während »Trümmer« auf existen- gerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel zielle Kargheit und Düsternis verweisen, wie sie sind aufgespannt. Der Engel der Geschichte muss gerade in der Tonkunst als Zeitkunst besonders so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangen- eindringlich zur Geltung kommen – zumal »Trüm- heit zugewendet. Wo eine Kette von Begeben- 2 heiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Stipendium und beantragte dafür die Verlänge- Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trüm- rung ihres Visums, was die rumänische Botschaft mer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er ablehnte. Sie nahm das Stipendium dennoch an möchte wohl verweilen, die Toten wecken und und hatte danach Angst, nach Rumänien zurück- das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein zukehren. Sturm weht vom Paradiese her, der sich in sei- Angesichts der Willkür und Grausamkeit des nen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass rumänischen Geheimdienstes Securitate war der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser diese Angst nicht unberechtigt. Ihr Kurzbesuch Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, in Deutschland weitete sich jedenfalls zum der er den Rücken kehrt, während der Trümmer- ständigen Aufenthalt aus. Nach und nach fasste haufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir Dinescu in Deutschland Fuß, seit 1996 ist sie den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.« Professorin für Angewandte Komposition an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Kontakte nach Rumänien rissen aber nie ab, und »… das Leben – ein zitterndes Licht?« auch ihre schöpferischen Wurzeln, vor allem die Violeta Dinescu wurde 1953 in Bukarest geboren, rumänische Volksmusik, sind in ihrem Schaffen seit 1982 lebt sie in Deutschland. Dazu kam es, als nach wie vor präsent. Seit Jahrzehnten verbindet sie sich auf Anraten ihrer Lehrerin Myriam Marbe sie zudem eine intensive Zusammenarbeit und an einem Kompositionswettbewerb beteiligte. tiefe Übereinstimmung im Geiste mit dem rumä- Sie durfte damals nur ein Werk pro Jahr ins Aus- nischen Trio Contraste. Sorin Petrescu, der ihren land schicken und musste sich zwischen Rom Klavierzyklus »Flügel und Trümmer« einspielte, und Mannheim entscheiden. Dinescu träumte ist der Pianist dieser Formation. zwar von Rom, warf aber eine Münze, die drei- Im Zuge seiner langen Auseinandersetzung mit mal auf Mannheim fiel – und dort gewann sie diesem Zyklus verlieh Petrescu seinen Assozia- auf Anhieb einen Preis und reiste zur Preisver- tionen auch in Worten Ausdruck. Im ersten von leihung. Anfangs wollte sie gar nicht in Deutsch- drei Textabschnitten thematisiert er indirekt die land bleiben, doch sie erhielt ein dreimonatiges »Trümmer« der Vergangenheit: »Alte Sachen, 3 veraltete Dinge, veraltete … Einige schätzen wir: Antiquitäten, Kunstsammlungen, das Aufsuchen von Ruinen, aber wissen wir, wie viel Leben sich dahinter verbirgt? Noch weniger fühlen wir, wie viel Lebenszeit wir noch vor uns haben können, wie viel Licht wir noch ausstrahlen werden. Ande- res verachten wir: Wir werfen es weg, verbrennen es; diejenigen, die von uns gegangen sind, ver- gessen wir nach und nach. Wir sehen nicht das Leben, das gerade für uns zittert – ein zitterndes Licht, das sich immer weiter entfernt?« »… wie eine wunderbare Erinnerung …« »Zitternde Lichter« und Lichtreflexe prägen denn auch die Nr. 1 von »Flügel und Trümmer«, das Titelstück mit dem Untertitel »Flugbilder 2«. Aus sanftem, melancholischem Beginn lösen sich wesen, die sich zu schillernden »Flugbildern« for- auratisches Glitzern und funkelnde Glutgirlan- mieren. Die übergreifende Charakterisierung der den, die als verwehende Flügel über einer traum- einzelnen Stücke als »Flugbilder« lenkt den Blick verlorenen Trümmerlandschaft zu schweben auf die Vögel, die sich zwischen Himmel und scheinen. Violeta Dinescus Musik setzt zum Flug Erde bewegen und nicht nur von Olivier Messiaen an, ohne sich im Schwärmerischen zu verlieren als Vermittler einer »geistigen (und geistlichen) und die »Trümmer« der Existenz auszublenden. Welt« empfunden wurden und werden. Auch Vio- Ihre Klänge muten wie bizarre Fesseldrachen an, leta Dinescus »Flugbilder« senden »Botschaften« die mittels langer Leinen geerdet sind – wie Luft- aus, die sie in Klang transformierte. Fast alle Glie- 4 diesen Text in seinen fünf »Kindertotenliedern«). Im harschen Duktus dieses »Flugbilds« spiegelt sich auch ein »flammendes« Aufbäumen gegen das Schicksal des Todes wider, der in Rückerts Text unmissverständlich angesprochen, zugleich aber in den abschließenden Zeilen des Gedichts ins Kosmische entrückt wird: »Was dir nur Augen sind in diesen Tagen / In künft'gen Nächten sind es dir nur Sterne.« Das Moment himmlischer Entgrenzung übertrug Violeta Dinescu auf kontemplative Sequenzen, die den hoch erregten Hauptteil umrahmen. Die geräuschartigen Einwürfe darin mochten Sorin Petrescu zu seinem zweiten Textabschnitt moti- viert haben, den er »eine Art Dialog« nannte: »Das Klavier ist kein Klavier mehr, es ist eine Ruine! Man kann nicht mehr auf ihm spielen, der Mechanismus ist gestört, es klingt jämmerlich, der des Zyklus »Flügel und Trümmer« korrespon- manchmal unheimlich! Aber trotzdem … Wir dieren zudem mit einer konkreten literarischen werden ein Neues kaufen! – aber was sollen wir Quelle, allerdings ohne dass diese tonmalerisch mit dem Alten tun? Es gibt keinen Platz mehr für abgebildet würde. diesen ›alten Kasten‹! Irgendwie werden wir ihn Für die Nr. 2, »… von wannen alle Strahlen stam- fallen lassen … Aber ich mag, wie er klingt! Er men …« suchte Violeta Dinescu als Titel eine Zeile klingt anders, wie ein Gedanke, den man nicht aus der Nr. 70 aus Friedrich Rückerts »Kinder- ausgesprochen hat, wie eine wunderbare Erinne- todtenlieder« aus: »Nun seh’ ich wohl, warum so rung … Aber bleiben wir ernst! Er hat sein Leben dunkle Flammen« (schon Gustav Mahler vertonte gelebt! Ein Anderer folgt.« 5 »Uraltes Wehn vom Meer« Pate dafür stand Rainer Maria Rilkes »Lied vom Das Phänomen des Verlustes wird in der Nr. 3, Meer«, niedergeschrieben am 26. Januar 1907 in »Das Licht von gestern … Abendandacht«, Piccola Marina auf Capri. Beflügelt von Rilkes Text, sogleich klanglich ausformuliert: mit gleißen- siedelte Dinescu dieses Stück zwischen verzerr- den »Perlen«, die sich irrlichternd aneinander tem Nocturno und in Klang abstrahierter Unter- reihen, um schließlich in Schweigen zu versinken. wasserwelt an: »Uraltes Wehn vom Meer / Meer- Die Nummern 4 »Nicht kühler wirds«, 5 »nicht wind bei Nacht: / du kommst zu keinem her; nächtiger« und 6 »nicht feuchter« tragen jeweils wenn einer wacht, so muss er sehn, wie er / dich eine kurze Zeile aus Paul Celans Gedicht »Der übersteht: / uraltes Wehn vom Meer / welches uns die Stunden zählte« als Titel: »Der uns die Stunden zählte, / er zählt weiter. / Was mag er zählen, sag? / Er zählt und zählt. // Nicht kühler wirds, / nicht nächtiger, / nicht feuchter. // Nur was uns lauschen half: / es lauscht nun / für sich allein.« In »Nicht kühler wirds« (Nr. 4) reagieren zwei kon- trastierende Sphären antiphonisch aufeinander: von leuchtender melodischer Präsenz die Eine, dumpf und perkussiv die Andere, als sollten die seelischen Regungen Celans, kreisend um Schat- ten der Vergangenheit und vage Utopien, auf das Medium Klang projiziert werden. In »nicht nächti- ger« (Nr. 5) dominiert grelle Emphase mit stechen- den Figurationen und schweren Akkorden und in »nicht feuchter« (Nr. 6) ein beinahe martialischer Vorwärtsdrang, dem Violeta Dinescu in der Num- mer 7 – »Uraltes Wehn vom Meer« – eine geheim- nisvolle Geräuschwelt diametral entgegenstellte. 6 weht / nur wie für Ur-Gestein, lauter Raum / rei- »In dunkler Nächte Gesichten / träumte mir von ßend von weit herein … / O wie fühlt dich ein / trei- versunkenem Glück, / doch ein Traum vom Leben, bender Feigenbaum / oben im Mondschein.« dem lichten, / warf mich gebrochen ans Ufer Die Nummern 8 »What Thought That Light …«, zurück. / Ach, was gilt dem des Tages Traum, / dem 9 »Thro' Storm And Night … « und 10 »… So Trem- alle Dinge rings nur senden