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Das Herz Des Jazz Der Große Bassist Eberhard Weber Hatte Vor Sieben Jahren Einen Schlaganfall

Das Herz Des Jazz Der Große Bassist Eberhard Weber Hatte Vor Sieben Jahren Einen Schlaganfall

MUSIK

B A S S I S T E B E R H A R D W E B E R Das Herz des Der große Bassist hatte vor sieben Jahren einen Schlaganfall. In stand er nun erstmals wieder auf der Konzertbühne – und wurde gefeiert.

VON Peter Kümmel | 05. Februar 2015 - 07:56 Uhr

© Erwin Elsner/dpa

Eberhard Weber am Kontrabass, aufgenommen im Jahr 2000

Am Mittag des 23. April 2007 glaubte Eberhard Weber noch, er sei ein gesunder Mann. Es fiel ihm allerdings auf, dass er beim Gehen sein linkes Bein ein wenig nachzog. Er bückte sich, um seine Schuhsohle zu untersuchen: War er in einen Kaugummi getreten? Nein, kein Kaugummi. Am Abend sollte Weber in der Berliner Philharmonie mit der Group ein Konzert geben, also fuhr er zum Soundcheck ins Konzerthaus und griff nach seinem Bass. Aber seine linke Hand war zur Feinmotorik nicht mehr in der Lage.

Weber, einer der stilbildenden Bassisten des Jazz, hatte an diesem Tag einen Schlaganfall erlitten. Das Konzert fand am Abend ohne ihn statt. Er stand seitdem auf keiner Bühne mehr, seine Karriere war vorbei. Man muss diese Vorgeschichte erzählen, um klarzumachen, welch außerordentliches Fest jetzt in Stuttgart stattgefunden hat. Seit dem letzten Wochenende ist Weber wieder da. Mit kleinen, schiebenden Schritten betritt er, linksseitig gelähmt, die Bühne des Theaterhauses und nimmt auf einem Drehstuhl Platz. Im Saal erhebt sich das Publikum und applaudiert, minutenlang.

Das Land Baden-Württemberg hat Weber zu dessen 75. Geburtstag einen Preis, den Jazz- Sonderpreis für sein Lebenswerk, verliehen; und es hat, gemeinsam mit lauter großartigen Musikern, symbolisch den zeitlichen Abgrund überbrückt, der sich in Webers Leben auftat – den Abgrund zwischen der Gegenwart und jenem 23. April 2007.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT No 6 vom 05.02.2015.

Auf der Bühne spielt eine Bigband, mehr als zwanzig Männer, die von einem Riesen überragt werden. Dieser Riese ist Weber selbst, der virtuelle Bassist der Band; sein Spiel ist, überlebensgroß, auf einer Filmleinwand zu sehen, und die Akkorde, die er spielt, sind Jahrzehnte alt. Es sind Klänge und Bilder aus tiefer Vergangenheit, denen die anderen sich unterordnen. Webers Kollege und Weggefährte , seit Jahrzehnten der populärste und rastloseste Gitarrist des Jazz, hat alte Filmaufnahmen von Konzerten Eberhard Webers gesichtet und präpariert. Um ausgewählte Sequenzen hat er eine Jazzsinfonie mit dem Titel Inspired sozusagen herumkomponiert, sodass die Bigband des Südwestdeutschen Rundfunks, gelenkt von Metheny und unterstützt von anderen legendären Weber-Freunden wie (Vibrafon), Paul McCandless (Saxofon), (Arrangement), Danny Gottlieb (Schlagzeug) und eben auch Jan Garbarek (Saxofon), nun, zu Füßen der Leinwand, Webers Bassläufen folgt und Methenys Stück spielt. Ein Beschwörung der vergangenen Zeit, aber auch ein großes Fest des Augenblicks.

© Marijan Murat/dpa

Eberhard Weber wurde im Januar 2015 mit dem Jazzpreis Baden-Württemberg für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Man sieht den 75-jährigen Weber von heute, wie er dem 40-jährigen Weber zusieht, der auf der Leinwand mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen unansprechbar in sein Spiel versinkt: Es ist, als sehe ein alter Meister einen begnadeten Jungen, der ihn an Meisterschaft übertreffen könnte – dabei sind beide Gestalten derselbe Mann. Man könnte sagen, an diesem Abend wird dem großen Weber ein persönlicher Jungbrunnen

2 MUSIK eingelassen. Aber auch dem Publikum ist es so, als erlebe es die eigene musikalische Vergangenheit.

Ein wenig Schauerromantik war stets um den blondgelockten Eberhard Weber gewesen. Wenn man seine Stücke hört, mag man sich an Poes Verräterisches Herz erinnert fühlen, die Erzählung, in der ein Mörder vom Puls seines Opfers verfolgt wird. Das Herz des Toten schlägt – im Gemäuer des Hauses, unter den Bodenplanken. In Wahrheit hatte der gehetzte Täter immer nur sein eigenes Herz gehört. Auch Webers Bass, eine von ihm selbst erfundene Konstruktion, erzeugte solche Innenwelt-Klänge – sie schienen eher dem Kopf des Zuhörers als einem realen Orchester zu entstammen. Dieser Ton prägte jedes Ensemble, dem Weber angehörte – sei es Ralph Towners Oregon, die Group, Webers eigene Gruppe Colours, seien es die Alben von , denen er entscheidende Farben hinzufügte, oder das Allstar-Unternehmen United Jazz and Rock Ensemble, dessen Gründungsmitglied er war. Unter Weber wurde aus dem Bass, diesem beflissenen Rhythmusknecht, ein beweglicher, sich zu harmonischer Freiheit aufschwingender Protagonist. Webers Spiel hat einen aufwühlenden und doch tröstlichen Ostinato-Ton. So klingt Klage, die sich in Auflehnung verwandelt: Aus Schmerz muss Schönheit werden.

In seinem gerade erschienenen Erinnerungsbuch Résumé gibt Weber einen Hinweis auf die Entstehung dieses Klangs: Als Nachkriegsjunge im heimatlichen Esslingen hatte er an der Wand des Kinderzimmers gehorcht, um die Hausmusikabende seines Vaters mitzukriegen, die im Raum nebenan stattfanden. So entwickelte er eine Sehnsucht nach dichten Sounds, welche ein ganzes Gebäude nicht nur halten, sondern bedingen. Der Bass wurde bei Weber zu einem Instrument, welches das musikalische Geschehen über sich, in den höheren Etagen, insgeheim organisiert – folgerichtig hat Weber einige der schönsten Kompositionen des jüngeren Jazz (manche sagen: der Weltmusik) geschrieben.

So feierlich und grandios besetzt dieser Stuttgarter Abend war, so antipathetisch wirkt der Mann, dem er galt. Schon Webers Erinnerungsbuch hat den Gestus des maulfaulen Schwaben, der jedem Wort, zumal dem hingeschriebenen, misstraut – weil es immer eine Nummer zu groß, zu wichtig herauskommt. Und wenn Weber spricht, hat seine Stimme das eilige, abwiegelnde Raunzen eines alten schwäbischen Unternehmers, der die Feierlichkeiten, die zu seinen Ehren stattfinden, gar nicht schnell genug hinter sich kriegen kann. Die Essenz seiner Dankesrede ist "S Meischte isch g’schwätzt!", was so viel heißt wie: Jetzt reicht’s! Und doch: Bei einer der zahlreichen Standing Ovations an diesem Abend sollen, so wird behauptet, Webers zusammengekniffene Lider eine saftig glitzernde Träne festgekrallt haben. Es ist alles g’schwätzt? Also dann: Eberhard Weber ist wieder da. Hören wir seine Musik.

Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio

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