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SONDERAUSGABE 03/2020

Herausgeber: Kreisvorstand DIE LINKE.Burgenlandkreis

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,

Der Corona-Virus hat nun auch Sachsen-Anhalt erreicht. Schulen und Kindertageseinrichtungen werden geschlossen. Viele unserer Mitglieder und Freunde gehören zu Risikogruppen und es ist mehr als vernünftig, sie und uns durch geeignete Maßnahmen zu schützen.

Unser Vorhaben, uns an die Ereignisse vor 100 Jahren zu erinnern und die Opfer des Kapp-Putsches in unserer Region anlässlich des 100. Jahrestages würdig zu ehren, werden wir mit dieser Sonderausgabe tun und zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam die Gräber und Gedenkstätten in Naumburg, Weißenfels, Bad Kösen, Hohenmölsen… aufsuchen.

Bitte verteilt diese Sonderausgabe unseres Kuriers, besonders auch an Menschen, die verantwor- tungsbewusst diese Geschehnisse der jungen Generation nahe bringen können und wollen. Waren doch nicht wenige der damaligen Opfer genau in dem Alter unserer heutigen Schüler*innen oberer Klassen, Berufsschüler*innen, jungen Arbeiter*innen und Studierenden.

Heutige demokratiefeindliche Parteien zu unterstützen und —sei es durch die eigene prekäre Lage aus Protest -zu wählen, ist keine „Alternative für Deutschland“, sondern ein gefährlicher Irrweg, gegen Humanität, Mitmenschlichkeit, Solidarität und Frieden gerichtet—heute wie damals! nd- Bundesausgabe vom Samstag, 14. März 2020 , S. 20-21: Hauptstadt gebliebene Unterstaatssekretär Heinrich Albert als Vertreter der eben geflo- Wir ergreifen die Staatsgewalt henen Regierung der Weimarer Koalition die in die Reichskanzlei eindringenden Putschis- Der Kapp-Putsch vor 100 Jahren löste die ten am 13. März 1920. Die Antwort des kurz größte deutsche Aufstandsbewegung seit den Hut lüftenden , einem den Bauernkriegen aus. Doch es profitier- erzreaktionären, antisemitischen Großagrari- ten vor allem rechte Kräfte. er und Aufsichtsrat der Deutschen Bank lau- tete: »Wir ergreifen die Staatsgewalt!« »Mit Von Klaus Gietinger welcher Legitimation?« konterte Albert, und Kapp tat den entscheidenden Ausspruch: Die Herren wünschen?«, fragte der in der »Mit dem Recht des 9. November 1918!«

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Genau diesen 9. November 1918, das Trau- schieren, um unseren gemeinsamen Feind, den ma der Rechten, wollten die Putschisten un- ›Spartakismus‹, abzuwürgen. War dies ge- ter dem Oberbefehl von General Walther von glückt, dann wollten wir unseren bisherigen Lüttwitz und mit der geballten militärischen Verbündeten die Rechnung vom November Macht der , einem 1918 vorlegen und von ihnen begleichen las- schon Hakenkreuz tragenden präfaschisti- sen.« Sie lösten das Zweckbündnis mit Reichs- schen im Rücken, ungeschehen präsident , Reichswehrminister machen. Ihnen waren die Errungenschaften und Reichskanzler Gustav Bauer der Novemberrevolution von 1918 ein Dorn (alle SPD) auf. Und zwar in dem Moment, in im Auge, sie wollten kein Frauenwahlrecht, dem sie alles, was links von dieser sozialdemo- keinen Achtstundentag und auch keine kratischen Führung stand, liquidiert oder zur »Schwatzbude«, wie sie das Parlament nann- Raison gebracht hatten. Ihre ausufernden mili- ten. Sie wollten die Militärdiktatur und die tärischen Pläne waren zuvor von der Entente, Revision des Versailler Vertrages, der unter den Siegermächten des Ersten Weltkrieges, anderem dem deutschen Militarismus den mittels Versailler Vertrag durchkreuzt worden, Garaus machen wollte. denn die Regierung aus SPD, DDP und Zent- rum, die Weimarer Koalition, konnte nicht an- Wider die Novemberrevolution ders als deren Forderungen zu erfüllen.

Damit wandten sich Lüttwitz, Kapp, im Hinter- Pabst und Lüttwitz liebäugelten jedoch gleich- grund der ehemalige Chef der kaiserlichen zeitig mit dem Plan, Ebert und Noske zu Dikta- Obersten Heeresleitung und toren zu machen und sie als Galionsfiguren als Drahtzieher der Organisator des Doppel- ihrer Militärherrschaft zu installieren. Weil sich mordes an und Rosa Luxem- die Spitze der Sozialdemokratie vor ihren Wäh- burg, Hauptmann , gegen lern ein solches Unterfangen nicht leisten konn- jene, mit denen sie im November 1918 einen te, lehnte diese ab und musste zusammen mit Pakt geschlossen, seit eineinhalb Jahren dem Rest der Regierung, den Bürgerlichen, bestens zusammengearbeitet, trotz verlore- fliehen. Doch vorher hatte sie noch einen flam- nem Weltkrieg einen gigantischen militäri- menden revolutionären Aufruf zum General- schen Apparat, aus , Freikorps, streik herausgegeben: »Wir haben die Revoluti- Sicherheitspolizei (Sipo), Zeitfreiwilligen, on nicht gemacht [!], um uns heute wieder ei- Einwohnerwehren und Technischer Nothilfe nem blutigen Landsknechtregiment zu unter- aufgebaut, Generalstreiks niedergeschlagen, werfen.« Arbeiter, Angestellte und sogar Beam- Räterepubliken und Arbeitererhebungen mas- te folgten dem Aufruf, hatten teils schon selbst sakriert und den Terror in die deutsche Politik spontan gestreikt, und fast alle Gewerkschaften eingeführt hatten: Die Führung der Sozialde- riefen zum Generalstreik auf. Dem folgten zwölf mokratie. Millionen Menschen, der größte Streik, den es je in Deutschland gegeben hat. Schon am 13. März, dem ersten Tag des Putsches, hatten die Pabst, der technische Organisator des Put- Militärs, egal ob Reichswehr, Freikorps oder sches, drückte das später so aus: »Wir woll- Sipo, wahllos in allen Städten in denen de- ten und mussten zunächst einmal ein Stück mit den Sozialdemokraten zusammen mar- monstriert wurde, in die Menge geschossen.

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Und die Regierung, die auf dem Umweg über eine später so genannte Rote Ruhrarmee spon- Dresden, wo sie ihr früherer Kompagnon, der tan aus der Basis von SPD, USPD, KPD, einigen Städte- und Arbeiterbezwinger Freikorps- Bürgerlichen und vielen Syndikalisten gebildet General Georg Maercker nicht beschützen hatte, konnte erfolgreich die putschistischen wollte, in Stuttgart landete, wurde auch dort Freikorps und die Reichswehr vertreiben. Zwei nur von den Militärs nicht in Haft genommen, Wochen lang beherrschten Vollzugs- und Berie- weil sie den Generalstreikaufruf schlicht leug- bsräte das Rheinisch-Westfälische Industriege- neten. Genau dieser Streik und der bewaffnete biet und versuchten ein sozialeres, friedlicheres Widerstand führten dazu, dass die Putschisten basisdemokratisches Deutschland aufzubauen. nach fünf Tagen aufgeben mussten und aus der Hauptstadt flohen. Doch die Freikorps, die Zurück zum »normalen Geschäft« putschistischen Truppen, blieben und erklärten sich jetzt – Hakenkreuz am Stahlhelm – für Während die Regierung noch in Stuttgart weilte, regierungstreu. hatte der rechte Gewerkschafter Carl Legien (SPD) die Idee, nicht nur den Gewerkschaften, Kurzer Erfolg der Arbeiter sondern auch den Arbeitern mehr Macht zu ver- schaffen, den Militarismus zu zerschlagen und Überall im Land jedoch vergaßen die Arbeiter eine Arbeiterregierung zu installieren, mindes- aus SPD, USPD und KPD ihren Zwist, bildeten tens mit der USPD. Doch diese wollte nicht, Vollzugsräte, praktizierten die Arbeitereinheit genauso wenig wie die heimgekehrte Regierung. und bewaffneten sich, um die Putschisten zu Einige wenige, wie etwa Gustav Noske, wurden vertreiben. Sogar Bürgerliche beteiligten sich. ausgetauscht, ansonsten folgte business as So kam es zur größten Aufstandsbewegung usual. seit den Bauernkriegen 1525, ob in den In- dustriegebieten Sachsens, Thüringens, ob im Und der Roten Ruhrarmee konnte man jetzt den Ruhrgebiet oder in Norddeutschland, ja sogar Hals zuschnüren. Zuerst wurde aber noch in im agrarischen Mecklenburg und Pommern, Bielefeld durch Staatskommissar Carl Severing wo sich die Landarbeiter erhoben, die Put- (SPD), gleichzeitig preußischer Innenminister, schisten wurden angegriffen, teils sogar ent- ein Abkommen mit Teilen der Aufständischen im scheidend geschlagen, am entschiedensten Ruhrgebiet geschlossen; Severing beabsichtigte im Ruhrgebiet. Die Forderungen lauteten jetzt: damit, die Bewegung zu spalten. Und es gelang. Wiederbelebung der Räte, Volksarmee von Die Rote Armee zerfiel, genauso wie die Arbei- unten mit Waffen in Arbeiterhand, Zerschla- tereinheit. Die jetzt regierungstreuen Freikorps, gung der Reichswehr, der Freikorps und Sozi- zu 85 Prozent ehemalige Putschisten, fielen ins alisierung. Derweil sorgten örtliche Funktionä- Ruhrgebiet ein und massakrierten Kämpfer wie re aus SPD, aber auch aus der USPD in Mittel Nichtkämpfer, Männer wie Frauen. 2500 bis - und Ostdeutschland dafür, dass mit den Mili- 3000 Menschen kostete der Kapp-Putsch das tärs faule Kompromisse geschlossen und die Leben, die Arbeiterbewegung war traumatisiert. Waffen der Arbeiter abgegeben, der General- Die USPD bekam Zulauf, und die SPD ver- streik beendet wurde. schwand aus der Macht. Vorteile hatten schließ- lich nur die Rechten: Der Militarismus lebte wie- Die Arbeiter im Ruhrgebiet jedoch, in dem sich der auf, die rechten Parteien wurden erfolgrei-

SAALE-UNSTRUT-ELSTER KURIER SEITE 4 cher, der Antisemitismus nahm rapi- de zu, und in Bayern bereitete ein Diktatorentriumvirat den Boden für Hitlers Aufstieg.

»Tod den Juden«, hatten die Frei- korps neben das Hakenkreuz auf ihre Eisenbahnwaggons geschmiert. Die- ser Tag rückte ab jetzt näher. Noch hätte man ihn verhindern können, noch war die Entwicklung nicht mo- nokausal, aber die Basis war gelegt. Und fast alle Nazis und SS-Generäle des deutschen Faschismus hatten sich bei den Morden der Freikorps ihre Sporen verdient. So führte ein demokratischer Aufstand gegen eine Diktatur durch die Politik der Weima- rer Koalition und hier im Besonderen durch die der SPD-Führung, zur Traumatisierung und nicht nur zur Spaltung, sondern zur Zerstörung der Arbeiterbewegung. 1933 gab es zur Verhinderung Hitlers keinen General- streik mehr.

Klaus Gietinger, geb. 1955 in Lindenberg im Allgäu, ist Buchautor und Regisseur. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Kapp-Putsch 1920 – Abwehrkämpfe – Rote Ruhrarmee« im Schmetterling-Verlag, 328 S., kart., 19,80 €.Ruhrarmee« im Schmetterling-Verlag, 328 S., kart., 19,80 €.

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Die Tage des Saulus doch mit ins Theologiestudium in Münster. In den bereits 1934 er- Martin Niemöller: In den Ruhr- schienenen Memoiren »Vom U- kämpfen vor 100 Jahren führte Boot zur Kanzel« erinnerte sich der spätere Lenin-Preisträger Niemöller an diese Zeit: »Gleich ein Freikorps-Bataillon an – im zu Beginn des Semesters hatten Kampf gegen den Bolschewis- ein paar ehemalige Offiziere be- gonnen, national gesinnte Studen- mus. ten in einer deutschnationalen Studentengruppe zu sammeln; Von Karsten Krampitz und da ich für das eigentliche Korporationsstudententum wegen Noch heute gilt er als Galionsfi- meines ›vorgerückten Alters‹ kei- gur der Friedensbewegung und ne rechte Neigung mehr aufbrin- als Kronzeuge für das Lernen gen konnte, widmete ich mich in aus der Vergangenheit. Berühmt den Stunden, die mir übrigblieben, sind seine oft zitierten Worte: ganz dieser Aufgabe.«

Als Nazis die Kommunisten holten, habe er Seinem Engagement für die Deutschnationale geschwiegen; er war ja kein Kommunist. Als Volkspartei (DNVP) schloss sich schon bald die sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe Mitgliedschaft im Deutschvölkischen Schutz- er geschwiegen; er war ja kein Sozialdemo- und Trutzbund (DVSTB) an, den Historiker heu- krat et cetera. Und am Ende dann: »Als sie te als erste faschistische Massenvereinigung in mich holten, gab es keinen mehr, der protes- Deutschland bezeichnen. Diese strebte mit über tieren konnte.« 100 000 Mitgliedern und einem betont antisemi- tischen Programm die »völkische Erneuerung« Weniger bekannt ist dagegen Niemöllers an, was den Kampf gegen den Bolschewismus deutsch-nationale Vergangenheit. einschloss. Für die historische Bewertung Mar- tin Niemöllers, der für seine Friedensarbeit 1967 Im Jahr 1919 hatte er an seinen jüngeren Bru- in Moskau mit dem Leninpreis ausgezeichnet der Wilhelm geschrieben: »Der Teufel hole die werden sollte, ist das ein mehr als außerge- Juden und Genossen!« Den Pfarrberuf hatte der wöhnlicher Vorgang. Im April 1920 meldete er frühere U-Boot-Kommandant im selben Jahr sich sogar freiwillig, um mit der Waffe gegen weniger aus religiös-pazifistischer Läuterung den Kommunismus zu kämpfen, in der gewählt – immerhin hatte Deutschland gerade »Akademischen Wehr« in Münster. den Ersten Weltkrieg verloren. Der Staatsbank- rott drohte; und Niemöller, der aus einem Pfarr- In seinem Buch schreibt Niemöller vom Ende haus stammte und selbst eine Familie gründen des ersten Semesters: Am 13. März 1920 seien wollte, zog es aus wirtschaftlichen Gründen vor, Telegramme eingetroffen, die den Sturz der sein Auskommen fortan in der evangelischen Weimarer Regierung zur Nachricht hätten. In Kirche zu suchen. Seine militaristischen Wert- habe das Freikorps Lüttwitz eine vorstellungen nahm der damals 28-Jährige je- »nationale Regierung« unter Kapp eingesetzt.

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Überall im Land werde zum Generalstreik fung der Nazis in seinem Buch erinnerte: »Überall, aufgerufen, selbst an der Universität Müns- wohin wir jetzt kamen, wurden wir als Befreier aus ter. Doch mit den Worten »Unerhört so et- der Hölle des Bolschewismus begrüßt; und schlimm was!« habe ein Professor den Zettel vom genug hatten die Spartakisten gehaust.« Dass seine Anschlagbrett gerissen. Brave Bürger zei- Truppe nicht zum Einsatz kam, erklärte Pastor Nie- gen sich entsetzt vom drohenden Aufruhr. möller mit der Feigheit seiner Feinde: »Nur wenige jedoch waren zu fassen: die Leute liefen längst wie- »Aber der Generalstreik kam«, so Martin der als harmlose Zivilisten herum; und nur, wenn Niemöller, »und im Industriegebiet wurde sich unsere Leute einzeln zeigten, wagten sie, zu die ›Rote Republik‹ ausgerufen. Die einzige schießen oder sonst tätlich zu werden.« ernstzunehmende Truppe, die es damals in Münster gab, war das Korps Lichtschlag, En passant schrieb Niemöller von einem Kriegsver- das sofort ins Industriegebiet geworfen wur- brechen: »Am 7. April trafen wir auf dem Marsch de, weil man glaubte, die Unruhe noch nach Castrop in Mengede mit dem Korps Gabcke meistern zu können.« Nur seien die paar zusammen und mit den ›Pfefferlingen‹ des Haupt- Hundert Mann umgehend von den Aufstän- manns von Pfeffer. Dort sahen wir eine ganz eigen- dischen aufgerieben worden, »und es waren artige Methode, die gefangenen Spartakisten in nur wenige, die sich durchschlagen konnten sicherem Gewahrsam zu halten: man ließ sie zu oder als Verwundete in den Krankenhäu- vieren als erstes Glied in den einzelnen Gruppen sern untertauchten, um von dort in Zivilklei- marschieren!« – Was für ein Spaß! Demnach wur- dung bei Nacht und Nebel weitergebracht den in den Straßen vor jeder marschierenden Frei- zu werden. Natürlich hatte dieser Erfolg der korps-Gruppe gefangene Kämpfer der Roten Ruhr- Spartakisten die Wirkung, dass ihnen unge- armee als Schutzschild hergetrieben. heuer der Kamm schwoll.« Viel mehr aber hat Niemöller vom Ende der Ruhr- Die angeblichen Spartakisten waren meist kämpfe nicht zu erzählen. Schon wenige Tage spä- Unabhängige Sozialdemokraten, aber auch ter, nach einer Parade in Münster am 23. April 1920, Anarchisten und Kommunisten. Deren loka- löste sich sein Regiment auf. Niemöllers Theologie- le Vollzugsräte stellten jetzt im Ruhrgebiet studium war für drei Wochen unterbrochen worden: die Machtfrage, von der sich auch der junge »Als ich nach Hause kam, war es mir zweifelhaft Niemöller herausgefordert fühlte. geworden, ob der nationale Schwung, der in der Jugend und in den alten Frontsoldaten lebte, stark Benjamin Ziemann, Geschichtsprofessor an und rein genug sei, um in der kommenden Zeit ein der University of Sheffield, hat vor Kurzem Neues zu gestalten.« An großen Worten für kleine eine erste wissenschaftliche Niemöller- Taten fehlte es ihm nie: »Dieser Kampf auf deut- Biografie vorgelegt, die auch von dessen schem Boden, wobei Deutsche gegen Deutsche Rolle in den Ruhrkämpfen berichtet – als standen, hatte aufs Neue die tiefe Not offenbart, die Kommandeur eines Bataillons von 250 zeit- seit Kriegsende als Last auf unserem Volke lag. Es freiwilligen Studenten, das ins Ruhrgebiet fehlte an Führung, es fehlte an einem großen Ziel, marschierte. Nur war der Kampf bereits es fehlte vor allem an den inneren und sittlichen vorbei. Oder wie der Pfarrer aus Berlin- Voraussetzungen für ein echtes völkisches Wollen Dahlem sich im Jahr nach der Machtergrei- und Handeln«, so Pfarrer Martin Niemöller im Rück-

SAALE-UNSTRUT-ELSTER KURIER SEITE 7 blick 1934. Während in Deutschland bereits darauf ansprach, sagte Niemöller: »Ja, ich stehe Hunderttausende Juden entrechtet, verfolgt dazu. Ich werde die Richtigkeit dieser Behauptung oder ins Exil getrieben und unzählige Men- beweisen.« schen auch ermordet wurden, sinnierte der Mitbegründer der Bekennenden Kirche vom Mit den vielen Widersprüchen seiner Biografie, »völkischen Wollen und Handeln«. dem Antisemitismus wie auch der gezeigten Hal- tung zur Demokratie verkörpert Martin Niemöller Niemöllers Notbund, dem zeitweilig über wie kaum ein anderer Kirchenrepräsentant die 7000 evangelische Geistliche angehörten, Geschichte des deutschen Protestantismus im 20. kämpfte für die Ordinationsrechte von höchs- Jahrhundert. In seinem ambivalenten Verhältnis tens 100 Pfarrern, denen man eine jüdische zum Kommunismus aber sticht Niemöller heraus. Abstammung nachgewiesen hatte. Nicht Im Juni 1950 warnte er, wie so oft noch, vor den aber für die Hunderttausenden Christen an Folgen des Kalten Krieges. Ein Kommunist sei der Basis, die durch die Rassegesetze der kein Monster. Und »vielleicht werden die Kommu- Nazis zu »Nichtariern« erklärt worden waren, nisten und die Freudenmädchen das Himmelreich und schon gar nicht für die Jüdischen Ge- vor den Christen des Westens sehen«. meinden.

Und dennoch brachte sein Kirchenverständ- nis Martin Niemöller ins Konzentrationslager. Noch im Prozess gegen ihn, 1938, hatte er sich mit seiner Teilnahme an den Ruhrkämp- fen verteidigt – und auch damit, dass die Juden ihm »unsympathisch und fremd« sei- en. Ein Jahr später meldete er sich aus dem Geschichtsverein Erinnern und Gedenken e.V. KZ-Sachsenhausen heraus freiwillig, aber Weißenfels: ohne Erfolg, zum Kriegseinsatz. Der Kapp-Putsch in Weißenfels Später, nach seiner Befreiung, erklärte Nie- möller gegenüber alliierten Reportern in flie- Am 13. März putschten in Berlin antidemokrati- ßendem Englisch, er habe sich dem Natio- sche, konservative Politiker und revanchistische nalsozialismus aus rein religiösen Gründen Militärs gegen die sozialdemokratisch geführte widersetzt. Als guter Lutheraner habe er sich Reichsregierung. Die Namen Wolfgang Kapp und verpflichtet gefühlt, für sein Vaterland zu Walter Freiherr von Lüttwitz sind eng mit diesen kämpfen. Zwei Jahre darauf sollte ihn die Ereignissen verbunden. Die Verschwörer einte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Hass auf die erste demokratische deutsche Regie- ausschließen. Niemöller war 1947 in der rung.Ziel war unter anderem die Revision der Er- VVN-Betreuungsstelle im hessischen Büdin- gebnisse der Novemberrevolution von 1918 und gen aufgeschlagen mit dem Vorwurf: »Sie die Errichtung einer Militärdiktatur in Deutschland. unterstützen wohl nur Judenfreunde?« Als Die Weimarer Republik sollte zerstört werden. das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« ihn Reichswehr und Sicherheitspolizei (SIPO) weiger-

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ten sich mehrheitlich die Weimarer Re- bewaffneten Arbeiterformationen gestellt, und es publik zu schützen. Die Regierung floh kam zu Feuergefechten, in deren Verlauf es zu wei- deshalb nach Dresden und später nach teren Toten auf beiden Seiten kam. Stuttgart. Auch an anderen Stellen in der Weißenfelser Umge- Daraufhin riefen die Gewerkschaften, bung kam es zu bewaffneten Übergriffen durch die zum Schutz der jungen Demokratie, zum SIPO und die Reichswehr. Weitere Kämpfer für die Generalstreik auf. Dieser Generalstreik, Demokratie mussten ihr Leben lassen. erfasste ganz Deutschland. Auch in Wei- ßenfels und Umgebung kam es zu Für die festgestellten 16 Gefallenen, von denen acht Streiks und Demonstrationen. auf dem Weißenfelser Friedhof bestattet wurden, gibt es seit langem einen Gedenkstein, der in der 16. März Die im Weißenfelser Schloss heutigen Zeit leider sehr wenig Beachtung findet. stationierten zwei Hundertschaften der Dort befinden sich die Gräber der Kämpfer für die Sicherheitspolizei wollten ihren Machtan- Demokratie. Sie gaben ihr Leben im Alter zwischen spruch in der Stadt zeigen und versuch- 16 und 25 Jahren. Sie waren alle Arbeiter oder wie ten Posten in der Innenstadt zu beset- sich damals stolz bezeichneten Proletarier. zen. Die demonstrierenden Arbeiter setz- Die Weißenfelser Albert Engel, Erich Hildebrand, ten sich zur Wehr. Dann fielen die ersten Otto Bauerfeind, Franz Demny, Paul Hoyer, Josef Schüsse in der Jüdenstraße. Die SIPO- Trümper, Richard Busch und Albrecht Abt fanden Leute hatten von ihrem Mannschaftswa- hier ihre letzte Ruhestätte. gen aus in die Eisenwarenhandlung Ho- yer geschossen. Zwei junge Arbeiter, Albert Engel und Erich Hildebrand star- ben in dem Kugelhagel. Kurt Hanschke wurde mit einem Brustschuss schwer verwundet. Die SIPO baute ein Maschi- nengewehr am Eingang zur Jüdenstraße auf und trieb die Demonstranten mit Schüssen durch die seitlichen Gassen auseinander. Die streikenden Arbeiter bewaffneten sich, und es kam zu Feuergefechten zwischen Schloss und Stadt.

21. März Um einer Erstürmung des Schlosses zu entgehen, wollte die SIPO über die Zeitzer Straße nach Wiedebach, Der Stein für die Märzgefallenen auf dem Weißenfel- Richtung Naumburg in den Schutz der ser Friedhof wurde durch Angehörige des Rot-Front- dortigen Reichswehrgarnison flüchten. In Kämpfer-Bundes (RFB) 1925 in der Kiesgrube am der Wiedebacher Hohle wurden sie von Meilenstein geborgen und 1927 aufgestellt. Der Steinmetz Fritz Schellbach beschriftete den Stein. In

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der Nazi-Zeit wurde der Gedenkstein ent- Auch 2020 gedenkt die Weißenfelser LINKE der fernt. Nach der Befreiung vom Faschismus Opfer des Kampfes gegen den Kapp-Putsch wurde er an ursprünglicher Stelle wiederer- und ruft die Weißenfelser*innen dazu auf, mit richtet. dabei zu sein. Auf Grund der Corona-Pandemie wurde beschlos- sen, die Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof in Weißenfels am Denkmal für die Märzgefallenen auf (Diese Zusammenfassung der Ereignisse wurde unter einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Eine Verwendung von Erlebnisberichten und Broschüren, die Tafel mit den Namen der hier Bestatteten soll ent- gestützt auf Archivmaterial aus dem Museum Weißen- hüllt werden. Die Anlage, ebenso der Gedenkstein fels und dem Stadtarchiv Hohenmölsen entstanden, erarbeitet durch Werner Bergmann und Hans Klitz- für die getöteten Sicherheitspolizisten, die ja auch schmüller ) Opfer der revanchistischen Gegner der ersten De- mokratie auf deutschem Boden waren, wurde durch die Friedhofsverwaltung in einen dem Anlass ge- rechten Zustand versetzt.

Um aber die Gedenksteine wieder in einen ansehn- lichen Zustand zu versetzen, braucht es die Hilfe einer Fachfirma, die in dem Steinmetzbetrieb Kloss und Kittler gefunden wurde. Natürlich ist diese Ar- beit nicht umsonst zu bekommen. Es braucht also Spenden von Betrieben, Einrichtungen und Perso- nen, denen die Weißenfelser Geschichte in allen Ausprägungen etwas bedeutet.

Spendenaufruf: Bitte überweisen Sie auf das Konto bei der Volks- und Raiffeisenbank eG. Kontoinhaber: Geschichtsverein Erinnern und Gedenken e.V. Weißenfels IBAN: DE39 8006 3648 2700 1768 00 BIC: GENODEF1NMB

Als gemeinnütziger Verein können wir entsprechen- de Spendenbescheinigungen ausgeben.

Tel: 01577-0693110, Die Grafik entwarf der Weißenfelser Gra- E-Mal: [email protected] fiker Hans Greschek Ganz besonders braucht der Verein interessier- te und junge Mitstreiter*innen !!!

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In Naumburg befindet sich die Gedenkstätte mit den Grabstellen auf dem Friedhof in der Weißenfel- ser Straße. Zum 100. Jahrestag in diesem Jahr wollte die Naumburger LINKE gemeinsam mit Leh- rern und Jugendlichen der Freien Schule Burgenland Jan Hus und der Medizinischen Berufsakade- mie der Opfer würdig gedenken. Zu wünschen ist, dass das noch nachgeholt werden kann. Herzlich eingeladen sind Naumburgerinnen und Naumburger sowie weitere Schulen.

Empfehlenswert: Zu den Ereignissen und handelnden Personen 1920 in Naumburg, Bad Kösen, Weißenfels, Zeitz und Umgebung gibt es sehr detaillierte Aufzeichnungen und Darstellungen auf der Website von Dr. Detlef Belau:

Naumburg an der Saale 1918 bis 1945 Notizen zur Stadtgeschichte. .

https://www.naumburg-geschichte.de/geschichte/buergerkrieg.htm

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Hier eine Themenübersicht dieser Homepage: zum Peter Kroha, Vorsitzender der Bad Kösener LINKEN: „...Nachdem die Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen hatten, organisierten linke Kräfte aus der SPD und KPD Volksversammlungen und gründeten Aktionsausschüsse zur Abwehr des Put- sches. In vielen Orten, auch in Bad Kösen, wurden die Einwohnerwehren ( das waren Freiwilligenverbände, die auf Weisung der Regierung gegründet worden waren, um damit die Forderungen des Versailler Ver- trages zu umgehen) entwaffnet, die Ge- wehre wurden im Rathaus eingelagert.

Obwohl der Putsch schon am 17.03. nie- dergeschlagen war, gab es in Naumburg erbitterte Kämpfe, die sich dann auch nach Bad Kösen verlagerten.

Am 19.03. stellte der Bad Kösener Aktions- ausschuss fest, dass bei ihren Waffen im Rathaus heimlich die Schlösser entfernt worden waren. Dies war auch der Grund, warum sich Arbeiter gegen 10 Uhr im Gast- haus „Zur Tanne" zu einer Beratung zu- sammenfanden. Am 19. März gedenkt auch die Bad Kösener LINKE gemeinsam mit Naumburger Genoss*innen wie in je- dem Jahr der 15 Bad Kösener und Naumburger Bürger, die vor 100 Jahren im Kampf um die Niederschlagung des Kapp-Putsches ihr Leben einsetzten und verloren.

Dort, wo einst der Gasthof „Zur Tanne gegenüber der Unterführung am Bahnhof in der Gerstenbergk- promenade stand, befindet sich heute die Gedenkta-

Gleichzeitig setzten sich 30 Mann aus Naumburg über Flemmingen in Richtung

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Bad Kösen in Bewegung und verbün- zu gedenken und die Opfer zu ehren. deten sich mit den Bad Kösenern, die das Bahnhofsgelände und die Brücke Dazu laden sie Interessierte herzlich ein. Sie wer- den noch kurzfristig entscheiden, ob eine Termin- bewachten. verlegung wegen der Corona-Pandemie sich als Gegen 14 Uhr trafen die in der Naum- notwendig erweist. burger Jägerkaserne stationierten Sol- daten der XVI. Reichswehrbrigade, aus Weimar kommend, in Bad Kösen ein. Nachdem sie von der Einwohnerwehr informiert worden waren, dass sich im Ort bewaffnete Arbeiter befanden, kam Auch in Hohenmölsen treffen sich jährlich Mitglie- es zum Kampf. der der Partei DIE LINKE zum ehrenden Gedenken der Opfer des Kapp- Frustriert und wütend, weil es ihnen Putsches. nicht gelungen war, im Rahmen des Kapp-Putsches die Weimarer Regie- Aber in diesem Jahr, rung zu stürzen, erschossen sie in Bad zum 100. Jahrestag, Kösen 15 Männer, obwohl diese sich verschieben sie alle ergeben hatten gewohnten Aktivitä- Die Überlebenden wurden gefangen ten in die Zeit nach genommen und nach Naumburg in das der Corona- Gefängnis verbracht. Pandemie.

Diese Arbeiter hatten die Waffe in die Hand genommen, um die verfassungs- Außerordentliche mäßige SPD-Regierung zu schützen. Ereignisse erfor- Dass sie sich mutig, konsequent und dern eben besonde- mit vereinter Kraft der Reaktion entge- re Maßnahmen: gen stellten, ist ihnen hoch anzurech- nen.“ Gemeinsam ehren wir das Andenken der Deswegen achten und ehren wir sie! Opfer der Reaktion durch das Verteilen dieser Son- derausgabe unseres Saale-Unstrut-Elster-Kuriers *** an möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in unse- Derzeit haben die Bad Kösener Genos- rem Kreis. Ohne Demokratie, ohne Frieden und sinnen und Genossen noch vor, am ohne Gerechtigkeit ist alles nichts! 19.03.2020 um 15:00 Uhr *** an der Gedenktafel in der Gersten- Diese Sonderausgabe wurde erarbeitet durch Harald Uske, bergkpromenade Sprecher der Stadtorganisation Naumburg/Saale und Vorsitzen- der der Basisorganisation Naumburg der Partei DIE LINKE, der Ereignisse des Kapp-Putsches und Homepagebetreuer und Mitgliederprogrammverantwortlicher seiner Niederschlagung vor 100 Jahren des Kreisverbandes DIE LINKE. Burgenlandkreis